Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer/142

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Chronik der Schotten-Crainfelder Familie Spamer
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Ich erstaunte über die Erscheinung,
Die mir Anfangs schiene still zu stehn,
Bald indessen ward ich andrer Meinung,
Da ich deutlich sah sie weiter gehn.
Während sie mir immer näher rückte,
Ward ich eine Kugel vorn gewahr,
Hinter der ich einen Schweif erblickte,
Der von einer Manneslänge war,
Diese Kugel, von dem reinsten Feuer
Und wohl einer Kegelkugel dick,
Bog als wie ein drohend Ungeheuer
Ihren Schweif bald vorwärts, bald zurück.
So sah ich den Drachen nieder fahren,
Und mein Auge blieb ihm zugewandt
Bis ich ihn nicht weiter konnt' gewahren,
Da er hinterm Schulhaus mir verschwand.
Die Beschreibung hab' von diesem Drachen
Ich dem Zeitungs-Redacteur gesandt,
Mußte aber nachher selber lachen,
Als ich nahm die Zeitung in die Hand.
Dieser hatte nämlich meinen Drachen
Nach Belieben völlig englisirt,
Und ihn, um die Sache rund zu machen,
Nur als Feuerkugel aufgeführt.
Ob derselbe an dem Ausdruck „Drache“
Anstoß hatt' genommen, weiß ich nicht;
Doch erschien durch ihn die ganze Sache
Nunmehr vor der Welt in falschem Licht.
An den Lesern hatte er gesündigt,
Weil er sie nur täuschte und belog;
An mir selbst, da er, was ich verkündigt,
Ohne allen Grund in Zweifel zog;
An der Wahrheit, weil er sie verletzte,
Und die Sache nicht so stellte dar,
Sondern anders in die Zeitung setzte,
Als sie in der That gewesen war.
An dem armen Drachen aber endlich,
Der doch wahrlich gar nichts konnt' davor,
Daß er durch den Redacteur so schändlich
Namen, Schweif und Existenz verlor. —
Von dem weiland Superintendenten
Palmer sind schon lange in dem Lauf
Anekdoten zwar an allen Enden;
Dennoch tisch' ich selbsterlebte auf.
Jede Anekdote muß verlieren,
Wenn man die Personen nicht gekannt,
Dieß ist ganz besonders zu urgiren
Bei dem Mann, den eben ich genannt.
Seine Kleinheit mußte schon frappiren
Trat man ihm zum ersten Male nah,
Und sein graues Haar ließ er frisiren,
Wie man es bei keinem Andern sah.
Gegen seine, wirklich winz'ge Länge
Stach die Corpulenz bedeutend ab,
Und bei jedem seiner Schritt' und Gänge
Er sich ein besondres Ansehn gab.
Halstuch, Weste, Frack und kurze Hosen,
Strümpfe, alles schwarz, und Schnallenschuh'
Trug er immer und noch einen großen,
Dreigeeckten schwarzen Hut dazu.
Niemand sollte sich daran ergötzen,
Wie der große Hut dem Männchen stand;
Denn es pflegte nie ihn aufzusetzen,
Sondern trug ihn stets in seiner Hand.
Kam es gravitätisch angeschritten.
Sah man nur entblößt sein geistlich Haupt,
Welches nach schon längst verscholl'nen Sitten
Bis zur Stirn mit Puder war bestaubt.
Seine Haare, ganz zurückgestrichen
Und gebunden hinten an dem Kopf,
Boten einen Anblick dar, als glichen
Ungefähr sie einem Weichselzopf.
Doch Ihr mögt im Bilde erst beschauen
Dieses kleine Menschenexemplar,
Und zugleich auch meinem Zeugniß trauen,
Daß es völlig so gestaltet war!
Dieses Männlein war Euch so possirlich,
Daß auch Jeglichem das Lachen kam
Bei dem ersten Anblick unwillkürlich,
Wenn er sich nicht fest zusammen nahm!
Da im Vogelsberge halten wollte
Palmer Kirchenvisitation,
Wünschte er, daß ich begleiten sollte
Ihn mit Heinrich, seinem ersten Sohn.
Dankbar setzte ich mich zu den beiden
In die Superintendenten-Chaise,
Die „die Arche Noahs“ hieß vor Zeiten,
Wegen ihrer ungeheuren Größ'.
Zwei Paar Pferde waren vorgespannet,
Jegliches mit einem Kutscher schon
Aus dem Bauernstande wohl bemannet,
Und so fuhren wir vergnügt davon.