Entstehung der Familiennamen in der Steiermark
Auszug aus: Die Schriften des Waldschulmeisters, von Peter Rosegger
Peter Rossegger war und ist der steirische Heimatdichter. Sein Buch Die Schriften des Waldschulmeisters beschreibt den Lebensweg des Andreas Erdmann, vom Studium, über die Teilnahme am Feldzug Napoleons in Russland, bis zum Waldschulmeister in Winkelsteg in der Nordoststeiermark.
Andreas Erdmann beschreibt in seinen Aufzeichnungen, die Peter Rosegger aufgefunden und im Waldschulmeister veröffentlicht hat, die Verhältnisse der damaligen Zeit.
Im nachfolgenden Auszug wird die die Namensermittlung anlässlich der Erstellung der ersten Kirchmatriken zu Winkelsteg im Jahr 1816 beschrieben.
Das Buch, daß in 35 Sprachen übersetzt wurde und wiederholt aufgelegt wurde, ist wieder im deutschsprachigen Raum im Buchhandel erhältlich.
Im Herbst 1816.
In einer der letzten Wochen bin ich mit einem Papierbogen zu allen Hütten des Waldes herumgegangen. Da habe ich die Hausväter nach dem Stande ihrer Wirtschaft, nach der Zahl ihrer Familie, nach den Geburtsjahren und Namen der Leutchen gefragt. Das Geburtsjahr kann zumeist nur nach den Geschehnissen und Zeitumständen angegeben werden. Der ist geboren im Sommer, in welchem das grosse Wasser gewesen, die ist zur Welt gekommen in demselbigen Winter, als man Strohbrot hat essen müssen. Solche Ereignisse sind ragende Marksteine.
Das Namensverzeichnis wird nicht gar zu mannigfaltig. Die Bewohner männlicher Art heissen Hannes oder Sepp, oder Berthold, oder Toni, oder Mathes; die Leute weiblicher Gattung sind Kathrein benamset, oder Maria, welch letzter Name in Mini, Mirzel, Mirl, Mili, Mirz, Marz umgewandelt und ausgesprochen wird. Ähnlich geht es mit den anderen Namen; und kommt einer von draussen, so muss er sich eine Umwandlung nach den Zungen der Hiesigen sogleich gefallen lassen. Mich haben sie einige Zeit den Andredl geheissen; aber das ist ihnen ein zugrosser Name für einen so kleinen Menschen, und heute bin ich nur mehr der Redl.
Von den Geschlechtsnamen wissen schon gar die wenigsten was. Viele mögen den ihren wohl verloren, vergessen, andere einen solchen nie gehabt haben. Die Leute gebrauchen eine eigene Form, ihre Abstammung und Zugehörigkeit zu bestimmen.
Beim Hansl-Toni-Sepp! Das ist ein Hausname, und es ist damit angezeigt, daß der Besitzer des Hauses Sepp heisst, dessen Vater aber Toni und dessen Grossvater Hansel genannt worden ist.
Die Kathi-Hani-Waba-Mirz-Margaret! Da ist die Kathi die Ururgrossmutter der Margaret.
Der Stamm mag doch schon lange in der Waldeinsamkeit stehen. Und so wird eine Person oft durch ein halbes Dutzend Namen bezeichnet und jeder schleppt die rostige Kette seiner Vorfahren hinter sich her. Es ist das einzige Erbe und Denkmal.
Das Wirrsal darf aber nicht so bleiben. Die Namen müssen für das Pfarrbuch vorbereitet werden. Zu den Taufnamen müssen Zunamen erfunden werden. Das wird nicht schwer gehen, wenn man der Sache am Kern bleibt. Man benenne die Leute nach ihren Eigenschaften, oder Beschäftigungen oder Stellungen; das lässt sich leicht merken und für die Zukunft beibehalten.
Ich nenne den Holzarbeiter Paul, der die Annamirl geheiratet, nicht mehr den Hiesel-Franz-Paul, sondern kurzweg den Paul Holzer, weil er die Holzstünke auf den Risen zu den Kohlstätten befördert und die Leute diese Arbeit "holzen" heissen.
Der Schwammschlager Sepp, der seines Vaters Namen vergessen, soll auch nicht mehr anders heissen als der Schwammschlager, und er und seine Nachkommen mögen angehen, was sie wollen, sie bleiben die Schwammschlager.
Eine Hütte in den Lautergräben nenne ich die Brunnhütte, weil vor derselben eine grosse Quelle fliesst. Wozu den Besitzer der Hütte Hiesel-Michel-Hiesel-Hannes heissen? Er ist der Brunnhütter und sein Weib ist die Brunnhütter, und wenn sein Sohn einmal in die Welt hinausfährt, Soldat wird oder Fuhrmann oder was immer, er bleibt der Brunnhütter allerwegen.
So haben wir einen Sturmhannes; der hat oben auf der stürmischen Wolfsgrubenhöhe sein Haus.
Einen alten, sehr dickhalsigen Zwerg, den Kohlenführer Sepp, heissen sie seit lange schon den Kropfjodel. Da habe ich letztlich das Männlein gefragt, ob es zufrieden sei, wenn ich es unter den Namen Kropfjodel in meinen Bogen einschreibe. Er ist gerne dazu bereit.
Die neuen Namen finden Gefallen, und jeder, der einen solchen trägt, hebt seinen Kopf höher und ist zuversichtlicher, selbstbewusster, als sonst gewesen. Nun weiss er, wer er ist.