Giewerlauken

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Wappen der Stadt Ragnit

G i e w e r l a u k e n

Bauerndorf an der Szeszuppe
Kreis Tilsit-Ragnit, Ostpreußen
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Erst seit ein paar Jahren errichtetes Hotel-Gutshaus "Hirschflur" (Olenji Wrata) in Giewerlauken, Kreis Tilsit-Ragnit


Hierarchie


Ortsschild von Giewerlauken (Hirschflur)


Einleitung

Ein Gehöft am Ortsrand von Giewerlauken, 2007

Giewerlauken (ab 1938 Hirschflur) liegt an der Landstraße von Groß Lenkeningken nach Trappönen. Das Dorf an der Szeszuppe (Ostfluß) war bäuerlich geprägt. Die Gemeinde Hirschflur war 527 ha groß. Begrenzt wurde die Ortschaft im Osten von der Gemeinde Aschen, im Süden teils von der Gemeinde Waldau, teils vom Rittergut Juckstein und im Westen und Norden von dem Staatsforst Trappönen. [1]

Name

Andere Namen

Hirschflur Ansichtskarte.jpg
  • Giwerlaugk (1510)
  • Giberlaugken (1526)
  • Gywerlauken (1780)
  • Giewerlauken (bis 02.06.1938)
  • Hirschflur (03.06.1938 - 1945)
  • Giverljauken / Гиверляукен (1945)
  • Nikolskoe / Никольское (ab 1946)

Namensdeutung

Peteraitis schreibt dazu: 1510 Giwerlaugk, 1526 Giberlaugken. Er leitet von litauisch "gyvelis" ab. In der Region siedelten aber keine Litauer. Es waren Schalauer und Zemaiten. Aber das macht im Prinzip nichts, denn in allen Sprachen bedeutet es annähernd dasselbe: Lebensraum. Vermutlich deshalb, weil die Wälder erst gerodet und urbar gemacht werden mussten.

  • prußisch "giwe": leben, Lebewesen
  • zemaitisch "givena": Leben, das Vorhandensein
  • litauisch "gyvelis": der/ die Lebende (nach Peteraitis)
  • + baltisch "laukas": Acker, Feld, Gehöft

Allgemeine Informationen

Ein Bauernhof in Giewerlauken, 2007

Die Szeszuppe durchfloß die Gemeinde von Osten nach Südwesten und trennte dadurch fünf Landwirte mit insgesamt rd. 60 ha auf der Ostseite von der eigentlichen Gemeinde. Die Einwohnerzahl betrug 1939 etwa 430 Personen. Das zuständige Amt war Rautengrund. Die Gemeinde gehörte zum Kirchspiel Groß Lenkeningken. [2]

Politische Einteilung / Zugehörigkeit

Hirschflur (Giewerlauken) gehörte seit dem 15.10.1909 zum Amtsbezirk Raudszen.

Kreiszugehörigkeit:

Kirchliche Einteilung / Zugehörigkeit

Hirschflur (Giewerlauken) gehörte bis zum 1. Oktober 1897 zum Kirchspiel Ragnit, danach zum neugebildeten Kirchspiel Groß Lenkeningken.

Standesamt

Giewerlauken gehörte 1888 zum Standesamt Galbrasten.


Ortsbeschreibung

Ein altes Holzhaus in Giewerlauken, 2007

Hirschflur besaß eine zweitklassige Schule und bildete mit der Gemeinde Aschen und der Försterei Katzenfang des Forstamtes Trappönen einen Schulverband. Die Schülerzahl betrug etwa 60 Kinder.

Bewohnt war die Gemeinde mit 85 Hofstellen, davon waren 60 landwirtschaftlich genutzt, und zwar 58 unter 25 ha und zwei über 25 ha. Die kleineren Landwirte waren nebenbei mit Lohnfuhrwerkerei beschäftigt, andere waren als Forstarbeiter in den nahegelegenen Förstereien Katzenfang und Fuchswinkel des Forstamtes Trappönen tätig.

Im Dorf gab es eine Gastwirtschaft mit Kolonialwarenhandlung, ein Kolonialwarengeschäft und eine Schuhmacherei. Eingemeindet war die Försterei Katzenfang des Forstamtes Trappönen.
Otto Gerber war der letzte Revierförster.

In den angrenzenden Wäldern des Forstamtes Trappönen lebte ein großer Wildbestand. Als jedoch Hirsche und auch Wildschweine ausgesetzt wurden, entstand den Landwirten, die an den Forst grenzten, ein beträchtlicher Wildschaden. Hirsche traten in Rudeln bis zu 20 Stück auf. Öfter wurden von ihnen Getreide- und Kartoffelernten vernichtet. Ebenso richteten Wildschweine erhebliche Schäden auf den Kartoffel- und Rübenäckern an. [2]

Bewohner

Geschichte

Ein Abbruchhaus am Ortsrand von Giewerlauken, 2007

In den Jahren 1910/11 wurde durch die Gemeinde eine Kreisstraße gebaut. Dem Vernehmen nach war diese Straße bei Beginn des Ersten Weltkrieges noch nicht in den russischen Generalstabskarten verzeichnet, dadurch blieb Giewerlauken vor russischen Überfällen bewahrt. Der Erste Weltkrieg forderte, soweit in Erinnerung, 17 Gefallene. [2]

Sommerbrücke

Weil die schon erwähnten fünf Landwirte durch die Szeszuppe von der eigentlichen Gemeinde abgeschnitten waren, baute man eine Holzbrücke über den Fluß. Es wurden je drei lange Pfähle vom Boot aus in das Flußbett gerammt, diese verband man mit einer kurzen Kette zu Böcken, die als Pfeiler dienten. Auf diese, etwa fünf Meter auseinanderstehenden Böcke, wurden die Tragbalken gelegt. Hierauf kamen lange Stangen und als Brückenbelag dienten Bohlen.

Diese Art des Brückenbaus ist von vielen Generationen ausgeübt und von Zeit zu Zeit verbessert worden. Leider mußte die Brücke in jedem Herbst abgebrochen und im Frühjahr neu erstellt werden. Dieser Vorgang war notwendig, weil die Szeszuppe im Frühjahr und Herbst durch Hochwasser und Eisgang die Brücke zerstört hätte.

Trotz aller Vorsicht ist es vorgekommen, daß bei plötzlich eintretendem Hochwasser die Brücke weggerissen wurde. Der Brückenbau, durch Eigenleistung erstellt, war für die Gemeinde eine große Belastung. Eine bessere Holzbrücke, die dem Hoxhwasser und Eisgang standhielt, hatte die etwa acht Kilometer östlich gelegene Gemeinde Galbrasten gebaut.

Als diese Brücke jedoch repariert und verbessert werden sollte, fiel sie, infolge menschlichen Versagens, in sich zusammen. Es gab dabei mehrere Tote und Verletzte. Daraufhin verbot der zuständige Landrat den weiteren Brückenbau in der Gemeinde Hirschflur. In dieser Ausweglosigkeit wurde der Bau einer Fähre beschlossen. Durch Notstandsarbeiten und Eigenleistungen wurden gepflasterte Zufahrtswege geschaffen. Die Fähre hat in den ersten dreißiger Jahren ein Schiffszimmermann gebaut. Zu aller Zufriedenheit blieb dieser Übergang über die Szeszuppe bis zur Vertreibung in Betrieb.

  • 03.06.1938 Umbenennung der Gemeinde Giewerlauken in Hirschflur
Wegen der vielen aus dem Trappöner Forst auf das Gemeindegebiet austretenden Hirsche erfolgte 1938 von Amtswegen die Umbenennung des bisherigen Ortsnamens in Hirschflur.

Räumung

Hirschflur Flucht.jpg
Wiesenweg bei Giewerlauken, 2007


Bericht von Emil Schigat, dem letzten Bürgermeister der Gemeinde Hirschflur:

Der Zweite Weltkrieg senkte auch auf unser stilles Dorf seien Schatten. Er verursachte schwere Verluste an Toten, unter denen wir auch unseren Schulleiter Alexander Tiedemann - er fiel in den letzten Kriegstagen als Offizier in Italien - zu beklagen hatten. Insgesamt trauert die Gemeinde um 36 Gefallene.

Am 12. Oktober 1944 überraschte uns der Räumungsbefehl, demzufolge wir unser liebes Heimatdorf für immer verlassen mußten. Die Gemeinde wurde in das Dorf Schalmey, Kreis Braunsberg, evakuiert. Dort hofften wir noch immer auf eine Rückkehr in die Heimat und hielten eine völlige Vertreibung für unmöglich.

Man sagte uns, daß falls ein weiteres Ausweichen notwendig sein sollte, die Straße nach Elbing von der Wehrmacht freigekämpft würde. Als jedoch Anfang Februar 1945 die ersten russischen Granaten in Schalmey einschlugen, mußte die Flucht über das Frische Haff fortgesetzt werden. Es war ein Wunder, daß das dünne, durch plötzlich einsetzendes Tauwetter morsch gewordene Eis, die schweren Fuhrwerke getragen hat und nicht noch mehr Verluste durch Einbruch 0der feindlichen Artillerie- und Fliegerbeschuß entstanden sind.

Soweit bekannt, ist von unserer Gemeinde nur der Wagen meines Nachbarn Franz Risch von einer Granate getroffen worden und gesunken, er selbst wurde durch Granatsplitter getötet. Weil auf der Fahrt über das Haff die Fahrzeuge wegen der vorher geschilderten Gefahren mit 50 Meter Abstand und in mehreren Reihen fahren mußten, löste sich der bis dahin zusammenhaltende Treck unseres Dorfes auf.

Die einzelnen Fuhrwerke vermischten sich mit anderen Gemeindetrecks und fuhren auf eigene Gefahr weiter. Nur wenige Fahrzeuge konnten sich rechtzeitig über die Oder retten. Die anderen wurden von den Russen überholt, ihre Besitzer ausgeraubt und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Mich ereilte das Schicksal am 9. März 1945 in der Nähe der Stadt Glowitz, Kreis Stolp, als mehrere Schützenpanzer den Treck überholten. Meine restlose Enteignung erfolgte in dem Dorf Stojentin, Kreis Stolp. Nach schlimmsten Entbehrungen und vielen Mühen gelang es mir und meiner Familie Ende August 1946 die Ausreise aus dem polnisch besetzten Gebiet nach Schleswig-Holstein. [3]

Heutige Situation

Der Hof Motejat in Giewerlauken
Man sieht das Ehepaar Motejat mit ihrem Sohn Erhard.
Die Szeszuppe bei Giewerlauken, 1992

Das Dorf Hirschflur (Giewerlauken) 1992

- ein Wiedersehen mit meinem Geburtsort -
von Erhard Mojetat

Im Haus der Begegnung in Ragnit war unsere Unterkunft für sieben Tage. Von dort fuhren wir mit einem Taxi über Ober- und Unter Eisseln nach Groß Lenkeningken. Als wir über die neue Brücke der Scheschuppe an Gut Sperber vorbei in den Wald einfuhren, hieß es für mich aufpassen, denn jetzt waren es nur noch ca. 5 km bis nach Hirschflur. Die Einfahrt rechts kurz vor dem Friedhof wurde gefunden und über holperige Feldwege am Hof Göttner vorbei in Richtung Scheschuppe bogen wir kurz davor bei Hilpert, wo es zur Fähre runterging, rechts ab in Richtung Kalnis. Am Haus Teweleit, welches noch stand, vorbei und nach Wedereits, mußte der Hof meiner Eltern kommen. Doch oh Schreck, nur freie Fläche rechts und auch links des sandigen Weges, der von den jetzt alten Birken geziert wurde. Die Einfahrt zum ehemaligen Anwesen meiner Eltern wurde gefunden, und ich habe meine Gedanken schweifen lassen! Dort stand unser Haus, dort die Scheune, dort der Stall, dort der Speicher mit Keller und zum Fluß hin der Geräteschuppen für die Landmaschinen. Die Fundamente der Gebäude sind im hohen verwilderten Gras noch zu finden, nur es steht nichts mehr; alles wurde abgerissen und vernichtet . Warum?

Die Gefühle, die einen in diesem Moment überkommen, kann man nicht beschreiben und auch nicht wiedergeben! Dort habe ich mit meinen Eltern und Geschwistern eine sorgenfreie Kindheit verbringen dürfen, und dann war plötzlich alles vorbei, alles nur noch Erinnerung!

Ich bin dann über unser Land zur Scheschuppe durch knietiefes Gras gegangen. Die Weiden an den Ufern waren nicht mehr da, aber die Steine auf der Seite zu Austolats, wo wir als Kinder mit der Hand Fische gefangen haben, sind geblieben. Auch die kleine Sandbank auf Wedereits Land; aber wo sind die Weiden geblieben? Zur Kalnis hin am Wald steht noch der Hof Kundroweit, aber die Anwesen Matschulat, Dumschat, Burblat, Klinger, Risch, Motejat, Wedereit, Steppat, Hundsdörfer, Godschuweit, Hilpert sind nicht mehr vorhanden. Auf der Flußseite bis zum Dorfteich ist alles freie Fläche.

An der Waldseite steht noch der Hof Wowerus; Grigat, Jesuttis, Nicklas, Szigat, Frisch, Staab, Delkus, Insthaus Motejat, Mansch, Wendorf, Abromeit, Siemoneit, Liedke fehlen - bis zum Dorfteich ist alles nur freie Fläche. Die Kalnis, das war unsere Seite des Dorfes. Zur Birkalnis stehen noch die Gebäude Schuris, Göttner, Giedigkeit, Drückler, Nobereit und die Schule. Alles andere ist auch hier nur noch freie Fläche. Die Kalnis war in Richtung Juckstein, die Birkalnis in Richtung Trappönen. Ich bin einsam und alleine durch unser schönes Dorf gegangen, habe meine Gefühle und Gedanken schweifen lassen. Ich habe Abschied genommen von meiner Geburtsstätte, von meiner geliebten Heimat Hirschflur - Ostpreußen, dem wunderschönen Land der Wälder, Flüsse und Seen. Heute heißt unser Dorf "Nikoioskoe". [4]


Verschiedenes

Karten

Giewerlauken und Umgebung,
Ausschniit aus dem Meßtischblatt Groß Lenkeningken, Stand nach 1938
Umgebungskarte von Giewerlauken (Hirschflur)


Zufallsfunde

Oft werden in Kirchenbüchern oder anderen Archivalien eines Ortes Personen gefunden, die nicht aus diesem Ort stammen. Diese Funde nennt man Zufallsfunde. Solche Funde sind für andere Familienforscher häufig die einzige Möglichkeit, über tote Punkte in der Forschung hinweg zu kommen. Auf der folgenden Seite können Sie Zufallsfunde zu diesem Ort eintragen oder finden. Bitte beim Erfassen der Seite mit den Zufallsfunden ggf. gleich die richtigen Kategorien zuordnen (z.B. über die Vorlage:Hinweis zu Zufallsfund).


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Weblinks

Daten aus dem Geschichtlichen Ortsverzeichnis

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Quellen

  1. Text: Bernhard Waldmann
  2. 2,0 2,1 2,2 Auszug aus dem Heimatbuch "Am Memelstrom und Ostfluß" von Ernst Hofer © 1967; Herausgeber Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V. - Wiederauflage 1994
  3. Emil Schigat, damaliger Bürgermeister der Gemeinde Hirschflur, aus: “Am Memelstrom und Ostfluß” von Ernst Hofer, Düsseldorf, 1967
  4. Autor: © 2004 Erhard Mojetat, Quelle: Heimatrundbrief "Land an der Memel" Nr. 76/2005 Seite 125, © Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit e.V., verfaßt am 06.05.2005