Kaltenbach 1850/Burtscheid
Auszug aus:
Johann Heinrich Kaltenbach: Der Regierungsbezirk Aachen, Wegweiser für Lehrer, Reisende und Freunde der Heimathkunde, Aachen 1850.
Burtscheid
Burtscheid, in ältern Zeiten Porcetum, Porcied, Purchit, Burchit, Borschit, Bourcit, Burschit etc., eine schöne und stark bevölkerte Stadt im Landkreise Aachen, mit einem Friedensgericht, einer Post-Expedition, 3 Pfarrkirchen (2 katholische und 2 evangelische), 270 Häusern (1758 nur 160), und 5640 Einwohnern. Zur Zeit der französischen Herrschaft war Burtscheid der Hauptort eines Kantons. Diese Stadt liegt nur wenige Minuten südlich von Aachen, theils im Thale der Wurm, theils an und auf den Hügeln zu beiden Seiten derselben, hat gegenwärtig noch 2 Thore und einige Reste der alten Ringmauer. Die Haupt- oder Bergstraße ist so jähe und abschüssig, daß sie mit schwerbeladenem Fuhrwerk nur mit Gefahr auf-, abwärts aber gar nicht zu befahren ist. Die Wurm und ein aus den vereinigten heißen Quellen gebildeter Bach, der Warmenbach, fließen hier nebeneinander und verbinden sich erst in der Nähe der Papiermühle unweit der Ketschenburg. An der Nordseite der Stadt, am sogenannten Krugenofen und Kasino, führt die Landstraße von Aachen nach Eupen und Verviers vorüber, welche hier die Wasserscheide zwischen Wurm und Paunelle bezeichnet. An der Südseite erhebt sich die auf einem petrefaktenreichen Kalkelfen erbaute prächtige Abteikirche mit ihren umfangreichen Abteigebäuden und etwas östlicher auf derselben Anhöhe die erste katholische Pfarrkirche zum heiligen Michael. Die berühmten heißen Quellen von Burtscheid, welche wie die des benachbarten Aachen im Uebergangskalk entspringen, übertreffen in Hinsicht der Temperatur (51° R.) noch die Aachener Thermen. eine derselben, welche nur mit einer niedrigen Mauer eingefaßt, auf offener Straße quillt, hat so heißes Wasser, daß Eier in wenigen Minuten darin gesotten werden können. Sämmtliche Mineralquellen werden von 10 Badehäusern und einem Trinkbrunnen benutzt, welche alle, mit Ausnahme des öffentlichen Armenbrunnens, Privateigenthum sind. Außer diesen geschwefelten Mineralquellen hat man in neuester Zeit auch eisenhaltige oder Stahlquellen entdeckt und zu Heilbrunnen eingerichtet. Die reizende Lage, durch schöne Anlagen und angenehme Spaziergänge noch bedeutend gehoben, die eleganten Gasthöfe, so wie die behagliche Stille in diesem geräuschlosen Orte zieht alljährlich viele Kurgäste während der Badesaison nach Burtscheid. Die hier befindlichen Tuch- Kasimir- und Nähnadelfabriken sind von großer Wichtigkeit, stehen in anerkannt gutem Rufe und bilden eine Huaptquelle des Wohlstandes. - Der heilige Clodulf, ältester Sohn des heiligen Arnulf und Oheim Pipin's II., früher Major Domus seines Vetters Pipin, später Bischof zu Metz (694), ließ auf seinen Besitzungen zu Burtscheid und in dem nachherigen Dorfe Villen (unweit Vaels) Kirchen bauen, setzte an jede 12 Matrikularien (geistliche und weltliche Pfründgenießende) und dotirte dieselben. Was er seinem Sohne Arnulf bei seinem Hinscheiden an beiden Orten hinterlassen hatte, setzte dieser zu der Stiftung seines Vaters, welche Dotation Pipin II. mit seiner Gattin Plectrudis noch vermehrte. Bis in's 10. Jahrhundert herrscht tiefes Schweigen über Burtscheid; daß dasselbe aber durch die Normannen (881) gleiches Schicksal mit Aachen und vielen andern Städten gehabt habe, läßt sich seiner Nähe wegen leicht denken. Gregor, Sohn des griechischen Kaisers Nicephorus Phocas, welcher seiner Schwester und Gattin Otto's II. einen Besuch in Aachen abstattete, wurde von dieser bewogen, die damals erledigte Abtstelle über die Matrikularien zu Villen und Burtscheid anzunehmen, welche sein Schwager, der Kaiser, 973 ihm ertheilte. Mit ihm fing Burtscheid an bedeutender zu werden. Er hob dasselbe zu einer Abtei, indem aus den Matrikularien nun Mönche wurden, welche nach den Regeln des heiligen Benediktus klösterlich zusammenlebten und deren Zahl nicht über 24 sein durfte. Von der dem heiligen Petrus gewidmeten Urkirche werden damals nur die Ruinen übrig gewesen sein, denn Gregor ließ 2 Kapellen bauen. Derselbe liegt in der jetzigen Pfarrkirche zum heiligen Johann Baptist begraben, welche auf der Stelle der, von demselben gebauten Apollinarius-Kapelle errichtet ist. Otto III. und Heinrich II. schenkten der Abtei Burtscheid verschiedene Besitzungen. Die Abtei wurde 1018 von Kaiser Heinrich III. mit allen Reichsgütern der Umgebung innerhalb bestimmter Gränzen, woraus nun die Herrschaft Burtscheid sich bildete, beschenkt. Letztere ward in einer Synode im J. 1022 der Diözese Lüttich zugesprochen. Konrad II. und Heinrich III. beschenkten dieselbe Abtei 1029 und 1056; letzterer machte auf Bitten des Abtes Benedikt der Abtei alle in der Herrschaft Burtscheid wohnenden Reichsleute mit der Bedingung zum Geschenk, daß diese, was sie an den Pallast zu Aachen bisher zu liefern hatten, in Zukunft an die Abtei entrichten und auch deren Befehle gehorchen mußten. Die Abtei wurde ferner noch beschenkt von Kaiser Heinrich IV., V. und Herzog Walram von Lothringen. Kaiser Konrad III. gab der Abtei 1138 ein herrliches Privilegium, mit welchem er die Abtei von aller Unterwürfigkeit, ausgenommen die dem Kaiser gebührende und von jeder Abgabe befreite; auch schenkte derselbe dieser Abtei 3 Pfund von dem Zolle zu Aachen. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts waren die Finanzen der Abtei in einem solchen Zustand, daß sie nicht hinreichten, die Mitglieder derselben gehörig zu unterhalten. Sie gerieth endlich durch schwache Mönche, schlechte klösterliche Disziplin und vernachläßigte Verwaltung ihrer Güter so in Verfall, daß Erzbischof Engelbert von Köln, Graf von Berg und Verwalter der deutschen Länder während der Abwesenheit des Kaisers Friedrich II. im Jahre 1222 die in sehr gutem Rufe stehenden Nonnen auf dem Salvatorsberge mit Bewilligung des Abtes und der noch übrigen 4 Benediktiner-Mönche in die Abtei Burtscheid versetzte. Der Abt räumte nun mit seinen 4 Mitbrüdern das klösterliche Gebäude und bezog das bei der Nikolaskapelle gelegen Gebäude, wo sie von einer Pension lebten. So war denn die erste durch den heiligen Clotulf gepflanzte Stiftung, welche durch den heiligen Gregor zu einer Abtei erhoben, von Königen und Kaisern mit so vielen Reichsgütern begabt und mit so herrlichen Freiheiten und Vorzügen ausgeschmückt worden war, so tief herabgesunken! Durch den Besitz der Herzöge von Limburg im Lande von Herzogenrath, wozu Gülpen, Villen und Wallwyler gehörten, kam auch diese Abtei an Limburg. Die Abtissin Helswendes, welche in Verdrießlichkeit mit dem Vogte über Burtscheid verwickelt wurde, beklagte sich deßhalb bei dem Erzbischofe Engelbert von Köln, der von beiden Seiten Schiedsrichter ernannte, die Sache zu untersuchen. Diese setzten dann nach einem Zeugenverhör der ältesten Einwohner von Burtscheid die Bestimmungen über die Rechte des Vogte und Meiers, über welche bisher nichts Schriftliches vorhanden war, im Jahre 1226 fest. - Durch die Abteikirche, Reichsleute und deren Besitzungen, so wie durch die Thermalquellen in der Herrschaft Burtscheid entstand bald mehr Leben, die Bevölkerung stieg, die Feste der Kirche und der Waarenabsatz führten Fremde aus der Nähe und Ferne herbei und so bildete der Ort sich allmählich zu einem Dorfe aus. Im 13. Jahrhundert waren schon die Tuchmanufakturen in Burtscheid blühend; das Schöffengericht entstand; eine eigene Pfarre ward erbaut, welche 1252 der Abtei einverleibt wurde. Neue Schenkungen kamen jetzt von vielen Seiten der Abtei wieder zu. Arnold, Herr von Frankenberg *) war 1230 Vogt zu Burtscheid, über dessen widerrechtliche Eingriffe die Abtissin häufig zu klagen hatte. Bei der 6monatlichen Belagerung der Stadt Aachen durch den zum Kaiser gewählten Wilhelm, Graf von Holland (1248), waren die Abtei und ihre Besitzungen hart mitgenommen worden. 1306 bildete sich in Burtscheid die Tucharbeiter-Zunft. Unter der Abtissin Jutta Regierung und des Vogte Edmund nahm die Zahl der Einwohner sehr zu, die Manufakturen vervielfältigten sich und bewirkten einen starken Geldumlauf. Im Jahre 1354 übertrug die Abtissin Mechtildis von Bongard und der Konvent die Meierei über Burtscheid an die Stadt Aachen mit gewissen Bedingungen, weil sie von ihren Vögten, den Herren von Frankenberg, zu viel zu leiden hatten, die sogar den Gottesdienst der Nonnen störten, wogegen dieselben beim Herzog von Jülich vergebens Hülfe gesucht hatten. - Die Abtei erhielt von allen Feldfrüchten und Feldgewächsen den Zehnten, außer von den Besitzungen der Herren von Frankenberg und ihren eigenen Besitzungen. Burtscheidt hatte ein Sendgericht, zwei Brauhäuser, (Bannal-) Weinschenken und zwei Marktmeister. Die Vögte vertragen die Stelle des Kaisers, mußten das Stift und dessen Güter und Einwohner schützen und vertheidigen, und übten im Namen des Kaisers den Blutbann (Kriminalitäts-Gerichtsbarkeit) aus. Seit 1649 war die Abtissin zugleich Vogtin über Burtscheid, ließ aber die vogteilichen Verrichtungen durch einen Statthalter ausüben, der im Herzogthum Limburg geboren sein mußte. 1749 bildete sich die Bäckerzunft. - Das Rathhaus zu Burtscheid wurde 1823 auf die Stelle des ehemaligen Gemeinde-Hauses errichtet. - Die Michaels-Pfarrkirche, schon 1252 der Abtei einverleibt, war baufällig geworden und wurde 1625 erneuert; die jetzige Kirche ist 1751 erbaut worden. Die St. Johann Baptist-Pfarrkirche, die ehemalige Abteikirche, wurde 1730 von Grund aus neu erbaut. - Die evangelische Pfarrkirche, 1633 erbaut, aber auf Befehl Kaisers Ferdinand II. wieder abgetragen, ward 1706 von Neuem gebaut und 1714 auf Befehl Karls II. abermals abgetragen. Bis 1802 versammelte sich die Gemeinde zur Gottesverehrung in Vaels, hielt aber ihren eigenen Prediger. - Die von Ostern bis Pfingsten viel besuchte Muttergottes-Kapelle in der Nähe des Schlosses Eckenberg war ehemals eine Einsiedelei, wurde 1644 erbaut und 1807 erneuert.