Kriegschronik Waldliesborn

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Pfarrer Heinrich Theele (1900-1975).jpg

Die Kriegschronik von Bad Waldliesborn

Zeitraum: 1. September 1939 – 27. Juli 1946
Autor: Pfarr-Rektor Heinrich Theele [Totenzettel]
Quelle: Handschriftliches Original im Privatbesitz von Klaus Luig, Bad Waldliesborn
Transkription: Klaus Luig, Rektor a.D., Bad Waldliesborn


1939

1. September
1939:Am Freitag, den 25. August, hatten viele aus der Gemeinde ihre Einberufung zu den Waffen erhalten, der sie vom 26. August an folgen mussten. 3 – 4 Mann waren übrigens schon mehrere Tage zuvor einberufen worden.
An jenem 26. August (Samstag) erschien früh um 6 Uhr schon ein Gestellungspflichtiger in aller Eile in der Kirche zu den hl. Sakramenten. Er kam mit Leichtmotorrad (aus Mastholte ?). Am gleichen Morgen kam dann der Schneider Hesekemper, der für Sonntag, den 27. Aug., seine Einberufung hatte.
Angesichts dieser Umstände wurden am Sonntag, den 27. Aug., beide Predigten über vollkommene Reue gehalten.
Ab 28. Aug.
Pferdemusterungen, bei denen viele Leute aus Waldliesborn Pferde (manchmal das einzige) abgeben mussten.
19. September 1939
Auf Anordnung des Bischofes Clemens August ist heute anlässlich des Kriegsausbruches wie anderswo auch hier ein dreizehnstündiges Gebet abgehalten, an dem sich die Gemeinde rege beteiligte.
20. September 1939
Gerhard Holtkötter (Kühlige) ist am 8. Sept. vor Warschau schwer verwundet. Mitteilung des Bruders. Er verlor bei einem Panzerangriff als Fahrer einen Fuß. In der Kriegszeit soll von jetzt an jeden Freitag (an Wochentagen) nach der hl. Messe Kreuzwegandacht sein.
8. Oktober 1939
Abends etwa 11 Uhr Anruf des Bürgermeisters Voß, Wadersloh, dass ab sofort jegliches Läuten verboten sei. Also unterbleibt es! Nur das so genannte Siegesläuten darf sein.
1. November 1939
Gemäß Schreiben des Generalvikariates Münster ist das Läuten in mäßigem Umfang erlaubt. – Das Läuten wird mit Freuden begrüßt!
Etwas mehr als 50 Personen sind von hier zum Heeresdienst eingezogen. Im Polenfeldzuge hat ein Sohn des Kirchenvorstandsmitgliedes Dietz eine leichte Verwundung am Kopf erhalten (Bajonett) und ein Sohn von dem Pächter Krabus stürzte mit dem Pferde, ohne sich schwer zu verletzen.
8. Dezember 1939
Heute zieht die Flakkolonne I/141 ab (nach München-Gladbach oder weiter). Dieselbe hat im Rektorat vom 26. Nov. Bis heute ein Zimmer (Vereinszimmer) als Wachstube zur Verfügung gestellt bekommen. Im Vereinshaus waren von dieser Kolonne vom 25. Nov. Bis 2. Dezember 1939 Granaten gestapelt (für Flak 2 cm u. 8,7 cm). Die Mannschaften waren bis auf ganz wenige nicht katholisch. Ein Katholik von diesen war am 8. Dez. zu den hl. Sakramenten.
Von den Bewachungsmannschaften (Flak) des Flugplatzes Lippstadt sah man Sept./Okt. 39 einige male mehrere im Sonntagsgottesdienst.

1940

20. Mai 1940
Am Pfingstmontag-Mittag wurde vom Herrn Amtsbürgermeister Voß wegen Fliegergefahr jeglicher Gottesdienst verboten. Am gleichen Tage nachm. 3 Uhr wurde der Gottesdienst von gleicher Stelle in Waldliesborn trotz eingetretener Milderungen der ersten Anordnungen weiterhin verboten erklärt (nicht mehr in anderen Kirchen des Amtsbezirkes), bis auch die Lippstädter Kirchen freigegeben würden. Lediglich der Gottesdienst an Wochentagen wurde erlaubt, weil nicht viele zugegen waren (ca. 40). So ist es denn in der Pfingstwoche gehalten worden. Die Kinder mussten, um die Zahl der Kirchenbesucher nicht zu groß erscheinen zu lassen, sich mit einer Maiandacht nach der hl. Messe begnügen. Haus Carola hatte glücklicherweise einen eigenen Geistlichen, Herrn Pfarrer Martin aus Frielingsdorf, Erzdiözese Köln; derselbe war von der Geheimen Staatspolizei aus der Rheinprovinz ausgewiesen. Am Pfingstmontag wurden in der Kirche 2 hl. Messen gelesen, aber mehr als ca. 40 wurden infolge dieser Anordnung nicht zugelassen. Die anderen Leute waren in Liesborn und Benteler, einige in Carola, ein Teil überhaupt nicht.
Am 17. (Freitag) Mai
wurde der Gottesdienst wieder gestaltet, da von der Gemeinde im Haus Carola Luftschutzraum geschaffen war für etwa 200 Personen. Der Gottesdienst soll aber nicht sehr lange dauern. Es wurde außerdem eine 3. Messe eingelegt, um die Zahl der Besucher einer Messe zu vermindern.
Die Feierstunde des Jugendbekenntnissonntags sollte in Liesborn stattfinden für den ganzen Bezirk; angesichts der Lage wurde vom Bischof Abhaltung in den einzelnen Pfarrkirchen angeordnet. Waldliesborn ging jedoch nach Liesborn, da es sich hier nicht mehr vorbereiten ließ. Die Beteiligung aus Waldliesborn war sehr gut.
30. Juni 1940
Beim Feldzug in Frankreich ist Ferdinand Dietz in französische Gefangenschaft geraten (Regiment „Großdeutschland“). – Stephan Beckhoff wurde verwundet u. liegt in Berlin im Lazarett.
Im Frühjahr stellte sich heraus, dass nach Abzug der Flakkolonne (I/141) des vergangenen Winters aus dem Vereinshaus ein Bühnenvorhang (Machesterstoff) fehlte. Sehr wertvoll in der Zeit der Stoffknappheit! Es ist zu vermuten, dass Angehörige jener Kolonne den Diebstahl machten.
Seit etwa 10 Tagen ist mit wenigen Ausnahmen Nacht für Nacht in unserer Gegend Fliegeralarm. Bomben fielen bis jetzt nur vor etwa 10 Tagen in der Nähe von Mentzelsfelde. Der Kirchenbesuch der Kinder ließ unter Einfluss der nächtlichen Ruhestörung an Wochentagen sehr nach. Auch die Einführung der Sommerzeit hatte sich darum schon ähnlich ausgewirkt.
In den vergangenen Tagen kamen erstmals mehrere polnische Arbeiter und Arbeiterinnen nach hier (ca. 8 jetzt), nachdem schon seit einigen Monaten ein Mädchen aus Polen bei Helmig (Hof Sieding) war; dieses ein braves Mädchen.
7. Juli 1940
Wegen polizeilichen Verbotes, Polen gleichzeitig mit der Pfarrgemeinde im Gottesdienst zu haben, wird den Polen als gesonderter Platz in der Messe um 8¼ Uhr die Orgelbühne angewiesen.
25. Juli 1940
Ferdinand Dietz ist vor mehr als acht Tagen aus französischer Gefangenschaft zurückgekehrt.
Das „Deutsche Haus“ ist von den Metallwerken Lippstadt wieder aufgegeben worden. Ein Ärgernis hat damit in der Gemeinde sein Ende erreicht. Deo gratias!
In der Nacht zum 11. August 1940 fielen erstmalig Bomben in der Gemeinde, geworfen durch englische Flieger; 8 Sprengbomben (davon zwei Blindgänger) in Weide und Acker vornehmlich des Bauern Schrage aus Wadersloh (zwischen der Straße zum Friedhof u. der „Kalten Stroot“ liegend). Die Bomben richteten glücklicherweise nur Schaden an Häusern an (Frenser, Brinkmann u. einige andere). Wegen der Blindgänger mussten mehrere umliegende Häuser etwa 6 Tage geräumt werden. Da …….. man die Blindgänger mit Erdhaufen.
Außerdem fielen in der gleichen Nacht mindestens 50-60 Brandbomben oder mehr von Lütke-Bornefeld über Haus Carola bis in Deimels Wald zwischen Brüggenolte und Tankstellenbesitzer Grothues. Eine Bombe durchschlug das Dach auf Haus Carola u. verursachte einen Zimmerbrand in einem Dachzimmer, der aber bald gelöscht werden konnte.
Noch nach 14 Tagen wurden in dem besagten Wald Brandbomben ausgegraben (ausgebrannte).
Bis zum 10. August etwa hatte die hier stehende Flak oft heftiges Feuer auf kreisende und durchfliegende Flugzeuge eröffnet. Das hörte von da an auf. Ebenso arbeiteten die Scheinwerder nicht mehr und der so genannte Scheinflugplatz in den Wiesen von Mentzlelsfelde (gegenüber Lohmeier, Brockschnieder, die nächtlich die Wohnung verlassen müssen) wurde des Nachts nicht mehr beleuchtet. Die Bevölkerung nahm an, dass diese Beleuchtung den feindlichen Flugzeugen Richtung gebe. – Am 3. September etwa soll diese nächtliche Beleuchtung aber erneut wieder eingesetzt haben.
Den Kindern machte es oft ein Vergnügen, die Splitter der Flakgeschosse nach solch lebhaften Nächten zu suchen und zu sammeln; erst recht natürlich Sprengstücke von feindlichen Bombern.
2. Oktober 1940
In der Nacht 20./21. September erfolgte ein besonders schwerer Luftangriff auf die hiesige Gegend. Schweres Feuer der Flak aller Kaliber. Bomben fielen nicht in Waldliesborn, wohl in der Umgegend. Nur auf dem Grenzweg Waldliesborn – Lippstadt lagen einige Brandbomben. Zündplättchen fand man in der Gegend Heitzig, Schürjohann, Helmig, usw.

1941

31. Dezember 1941
Im Jahre 1942 fielen in Russland insgesamt sieben aus der Gemeinde: Franz Mues, Willy Flütter, Joseph Mense, Franz Loddenkemper (hier begraben), Wilhelm Schnitker, Karl Heitzig, Franz Schnitker (Bad). R.i.p.
Es haben außerdem mindestens 10 aus der Gemeinde Verwundungen erlitten in Russland, deren Heilung kürzere oder längere Zeit in Anspruch nahm.
Im Juli kam ins Rektorat eine Familie ……… -landwirtschaftsrat Dr. Jestaedt, die aus Münster während der schweren Luftangriffe geflüchtet waren. Die Frau mit drei kleinen Kindern waren hier etwa vier Wochen. Der Gatte etwa 14 Urlaubstage.
Seit Fronleichnam 41 darf nach Alarm erst 10 Uhr früh Gottesdienst sein.

1942

19. März 1942
Heute wurden zwei (die größten) unserer Glocken abgeholt: Joseph u. Christ-König. Sie waren bereits am Fastnachtsdienstag vom Turm genommen worden u. standen seitdem vor dem Haupteingang der Kirche. Die Abnahme bestätigte die Fa. Stuckstedt, Neubeckum. –
Im Haus Carola werden seit Beginn dieses Jahres keine Privatgäste mehr aufgenommen, sondern gemäß Reichsgesetz nunmehr Angestellte und Arbeiter(innen) einer Rüstungsfirma. Es folgen sich stets Kuren zu je drei Wochen. Es ist dies die D.A.G. (Dynamit A.G.) Troisdorf (Rhein).
Sylvester (31.12.) 1942
Drei aus unserer Gemeinde wurden 1942 in russischer Erde zur letzten Ruhe gebettet. (Namen im Totenregister).

1943

6. März 1943
Unser Organist, Herr Lehrer Henrichmann, wird zum Heeresdienst eingezogen. Die Vertretung übernimmt Frl. Grete Eckernkemper. –
Im Januar 43 kam plötzlich ein Verbot des Landrates, die Kirchen weiter zu beheizen. Doch wurde dieses Verbot nach 2-3 Wochen stillschweigend wieder aufgehoben. Es wird aber sicher mit einer Belieferung der Kirchen im nächsten Jahr sicher nicht mehr zu rechnen sein.
Sylvester (31.12.) 1943
Im Jahr 1943 betrauert die Gemeinde 8 Gefallene. Außerdem werden 4 Vermisste aus dem Osten gemeldet.
Durch Alarm oder sonst wie ist der Gottesdienst im ganzen Jahr 1942 kaum behindert worden. Nur ganz vereinzelt fiel eine Nachmittagsandacht aus (z.B. 10. Okt. Bei einem Angriff auf Münster). Frauen und Kinder aus Gladbeck wurden im Sommer 1942 nach hier evakuiert. Doch sind die allermeisten über kurz oder lang wieder abgereist, da es teils den Leuten hier nicht möglich war, diese Fremden zu behalten, teils diese Gladbecker selbst sich hier nicht wohl fühlten.
Im Herbst 1943 kamen noch 2 Lehrkräfte aus Gladbeck an die Schule Suderlage II: Herr Brühl u. Frau Eckradt.
Daneben sind privat manche Personen aus verschiedenen Städten hier aufgenommen worden. – Auch im Rektoratsgebäude, in dem schließlich 2 Familien mit insgesamt 6 Personen gewohnt haben neben dem Rektor. –

1944

20. April 1944
Bisher hatte es hier mit Luftangriffen sehr glimpflich gegangen. Heute erfolgte ein schwerer Angriff auf den Flugplatz Lippstadt, der dort umfangreichen Schaden anrichtete u. auch 3 anliegende Familien in Waldliesborn schwer traf (s. Chronik!). Bomben u. Phosphorkanister waren noch weiter verstreut in der Gemeinde; letztere z.B. noch auf der so genannten Ziegenheide.
Voll freudigen Dankes kam die Gemeinde in der folgenden Woche am Schutzfest des hl. Joseph zum feierlichen Dankhochamt.
21. August 1944
Feierliche Erstkommunion! 26 Kinder; darunter auch einige Evakuierte.
Die Feier ist ausnahmsweise zu dieser Zeit gehalten, weil einmal die Kinder erst jetzt volle 2 Jahre in der Schule sind u. weil ein Aufschieben auf Frühjahr 1945 nicht ratsam erscheint. Denn die Kriegslage, die sich schnell verändert zu Deutschlands Ungunsten lässt für das Frühjahr noch größere Unruhe befürchten als sie bis jetzt gegeben ist. Dazu kommt, dass einige evakuierte Kinder schon ein höheres Alter haben.
24. September 1944
Die Caritaskollekte ergibt RM 2600,-; ein Zeichen der Zeit! Das Geld sinkt in seiner Kaufkraft. Zwar gibt es gesetzliche Höchstpreise für fast alles. Aber diese Höchstpreise werden im Schleichhandel sehr oft nicht eingehalten. Der Staat selbst überbietet seine eigenen Höchstpreise durch bestimmte Prämien bei Ablieferung einiger landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Der Schleichhandel ist an der Tagesordnung u. wird auch kaum jemals behördlich angetastet. Ist das nicht auch ein Zeichen, dass auch niedere und höhere Parteistellen dieses mitmachen?!
Hier ist aber nicht im geringsten gedacht an den hiesigen Ortsgruppenleiter und Ortsbauernführer H. Nölke. Dieser hat das Amt des Ortsgruppenleiters übernommen, nachdem sein Vorgänger Nöll wegen nicht genau bekannter Dinge parteiamtlich abgesetzt wurde. Herr Nöll hatte in der Bevölkerung nicht das geringste Ansehen. Er war für sein Amt total unfähig (wahrscheinlich hat sogar die Partei das erkannt!!). Herr Nölke dagegen versieht sein Amt zur Zufriedenheit der Bevölkerung. Er ist bemüht zu helfen, wo er kann. Mit seinem Amtsantritt zieht Ruhe ein in Waldliesborn, da er rechtlich denkt u. sich gegen den Partei-Terror mit Ruhe u. Umsicht u. Erfolg wendet. Es trifft sich dazu gut, dass auch der Amtsbürgermeister von Wadersloh, Klinkhammer, - Nachfolger des hinterlistigen u. ehrsüchtigen Voß, der plötzlich starb an Herzschlag – von bestem Willen beseelt ist, in Ruhe u. Besonnenheit sein Amt zu verwalten. Vor allem gibt Herr Klinkhammer nichts auf alle umlaufenden gehässigen Anzeigen u. Verleumdungen ehrenwerter Personen seitens mancher Parteileute.
13. Oktober 1944
Schon im letzten Sommer haben die Fliegerangriffe auf Westdeutschland mächtig zugenommen. Die Wucht dieser Angriffe wächst ständig nach der „Invasion“ im Westen u. dem Vorrücken auf die Reichsgrenze im Osten.
Oft ziehen Tag für Tag Bomberverbände über uns hinweg oder an uns vorbei. Doch konnte auch jetzt noch der Gottesdienst ziemlich regelmäßig gehalten werden. Vor allem betrifft es die Nachmittagsandacht. Nur einmal musste die letzte Messe auf den Nachmittag (5 Uhr) verlegt werden.
Am 5. Oktober
kam jedoch über Waldliesborn das Grauen. Um die Mittagsstunde zogen – man sagt 120 schwere Bomber, von Norden kommend, über uns hinweg u. richteten mit Spreng- u. Brandbomben großen Schaden an, Näheres berichtet die Chronik (13.10. u. 8.12). –
Diese Schäden wurden lange nicht behoben. Man ging gleich ans Werk: Aufräumung u. Wiederaufbau. Aber es fehlt an Arbeitskräften u. das Ausmaß des Schadens ist zu groß. Es wurden allerdings mehrere evakuierte Aachener (Flüchtlinge aus der Gegend Aachen u. Stolberg) eingesetzt. Einige Häuser werden in etwa wieder hergestellt. Manche Familien können an den Aufbau eines Stalles gehen. Doch ist gewaltige Energie der betroffenen Familien erfordert. Es fehlt wohl nicht am guten Willen zu helfen; wohl jedoch an den Mitteln (Materialien). Eine Reihe Familien bekamen zunächst als erste Hilfe ein so genanntes „Behelfsheim“ aus Holz.
Sylvester (31.12.) 1944
Im September 1944 kam aus dem Westen eine Tankerkolonne nach hier, die ihre Tanker größtenteils im Wald neben der Kirche u. an der Straße in Deimel’s Wald (hinter dem Garten des Rektorates) unterstellte. Die Soldaten ließen sich in einem Klassenraum der Schule Suderlage II nieder. Unteroffiziere wohnten teilweise bei Privatleuten. Der Führer, ein Oberleutnant, war in Räumen der Badeverwaltung, wo auch die Schreibstube eingerichtet war. – Abzug dieser Kolonne am 31. März 1945, am Tage vor dem Einzug der Amerikaner.
Nach dem Angriff am 5. Oktober 1944 hat sich eine große Furcht auf manche Teile der Bevölkerung gelegt, zumal bei einem Abendangriff auf Soest am 5. Dezember 44 auch in Waldliesborn (Kühlige) wie im angrenzenden Gebiet von Mastholte (Scheidenstraße) wieder eine ganze Reihe Bomben gefallen waren. – Deshalb flohen bei jedem Alarm, vor allem beim Anflug von Bomberverbänden, so manche – u. nicht nur Frauen u. Kinder, auch Männer (z.B. Kaltegärtner, Karl u.a.) in Richtung Liesborn u. Wadersloh. Ein geregeltes Leben war in den Familien oft nicht mehr möglich. Die Mahlzeiten konnten manche Familien kaum noch bereiten, da sie manchmal den größten Teil des Tages in der Ferne waren. Erst gegen Abend erfolgte nicht selten die Rückkehr. – Das kam vor allem im März 1945 auf den Höhepunkt.

1945

15. Februar 1945
Der Anbetungstag (5.II.) verlief ohne jeglichen Alarm. –
Schon einmal war zur Nachtzeit in der Nähe von Dietz u. Mangel ein Zug beschossen u. mit Bomben beworfen worden; doch war nicht getroffen. Am 8. Febr. 45 wurde bei Mühlenbrock ein Personenzug mit Bordwaffen beschossen, als im gleichen Augenblick die gefüllte Kirche (Beerdigung Mutter Schürjohann) sich leeren wollte. Alles ging glatt ab; auch im Personenzug war niemand verletzt.
Am 9. Febr.
Wurde am Nachmittag an derselben Stelle ein Güterzug beschossen, wobei zwei Eisenbahner schwer verletzt u. die Lokomotive zerschossen wurde.
Im Annahaus ist das Krankenrevier des Flugplatzes untergebracht. Nachträglich auch eine Untersuchungsstelle des Luftgaues VI (Hals-, Nasen-, Ohrenuntersuchung). Kuren von Müttern sind deshalb schon seit Monaten eingestellt. – Im Haus Carola, das am 5. Okt. 44 größtenteils zerstört wurde, kann trotz einiger Reparatur am Altbau der Kurbetrieb noch nicht wieder aufgenommen werden. Der Neubau liegt noch jetzt in seinen Trümmern; die Aufräumung ist nur begonnen, noch lang nicht vollendet.
Am 12. Febr.
Beginnt die Schule ihren Unterricht um ½8 Uhr. Die hl. Messe ist deshalb an Werktagen um 6.45 Uhr, an Sonntagen ½7, 8, ½10 Uhr. Beerdigungen sollen (eigene Festsetzung) um ½8 Uhr gehalten werden.
29. März 1945
Nicht nur schwere Bomber machen der Bevölkerung Sorgen, sondern seit Wochen in zunehmendem Maße die feindlichen Jagdmaschinen, so genannte „Tiefflieger“, mit ihren Bordwaffen u. den leichten gefährlichen Bomben. Oft haben diese in den letzten Wochen geschossen u. geworfen in Lippstadt (Bahnhofsviertel, vor allem Güterbahnhof), Flugplatz, auch vereinzelt in Liesborn, Wadersloh u. Benteler. Tag u. Nacht können diese hier sein, um allen Verkehr zu beobachten, zu melden u. auch selbst zu bekämpfen. Auch Mentzelsfelde bekam vor wenigen Tagen einige Bomben in den Park. Eine andere fiel neben dem Bahngeleise, etwas nach Waldliesborn zu, zu gleicher Zeit. Am 24. März wurden bei Beckhoff-Mönning auf der Straße nach Liesborn im Dorf fahrendes Auto beschossen, getroffen u. die Insassen, die in den Graben sich geduckt hatten, zu Tode getroffen. Es waren Vater u. Sohn, jetzt im Kreis Wiedenbrück wohnhaft, sonst ansässig in Moers.
Am Gründonnerstag (29. März) fallen die Betstunden am Grabe aus, weil die Fliegergefahr zu groß ist. Doch gab es vor Mittag keinerlei derartige Belästigung. Erst am Nachmittag brausten schwere Bomber über uns, die nach einiger Zeit zurückkehrten. Dabei warfen die allerletzten eine Luftmine, die wohl dem Flugplatz gelten sollte, aber in Waldliesborn in der Nähe des Flugplatzes noch an 10-12 Häusern teilweise ansehnliche Dachschäden u. andere Schäden anrichtete.
Dabei kommt die Front immer näher. Schon von der westlichen Reichsgrenze her hat man hier seit dem vorigen Herbst den fernen Kanonendonner vernehmen können. Manchmal mehr, manchmal weniger; teilweise auch überhaupt nicht.
1. April 1945 (Ostersonntag)
Am gestrigen Abend waren in Westen oder Nordwesten mächtige Detonationen zu hören; teilweise unter starkem Feuerschein. Dabei auf allen Straßen ein mächtiger Verkehr: Zurückflutende deutsche Truppen und Troß. Alles geht in der Finsternis vor sich; kaum sieht man Licht; oder doch nur sehr wenig. An mehr als einer Stelle landen Fahrzeuge im Straßengraben.
Am Karfreitagabend verbreitete sich das Gerücht, dass der Flugplatz Lippstadt-Lipperbruch noch in der Nacht gesprengt werden sollte. Manche Leute zogen schon von ihren Wohnungen in der Hauptstraße weg, um sich und Teile ihrer Habe abseits dieser Straße in Sicherheit zu bringen.
Am gleichen Abend (30.03.1945) begann die Räumung der ‚Alten Kapelle’ (Vereinshaus), die seit Februar 1944 vom Fliegerhorst Lippstadt belegt war mit verschiedenen Materialien. Diese Räumung dauerte die ganze Nacht hindurch an bis gegen Mittag des folgenden Tages (Karsamstag). Einiges wurde an Privatleute verteilt. Doch fand sich in der ‚Alten Kapelle’ wenig für den täglichen Gebrauch Verwendbares.
Auch vom Flughafen Lippstadt wurde durch Privatleute vieles geholt. Das setzte sich in den folgenden Tagen (auch noch nach der Besetzung durch die Amerikaner) noch eifrig fort. Man hört, dass auch an anderen Stellen die Vorräte des Flugplatzes, die auswärts lagerten, großenteils an Private verkauft wurden.
Die Sprengung des Flugplatzes Lippstadt erfolgte sodann am Nachmittag des Karsamstags zwischen 17.00 und 18.00 Uhr. Doch kann es nur eine teilweise Sprengung gewesen sein. Ob dann am Tage der Besetzung (1. April) die weitere Sprengung nicht mehr hat erfolgen können?
„Ein 1918 wird es nie wieder geben!“ Wie oft wurde es von den ‚Nazis’ laut hinausgeschrieen. Jetzt sagen Augenzeugen, dass die Verwirrung weit größer ist als 1918. Die Tankerkolonne (seit 1944 hier) rückte gleichfalls am 30./31. März ab. Die Boxen für die Tankwagen im Walde wurden in der Woche nach Ostern größtenteils von den Anwohnern abgebrochen zum Verbrennen. Denn es macht sich immer größerer Kohlenmangel bemerkbar.
Die Gottesdienste in der Karwoche hatten ungestört gehalten werden können, abgesehen vom Wegfall der Betstunden am Gründonnerstag. Doch wurde an allen drei Tagen der Gottesdienst auf eine frühere Stunde gelegt.
Die Hl. Öle waren am Gründonnerstag in Sendenhorst vom Bischof Clemens August von Galen geweiht worden und wurden am Karfreitag von uns in Wadersloh abgeholt.
Abgesehen von Kanonendonner, Erschütterungen, usw. verlief die Nacht zu Ostern (31.3/1.4.) ruhig. Doch werden nicht alle Leute mehr das Bett aufgesucht haben. Am Spätnachmittag vor Ostern (also am 31.3) schwand allerdings der elektrische Strom (bis zum Abend des 1.4.)
Ostern (1.4.): ½6 Uhr Auferstehungsfeier bei spärlichem Kerzenlicht in der Kirche, einmaliger Umzug (statt sonst dreimal) um die Kirche u. Hochamt. Als im Hochamt die hl. Kommunion fast zu Ende ausgeteilt ist, kommt Nachricht von Schießereien in Liesborn-Wadersloh, was auf die amerikanischen Panzerspitzen schließen lassen soll. Sofort wird dies in der Kirche bekannt gegeben, die hl. Kommunion aber an alle weiter ausgeteilt u. dann, da die allermeisten die Kirche schon verlassen haben, die Messe kurzerhand abgebrochen u. still der Segen mit dem Sanktissimum gegeben.
Dann ist alles wieder ruhig. Man weiß nicht, ob sich obige Nachrichten bewahrheiten. Um ½8 Uhr wird eine 2. Messe gehalten, in der immerhin eine ganz ansehnliche Zahl von Gläubigen sich zusammengefunden hat. – Schießen ist dann hier und da zu hören.
Um ½9 Uhr soll Messe für die Polen sein. Doch erscheint dazu niemand mehr. Inzwischen wird es immer gewisser, dass jeden Augenblick das Einrücken der Panzer erfolgen kann. Schiessen hört man von Cappel her u. von diesseits Lippstadt (etwa Brennerei Kisker). Oder sind es Sprengungen? (In Waldliesborn ist keine Brücke gesprengt!) Gegen Mittag (schon 11 Uhr?) sieht man amerikanische Panzer auf der Hauptstraße. Bals darauf hört man sie auf der Liesborner Straße anrollen. Alles vollzieht sich in Ruhe. Was war hier geschehen? Zwei Ärzte im Annahaus, das als kleines Lazarett gelten konnte, Stabsarzt Dr. Neumann u. Assistenzarzt Dr. Gallenkemper (aus Ahlen) hatten mit den Amerikanern gesprochen unter dem Schutz einer weißen Fahne mit dem Hinweis, dass Waldliesborn nicht verteidigt würde. In der Tat hatten die Bewohner alle (teils früher, teils später) die weiße Flagge gezogen. Im „Kreis“ (Kinderheim) hatten sogar Damen an Widerstand gedacht; dort war aber von den genannten Ärzten zur Vernunft gemahnt. Und mit Erfolg!
Kurz vor Eintreffen der Amerikaner fuhren noch deutsche Wagen (Panzer? Oder wohl andere Motorwagen?) – es wird Polizei oder SS genannt – von Lippstadt kommend durch u. protestierten gegen die weißen Fahnen, bedrohten die Bevölkerung bei Nichteinziehen der Fahnen u. schossen sogar auf Fahnen u. Häuser (wohl nur vereinzelt). Doch kamen bald amerikanische Panzer von Benteler her (oder von Wadersloh her) auf die Reichsstraße, so dass diese deutschen Fahrzeuge dann abrückten in die Scheidenstraße und dort verschwanden. Noch vor Mittag waren die ersten amerikanischen Panzer, usw. eingetroffen. Zwischen 2 u. 3 Uhr nachm. fuhren mehrere Panzer um die Kirche. Zwei amerikanischen Soldaten ging ich – der Rektor – dann zur Kirche hin entgegen; auch diese beiden näherten sich – Gewehr nicht im Anschlag! Draußen unterhielten wir uns ein wenig, so weit es bei geringer Kenntnis der englischen Sprache meinerseits möglich war, in ganz freundschaftlicher Weise. Es wurde nur nach Soldaten gefragt, was ich für das Rektorat verneinen konnte. Dann kann noch ein dritter Amerikaner (Offizier?) der, wie sich später herausstellte, auch deutsch sprach. Schon wollten diese drei wieder gehen, als ich sie noch einlud zu einem Glas, was freudig angenommen wurde. Beim Zusammensitzen fragte dann der deutsch sprechende Amerikaner nach dem Ortsgruppenleiter, dem ich das beste Zeugnis ausstellte. Offenbar wurde meinem Wort geglaubt, denn jener bemerkte, dass es nicht überall so sei. Die Amerikaner zeigen somit eine gute Sachkenntnis. Dem Ortsgruppenleiter, Herrn Nölke, geschah dann auch nichts; man ging nicht mal in seine Wohnung.
Um 3 Uhr konnte ich eine Trauung (Kaufhold – Markowski) halten, während amerikanische Panzer und Wagen vor und neben der Kirche standen und einige Soldaten auch der Trauung beiwohnten.
Im Laufe des Tages haben amerikanische Streifen dann wohl die meisten Familien in Bad Waldliesborn besucht, nach Soldaten gefragt, Waffen gesucht und größtenteils genommen. Meine beiden eigenen Flinten habe ich später unaufgefordert gezeigt, als eine Streife vorbeikam, aber ich konnte sie behalten. - Auch Ferngläser und Fotoapparate wurden mitgenommen.
Im Allgemeinen war die Bevölkerung mit dem Auftreten der Amerikaner sehr zufrieden; nur vereinzelte Schattenseiten hatten sich gezeigt, wenn vielleicht zu viel Alkohol genossen worden war. Vielleicht sind auch diesbezügliche Darstellungen in begreiflicher Nervosität übertrieben.
Allerdings wurden verschlossene Häuser - manche Bewohner waren ein Stück des Weges geflüchtet - aufgemacht und durchsucht. Dann gab es natürlich eine gewisse Unordnung in solchen Häusern. Doch hörte man selbst da in den meisten Fällen nicht von Diebstählen. Nur in vereinzelten Fällen ist es dazu gekommen; auch Lebensmittelvorräte, Tiere, usw. wurden nur wenig angetastet. Und diese Fälle sind wohl nur einigen Soldaten zuzuschreiben, wie sie als weniger edle auch in der besten Truppe sind. -
Jedenfalls möchte ich abschließend sagen, dass sicher nicht alle deutschen Truppen im Ausland immer so rücksichtsvoll gehandelt haben. Manche Erscheinungen sind eben kriegsbedingt.
Nur zeigten die Amerikaner eine Vorliebe für das Fahrrad, das gesucht, genommen, gebraucht u. oft einfach irgendwo abgestellt wurde oder liegen blieb. So sind mehrere in diesen Tagen ihrer Fahrräder verlustig geworden. Ausländer verschiedener Nationen haben dann in diesen Tagen noch manches Rad mitgenommen auf ihre Wanderungen.
Leider gab es ein Todesopfer. Joseph Eickhölter holte am Morgen vom Krankenhaus Liesborn die Wöchnerin H. Eckernkemper mit seinem Auto (Militär). Er war dazu in Militäruniform. Im Dorf Liesborn traf er mit einem amerikanischen Panzer zusammen. Da musste das Auto halten; dann stieg Joseph Eickhölter aus u. wollte anscheinend fliehen. Dabei wurde er erschossen. Den anderen Insassen des Autos, die die Hände erhoben, geschah nichts. Die Leiche wurde dann in den folgenden Tagen von den Amerikanern freigegeben und am 6. April in Waldliesborn in üblicher Weise beigesetzt (ohne militärische Ehren natürlich).
Die am 1. Ostertag
um ½7 Uhr abends vorgesehene Messe fiel aus, da keine Leute mehr erschienen. Die Andacht am Nachmittag war gleichfalls nicht gehalten. – Unklarheit herrschte noch über das Ausgehverbot, das aber wohl praktisch so gehandhabt wurde, dass man Passanten auf den Straßen bei hellem Tag nicht hinderte. Dabei ist in Liesborn, Wadersloh, Lippstadt die Ausgehzeit auf 9 – 12 Uhr vorm. beschränkt.
Kurz vor Mittag war der Flugplatz Lippstadt von Wadersloh-Liesborn aus mit einigen Geschützsalven belegt; es hatte sich dort eine kleine Gruppe zum Widerstand entschlossen, der sehr bald gebrochen war. Schiessereien der Artillerie gab es dann weiter von Waldliesborn aus am Nachmittag des 1. Ostertages u. in der folgenden Nacht.
Bei Lippstadt hat sich so der Kessel geschlossen, der das ganze Ruhrgebiet umfasst. Der Einengung dieses Kessels dienen jedenfalls die nun folgenden Beschiessungen durch amerikanische Artillerie in südwestlicher Richtung.
2. April 1945
Wir hatten den Gottesdienst wieder wie in früherer Zeit. Der Besuch ist gut. Doch sind manche Familien noch behindert. Viele wissen nicht, ob u. wann sie auf die Straße dürfen, da hier in Waldliesborn bisher von den Amerikanern keine Bekanntmachungen erfolgt sind.
Andere Familien haben ihre Wohnungen räumen müssen, die dann der kämpfenden amerikanischen Truppe als Unterkunft dienten. Es sind dies Franz Holtkötter (nur 1 Nacht), dann weiter bis zum Donnerstag dieser Woche: Schomacher, Gerh. Beckhoff, Lehrer Willebrand, Ww. Flütter, Hollenhorst (Blinde), Strotkötter, Nöll u. Stöppel (am Friedhof). Einige andere Häuser hatten noch teilweise Einquartierung.
In diesen Häusern haben sich die Truppen ebenfalls im allgemeinen gut benommen. Mitgenommen wurde wenig. Wohl schien vieles durchgestöbert. Auch kam es vor, dass manche Gegenstände sich anderswo wieder fanden oder vertauscht waren (Schreibmaschinen etc.) Die Truppe hatte selbst reichlich Verpflegung; sie suchte hie und da frische Kost, vor allem Eier.
Am Nachmittag u. auch der folgenden Nacht gibt es einige heftige Schiessereien der amerikanischen Artillerie, wohl auf die Gegend südlich der Lippe.
Im Reich ist in der Nacht 1./2. April die Sommerzeit eingeführt. Es ist noch unklar, wie es hier damit wird. – Erst in den nächsten Tagen setzt sich diese „neue Zeit“ immer mehr durch.
Amerikanische Patrouillen streifen unterbrochen überall. Sie suchen jedenfalls noch deutsche Soldaten.
Es kommen der Tat nach immer – auch noch längere Tage hindurch – deutsche Soldaten in Zivil durch; diese haben sich von der Truppe getrennt u. wollen nur die Heimat erreichen. Es ist aber oft nicht auszumachen, was auf der Landstraße des Weges zieht, ob genannte „Zivilsoldaten“, ob wirkliche Zivilisten (in großer Zahl), ob Ausländer verschiedener Nationalitäten. Auch letztere sind haufenweise unterwegs.
Alle Gefangenen u. Zivilarbeiter sind von den Amerikanern befreit. Das Lager serbischer Gefangener von der Wirtschaft Söbke war Gründonnerstag in Marsch gesetzt, kam aber nach der Besetzung bald wieder, arbeitet nicht mehr, lässt sich nur von den Bauern verpflegen.
8. April 1945
Die vergangene Woche verlief sehr ruhig. Nachdem die Amerikaner südlich der Lippe Fortschritte gemacht hatten, wurde die Kampfstellung in dieser Gegend restlos geräumt. Es blieb nicht einmal ein Posten vor dem St. Anna-Haus mit seinen 2 Ärzten u. einer Reihe Soldaten als Revierinsassen. Der Abzug erfolgte am Donnerstag. Alle Leute konnten wieder ihre Wohnung beziehen. Die meisten waren mit dem Benehmen der Amerikaner in den Tagen ihres Ausquartiertseins zufrieden, wenigstens im allgemeinen. Nur wenig war verschwunden. An einigen Stellen hatte man auch Sachen stehen lassen. So hinterließen die Amerikaner z.B. zwei Schreibmaschinen. – Der Donner der Kanonen wurde immer ferner.
Heute kam die erste Kunde von Plünderungen der Russen aus einem Lager in Lippstadt auch bis in unsere Gegend. Vor der Nachmittagsandacht waren die Russen bis Dinkelmann gekommen. Nach der Andacht erfuhr man, dass dessen Nachbar Ww. Nölke im Hause eingeschlossen sei und geplündert werde. Militärische Hilfe durch die Amerikaner war nicht zu bekommen weder beim Anna-Haus (Lazarett), wo seit dem Vortage kein Posten mehr stand, noch am Flugplatz, wo unser Bote von einem deutsch sprechenden Offizier freundlich aufgenommen wurde, aber keine Hilfe fand, weil die Kräfte fehlten. Auch dort war fast alles abgezogen.
So blieb nur Selbsthilfe. Eine Reihe Männer, mit Knüppeln bewaffnet, vertrieb die Russen. Manche müssen mit schweren Stockhieben in ihr Lager bei Cappel zurückgekommen sein. Bei Dinkelmann hatten sich die Russen zufrieden gegeben; bei Hollenhorst waren sie im Haus gewesen, hatten am Tisch stehend zu essen verlangt. Es war ihnen alles gegeben, was die Amerikaner noch gelassen hatten. Da zogen sie ab. Bei Ww. Nölke bekam ein evakuierter junger Mann ohne jeden Anlass einen Stockschlag auf den Kopf und wurde so verletzt. Dann wurden alle im Hause in ein Zimmer gesperrt u. bewacht, während andere stahlen und plünderten, was sie fanden an Vorräten in Esswaren (Fleisch) u. Kleidung. Auch Wertgegenstände (Uhren) wurden mitgenommen. Das Vieh ließen diese sechs Russen leben. In den Cappel benachbarten Höfen hatte man schon nach u. nach alles Vieh abgeschlachtet. Dabei wurde sicher nur ein Bruchteil vernünftig verwertet. Am Gut Mentzelsfelde (Cosack) wurden öfters Tiere geholt von Russenkolonnen. Diese Russen verfügen oft über ansehnliche Mengen Alkohol, die aus Brennereien (Kisker) u. Lagerbeständen mancher Werke stammen. Wahrscheinlich hat dieser Alkohol schon früher an die Bevölkerung und an die Arbeiter verteilt werden sollen; von den Leitungen ist er zurückgehalten; wohl für die Leiter teilweise selbst. So rächt sich das jetzt bitter.
15. April 1945
Am 8. April soll ein Russe bei Plünderungen erschlagen sein. Man fürchtete nun die Rache der Russen. Alle Evakuierten der Ww. Nölke haben mehrere Nächte im Rektorat geschlafen. Dann wurde an der Grenze nach Cappel u. in Cappel eine ständige größere Wache eingerichtet (ohne Waffen). Und auf mehrere Vorstellungen am Amt und auch an mehreren Stellen in Lippstadt wurden von den Amerikanern Streifen eingerichtet, die aber noch nicht ganz durchgriffen. Nur etwas besserte es sich. Im Laufe der Woche kam wieder Besatzung nach Wadersloh u. Liesborn, die die Russen von der Straße weg ins Lager brachten. Es blieb ihnen aber die Freiheit des Ausganges. So wurde ein Lager des weiblichen Arbeitsdienstes zwischen Wadersloh u. Liesborn mit diesen Russen belegt. Auch aus der Schule Suderlage II holte diese Streife vor einigen Tagen sechs Russen ab in ein Lager. Doch wollten am gleichen Tage wieder Amerikaner diese Schule mit etwa 30 Russen belegen. Denn es standen in einer Klasse noch die Betten, die die Soldaten der Tankerkolonne zurückgelassen hatten. Diese Betten waren schon eine Woche lang belegt gewesen mit einer ganzen Anzahl Frauen, Mädchen u. Jungen u. Kinder aus Köln u. Essen usw., die am 9. oder 10. April weiter zogen, wohl unter Mitnahme einiger Fahrräder, die sie irgendwie aus der Hand der Amerikaner direkt oder indirekt an sich genommen hatten.
Mit der Unterbringung der Russen wurde es zum Glück nichts. Denn es hatten gerade vorher die Bewohner der Schule die total verlausten Strohsäcke durch Jungens verbrennen u. das Holz der leichten Betten zerschlagen lassen. – Die Amerikaner mussten mit den Russen weiterfahren (nach Stromberg?).
Am 9. April ist Beckhoff – Kaldewey schwer geplündert worden u. auch (weniger) Mense (Nachbar). Am gleichen Vormittag wurde der Hof Schulze Waltrup überfallen. Doch kam noch gerade die Eingreifmannschaft der Umgegend, um den Russen den allergrößten Teil der schon gemachten Beute wieder abnehmen zu können.
Bei dem Ansturm auf das Haus Waltrup u. die darin plündernden Russen wurde Hermann Krämer durch mehrere Schüsse in den Oberschenkel u. durch einen Dolchstich in den Rücken verletzt. Doch stellte es sich als leichte Verwundung heraus. Er fand Aufnahme im Annahaus bei den Militärärzten. Am gleichen Morgen erhielt Krämers Nachbar, Benteler, einen Streifschuss an der Ferse. Ein Russe wurde später schwer verletzt bei Waltrup gefunden, der mehrere Schüsse durch seine eigenen Kameraden erhalten hatte. Dieser wurde gleichfalls im Annahaus verbunden u. dann in ein Lazarett überwiesen.
Am folgen Tage (10.4.45)
musste Ludwig Linnemann von hier in dieser Russenabwehr sein Leben lassen. Es war schon in der Gemeinde Cappel (Brücke bei Meiste).
Die Russen sind teilweise mit Waffen versehen, während Deutsche keine Waffen tragen dürfen. Am 8. April haben die Amerikaner sogar mehrere (9?) Liesborner verhaftet u. nach Lippstadt gebracht. Doch hat der amerikanische Kommandant noch ein paar Tage diese wieder freigelassen, da sich die Anklage der Russen als falsch erwies u. die Aussage der Deutschen einstimmig war. Der Kommandant billigte das Vorgehen dieser Männer, wie es auch am Amt Wadersloh angegeben war.
In den folgenden Tagen beruhigt sich die Lage etwas. Doch müssen Wachen ständig in dem bedrohten Gebiet sein.
Peter Gärtner von hier fuhr am 10. April 45 mit dem Fahrrad an Cappel vorbei in seine Heimat Schallern, um dort die Schäden des Kampfes beheben zu helfen. Nach einigen Tagen stellte sich heraus, dass er in Schallern nicht angekommen war. In den folgenden Tagen blieb jede Nachforschung ergebnislos.
Am 14. April
erschien in Waldliesborn zum ersten Mal ein Anschlag der Besatzung mit verschiedenen Vorschriften über Ausgehzeit, Verdunkelung usw. Die Ausgehzeit ist auf 7-18 Uhr festgesetzt. Die Messen werden dementsprechend an Wochentagen auf ½8, an Sonntagen auf ½8, 9 u. 10 Uhr festgesetzt.
18. April 1945
Am 14. April sind 2 von hier (Christian Sanders u. Konrad Humpe gnt. Millentrup) in Benteler-Langenberg auf der Straße wohl beschossen, worauf sie fliehen, gefasst wurden u. eingesperrt wurden in einen Hühnerstall. Am folgenden Tag flohen sie aus dieser Haft u. begaben sich am nächsten Tag nach Liesborn zum Kommandanten, der ihnen Recht sprach u. ihre Sachen wieder erstattete.
Am 16. April
sind in der Gegend Cappel am Wald wieder zwei Männer (Soldaten in Zivil auf dem Wege in ihre Heimat Gladbeck) von Russen erschossen, ihrer Räder u. weiter beraubt worden. Am gestrigen Tage haben deutsche Polizisten (Zivil mit Armbinde) gefahndet nach dem Material aus der Flugplatz-Lehrlingsanstalt im Saal Frische, darunter Radio-Apparate. Diese haben im offen stehenden Vereinshaus – abschliessen ist wegen fehlender Schlüssel nicht möglich; es würde auch immer wieder aufgebrochen werden – eine der Aborttüren zerschlagen, da sie geschlossen war. – Was sind das für Beamte!!! Herr Frische soll dies veranlasst haben, da auch ihm einzelne Möbel in dem allgemeinen Sturm abhanden gekommen sein sollen. Der Flugplatz Lippstadt wird von den Amerikanern wieder instand gesetzt. Material soll heute der neu gebauten Straße nach Cappel entnommen werden. Der Flugplatz erlebt diese Neueinrichtung mit einer Schnelligkeit, dass die Anwohner in helles Staunen versetzt sind. Dabei geht alles maschinell, wie man es von Deutschen nicht kannte. – Gleichzeitig erfolgt eine geringe Vergrößerung nach Waldliesborn hin. Mehrere Waldliesborner verlieren dadurch noch Ackerland und Wiese. Stöppel muß seine Wohnung vorerst räumen für amerikanische Offiziere.
An manchen Tagen – auch in Nächten – ziehen noch schwere Bomberverbände zum Osten: heute bestaunt von den Leuten, kein Gegenstand des Schreckens. Mittlere Kampfflugzeuge u. Jäger ziehen mehr oder weniger Tag für Tag.
27. April 1945
Peter Gärtner ist am 21. April in einem Gehölz an der Grenze Liesborn-Cappel gefunden: erschlagen (offenbar von Russen, die auch ihn beraubt hatten). Er wurde am 25. d.M. hier beerdigt. – Mit Gärtner wurden noch drei andere Deutsche gefunden; zwei davon offenbar Soldaten in Zivil. Alle drei waren nicht zu identifizieren. Sie wurden an Ort und Stelle beerdigt im Beisein hilfreicher Amerikaner aus Liesborn u. des jetzt als Hilfspolizisten Dienst tuenden Haneke, früher Polizeidiener in Liesborn.
Von Russenplünderungen hat man nicht mehr viel gehört. Doch ist die Wache der deutschen Bewohner nach einem kleinen Zwischenfall heute vor 8 Tagen abgesetzt. Bettelnde Russen (u. Italiener) sind allerdings teilweise wieder zahlreicher aufgetreten. Vor ein paar Nächten wurde ferner das Gehöft Kleinehollenhorst (an der Straße nach Cappel) geplündert. In der vorletzten Nacht erschienen auch bei Fam. Beumker, Suderlage, vier Russen, die dort im Luftschutzbunker übernachteten. Aber herbeigerufene Hilfe der Nachbarschaft hat nichts Übles geschehen lassen.
Der Flugplatz Lippstadt ist stark belegt durch amerikanische Flugzeuge. Am letzten Sonntag mussten räumen: Steph. Koppmeier, Jos. Roggenkamp, Heipieper, Loddenkemper, Kleine, Ww. Frenser, Offer, Stöppel, Volbracht, Gerh. Holtkötter, Bröggelwirth, Mönning, am Montag weiter Dreinhoff u. Brand; am Mittwoch Nölke. Diese Familien konnten u. mussten alles oder fast alles mitnehmen in neue Unterkünfte bei Verwandten u. Bekannten. Fam. Offer zog in das Vereinshaus, Ww. Frenser in die Schule Suderlage II. Auch das Kreiskinderheim ist belegt.
In der Bevölkerung ist die Befürchtung allgemein, dass weitere Räumungen notwendig werden.
Amerikanische Soldaten holen sich – wohl ganz ohne Recht Radio-Apparate u. sehr gern Motorräder u. Autos. Bisher gelang es kaum, wieder etwas zurück zu bekommen. Doch gibt es auch anständiges Fragen um bestimmte Dinge. – Priester scheinen weniger belästigt zu werden.
1. Mai 1945
Früher im braunen Deutschland ein Festtag! – Heute!?
Wahrscheinlich ist eine endgültige Kapitulation erfolgt durch Himmler. Denn die deutsche Wehrmacht ist wohl fast überall erledigt.
Am 27. April
wollte Schreiber dieses zum Kommandanten des Flugplatzes, um Fragen zu stellen nach ev. Weiterer Räumung, früherer Benachrichtigung, usw. Doch hatte der Kommandant keine Zeit an diesem Tage u. ließ für den nächsten Tag bestellen. Doch hinderten mich da andere Pflichten; zudem war genannte Fragestellung nicht mehr nötig. Schon hatte man sich ein wenig zurück gezogen zum Flugplatze hin.
Dafür mussten am 27./28. April der Lindenhof u. sämtliche 5 Villen des Bades geräumt werden, in die am 29.4. (Sonntag) Russen u. Serben einzogen. Sie wurden von Amerikanern scharf bewacht. (In der Nacht unter Beleuchtung). Die amerikanischen Wachmannschaften logierten in den Häusern Wieck u. Tenbrockhaus, die beide am Samstag um Mittag räumen mussten. Am Montag mussten noch Bäcker Niehüser, Brökelmann, Franz Glennemeier u. Schweren, Stumpenhorst, Pöhling (letztere 5 Villen am Wald) räumen; doch blieben da die Möbel in der Wohnung.
Auf Anfrage versprachen auch hier die Amerikaner Schutz vor den Russen.
Wirtschaft Söbke (Bornefeld) musste letzten Donnerstag ganz geräumt werden, ist aber bisher durch nichts belegt.
Bei der Räumung des Bades soll eine Art Sabotage geschehen sein; an der Pumpenanlage des Süßwassers. So hatten die Russen in den ersten Tagen in den Villen kein Wasser u. mussten es aus benachbarten Pumpen holen. Die Militärregierung drohte zunächst dem Amtsbürgermeister Bornefeld-Ettmann zu verhaften, stand aber bald davon ab, als er die Verhaftung des Lindenhofes (der Männer) u. aller Helfer bei der Räumung ankündigte, wenn sich der Täter nicht bis 1. Mai 12 Uhr meldete. Gegen 13 Uhr an diesem Tage kamen die Amerikaner zur Wirtschaft Schulte. Eine Meldung erfolgte nicht. Doch hatten eigene Verwandte den Maschinisten des Bades, Herrn Schnitker mit seinem Sohn Willi beschuldigt auf Grund von Äußerungen, die beide gemacht haben sollten. Von den Amerikanern wurde zunächst Schnitker sen. Stark vorgenommen und dann zur fraglichen Pumpe mitgenommen. Nach der Rückkehr hörte man, dass die Pumpe arbeite, dass keine Sabotage vorliege. Inzwischen war Willi Schnitker von seiner Schwester öffentlich beschuldigt worden; derselbe war zudem Soldat, wenn er auch seine Uniform mit Zivil gewechselt hatte. Dann gingen die Amerikaner u. kehrten nach längerer Zeit in geringerer Zahl zurück, liessen sich von Frau Bachmann alles eingehend schildern, entliessen alle Anwesenden, bis auf Willi Schnitker, der als Gefangener mitgenommen wurde. – Damit hatte diese peinliche Sache zunächst ohne weitere Folgen ihr Bewenden. – Manches bleibt aber in ein gewisses Dunkel gehüllt. Doch soll nicht unerwähnt bleiben, dass in der Bevölkerung eine ungeheure Sorge u. Angst um sich gegriffen hatte wegen ev. Kollektiver Strafmaßnahmen. Ein Aufatmen ging darum bei dem weiteren Ausgang durch die Bevölkerung. – Gott behüte uns fernerhin vor jedwedem Saboteur.
4. Mai 1945
Die Russen sind noch immer in Waldliesborn. Man sieht öfter den einen oder anderen, auch mehrere gleichzeitig weit außerhalb der Villen. – Diebstähle (Federvieh) kommen vor, wobei aber bis jetzt nicht bekannt ist, wovon sie ausgeführt werden.
Auf der Drift u. deren weiterer Umgebung ist die Furcht noch sehr groß; es sind dort auch in den letzten Nächten noch Russenbanden aufgetreten sowie weitere Überfälle angedroht wie Polen den Deutschen verraten haben.
Auf dem Kreiskinderheim hier soll sich unter einer Reihe amerikanischer Offiziere auch ein Feldgeistlicher (Kaplan) befinden.
Zur Bedienung haben diese Offiziere zwei Polenmädchen, die schon früher in Waldliesborn waren u. nun ein Zimmer bei Wilh. Pötter fanden, das die Amerikaner für diese suchten.
Die Wirtschaft Söbke konnte wieder von den Bewohnern bezogen werden, ohne dass sie irgendwie belegt gewesen ist.
Am heutigen Nachmittag sind wieder auf der Drift zahlreiche Russen gewesen aus einem Lager zwischen Liesborn u. Wadersloh, in mehreren Abteilungen nacheinander.
Sie schienen es vor allem auf Schnaps abgesehen zu haben bei der Brennerei Krämer. Sie fanden dort nur kleine Reste, oder vielmehr Rückstände in den Behältern. Es waren Amerikaner von Liesborn gekommen u. später kam Meldung nach hier; es ging dann auch gleich im Auto mit 7 Mann von hier auf Fahrt u. stellte 7 Russen, die man laufen ließ, da sie keine Waffen hatten.
Die Amerikaner gehen nicht schärfer gegen die Russen vor, weil sie das Vergehen unserer Soldaten (vieler) im Ausland aus eigener Erfahrung oder auch durch Hörensagen kennen u. weil sie auch hier die oft unwahren Aussagen der Russen über Bewaffnung der Deutschen usw. Glauben schenken.
8. Mai 1945
Die Bewachung des Russenlagers hat gestern bereits zum 2. Male gewechselt. Die Russen hier scheinen nicht so sehr blutdürstig und räuberisch vorgehen zu wollen. Heute wollen sie schon bezahlen, was sie erhalten oder dagegen tauschen, was sie von den Amerikanern als Verpflegung erhalten. Sie gehen aber viel heraus.
Die Russen im Lager Wadersloh sollen dagegen noch viel plündern. Auch haben die Russen vor einigen Tagen einen Franzosen in Wadersloh erschossen. Tagtäglich gibt es dort Plünderungen und Räubereien durch Russen.
Am letzten Sonntag wurde allerdings auch hier bei Brinkhoff einiges (Kleidungsstücke) geraubt. Gestern wurde Herr Nölke (früherer Ortsgruppenleiter u. Ortsbauernführer) verhaftet. Es scheint dies eine ganz allgemeine Aktion zu sein gegen die Partei. All diese sind wohl bisher in Wadersloh in einem gemeinsamen Lager (Zumbült).
Mit der laufenden Woche ist der Religionsunterricht wieder voll aufgenommen. Jede Abteilung erhält insgesamt wenigstens 4 Stunden in der Woche. Das Lehrpersonal (Frau Eckradt, Frl. Billermann, Lehrer Willebrand, Frl. Bennemann) beteiligt sich sehr rege daran. Der Unterricht wird in der Kirche gehalten und in der Schule Suderlage I. –
Heute ist nun endlich eine völlige Kapitulation aller deutschen Streitkräfte erfolgt. In der vergangenen Nacht 12.01 Uhr endeten offiziell die Feindseligkeiten in Europa. Am Dienstag in den Nachtstunden war die Kapitulation erfolgt in Reims; in der vergangenen Nacht (Mitternacht) erfolgte die Ratifikation durch die Chefs der deutschen und alliierten Streitkräfte in Berlin.
11. März 1945
Russen sind noch immer hier; in diesen heißen Tagen liegen sie in Scharen in den Wassern der Glenne; auch in den Wäldern hier am Bad. Sie ziehen auch bettelnd u. tauschend (Kaffee, Kakao, Zigaretten, usw.), was sie von den Amerikanern bekommen. – Heute haben die Russen auch einen gewissen militärischen Dienst u. Unterricht; letzteren hier in den Wäldern.
Das Anna-Haus wurde am Dienstag zum Abend frei. Ärzte und kranke Soldaten wurden nach Eickelborn geschafft. Heute hat eine amerikanische Kommission des Anna-Haus als Krankenhaus vorgesehen für Kranke (Kinder oder Frauen: Tuberkulose). Gleichzeitig bemüht sich der Caritasverband Paderborn darum, das Haus für Mütter zu bekommen (zur Entbindung u. zum Aufenthalt).
Neugierige Russen finden sich an Sonn- u. Feiertagen öfters in unserem Gottesdienst, ohne dass bisher Misshelligkeiten vorkommen.
25. Mai 1945
Der oben genannte Besuch der Russen in unserem Gottesdienst hat noch stark zugenommen. Auch Amerikaner finden sich ein, aber als gute Beter. Die Russen geben dafür sehr reichlich ins Opferkörbchen. – Tagsüber wird jetzt die Kirche geschlossen, damit nicht durch Fremde sich Ungehöriges ereignet.
Das Anna-Haus ist gleich von Russen belegt worden, die TB-krank sind. Über 50 (fast 60) solcher Russen sind dort mit russischem Arzt u. 3 deutschen RK-Schwestern. Verpflegung erfolgt durch die Amerikaner – aber aus deutschen Vorräten. Unsere Schwestern haben riesig viel Arbeit mit Küche und Reinhaltung des Hauses. Hilfe gibt es kaum. Niemand will dort sein. Auch die Vorräte des Hauses werden – Kranke erhalten allerbeste Verpflegung wie sie Deutschen nicht auf Klasse im Krankenhaus in Friedenszeit gewährt wird – schnell aufgezehrt.
Vorgestern sind alle kranken Russen aus dem Anna-Haus weggebracht. Dafür kamen gleich Zivilkranke (auch Russen), die heute schon wieder gingen. Nur der russische Arzt ist noch da.
Die Russen in den Villen wurden in diesen Tagen wieder mehr zur Landplage durch Stehlereien aller Art. In Haus Carola wird sehr vieles genommen aus der Liegehalle (Betten, Liegestühle, Holz, usw.). Die militärischen Übungen der Russen halten an. In Scharen finden sie sich fast jeden Morgen auf allen Straßen an der Kirche, Friedhof Haus Carola, usw.
In der Nähe des Flugplatzes haben mit Erlaubnis des amerikanischen Kommandanten in Lippstadt 6 Familien (Gerh. Holtkötter, Bröggelwirt, Volbracht, Nölke, Gödde, Brand) ihre Wohnungen wieder beziehen können. Doch war dies Familie Brand bis jetzt unmöglich, da sämtliche Türen u. Fenster fehlen.
Der Religionsunterricht in Kirche u. Schule Suderlage I geht weiter. Doch fehlen noch öfter einige Kinder. Gleichgültigkeit der Eltern!
12. Juni 1945
Die Russen sind immer noch da!
Mentzelsfelde ist zwar von den Russen geräumt. Nach Lippstadt gebracht, sind sie im Laufe der vorigen Woche mit vielen anderen Russen aus Lippstadt abtransportiert. (nach Rheda; u. von da mit der Bahn zum Osten?). Hier gehen täglich andere Gerüchte über den Abgang der Russen. Doch bewahrheitet sich nichts.
Die Russen sind u. Bleiben eine Plage, teilweise der Schrecken des Landes. – Am 1. Juni wurden Herr Dreinhoff u. sein Schwiegersohn von Russen beim Hause gestochen; ersterer schwer (in die Lunge). Am 6. Juni gab es schwere Plünderungen vorn in Mastholte u. in der Scheidenstraße. Besonders bei Winkelnkemper. An diesem Tage allein wurden neben Kleinvieh allein über 20 Stück Großvieh abgeschlachtet. Dazu kommen Plünderungen in den Häusern.
Es soll vorn in Mastholte allerdings von Deutschen geschossen sein. Genannt wird Schulte Damhorst. Die Russen, auch Belgier behaupten es mehrfach. Nach deren Aussage sollen auch noch Waffen bei Deutschen sein. Doch behaupten auch wieder ruhige gute Russen, dass Russen selbst schiessen, sogar auf Belgier, um durch solche Zwischenfälle Grund zu schaffen für Plünderungen. Es wurde allerdings in der genannten Gegend von den Russen am 6. Juni Waffen in den Häusern geraubt. Doch gefunden ist nichts. Schulte Damhorst u. Theodor Leben (beide von Mastholte) u. Joseph Gödde, der eben aus dem Krankenhaus mit noch offener Wunde (Stich am 1. Juni) entlassen war, u. der jugendliche Günther Krahl (evangelisch) wurden von den Russen geholt wie auch ein paar Freunde aus Essen, die gerade bei Schulte Damhorst waren. Diese Männer wurden von den Russen misshandelt, teilweise schwer. Dann sind sie den Belgiern übergeben, die sie abends wieder entließen. Doch soll in den nachfolgenden Tagen Schulte Damhorst wieder geholt sein, nachdem er ein vergrabenes Gewehr den Belgiern übergab. Schreiber dieses kann den wahren Sachverhalt nicht nachprüfen.
Seitdem ist es wieder ein wenig ruhiger geworden. Die Belgier scheinen sich von unserer Hilflosigkeit, auch Unschuld u. Hilfsbedürftigkeit doch etwas überzeugt zu haben. Doch betteln, plündern u. rauben die Russen in den Gärten hier, u. stehlen nachts weiter. In den Nächten vor allem Vieh, auch Hühner aus den verschlossenen Ställen. Im Garten des Rektorates wie in Carols ebenso. Auch beim Annahaus, obwohl Russen sich dort zur vollsten Zufriedenheit erholen können. Mir dem Rektor – schossen Russen gestern durch die Hecke des Gartens – sie hatten ihn auf meine Aufforderung hin verlassen – einen Stein mit einer Schleuder mir ganz wenig am Kopf vorbei. Hinterlist! Meldungen beim russischen Kommandanten werden freundlich entgegen genommen; es kommt auch mal einer zur Nachschau; aber damit ist alles getan.
Das Fronleichnamsfest konnte in diesem Jahre wieder als rechtes Fest begangen werden. Tagelang traf man Vorbereitungen im westlichen Teil der Gemeinde. Da kam leider am Vorabend – gegen 7 Uhr – plötzlich von Beckum die Nachricht, dass der Feiertag bestehen bleibt, doch die Prozession erst am Sonntag sein soll. Das war zwar eine bittere Enttäuschung. Es wurde aber mit ganzer Ruhe aufgenommen. Die Prozession am Sonntag zeigte dann eine sehr gute Beteiligung, die zweifellos noch viel größer geworden wäre, wenn nicht wegen der Ausländer in jedem Hause eine gute Wache hätte bleiben müssen. Es war eine Freude, dabei auch wieder die alte Pracht der Fahnen zu schauen, die der Nationalsozialismus früher verboten hatte. Auch die Sakramentsandacht am Abend war sehr gut besucht. In der Woche ließ der Besuch der Andachten allerdings zu wünschen übrig. Doch ist das nicht verwunderlich, da die Unsicherheit so groß ist. Mit dem Fahrrad darf man sich kaum auf die Straße wagen. Es wird gestohlen oder geraubt von Ausländern. Dazu fehlen den Leuten auf dem Lande die Arbeitskräfte. Denn es arbeitet doch fast kein Ausländer mehr bei Bauern. Selbst Arbeitswilligen werden von ihren Landsleuten zur Aufgabe der Arbeit gezwungen.
Am Morgen des 9. Juni
fand man Frau Röhr, geb. Leise, erhängt vor in ihrem Schlafzimmer. Ihr Gatte war etwa 8 Tage vorher zum dritten Male verhaftet worden von Lippstadt aus. Den Grund weiß man nicht. Er war als Meister auf dem „Neuen Werk“ in Lippstadt beschäftigt gewesen und hatte Ausländer(innen) unter Aufsicht. Er hatte seiner Frau stets nur seine Unschuld beteuert, woran diese aber schließlich zu zweifeln schien. So kam es bei ihr zu dieser Verzweiflungstat, für die sie wohl keine volle Verantwortung trifft; deshalb wird auch das kirchliche Begräbnis nicht verweigert, wenn es auch weit einfacher als gewöhnlich gehalten werden soll, da der Bischof wegen noch fehlenden Postbetriebes nicht angegangen werden kann.
Am Tage nach Fronleichnam konnten sämtliche Einwohner Waldliesborns in der Nähe des Flugplatzes wieder in ihre Wohnungen einziehen. Der Flugplatz war mit dem Abzug der Amerikaner (zunächst) aufgegeben. Auch das hiesige Kinderheim der Kreise Wiedenbrück u. Beckum, das Offizieren u. Mannschaften als Unterkunft gedient hatte (Personal des Flugplatzes) wurde frei. Aber die Russen zogen sofort in dieses Gebäude ein. In diesem Kinderheim hatte auch ein kath. Amerikanischer Feldkaplan gewohnt, ein Benediktinerpater aus Minnesota.
16. Juni 1945
Die Bevölkerung atmet auf! Gestern früh verbreitete sich die Kunde, dass es erst wird mit dem Abtransport der Russen. – Es war so! Gegen 5 Uhr wurde das Gros abtransportiert Richtung Rheda (mit der Bahn weiter zum Osten?!). Später erfolgt ein weiterer Abtransport. Nur der Stab des Lagers bleibt (vielleicht noch einige Tage!). Ein ganz anderes Bild zeigt sich heute in Waldliesborn, wo kein Russe mehr auf den Straßen zu sehen ist!
Man beginnt schon heute mit der Reinigung der Villen, die vorläufig unter dem Schutz deutscher Hilfspolizei und belgischer Soldaten stehen. Letztere hört man oft schießen. Es sind zweifellos manche, die auch hier wieder zu räubern suchen wie schon öfter in den letzten Monaten. Gut so! – Zur Reinigung sind Frauen und Mädchen aus Waldliesborn u. Benteler kommandiert u. aus Liesborn.
1. Juli 1945
Wochenlang sind die Villen gereinigt worden. Nun sind – Gerüchte gingen immer noch – am letzten Freitag (29.6.) ca. 1500 Polen u. Polinnen in diese Villen gebracht worden. Diese sind zusammen gezogen aus der Umgegend, aus kleineren Lagern in Cappel, Herzfeld, Wadersloh, Diestedde, Oelde und vielleicht aus noch mehr Orten. Heute hat man für diese Holzbettstellen nachgeholt; jedenfalls aus den bisherigen Lagern.
Polen waren heute in unserem Gottesdienst; doch waren es verhältnismäßig wenig.
Es sind unter diesen Polen auch solche, die hier in der Nähe bei Bauern Jahre hindurch gearbeitet haben. Nur ganz wenig Polen sind bis jetzt an ihrer Arbeitsstelle geblieben.
Schon werden in diesen Tagen Bettlerei, Frechheiten, Diebstähle (vor allem in Gärten, auch Hühner u. Wäsche) berichtet. Welches Ausmaß wird das noch annehmen! Denn viele dieser Polen sind von einem starken Radikalismus beherrscht. Doch werden auch viele gute Leute unter ihnen sein.-
Arbeitskräfte fehlen. Da braucht man sich nicht wundern, dass die Bevölkerung leicht Grund findet zur Sonntagsarbeit; vor allem in der Erntezeit.
Der Besuch des Relgionsunterrichtes durch die Kinder ist teilweise recht gut, lässt aber auch bei einigen zu wünschen übrig. Die Gründe sind in schon früher angeführten Dingen zu suchen.
In Westfalen, auch in hiesiger Gegend, tritt in diesem Jahre erstmalig der Colorado-(Kartoffel)-Käfer auf; ziemlich stark. Man findet schon verseuchte Felder. Kinder – die noch immer keinen Schulunterricht haben – werden in Suchaktionen eingesetzt. Den Lehrpersonen, denen ab 1.6.45 bis auf weiteres kein Gehalt mehr gezahlt wird, soll für diese Suchtage eine Entschädigung gezahlt werden. Am meisten befallen ist bisher ein Acker bei Stallmeister, dann Beumker (Liesborn), usw.
Frühere Soldaten kommen immer mehr zurück als Entlassene. Fast alle Familien schauen nun sehnsuchtsvoll aus. Doch müssen manche lange warten bis der erste aus der Familie heimkehrt. – Doch ist diese Heimkehr größte Freude in sonst trüber Zeit.
17. Juli 1945
Alle Fortsetzung ist nun Polengeschichte, wie vor kurzem Russensache.
In der Nacht 6./.7. Juli wurde ich gegen ½2 Uhr geholt zur Familie H. Weitkemper (Straße nach Cappel). Dort hatten einige Polen einen Raubüberfall gemacht; wahrscheinlich galt er der Schneiderwerkstatt im dortigen Hause. Dabei wurde mehrfach geschossen von den Polen u. der Sohn Heinrich, der erst einige Wochen vorher vom Militär entlassen war, durch Herzschuß getötet.
Beräubern der Gärten, Ausnehmen von Kartoffeln auf den Feldern (wobei so viel sinnlos vernichtet wird) u.a. ist an der Tagesordnung, wenn auch in wechselndem Maße.
Am gleichen Tage haben Polen auf dem Hof Schwartenberg-Berlinghoff sinnlos zerschlagen u. vernichtet, was ihnen (in Scharen waren sie gekommen!) in die Hände fiel. Der Grund: ein Pole hatte in der Nähe auf der Straße ein Fahrrad gestohlen. Es war ihm jedoch wieder abgenommen u. er selbst gleichzeitig begreiflicherweise geschlagen worden. Von Berlinghoff war niemand daran beteiligt.
In der vergangenen Woche kam es an einem Abend gegen 11 Uhr zu einer Schießerei zwischen Polen, die sich wohl nicht an die Ordnung gehalten hatten u. den wachhabenden Belgiern. Ein Pole war dann erschossen; zwei weitere verletzt. Einige Tage später kamen einige polnische Offiziere, die wohl auch für Ordnung sorgen sollen. Doch scheinen sie bisher keinen Erfolg zu haben. Fam. Brökelmann musste dafür erneut räumen. Es gab bisher eine Taufe u. zwei Trauungen in unserer Kirche aus diesem Polenlager.
Seit dem letzten Sonntag ist durch einen polnischen Priester ein regelmäßiger Sonntagsgottesdienst in unserer Kirche für die Polen eingerichtet (11 Uhr).
Nun ist man auf der Suche nach zwei geeigneten Schulräumen für 64 Polenkinder.
In den letzten Tagen sind die Russen auch aus Wadersloh abtransportiert.
21. Juli 1945
Die Kornernte ist in diesem Jahr sehr früh. Schon heute ist nach der Hitze der letzten Tage der Roggen größtenteils geschnitten; schon ist der Beginn gemacht mit dem Einfahren. Auch Weizen wird gemäht; Hafer ist reif. Doch ist die Ernte in diesem Jahr stark unter Durchschnitt; wenigstens in hiesiger Gegend. (Mangel an Kunstdünger). –
Die Polen machen gestern u. heute den Versuch, die Schule Suderlage II für Unterrichtszwecke zu bekommen.
10. August 1945
Die Polen haben vor 8 Tagen den Schulunterricht in den zwei Sälen des St. Annahauses begonnen. Bänke etc. sind aus der Schule Suderlage II genommen. Sie haben 2 Klassen mit etwa 20 Kindern in der Unterstufe, 9 Kinder in der Oberstufe. Augenblicklich sind etwa 1120 Polen hier, darunter insgesamt 90-100 Kinder.
Gottesdienst hält ein polnischer Priester jeden Sonntag um 11 Uhr. Besuch nimmt zu, wie es scheint. Oder war am letzten Sonntag nur die Trauung von 13 Brautpaaren Anlaß zu stärkerem Besuch?! An jedem Samstag hört der gleiche Priester – Joseph Kopczewski, Diözese Warschau – Beichte für die Polen. Ein eifriger Seelsorger! Er war Jahre im Konzentrationslager Auschwitz u. später in Dachau. Schon mehrmals hat dieser Priester vor Diebstahl u. Plünderung in der Kirche öffentlich die Polen gewarnt.
Doch hören die Diebstähle von Fahrrädern, Obst u. Gemüse aus Gärten, Kartoffeln von den Feldern u.a. Gegenstände, die zu gebrauchen sind, keineswegs auf. In der letzten Woche hat es eine Reihe nächtlicher Überfälle u. Plünderungen in Mastholte gegeben. Polen? Oder Serben, die in Mastholte auch liegen u. gefürchtet sind?
Eine Schande ist das Treiben mancher Frauen und Mädchen; es ist einerlei, wem sie sich nahen: Deutschen oder Belgiern oder Polen (oder früher Russen oder Amerikanern). Da machen auch in Waldliesborn mehrere keine Ausnahme gegenüber weiblichen Personen in wohl allen oder fast allen anderen Orten. –
Heute kommt die Nachricht, dass Japan Kapitulation angeboten hat. – Möge es auch im Osten zum Frieden führen! Und gleichzeitig Europa bessere Hilfsmöglichkeiten bringen!
In Haus Carola weilte in der letzten Woche P. Peus P.S.N. (Limburg), Bruder der Schw. Oktavia. Er erzählte in einem Vortrag in Carola von seinen Erlebnissen im Polizeigefängnis Frankfurt und im Lager Dachau.
Die Zahl der zurückgekehrten Soldaten wächst langsam. Die Bombardierten vom 5. Oktober 44 kommen teilweise in finanzielle Nöte, da die Behörden, - wohl guten Willens! – ihnen bisher noch keine Hilfe gewähren konnten, wie es nötig wär. Man hat wohl eine allgemeine Hilfsaktion vor, wie sie an anderen Orten schon in Angriff genommen ist.
27. September 1945
Die Polen sind noch immer hier. Nur ganz wenige sollen heimgereist sein. Garten- u. Felddiebstähle gingen, teils mehr, teils weniger weiter, bis nichts mehr zu ernten ist. Nachdem eine Zeitlang Ruhe war mit nächtlichen Überfällen, Plünderungen u. Abschlachtungen von Vieh, hat dies vor einigen Wochen erneut stärker wieder eingesetzt. Da wurde u.a. bei einem solchen Nachtüberfall Joseph Roggenkamp durch einen Schuss in die Lunge schwer verwundet u. liegt bereits seit Wochen in Lippstadt, Evang. Krankenhaus.
Am letzten Sonntag ist das Polenlager einmal von den Belgiern einer starken Revision unterzogen, bei der sehr viele Fahrräder u. auch wohl einige Waffen sicher gestellt wurden.
Nach zwei neuen Morden in Herzfeld erfolgte gestern eine neue Revision, wobei durch Verwandte dieser Ermordeten, die die Belgier hier bei sich hatten, mehrere Polen als Täter erkannt u. mitgenommen werden konnten.
Der Polenkaplan aus Lippstadt hält weiter jeden Sonntag um 11 Uhr seine Messe, mit der gewöhnlich die eine oder andere Trauung verbunden ist. An Samstagen hört er hier gewöhnlich Beichte für die Polen u. hält eine kurze Andacht.
Am 17. September
konnten im ganzen Bezirk Beckum die Volksschulen wieder eröffnet werden. Suderlage II allerdings wartet noch, weil erst ein Raum frei geworden ist. – Fam. Knipp zog ins Annahaus – u. dieser eine Raum bisher noch nicht als gut bestätigt ist. Die feierliche Eröffnung erfolgte in der Kirche durch gut besuchten Gottesdienst (mit Ansprache des Rektors) u. in beiden Schulen durch Frl. Billermann bzw. Herrn Willebrand, die zu den Kindern u. zu der Elternschaft sprachen. –
Vorläufig gehen die Kinder der letzten Jahrgänge alle nach Suderlage I, nach Suderlage II nur das 1.-4. Schuljahr in 2 Klassen, die Frl. Billermann u. Frl. Bennemann haben werden.
Die Lehrkräfte aus Gladbeck gehen wieder nach dort zurück. Herr Brühl war übrigens – sonderbarerweise – nicht bestätigt worden von der Militärregierung. Doch mag dies noch geändert werden können oder in Gladbeck anders beurteilt werden!

Vor 3 – 4 Wochen ist im Kreis Beckum eine Haussammlung abgehalten durch die Pfarrämter für die Hilfsbedürftigen (Bombenschäden). In Waldliesborn ergab sich trotz großer Bombenschäden RM 14469,- ; eine gewiss hohe Summe, da auch manches Einkommen geschwunden ist. Trotzdem erbrachte die Caritassammlung 10 Tage später, die für Waldliesborn sehr hohe Summe von etwa 3½-Tausend RM.
Heute kehrte der als erster „Vermisste“ geltende Soldat, Franz Sonntag, aus Sibirien zurück , nach 2¼ Jahren! Er erzählt von großen Strapazen u. doch verhältnismäßig guter Behandlung in Russland.
12. Oktober 1945
Die Schule Suderlage II konnte letzten Montag (8.10.) ihre Pforten wieder öffnen, nachdem am Amt Wadersloh diese Eröffnung schon wenigstens acht Tage übersehen war. Vorläufig ist allerdings erst ein Schulzimmer frei.
Die Bombengeschädigten müssen noch wieder ihre Schäden melden, da entsprechende Unterlagen fehlen. Inzwischen dürfte aber auf Bitten des Rektors doch eine gewisse Verteilung im Laufe dieser Woche stattfinden.
Am 3. Oktober
war der Hochw. Herr Weihbischof H. Roleff hier zur Firmung für 83 Kinder. Der Empfang u. die Teilnahme sehr gut. Auf Abholung durch Reiter und Radfahrer war mit anderen Gemeinden verzichtet worden im Hinsicht auf die Belgier, die ev. Vorliebe für unsere Reitpferde zeigen könnten.
Die Polen haben in letzter Zeit in den Nächten wiederholt in verschiedenen Ställen wieder Schweine geschlachtet, obwohl wiederholt das Polenlager durch die Belgier (von höherer Stelle!) durchsucht war. Jetzt hofft man doch auf baldigen Abtransport der Polen. Gerüchte werden laut über weitere Verwendung der Villen des Bades.
26. Oktober 1945
In diesen Tagen wird eine größere Kleider- u. Bettzeugsammlung im Auftrag der Militärregierung vom Bürgermeister Kleikemper durchgeführt.
Hier in Westfalen sollen viele Flüchtlinge aus dem Osten aufgenommen werden: in Liesborn noch 1400, davon 200 in Waldliesborn. Ein schweres Problem. Doch hat man Zimmer dafür in Aussicht genommen bei erfolgter Wohnungsbesichtigung.

Man wartet gleichzeitig seit Wochen wieder auf den Abtransport der Polen, zumal in Lippstadt wirklich mit dem Abtransport begonnen ist. Doch zieht sich alles hin u. verstreicht jeder in Aussicht gestellte Termin.- Vor einigen Nächten sind an 2 Stellen (H. Rüpp u. Stallmeister) insgesamt neun Polen gestellt, teilweise hatten sie Waffen. Danach wurden bis jetzt nur in nächster Nähe des Lagers Einbrüche verübt: bei W.Brinkmann letzte Nacht u. im Annahaus 2 Tage vorher, wobei Küchenvorräte u. unten hängende Kleidung mitgenommen wurde. Brinkmann’s Gänse wurden in der Bratpfanne (!!) zurück gebracht durch Eingreifen des Kommandanten.

1. November 1945
Heute um Mittag sind gegen 200 (193?) Polen abtransportiert zur Heimat; sie hatten sich freiwillig gemeldet für die Rückkehr.
Abends um 6 Uhr wieder Armenseelenfeier auf dem Friedhof mit – trotz des größten Mangel)! – ziemlich vielen Lichtern auf den Gräbern. Wetter ganz passend!
Durch Kameraden sind in letzter Zeit hier noch zwei Gefallenenmeldungen eingetroffen: Hermann Küsterameling und Heinrich Mönning, die beide im April im Osten noch gefallen sind.
17. November 1945
Endlich ist Waldliesborn vom Schrecken des Polenlagers erlöst, nun geht ein Aufatmen durch die Bevölkerung.
Bereits in der Vorwoche war ein Transport nach Polen gegangen, ein weiterer nach Paderborn (Panzerkaserne). Am 11.,12. u. 13. November folgten weitere Transporte nach Paderborn. Damit war der letzte Pole aus Waldliesborn verschwunden; auch die 46, die wenige Tage vorher als Rest eines Lagers in Sendenhorst nach hier überführt waren.
Und wie sieht es aus in den Villen und Häusern, in denen die Polen seit dem 29. Juni d. J. „gehaust“ haben?!!
Schmutz und teilweise große Verwüstungen; letztere mutwillig TEILWEISE BEIM Abzug erst vollbracht! Doch – ganze Gerechtigkeit! – findet man auch Zimmer, in denen anständige Leute gewohnt haben. Doch wird kaum Mobiliar oder dergl., das sich in den Wohnungen befunden hatte, geblieben sein. Was die Polen nicht mitgenommen haben, wurde von ihnen verbrannt. Doch haben sie 12 von ihnen benutzte Schulbänke doch – widerwillig?! – hier gelassen.
Am 14. Nov. Zogen sich auch alle Belgier zurück nach Liesborn. Bis vor kurzem waren sonst Kommandos von Benteler hier gewesen. Gleichzeitig wurde das Bad wieder den deutschen Behörden übergeben.
Nun muß die Reinigung u. Instandsetzung beginnen. Wie lange wird sie dauern? Wie teuer mag es kommen? – Deutsche Polizei hält Wache.
Doch schon mit Freuden sehen so manche Familien ihrem Wiedereinzug in das frühere Heim entgegen. –
In allen Gemeinden werden Winternothilfeausschüsse gebildet und vorläufig 2 Sammlungen abgehalten (haus- u. Straßensammlung!) morgen u. am 15./16. Dezember 1945. In Waldliesborn führt die Caritas diese Sammlung durch.
Doch darf – leider! – nicht unerwähnt bleiben, dass auch manche Deutsche, darunter auch aus Waldliesborn, namentlich Frauen und Mädchen mit den Polen paktiert haben, seien es sexuelle Beziehungen (mit gewissen Hintergründen oft!) oder solche wirtschaftlicher Natur (auch Schnapsbrennerei).

1946

17. Januar 1946
Ein neues Jahr hat begonnen! Es schweigen die Waffen unter den Völkern, abgesehen von Zwistigkeiten in Persien (Aserbeidschan), China, wo nun Einigkeit zu werden verspricht u. Java. – Aber ist wirklicher Friede??! Er wurde bisher in keinem Falle geschlossen. Und vieles scheint dem wahren Frieden noch weit entfernt!
In Waldliesborn sind viele Soldaten heimgekehrt; noch lange nicht alle. Von vielen fehlt noch jede Nachricht.
Die Sicherheit ist seit dem Abtransport der Polen größer geworden. Doch haben gerade in den letzten Wochen (darunter im Rektorat in der Nacht 2./3. Januar) erfolgte Diebstähle noch bestehende Unsicherheit deutlich gezeigt. Man hat beschlossen, nächtliche Patrouillen zu gehen, um ev. schnell die Belgier von Benteler rufen zu können. Doch fehlen bisher die Nachtausweise hierfür.
Polen kommen immer noch in die ihnen so gut bekannte Gegend. Aber ob sie diese Diebstähle ausführen? Oder sind es jetzige Bewohner des Flugplatzes, der allerlei „Volk“ beherbergen soll? Oder sind es Deutsche? Gar aus Waldliesborn? Manchen traut man zum mindesten in dieser Sache nicht! –
In dieser Woche konnte in Suderlage II der Unterricht wieder voll aufgenommen werden. Fam Kriemann zog wieder in ihr teilweise fertiges Haus. Als neuer Lehrer kam Herr Hanel, aus dem Sudetenland (Bezirk Troppau).
5. Juni 1946
Mit dem Aufbau des Erholungsheimes „Haus Carola“ ist nunmehr begonnen. Doch wird es sehr langsam fortschreiten. Das Wirtschaftsgebäude sieht seit dem Frühjahr kaum einen Fortschritt. – Mehrere Familien haben seit dem Unglückstag des 5. Oktober 1944 doch wieder sich ein Heim schaffen können, wenn auch vorläufig und behelfsmässig. – Am Bad haben in zwei Villen in diesem Frühjahr eine ganze Reihe Familien wieder ihren Einzug halten können. Der Badebetrieb dürfte vor August d. J. sicher nicht eröffnet werden können. Im Laufe des Juni 46 zieht Herr Dr. August Plümpe aus Liesborn als Arzt in Waldliesborn in die Villa „Margarete“ am Bad ein.
27. Juli 1946
Vor wenigen Tagen schickte das Mutterhaus Olpe eine Schwester, die im „Kinderheim der Kreise Wiedenbrück u. Beckum“ die erste Arbeit leisten soll: Die Einrichtung bis zur Wiedereröffnung.
In den letzten Wochen trafen zahlreiche Flüchtlinge aus dem Osten ein; eine Anzahl auch in Waldliesborn. Eine von diesen, Frl. Brigitte Nitschke wird die Betreuung übernehmen, für die in den nächsten Tagen Kleidung und Schuhe ausgegeben werden kann. Doch wird es ein schwieriges Problem sein, noch weitere Flüchtlinge unterzubringen.