Ochtrup/Synagoge in Ochtrup
Entstehung der jüdischen Gemeinde
In Ochtrup wird erstmals im Jahre 1720 eine Jüdische Familie, die eines gewissen Sambson Ansel, bezeugt.
1739berichtete der Amtmann des kleinen Kirchspiels anlässlich einer von der Stiftsregierung in Münster durchgeführten demographischen Erhebung:
"... ist allhier nur eine Juden Familie
als ein Witmann [Witwer] mit bei sich
habenden Kindern als zwei Söhnen und drei Töchtern
samt seinem Knecht, aber keine Synagoge oder Schule vorhanden."
1749 konnte sich eine zweite Familie neben der ersten niederlassen. Als es 1792 eine dritte versuchte, protestierten die christlichen Einwohner bei der Stiftsregierung in Münster und baten darum, die fraglichen Familien einem anderen Ort, zuweisen zum Beispiel Nienborg oder Gronau,zuzuweisen. "Wir hegen zwar kein Hass oder Verfolgungsgeist gegen Juden", schreiben sie unter anderem,
"allein wir glauben doch so viel als
bekannt annehmen zu dürfen, dass die Juden
in ihrem Handeln und Gewerbe viel schlauer
als die Christen sind und können wenigsten die
traurige Erfahrung nicht verhehlen, dass die bei uns
befindlichen beiden Judenfamilien wenigsten
ein Drittel der ganzen Handlungen des Wigbolds bereits an sich gerissen haben."
Obwohl dem Protest zunächst stattgegeben wurde, ließ sich die Ansiedlung einer dritten jüdischen Familie langfristig nicht vermeiden. 1795 hatte sie sich bereits vollzogen. Bis zur preußischen
Besitzergreifung im Jahre 1816 stieg die Zahl dann weiter auf fünf Familien an, die insgesamt 29 Personen zählten.
Ähnlich wie die Borghorster hatten auch die Ochtruper Juden in ihrer wirtschaftlichen Betätigung
zeitweise stark unter der Konkurrenz ihrer wesentlich besser gestellten Glaubensgenossen aus der benachtbarten Stadt und Grafschaft Steinfurt zu leiden. Mehrfach veranlassten sie deshalb den Ochtruper Obervogt (Grenzbeamten), gegen Steinfurter Juden vorzugehen und ihnen Vieh wieder
abzunehmen, das sie unter angeblichen Missachtung Münsterscher Gesetze bei Ochtruper Bauern erworben hatten. Erst eine Intervention des Grafen Ludwig zu Bentheim-Steinfurt beendete dieses Treiben.
Betstube und Gemeindeleben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus hielt die kleine Ochtruper Gemeinde ihren Gottesdienst
"in einem gemieteten Zimmer in der Wohnung eines ihrer Glaubensgenossen" ab.
Das Amt des Vorbeters übte jeweils der dazu geeigneste aus, unentgeltlich und ohne besondere Verbindlichkeit.
Brachte man die nach jüdischen Gesetz zur Abhaltung des "öffentlichen Gebets" erfolgreichen zehn Jahren einmal nicht zusammen, versuchte man, die fehlenden Leute "aus Burgsteinfurt, Metelen oder Epe" zu "requirieren".
Zwischen 1848 und 1856 wurde Ochtup im Zuge der Duchführung des Gesetzes vom 23.Juli 1847 als Fillialgemeinde
der Hauptsynagogengemeinde Burgsteinfurt zugeordnet.
Erwerb der Synagoge
1868 erwarben zwei ihrer Mitglieder, Salomon Heimann und Meyer Meyer, ein Wohnhaus am Kniepenkamp 11,
in dem sie ein Zimmer als neuen Betsaal oder als Synagoge einrichteten, während
sie die übrigen Räume vermieteten.
Äußere und innere Gestalt der Synagoge
1896 tauchten Pläne auf, eine völlig neue Synagoge zu bauen. Sie zerschlugen sich jedoch rasch. 1904 wurde das Haus mit Hilfe von Spendengeldern umgebaut.
Die aus diesem Anlass entstandene Bauzeichnung zeigt als Herberge der Synagoge ein verhältnismäßig schlichtes Gebäude mit weit herunter gezogenem Satteldach. Zwei größere Segmentbogenfenster säumen den Eingang, drei kleinere Fenster und ein kleineres Rundbogenfenster sind in die Giebelfläche eingelassen. Einen Eindruck von der inneren Gestaltung des Betsaals selbst vermittelt die folgende Beschreibung:
“Der Betraum war 4,50 m breit und 8,50m lang. Man betrat ihn vom Kneipenkamp. Rechts neben der Tür standen zwei Reihen Bänke für die Freuen, die durch ein Holzgitter vom übrigen Raum abgetrennt waren. Anden beiden Längsseiten standen sich die Gebetsschemel der Männer gegenüber (etwa 20 an der Zahl). Mitten im Raum stand der mit einem schwarzen Tuch abgedeckte Thoraschrein, in dem die Thorarollen und ein Schofarhorn aufbewahrt wurden. An der Decke hing ein Kronleuchter. Beheizt wurde der Raum durch einen Eisenofen in der Ecke. Im Haupteingang lag ein Teppichläufer. Die Wände waren schmucklos.“
Weitere Gemeindeeinrichtungen
1923/33 gehörten der Ochtruper Synagogengemeinde nach Auskunft des Handbuchs für Jüdische Wohlfahrtspflege noch 41 Personen an. Neben dem Gotteshaus selbst besaß sie einen Friedhof (zwischen Hellstiege und Laurenzstraße), eine koschere Metzgerei, und für den Religionsunterricht ihrer Kinder hatte sie den Burgsteinfurter Elementarschullehrer Hermann Emanuel engagiert.
Veräußerung und Rückkauf der Synagoge
Ende 1937 wurde die Synagoge – vermutlich von der Erbengemeinschaft Heimann – an das Amt Ochtup veräußert. Zwei Mitglieder der Gemeinde – der Händler Max Meyer und der Metzger Max Löwenstein – kauften sie im Januar 1938 „mit Mitteln, die von dem Preußischen Landesverband jüdischer Gemeinden in Berlin und durch freiwillige Spenden aufgebracht“ worden waren, zurück. Anschließend schlossen sie vor dem Rechtsanwalt Lipphaus in Burgsteinfurt mit der Ochtruper Gemeinde einen Vertag, in dem die weiteren Nutzungsrechte wie folgt festgelegt wurden:
“Moritz Löwenberg und Max Meyer erkennen an, dass sie die im Grundbuche von Ochtrup Band 23 Blatt 44 eingetragenen Grundstücke nur als Treuhändler der jüdischen Gemeinde in Ochtrup erworben haben. Sie verpflichten sich, die Benutzung der Grundstücke der jüdischen Gemeinde in Ochtrup unentgeltlich zu gottesdienstlichen Zwecken zu überlassen, solange die jüdische Gemeinde in Ochtrup sie ordnungsgemäß instand hält und überhaupt alle Pflichten privater und öffentlich-rechtlicher Art , die sich für die Eigentümer aus dem Eigentum ergeben, übernimmt und die Eigentümer davon freistellt; solange erhält die Jüdische Gemeinde auch den Mietvertrag in Besitzung.“
Reichspogromnacht in Ochtrup
Der Pogrom in der Nacht vom 9. Auf den 10. November 1938 wurde „in Zusammenarbeit zwischen der einheimischen SA und eigens angereisten Truppen aus Burgsteinfurt und Bentheim durchgeführt. Da eine Brandschatzung des Synagogengebäudes die umliegenden Wohnhäuser akut gefährdet hätte, „begnügte“ man sich damit, die Inneneinrichtung zu verwüsten, Betschemel zu zertrümmern, Kerzenleuchter zu demolieren, die Thorarollen auf die Straße zu werfen und die Außenwände mit antisemitischen Parolen – „Juden raus!“ – zu beschmieren.
Das Gebäude fiel bald darauf im Zuge der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Vermögens der Stadt Ochtrup zu. Bis 1952 war es noch bewohnt. Später wurde es abgerissen.
Gedenken
Auf dem Grundstück befindet sich heute der Parkplatz der Sparkasse. Seit 1984 ist ein Gedenkstein angebracht
Inschrift
MEIN HAUS SOLL
EIN BETHAUS FÜR
ALLE VÖLKER SEIN
JES 56.7
HIER BEFAND SICH DIE
SYNAGOGE DER JÜDISCHEN GEMEINDE OCHTRUP
IN GEDENKEN AN IHRE ZERSTÖRUNG
AM 9. NOV. 1938
UND AN DIE OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS.
ERRICHTET VON DER STADT OCHTRUP
IM JAHRE 1984
Literatur Quelle: Synagogen im Kreis Steinfurt, ISBN 3-926619-73-2
Die alten Synagogen im Kreis Steinfurt | |
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