Australische Auswandererbriefe (1934)/2

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Der Heimat Bild“ - Australischen Auswandererbriefen nacherzählt von Walter Fläming
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kräftiger aus der Gurgel heraus, aber nur deshalb, weil sie zu oft schluckten, ohne irgendeinen Bissen über die Zähne gebracht zu haben. Schandpreise seien es, die für den Stieg Leinen und Beidewand gezahlt werden. Kaum das Salz zum trockenen Brot könnten sie noch mit den Hebeln des Webebaumes herbeischassen. Gewiß, sie haben zwar noch ihr Häuschen und ein paar Morgen Land dabei. Aber, was wirft das schon ab. Die fettesten Gründe hat das Rittergut, das erntet die dicksten Kartoffeln. Und mit dem Weidegang ist es doch man auch so eine Sache. Erst kommen die Kühe und die Schweine vom Edelhof und den dicken Bauern; und dann mag der Kossate und der Häusler zusehen, wie er sein Vieh satt kriegt. Und wenn erst die Aufteilung der Gemeinschaftsweide ganz durchgeführt ist, soll der kleine Mann sich mit dem bloßen Handrücken die Nase wischen. Das war ja nun übertrieben, und viele Einsichtige oersuchten, solchem Gerede Einhalt zu bieten; aber in den Ohren der ewig Unzufriedenen klang das doch wie Musik. Und da der Zeitgeist solche Ansteckungskeime nährt und wachsen läßt, sahen die in Tucheim bald ihr eigenes Schicksal wie durch eine unheilvolle Nebelwand. Schlimm wurde es, wenn der Schuster über die Löhne der Knechte und Mägde loszog. Nach so einem Abend gab es jedesmal auf einem anderen Hof boshafte Widersetzlichkeiten gegen den Herrn und die Frau. Das war sonst nicht üblich in und um Tucheim; und selten hat wohl der Bauer die Hand gegen seinen Knecht erhoben oder die Frau alle ihre Kraft aufwenden müssen, ihren Willen gegen das, was außer ihr noch Röcke auf dem Hof trug, durchzusetzen. Nun war's noch ein Glück, daß das dienende Jungvolk zumeist aus dem Dorfe selbst und der nächsten Umgebung stammte. Wollte der Bauer sich nicht die Finger an so einem Widerborstigen schmutzig machen, so besorgte das die väterliche Faust eindringlich und ausgiebig. Und so war alles wieder in der Reihe; denn die Väter des Dienstvolkes kannten den Grund der Unbotmäßigkeit nur zu genau; und da sie überdies wußten, daß auch der Bauer nicht auf Rosen gebettet war, fielen die Faustschläge mit doppelter Wucht.

      Keiner hat es leicht, der Anno 1848 im Jerichowschen seinen Acker baut, nicht der adlige Grundherr, nicht der Bauer, nicht der Kossat; keinem Handwerksmann, keinem Arbeitsmann, keinem Knecht, nicht einmal dem Schuster Wagner hängt der Himmel voller Geigen. Da hat jeder Grundbesitzer noch sein gerüttelt Maß zu tragen an den Kriegslasten aus Napoleons Zeiten her. Und wenn der Schuster auf solchen Einwurf loskrakehlt, daran sei die verkehrte Politik auf dem Wiener Kongreß schuld - und hierin hat er ja wohl vollkommen recht -, so wischt das auch nicht einen einzigen Dreier weg von dem Berg Taler, die beispielsweise der Bauer zu den Entschuldungslasten der Landschaft alle Jahre viermal auf den Tisch der Steuerbehörde zu legen hat.

      Da gibt es aber noch andere Dinge, von denen ein landfremder, mißvergnügter Schuster ohne eigene Scholle unter den Füßen keine Ahnung hat. Die Regelung der bäuerlichen Grundverhältnisse, die damals der Minister vom Stein staatsgesetzlich festsetzte, ist seit drei Jahrzehnten abgeschlossen. Damals hat jeder im Dorfe schwere Hypothekenlasten aufnehmen müssen, um seiner Vielfachen Zehnt-, Fron- und sonstigen Herrendienstlasten ledig zu werden. Die Väter der Männer, die jetzt auf den Höfen als ihre eigenen Herren sitzen, sind damals stolz gewesen, unwürdige Fesseln abstreifen zu können; und ihren Jungen von damals haben sie dieses stolze Kraftbewußtsein lebendig übererbt. Was da an Amortisation und Verzinsung dieser Ablösungslasten zu jedem Zahltage fällig ist, wuchtet zwar schwer auf jedem Hofe, wird aber als Ehrenverpflichtung pünktlich und vollzählig abgestoßen.

      Da steht denn über jedem Strohdach ein nicht allzu sonniger Himmel. Und wäre der Mensch auf Jerichower Heimatboden nicht die Genügsamkeit selbst, so würde man im Bauernhaus wie in der