Das "Liedtlein" des Stadtbuches von Gangelt
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Im 9. Bande, S. 217 f. dieser Zeitschrift bespricht Hansen sechs Handschriften der Königl. Bibliothek in Brüssel, die das Gebiet des Aachener Geschichtsvereins betreffen. Bei einem kurzen Aufenthalt in Brüssel habe ich das von Hansen unter Nr. 6 registrirte "Stadtbuch von Gangelt", welches namentlich kulturgeschichtlich recht brauchbaren Stoff bietet (vgl. die Besprechung des Stadtbuchs etc. von G. Rauschen, Bd. XIII, S. 181 dieser Zeitschrift), genauer einsehen können. Mit Recht sagt Hansen, dass in dem Stadtbuch ein "Liedtlein" von besonderem Interesse ist, das die religiösen Kämpfe in Gangelt zum Inhalt hat. Dies "Liedtlein" ist nicht nur geschichtlich interessant, sondern auch poetisch werthvoll wegen des uralten, echt epischen Tons, der in ihm erklingt und an die Volksgesänge des 12. und 13. Jahrhunderts erinnert. Ich theile es hier mit den dazu gehörigen einleitenden Bemerkungen der Handschrift (S. 178) mit.
"Zur ewigen gedächtnus, wie sich unser bürgermeister und rhat zu Gangelt beym catholischen glauben bestendig gehalten und den praedicanten ausgetrieben, gehört ein liedtlein, so ich von des blinden Jans von Birgden [Birgden, Dorf bei Gangelt] erben bekommen und er selbst vielleicht gemacht hat, welches alhier abschreibe: 1612.
- Wilt ihr hören singen
Kurzlich ein neu liedt,
Was in vergangenen Zeiten
Zu Gangelt ist geschiet.
So hait es sich begeben
Des montags nach ostertag,
Zu Gangelt vor der pfordten
Man sehr viel
kalkopf sach. - Gort Dahmen, burgermeister
Stadthelder mit ehren ist.
Er stundt in seiner thüren,
Er sahe die calvinist,
Die kamen da geloffen,
Troz mit ihrem Gewehr,
Von Sittard und von Siistern,
Von andern steden mehr. - Der stadthelder hat gesprochen
Woll zu dem prädikant:
"Wie seit ihr binnen kommen,
Wer hat euch her gesandt?
Wilt ihr hie binnen lehren,
Seit auch darzu bereit,
Ihr müsst von hinnen weichen
Und holen besser bescheidt." - Lehn Mans nahm ein grosser stein
Woll in die rechte handt,
Damit hat sie geworffen
Schnell nach dem praedicant.
Sie rief mit lauter stimm:
"Wer hat dich geruffen her?
Wir wille halt sticken [Stecken] nehmen
Und kloppen dich langs dat lehrr." - Da rief der ungelehrte hirt
Sein arm verblendte schaff:
"Folgt mir nach aus dieser statt,
Wir müssen machen auf!"
Sie lieffen int Jan Heuchelers
Der kornt scheuer und stall,
Da folget ihn der gantze hauf,
Klein und gross überall. - Der wolf begunt zu heulen
Mit heller stimm und schall.
Sie kamen da drei meilen
Woll in die feistenfall.
Da goss aus der böse serpent
Seine feuer und schaum,
Die ungelehrte leyen
Gaben ihm da den ruhm. - Wer soll willen preisen
Den ketzer calvinist?
Lass lehrnen von den weisen,
Was uns seelig ist,
Die werden uns erkleren
Den rechten glauben und sinn,
Da unser liebe eltern
Lang seindt gestorben in. - Auf S. Philips und Jakobstag
Zogen sie wieder daheim.
Sie klopten zu Gangelt an die porten:
"Ihr must uns lassen ein !"
Der portener hat gesprochen:
"Das soll ich sehen gern,
Ihr must noch heut draussen bleiben,
Ihr habt euch bedrissen sehr." - Der praedicant sprach zu seinem volk:
"Wo sollen wir jetz hin gahn?"
Da andtwort der alte heuchler:
"Wieder bei meinem sohn,"
Sie runnen nach der Heiden.
Alda hielt ihr bescheidt;
Zu einer kahler scheuren
Waren sie zu schwezen bereit. - Der uns das liedtlein erstmal sang,
Sein nahm bleibt unbekandt.
Gott will ihn nicht verlassen
Allhie auf dieser welt,
Auf dass wir mögen bleiben .
Catholisch woll bereit.
Das will uns alle geben
Die hochste dreifaltigkeit amen.
(NB. Heuchler ist der alte Hamscher auf der Heiden.)
Quelle: Brüning, Wilhelm, Das "Liedtlein" des Stadtbuches von Gangelt, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins (ZAGV) 19/1897, Seite 221-222.