Deutsche und französische Kultur im Elsass/074

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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Bildunterschrift:
L. v. SEEBACH: Aus der Umgegend von Barr.

nicht, um dort die höhere Kaufmannskunst zu lehren, sondern um dem jungen Kaufmann Gelegenheit zu geben, seine durch Tradition erworbenen Kenntnisse zu vervollständigen und wissenschaftlich zu vertiefen. Also er soll eine seinem Beruf angemessene schulmässige Geistesbildung erlangen, vermöge deren er dann Hand in Hand mit dem Doktor der Ingenieurwissenschaften zu dem Stand der Gebildeten aufsteigen kann. Diese so viel besprochenen Massregeln und Bestrebungen sollen nicht etwa den Zweck des betreffenden Berufes fördern, sondern sie sollen den Angehörigen der betreffenden Berufe eine soziale Stellung verschaffen. Die Art, wie dieses Bestreben ins Werk gesetzt wird, lässt sich nur verstehen, wenn man die gelehrte Natur der deutschen Geistesbildung und die soziale Bedeutung dieser gelehrten Bildung bewusst in Anschlag bringt. Aber auf die Kreise der Hochgebildeten bleibt diese soziale Funktion der Bildung nicht beschränkt. Auch der industrielle Arbeitgeber, der Fabrikant, betrachtet sich, obwohl er von dem Beamten oder Gelehrten im besten Fall für halbgebildet gehalten wird, als einen gebildeten Mann und sucht seine soziale Überlegenheit über den Arbeiter am liebsten auf seine höhere Bildung zurückzuführen. Mit Vorliebe bezeichnen sich diese Kreise als Leute von Bildung und Besitz und beanspruchen kraft dieser Doppeleigenschaft eine politisch oder sozial hervorragende Stellung. Diejenigen endlich, die von der höheren Bildung ausgeschlossen sind und im sozialen Kampf mit den Gebildeten stehen, empfinden die soziale Bedeutung der deutschen Geistesbildung am schärfsten. Sie sind nicht nur unzufrieden mit dem ihnen zugemessenen Mass an wirtschaftlichen Gütern, sondern auch mit der ihrem „Stand" „angemessenen" Schulbildung. Wie ein sozialistischer Schriftsteller (K. Kautsky, Erfurter Programm 1892, pag. 174) sagt, strebt das Proletariat mit einer wahren Gier nach Bildung. Nach seiner Ansicht entspringt dieser Wissensdurst des Proletariats aus dem reinen Trieb zur Erkenntnis. Dies mag in vielen Fällen zutreffen, aber die Hauptursache ist dieser Erkenntnistrieb sicher nicht. Der Wissensdurst beruht vielmehr auf dem überlieferten Respekt des Deutschen vor dem gelehrten Wissen, ferner auf dem gelehrten Charakter der sozialdemokratischen Lehrer und ihrer Lehre, und schliesslich auf der richtigen Überzeugung, dass die höhere Bildung eine soziale Scheidewand darstellt, die entsprechend dem Programm der Sozialdemokratie niedergerissen werden muss. Da der Sozialdemokrat kraft der nationalen Tradition und kraft der Vorschriften seiner Lehre die höhere Bildung nicht bekämpfen kann und will, so muss er sie, um den Gegensatz aufzuheben, selbst sich anzueignen suchen. Auch hier tritt wieder die soziale Bedeutung der deutschen Geistesbildung scharf hervor. Gerade deshalb nämlich, weil sie diese Bedeutung besitzt, ist sie zu einem Streitgegenstand im sozialen Kampf geworden. So erfüllt die schulmässige Geistesbildung das Leben des deutschen Volkes. Alle Verhältnisse, selbst die scheinbar