Erzählungen von Gerhard Krosien aus Schmelz (Kr.Memel)/Zwischenstation
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1944. Es ist ein dunkler, kühl-feuchter Spätherbstabend, als der Eisenbahnzug mit uns Flüchtlingen aus Ostpreußen im Bahnhof Plathe in Pommern hält. Wir werden schon erwartet und auch sogleich „verteilt". Die vier Kinder mit Mutter,Tante Elsa und Großmutter klettern auf einen großen Ackerwagen mit zwei Schimmeln davor und dem Bauern auf dem Holzsitz.
Die Fahrt geht los. Sie dauert lange. Durchgefroren und durchgeschüttelt landen wir alle endlich auf einem morastigen Bauernhof in Altenhagen, etwa sechs Kilometer von Plathe entfernt. Wir werden von der Bäuerin sowie von einigen Mägden und Knechten in Empfang genommen. Nach der Begrüßung setzen sich alle an einen großen Tisch und löffeln genüsslich dampfende, köstlich schmeckende Gemüsesuppe. Die lange Bahnfahrt und anschließend die rumpelige Wagenfahrt waren vor allem für alle Flüchtlinge anstrengend gewesen. Die heiße Suppe und die Wärme der Küche machen müde. Darum heißt es bald: „Ab ins Bett!" Ins Bett? Eine derbe, steile Leiter hinauf - in einen Dachraum über der Küche! Sein Fußboden ist mit etwas Heu bedeckt. Mitten durch den Raum führt der roh gemauerte Schornstein des Küchenherdes. Das ist die einzige Wärmequelle hier oben! Doch wir fallen rasch in tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen - es muss noch sehr früh sein, denn es ist noch stockdunkel im Raum - heißt es: „Aufstehen, heute wird gedroschen!" Das hat die Familie noch nie gemacht! Aber nach etwas Anleitung lernen wir es alle und packen kräftig zu. Es gibt immerhin nahrhaftes Essen dafür! So geht das all die nächsten Tage. Als ob sich der Bauer das Dreschen des ganzen Jahres für uns Flüchtlinge aufgehoben hat! So kann das nicht weitergehen!
Mutter sucht Hilfe beim Bürgermeister. Der greift - sehr zum Ärger des Bauern - ein und lässt die gesamte Flüchtlingsfamilie nach Mittelhagen in die dortige, damals leerstehende Schule transportieren. Das wird nun ein besseres Leben! Sogar ein großer Kachelofen spendet wohlige Wärme in dem Wohn-/Schlafraum. Und die aus der Heimat nach und nach zugesandten Sachen sind inzwischen auch im fernen Pommern eingetroffen. Milch gibt es beim Bauern, und kaufen kann man, was so eine Familie alles braucht, im Laden um die Ecke. Zu Weihnachten ist sogar Vater von der Ostfront auf Urlaub gekommen. Die Familie ist nach langer Zeit mal wieder glücklich zusammen!