Erziehung im XX. Jahrhundert/003

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Erziehung im XX. Jahrhundert
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Zögling und Erzieher

„Geh' fleissig um mit deinen Kindern und liebe
sie, und lass dich lieben einzig schöne Jahre;
denn nur den engen Traum der Kindheit
sind sie dein!“   L. Schefer.

Zunächst wird man die Frage aufwerfen: Wer soll erzogen werden, und wer soll erziehen? Die Antwort auf die erste Frage ist ohne weiteres klar: alle Kinder sollen erzogen werden. –

Die Spartaner, deren Erziehungskunst im Altertum besonderes Ansehen genoss, erzogen nicht alle Kinder, die geboren wurden; die verkrüppelten und schwächlichen setzten sie aus und gaben sie dem Tode preis, denn nur gesunde und starke Kinder hatten für die Zwecke ihres Staates einen Wert und lohnten die Mühe, sie zu erziehen. Wenn auch andere Völker des Altertums schon menschlicher dachten, so ist trotzdem die Erziehung der ärmsten unter den Kindern, der blinden und taubstummen, der schwachsinnigen und blöden, lange genug und eigentlich bis in die neueste Zeit vernachlässigt worden. Erst die Gegenwart hat ausdrücklich das Recht dieser Kinder auf Erziehung anerkannt und sucht ihnen eine solche zuteil werden zu lassen, soweit das überhaupt möglich ist. Dass eine sorgfältige Erziehung aber auch in derartigen Fällen oft geradezu wunderbare Erfolge erzielen kann, zeigt das berühmte Beispiel der Helen Keller, des amerikanischen Mädchens, das, blind und taubstumm zugleich geboren, durch eine wahrhaft geniale Erziehung bis zum Universitätsstudium vorbereitet wurde und sich als geistvolle Schriftstellerin einen Namen erworben hat.

Die Forderung, dass alle Kinder erzogen werden sollen, weist auch noch einmal recht klar auf den doppelten Zweck der Erziehung hin. Auch die mit einem körperlichen oder geistigen Defekte Behafteten sollen in den Stand gesetzt werden, ein menschenwürdiges Dasein zu führen, und es soll anderseits durch ihre Existenz ihren Angehörigen und der Gesellschaft keine Last auferlegt werden, indem sie wenigstens soweit gefördert werden, dass sie selbständig im Leben bestehen können.

Aber nicht alle Eltern würden aus eigenem Antriebe ihre Kinder erziehen und unterrichten lassen. Deshalb hat man in einigen vorgeschrittenen Kultur- ländern schon seit Jahrhunderten den »Schulzwang«, also mit andern Worten einen Erziehungszwang durchgeführt. Da, wo die häusliche Erziehung überhaupt ganz versagt, oder wo die Verhältnisse in der Umgebung des Kindes den Zwecken • der Erziehung direkt entgegenwirken, gibt unsere Gesetzgebung neuerdings die Mög- lichkeit, eine »Zwangserziehung«  eintreten zu lassen.