Erziehung im XX. Jahrhundert/026
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für ästhetische Werte aus der Kinderstube mit hinausnimmt ins Leben, um so
mehr wird auch der Erwachsene das künstlerisch Wertvolle vom Wertlosen unter-
scheiden lernen und dazu beitragen, dass wahre Kunst in der Zukunft mehr ge-
würdigt werde als in der jüngsten Vergangenheit.
Mit der Bilderbuchfrage hängt eine andere Frage der Kinderstube aufs engste zusammen, die des Wandschmuckes und der Einrichtung des Kinder- zimmers überhaupt.
Die Meinung, dass ein sonst unbrauchbares, düsteres und ödes Zimmer zum Kinderzimmer gut genug sei, wird kaum jemand haben, dem das Wohl seiner Kinder wirklich am Herzen liegt, aber trotzdem sind wohl noch nicht alle Eltern von der Wahrheit des Goetheschen Wortes durchdrungen: »Für die Kinder ist nur das Beste gut genug!« Zweifellos gilt dieses Wort auch für das Kinderzimmer, womit aber nicht gesagt sein soll, dass dieses nun mit vornehmer Kunst und ver- schwenderischem Luxus ausgestattet werden müsse. Das letztere würde sogar direkt den Zwecken der Erziehung entgegenwirken. Jedenfalls aber sei der Raum, in dem Kinder sich aufhalten, heiter und wohnlich und^mit freundlichen Darstellungen aus dem Kinderleben ausgestattet. Alles Hässliche und Unwahre muss in diesem Räume vermieden werden, aber auch das Schöne darf nicht aufdringlich wirken, sonst wird es dem Kinde auf die Dauer langweilig. Die Kunst der Innendekoration hat im letzten Jahrzehnt sehr Bemerkenswertes geleistet, was wohlhabenden Eltern für die Ausstattung eines Kinderzimmers empfohlen werden kann; erste Künstler haben sich dieser Aufgabe gewidmet, und gute Zeitschriften, wie vor allem die Darmstädter Monatsschrift: »Kind und Kunst«, haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Kunst in das kindliche Leben hineinzutragen. Auf dem Gebiete des Wand- schmuckes sind ausser andern guten Reproduktionen namentlich die »Künstler- steinzeichnungen« zu empfehlen, die infolge ihres billigen Preises fast jedem zugänglich sind.
Ein Gegenstand soll hier noch genannt werden, der nach unserer Meinung zu den notwendigen Ausstattungsstücken einer jeden Kinderstube gehört, den wir aber selbst an den besten Vorbildern dieser Art fast durchweg noch vermissen. Es ist dies eine Wandtafel, die selbstverständlich nicht als Schmuck des Zimmers wirken soll, sondern für den praktischen Gebrauch der Kinder bestimmt ist. »Das Kind als Künstler« ist ein neuerdings oft gebrauchtes Schlagwort der »Kunst- erzieher« geworden, und mit Recht, denn in vielen Kindern liegen künstlerische Anlagen, die nur der Anregung bedürfen, um sich weiter zu entwickeln. Natürlich dürfen wir jene Worte nicht in dem Sinne verstehen, dass die zeichnerischen Dar- stellungen eines Kindes an sich künstlerischen Wert hätten, aber sie geben einer- seits die interessantesten Einblicke in das kindliche Seelenleben und sind anderseits für das Kind eine Quelle reiner Freude und unausgesetzter Anregung zum Beobachten und Forschen in der Aussenwelt. Das Vorhandensein einer Wandtafel im Kinderzimmer gibt täglich Anlass zur Benutzung derselben, und mit Recht wird man staunen über die Vielseitigkeit der Beobachtungen, die ein Kind macht, und über die oft überraschende Sicherheit, mit der es das Charak- teristische der Formen auffasst. Diese Erziehung zum Sehen ist für die gesamte geistige Entwicklung ausserordentlich wichtig. Wenn John Ruskin, der Schöpfer des kunstgewerblichen Aufschwunges unserer Zeit, gesagt hat, »dass unter hundert Menschen einer denken kann, aber dass sich erst unter tausend einer findet, der sehen kann«, so kann man diesen Ausspruch dahin ergänzen, dass unsere heutige