Fischzug mit Schlubberche

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<<<Erzählungen aus Schmelz


Erlaubnisschein für den Rentner Richard Friedrich Emil Krosien zum Fischfang im kurischen Nord Haff mit den im Erlaubnisschein aufgeführten Fanggeräten, 1944

Seit Tagen war ich nun schon so aufgeregt und kribbelig! Großvater hatte mich am Sonntag auf die Seite genommen und gesagt: „Kommende Woche haben wir gutes Wetter, dann will ich aufs Haff raus und fischen. Hast du Lust mitzumachen? Ich brauche ein paar tüchtige Hände, die mit zupacken. Ich bin schon etwas alt, die Männer sind alle an der Front. Und wir hier brauchen etwas zum Beißen. Außerdem kommen so ein paar Gröschelchen in die Haushaltskasse.“

Bei dem Angebot hatte ich ganz rote Ohren gekriegt - vor Überraschung und Stolz. Natürlich wollte ich - gerade mal acht Jahre alt - mitmachen! Am liebsten hätt`s gleich losgehen können mit dem Fischfang!

Ja, so ist Großvater. Der weiß schon, wen er für solch eine wichtige Aufgabe aussucht! Und mit acht Jahren ist man gerade der Richtige dafür. „Na klar, Großvater, da mach ich mit“, ist meine rasche Antwort. „Wenn`s so ist, musst du aber auch beim Klarmachen der Klipp helfen. Heinz Paura ist auch dabei. Am Dienstagvormittag fangen wir damit an, wir treffen uns im Bootsschuppen oben am Haffstrand“, waren Großvaters klare Anweisungen.


Der Dienstag sah dann oberhalb des Haffstrandes drei emsige „Männer" damit beschäftigt, die Klipp klarzumachen, das ist ein Schleppnetz mit langem, spitz auslaufendem Sack, dessen linker und rechter oberer Rand in zwei zwischen langen kork- und bleibestückten Seilen gespannten Seitennetzen ausläuft. In ganz bestimmter Reihenfolge wurden dabei Lagen von Netzen und Leinen übereinandergelegt, so dass schließlich ein ordentliches Netzpaket daliegt, obenauf zwei akkurat gewickelte Seilschnecken. Alles kam in den riesigen, dunklen Schuppen, in dem weiteres Fischereigerät lagerte und wo es so sonderbar nach Teer, Tang und Moder roch.

Großvater und Enkel im Gespräch

Dann waren die Kähne dran. Einer lag - wie fahrbereit - nahe dem Wasser auf dem steinigen Strand, mit dem Bug landwärts gerichtet. Großvater umrundete ihn, werkelte da und dort etwas an ihm herum. Er schien zufrieden - seinem Gesichtsausdruck nach. Der zweite Kahn, das Beiboot, lag umgestülpt etwas höher am Ufer. Mit ein, zwei „Hauruck!" hatten wir drei auch ihn in die richtige Lage gebracht. Großvaters Kontrollgang verlief ebenso zufriedenstellend. Es folgten eine kleine Ruhepause auf dem Bootsrand, ein abschließender Schwatz und Großvaters „also bis morgen um ein Uhr".

Die nächste Nacht wollte überhaupt nicht vorübergehen! Ich konnte kein Auge zumachen vor Aufregung und Erwartung. Schon lange vor ein Uhr war ich bei den Kähnen. Dann endlich kam auch Großvater an seinem Stock daher. An dem Gesichtsausdruck dieses riesigen Mannes sah ich sofort, dass etwas nicht stimmte. „Der Heinz kann nicht mitmachen, liegt krank im Bett. Aber raus müssen wir heute, da hilft nichts!", war das erste, was er sagte. „Macht nichts, Großvater, das schaffen wir beide doch auch allein!" antwortete ich rasch. Denn jetzt durfte die Sache doch nicht mehr platzen, wo sie mich so begeisterte! „Na, na, das wird eine ganz schön harte Arbeit werden für uns beide", kam es aus dem etwas nachdenklichen Gesicht Großvaters.

Schon wurden die Ruderblätter, die Dollen und noch so anderes Gerät in die Kähne gelegt. Zuletzt erhielt das Netzpaket auf dem Luftkasten am Heck seinen Platz. Unter Mithilfe von Großvaters Bekannten und zwei untergelegten Rollen hatten die beiden Kähne bald Wasser unter dem Flachboden. Der Kahn mit der Klipp und mit mir kam ins Schlepp, und schon ruderte Großvater mit ruhigem, kraftvollem Armzug in Richtung Haffmitte.

Bald darauf war der Schweinsrücken, eine aufgebaggerte, binsenbewachsene Sandbank, erreicht. „So, mein Jungchen, du kommst jetzt rüber in meinen Kahn und ruderst mit dem rechten Seil ganz langsam Richtung Strand, aber ganz, ganz langsam. Und horch genau zu, was ich dir zurufen werde!", so Großvater.

Schon entfernten sich die Kähne voneinander. Großvater übergab aus dem Netzpaket bedächtig eine Lage nach der anderen dem Wasser, so langsam, wie ich von ihm weg ruderte. Zuletzt hatte er nur noch das zweite Seilende am Kahn und begann, langsam in die entgegengesetzte Richtung zu rudern. „Wir ziehen einen großen Kreis. Musst sehen, dass wir uns dort ungefähr treffen!", war sein Kommando, wobei seine eine Hand auf die bewusste Stelle deutete.

Bald lagen die Kähne dort Seite an Seite. „So, jetzt fahre ich an dir vorbei, du wendest langsam, und dann ziehen wir die Klipp auf den Schweinsrücken". Das klappte wie am Schnürchen! Und kurz darauf stapften wir beiden Fischer im flachen Wasser der Sandbank umher und leerten den Fischsegen ins Beiboot. Es war ein guter Fang großer und kleinerer Fische der unterschiedlichsten Art.

„So, nun werden wir mal ein bisschen Vesper machen. Heute gibt`s Butterbarsch!" Bei diesen Worten griff Großvater in die zappelnde Masse, und mit sicherem Griff packte er einen ganz bestimmten Fisch. Wir beide stiegen in seinen Kahn. Großvater holte aus dem Luftkasten am Bug eine Leinentasche und eine französische Feldflasche. Der Tasche entnahm er einen Salz- und einen Pfefferstreuer, ein Fläschchen Essig, einige Zwiebeln und Knoblauchzehen und stellte alles auf die Ruderbank zwischen sich und mir. Aus seiner Hosentasche folgte ein großes Taschenmesser.

Jahresfischereischein 1944 für Richard Friedrich Emil Krosien


Und mit ein paar flinken, geübten Handgriffen lag der ausgewählte Fisch bald fein säuberlich filetiert und häppchenweise zerkleinert auf der Bank zwischen uns. Schon war alles gesalzen, gepfeffert, mit Zwiebel- und Knoblauchstückchen bestreut und mit etwas Essig beträufelt! „So, nun muss alles noch einige Minuten ziehen, und dann geht`s los! Haben uns doch `ne anständige Vesper verdient, nicht wahr?", tönte es zu mir herüber. Und dabei bemerkte ich, wie Großvater das im Mund zusammengelaufene Wasser schluckte.

Großvater griff sich die Feldflasche, schraubte den Verschluss ab und nahm einen kräftigen Zug. Dann war`s soweit! Das Messer spießte ein Stück rohen Fisch auf und schob es unter den dicken Schnurrbart. „Hm, schmeckt wie erwartet, Butterbarsch ist eben Butterbarsch! So, Jungchen, nun bist du dran!" Bei diesen Worten spießte er das nächste Fischstück auf und schob es mir mit dem Messer zwischen die Zähne. „Wie kann man bloß so etwas essen, was vor so kurzer Zeit noch im Haff geschwommen hatte?", war mein erster Gedanke. Aber ich kam gar nicht dazu, mich vor der Speisung zu drücken. Ich begann einfach zu kauen, wenn auch mit etwas langen Zähnen! „Du musst auch ein Schlubberchen dazu trinken, mein Jungchen, wegen der besseren Verdauung - und dann rutscht es auch besser", sagte Großvater, und schon hatte ich die Feldflasche vor dem Mund und schluckte. Ein Hustenanfall war die Folge! Ich kriegte kaum Luft. „Großvater, was ist denn das für ein Teufelszeug? Das brennt ja schlimmer als Pfeffer!" „Nun mach dir man nicht gleich in die Hose! Das ist die reinste Medizin! Räumt den Magen und die Därme auf und gibt klaren Blick! Habe ich selbst gemixt! Ja, ja, Pfeffer ist auch drin, alles reine Natur", war sein kurzer Kommentar.

Dann verschwanden mal hier, mal da die restlichen Filets. Ein und das andere Schlubberchen spülten sie weg. Und schließlich hieß es : „So, jetzt sind wir für den Endspurt gestärkt. Wir rudern nun mit der Klipp zum Strand rüber, ich mit dem rechten, du mit dem linken Seil im Schlepp."

Nach kurzer Zeit knirschten beide Bugs über die Strandkiesel. Am Ufer warteten schon Frauen mit Schüsseln und Körben. „Also, meine Herrschaften, nun mal in die Hände gespuckt und gezogen! Wer essen will, muss erst arbeiten!", begrüßte Großvater die Wartenden. Und schon war das schönste Tauziehen im Gange. Schließlich stand Großvater vor dem prallen Fischsack und verteilte Fische in die hingereichten Behälter. Einige Münzen und Scheine wechselten ihren Besitzer. Zuletzt packte der eingetroffene Fischhändler den Rest aus dem Netz und aus dem Kahn in seine Körbe.

Nachdem die Kähne auf dem Strand lagen, Ruderzeug und Klipp im Schuppen verstaut waren, griff der Großvater in seine Jackentasche. Ein Geldschein wanderte in meine Hand. „Hast gut gearbeitet, mein Jungchen, und dir den Lohn redlich verdient", sagte er zum Abschied. Dann stapften seine massige und eine kleine Gestalt zufrieden und wortlos nach getaner Arbeit heimwärts. Wie stolz war ich damals auf meinen Großvater - und auf mich!

Gerhard Krosien