Friedhöfe im Memelland/Historisches/Kulturtexte

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Texte

Historische Texte

Text folgt

Sagen und Märchen

Der Leichenbesuch

In vielen Städten Litauens sind besondere Kirchhöfe für die deutsch und für die litthauischen Gemeinden. Auch in der Stadt Ragnit ist es so; früher war daselbst für das Kirchspiel nur ein Kirchhof, jetzt sind aber zwei da. Der deutsche liegt südwestlich von der Stadt, der litthauisch liegt östlich von derselben. Aber die Leichen der beiden Kirchhöfe, wenn sie sich im Leben gut gekannt haben, kommen oft des Nachts zusammen, besonders wenn es stürmisches Wetter ist. Dann sieht man sie zu hundert und tausenden von einem Kirchhofe zu dem anderen fliegen, von dem litthauischen zu dem deutschen, und auch von dem deutschen zu dem litthauischen.

Ein Jeder kann sie nicht sehen, sondern nur solche Leute, die in der Mitternachtsstunde eines Sonntag geboren sind; die Leichen fliegen durch die Luft, aber nicht gar hoch über der Erde und in ganz gerader Linie von dem einen Kirchhofe zu dem anderen. Daher ist denn auch in der graden Richtung von den beiden Kirchhöfen gar keine Gegenstand zu sehen, der sie in ihrem Fliegen aufhalten könnte, kein Haus, kein Baum, keine Hecke, keine Mauer, noch sonst etwas.

Vor einigen Jahren zog einmal ein Fremder nach Ragnit, der bauete sein Haus an das südliche Ende der Stadt; es war ein recht hübsches und festes Haus. Aber so wie die erste stürmische Nacht kam, fiel das Haus ganz in einander, mit Dach und Mauern. Alte, schon halb verfallene Häuser in der Nachbarschaft waren ohne Schaden geblieben. Darüber schüttelte zwar Mancher den Kopf, und sah das Haus mit besonderem Gesicht an, allein der Fremde ließ es wohlgemuth wieder aufbauen. Doch es dauerte nur wenige Tage, da kam wieder in einer Nacht ein Sturm und warf das Haus noch einmal um.

Da kam ein alter Mann zu ihm, der war in der Mitternachtsstunde von einem Sonnabend auf Sonntag geboren. Der sagte zu dem Fremden, sein Haus werde nimmer stehen bleiben, denn es steht in der geraden Linie zwischen dem litthauischen und dem deutschen Kirchhofe, und liege den Geistern im Wege, wenn sie einander besuchen wollten. Da ließ denn der Fremde das Haus etwas an der Seite wieder aufbauen, wo es noch steht, ohne jemals wieder Schaden genommen zu haben. –

Zum Wahrzeichen steht auch noch eine Scheune am südlichen Ende der Stadt Ragnit, deren Spitze erstreckt sich so eben in die gedachte grade Linie hinein, daher kommt es denn, dass auf dieser Spitze sich niemals das Dach halten will; wenn der Herr der Scheune hundertmal im Jahre es wieder zurecht machen lässt, so ist es doch, so oft des Nachts ein Sturm ist, jedes Mal so weit niedergerissen, als es in die Linie hineingeht und den Geistern in ihrem Wege liegt.

Die Todtenflugbahn

Um Mitternacht
Wenn nur die Eule wacht,
Wenn in den weiten Räumen
Die Stadt, die Fluren träumen,
Wenn noch kein Hahnenschrei ruft:
Dann weht bei Ragnit ein Leichenduft.

Dann ziehen ohne Rast
Die Todten zu Gast.
Von einem Friedhof zum andern
Sie dann in Schaaren wander;
Zum deutschnen hin die Litthauer ziehn,
Zum litthau’schen ziehen die Deutschen hin.

Von Gruft zu Gruft
Fleigt’s durch die Luft,
Bald flüstern still und leise,
Bald jubelnd in wilder Weise;
Bald wehet ein Lüftchen hin die Bahn,
Bald brauset dahin ein jäher Orkan.

Doch wie’s auch sei,
Stets bleibt sie frei
Die Bahn von Haus und Thurme;
Sie wird gesäubert um Sturme.
Wer je drin aufgeführet ein Dach,
Ein Orkan sofort es ihm niederbrach.

Drum siehet man
In der Todtenflugbahn
Kein Haus, keine Scheune errichtet;
Die Bahn sie stehet gelichtet.
Es wandern die Todten darin zum Besuch;
Frei lieben die Bahn sie zu freiem Flug. –
(Becker)[1]

Der Todtenberg bei Marienwerder

Neben der Stadt Marienwerder gegen Mitternacht liegt eine Anhöhe, welche den Namen des Todtenberges führt, und zwar deshalb, weil sie durch die Leichen der in einem, im polnisch-schwedischen Kriege hier vorgefallenen Gefechte Gebliebenen entstanden sein soll. Nach der Sage gestatteten die Geister der Begrabenen nicht, dass hier ein Haus gebaut werde, und als jemand vor einiger Zeit dennoch ein solches errichtet und bezogen hatte, sollen ihm dieselben erschienen sein und ihn aufgefordert haben, das Haus sofort wieder zu räumen, weil ihm solches sonst über dem Kopfe zusammenstürzen werde[2].

Das Grab des Riesenweibs

Der Höhenzug, der sich an der Gränze von Westpreußen und Pommern hinzieht, zeichnet sich besonders durch die vielen, zwischen seinen Abhängen belegenen Seen aus; schroffe, mit dunklen Föhren bedeckte Höhen umkränzen sie, und verleihen ihnen zwar etwas Wildes und Schauerliches, geben der Gegend aber auch ein höchst eigenthümliches Gepräge. An einem dieser Seen, welcher untern des schwarzen Berges, eines der höchsten Punkte der Kette, liegt, befinden sich mehrere Steinhügel, von denen erzählt wird, das einst ein schwangeres Riesenweib vom jenseitigen Ufer aus hinüber geschwommen sei, um den Teig, den sie auf ihren Schultern mit sich führte, in dem Ofen der Nachbarin zu bakcen. Erschöpft jedoch von der übermäßigen Anstrengung, ward sie, kaum an das Ufer gelangt, entbunden, gab aber auch sofort ihren Geist auf. Unter jenem Steinhügel ward sie begraben. [3]

Todtenurnen und Barstukken

Von den Urnen, welche in den heidnischen Begräbnissplätzen gefunden werden, glauben einige, dass sie die Gefäße seien, deren sich die Unterirdischen (Barstukken) bedienen, und die sie entweder ihren Freunden mit ins Grab gesetzt, um sich deren in jener Welt bedienen, oder die, als sie ihre, in dem Hügel bisher innegehabte Wohnung verlassen, dort zurückgebliebenen, Andere, dass die Erde selbst wenn sie im Monat Mai gleichsam schwanger werde, sie geboren habe. Wenn in dergleichen Urnen Milch aufbewahrt wird, so giebt sie mehr Butter; wenn man die Hühner daraus saufen lässt, so nehmen die nicht nur sehr zu, sondern werden auch nie von einer Krankheit ergriffen; wenn man das Saatkorn vor dem Aussäen in dergleichen Urnen schüttet, so giebt dies eine reichlichere Ernte. [4]


Die Barstukken sind kleine Erdmännchen, welche entweder viel Glück oder Schaden bringen, je nachdem sie guter oder böser Laune sind. Man sucht sehr, sie zu Freunden zu halten. Des Abends wird ihnen in der Scheune ein Tisch gesetzet, den bedeckt man sauber mit einem Tischtuche, und setzet darauf Brod, Käse, Butter und Bier; dann werden sie zur Mahlzeit gebeten. Wenn nun am andern Morgen auf dem Tisch nichts gefunden wird, dann freuet man sich sehr und hoffet auf großen Zuwachs im Hauswesen. Wenn aber im Gegentehile die Speisen über Nacht unberührt geblieben, dann bekümmert man sich, und vermeinet, die Barstukken seien davon gezogen und werden nun Schaden anrichten. Dieser Aberglaube ist besonders im Samland verbreitet. [5]

Aus dem Anhang

Der Seelentisch

Wenn ein Litthauer gestorben ist, so kommen vier Wochen nach seinem Begräbnis seine nächsten Verwandten zusammen; sie haben Bier gebrauert und Essen zugerichtet, und setzen sich, wenn das Essen aufgetragen ist, zu Tische. Die erste halbe Stunde sitzen sie ganz stille und sprechen kein Wort, essen auch nichts. Dann knieen sie Alle nieder und beten zu Gott, er wolle der Seele des Verstorbenen Ruhe geben, darauf setzen sie sich wieder an den Tisch und fangen an zu essen und zu trinken. Aber von allem, es sei Fleisch, Brod oder Fisch, werfen sie das erste Stück unter den Tisch für die Seele. Ebenso gießen sie das erste Stof Bier unter den Tisch für die Seele. Dies Mahl nennen sie den Seelentisch, und sie glauben, die Seele könne nicht ruhen, wenn sie ihr nicht diesen Tisch decken. [6]

Vermischtes

Die Litthauer nehmen ihre sterbenden Angehörigen wenn sie im Begriff stehe, zu verscheiden, aus dem Bette, legen sie auf ein wenig Stroh auf die Diele, und öffnen Thür und Fenster, um der Seele den freien Aus- und Aufflug zum Himmel zu bereiten.

Einem Storch darf man nichts zu Leide thun, denn er ist anderwärts ein Mensch.

Aus dem Samland

Die verstorbene Mutter Der vor etwa 40 Jahren verstorbene Wirth Sch. Aus Heiligen Kreuz hatte das Unglück seine Frau früh zu verleien. Die Kinder, die sie unendlich geliebt hatten, weinten und klagten über den Tod der Mutter und waren nicht zu beruhigen. Auch der Mann war untröstlich und noch trüber stimmte es ihn, dass seine geliebte Frau gar keine Ruhe im Grabe fand. Sie erschien ihm sogar des Tages und sah ihn stets flehend an. „Was willst du?“ frage er sie einst mit beklommener Brust. „Was kann ich thun für deine Ruhe?“ –„Strafe die Kinder!“ entgegenete sie: „Ich Weinen und Klagen lässt mir keine Rast in der stillen Erde!“ der Mann strafte die Kinder, dass sie ihren Gram unterdrückten, und die Todte erschien nicht wieder [7]

Quellen

  1. Litthauische und Preußische Volkssagen, nach zum Theil unbenutzen Quellen, von F. Becker, C. Roose und J. G. Thiele, Samter, Königsberg 1847
  2. (Polnisch-Schwedischer Krieg 1600-1629)
  3. Nach mündlicher Überlieferung. Vergl. Dritter Jahresbericht der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde S. 84 fgg.
  4. Rensch de tumul et urn. Sepulcral. Regiomont 1724, 4.c, 3. §2,3; vgl. Erl. Preuß. Th. IV. S. 95
  5. Hartknoch, Alt- und N.-Preuß. S. 161; Luc. Dav. Thron I.S. 86, 127; Voigt Gesch. Preuß. I, 594, Act. Borrus, T. II. pag. 406. V. 112
  6. Erl. Preuß. Th. IV. S.131, Th. V. S. 716
  7. Anm. Dass die Tränen der Zurückgebliebenen das Todtenhemde der Verschiedenen befeuchten und ihnen daher keine Ruhe im Grabe lassen, ist ein höchst allgemeiner Glaube […]