Landau und die Südpfalz/Adressbuch 1932/Landau, die Pforte zum Wasgau
Vorlage:Landau und die Südpfalz/Adressbuch 1932
Landau, die Pforte zum Wasgau
Von Paul Ginthum
„Ich finde in der Flur von Landau täglich neue Schönheiten ... Hätt' ich doch eines göttlichen Malers Pinsel, ich wollte gleich einige Seiten von diesem vortrefflichen Amphitheater der Natur hinmalen, so lebhaft hat sich's in meiner Phantasie abgedrückt, Berge, die den Himmel tragen, Täler von Dörfern zu ihren Füßen, die dort zu schlafen scheinen, wie Jakob am Fuß der Himmelsleiter ....“ schrieb der Dichter Reinhold Lenz, der ein zweiter Goethe werden wollte.
Weiter schrieb Lenz: „Landau ist das rechte Schlüsselloch Frankreichs ...“ Das gilt nicht mehr, reißt aber blitzartig den geschichtlichen Vorhang auf, hinter dem sich das wildbewegte Auf und Ab dieser kleinen, reichen, vielbegehrten Stadt in der älteren und jüngsten Zeit birgt.
Als die Franzosen 1930 die Pfalz nach fast 12jähriger Besetzung räumten, tauchten sie ihre Säbel und Standarten in die Fluten des Rheins ...
„Landau ou la mort!“ war einstmals das geflügelte Losungswort des ganzen französischen Volkes. 101 Jahre war Landau ununterbrochen im Besitze dieses Volkes, 130 Jahre insgesamt. Kroaten und Schweden, Preußen und Oesterreicher, Kosaken und Kalmüken, Bayern und Franzosen brausten in buntem Wechsel über dieses Land und zum Teil über diese Zwingburg und Grenzfeste: Belagerung auf Belagerung erlitt dieser Zankapfel der Nationen. Melac, der Zerstörer des Heidelberger Schlosses, war eine Zeitlang Gouverneur von Landau.
Die Gründung Landaus liegt im Dunkel; man nimmt an, daß ein Landvogt des Speyergaues um 1250 herum die Stadt als eine Art Verwaltungszentrale inmitten eines Kranzes reicher Dörfer am Austritt der Queich aus dem Wasgau in die Rheinebene gründete. Kaiser Rudolf erhob Landau 1291 zur freien Reichsstadt. Man sieht an diesen Daten: Landau wuchs rasch zu dem wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt eines Dörferkranzes (rund 40) heran, der es bis heute geblieben ist. Die Entwicklungskurve der deutschen Kleinstadt Landau mit all ihren wirtschaftlichen und kulturellen Fangarmen, mit den aus einer strategisch wichtigen, landschaftlich entzückenden Lage geborenen Verknüpfungen ist eine der zackigsten der deutschen Städte. Die bauliche Umgestaltung der freien Reichsstadt Landau durch den französischen Festungsbaumeister Vauban zu einem enfant de la necessité, wie es Vauban in seiner berühmten Denkschrift nannte, ist der größte Einschnitt. 1702, 1703, 1704, 1713 mußte Landau vier Belagerungen im spanischen Erbfolgekrieg über sich ergehen lassen. Seit 1816 ist Landau bayerisch. Nach 1871 wurde die deutsche Bundesfestung Landau, weil veraltet, geschleift. Die Stadt packte die Gelegenheit am Schopfe. Man sprengte das alte, allzu enge Festungskleid, dehnte sich in die schimmernde Landschaft, schuf prächtige Anlagen, baute einen Kranz boulevardähnlicher, mit Baumreihen bepflanzter Ringstraßen: Landau wurde zur schönstgebauten Stadt der Pfalz. Es ward eine Gartenstadt, die sich in neuester Zeit noch ein prachtvolles Stadion, ein großes Schwimmbad, Tennisplätze, einen Tierpark usw. zulegte. Drei Sehenswürdigkeiten Landaus seien genannt: Das Wahrzeichen Landaus, die frühgotische Stiftskirche, die der weltberühmte „Urwalddoktor“ und Bachspieler Albert Schweitzer als eine der edelsten Kirchen Europas bezeichnete, das Augustinerkloster mit seinem (in der Pfalz ganz allein) erhaltenen Kreuzgang, und das Deutsche Tor, die monumentale Schöpfung Vaubans, des großen Festungsbaumeisters Ludwigs XIV. Edler Bürgersinn gab der Stadt ein Geschenk von größtem Ausmaß: Dr. August Ludowici, Fabrikherr, Weinbaufachmann und philosophischer Schriftsteller, stiftete die Festhalle, die größte und gediegenste Theater- und Konzerthalle der Pfalz. So wurde Landau zu einem reizvollem Gemisch von Klein- und Großstadt. Als ein Schlaglicht auf diese harmonische Ehe sei erwähnt, daß Landau im Verhältnis die größte Theatergemeinde Deutschlands hat (über 1000 Abonnenten bei einer Einwohnerzahl von über 16 000).
Niemand hat noch vermocht, die Geschichte der Pfalz oder die kleinere Geschichte von Landau oder Speyer in ein kulturhistorisches Gemälde von künstlerischem Rang zu pressen. Niemand konnte das auch nur im Rahmen eines kleineren Zeitabschnittes fertig bringen ......
.... Die vorgeschichtlichen Ringwälle auf dem Orensfeld bei Albersweiler und dem Heidenschuh bei Klingenmünster; die Kämpfe germanischer Völker mit den Kelten, den Ureinwohnern der Pfalz; das welterobernde Schwert Cäsars, die römischen Weinberg- und Badeanlagen, ihre riesigen Töpfereien bei Jockgrim; das alles vor sich niederwerfende Anstürmen der Alemannen; der mörderische und endgültige Sieg der Franken; das Pfälzer Kaisergeschlecht der Salier; die gigantische Gestalt Barbarossas, des „größten Pfälzer Bauherrn“ (Burgen), mit seinem Pfälzer Kanzlern von Annweiler und Konrad von Scharfenberg; der Glanz seiner Lieblingsburg Trifels, wo die Reichskleinodien („das Reich“) aufbewahrt wurden; der burgen- und sagenreichste Gau des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation; die Tyrannei der Fürsten und Pfaffen“ gegen die Franz von Sickingen den „Landauer Bund“ der Ritter gründete; der Nußdorfer Haufe, der im Geilweilerhof bei Landau die Fackel des Bauernkrieges entzündete; derj ahrhundertelange erbitterte Kampf zwischen romanischer und germanischer Kultur; die Blutbäder ohne Zahl, die Verwüstungen ohne Ende, die Tränen und Flüche der Bewohner, die Auswanderungen nach Polen und Nordamerika; der unermüdliche Wiederaufbau gänzlich verwüsteten Landes, das Hereinströmen von Hugenotten, Tirolern und Schweizern; die Idee des „Hambacher Festes“, das ein einiges Großdeutschland erstrebte; die nervenzermürbenden Kämpfe der jüngsten Zeit um das Schicksal der deutschen Westmark; all das in einer von der Natur verschwenderisch gesegneten Landschaft – vielleicht ist das alles zu schwer, zu schmerzlich, zu schicksalsdunkel; vielleicht mußte der Künstler verzweifeln und alles dem Historiker überlassen ……
Geblieben ist des »Landes Au«, geblieben das Deutschtum dieser Stadt, geblieben die Landschaft, die so jungfräulich und paradiesisch ist wie zur Zeit des austrasischen Königreichs Dagoberts des Guten, der auf der Burg Landeck bei Klingenmünster saß.
Das Queichtal, das die Haardt von dem Wasgau scheidet und in die grüne Mulde verströmt, die Landau umfasst, ist eines der lieblichsten, farbigsten und man möchte sagen musikalischsten Täler, die es gibt. Slevogt hat Ausschnitte von entzückender Sonnigkeit und Sinnlichkeit gemalt. In Bad Gleisweiler bei Landau, das das mildeste Klima Deutschlands hat, gedeihen Feigen und Mandeln zur Vollreife. Der Blick vom Turm der Stiftskirche in Landau oder vom Baumgürtel des alten Forts über die Pappeln- und platanendurchzogene Au der Queich und das Weinhügelland auf die kühn und edel geschwungene Linie der Wasgenberge mit dem mächtig aus dem Flachland steigenden, bis zur Brust mit Reben bepflanzten Hoheberg, dem trutzigen Fels des Neukastels, dem ans blauer Ferne grüßenden Trifels, der stillen Madenburg gehört zum schönsten was ein deutsches Mittelgebirge dem Auge bietet. Die verborgene Melodie, den unfassbaren Rhythmus dieser Landschaft fühlt jedes empfängliche Herz. Oder ist der Blick von der weit berühmten Madenburg in die prangende Rheinebene mit dem rötlichen Dörferkranz und der veilchenblauen Wogenlinie des Schwarzwaldes und des Odenwaldes noch bezaubernder? Slevogt, der auf Neukastel bei Landau seinen Sitz hat, läßt den Teufel, der Jesus versuchen will, auf der Zinne der Madenburg erscheinen …….
Noch nicht genug! Reißt man sieh los von dem farbenflimmernden Teppich der Ebene und kehrt sich auf der Zinne der Madenburg um: ein Schrein entfährt dem Mund: ein zu abenteuerlicher Felsen, zu phantastischen Bergkegeln, zu einer Symphonie von roten, grünen und blauen Farben erstarrtes Meer breitet sich aus, in der Ferne vor dem bläulichen Bogen hoher Berge umspannt. Nach Osten ein lyrisches Gedicht von betörendem Schmelz und organischer Einheit von Himmel, Luft und Erde; navh Westen eine Ballade von funkelndem Reichtum und lächelnder Schwermut.
Wie vor 100 Jahren drei Landauer Graphiker den abseits vom Verkehr liegenden Wasgau in seiner romantischen Burgenherrlichkeit durch Steindrucke der Welt zeigen wollten, so heute die Maler, deren bedeutendste in Landau oder in den reizenden Weindörfern um Landau wohnen.
Immer ist ein Konzert heimatstolzer Sänger-, Mundartdichter und Weinverherrlicher in diesem Lande. Ja, dieses Volk der Vorderpfalz, keltisch-römisch gallische Spritzer im Blut, ist selber ein trunkener Sänger und Dichter, Genießer und Fabulierer: heiter und aufgeschlossen, freundlich und spöttisch. Der Sinn dieses Volkes ist auf das Praktische gerichtet, und vollsaftiges Leben ist seine schönste Philosophie. Gastlichkeit und Fleiß, rasches offenes Urteil und Gemüt sind ihm angeboren. Es ist tief und erfahren genug, um auch von der Rückseite glänzender Namen, Einrichtungen und aller Systeme menschlichen Geistes etwas zu wissen …. Der Leitspruch Franz von Sickingens ist mittelbare Zeichnung seines Wesens:
Allein Gott die Ehr!
Lieb‘ den gemeinen Nutz!
Schirm die Gerechtigkeit!
Viel Feind, viel Ehr!