US-Kriegsgefangener POW Nr 8 WG 50210 (09.05.1943 - 06.09.1947)
Erlebnisbericht
Als Kriegsgefangener im US-Gewahrsam
Von Gerd Winkelhausen, POW # 8WG50210, kriegsgefangen in Amerika und England vom 09.05.1943 bis 06.09.1947
Bericht über meine Gefangenschaft
Ich geriet beim Zusammenbruch in Nordafrika am 09.05.1943 auf der Halbinsel Cap Bon bei Tunis in Gefangenschaft von Kanadiern mit einem Jeep, der auf dem festen Dach ein Faß Sauerkraut stehen hatte. Engländer fuhren uns dann in LKW ins erste Lager Medjez el Bab, wo etwa 30 000 Mann, auch Offiziere, tagelang auf dem Boden hockten, von Stacheldrahtrollen umzäunt. Die Engländer waren auf die ca. 200 000 Deutsche und Italiener als Gefangene in kurzer Zeit nicht vorbereitet. So gab es kaum zu Essen und zu Trinken. Ende Mai war ich 4 Tage im Hungerlager Bone. Von dort wurden wir mit Frachtern auf den Eisenplatten der Frachträume liegend nach Oran transportiert. Die Schiffe schleppten am Heck zum Schutz gegen deutsche Fliegerangriffe Fesselballons hinterher, die jedoch meist mit der Nase im Wasser lagen.
Von Oran ging es, je 50 Mann in einem offenen Güterwagen, Richtung Süden bis zu dem Lager Chancy südlich der Fremdenlegionärsstadt Sidi bei Abbes. Unterwegs hielt der Zug öfters auf Bahnhöfen, wo wir die Araber mit unseren Trinkbechern um Wasser baten, was meist von Fremdenlegionären unterbunden wurde. Das Lager Chanzy wurde von den Amerikanern geführt. Auch hier lagen wir auf freiem Feld bis Mitte Juli. Es soll Fluchtversuche ins nahe und neutrale Marokko gegeben haben.
Dann ging es per LKW und Bahn wieder zurück nach Oran und wir wurden auf den Frachter „Durham Castle" verladen, der in einem Geleitzug durch die Straße von Gibraltar an der französischen Küste entlang nach Glasgow fuhr. Hier versuchten einige Deutsche über Bord zu springen, um ins neutrale Spanien zu gelangen. Vor Frankreich überflog ein deutscher Aufklärer den Geleitzug und wurde von den Amerikanern beschossen. Die Notdurft mußten wir auf sog. Donnerbalken, die außen an der Bordwand hingen, erledigen. Wir trafen ohne weitere Unterbrechungen in Glasgow an. Von dort fuhren wir mit der Bahn in das Lager Comrie. Bei der Bahnfahrt beobachteten wir, dass alle Stationsnamens-Schilder mit weißer Farbe unkenntlich gemacht worden waren und dass an Straßenkreuzungen häufig Panzersperren zu sehen waren. England hatte mit einer deutschen Invasion gerechnet. In Comrie erfolgten die ersten und einzigen Verhöre. Man suchte vor allem Fallschirmjäger und SS-Leute.
Am 24.8.43 kamen wir auf den Truppentransporter „Mary Posa" (ca. 25 000 BRT) als Beiladung zu amerikanischen und kanadischen Soldaten und Soldatinnen, die in Urlaub fuhren. Das Schiff fuhr alleine in 5 Tagen nach New York zu einer Zeit zu der deutsche U-Boote noch den Atlantik beherrschten. Es herrschte fürchterlicher Seegang, so dass mehr als 90% seekrank waren. Einen Tag vor Erreichen der US-Küste begleitete uns eine Maschine der US-Navy. Am Pier von New York wurden die Urlauber von einer Militärkapelle begrüßt, dabei wurde auch „Rosamunde" gespielt während wir von Deck aus auf unsere Ausladung warteten.
Im New Yorker Hafen wurden wir entlaust und gründlich ärztlich untersucht und geimpft. Beim Warten sprach uns ein deutsch sprechender US-Sergeant an und erkundigte sich in welchen Gegenden wir zu Hause wären. Als ich ihm Eisenach nannte fragte er ob ich ein Mädchen namens N. S. kennen würde. Ich erwiderte, dass sie eine Nachbarin von meinen Eltern sei. Auf meine Frage, woher er sie kenne antwortete er „die hab ich in Berlin poussiert". Bei dem Mädchen handelte es sich um eine Jüdin, die nach Kenntnis meiner Schwester 1943 in ein KZ verschwand.
Auf einer mehrtätigen Zugfahrt in Pullmann-Waggons wurden wir von New York nach Oklahoma gefahren. Zuerst ins Lager Tonkawa, wo aber kaum Einsatzmöglichkeiten für POW waren. So kam ich dann im Februar 44 ins Lager Camp Gruber, wo ich bis zur Verlagerung nach England im Mai 1946 blieb. Beim Marsch vom Bahnhof zum Camp Tonkawa im Herbst 1943 marschierten die US-Wachen mit Gewehr nicht nur neben und hinter uns, sondern einer lief rückwärts vor der ersten Reihe. So fürchteten sie die bösen Deutschen. Das geschah aber nur dieses Mal. Sehr bald erkannten die Amerikaner, dass die Deutschen Menschen wie sie waren und die Anzahl der Wachen bei Bewegung der POW ausserhalb des Camps wurde geringer.
Die Baracken glichen denen der US-Soldaten. Dünne Holzwände, Fensteröffnungen ohne Glasscheiben aber mit Fliegendraht verschlossen und hölzerne Fensterklappen für den Winter. Auf Feldbetten waren wir 30 Mann in einer Baracke. Es gab Sanitäreinrichtungen, Küchen, Speiseraum für jede Kompanie. Für einen Compound von 1000 Mann gab es eine Kantine, Kirche, Theater, Schul- und Bibliothek-Raum, Sportplatz. In der Kantine konnte mit den Bons von unserem Tageslohn von 80 Cent Rasiersachen, 7-UP, Wörterbücher kaufen und auch die New York Times abonnieren, was ich tat und so über den Kriegsverlauf im Bilde war. Im Theater, dass von POW gebaut worden war, wurden Schauspiele aufgeführt und wir konnten Hollywood-Filme sehen. Wir hatten auch eine Musikkapelle. Die Instrumente wie auch die Bücher in der Bibliothek kamen vom Roten Kreuz. Es gab auch einen Sanitätsraum. Im Schulraum gaben frühere Lehrer Unterricht in Englisch und anderen Fächern. Die US-Offiziere kamen gerne zu den deutschen Theater- und Musikaufführungen. Die Verpflegung entsprach der der US-Heimatarmee. Dies wurde erst nach Kriegsende in Deutschland geändert und stark reduziert. Dann mussten wir uns auch den ,Buchenwald-Film" ansehen und erfuhren erstmals von den Nazi-Gräueln.
Unser Lager war an einem US-Army Ausbildungs-Camp angeschlossen. Viele der POW arbeiteten im Ausbildungs-Camp. Andere waren in der Landwirtschaft und in einem Steinbruch tätig. Hart war der Einsatz bei der Baumwollernte. Hier mussten von den POW Gewichtsleistungen erbracht werden, die an der Leistung der schwarzen Pflücker orientiert waren. Da kamen die Pflücker manches Mal erst in der Nacht vom Feld ins Lager zurück. Ich hatte das Glück, in der ersten Zeit als Interpreter in einem Arbeitsteam im Ausbildungs-Camp eingesetzt zu werden. Die letzten Monate war ich Clerk im POW-Camp Quartiermaster-Office. Da war ich der einzige Deutsche unter 2 US-Offizieren und 2 US-Mastersergeants.
Nach Kriegsende in Japan diente das Ausbildungs-Camp als Entlassungslager. Viele POW wurden nun eingesetzt beim Suchen und Sichern von Blindgängern in dem jahrelang nur von Schlangen und Kaninchen bevölkerten Schießgelände für Panzer. Nach Mai 1945 setzte die Demokratie-Vermittlung ein. Es gab einen Camp-Radiosender geleitet von einem deutschsprechenden Leutnant. Über Lautsprecher konnten alle POW die Sendungen hören. Das POW-Camp Gruber bestand aus 3 Compounds mit je 1000 Mann. Nach Kriegsende wurden im mittleren Compound Nazis aus verschiedenen anderen Camps zusammengefaßt. Hier wurde in einem Femegerichts-Verfahren in der Nacht ein POW erschlagen, den man für einen Spion der Amerikaner hielt. Die 5 Haupträdelsführer wurden von einem US-Kriegsgericht zum Tode verurteilt und gehenkt. Es gab mehrere Fluchtversuche, die meist nach wenigen Tagen mit der Rückkehr ins Lager endeten. Die Farmer in der Umgebung waren durch Radio in Kenntnis gesetzt und waren mit Waffen bei der Feldarbeit. Meist trieb der Hunger die Geflüchteten zurück. Es gab auch einige Selbstmorde durch Schußverletzungen bei Versuchen, in Selbstmordabsicht den Stacheldraht zu überwinden. Zum Lager gehörte auch ein kleiner Friedhof auf der Höhe.
Im Mai 1946 fuhr ich auf dem Liberty-Schiff „Rensselear Victory" von New York nach Liverpool. Wir glaubten, von dort in die Heimat entlassen zu werden. Aber ich landete im Camp 140 am Rande der Stadt Warwick in einer Wellblechbaracke (sog. Nissenhütten). Hier arbeiteten wir zunächst beim Bau von Drainagen auf Feldern. Dann auf einer Farm, die zu einem der großen Herrenhäuser gehörte. Eines Tages erschien eine Engländerin nachmittags bei uns POW's und brachte Tee und Kuchen und dann wiederholt jeden Tag. Ich habe sie und ihren Mann 1952 besucht. Der Kontakt ging aber irgendwann zu Ende.
Vor Weihnachten 1946 bat die englische Regierung und das Königshaus die Engländer an die POW zu denken, die für die Bevölkerung arbeiten würde und schon viele Jahre von Daheim weg wäre. Man bat, POW in die englischen Familien zu Weihnachten einzuladen. Auf diese Weise kam ich mit 2 Kameraden aus der Baracke zu einer Familie in einer nahen Nachbarstadt (Leamington Spa). Aus dem Weihnachtsbesuch entstand ein Besuch zu jedem Sonntag. Die Familie bestand aus einer Witwe mit Sohn (Major a.D.) und Tochter (Lehrerin). Im Frühjahr 1947 lud uns der Sohn zu einer Fahrt nach London ein. An sich durften wir POW uns nur im Umkreis von 5 Meilen ums Lager frei bewegen. Als ehemaliger Offizier ging er also ein großes Risiko ein. Am Bahnhof zogen wir von ihm besorgte Zivilsachen an und fuhren mit dem Zug ins etwa 100 Meilen entfernte London. Dort machten wir einen Spaziergang bis zum Buckingham Palast. Dann gab es ein Essen in einem feinen Lokal und als Abschluss den Besuch in einem Musical-Theater. Hier standen Sänger in SS-Uniformen auf der Bühne. Offenbar wollte unser Freund sehen, wie wir darauf reagieren. Zum Zählappell waren wir wieder im Camp. Dann wurden wir noch einmal zu einer Regatta an der Themse eingeladen mit Picknick auf dem Rasen. Auch diese Familie besuchte ich 1952. Es stellte sich bei Gesprächen heraus, dass der Major Aufklärungsflieger der Royal Airforce war und sehr gute Kenntnisse des Ruhrgebietes hatte, aus dem einer von uns Dreien kam. Bei der Feldarbeit auf der Farm kamen wir auch in Kontakt mit Engländern, die in Coventry ausgebombt worden waren, sie zeigten sich uns gebenüber stets freundlich.
Am 21.8.1947 wurde ich in Munsterlager aus englischer Gefangenschaft entlassen. Dann war ich noch 10 Tage in Hermsdorf in einem Quarantänelager, um am 06.09.1947 nach 52 Monaten Gefangenschaft wieder zu Hause in Eisenach zu sein.
Ende des Artikels
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