Unser Schutzmann
Unser Schutzmann
Von Gerhard Krosien
Wenn früher in Schmelz an irgendeiner Ecke oder oberhalb eines Zaunes oder einer Hecke ein schwarzer, lackglänzender Helm auftauchte, tauchten wir Schmelzer Bowkes so schnell und unauffällig wie möglich irgendwo unter, wo es uns gerade am sichersten erschien. Das konnte ein Kartoffelacker, ein Kornfeld, ein Gebüsch, ein anderer Gartenzaun oder auch ein Hauseingang sein. Denn unter diesem schwarz lackglänzenden Helm steckte der von uns Bowkes allseits gefürchtete Polizist, der seine Runde durch Schmelz machte. Eine kleine ältere Person zwar, aber oho! Der schien alles zu wissen, was so in Schmelz passierte. Er tauchte für uns auch immer im unpassendsten Augenblick auf! Und hatten wir nicht immer irgend etwas ausgefressen - ob weiter zurückliegend oder ganz aktuell? Auf jeden Fall gaben wir dann vorsichtshalber Fersengeld - so schnell es ging.
Wenn er uns mal in flagranti erwischte, gab's den einen oder anderen Mutzkopf, eine Standpauke und die Androhung, es den Eltern zu melden. Das mit der Drohung war schlimm!
Kam man zum Beispiel mit dem Fahrrad um die Ecke gesaust, den Spielkameraden auf dem Gepäckträger, fuhr man hin und wieder fast den Polizisten um. Eine kräftige Hand packte den Lenker. Ein paar Mutzköpfe. Dann zischte es zweimal am Fahrrad. „So, nun geht man schön zu Fuß weiter, ihr Banausen. Die Ventile könnt ihr euch heute abend um 6 Uhr auf der Polizeiwache abholen. Aber bitte pünktlich!", war sein einziger Kommentar. Keine Anzeige, kein Strafzettel. Aber das saß! Wie die begossenen Pudel schlichen wir weiter und holten uns abends pünktlich die Ventile bei der genannten Dienststelle ab.
Gefährlich war es scheinbar, wenn unser Polizist in seiner ganzen Größe und Würde vor unserer Haustür erschien und längere Zeit mit Mutter sprach. Der hinterste Winkel des Hofs war gerade am geeignetsten, sich dort zu verstecken. War doch zum Beispiel gerade mein selbstgebastelter Drachen in die Telefonleitung nach Schönbusch geraten und hatte sich dort in den Drähten verwickelt. Nun hing er dort immer noch, vom Wind hin- und hergerissen. Sicherlich hatte das der Polizist bemerkt und auch gleich gewusst, wem das „Tatwerkzeug" gehört. Hätte er sich sonst so lange gerade mit Mutter unterhalten?
Nachdem er gegangen war, traute ich mich dann aus meinem Versteck hervor und beichtete Mutter mein Missgeschick. „Aber darum ging es doch soeben gar nicht. Der Schupo wollte doch bloß wissen, wer in Nummer 5 zugezogen ist", lachte sie nur. Mir fiel ein dicker Stein vom Herzen, diesmal so glimpflich davongekommen zu sein. Aber es hätte durchaus sein können ...
Ich finde, unser Stadtteilpolizist war ein echter Schutzmann der Schmelzer, ein Freund und Helfer für die Menschen seines Zuständigkeitsbereiches. Für uns Schmelzer Bowkes war er mit Sicherheit die beste Medizin gegen unser stets schlechtes Gewissen! Alle Erwachsenen waren traurig, als er seinen letzten Rundgang machte und in seinen wohlverdienten Ruhestand trat. Das sagten viele ihm auch. So mancher gab ihm ein kleines Abschiedsgeschenk. Für uns Bowkes schien es von Stund an einen argen Feind weniger zu geben. Aber wie sehr gerade wir uns in diesem Punkt getäuscht hatten, mussten wir schon recht bald erfahren.