Zeitbericht des Lehrers Hermann Koch aus Platjenwerbe
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Dokumentation zu Hermann Koch
Erster Lehrer an der Dorfschule zu Platjenwerbe von 1929 – 1945
Vorwort
Aus den persönlichen Aufzeichnungen von Hermann Koch, die wir im Jahre 2009 von seinen Kindern erhielten sowie aus weiterer Dokumentation, wird hier in Auszügen aus der Zeit seiner Tätigkeit in Platjenwerbe berichtet. Das hinzugefügte Bildmaterial ist überwiegend dem Nachlaß entnommen und dokumentiert zusätzlich anschaulich sein beeindruckendes Wirken.
Hermann Koch hat mit seinem organisatorischen Talent und mit und seiner musischen Begabung kulturelles Leben in die Dorfgemeinschaft gebracht. Sein Verdienst war der Aufbau von Instrumental-Musikgruppen, deren fröhliches Zusammenspiel deutlich in Bildern aufleuchtet. Er bildete auch den Chorgesang als Leiter des Männer-Gesangvereins „Arion“ zu hoher Perfektion aus. Das alles geschah außerhalb seiner normalen schulischen Tätigkeit. In seinem Schulunterricht war er stets bestrebt, den Schülern ein hohes Maß an Wissen zu vermitteln. Er soll streng aber gerecht gewesen sein, das sagen seine Schüler heute noch.
Eine möglichst einige Dorfgemeinschaft hatte er schaffen wollen, die dem Gemeinwohl aller verpflichtet sein sollte, ein Gedankengut, das auch seinem Wirken in der Volkswohlfahrt (NSV), der er seit 1934 angehörte, entsprach. Eines seiner hochgesteckten Ziele war dabei mit dem Bau eines „Dorfheimes“ in einer großen Anstrengung aller Gruppierungen im Dorf 1935 erreicht worden.
Seine Fähigkeiten und die Ergebnisse seiner weithin anerkannten Arbeit sowie seine derzeitige Einstellung zum herrschenden Regime, dokumentiert u.a. in seiner Mitgliedschaft in der NSDAP ab 1937, führten dann 1940 zu seiner Ernennung zum Ortsgruppenleiter. Er trat damit in das politische Führercorps der NSDAP ein, ohne Mitglied in der SA zu sein. In dieser Funktion hat er vielen Menschen im Dorf in schwieriger Zeit, aufgrund seiner Befugnisse und Beziehungen, helfen können, alltägliche Not zu lindern und Besitzstand zu wahren. Erzählt wird auch, daß Hermann Koch Wege fand, denunzierte Bewohner vor Bestrafung zu schützen. Wenn man ältere Menschen, die diese Zeit selbst miterlebt haben, heute befragt, so wird seinen Leistungen für dieses Dorf in schulischer, menschlicher und kultureller Hinsicht nur hohe Anerkennung gezollt. Diese besondere Verbundenheit zeigte sich auch in der dokumentierten Anteilnahme und Glückwünschung von nahezu allen älteren Dorfbewohnern anläßlich seiner Goldenen und Diamantenen Hochzeit. Besondere Ereignisse und Ausdruck großer Verbundenheit waren die späteren Treffen mit ehemaligen Schülern. Hermann Koch hat uns zahlreiche Gedichte und Erzählungen in plattdeutscher Mundart hinterlassen, die auch in der Schule gepflegt wurde.
Er selbst hat nie verstanden, weshalb er, nur wegen seiner Zugehörigkeit zum politischen Führercorps, drei Jahre Haft in diversen Internierungslagern verbringen mußte, um dann nach einem weiteren Jahr, nach Abschluß des zivilen Entnazifizierungsverfahrens, im Dezember 1948, völlig rehabilitiert (Kategorie V), wieder in den Schuldienst, nun in Schwanewede, zurückkehren zu können.
Die Internierungen in den britischen/amerikanischen Besatzungszonen erfolgten automatisch nach festgelegten „Arrestkategorien“. Es ging nicht um Einzelpersonen und ggf. deren persönliche Schuld, sondern um die Festsetzung von Personen, die eine bestimmte politische Funktion innegehabt hatten. Unter diesen automatischen Arrest fielen vor allem Angehörige der NSDAP, zunächst ab dem Rang eines Amtsleiters, später dem eines Ortsgruppenleiters aufwärts bis zum Gauleiter. Das politische Führercorps der NSDAP war neben anderen Organisationen vom Nürnberger Tribunal generell als verbrecherisch eingestuft worden.
Peter Branscheid - im September 2009
Aus Aufzeichnungen von Hermann Koch
1896 wurde Hermann Koch in Einste / Kreis Verden als viertes von fünf Kindern geboren. Seine Eltern, Dietrich Koch und seine Mutter Rebecka bewohnten dort ein durch Kauf erworbenes mit Reith gedecktes Niedersachsenhaus. Der Vater war viel beschäftigter Drechsler-meister, herrschte doch damals die Sitte, daß in der Aussteuer einer jeden Braut zwei Spinnräder, ein hohes zweiflüchtiges und ein niedriges einflüchtiges sowie ein Haspel, eine Winde, ein Wallholz und eine Elle nicht fehlen durften. In fast jedem Haus wurde zu der Zeit noch aus Flachs, der aus auf dem Felde angebauten Leinpflanzen gewonnen wurde, Garn gesponnen und aus diesem Garn Leinen gewebt für die Hemden, Handtücher und Tischdecken. „Wie oft mußten wir als Kinder mittels des niedrigen Spinnrades das Garn von der Winde auf kleine Spulen spulen, die dann in einem kleinen Schiffchen beim Weben von der Mutter hin und her geschleudert wurden. Der Webstuhl war in der Stube aufgebaut und während etwa 4-6 Wochen sah man meine Mutter jede freie Minute beim Weben.“
Mit seinem 6. Lebensjahr kam Hermann Koch in eine einklassige Schule, 2 km entfernt. Im Winter, wenn hoher Schnee lag und es nicht möglich war den Weg zurückzulegen, wurde bisweilen ein von Pferden gezogener Omnibus genutzt. Der Unterricht fand vormittags von 8-11 Uhr und nachmittags von 13-15 oder 16 Uhr statt. Später wurde im Heimatort Einste eine eigene Schule errichtet.
Bei Koch hatte sich in seinen letzten Schuljahren die Vorstellung erhärtet, Lehrer werden zu wollen, und auch die Eltern hatten bei entsprechender Eignung beschlossen, diesen Berufswunsch zu unterstützen. Eine solche Ausbildung kostete damals eine Summe von 5 000-6 000 RM.
1910 stellte sich Koch erfolgreich der Aufnahmeprüfung an der Präparande zu einem Vorbereitungslehrgang. 1913 bestand er die Aufnahmeprüfung am Königlichen Lehrerseminar in Verden und zog ins Internat. Man wohnte zu zehnt auf der Stube. In Musik wurde an drei Instrumenten ausgebildet: Klavier, Geige und Orgel, dazu sehr intensiv Musiklehre. Im Juni 1915 fand situationsbedingt – der I. Weltkrieg hatte begonnen – die Abschlußprüfung statt, die normalerweise zu Ostern 1916 vorgesehen war.
Im Herbst 1915 erfolgte die Einberufung zum Militärdienst, bei der Garde in Berlin. Bereits im Februar 1916 kam Hermann Koch an die Front nach Frankreich, wurde vier Wochen später bei Verdun verschüttet und verwundet. Nach der Heilung in verschiedenen Lazaretten, aber noch nicht „felddienstfähig“, kam er nach Rumänien zur Besetzung auf Ortskommandanturen. 1918,wieder felddienstfähig, fand die Verlegung abermals nach Frankreich statt. Er erlitt eine Gasvergiftung und kam ins Lazarett nach Rudolstadt in Thüringen.
Mit Ausbruch der Revolution, nach einigermaßen erfolgter Genesung, wurde Hermann Koch auf seinen Wunsch hin noch vor Weihnachten 1918 aus dem Militärdienst entlassen.
Erste Lehrtätigkeit in Hinnebeck
Am 3. Januar 1919 trat er eine von der Regierung in Stade erhaltene Lehrerstelle an der einklassigen Schule in Hinnebeck an. Bei zehn Bauern im Dorfe hatte er Reihetisch und lernte dort und bei Besuchen in anderen Familien schnell die Nöte und Sorgen der Bevölkerung kennen. Das Gehalt betrug 180 RM monatlich. Bei Aufenthalten in dem Schulhause seines späteren Schwiegervaters, lernte Hermann Koch schon früh dessen außerschulisches Wirken in seiner Gemeinde kennen. Der hatte einen Männergesangverein, einen gemischten Chor und einen Posaunenchor gegründet. Die Pflege des Gesanges und der Musik sowie die verschiedenen Veranstaltungen der Vereine brachten Abwechslung in das Alltagsleben der Dorfbewohner. Hier entstand bei Koch der Wunsch, auch einmal die Verwaltung einer einklassigen Schule übertragen zu bekommen, um ebenfalls in einem Dorfe alle gemeinschaftsbildenden Kräfte zu wecken, zu fördern und für die Lösung von Gemeinschaftsaufgaben mit einzusetzen. Diese Vorstellungen setzte er zielstrebig bereits in Hinnebeck um.
Die Zeit in Platjenwerbe
Im Herbst 1929 wurde Hermann Koch, nach zehn Jahren in Hinnebeck, durch die Regierung in Stade als 1. Lehrer und zugleich Schulleiter, nach Platjenwerbe versetzt. Die Familie Koch bezog mit ihren zwei Kindern die Lehrerwohnung, die sie bis 1945 bewohnte. „In Platjenwerbe, am Rande der Großstadt gelegen, erwartete uns eine aufgeschlossene und fortschrittliche Bevölkerung. Ich hatte mir vorgenommen, in derselben Weise wie in Hinnebeck für den Dorfgemeinschaftsgedanken zu werben, und zwar auch unter Einbeziehung der Schule. Im Orte gab es schon einen Männer-Gesangverein und einen Turnverein, von denen jeder seine Anhängerschaft hatte, die aber nicht miteinander, sondern z.T. gegeneinander arbeiteten.
Die erste von mir veranstaltete Feier war eine Weihnachtsfeier der Schule, bei der auch Mütter und Väter mit eingesetzt wurden. Uns war ein großer Erfolg beschieden. Kurz darauf wurde mir die Leitung des Männer-Gesangsvereins übertragen. Dadurch war mir die Möglichkeit gegeben, ihn auch für andere als nur für seine Veranstaltungen zu gewinnen. Ein Jahr danach erfolgte die Gründung eines plattdeutschen Theatervereins, der über verschiedene talentierte Kräfte verfügte. Für die größeren Schüler aus meiner Schule sowohl, als auch für diejenigen, die aus dem Dorfe die Mittelschule und das Gymnasium besuchten, gab ich an einem Nachmittag in der Woche einen besonderen Musikunterricht. Schüler und deren Eltern waren von dieser Einrichtung begeistert, und bald waren es 25-30 Musikfreunde, die auf Mandolinen, Mandolen und Lauten fleißig übten. Es entwickelte sich mit der Zeit ein Mandolinen und Lautenchor, wie er in keinem anderen Dorfe unseres Kreises vorhanden war. Um auch die jüngeren Schüler schon für die Musik zu begeistern, erweiterte ich den Gesangunterricht zu einem Musikunterricht. Mundharmonikas waren die Instrumente, die zu einem klangvollen Orchester zusammengestellt wurden, das später noch durch Handharmonikas erweitert wurde.“
Die Schule und die Vereine standen bald im Mittelpunkt des Dorfgemeinschaftslebens und waren damit Träger des kulturellen Lebens in der Gemeinde geworden.
Planung des Dorfgemeinschaftshauses
Bis jetzt war es so üblich gewesen, daß jeder Verein für sich allein seine Festlichkeiten durchführte und die Einnahmen natürlich auch für seine Zwecke verbrauchte. Es gelang mir, die Vereinsmitglieder nach und nach zu überzeugen, daß auch sie eine gewisse Verpflichtung hätten, durch die Gemeinschaft für die Gemeinschaft ideelle Werte zu schaffen. Ich schlug deshalb vor, in jedem Jahre unter Beteiligung aller Vereine, selbst auch der Feuerwehr und natürlich auch der Schule, einen großen Dorfgemeinschaftsabend zu veranstalten.
Der dadurch erzielte Ertrag sollte für eine der Allgemeinheit dienende Einrichtung Verwendung finden, so z.B. für die Schaffung einer Dorfbibliothek, für die Errichtung eines Dorfgemeinschaftshauses oder für die Herrichtung einer Badegelegenheit. Der erste Gemeinschaftsabend hatte einen nicht annähernd so erwarteten Erfolg. Der Überschuß wurde einem Konto für den Bau eines Dorfheimes zugeführt, das in der Folgezeit alljährlich mehr angefüllt wurde.
Aber es mußte fast wie ein unmögliches Unterfangen anmuten, in einer Zeit der großen Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Unsicherheit, sich überhaupt mit einem solchen Gedanken zu befassen, doch ich vertraute dem Idealismus unserer Jugend und dem Opfersinn der Bevölkerung. Es zeigte sich, daß ich mich nicht geirrt hatte. Auf einer ersten Versammlung, an der Vertreter sämtlicher Vereine sowie Vertreter der Gemeinde teilnahmen, wurde einstimmig beschlossen, sich für die Verwirklichung des gefaßten Planes gemeinsam einzusetzen. Es wurde mir der Vorsitz in dem gegründeten Bauausschuß übertragen.
Durch unsere Veranstaltungen suchten wir ständig das Interesse der Bevölkerung für unsere Pläne zu verstärken. Durch Spenden in Geld und Sachwerten unterstützte sie in der Folgezeit unser Vorhaben.
Weil der damit verbundene Turnraum ja auch der Schuljugend für die körperliche Ertüchtigung zur Verfügung stehen sollte, hatten wir auch die Regierung in Stade um Bereitstellung einiger Geldmittel gebeten. Ein Regierungsvertreter erklärte mir aber bei einem Besuch in Platjenwerbe, daß man trotz allen Wohlwollens leider nicht unserer Bitte entsprechen könne, da das Schulsystem zu klein sei. Unsere Schule umfaßte nur 2 Klassen, während erst bei 6 Klassen die Regierung helfen könne, und das auch nur, wenn Mittel vorhanden seien. Trotzdem gaben wir nicht auf.
Der zu errichtende Bau sollte zu einem Konzentrationspunkt für alle im Rahmen der Dorfgemeinschaft zu leistenden Arbeiten werden.
Auch die Feuerlöschgeräte sollten in einem Anbau untergebracht werden, und vor dem Gebäude waren zwei Feuerlöschzwecken dienende Zisternen vorgesehen.
Dafür gewährte die landschaftliche Brandkasse in Hannover ein kleineres unverzinsliches Darlehn und ein größeres zu einem geringen Zinsfuß. Auch wurde uns aus einer dem Sport dienenden Stiftung über den Turnverein ein größerer Betrag als Darlehn zur Verfügung gestellt.
Als sich dann die Möglichkeit bot, aus einer Konkursmasse die für den Bau benötigten Klinkersteine zu kaufen, ging es an die Arbeit, die aber infolge der schlechten Wirtschaftslage nur langsam voranging. Aus diesem Grunde konnten auch nicht alle Wünsche befriedigt und auch nicht alle vorgesehenen Einrichtungen ausgeführt werden. Es wurde ein Bauwerk auf Stottern. Aber als wir es 1935 seiner Bestimmung übergeben konnten, erfüllte uns ein gewisser Stolz. Es hatte sich gezeigt, daß, wo ein Wille ist, auch immer ein Weg zur Durchführung dieses Willens gefunden werden kann.
Wie bald füllte sich der tote Bau mit dem fröhlichen Leben der Jugend. Der Turnverein hatte für seine Mitglieder und die Schule für ihre Schüler einen Raum zum Turnen. Ein Raum im Anbau an der linken Seite, der später der Aufnahme einer zu schaffenden Dorfbibliothek dienen sollte, wurde von den Schülern für den Modellbau von Segelflugzeugen benutzt. Außerdem war er als Übungsraum für den sonst in einer Schulklasse übenden Mandolinen- und Lautenchor vorgesehen. In der Halle konnten mit dem Schulfilmapparat besondere Abende für die Unterhaltung und Fortbildung der heranwachsenden Jugend sowie für einen interessierten Kreis der Bevölkerung eingerichtet werden.
Da erst erkannte man so recht, wie notwendig es gewesen war, in Platjenwerbe dieses Gemeinschaftshaus zu bauen, das als erstes seiner Art nicht nur im Kreis Osterholz, sondern auch weit darüber hinaus gelten konnte.
Die Not der Bevölkerung war vor 1933 von Jahr zu Jahr größer geworden. In Deutschland gab es 7 Millionen Arbeitslose. Ein jeder fühlte, daß einmal etwas geschehen müsse, um die Not einzudämmen und nach Möglichkeit zu beenden.
Als dann 1933 die NSDAP die Macht übernahm, erhofften viele eine Änderung der Verhältnisse. Die Bevölkerung von Platjenwerbe stand der nationalsozialistischen Bewegung ziemlich gleichgültig gegenüber. Aktiv darin beteiligten sich nur wenige Personen. Nach der Machtübernahme wurden allerdings verschiedene Mitglieder der Partei. Ich lehnte ab, weil ich der Ansicht war, der Allgemeinheit ohne parteiliche Bindung am besten dienen zu können. (1937 wurde ich Mitglied)
Um die Not im deutschen Volk etwas zu lindern, wurde Ende 1934 das Winterhilfswerk gegründet, das in der Gemeinde mir übertragen wurde. Es war eine segensreiche Arbeit, die hier entfaltet wurde. Durch immer neue Mittel und Wege konnte den Mitmenschen in umfangreicher Weise geholfen werden. Nahrungsmittel, Kleidungsstücke, Wäsche, Feuerungsmaterial und gebasteltes Spielzeug für die Kinder konnten in gewissen Zeitabständen immer wieder zugeteilt werden. Es war eine Freude festzustellen, wie die Bevölkerung in ihrer Hilfsbereischaft wetteiferte und mit welchem Idealismus die Helfer ihre Arbeit, ohne einen Pfennig dafür zu bekommen, ausführten. Weit über 100 Personen wurden in der Gemeinde Platjenwerbe betreut, ohne Unterschied in der Person.“
Bald entstand auch die NSV (National Sozialistische Volkswohlfahrt) die Hermann Koch in der Gemeinde aufzubauen und einzurichten hatte. Mit „Kraft durch Freude“ (KdF) fuhren alljährlich viele Arbeiter zur Erholung und Entspannung in ihre Urlaubsorte an der See oder in den Bergen.
1937 trat Hermann Koch als Mitglied der NSDAP bei. 1940 wurde er zum Ortsgruppenleiter der neu gegründeten Ortsgruppe Ihlpohl, die die Gemeinden Platjenwerbe, Ihlpohl und Stendorf umfaßte, ernannt. Sein Bestreben war, eine Ortsgruppe aufzubauen, die in der sozialen Betreuung der Mitmenschen vorbildlich sein sollte.
Kriegsende
„Die amerikanischen Besatzungassoldaten machten, sicherlich auf Befehl, gleich in den ersten Tagen Jagd auf die politischen Leiter, in erster Linie auf Ortsgruppenleiter und auf zum Ortsgruppenstab gehörende Ortsgruppenamtsleiter. Vom Ortgruppenleiter aufwärts hatte man die politischen Leiter bereits zu Kriegsverbrechern gestempelt. Die Zellen- und Blockleiter sowie Angehörige der SA bist zum Sturmführer schienen ihnen nicht so gefährlich zu sein.“
Mitte 1945 wurde Hermann Koch von amerikanischen Offizieren im Schulhaus aufgesucht und befragt. Alle Papiere aus dem Ortsgruppenbüro hatte Koch ein paar Tage vorher auf dem Schulhof verbrannt. Als politischer Leiter wurde er festgenommen und in verschiedenen Lagern – Westertimke bei Tarmstedt, Fallingbostel, Lettow-Vorbeck-Schule in Bremen, Kasernen in Butzbach bei Frankfurt, Zeltlager in Darmstadt (1946: 30 000 Internierte), Sandborstel und noch einmal Fallingbostel, drei Jahre lang interniert. Die Dienstwohnung wurde noch einige Zeit von der Familie bewohnt, bevor die Kündigung erfolgte. Die Familie erhielt bis 1949 kein Geld mehr, mußte von Ersparnissen leben, die begrenzt, ratierlich von der Sparkasse abgehoben werden konnten.
Hermann Koch berichtet dankbar von Menschen, die helfend seine Familie bei der Räumung der gekündigten Dienstwohnung in seiner Abwesenheit unterstützten. Besonders erwähnt werden Heinz Sinasohn und Friedrich Töbe, der mit Pferd und Wagen den Hausrat zum Schutz vor Beschlagnahme und Demolierung zum Hause Sinasohn transportierte sowie auch weitere ehemalige Schüler, die seine Frau unterstützten. 28 Bürger von Platjenwerbe hatten bereits während der Inhaftierung ein von ihnen unterzeichnetes Schriftstück an die Engländer verfaßt, in dem Koch als Lehrer und in der Funktion als Ortsgruppenleiter geschildert wurde, der zum Wohle der Gemeinde gearbeitet hat. Hier wird u.a. ausgesagt:
„Seine ganze Arbeit galt der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und des frohen Lebenswillens der Bevölkerung, der Förderung eines harmonischen Zusammenlebens und einer gegenseitigen Achtung und Wertschätzung derselben sowie der Eindämmung der Landflucht unserer Jugend. Für jeden Einwohner, der bei Herrn Koch Rat und Hilfe suchte, fand er ohne Unterschied der politischen und religiösen Einstellung sowie der rassischen Abstammung jedes Einzelnen, Zeit und Unterstützen. Seine Haupttätigkeit war immer die Sorge um die Jugend und die Bevölkerung und später auch vornehmlich um die Angehörigen der Soldaten und Gefallenen sowie aller Notleidenden.“
Diese Schrift lag bei einem Verhör durch Engländer zwar vor, konnte aber letztlich nicht zu einer frühzeitigen Entlassung beitragen. Ein Teil der Bevölkerung hatte die Familie nach dem Krieg gemieden oder offen Abneigung gezeigt. Insbesondere direkt nach dem Kriegsende fürchteten sich Kochs in ihrer Wohnung im Schulhaus vor Gewalttaten.
Abschluß des Entnazifizierungsverfahrens
Wegen Mangels an Anklagepunkten, hatte im Spruchgerichtsverfahren 1948 in Stade der Staatsanwalt die Anklage zurückgezogen. Wegen der Zugehörigkeit zum politischen Leitercorps der NSDAP erfolgte ein Strafbescheid über 2000 RM, der mit der Internierung abgegolten war.
Die Spruchgerichte waren durch die Briten eingerichtet worden. Es handelte sich um ordentliche deutsche Gerichte, die den Strafbestand „Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation“ aburteilen sollten.
Hermann Koch verrichtete bis zum Ende seines danach von der Zivilverwaltung durchgeführten Entnazifizierungsverfahrens berufsfremde Arbeiten, um zum Unterhalt der Familie beitragen zu können. Der Antrag auf Wiedereinstellung als Lehrer erfolgte nach dem Bescheid, daß Koch ohne Beschränkung seinen Beruf wieder ausführen könne und als entlastet in die niedrigste Gruppe eingestuft sei. Zum 01.01.1949 wurde ihm eine Stelle an der damals 8-klassigen Schule in Schwanewede zugewiesen.
Aus Notizen zum Kriegsgeschehen
Die Bombenangriffe nahmen in den letzten Kriegsjahren sehr an Heftigkeit zu. Sie richteten sich nicht mehr nur gegen Fabriken und militärische Anlagen. Es verging fast kein Tag, an dem nicht Fliegeralarm gegeben wurde. Der Unterricht in den Schulen war dadurch sehr gehemmt, da bei Luftalarm die Kinder nach Hause geschickt werden mußten.
Es blieb nicht aus, daß bei den auf Bremen immer heftiger gewordenen Angriffen auch unser Ortsgruppengebiet oft in Mitleidenschaft gezogen wurde. Etwa 100 Sprengbomben fielen infolge zu frühen Abwurfes in das Gelände der Ortschaften Platjenwerbe, Ihlpohl und Stendorf. Menschenleben waren nicht zu beklagen, wohl aber eine Anzahl Kühe und Rinder auf den Weiden. Einige Häuser wurden durch Brandbomben arg beschädigt. Die Feuerwehr in Platjenwerbe mußte mehrmals in Tätigkeit treten, wurde bei Großbränden in Bremen eingesetzt sowie auch bei dem großen Angriff auf Hamburg. Bei einem dieser Einsätze kam Johann Bellmer aus Stendorf ums Leben.
Bewohner, deren Häuser in Trümmern lagen, die somit obdachlos waren, mußten in Nachbargebieten untergebracht werden. An einem Sonntagmorgen gegen 10 Uhr erhielt Hermann Koch von der Kreisleitung den Auftrag, in seinem Ortsgruppenbereich 400 Bombengeschädigte aus Bremen unterzubringen. Familien, die schon lange vorher von einer evtl. Aufnahme im Bedarfsfall Kenntnis erhalten hatten, wurden benachrichtigt. Die Frauenschaft übernahm die Vorbereitungen für die Betreuung. Große Körbe voll mit belegten Broten wurden gesammelt, und in Bellmers Saal wurde ein schmackhaftes Essen gekocht. Die Einwohner waren in jeder Weise hilfsbereit und entgegenkommend.
Die Engländer und Amerikaner hatten Bremen erreicht, wurden aber an der Lesum noch einmal aufgehalten. Während dieser Zeit stand Platjenwerbe unter einer heftigen Kanonade. Die Keller in den Häusern waren immer voll belegt, bei Tag und bei Nacht. Im Dorfe standen schwere Haubitzen, die in gewissen Zeiten ihre Plätze wechselten, damit der Feind sich nicht auf sie einschießen konnte. So explodierten überall Granaten. Tagsüber war zur Hauptsache das Gebiet um die Schule herum unter Beschuß genommen, weil in den Schulklassen vorübergehend die Organisation Todt (OT) ihr Lager eingerichtet hatte. Eine Granate explodierte in der Schumacherwerkstatt von Albert Kettenburg, eine andere riß an der hinteren Giebelwand von Bellmers Gasthaus ein großes Loch. Eines Tages war das Bombardement besonders heftig, eine lebhafte Bewegung der Lastwagen auf dem Schulhof war die Ursache dafür. Nur ab und zu konnte man den Schutzraum verlassen.
„Es war kurz vor Mittag, als ich (Hermann Koch) aus der Haustür schaute und an vielen Stellen Einschläge beobachten konnte. Unser Nachbar, der 72-jährige Hermann Köster, kam vom Schmied Friedrich Schrader und wollte nach Haus. Da die Granaten in immer kürzeren Abständen zu pfeifen begannen – ein sicheres Zeichen für den Einschlag in der Nähe – rief ich ihm zu, schnell ins Haus zu kommen. Doch er winkte ab und glaubte, die 250 m bis zu seinem Hause noch zurücklegen zu können. In diesem Augenblick, ich konnte noch gerade um die Ecke einer Innenwand springen, schlug eine Granate in unmittelbarer Nähe ein. Ein gewaltiges Krachen ließ uns alle aufschrecken. Als ich aus dem Keller , den ich noch erreicht hatte, empor stieg, sah ich, was geschehen war. Unser Schulhaus war voll von dickem Rauch, an den Flurschränken waren Löcher und gespaltene Holzteile, von Granatsplittern verursacht. Neben dem Schulhaus lag ein Birnbaum wie abgesägt am Boden und auf der Straße, direkt vor der Eingangstür zu unserer Wohnung war ein gewaltig großes Loch gerissen. Von unserem Nachbarn sah ich nichts. Bei näherer Umschau fand ich ein Portemonnaie und sah beim Öffnen einen Zettel darin mit dem Namen Hermann Köster. Ich ging hinüber zu seiner Frau und seinem Sohn und berichtete, was ich gesehen hatte. Mit seinem Sohn begab ich mich zurück und wir suchten die nähere Umgebung ab. Überall lagen Gliedmaße und andere Körperteile, die wir zusammensuchten und in eine Kiste legten. Am nächsten Tag brachten wir diese zum Lesumer Friedhof. Wegen des Beschusses konnten wir nicht die Straße von Platjenwerbe nach Lesum benutzen, sondern mußten über Ihlpohl fahren.
Die Schule wurde in den folgenden Tagen zu einem Durchgangslager für zurückgehende und versprengte Soldaten, die froh waren, wenn sie für einige Stunden auf einem Strohlager in den Klassen und in der Turnhalle ausruhen konnten.“
Amerikanische Truppen, darunter auch schwarze Formationen, besetzten Lesum und Platjenwerbe. Ein großer Teil der Soldaten wurde in der Flakkaserne (heute Friedehorst) einquartiert. In der Schule war zum Schutz der Bevölkerung vor Ausschreitungen von in der Landwirtschaft eingesetzten ausländischen Arbeitskräften vom Volkssturm ein Ordnungsdienst eingerichtet worden. Dennoch kam es zu mehreren Morden in Brundorf und an Arend Albrecht in Stendorf.
Leserbrief von Hermann Koch, Schwanewede
Platjenwerbe war keine politische "Insel"
Zum Bericht "Preis für Geschichtswerk", (Ausgabe vom 11. Dezember):
Der Berichterstatter über verschiedene von Herrn Kampeter (gemeint ist Herr Krumpeter) zusammengestellte geschichtliche Aufzeichnungen von den bis 1929 getrennt gewesenen Dörfern Platjenwerbe und Stubben schreibt in folgendem Absatz: Kürgen Kampeter stellt in seiner geschichtlichen Abhandlung im Hinblick auf die Zeit des Dritten Reiches fest: "Obwohl die Literatur über den Nationalsozialismus ganze Bibliotheken füllt, scheint diese Zeit an Platjenwerbe und Stubben vorbeigegangen zu sein. Offenbar lebte man hier auf einer Insel. Er kam im Zuge seiner Forschungen zu der Erkenntnis, daß "alle Unterlagen aus der Nazizeit wahrscheinlich schamhaft versteckt, beziehungsweise vernichtet worden sind."
Wer so etwas erzählt oder geschrieben hat, der hat diese Zeit nach 1930 mit geschlossenen Augen und tauben Ohren in Platjenwerbe verbracht, oder er ist Neubürger und hat kein Verständnis für das, was die alteingesessene Bevölkerung (das Dorf hatte mit dem früheren Stubben ca. 600 Einwohner) für das Wohl der Allgemeinheit getan hat. Wer das wissen will, kann es bei mir erfahren. Unterlagen sind in recher Fülle vorhanden, sie sind nur nicht von Herrn Kampeter erforscht.
Wenn Herr Kampeter über geschichtliche Ereignisse von Platjenwerbe/Stubben hätte schreiben wollen, besonders auch über den Zeitraum 1930 bis 1945, so hätte er die Informationen dafür von mir haben können, da ich zu einem großen Teil die Geschichte dafür mitgestaltet habe. 1929 bis 1945 Lehrer in Platjenwerbe mit zeitweise einem Hiflslehrer, 1931 Gründung einer unparteiischen Dorfgemeinschaft mit Schule, Feuerwehr und 4 Vereinen, Vorsitzender des Bauausschusses für den Bau eines Dorfgemeinschafthauses, 1935 Fertigstellung desselben in einer schweren Zeit, 7jährige Tätigkeit im Winterhilfswerbe bei über 100 Betreuungen, Pflege der Gemeinschaft und des Dorflebens, 1937 Eintritt in die NSDAP, 1940 Ortsgruppenleiter derneu entstandenen Ortsgruppe Ihlpohl, 1940 bis 1945 als solcher Unterbringung und Betreuung von Bremer Bombengeschädigten, Flüchtlingen und Verwundeten des Vegesacker Lazaretts. Ein NSV-Kindergarten hatte sein Heim mit im Dorgemeinschaftshaus bekommen, 1945 bis 1948 Internierungslager, Ende 1948 Entnazifizierung: "Der Betroffene wird für entlastet erklärt (Gr. 5)". Ein Zusatz lautet: Der Betroffene hat sich nach zahlreichen Bestätigungen immer hilfreich und menschlich benommen, er hat sein Fürsorge nd Freundschaft mit dem Halbjuden Sinasohn nicht unterbrochen, er hat auch auf kulturellem Gebiet viel geleistet, so daß berechtigte Aussicht auf eine erfolgreiche Arbeit in der Demokratie besteht."
Aus den vorstehend von mir gemachten Angaben zu meiner Person wird jeder Leser erkennen können, daß Platjenwerbe keine unberührbare Insel war, daß es aber ein solche für Herrn Kampeters (Krumpeters) Forschungen blieb, seine Feststellungen, daß alle Unterlagen aus der Nazizeit wahrscheinlich schamhaft versteckt, beziehungsweise vernichtet worden sind, waren einfacher und bequemer.
Bis 1940 gehörte Platjenwerbe parteipolitisch als Zelle zu der Ortsgruppe Lesum, bekam auch von dort seine Anweisungen, nicht mehr und nicht weniger als andere Dörfer in gleicher Größe auch. 1940 wurde es mit Ihlpohl und Stendorf eine selbständige Ortsgruppe Ihlpohl. Meiner Ansicht nach wurde in Platjenwerbe für das Wohl der Allgemeinheit, einschließlich Pflege der Gemeinschaft und des Dorflebens während des angeführten Zeitabschnittes mehr getan als in irgend einem anderen Ort gleicher Größe.
Hermann Koch, Schwanewede
Hermann Koch verstarb am 28.10.1986 in Holthorst.
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