Großherzogtum Hessen/Regierungsblatt 1887/088

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Großherzogtum Hessen/Regierungsblatt 1887
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Grossherzogtum Hessen Regierungsblatt 1887.djvu
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Nr. 17.



Gesetz,
die Unterbringung jugendlicher Uebelthäter und verwahrloster Kinder betreffend.

Vom 11. Juni 1887.



LUDWIG IV. von Gottes Gnaden Großherzog von Hessen und bei Rhein etc. etc.

      Wir haben Uns bewogen gefunden, mit Zustimmung Unserer getreuen Stände zu verordnen und verordnen hiermit, wie folgt:

Artikel 1.

      Wer nach Vollendung des sechsten und vor Vollendung des zwölften Lebensjahres eine strafbare Handlung begeht, kann von Obrigkeitswegen in eine geeignete Familie oder in eine Erziehungs- oder Besserungs-Anstalt untergebracht werden, wenn die Unterbringung mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der strafbaren Handlung, auf die Persönlichkeit des Kindes, der Eltern oder sonstigen Erzieher desselben und auf dessen übrige Lebensverhältnisse zur Verhütung weiterer sittlicher Verwahrlosung erforderlich ist.
      Dieselbe Maßregel kann von Obrigkeitswegen bei Kindern und jugendlichen Personen unter sechzehn Jahren getroffen werden:

       1) wenn ihnen von ihren Eltern in böslicher oder fahrlässiger Weise fortgesetzt die nöthige Nahrung oder Pflege entzogen wird, oder wenn sie fortgesetzt schweren Mißhandlungen von Seiten der Eltern oder eines Elterntheils ausgesetzt sind;
2) wenn Eltern in sonstiger Weise fortgesetzt böslich oder fahrlässig ihren Pflege- und Erziehungspflichten zuwiderhandeln oder dieselben verabsäumen;
3) wenn Kinder über sechs Jahre zwar noch keine strafbare Handlung begangen haben, aber doch bereits eine Verwahrlosung an den Tag legen, welche die erziehliche Einwirkung der Eltern oder anderer Erzieher und der Schule als unzureichend erscheinen läßt.

      In den Fällen unter 2 und 3 wird jedoch vorausgesetzt, daß mit Rücksicht auf die Persönlichkeit der Eltern und der Kinder, sowie nach Lage der sonstigen Verhältnisse der Familie die Fortdauer der elterlichen Pflege und Erziehung zum sittlichen Verderben der Kinder führen würde.

Artikel 2.

      Die Unterbringung in den Fällen des Artikels 1 erfolgt, nachdem die Vormundschaftsbehörde durch Beschluß den Eintritt der Voraussetzungen dieses Artikels unter Bezeichnung der für erwiesen erachteten Thatsachen festgestellt und die Unterbringung für zulässig erklärt hat.