Herforder Chronik (1910)/128

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Herforder Chronik (1910)
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Bast gespalten und in die einzelnen Fasern zerlegt, zugleich aber wurden die letzten noch eingeschlossenen Holzteilchen entfernt und die kurzen Fasern ausgeschieden. Letztere hießen Werg oder Hede, die eine besondere Verwendung erfuhren. Aus der Summe dieser Arbeiten, die auch bisweilen in anderer Folge vorgenommen wurden, ging der Rein flachs hervor, der wie Seide glänzte und sich auch durch seidenartige Feinheit und Weichheit auszeichnete. Der Reinflachs konnte nun gesponnen werden. Daß man sich dazu in uralten Tagen des einfachen Spinnrockens, d. i. des mit dem Spinnstoff umwundenen Stabes und der an dem gezupften Faden hängenden Spindel bediente, sei hier nur kurz erwähnt; es wird nirgend mehr so gehandhabt. Das bequemere, ebenfalls aussterbende Tretspinnrad hat die alte Weise überholt, und in noch viel höherem Maße haben das die sinnreich erdachten, mit Dampf getriebenen Spinnmaschinen in den Riesenspinnhäusern vollbracht. Es ist ja wahr, sie geben vielen fleißigen Händen Verdienst, aber ein gut Stück von dem das Landleben durchziehenden poetischen Hauch haben sie hinweggestreift. Selige Zukunftsträume spann ehemals das junge Mädchen mit in das Garn hinein, und mit welchem Stolz wies später die Hausfrau auf die Leinentruhe, welche das aus dem Fleiße ihrer Hände hervorgegangene Leinen barg.

„Lieb und Leben war der Lein.“

Mit dem Aufhören des Spinnens ist auch die Sitte der „Spinnstuben“, jener Vereinigung der Nachbarn zu gemeinsamem Spinnen, verschwunden. Wenn an den kurzen Wintertagen die häuslichen Besorgungen beendet waren und der Abend herniedersank, dann trugen Männlein und Weiblein ihre Spinnräder zu einem Nachbar, um dort im Dämmer dürftigster Beleuchtung bei Scherz und Sang ihr Teil zu spinnen. Das waren einst die Stätten, wo der Ältervater die von seinen Vorfahren ererbten Sagen grauester Vorzeit dem jüngeren Geschlecht überlieferte, wo die deutschen Märchen und Volkslieder von Mund zu Mund gingen, wahrend draußen das Geäst der Bäume unter dem Druck des winterlichen Sturmwindes sich ächzend bog.

So hoch stand bei den Alten die das Weben vorbereitende Spinnarbeit, daß man die Spindel zum Geschlechtssymbol erhob und nach ihr die weiblichen Seitenverwandten Spill- (d. i. Spindel-) mage, die männlichen dagegen Schwertmage nannte[1]. Wie Einhard, der Lebensbeschreiber Karls des Großen, berichtet, mußten des Königs Töchter Wollarbeiten, d. i. Tuchweberei, ausführen und Spinnrocken und Spindel fleißig handhaben; von Heinrichs I. Gemahlin Mathilde wissen wir, daß sie, die selbst einen hohen Grad von Vollkommenheit in den weiblichen Handfertigkeiten besaß, wozu auch das Spinnen und Weben gehörte, im Kloster zu Herford die edlen Sachsenjungfrauen in diesen Künsten unterrichtete und damit den Grund zu der nachmals im Sachsenlande so tief eingewurzelten

  1. Grimm, a. a. O. S. 470. Mage ist Verwandter, Magschaft = Verwandtschaft.