Ländliche Entwicklungen in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel von Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)
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Über den Autor
Klaus Kiehl wurde am 13.04.1949 in Hilten im Kreis Grafschaft Bentheim geboren. Nach einer kfm. Lehre, dem Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Politik und einem weiteren Studium im Hauptfach Soziologie und den Nebenfächer Volkswirtschaftslehre, Psychologie und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Hamburg arbeitete er dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Projektleiter und Dozent, darunter auch in Polen und Ungarn. Danach wurde er ab 1989 in verantwortungsvoller Position bei einem gemeinnützigen Bildungsträger tätig, dessen Aufgabe u.a. auch die Integration von Aussiedlern und Flüchtlingen ist. Während seiner Studienzeit war er mit seinen Eltern mehrere Male in Masuren, Litauen und im Oblast Kaliningrad in Tschernjachowsk (russisch Черняховск), deutsch Insterburg. Seine Kindheit und Jugend begleiteten sehr viele Erzählungen der Eltern und anderer Ostpreußen aus Verwandten- und Bekanntenkreisen. In den letzten Lebensjahren seiner Mutter hatte er intensiven Kontakt zu ihr und hörte wieder vieles aus deren Heimat. Sie machte den Vorschlag: Min Jungche, schriev mol wat op!
Wilschicken lag in Ostpreußen, in Preußisch-Litauen im Regierungsbezirk Gumbinnen, Landkreis Insterburg, Amtsbezirk Franzdorf, im Kirchspiel Aulowönen. Es lag ca. 22 km nördlich von Insterburg und ca. 3 km östlich von Aulenbach. Willschicken (1938 umbenannt in Wilkental) wurde zuerst etwa um 1785 als das Schatulldorf Wilpischen erwähnt. Die Eltern von Klaus Kiehl, Gerhard Kiehl und Hildegard Tuttlies sind dort Anfang des 20. Jahrhunderts großgeworden. Nach 1945 wurde das Dorf Willschicken aufgelassen.
Der vorliegende Text wurde von Klaus Kiehl 2023 aufgeschrieben. Ab dem 28.11.2023 funktioniert der Bearbeitungsmodus dieser Datei nicht mehr. Die Administratoren sind benachrichtigt.
Berichtigungen und Ergänzung sind unter der folgenden E-Mail Adresse herzlich willkommen:
klaus-kiehl(at)t-online.de
Zu Willschicken, den Tuttliesen und den Kiehls sind auch weitere Texte zu finden, und zwar unter dem Link:
Willschicken – GenWiki (genealogy.net)
Einleitung
Allgemein werden die 1.000 Jahre von 500 v. Chr. bis 1500 n. Chr. als Mittelalter bezeichnet, ab 1500 n. Chr. beginnt die Neuzeit. Zum Versuch die Lage der ländlichen Bewohner von Willschicken, Amtsbezirk Franzdorf, Kirchspiel Aulenbach, Landkreis Insterburg in Ostpreußen zu beschreiben, gibt es drei Vorbemerkungen.
Einordnung
Die ländliche Entwicklung in Ostpreußen führte zu einer sozialen Ungleichheit auf dem Lande. Diese These stammt von Hans-Ulrich Wehler. Hans-Ulrich Wehler (1931-2014) war ein einflussreicher deutscher Sozialhistoriker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für ihn waren Struktur und Entwicklung zentrale Begriffe. Nach ihm hing die wirtschaftliche Lage der Bauern etwa ab 1700 (in Ostpreußen) von den folgenden ersten vier Dimensionen ab. Dimensionen werden hier im Text als soziale, zeitliche und geografische Räume verstanden.
Diese "bäuerlichen" Dimensionen 1 - 4 wurden im vorliegenden Text um die allgemeine politische Entwicklung - die 5. Dimension - erweitert. Auch wurde die vor 1700 liegende Zeit bei der 1. Dimension, den Eigentumsverhältnissen mit einbezogen, da deren Geschichte teilweise auch langfristig prägende Auswirkungen auf die folgende ländliche Entwicklung in Ostpreußen hatte. Entsprechen sind die aufgeschriebenen Sachverhalte durch diese 5 Dimensionen im vorliegenden Text durch die internen Gliederungspunkte 3 - 7 nach diesen Kriterien gegliedert worden. Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1, 1700 - 1815
Die zur Textgliederung verwendeten 5 Dimensionen der Sozialstruktur der ländlichen Entwicklung in Ostpreußen sind folgende:
- Von dem Geschichtsverlauf der Größe und der Qualität des ländlichen Besitzes in Ostpreußen, Preußisch - Litauen und Willschicken mit Umgebung 1226 - 1945
- Von der Struktur (Natur) der Besitzrechte der Guts- und Grundherrschaft etwa 1700 - 1800 in Preußisch Litauen
- Von der Entwicklung der persönlichen Rechtsstellung nach der Bauernbefreiung 1807 - 1850 in Preußen
- Von den Krisenbewegungen der Agrarwirtschaft in der Neuzeit etwa seit 1800 in Ostpreußen
- Von der allgemeinen politischen Entwicklung 1871 - 2000 in Ostpreußen - unterteilt in Kaiserzeit, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Oblast Kaliningrad
Diese fünf Dimensionen sind zwar sozial miteinander verbunden, werden aber separat beschrieben und weiter in Einflussgrößen (Faktoren) und in Situationen unterteilt.
Nach einem längeren geschichtlichen Überblick über Struktur und Entwicklung der historischen Eigentumsverhältnisse auf dem Lande u.a. in und um Willschicken, folgen die Besitzrechte unter der Gutsherrschaft und die Rechtsstellung nach der Bauernbefreiung. Diese rechtlichen Bedingungen entschieden über Hofbesitz oder Landarbeiterschaft, über Dienste, Abgaben, Ortsgebundenheit und Vererbung, über die Nahrungslage und den Verdienst und über die Innovationsbereitschaft oder den Migrationszwang der ländlichen Bevölkerung. Einige dieser Faktoren waren reaktive, bei anderen war die wahrgenommenen Folgen widersprüchlich. So wurde z. B. die Bauernbefreiung als Befreiung oder Vertreibung bezeichnet, je nach der eigenen wirtschaftlichen Situation.
Die Konjunktur- und Krisenbewegungen der Agrarwirtschaft beschreiben in der Neuzeit die Einflussgrößen von Konjunktur, Verschuldung, Bevölkerung, deren räumliche Verteilung, des Ausbaues der Infrastruktur und der staatlicher Verwaltung seit etwa 1800. Sie waren häufig aktive Beschleuniger der negativen oder positiven Entwicklung auf dem Lande.
Die Entwicklungen und Struktur der neuzeitlichen allgemeinen politischen Herrschaft unterteilen sich in Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich und Oblast Kaliningrad. Die Entstehung dieser Einflussgrößen waren in der Regel Kriege.
Anhand dieser Dimensionen ist im vorliegenden Text versucht worden, die soziale Ungleichheit der ländliche Entwicklung in Ostpreußen, begleitet von aufgefundenen Beispielen aus Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostpr.) zu beschreiben. Dabei werden Lücken gerne in Kauf genommen.
Quellenlage
Der nachfolgenden Text benutzt als eine Quelle eine Vielzahl von mündlichen und schriftlichen Überlieferungen verschiedenster Personen hauptsächlich aus Ostpreußen. Leider sind 2023 - 78 Jahre nach Kriegsende - schon sehr viele dieser Personen verstorben. Daneben gibt es in manchen Familien aber noch einiges an erhaltener "grauer Literatur" wie amtliche Anschreiben, lokale Benachrichtigungen, persönliche Urkunden, Zeugnisse, Tagebücher, Aufzeichnungen, Notizen, Briefe, Karten, Zeichnungen, Gemälde und Fotos aus mehreren Nachlässen. Dazu gehören auch erinnerte Erzählungen. Hildegard und Gerhard Kiehl waren seit 1960 aktive Mitglieder der Heimatgruppe Insterburg in Hamburg. Hier wurden sehr rege Informationen aller Art ausgetauscht, es wurde auch viel "geschabbert". Gerhard Kiehl erhielt für seine Verwaltungsarbeit 1995 das „Ehrenzeichen“ dieser Heimatgruppe. Hildegard Kiehl präsentierte bis 2018 hier regelmäßig Vorab-Lesungen aus ihrem entstehenden Text "Willschicken", die auch im Insterburger-Brief veröffentlicht wurden. Darüber hinaus wurde eine Zeitlang das "Ostpreußen-Blatt" und der "Insterburger-Brief" bezogen. Dazu kam auch eine umfangreiche Ahnenforschung.
Siehe dazu im Willschicken-Text Kapitel "8.2.1 Familienstammbaum Tuttlies" die dort angeführten Quellen.
Einige dieser privaten Quellen konnten noch von Klaus Kiehl eingesehen und angehört werden. Diese Angaben konnten mit Hilfe von einer aus Zeitgründen sehr begrenzten Recherche in öffentlich zugänglichen Internetseiten aktuell ergänzt werden, wie z.B. in:
- GenWiki: https://wiki.genealogy.net/Hauptseite
- Verbund-Katalog der Martin-Opitz-Bibliothek, ein An-Institut der Ruhr-Universität-Bochum: https://katalog.martin-opitz-bibliothek.de/cgi-bin/voe/db/maske.pl?db=voe
- Bibliothek des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte des östlichen Europa, ein An-Institut der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg: https://www.bkge.de/BKGE/Bibliothek
- Forschungsmaterialien des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft: https://www.copernico.eu/de/sammlungen-und-bestaende/gesamtbestand-der-forschungsmaterialien-des-herder-instituts-fuer-historische-ostmitteleuropaforschung-institut-der-leibniz-gemeinschaft
Dazu kam eine kleine Anzahl vorliegender Heimatliteratur, die von Hildegard und Gerhard Kiehl in den 60iger und 70iger Jahren erworben wurde.
Diese zusätzlichen Informationen sollen dabei helfen Begriffe zu klären, Situationen zu erläutern und zeitliche Abläufe aufzuschreiben. Die Auswahl und Inhalte der Gliederungspunkte wurden von den erreichbaren Quellen, den erinnerten Erzählungen und den vorhandenen Einsichten begleitet. Manche Beschreibungen enthalten auch zeitliche Vor- und Rücksprünge, um so eine größere Zersplitterung der Texte zu vermeiden. Zusätzlich wurden auch einige Abbildungen aus dem Willschicken-Text kopiert.
Der so entstandene Text soll aber nicht nur Sachinformationen vermitteln. Er soll auch mithelfen, persönliche Hintergründen und Meinungen zu erfahren - von denen zu Hause oft gesprochen wurde. Er soll die 2023 noch vorhandenen und erreichbaren Erinnerungen der Tuttliesen und der Kiehls über Ostpreußen und Willschicken aufschreiben. Subjektive Wahrnehmungen und nachträgliche Erinnerungen schließen auch Fehler und Lücken mit ein. So z. B. das Erinnern an das Erinnerte.
Erinnerungen
Einige allgemeine Anmerkungen zum Erinnern:
- Erinnerung ist das gedankliche Wiedererleben früherer Erlebnisse und eigener Erfahrungen.
- Erinnerungen enthalten meist Bilder oder Szenen mit Landschaften, Tageszeiten und Gegenstände, mit Sprachen, Geräusche oder Temperaturen, auch Gerüche und Hautkontakte, vor allem aber Gefühle.
- Ereignisse, die sich aus verschiedenen Erinnerungen zusammensetzen und die man häufig und ähnlich erlebt hat, verschmelzen mit der Zeit und lassen sich dann oft nicht mehr als einzelne Erinnerung abrufen.
- Ein Kontrollprozess im Gehirn wählt aus, welche der aktuellen Wahrnehmungen überhaupt zum Kurzzeitgedächtnis und welche weiter zum Langzeitgedächtnis gelangen.
- Das Erlebnis ist ein Ereignis im Leben eines Menschen, das sich von seinem Alltag so sehr unterscheidet, dass es ihm im Langzeitgedächtnis bleibt.
- Als Erfahrung bezeichnet man die durch Wahrnehmung und Lernen langfristigen erworbenen Kenntnisse und Verhaltensweisen.
- Ein vergangenes Erlebnis, durch die eigene Erfahrung rückwirkend betrachtet, kann die aktuelle Erinnerung steuern.
- Entscheidend sind daher die subjektive Einordnung und Bewertung der Ereignisse, wie z. B. in der Heimat, während des Krieges, auf der Flucht und der Neuanfang.
- Positive Erinnerungen überwiegen im Normalfall im Langzeitgedächtnis.
- Negative Situationen werden vom Langzeitgedächtnis meistens nur begrenzt gespeichert und erinnert oder sie werden "verdrängt". Das gilt vor allem für extrem wahrgenommene Situationen.
- Erinnerungen stammen aus dem Langzeitgedächtnis, das bei Personen sehr unterschiedlich ist. Es nimmt in der Regel mit dem Alter ab, das Tempo ist aber unterschiedlich.
- Rückfragen, gelesene Texte, alte Fotos und erlebte Musik können helfen, sich an vergangene Erlebnisse zu erinnern.
- Werden Erinnerungen über Generationen hinweg nur mündlich weitergegeben, können sich die Inhalte verändern.
- Schriftlich aufbewahrte und öffentlich zugängliche Erinnerungen sind daher sinnvoller.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ged%C3%A4chtnis
VON DEM GESCHICHTESVERLAUF DER GRÖSSE UND DER QUALITÄT DES LÄNDLICHEN BESITZES IN OSTPREUSSEN
Diese Dimension enthält geschichtliche, geografische und klimatische Beschreibungen aus Ostpreußen, Preußisch - Litauen und Willschicken mit Umgebung von 1226 - 1945.
Einige Aspekte der ländlichen Geschichte von Ostpreußen, Preußisch-Litauen und Willschicken mit Umgebung
Das spätere Willschicken lag in Preußisch-Litauen - im Kreis Insterburg, im Kirchspiel Aulowönen. Preußisch-Litauen (im 20. Jahrhundert vereinzelt Deutsch-Litauen, litauisch: Mažoji Lietuva oder Prūsų Lietuva) bezeichnet den seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts neben Deutschen, Prußen und Kuren mehrheitlich von Litauern besiedelten Raum im Nordosten Preußens (heute in etwa die östliche Hälfte des Oblast Kaliningrad, weitgehend das Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirk Gumbinnen).
Es gab im Laufe der Zeit drei Namensänderungen vom Ort Wilkental :
- Wilpischen - erste Namensnennung um 1657
- Wilschicken - Schreibweise nach 1785
- Wilkental - Namensänderung am 16.07.1938
Zum Text-Verständnis dient dabei auch die langfristige landwirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Entwicklung in Ostpreußen seit 1226. Dabei steht das spätere Preußisch-Litauen besonders in Fokus. Oft läßt sich die ländliche Entwicklung von den allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen nur schwer voneinander trennen. In der Gesellschaft wurden aber politisch entschiedene Vorleistungen geschaffen, auf die die folgenden Generationen aufbauen konnten und die teilweise auch rechtlich noch lange Bestand hatten.
Allgemeine Sach-Informationen zu Willschicken und Umgebung werden aufgrund der erreichbaren Quellen in den verschiedenen Text-Kapiteln in unterschiedlicher Breite und Tiefe beschrieben. Weitere persönliche Erinnerungen und einige besondere Sachverhalte zu Willschicken – etwa seit 1900 - sind auch unter dem oben angeführten Link: Willschicken – GenWiki (genealogy.net) zu finden.
Aufgrund der vorgefundenen Daten konnten häufig nur Teile der verschiedenen Verwaltungsgliederung in Ostpreußen beschrieben werden. Näheres dazu siehe in den Kapiteln "3.3 Lage der Gemeinde Willschicken in Ostpreußen" und "6.6.1 Gebietsgliederung". Allerdings hatten sich im Laufe der Zeit aus politischen Gründen die Größe der Verwaltungsgebiete oft verändert.
Die politische Verwaltung von Ostpreußen läßt sich in sechs Zeitabschnitte gliedern:
- Ordensprovinz 1231 – 1525
- Herzogtum Preußen 1525 – 1701
- Königreich Preußen 1701 – 1772
- Provinz Ostpreußen 1772 - 1933
- Gau Ostpreußen 1933 - 1945
- russisches Oblast Kaliningrad und polnischen Woiwodschaft Ermland / Masuren seit 1945
Die verwaltungstechnischen Zeiträume gleichen teilweise denen der Dimensionen.
Einige der folgenden 30 Zeitpunkte zur Geschichte von Ostpreußen, Preußisch-Litauen und Willschicken mit Umgebung waren häufig Gegenstand von Erinnerungen und Diskussionen, auch im sozialen Umfeld der Familien der Kiehls und der Tuttliesen. Manchmal wurden sogar noch die unterschiedlichen Schwerpunkte im Schulunterricht der Betroffenen deutlich. "In der Schule habe wir aber gelernt, dass ...". Manchmal wurden auch noch alte Bücher hervorgekramt, die erstaunlicherweise die Flucht überstanden hatten. So das "Tägliches Hand-Buch in guten und bösen Tagen in Aufmunterungen, Gebeten und Gesängen, Sprüchen und Seufzer für Gesunde, für Betrübte, für Kranke, für Sterbende nebst Andachten von Johann Friedrich Strak, Evangelischer Prediger, 165. Auflage." Es war am 14. November 1902 ein Hochzeitsgeschenk an die Eltern von Hildegard Tuttlies und ist als Erstausgabe schon 1728 erschienen. Dieses Buch ist heute im Besitz von Klaus Kiehl.
Die unten genannten 30 Zeitpunkten und die folgenden Anmerkungen dazu sind subjektiv ausgewählt worden. Dabei wurde besonders auf die gefundenen Bezüge zu Willschicken und Umgebung Wert gelegt.
Ausgewählte Zeitpunkte zur ländlichen Geschichte von Ostpreußen, Preußisch-Litauen und Willschicken mit Umgebung
Nach der Übersicht folgen unterschiedlich lange Erläuterungen zu den einzelnen Punkten.
1. Ostpreußen und der Deutsche Orden 1226 - 1525
2. Beginn der Ostsiedlung im Nadrauer Gebiet ab 1226. Dort werden später die Willschicker siedeln.
3. Die Altstadt von Königsberg war der Hanse 1339 beigetreten
4. Die Festung namens Instierburg wurde 1336 errichtet
5. Im Gebiet des späteren Kirchspiel Aulowönen wurde ab 1531 die Türkensteuer erhoben
6. Die ersten Preußischen Herrscher und deren Einfluss auf die ländliche Entwicklung in Ostpreußen von 1525 - 1786
7. Die Gegend um Wilpischen wurde zuerst um 1657 als „Siedel Plaz by 2 Gehülfen“ erwähnt.
8. Der Tatareneinfall in Preußisch-Litauen erfolgte in den Jahren 1656/57.
9. Im Jahre 1678 wurde ein preußischer Waldwart in der Siedlung Wilpischen genannt.
10. Willschicken wurde 1709 von der Pest heimgesucht und die größte Zahl der Höfe werden verlassen und veröden.
11. Von ersten litauischen Neuansiedlern wurde 1713 in Uszupönen|Uszupöhnen einem Nachbarsort von Willschicken berichtet.
12. Das Umland von Wilpischen wurde 1721 vermessen.
13. Das 1735 gegründete Hauptamt „Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen“ bestand bis 1808.
14. In der Liste der Königl. Domänenamtsmänner in Preussisch-Littauen wurde Amtmann Chr. Theodor Praetorius 1735 für das Amt Lappönen aufgeführt.
15. 1735 wurde Klein Aulowönen als Koloniedorf von 11 eingewanderten Salzburger Kolonisten-Familien genannt.
16. Nach dem 1. Juli 1757 besetzte die Zarenarmee Ostpreußen und wurde von Friedrich II. (dem Großen) bis 1763 wieder vertrieben.
17. Mit der Friderizianischen Kolonisation von 1763 – 1775 wurden im Rahmen des Landesausbaues auch allgemeine Bauvorschriften festgelegt.
18. Im Jahre 1785 hatte sich Wilschicken zu einem Chatouldorf mit 15 Feuerstellen (Wohngebäuden) entwickelt.
19. Ein- und Ausfuhren in und von Königsberg 1797 - 1802
20. Ab 1806 kam es in Willschicken zur Zwangsabgabe von Lebensmitteln und Vieh an die durchziehende französische Armee.
21. Ausgangslage und Durchführung der Preußischen Reformen von 1807 bis 1815
22. Das Chatouldorf Willschicken hatte im Jahre 1815 aufgrund der Napoleonischen Kriege nur noch 4 Feuerstellen mit 85 Bewohnern.
23. Die Bevölkerung in Willschicken verdoppelt sich von 85 im Jahr 1823 auf 168 Einwohner im Jahr 1869.
24. Nach der Reichgründung schrumpften aber die Willschicker wieder langfristig von 164 im Jahre 1871 auf 122 gemeldete Einwohner im Jahre 1933.
25. Berta und Ferdinand Tuttlies heirateten 1904 in Willschicken.
26. Ferdinand Tuttlies nahm ab 1914 am 1. Weltkrieg teil.
26. Der verlorenen 1. Weltkrieg hatte für Deutschland und Ostpreußen ab 1919 u.a. sowohl finanzielle als auch räumliche Folgen.
28. Nach dem Ende der Weimarer Republik verkündet der Bürgermeister von Willschicken 1933: Willschicken soll nationalsozialistisch werden
29. Am 03. 06. 1938 erfolgte die Umbenennung der Gemeinden Willschicken in Wilkental
30. Von den 122 Einwohnern in Wilkental im Jahre 1939 kamen durch den 2. Weltkrieg und dessen Folgen 34 Menschen um, darunter 4 Mitglieder der Tuttliesen Familie.
Ostpreußen und der Deutsche Orden 1226 - 1525
In Westeuropa setzte durch verbesserte Lebensbedingungen ab Mitte des 10. Jahrhunderts ein Bevölkerungswachstums ein. Auch wurde das Klima in Europa für zwei Jahrhunderte wärmer. Auf der Fläche des Deutschen Reiches wuchs die Bevölkerung von geschätzten ca. 4 - 6 Mio. im Jahre 1056 auf 6 - 8 Mio. in 1190 und auf 12 - 14 Mio. in 1340. Die wachsende Bevölkerung suchte nach neuen Siedlungsgebieten.
Bei der Eroberung der Stammesgebiete der Prußen durch den Deutsch Orden ab 1230 wird häufig vom Mittelalter gesprochen. Das Mittelalter wird mit dem Jahrtausend von etwa 600 bis etwa 1450 gleichgesetzt. Es wird oft unterteilt in Frühmittelalter 600 – 1050, Hochmittelalter 1050 -1250 und das Spätmittelalter von 1250 – 1450. Daran schließt sich eine Übergangszeit von 1450 - 1500 an. Mit dem Begriff Neuzeit wird die sich an das Mittelalter anschließende und bis in die Gegenwart reichende geschichtliche Epoche bezeichnet.
Der „leere“ Osten Europas bot den Menschen im Westen neue Lebenschancen. Es entstand die Ostkolonisation, die hauptsächlich vom Deutsche Orden betrieben wurde. Heidnisches Land sollte christianisiert werden. Dazu sollten die Ländereien nach päpstlichen und kaiserlichen Vorstellungen entwickelt werden. Zunächst mußten aber die Heiden besiegt und missioniert werden. Dann wurden ab 1230 vom Deutschen Orden zur Sicherheit militärische Stützpunkte und später Burgen angelegt und in deren unmittelbarer Nähe Städte u.a. auch als Bistumssitze mit umliegenden Bistümern gegründet. Der größte Teil des Landes blieb allerdings im Ordensbesitz. Zur Ernährung der Bevölkerung wurden vom Orden riesige Wirtschaftshöfe angelegt und ländliche Flächen als Lehen vergeben, aufgesiedelt und mit Kolonisten besetzt. Der gegründete Ordensstaat erlebte von 1370-1410 eine Hochzeit. Häufig gab es durch Aufstände und Kriege Rückschläge in der Besiedelung. Nach der Niederlagen bei Tannenberg begann 1410 der Niedergang des Ordens in Ostpreußen.
Die ländliche Entwicklung kam um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Preußen wegen verschiedener krisenhafter Erscheinungen (Pestepidemien, Naturkatastrophen, politische Unruhen, Kriege) im Wesentlichen zum Stillstand. Die Bevölkerung in Ostpreußen schrumpfte von geschätzten 300.000 im Jahre 1340 auf geschätzte 200.000 Einwohner im Jahr 1460. Der Bevölkerungsrückgang äußerte sich in verlassenen Höfen und Dörfern, rückgängigem Getreideanbau und schrumpfender Ordenseinnahmen und sinkende privaten Erträgen.
Der Übertritt des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg zum evangelischen Glauben 1525 und die Umwandlung des nach dem ersten und zweiten Thorner Frieden (1411 und 1466) verbliebenen Ordenslandes in ein weltliches erbliches Herzogtum beendeten schließlich die Herrschaft des Deutschen Ordens in Ostpreußen.
Der Zeitraum von 1450 bis 1500 wird für Europa als Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit angesetzt. Diese Übergangszeit ist mit bedeutsamen Erfindungen, Entdeckungen und historischen Ereignissen verbunden, z. B. mit der Entdeckung Amerikas, der Erfindung des Buchdrucks, dem Beginn der Reformation und der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen. Die (ländliche) Reaktion von Ostpreußen auf diese europäischen Entwicklungen erfolgte zeitlich versetzt etwa 50 - 75 Jahre später.
Seit etwa 1220 versuchte der polnische Herzog Konrad von Masowien, die nördlich seiner Teilherzogtümer wohnenden Prußen zu unterwerfen und gewaltsam zu christianisieren. Die Prußen/Preussen schlugen jedoch zurück, und es entwickelte sich ein jahrelanger Krieg, in dessen Verlauf die Prußen das slawische Kulmerland verwüsteten und sogar den masowischen Bischofssitz Płock bedrohten.
Das ursprüngliche Siedlungsgebiet des baltischen Stammes der Prußen wurde im 13. Jahrhundert zum Kernland des Deutschordensstaates und erhielt die Reichsfürstenwürde. Preußen wurde im 16. Jahrhundert zum Herzogtum Preußen unter polnischer Lehenshoheit, das 1618 durch Erbschaft an die hohenzollerschen Kurfürsten von Brandenburg fiel. 1701 wurde aus dem Herzogtum wurde das „Königreich Preußen“.
Der Herzog Konrad von Masowien bat den Deutschen Orden um Hilfe. In der sogenannten Goldbulle von Rimini, eine Urkunde mit einem goldenen Sigel, autorisierte der Römische Kaiser, der Staufer Friedrich II. (1194 -1250) im Jahre 1226 den Deutschen Orden zum Eroberungskrieg gegen die Prußen. In der Urkunde wird das zu erobernde Land der Prußen als Gebiet der Prußen (confinia Prutenorum) und als prußische Gegend (patres Pruscie) bezeichnet. Dazu wurde der Hochmeister des Ordens in den Stand eines Reichsfürsten erhoben. Diese staatsrechtlich umstrittene Verbriefung bildete eine wesentliche Grundlage des späteren Ordensstaates. Erich Weise, ein Historiker und Archivar hat den Text der Goldbulle interpretiert. Daraus der deutsche Auszug:
1226 März, Rimini Kaiser Friedrich II. (1194-1250) erteilt als Inhaber des Heiliges Römischen Reiches (sacrum Romanum imperium) auf Bitte des Hochmeisters Hermann von Salza
1. diesem die Ermächtigung zum Angriff auf das Land der heidnischen Preußen,
2. indem er gleichzeitig dem Hochmeister und dem Deutschen Orden die Schenkung des Kulmerlandes durch Herzog Konrad von Masovien sowie alles Land bestätigt, das der Orden im Gebiet des Landes Preußen mit Gottes Zutun erwerben wird, und zwar um es in gleicher Weise zu besitzen wie auf Grund des im Deutschen Reiche bestehenden Bodenregals (Hoheitsrecht), unter Befreiung von aller Dienstleistung und Gelderhebung und unter Verleihung der Immunität.
3. Über die bereits im Bodenregal enthaltenen Regalien hinaus werden als weitere Hoheitsrechte genehmigt: Festsetzung von Messen, Niederlagen und Zöllen, Wochen- und gewöhnlichen Märkten, Münzrecht, Zinsgelder, Bestimmung von Handelswegen zu Wasser und zu Lande sowie Bergwerke aller Art.
4. Der Kaiser erteilt ferner das Recht, Richter und Vorsteher einzusetzen, die auch Polizeiaufsicht und -Gerichtsbarkeit ausüben sollen, und zwar über Neubekehrte sowohl wie über die in ihrem Aberglauben Verharrenden.
5. Hinzugefügt wird für den Hochmeister das Recht, gute Gebräuche und Gewohnheiten auf Tagfahrten und durch Landesordnungen festzusetzen, um so durch gute Sitten den Glauben der Neubekehrten zu stärken und den Frieden zu erhalten.
6. Die Pönformel gegen Obrigkeiten aller Art, wenn sie die Bestimmungen dieser Genehmigung und Bestätigung verletzen, setzt für Übertretungen eine Strafe von 100 oder 1000 Pfund Gold fest. (Die Sanctio oder Poenformel im Kontext von Urkunden des Mittelalters und der Frühen Neuzeit enthält die Androhung einer Strafe für den Fall einer Zuwiderhandlung gegen den festgelegten rechtssetzenden Inhalt einer Urkunde)
Quellen: Erich Weise in P. Klemens Wieser O. T. (Hrsg.): Acht Jahrhunderte Deutscher Orden in Einzeldarstellungen Erich Weise – Wikipedia
Das kirchliche Gegenstück dazu war die 1234 erlassene Bulle von Rieti, in der Papst Gregor IX. die gleichen Gebiete in das Eigentum des heiligen Petrus übernahm und sie dem Orden mit allen Rechten "zu ewigem Besitz" übertrug.
Der Deutsche Orden hatte aber als Sicherheit zunächst den Kaiser gebeten, ihm diese beiden Länder als Lehen zu übertragen. Allerdings erteilt der Kaiser dem Orden das Lehen nur für das Land Preußen, da das Kulmerland schon als Lehen vergeben war. Allerdings ist diese Aussage umstritten.
Quellen:
Hartmut Boockmann: Ostpreußen und Westpreußen
Gerard Labuda : Die Urkunden über die Anfänge des Deutschen Ordens im Kulmerland und in Preußen in den Jahren 1226-1243
Nachdem die Kreuzzüge endgültig ihr ursprüngliches Motiv, die Rückeroberung des Heiligen Landes verloren hatten, suchten örtlich Herrscher aus machpolitischen Gründen die Päpste zur Ausrufung von lokalen Kreuzzügen zu bewegen. Häufig spielte auch der dauerhafte übergeordnete Macht-Konflikt zwischen Kaiser und Paps eine hintergründige Rolle (Zweischwerterlehre). Einige Päpste ließen sich aber auf die Ausrufung von regionalen Kreuzzeugen ein, und zwar
• gegen Heiden (Wenden, Finnen, Balten, Prußen),
• gegen die Ostkirche (die Gebiete der Ostkirche waren aber nie offizielles Ziel eines Kreuzzugs),
• gegen Ketzer und Aufständische (Katharer; Stedinger; Hussiten),
• gegen Gegner des Papsttums (Gruppierung der Ghibellinen, der König Manfred von Sizilien und der König Peter III. von Aragón)
Der Deutsche Orden gliederte sich im 14. Jahrhundert in zwei Landesverbände beziehungsweise Ordenszweige: Preußen und Livland. Hinzu kam die unterschiedliche Herkunft beider Ordenszweige: Während in Preußen vorwiegend mittel- und westdeutsche Ordensherren regierten, rekrutierte sich das Korps des livländischen Ordenszweiges überwiegend aus norddeutschen und dänischen Rittern.
1230 begannen die Vorbereitungen für den erste Kreuzzug ins Pruzzenland, ein Jahr später wurde die Burg von Thorn erbaut. Jedes größere Stück Land, das erobert wurde, sollte mit einer Burg gesichert und mit Dörfer mit deutschen Siedlern besiedelt werden. Diese Siedler sollten das eroberte Land bestellen und es urbar machen, um die Ritterschaft zu versorgen. Es folgten die Bauten der Burgen 1232 Kulm und 1233 Marienwerder. Im selben Jahr als Marienwerder gegründet wurde, verlieh der Landesmeister Kulm und Thorn die Stadtrechte, die als Kulmer Recht das gesamte Ordensgebiet juristisch prägen sollten.
Hermann von Balk († 5. März 1239 in Würzburg) war ein Ordensritter und erster Landmeister des Deutschen Ordens in Prußen. Von 1219 bis 1230 war er Deutschmeister des Ordens und von 1230 bis zu seinem Tode 1239 Landmeister von Preuße. Dazu übte Balk in den Jahren 1237 und 1238 das Amt des Landmeisters in Livland aus. 1231 überschritt Landmeister Hermann von Balk mit sieben Ordensrittern und ungefähr 700 Mann die Weichsel. Er errichtete noch im selben Jahr im Kulmerland eine erste Burg, Thorn. Von hier aus begann der Deutsche Orden die schrittweise Eroberung des Territoriums nördlich der Weichsel. Die Unterwerfung des Siedlungsgebietes der Prußen ging einher mit Christianisierung und deutscher Besiedlung des Landes. Dieses Unterfangen beschäftigte den Orden mehr als 50 Jahre lang und wurde nach schweren Rückschlägen, wie verschiedenen Aufständen der Prußen, erst 1283 abgeschlossen. Die ursprünglich Zielsetzung der sogenannten Heidenmission, behielt der Orden auch nach der Missionierung Preußens bei.
1243 rief Papst Innozenz IV. zum Kreuzzug gegen die Prußen auf. Die Teilnahme von Adligen an einem Kreuzzug schien für sie der sichersten Weg in die ewige Seligkeit zu sein. Der geistliche Lohn des Kreuzzugs war ein vollständiger Ablass. Die Voraussetzung für den Ablass war die Beichte der Sünden und die Reue sowie eine materielle oder immaterielle Leistung für die Kirche, wie die Teilnahme am Kreuzzug.
Gerade zum Ende des Mittelalters zogen viele westeuropäische Adlige alljährlich nach Osten, um sich an den Kämpfen des Deutschen Ordens gegen die heidnischen Balten in Litauen und die Prußen in Preußen zu beteiligen. Diese sogenannten Preußenreisen waren knapp einhundert Jahre lang, von 1320 bis 1420 etwa, eine Institution adligen Lebens. Preußenfahrten, auch als Litauerreise bezeichnet, waren die wiederholten Kriegszüge von west- und mitteleuropäischen adeligen Kreuzfahrern als Unterstützung für den Deutschen Orden in seinen Auseinandersetzungen mit den Prußen und Litauern. Teilnehmer waren nicht nur Deutsche Reichsangehörige, sondern auch Franzosen, Engländer, Schotten, Spanier, Italiener und – in den 1380er Jahren – auch Polen
Folgende Mitglieder des europäischen Hochadels nahmen beispielsweise an den Preußenreisen teil, z.B.:
- Ottokar II. - König von Luxemburg-Böhmen, später Deutscher Kaiser. Gründer Königsbergs war der Deutsche Orden als Landesherr, der auf dem Hügel Twangste 1255 im Zuge eines Missionszugs gegen die Prußen eine Burg errichtete, die dem Kreuzfahrer und an dem Missionszug beteiligten Böhmenkönig Ottokar II. Přemysl gewidmet war
- Karl IV. – König von Böhmen später Deutsche Kaiser
- Ludwig - König von Ungarn und Kroatien
- Wilhelm IV . – Graf von Holland
- Albrecht III. – Erzherzog von Österreich
- Wilhelm Douglas – Schwiegersohn des Königs von Schottland
- Heinrich IV. – König von England
Lange vor der Gründung Königsbergs war Twangste oder Tuwangste (litauisch: Tvangstė, Tvanksta) der Name einer prußischen Burg nördlich der mittleren Pregelinsel. In ihrem Schutz lagen ein Fischerdorf Lipnick (das spätere Fischdorf) mit einem Ankerplatz und die Dörfer Tragheim und Sackheim, alle auf dem späteren Stadtgebiet, in der Mitte des heutigen Kaliningrads.
„Einen wichtigeren Dienst aber leistete Ottokar dem Orden durch Erbauung von Königsberg. Auf einer Anhöhe in einem Eichenwalde, der damals Tvangste hieß, wurde (vom Orden) auf einer von ihm bezeichneten Stelle diese Burg zur Bändigung der Samländer auf derjenigen Stelle erbaut, wo sich heutiges Tages die Stallungen vor dem Schlosse befinden. Die abgehauenen Eichen wurden, um der Faulniß zu widerstehen, an den Spitzen gebrannt, in die Erde gerammt, mit Planken benagelt, und im Innern dieser Verzaunung, die man damals Vestung nannte, eine Kirche, eine Wohnung für den Bischof und einige Domherrn, eine andere für die Ritter und die Besatzung nebst den erforderlichen Magazinen erbaut, in der Gegend der heutigen Schloßkirche aber noch eine Vorburg oder ein Aussenwerk angelegt. Gegen Osten wurde ein Graben gezogen, der Katzbach gedämmt und ein anderer Graben zur Treibung einer Mühle in derjenigen Gegend angelegt, die noch jetzt der Mühlenberg heißt. König Ottokar unterstützte den Orden, an dessen Spitze damals in Preußen der Landmeister Heinrich von Weida stand, nicht blos mit Geld während des Baues, sondern ließ auch einen großen Theil des mitgebrachten Heeres zur Besatzung des neuen Schlosses und zum Anbau der umliegenden Gegend zurück. Diese aber muß auch von den unterjochten Samländern bevölkert geblieben seyn, weil sich die alten Namen vieler Orte, die folglich unzerstört blieben, in der Nachbarschaft von Königsberg erhalten haben.“
Quelle: Ludwig von Baczko: Versuch einer Geschichte und Beschreibung von Königsberg, Königsberg 1804
Die ersten mittelalterlichen Mauerringe der späteren Stadt Königaberg wurden vom Ordensmarschall Henning Schindekopf zwischen 1355 und 1370 erbaut und umzogen jede der drei Städte Altstadt, Löbenicht und Kneiphof einzeln. In der Umgebung der Burg gründete man drei Siedlungen, die über einige Jahrhunderte selbständig blieben.
- Unmittelbar südlich der Burg entstand um 1270 die planmäßig und gitterförmig angelegte Altstadt. Sie war die Stadt der Kaufleute, damit die größte, reichste und tonangebende gegenüber dem Orden und bildete auch durch ihre Nähe zur Burg den politischen Schwerpunkt. Neben der Wallanlage gründeten Lübecker Kaufleute schon 1242 eine Kaufmannssiedlung. Dort kreuzte sich eine Route der Bernsteinstraße mit der kurischen und der litauischen Straße. Am 28. 2. 1286 erhielt sie vom Landmeister Konrad von Thierberg die Handfeste nach kulmischem Recht. Lokator und erster Schultheiß war Gerko.
- Östlich der Altstadt besiedelten an der Stelle eines alten Prußendorfes am Löbebach vornehmlich Ackerbürger, Mälzenbrauer und Handwerker die kleine Stadt Löbenicht, die am 20. oder 27.5.1300 ihre Gründungsurkunde – ebenfalls nach kulmischem Recht – vom Komtur von Königsberg, Berthold von Brühaven, erhielt. Der Name leitete sich ab vom Flüßchen Lebo, später Katzbach genannt. (Prekul)
- Auf einer Insel im Pregel, dem Vogtswerder südlich der Altstadt, überließ der Orden 1322 dem Bischof den östlichen Teil, wo sich nunmehr eine kleine geistliche Stadt mit dem Dom entwickelte, aber ohne Stadtrecht, den Kneiphof. Im westlichen Teil der Insel, wo seit Urgedenken die Händler den Fluss überquerten, etablierte sich mit einer Urkunde nach kulmischem Recht vom 6.4.1327 aus der Hand des Hochmeisters Werner von Orseln der Kneiphof mit dem Quartier der Fernkaufleute. Erster Schultheiß war Heinrich Bergau. Die Kaufleute sorgten für Wohlstand in der Gemeinde und der Dom der Diözese Samland war gleichzeitig Gemeindekirche des Kneiphofs. Im Laufe der Zeit bildete sich um die drei Siedlungskerne herum ein Kranz von Vororten, sogenannte Freiheiten, wie z. B. Tragheim, Roßgarten, Steindamm oder Sackheim.
Ein weitere Befestigungsgürtel wurde von 1626 bis 1634 erbaut, als Gustav Adolf in Pillau gelandet war und die Stadt bedrohte. Der Gürtel umgab Königsberg mit allen Freiheiten in weitem Umkreis von zwei Meilen, mit 32 Rondells und Ravelins, zwei Toren südlich und sieben Toren nördlich vom Pregel. Mit Ausnahme des Gumbinnischen Tores behielten die Tore ihre Namen bis zum Ende Königsbergs.
1724 wurden am 13. Juni die drei Städte Altstadt, Kneiphof und Löbenicht vom Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. zu Hauptstadt von Ostpreußen namens Königsberg vereint. 1724 wurde auch in Königsberg der berühmteste Sohn der Stadt, der Philosoph Immanuel Kant geboren. Kant hat in seinem Leben seine Heimatstadt nie dauerhaft verlassen. 1735 verfügte die vereinigte Stadt zusammen über 47.600 Einwohner. Im Jahre 1755 hatte Königsberg 76 Herbergen, 16 Armen- und Waisenhäuser, 20 Kirchen, 16 Lateinschulen, 5 Badstuben, 3 Schlachthäuser, 1370 Brunnen und 17 Turmuhren. Am 4. Juli 1946 erfolgte eine neue Namensgebung für Königsberg in Kaliningrad und Kaliningradskaja oblast („Kaliningrader Gebiet“).
Königsberg wird durch den Pregel und seine beiden Inseln geteilt. Die beiden Stadthälften waren 1701 durch je drei Brücken mit den Inseln verbunden, die untereinander durch eine weitere Brücke verbunden waren.
Bei Kneip-Abendenden im "Blutgericht" dachten sich Studenten der Albertus-Universität "interessante" Fragen aus. Eine Frage war, ob es einen Weg gibt, bei dem man alle sieben Brücken genau einmal überquert, und wenn, ob auch ein Rundweg möglich ist, bei dem man wieder zum Ausgangspunkt gelangt. Das "Blutgericht" in Königsberg war ein historisches Weinrestaurant, das in den Kellergewölben des Nordflügels vom Königsberger Schloss untergebracht war. Als das Salzburger Emigrationspatent von 1731 David Schindelmeißer zwang die Heimat zu verlassen, siedelte er sich als Salzburger Exulant in Königsberg an. Er gründete das Weinlokal "Blutgericht" im Schloss, das von den Königsbergern, den Studenten und von Besuchern der Stadt gern besucht wurde.
Leonhard Euler bewies 1736, dass ein solcher Weg bzw „Eulerscher Weg“ in Königsberg nicht möglich war, da zu allen vier Ufergebieten bzw. Inseln eine ungerade Zahl von Brücken führte. Es dürfen maximal zwei Ufer (Knoten) mit einer ungeraden Zahl von angeschlossenen Brücken (Kanten) geben. Diese zwei Ufer könnten Ausgangs- bzw. Endpunkt sein. Die restlichen Ufer müssten eine gerade Anzahl von Brücken haben, um sie wieder auf einem neuen verlassen zu können.
In den Jahren von etwa 1253 bis 1795 war Litauen ein Großfürstentum, ab 1569 als Polen-Litauen Teil einer Realunion. Die Realunion ist die völkerrechtliche Verbindung selbständiger Staaten durch ein gemeinsames Staatsoberhaupt. Mit Litauen im Südosten stieg ein Großfürstentum auf, gegen das der Orden aus ideologischen und territorialen Gründen in einen ständigen Krieg verwickelt wurde.
Die Litauerkriege des Deutschen Ordens dauerten von 1303 bis 1422 über ein Jahrhundert an. Da dieses östliche Großfürstentum die Taufe vehement ablehnte, galten die Litauer offiziell als Heiden. Die stete Betonung der Heidenmissionierung kaschierte nur unzureichend die territorialen Interessen des Ordens namentlich in Schamaiten (Niederlitauen) - eine Landbrücke von Preußen nach Litauen.
Ursachen waren zum einen kriegerische Konflikte im 13. Jahrhundert, die durch verheerende Plünderungszüge litauischer Scharen ausgelöst wurden, zum anderen weitreichende Expansionsbestrebungen des Ordens im Verlauf des 14. Jahrhunderts. Der politisch und militärisch erstarkte Ritterorden begründete ab der Mitte des 14. Jahrhunderts seine territorialen Ansprüche auf Niederlitauen damit, im Auftrag der Kurie die Christianisierung des heidnischen Litauens durchsetzen zu wollen. Wichtigstes Kriegsziel des Deutschen Ordens im Baltikum während des 14. Jahrhunderts war die Eroberung Niederlitauens. Damit wollte der Orden eine Landbrücke zwischen seinen beiden Kerngebieten Preußen und Livland gewinnen.
Durch andauernde Unterstützung adliger Preußenfahrer wurde der Krieg durch viele kleinere Feldzüge auch nach Litauen getragen. Die Großfürsten von Litauen gingen ihrerseits ebenso vor und stießen wiederholt auf preußisches und livländisches Gebiet vor.
Ein Höhepunkt der Kriege war die Schlacht bei Rudau im Jahre 1370. Nördlich von Königsberg besiegte ein Heer des Ordens unter Befehl des Hochmeisters Winrich von Kniprode und des Ordensmarschalls eine litauische Streitmacht.
Dessen ungeachtet konnte das weit nach Osten ausgedehnte Litauen niemals nachhaltig bezwungen werden. Als Ursache dieses erfolgreichen Widerstandes wird die zahlenmäßige Stärke der Litauer im Vergleich mit anderen vom Orden unterworfenen Ethnien wie den Prußen, Kuren und Esten, sowie deren effektive politische Organisation angesehen.
Nach der verlorenen Schlacht 1410 bei Tannenberg und dem Friedensschluss 1411 von Thorn musste der Deutsche Orden auf sämtliche Besitzansprüche in Litauen verzichten. Es war gleichzeitig der Zeitpunkt für den einsetzenden Niedergang des Ordens. Erst mit dem Frieden von Melnosee im Jahr 1422 endeten die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Orden und Litauen
Einen Höhepunkt erlebten die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts vorgenommenen Preußenfahrten insbesondere während der Regierungszeit des Hochmeisters Winrich von Kniprode in der sogenannten „Glanzzeit“ des Deutschordensstaates. Es entwickelte sich zu einer gesellschaftlichen Modeerscheinung innerhalb des europäischen Adels, zu „Reisen“ gegen die Ungläubigen aufzubrechen. Jeder Adlige reiste mit bewaffneter Begleitung, beim Hochadel konnte der Tross zwischen 500 bis 5.000 Ministeriale ausmachen. Die adligen Preußenfahrer mussten ihre Reiseaufwendungen, einschließlich ihres Trosses, selbst tragen. Herzog Heinrich von Breslau kam mit 3.000 Kämpfern, Konrad von Masowien mit 4.000, sein Sohn Casimir von Kujawien mit 2.000, Herzog Wladislaus Odonicz und Erzbischof Fulco von Gnesen mit 2.200, die Brüder Swantopolk und Sambor von Pommerellen mit 5.000 und der Burggraf von Magdeburg stellte sich mit 4.000 Streitern zur Verfügung.
Ein Ministeriale oder Dienstmann war ein im Dienst des Hochadels stehender Beamter. Die Ministerialen waren zunächst auf lokaler Ebene und ab dem 11. Jahrhundert als Soldaten und unfreie Verwalter für Königsgüter und Klöster unter anderem auch für den Deutschen Orden tätig. Andere Ministeriale wanderten in die der Städte ab und wurden dort zur Führungsschichten (Patriziat). Patrizier waren zwar Kaufleute, aber sie widmeten sich – im Gegensatz zu denjenigen, die „nach Elle, Pfund und Lot“ („Kramhandel“) verkauften – ausschließlich dem Groß- und Fernhandel. Neben der kaufmännischen Grundlage war ein wichtiger Bestandteil in den Lebensformen des Patriziat der Lehnsbesitz und Herrschaftsrechte im Umland der Städte. Sie dominierten in den Hafenstädten Königsberg, Elbing und Danzig im Rahmen der Hanse. Das 14. und das 16. Jahrhundert war eine Zeit der wirtschaftlicher Konjunktur, die sich vor allem im starken Anstieg der Getreidepreise in Ostpreußen äußerte. Im 13. Jahrhundert wurden die Ministeriale für den Hoch-Adel eine unverzichtbare Stütze. Es bildetet sich aus Teilen dieser ursprünglich unfreien Schicht der Stand des niederen Adels heraus.
Die Preußenfahrten der Westeuropäer und Reichsbewohner starteten auf dem Landwege in der Regel in Köln und hatten zunächst Danzig oder Thorn als Ziel. Der Weg führte dann weiter zur Marienburg, wo man gewöhnlich dem Hochmeister seine Aufwartung machte. Von dort ging es dann weiter über Elbing und Braunsberg nach Königsberg, wo auf den Einsatzbefehl gewartet wurde. Lübeck war der Ausreisehafen für die Seefahrt nach Danzig und Königsberg. Die „Königsberger Saison“ war ein fester Termin im Veranstaltungskalender der europäischen Ritterschaft. Vor und nach den kriegerischen Auseinandersetzungen fanden für die adligen Teilnehmer Empfänge auf der Marienburg durch den Hochmeister und große Abschiedsfeste in Königsberg statt. Über 80 „kleine Kreuzzüge“ führte der Deutsche Orden zwischen 1305 und 1409 durch. Dabei spielte die Witterungsverhältnisse eine große Rolle. Bei passendem Wetter starteten diese bis zu viermal pro Jahre, jeweils von Königsberg aus.
Zuerst waren es Baureisen, die der Errichtung von kleinen Militär-Stützpunkte (feste Häuser) zunächst im näheren, dann im weiteren Umland dienten. Diese bestanden aus einfache Holzbauten oder Hütten, in einem davon wurden die Gottesdienste abgehalte. Dieser dient, wie später auch, auch als Schlafsaal. Die Anlage wurde mit Palisadenwänden und durch Wälle und Gräben verschanzt.
Die Vorratshaltung für Menschen und Pferde war aber in diesen Stützpunkten sehr begrenzt. Einige von ihnen wurden im Winter regelmäßig verlassen. Nach und nach wurde das Umland der Militär-Stützpunkte zur Lebensmittelversorgung besiedelt. Einige Militär-Stützpunkte entwickelten sich zu Dörfern nach Kulmischen Recht. Die besiegten Prußen passten sich den neuen Herrschern an. Das Gebiet Nadrauen um Insterburg herum wurde erst 1487 wirtschaftlich „germanisiert“, d.h. die deutsche Sprache der landwirtschaftlichen Besitzer überwog.
Der Orden verlegte sich nach der Stützpunkterrichtung auf Streifzüge ins Landesinnere. Die Expansion des Deutschen Ordens erfolgte zunächst entlang den Hauptverkehrswegen des 13. Jahrhunderts, den schiffbaren Flussläufen, wie der Memel, dem Pregel und der Weichsel, wodurch die erforderliche Versorgung der Kämpfer im Sommer über getreidelte Kähne gesichert werden konnte.
Eine Backsteinrelief in der Ordensburg Marienburg zeigt die Darstellung der Kämpfe des Ordens aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.
Anders sah es bei den rein ländlichen Vorstößen aus. Hier waren es im Grunde nur zeitlich eng begrenzte Plünderungen und Brandschatzungen des „Heidenlandes“ von maximal 4 Wochen, da dann die mitgeführten Vorräte aufgebraucht waren. Täglich wurden 2,5 kg Nahrungsmittel für jeden Soldaten und an Futtermittel 10 kg für ein Pferd (5 kg davon Getreide) benötigt. Der jagdbare Wildbestand reichte im unbesiedelten Land zu langfristiger Ernährung der Krieger nicht aus. Auch gab es keine benutzbaren Wege. siehe auch dazu: Agnes Miegel: Die Fahrt der sieben Ordensritter
Teile der Grenzregion des Landes, des späteren Regierungsbezirkes Gumbinnen, bestanden aus der Großen Wildnis, die fast undurchdringlich waren. Da aufgrund fehlender Wege der Transport von höherwertige Baumaterialien unmögliche waren, war hier an die Anlage von Burgen, die auch umfangreiche Vorräten hätten lagern können, zunächst nicht zu denken.
An der gesamten Süd- und Ostgrenze des Ordensgebietes - der etwa 250 km langen und ungefähr 45 km breiten Wildnis - befand sich ein fast menschenleeres Gebiet. Die Siedlungen Ragnit, Lyck und Johannisburg bildete eine Ausnahme.
Ragnit war eine ursprüngliche prußische Siedlung beschützt von einer Holzfestung. Sie konnte, begünstigt durch die Versorgung mit Memel-Schiffen vom Orden 1289 endgültig erobert mit Hilfe einer neu erbautem Holz-Burg befestigt werden. Der Orden erbaute von 1397 bis 1409 westlich der alten Burganlage eine neue Burg „Ragnit“ ganz aus Backsteinen.
Das Ordenshaus Burg Lyck wurde 1398 durch den Komtur zu Balga Ulrich von Jungingen angelegt. Es war aber nur schwer erreichbar und wurde später von Ordensleuten umgebaut und erweitert, damit der Speicherplatz für Lebensmittel vergrößert werden konnte.
Ausgangspunkt der Entwicklung von Johannisburg war eine Befestigungsanlage des Deutschen Ordens, die dessen Hochmeister Heinrich Dusemer 1345 am Abfluss des Pischflusses aus dem Warschausee zum Schutz des Flussübergangs und zur Verteidigung gegen die benachbarten Litauer anlegen ließ. Diese griffen in den Jahren 1361 und 1366 die Feste an und eroberten sie bei ihrem zweiten Ansturm. Die hölzernen Anlagen wurden in Brand gesteckt und die Besatzung vertrieben. Nachdem sich die Litauer aus der Gegend wieder zurückgezogen hatten, wurden die eingeäscherte Feste durch eine steinerne Burg ersetzt, die 1378 fertiggestellt war.
In der Zeit des Deutschen Ordens wurde der Wald der Großen Wildnis aus Sicherheitsgründen aber kaum gerodet und bildete so in einer Linie mit den Masurischen Seen und der Rominter Heide eine natürliche Barriere gegen Polen und Litauen in den Litauerkriege des Deutschen Ordens. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war das auch Johannisburger Wildnis genannte Gebiet noch 100 Kilometer lang und 40 Kilometer breit.
Der Text des Ostpreußenliedes (Land der dunklen Wälder und kristall’nen Seen) geht auf diese Landschaft zurück.
Das Beutegut der ländlichen Vorstößen des Ordens wurde unter den adligen Mitkämpfern großzügig aufgeteilt. Sie wurden durch Übereignung von Beuteanteile und Teilen von Erlösen aus dem Verkauf eingebrachter Gefangener beteiligt, wobei der Umfang vom sozialen Status des jeweiligen Gefangenen abhing. In seiner Frühzeit rekrutierte sich der Orden vorwiegend aus dem niederen Adel. Ein wichtiger Rekrutierungs-Faktoren waren der Überschuss an nicht erbberechtigtem Nachwuchs des deutschen Adels. Der niedere Adel erhoffte sich durch die Preußenfahrten eine neue wirtschaftliche Zukunft in Preußen.
Beim Landesverbleib der Rekrutierten in Preußen gehörige zur Bezahlung für ihre militärischen Dienste die Lehensvergabe von Ländereien an die zukünftigen Ritter-Gutsherren in Ostpreußen. Das erklärt unter anderem den hohen Anteil des niederen Adels im Gefolge des Hochadels bei den Unternehmungen in Preußen. Auf die Eroberung folgte die Besiedlung. Ein Teil der bisherigen Ordensritter wurde zu Verwaltern und später zu Landbesitzern.
Dazu kam noch die nicht zu unterschätzende Reputation, vor Standesgenossen als „Heidenreisender“ einen besonderen Status zu erlangen. Er bot nachgeborenen Söhnen Aufstiegschancen und den Geschlechtern, aus denen sie stammten, gehobenes Ansehen. Dieser soziale Aufstieg widersprach den ursprünglichen Ordensregeln. In der europäischen Adelswelt galt als hohe Ehre, „im Angesicht der Heiden“ den Ritterschlag durch einen Großgebietiger (Hochmeister, Großkomtur, Ordensmarschall, Trapier oder Spittler) des Deutschen Ordens zu erhalten. Allerdings bedeutete der Ritterschlag nicht immer die tatsächliche Standeserhebung, oft kam er eher einer Ordensverleihung gleich.
Wilhelm von Modena (1184 – 1251) war 1220 – 1222 Vizekanzler der päpstlichen Verwaltung und von 1222 – 1234 Bischof von Modena. Bereits 1224 hat ihn der Papst zu seinem Legaten für Livland ernannt, am 18. Juli 1229 wurde er Legat in Dänemark, Schweden und Preußen. Der (päpstliche oder apostolische) Legat vertritt als Botschafter des Heiligen Stuhls die Autorität des Papstes und handelt in seinem Namen. Sein Tätigkeitsbereich umfasste später das Baltikum, Preußen, Polen und Pommern. Im Jahre 1236 begann er mit Verhandlungen über die Errichtung von Bistümern zwischen der unteren Weichsel und der unteren Memel. Diese Verhandlungen führten 1243 zur Bildung der Diözesen Ermland, Kulm, Pomesanien und Samland, die 1245/1246 zum Erzbistum Preußen zusammengefasst wurden. Wilhelm von Modena legte die Grenzen der vier Bistümer fest, die Papst Innozenz IV. am 8. Dezember 1243 bestätigte.
Preußen hatte von 1309 bis 1466 insgesamt eine Fläche von 61.100 km². Davon gehörte Zweidrittel des Landes dem Orden, ein Drittel der Ländereien wurden Bischoffsland. Vom Bischoffsland wurde jeweils ein weiteres Drittel an das Domkapitel abgegeben. Der Orden war aber der größte Grundherr in Preußen. Es wurden zunächst folgende Bistümer eingerichtet:
• Kulm (Löbau - Bischofsitz, Kulmsee - Kapitelsitz),
• Pomesanien (Riesenburg - Bischofsitz, Marienwerder - Kapitelsitz)
• Ermland (Heilsberg - Bischofsitz, Frauenburg - Kapitelsitz)
• Samland (Fischhausen - Bischofsitz, Georgsburg/Neuhausen - Kapitelsitze)
Die vier Bistümer gehörten zwar zur Kirchenprovinz Riga, dem Orden gelang es aber die Domkapitel von Kulmsee, Marienwerder und Königsberg jeweils als Gruppen aufzunehmen. Diese Domherren gehörten dem Orden als Priesterbrüder an und unterstanden dem Hochmeister. Allerdings war in Ostpreußen auch der erste Stand der Kirchlicher Würdenträger (Prälaten), die direkt vom Papst ernannt wurden in der Unterzahl. Von den vier Bischöfen wurden drei auf Vorschlag des Ordens eingesetzt - es waren in der Regel Ordensbrüder. Manchmal entschieden die Päpste auch gegen die Ordensvorschläge. Die einsetzten Bischofe schlugen sich aber auch nicht immer auf die Ordensseite, sondern verfolgten häufig auch Eigeninteressen der Bistümer. Die Inkorporation des ermländische Kapitel gelang dem Orden nicht. Das Ermland behauptete eine beträchtliche Unabhängigkeit, die sich bis 1945 auswirkte, weil die Bevölkerung überwiegend katholisch blieb oder durch die Gegenreformation zum Katholizismus zurückgeführt wurde.
Preußen hatte zu jener Zeit neun politischen Zentren. Neben dem Sitz des Ordensmeisters, seit 1309 die Marienburg, gab es die acht Hauptburgen der Bischöfe und Domkapitel.
Innerhalb des Ordens gab es zunächst drei, später nur noch zwei Landmeister. Für Deutschland fungierte der Deutschmeister sowie ein Landmeister in Livland. Das Amt des Landmeisters von Preußen wurde 1309 infolge der Verlegung des Hauptsitzes nach Preußen durch den Hochmeister abgelöst.
Der Deutsche Orden errichtete in Preußen eine geistliche begründete kooperative Landesherrschaft, d.h. es gab keinen einzelnen Landesherrn, alle Ordensmitglieder hatten gleichermaßen Teile an der Landesherrschaft. Landmeister von Preußen war ein von 1230 bis 1309 bestehendes Amt im Deutschen Orden. Der Landmeister verwaltete die Komtureien (Kommenden) des Deutschen Ordens im Prussenland. Das Amt wurde gleichzeitig mit dem Beginn der Eroberung und gewaltsamen Missionierung der Prussen im Sommer 1230 geschaffen. Der erste Landmeister, Hermann von Balk, erhielt das Kulmer Land vom Herzog Konrad von Masowien als Keimzelle des Deutschordensstaats in Preußen und begann entlang der Weichsel nach Norden vorzustoßen. Seine Nachfolger vollendeten unter erheblichen Rückschlägen die Eroberung des Landes und errichteten zum Schutz der Gemarkungen und der Niederhaltung aufbegehrender Prussen „Feste Häuser“, die Vorläufer der späteren backsteinernen Ordensburgen.
Der Hochmeister, welcher seit 1291 in Venedig residierte, verlegte 1309 seinen Sitz auf die Marienburg und übernahm damit weitgehend die Regierung des Landes. Die Marienburg wurde zugleich der Tagungsort von Ritterschaft und Ständen, die teilweise 14-tägig tagten. Im Jahre 1309 wurde das Amt des Landesmeisters mit demjenigen des nunmehr in der Marienburg residierenden Hochmeisters vereinigt. Im Juni 1457 wurde der Sitz dann nach Königsberg überführt, da der Orden die Marienburg verloren hatte. Nach der Reformation und dem Verlust des Deutschordenslandes Preußen wurde der Hauptsitz des Ordens nach Mergentheim verlegt, das zur Deutschordensballei Franken gehörte. Quelle: Landmeister von Preussen - www.damian-hungs.de
Es sind in Preußen knapp 170 Ordensburgen entstanden, von denen aber ein Drittel durch Kriegseinwirkungen und Aufstände wieder zerstört wurden. Die Burgen dienten zugleich der Mission als geistliche und als militärische Stützpunkte. Typisch für die späteren Ordenshauptburgen war die Bauweise im Stil der norddeutschen Backsteingotik und die Anlage als Wasserburg, da sich die Burgen im Flachland befanden und daher relativ ungeschützt waren.
Der Deutsche Orden hatte im kaum besiedelten Land ein bauliches Schutz- und Warnsystem für seine Bewohner aufgebaut. Dazu zählen:
- Hauptburgen mit Vorburgen: Je nach Größe hatten die Hauptburgen durchschnittlich eine Besatzung zwischen 50 bis 100 Ordensbrüder - dazu kamen noch (saisonabhängige) Knechte. Die Hauptburgen gruppierten sich um den Innenhof mit zwei- oder dreistöckigen Bauten: Wohnung des Komturs, Kirche, Kapitelsaal, Refektorium (Remter), gemeinschaftlicher Schlafsaal (Dormitorium), Krankenstation (Firmarie). Diese Räume waren aus wehrtechnischen Gründen zumeist im zweiten Geschoss angelegt. Speicher und Rüstkammern (Karwan) befanden sich im Dachgeschoss, die Wirtschaftsräume im Erdgeschoss. Dazu kamen die Vorburgen. Diese dienten in Kriegszeiten als Zufluchtsstätte der anliegenden Stadtbewohner. Einige Hauptburgen konnten bis zu 5.000 Flüchtlinge aufnehmen und sie konnten für bis zu 2 Jahren Vorräte lagern - es waren hauptsächliche Getreide und getrocknetes Fleisch. In den Vorburgen waren die Schlafplätze für die Laienbrüder und die Knechte, die Ställe für die Pferde und weitere Lagerplätze für Vorräte, wie das Brennholz für den Winter. Die Hauptburgen waren Ausgangspunkt zur Ansiedlung von Städten im unmittelbaren Umfeld. Die größte und bekannteste Ordensburg war die Marienburg mit bis zu 1.200 Bewohnern.
- Nebenburgen ohne Vorburgen (sogenannten Lischken): Es waren kleinere vorgeschobene Militärposten, sie dienten dem Schutz von Siedlungs-Dörfern in ihrem Umland. Einige entwickelten sich später zu Dörfern oder Kleinstädten.
- Fluch- und Schutzburgen: Sie waren häufig ungewohnt und wurden von der umliegenden Bevölkerung bei militärischen Auseinandersetzungen aufgesucht.
- Feste Häuser: Ein Festes Haus war – im Unterschied zu den meist aus Holz, Lehm oder Fachwerk bestehenden Wohnhäusern der einfachen Bevölkerung – in Steinbauweise mit dickeren Mauern errichtet. Der wehrhafte Charakter zeigt sich unter anderem an den nur kleinen Fensteröffnungen oder Lichtschlitzen im Erdgeschoss. Teilweise waren sie auch von einem Trockengraben oder einer Palisade umgeben. Sie wurden in Teilen der Provinz im Grenzland nach der ersten Landeseroberung entlang der langsam entstehenden wenigen Wege und besonders aber an Kreuzungen im Abstand von etwa 16 - 20 km aus Ziegel angelegt. Das entsprach etwa dem Hin- und Rückweg einer Tagesreise zu Fuß. Die Festen Häuser wurden häufig von Schulzen als Lehensnehmer mit ihren Familien besiedelt - aber nicht überall entstanden danach in deren Umfeld auch Dörfer. Wenn vorhanden waren die Ausspannwirtschaften in den „Festen Häusern“ des Ordens untergebracht. Der überwiegende Teil der Festen Häuser wurde in den militärischen Auseinandersetzungen vernichtet und nicht wieder aufgebaut.
- Wild- oder Blockhäuser: Winterfeste Behausungen von Militärposten, die den Warteleuten als Anlaufposten dienten. Sie waren im Grenzland angesiedelt.
- Hütten von Warteleuten: Hier waren die einheimische prußischen Kundschafter die Warteleute (Strutern) zu Hause, die den Ordensleuten die Wege durch die Wildnis zeigten und vor zu erwartende Angriffe warnten.
Die Burgbewohner bestanden aus fünf Gruppen:
1. Ritterbrüder: Sie waren in erster Linie dem Dienst an Gott durch das Gebet und dann dem Kampfe verpflichtet und frei von jeglicher Arbeit. Beim Eintritt in den Orden war der adlige Ahnenpass notwendig (Eidliche Aussage). Deutsches Abstammung war aber nicht erforderlich.
2. Priesterbrüder: Sie waren für die Seelsorge der Ordensmitglieder und den Untertanen zuständig und schon immer Bestandteil des Ordens gewesen. Sie kümmerten sich um Kunst, Kultur und Wissenschaft in der Ordensgemeinschaft. Sie unterrichten die Brüder im christlichen Glauben und waren frei von Arbeit.
3. Sariantbrüder: Sie waren die nichtritterlichen Krieger und genossen auch nicht die vollen ritterlichen Rechte. Ihr äußeres Zeichen war ein Mantel in der Farbe ihrer sonstigen Obergewänder, das weiße Tuch der Ritterbrüder durften sie nicht tragen, jedoch trugen sie das schwarze Kreuz wie die Ritterbrüder auf der Kleidung. Sie waren leicht bewaffnet aber mit Brustpanzer oder Schild ausgerüstet. Sie hatten den Status vollgültiger Kämpfer und nicht etwa nur den von Knappen. Sie waren Kämmerer oder Reisebegleiter höherer Ordensritter und dabei gleich "Diener", wurden aber auch als Kurier und zu Wachdiensten herangezogen.
4. Laienbrüder: Sie waren zuständig für die häuslichen, landwirtschaftlichen und gewerblichen Arbeiten. Sie wurden auch "Halbbrüder" oder "Graumäntler" bezeichnet. Sie unterlagen derselben Gehorsamspflicht wie alle Brüder haben aber längst nicht alle zahlreichen Rechte und Pflichten. Sie waren hochwillkommen. Bei der Aufnahme wurden sie gemäß der Ordensregel gefragt, ob sie kein Gebrechen, Krankheit, Schulden oder Bindung an einem Weib oder anderen Orden hätten. Verschweigen sie eins und es kam später ans Licht, wurden sie aus dem Orden ausgestoßen. Sie mußten geloben alle Anweisungen die die Ordensführung gabt, ausführen, keusch und ohne Eigentum zu sein. Ein Probejahr brauchten sie nicht zu absolvieren.
5. Unfrei Knechte: Sie wurden von den Laienbrüdern zu einfachen Arbeiten herangezogen, oft wurden sie saisonabhängig beschäftigt. Ob bei ihnen überall auch die strenge Einhaltung der Ordensregeln galt, ist unklar.
Die Bekleidung der Ordensbrüder überstieg zunächst mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Jahreseinkünfte eines damaligen Handwerkers. Sämisches Leder für Hosen, Pelze aus Marder, Fuchs und Zobel, sowie Samt und Seide für die geistlichen Gewänder waren die Rohstoffe, die der Orden benötigte, um sich standesgemäß zu gewanden. Erst Hochmeister Kniprode trat 1375 dieser Prunksucht mit einer verschärften Kleiderordnung entgegen.
Die Malzeiten wurden durch die Ordensregeln bestimmt, die einen stark geregelten Tagesablauf vorsahen, darunter auch die feste Uhrzeiten für die Mahlzeiten. Das Leben der Ordensbrüder war im Vergleich mit dem Lebensstandard der übrigen Bevölkerung gut. Aufgrund ihrer kriegerischen Ausrichtung war es ihnen vergönnt an drei Tagen; dem Sonnabend, dem Dienstag und dem Donnerstag Fleisch zu essen. Für damalige Verhältnisse ein großes Privileg. Außerdem konnten die Brüder an den anderen drei Tagen Eier und Käse zu sich nehmen; am Freitag wurde Fastenspeise gegessen. Spätmittelalterliches Essen wurde stark gewürzt, beispielsweise mit Pfeffer, Kümmel und Senf.
Das gemeinsame Mahl wurde durch Gebete eröffnet, währenddessen galt Schweigepflicht, da es zum Mahl eine heilige Tischlesung gab, der die Brüder zu lauschen hatten. Alle aßen das Gleiche. Mehrere Gänge, Süßigkeiten und Dekorationen waren ausdrücklich untersagt. Kein Bruder durfte beim Burgaufenthalt sein Mahl außerhalb des Konvents einnehmen. Es gab drei Tafeln, die 1. für die Ritter- und Priesterbrüder, die 2. für die Sariant- und Laienbrüdern und die 3. für die unfreien Knechten. Es wurde geschwiegen beim Essen, außer ein besoldeter Vorleser der den "Hunger nach Gottes Wort" erfüllte. Die Hauptzutat einer jeden Mahlzeit war Getreide. Es wurde zu Brot, Bier und – wegen der schlechten Zähne der Bewohner – oft zu Brei verarbeitet. Eier und Milch waren ebenfalls ausreichend vorhanden. Beides wurde häufig zusammen mit dem Getreide zu einem Mus verarbeitet. Wasser, Milch, Bier und Wein waren die Standardgetränke. Da das Wasser häufig verunreinigt war und zahlreiche Krankheitserreger beheimatete, tranken die Burgbewohner häufiger alkoholhaltige Getränke.
Auch der restliche Tagesablauf war nicht minder streng reglementiert; der Tag gliederte sich in 7 kanonische Stundengebete und dem täglichen Besuch der Messe. Zur ersten Stunde des Tages wurde gebetet, zur dritten, zur sechsten und zur neunten Stunde. Vor dem Zubettgehen gab es noch einen sogenannten Komplet, also ein Abendgebet. Vom Abendgebet bis zum ersten Gebet des Tages galt strengste Schweigepflicht
Dazu siehe auch: https://www.hochmeister-deutsch-orden-ev.de/
Zwischen 1246 und 1525 wurden im gesamten Verwaltungsgebiet des Ordenlandes Preußen rund 170 Ordensburgen, 90 Städte und 1500 Dörfer gegründet.
Gustav Aubin schreibt dazu: „Die Burgenbaulast hatte für das Ordensland eine sehr reale Bedeutung, da die Erbauung und Instandhaltung der zahlreichen Verteidigungswerke, die meilenlangen Grenzverhaue und die Fliehhäuser für Fälle dringender Not unausgesetzt zahlreiche Arbeitskräfte beanspruchten. Die Einwohner wurden nicht nur zu diesen Arbeiten in ihrer näheren Umgebung herangezogen, sondern mußten auch an den östlichen Grenzen helfend eingreifen, da die dort vorhandene Bevölkerung nicht ausreichte.“
Die Ordensburgen dienten dem militärischen Schutz, der Verwaltung und der Missionierung. Die ersten Burgen bestanden noch aus Holz und wurden aber häufig von den Gegnern niedergebrannt. Deshalb entschied der Orden sich für Steinbauten. Auf Grund der Naturgegebenheiten mangelte es für den Bau der gewaltigen Ordenshäuser aber an Natursteinen. War vor Ort der Boden ton- und lehmhaltig genug, wurden vor Baubeginn der Burgen zunächst Ziegelöfen zum Brennen der benötigten Ziegel angelegt. War das nicht der Fall, entschied man sich schon früh für den Baugroßer großer zentral gelegener Ziegeleien in lehmreichen Gegenden. Die gebrannten Ziegel wurden dann mühsam zu den Burg-Baustellen transportiert. Parallel zum Baugewerbe entwickelten sich beim Burg-Bau die Handwerke der Schlosser und der Tischler Das Fassungsvermögen der damaligen Ziegeleien-Öfen von Mösland (Kreis Marienwerder) betrug 75.000, der von Steinort (Kreis Angerburg) 60.000 und der von Klein Nur (Kreis Wehlau) 40.000 Ziegel pro Brand. Die Gegend von Groß und Klein Nuhr wies erhebliche Lehmvorkommen auf. Deshalb hatten sich später auch weitere Ziegeleien angesiedelt. Die „Allemannia“ wurde eine der größten Ziegeleien in Ostpreußen, mit einer Produktion 1902 von etwa 15 Mio. Ziegeln pro Jahr.
"Das deutsch Ordensschloss auch Ordens(haupt)burg ist im Wesentlichen eine befestigtes Kloster und zeigt daher ein seiner ausgebildeten Form einen von hohen Mauern und Türmen umschlossenen Kreuzgang, der den viereckigen Klosterhof auf allen Seiten umgibt, und den herum wieder die dem Kloster wesentlichen Räume als Kapitelsaal, Refektorium und Dormitorium herumliegen. Ihnen schließt sich auch die Schoßkapelle an, welche hier, der Festigkeit des Gebäudes wegen, nicht in eigentümliche bedeutsamer Form hervortritt, wie die Klosterkirchen bei den gewöhnlichen Klosteranlagen, wo diese als der bei weitem überwiegende Teil der gesamten Anlage erscheint, sondern meist nur, gemeinsam mit dem Kapitelsaal, der einen der Flügel des Schlosses einnimmt. Mit dergleichen Schlossanlage ist oder war nun das ganze Land wie bedeckt, indem kaum eine Stadt vorhanden ist, die sich nicht ursprünglich unter dem Schutze eines Schlosses angesiedelt hätte; sehr viele finden sich außerdem ohne solche Städteanlagen bei Dörfer, oder auch ganz isoliert vor."
Quelle: Ferdinand von Quast: Schloss Marienburg, in: Neue Preußische Provinzial-Blätter, Band 11
Die Burg Lochstedt war eine zunächst bedeutende Ordenshauptburg des Deutschen Ordens in der Komturei Königsberg am nördlichen Ausläufer der Frischen Nehrung und südwestlich der späteren Stadt Fischhausen am Nordufer des Frischen Haffs gelegen. In der Nähe entstand das spätere Dorf Lochstädt, heute Pawlowo. Mit der Burg sollte die damalige Zufahrt zum Frischen Haff kontrolliert werden. Die Burg bestand bis 1270 als Holz-Wall-Anlage und wurde 1275 bis 1285 in Ziegel-Stein ausgeführt. Südlich der Burg hatte sich früher das Lochstädter Tief befunden, eine Seedurchfahrt zwischen Ostsee und Frischem Haff, die etwa zwischen 1308 und 1311 infolge einer Sturmflut versandete, woraufhin das Alte Tief gegenüber der Burg Balga als neue Durchfahrt entstand. Nachdem der Deutsche Orden die Prußen-Siedlung Balga erreicht und als Stützpunkt eingerichtet hatte verlor die Burg Lochstedt strategisch an Bedeutung. 1510 versandete auch die Durchfahrt bei Balga und das Pillauer Tief entstand. Seit dem dient es zur die Durchfahrt für die Seeschiffe zwischen Ostsee und Frischem Haff.
Bei einer Visitation des Inventares, die jedesmal beim Wechsel des Burgkommandanten durchgeführt wurde, wurde folgendes erfasst: Speiseschmalz, Ochsen, Fische, Rosinen, Feigen, Mandeln, Reis, Mohn, Senf und Erbsen. Im Keller wurden Landwein, Konvents-Met, Alter Met, Kirschtrank und Honig aufgeschrieben. In der Vorburg wurden Silbergefäße, Getreide und der Bestand an Rindern, Schweine und Schafe sowie halbierte geschachtete Tiere notiert. Weiter wurden als Waffen aufgenommen: Verschiedene Arten von Armbrüsten, Pfeile, Salpeter, Helme, Hauben, Eisenhüte, Brustpanzer, Panzerungen für Arme und Beine, leichte Panzer, große und kleine Büchsen, Lot- und Steinbüchsen und russisches Armleder. Weiter waren ein Frachtschiff, ein Prahm und ein Deime-Schiff vorhanden. Quelle: Hartmut Boockmann: Ostpreußen und Westpreußen
Die Städte dienten als Kirchplatz, Handelszentrum, Geldgeber, Gerichtsstätten und den Handwerkern als Standorte für ihre Werkstätten. Hier gründeten die Kaufleute Gilden und die Handwerker Innungen und Zünfte. In den Dörfer und auf den Gütern waren über 80 % der Bevölkerung zu Hause. Hier wurden die Lebensmittel zur Selbstversorgung und die Überschüsse für den Verkauf angebaut. Besonders Getreide und Holz wurden zu begehrten Handelsobjekten. Im Schatten der Haupt-Burgen kam es in der Regel zu Stadtgründungen. Städte wurden in Ostpreußen durch die Verleihung der Stadtrechte durch den Deutschen Orden gegründet. Die neuen Stadtbewohner kamen hauptsächlich aus dem Deutschen Reich. Die Städte des Ordenslandes, zumeist von Deutschen besiedelt, besaßen eine weitgehende Selbstverwaltung. Diese basierte auf der Kulmer Handfeste und beschränkte den Orden quasi auf die Oberhoheit. Bekam ein Siedlungsplatz durch den Orden das Stadtrecht verliehen, so erhielt er dadurch das Recht, Zölle zu erheben und durchreisende Händler konnten verpflichten werden, ihre Waren auf dem Markt der Stadt anzubieten. Die Bürger bekamen das Recht auf Besitz und auf Selbstverwaltung.
Die Lischke waren vorwiegend Handwerkersiedlungen mit gelegentlichen Märkten. Diese Siedlungen der Prussen besaßen stadtähnliche Strukturen und waren geographisch günstig gelegen, so dass sie sich oft zu einer Stadt entwickelten. Andererseits existierten sie auch zeitlich nur so lange im Schutz einer Ordensburg, bis diese nicht mehr genutzt wurde. So heißt es auf der Ostpreußenseite über die Geschichte des Ortes Labiau, „die Lischke, eine Siedlung von Krügern, Fischern, Handwerkern und Gärtnern vor der Burg, war bereits im 13. Jahrhundert vorhanden“
Die zugezogenen bäuerlichen Siedler der Dörfer kamen in den kriegsfreien Zeiten zunächst aus Litauen, Polen und dem Baltikum, später auch aus Deutschland. Sie erhielten zunächst eigenes Land nach Kulmischen Recht. Die Großen Freie Bauern wurden zu Gutsbesitzern. Kleinen Freie Bauern wurden der in Dörfern zwangsangesiedelten überwiegende Teil, der ursprünglichen prußische Einwohner. Die restlichen Prußen wurden zu Unfreien. Den neuen bäuerlichen Siedler wurden eigene Siedlungsplätz mit eigene Land zugweisen. Es entstanden Hufenzinsdörfer und Einzelhöfe. Bereits vorhanden waren die Hakenzinsdörfer mit den ursprünglichen prußischen Bewohnern. Daneben begannen die Söldner, die vom Orden verliehen Güter selbst zu bewirtschaften, sie wurden zu Großen Freien. Sie versuchten, ihren verliehen Besitz auf Kosten der umliegenden Bauern mit eigenem Land zusammenzulegen und zu erweitern, um die nötigen Arbeitskräfte zur Bewirtschaftung ihrer Güter zu gewinnen.
Die adligen Grundbesitzer organisierten sich in Ritterschaften, die Dörfer hatten keine eigene Vertretung. Ritterschaften, Gilden und Zünfte vereinigten sich in Ständevertretungen (Landtage) die häufig gegen den Orden opponierten. Der Landtag umfasste 48 Teilnehmer - 32 aus dem Landadel und 14 der Stände aus den Städten. Neben dem Ordensland gab es im Bischofsland entsprechenden Strukturen.
Auch zwischen den Bischöfen und den Ordensrittern gab es oft Streit, häufig um Grenzen, Abgaben, Zuständigkeiten und Hoheitsrechten. Lediglich bei äußeren Bedrohungen - durch Litauen, Polen und Dänemark und ab 1569 Litauen-Polen einigten sich Landesherren, Domkapitel, Ordensmeister und Ordensgebietiger, Ritterschaften und Städte kurzfristig auf einen Frieden zur Abwehr der äußeren Feinde. Entsprechendes galt auch in Ostpreußen bis zu endgültigen inneren Befriedung 1283. Vorher waren Rebellionen, Aufstände und kriegerische Auseinandersetzungen durch die inneren Feinde - die prußische Stämme an der Tagesordnung. Es handelte sich zunächst um ein sehr instabiles Macht-System, das immer wieder von neuem ausbalanciert werden musste.
Die Dörfer waren in der Regel den Wirtschaftshöfen der Ordensburgen angeschlossen. Etwa ein Drittel der Burgen und Dörfer wurden aber durch kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Prußen, Letten und Polen zerstört und nicht wieder aufgebaut. Städte wurden zwar niedergebrannt, aber häufig wieder aufgebaut. In diesem Zusammenhang steht der „Heidenzug“ des Königs Ottokar II. Přemysl König von Böhmen im Jahre 1255, der letztlich zur Gründung von Burg und Stadt Königsberg führte.
Der Deutsche Orden hat die Gebiete Preußens, in denen er Landesherr war, mit drei Bevölkerungsgruppen zu tun
• der Urbevölkerung der Prußen
• den Angehörige des Deutschen Ordens
• den angeworbene Bauern, Handwerkern und Kaufleuten
Zur ersten Bevölkerungsgruppe schreibt Hartmut Boockmann: „Die Bevölkerungszahlen, die genannt werden, beruhen unvermeidlich auf Schätzungen. Solchen Schätzungen zufolge betrug die Bevölkerung Prußens vor Beginn der Eroberung des Landes durch den Deutschen Orden 140.000 Köpfe. Um 1400 dürfte die prußische Bevölkerung im Ordensstaat ebenso stark gewesen sein – zu ihr kamen noch etwa 103.000 Deutsche, darunter 38.000 Litauer und 27.000 Polen, vor allem im Kulmer Land. Das würde für die prußische Bevölkerung bedeuten, dass die Verluste aus der Eroberungszeit wieder ausgeglichen waren“.
Quelle: Hartmut Boockmann, Deutsche Geschichte im Osten Europas, Ostpreußen u. Westpreußen
Andere Schätzungen sprechen von etwa 200.000 ursprünglichen prußischen Bewohnern. Man schätzt aber auch, dass jeweils ein Drittel der Prußen bei der Eroberung ihres Landes umkamen, nach Litauen flohen oder sich dem Orden unterordneten.
Die zweite Bevölkerungsgruppe: Die Zahl der Ritterbrüder blieb in Prußen gering, um 1410 gehörten dieser Gruppe rund 1.400, um die Mitte des 15. Jahrhunderts nurmehr 780 Ordensleute an. In seiner Frühzeit rekrutierte sich der Orden vorwiegend aus den nachgeborenen Söhnen des niederen Adel. Den Ritterbrüdern gleichberechtigt waren die Priesterbrüder. Ihnen oblag die Feier des Offiziums und die seelsorgliche Betreuung der Mitbrüder, ferner die Pflege von Kunst und Wissenschaft. Ihre Geltung nahm im 14. und 15. Jahrhundert gegenüber den Ritterbrüdern ab.
Weitere Gruppen von Ordensmitgliedern waren die nicht adligen Sariantbrüder, es waren Leichtbewaffnete und niedere Amtsträger, die Halbschwestern und Halbbrüder, im Kranken- und Wirtschaftsdienst. Eine weiter Gruppe waren die Laienbrüder. Sie waren zuständig für die häuslichen, landwirtschaftlichen und gewerblichen Arbeiten Diese Gruppen von Ordensmitgliedern umfasste etwa 5.000 Personen.
Dem Hochmeister standen in der Leitung des Ordensstaates fünf Großgebietiger zur Seite. Während der Hochmeister, der Großkomtur und der Treßler (Schatzmeister) zunächst in der Marienburg später in Königsberg residierten, hatte der Spitler (Leiter des Hospitalwesens) seinen Sitz in Elbing, der Trapier (verantwortlich für Bekleidung und Ausrüstung) in Christburg und der Marschall (Chef des militärischen Bereichs) in Königsberg. Generalprokuratoren bei der Kurie lieferten über ein gut organisiertes Botensystem der Ordensleitung detaillierte Informationen über die jeweilige Lage im Reich und in Europa. Neben den zentralen Ämtern, zu denen auch die Wirtschaftsämter des Pfundmeisters zu Danzig (Zoll) und der Großschäffer von Königsburg und Marienburg (Handel) gehörten, gab es noch eine Reihe von Wirtschaftsämtern auf lokaler Ebene, wie beispielsweise die der Komture, Vögte, und Pfleger mit ihren zahlreichen Hausämtern, sowie die Inhaber wirtschaftlicher Funktionen wie Fisch- Wald- und Bernsteinmeister.
Eine hervorgehobene Stellung hatten die beiden Großschäffer, die in Marienburg und Königsberg residierten und eine besondere Bedeutung für den Außenhandel des Ordens hatten. Die beiden Großschäffer waren zwar Mitglieder der Hanse, aber der Orden trat auch mit einer eigenen Handelsorganisation, vertreten durch die beiden Großschäffer, selbst als Mitbewerber der Hanse auf. Dieses erwies sich beim Status des Ordens als Landesherr mitsamt entsprechenden Rechten wie z. B. dem Bernsteinmonopol als sehr Gewinn bringend. Der Großschäffer von Königsberg war für den Bernsteinexport verantwortlich, auf den der Orden ein Monopol hatte, und der Großschäffer von Marienburg war für den Export von Getreide zuständig. Beide Großschäffer importieren aber die gleichen Waren, insbesondere flandrische und englische Tuche, aus dem Westen. Zum Betätigungsfeld der Großschäffer gehörten auch die eigene Reederei sowie weitere gewerbliche Unternehmen wie Mühlen und Brennereien. Die Großschäffer waren auch im Darlehens- und Immobiliengeschäfte tätig. Die Großschäffer reisten viel, führten Verhandlungen und schlossen Verträge ab; sie mussten daher lesen und schreiben können. Sie entstammten meist dem niederen Adel, aber schon vor 1410 und insbesondere danach kam eine Anzahl von Großschäffern aus dem städtischen Patriziat. Die Großschäffer reisten viel, führten Verhandlungen und schlossen Verträge ab; sie mussten daher lesen und schreiben können. Sie entstammten meist dem niederen Adel, aber schon vor 1410 und insbesondere danach kam eine Anzahl von Großschäffern aus dem städtischen Patriziat.
Der Komtur war der Leiter einer Niederlassung des Ordens, einer Komturei (Kommende). Er übte alle Verwaltungsbefugnisse aus und beaufsichtigte die seiner Deutschordenskommende unterstellten Wirtschaftshöfe Vogteien und Zehnthöfe. Eine Kontrolle war durch sogenannten Ämterwandel, bei dem bei turnusgemäßer Aufgabe des Amtes eine Generalinventur erfolgte, sowie durch Visitationen gegeben. Die Komtureien, aber auch die untergeordneten Ämter der Vögte, Pfleger, Hauskomture, Wald-, Fisch-, Mühlmeister, Karwansherren und Pferdemarschälle, wurden nur auf begrenzte Zeit vergeben. Der Ordensmeister behielt aber nach der Wahl sein Amt lebenslang. Zu den Aufgaben der Komturei zählte in erster Linie die Bewirtschaftung ihrer Güter. Ihr oblag jedoch auch die Übung der Gastfreundschaft gegenüber durchreisenden Ordensangehörigen.
Unterteilt war das Verwaltungsgebiet des Ordenlandes Preußen in sogenannte 30 Komtureibezirke, auch als Kommenden bezeichnet. Größere Komtureien waren nochmals in Vogteien und Pflegeämter unterteilt. Die Gebiete wurden im Laufe der Jahre öfter geändert, Vogteien aus- und eingegliedert, auch Komtureien zusammengelegt
Die dritte Bevölkerungsgruppe bestand aus zunächst zinsfreie freie Bauern, die den Kriegsdienst leistende und den ursprünglich prußische Kleinen Freie Bauern. Die Zinsfreiheit bestand aber nur einige Jahre. Bei den Große Freie handelte es sich u.a. um im Westen angeworbene Angehörige des Niederen Adels, ehemalige Söldnerführer und Gutsbesitzer in Ostpreußen. Die Kleinen Freien, prußischen Bauern, hatten sich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen auf die Seite des Ordens gestellt. Dazu kamen Dörfer mit ehemals gegnerischen Prußen, den Unfreien Bauern, die aber real zu Landarbeiter wurden. Die gegnerischen Prußen, ehemals Nomaden, wurden in Dörfern zwangsweise angesiedelt. Zur Christianisierung fanden hier Massentaufen statt; oft blieben aber die alten prusischen Riten parallel dazu bestehen. Diese Landarbeiter besaßen keinen Hof, sondern oft nur eine kleine selbst errichtete Hütte mit integriertem Platz für Kleinvieh, einem Garten oder ein kleines Stück gepachtetes Land zur Selbstversorgung. Die Pacht wurde mit Naturalien bezahlt oder es wurden Handdienste festgesetzt.
Handwerker brachten in der Regel oft neue Arbeitsmethoden aus ihrer Heimat mit und wurden in größeren Dörfern und kleinen Städten nach dem Kulmer Recht mit angesiedelt. Die Kaufleute waren in der Regel vermögend, konnten sich eigenen Grund und Boden leisten und schlossen sich teilweise der Hanse an
Die Eroberung Preußens, die aber ohne die Hilfe immer neuer, starker Kreuzheere nicht gelungen wäre, konnte gegen 1283 abgeschlossen werden.
Typisch für das entstehende Ordensland wurde zunächst die Villikation, die zweigeteilte Grundherrschaft: einerseits der Wirtschaftshof des Deutschen Ordens, andererseits die vom Orden abhängigen Bauernhöfe: die Güter der Großen Freien, die Dörfer der Kleinen Freien und die Siedlungen der angeworbenen Bauern mit eigenem Land. Auf den Wirtschaftshöfen und den Bauernhöfen arbeiteten prußische Unfreien als Landarbeiter. Die Grundherrschaft wurden später durch die Gutsherrschaft abgelöst.
Vom Hochmeister Heinrich von Kniprode und seinem Verwaltungsstab nach modern anmutenden Richtlinien straff geführt, wuchs der Ordensstaat von 1370 -1410 zur stärksten Macht im Ostseeraum heran. Kniprode führte den Deutschen Orden in Ostpreußen von 1351 bis 1382.
- Kniprode unterstützte in starkem Maße die sogenannten "Preußenreisen". Es entwickelte sich zu einer gesellschaftlichen Modeerscheinung innerhalb des europäischen Adels, zu „Waffen-Reisen“ nach Ostpreußen zum Kampf gegen die Ungläubigen Heiden aufzubrechen.
- Im andauernden Krieg gegen das bisher zum Teil heidnische Litauen errang das von Kniprode und dem Ordensmarschall Henning Schindekopf geführte Ordensheer am 17. Februar 1370 einen entscheidenden Sieg über ein litauisches Heer in der Schlacht bei Rudau (nördlich von Königsberg).
- Kniprode förderte die Wirtschaft und sorgte so für den enormen Reichtum des Ordens in jener Zeit.
- 1365 gab Hochmeister Kniprode das Stapelrecht für Königsberg, das 1518 durch Hochmeister Albrecht bestätigt wurde.
- Eine hoch entwickelte zentrale Finanzverwaltung lieferte für die staatlichen und militärischen Aufgaben hinreichende Einkünfte.
- Besonders der Im- und Export von Waren über die Ostsee durch den Orden alleine oder mit Hilfe der Hanse erzielte hohe Gewinne.
- Die lange Regierungszeit von Kniprode war geprägt durch eine starke Siedlungstätigkeit, wie eine Vielzahl von Gründungsurkunden belegt. Dafür wurden auch zahlreiche Flüchtlinge aus Litauen und Polen aufgenommen. Dazu kamen angeworbene Siedler aus dem Reich. Sie brachten neue Techniken wie die Eisenpflugschar, das Kummetgeschirr und die Dreifelderwirtschaft mit.
- Die Siedlungstätigkeit an der Weichsel und an der so genannten Wildnis (den Urwaldgebieten an den Grenzen zu Litauen) wurde planmäßig fortgesetzt.
- Deichbau, Entwässerung und Rodung wurden vorangetrieben.
- Nennenswerte Erfolge der Ordenswirtschaft waren vor allem in der Schaf- und Bienenzucht sowie im Weinanbau zu verzeichnen. Die Weinbauversuche wurden aufgrund der Klimaverschlechterung nach 1400 wieder eingestellt.
- Im Kampf gegen Zinswucher konnte der zulässige Höchstzins von 12,5 % auf 10 % gedrückt werden.
- Parallel dazu wurden neue Silbermünzen ausgegeben: der Schilling zu 12 Pfennig, der Halbschoter zu 16 Pfennig und das Vierchen zu 4 Pfennig. Das preußische Münzsystem wurde endgültig wie folgt festgelegt: 1 preußische Mark = 60 Schillinge = 720 Pfennige.
- Während seiner Zeit gewann ein starker weltlicher Geist im Orden Einfluss. Kniprode bekämpfte diesen, indem er eine Art Rotationssystem innerhalb der mittleren und höheren Ordensämter einführte inklusive strenger Rechenschaftspflicht bei Amtswechsel.
- Außerdem wurden in den einzelnen Komtureien unangekündigte Visitationen durchgeführt.
- Des Weiteren wurden Maßnahmen zur Festigung von Disziplin und Ordnung der Ordensmitglieder unternommen. So wurde zum Beispiel der aufkommenden Neigung zu Prunk mit einer verschärften Kleiderordnung entgegengetreten.
- Um die Wehrtüchtigkeit der Ordensmitglieder aufrechtzuerhalten, wurden von Zeit zu Zeit Reservistenübungen durchgeführt.
- Gleichzeitig versuchte Kniprode, den allgemeinen Bildungsstand zu heben. In den Städten kam es zur Errichtung allgemeinbildender Schulen. In Marienburg erfolgte die Errichtung einer Lehranstalt zur höheren Bildung der Ordensmitglieder.
- Zur Förderung der Infrastruktur wurden einheitliche Längen- und Flächenmaße eingeführt.
- Die Rechtsbasis wurde vereinheitlicht.
- Heinrich von Kniprode wurde als Hochmeister des Deutschen Ordens in den Stand eines Reichsfürsten erhoben.
Am Ausbau der eroberten Gebiete waren Siedler aus allen Teilen des Reiches beteiligt; nach und nach wuchsen sie mit der alteingesessenen preußischen Bevölkerung zusammen. Zur Sicherung wurden die Landschaften mit einem Netz von Burgen überzogen; zur Förderung der Wirtschaft gründete der Orden zahlreiche Städte. Preußisches Getreide, Holz und Bernstein wurde durch die Hanse und den Orden in das Ausland exportiert.
Die Erträge der Eigenwirtschaft und die Abgaben seiner Untertanen ermöglichten es dem Deutschen Orden in Preußen so intensiv Handel zu treiben, weil um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert ihm in Preußen etwa die Hälfte des bearbeiteten Ackerlandes gehörte, und er damit als größter Gutsherr im Land wirtschaften konnte. Auch die Erträge aus Flüssen, Seen und Wäldern, die ebenfalls zum Landbesitz des Ordens gehörten, hatten ihren Anteil an der florierenden Wirtschaft. Die andere Hälfte teilten sich in Etwa die Bischöfe und die "Großen Freien". Von der Gesamtfläche von 45.000 km² bestanden aber 1300 etwa 25.000 km² aus Ödland insbesonders aus der Großen Wildnis.
Die riesigen Domänen der ursprünglich den 170 Ordensburgen angeschlossenen Wirtschaftshöfe fungierten ab 1283 als landwirtschaftliche Großbetriebe. 50 Vorwerke lagen direkt neben den Burgen, 157 waren, auch aus militärischen Gründen, im Land verteilt, dazu kamen 5 Lischken – das waren zeitlich befristete Siedlungen. Auf ihren insgesamt 110.000 ha bearbeiteten Land, das waren etwa 26 % der Gesamtfläche von 1283, wurden 13.000 Pferde, 10.000 Rinder, 19.000 Schweine und 61.000 Schafe gehalten.
1902 betrug die für Ackerbau und Viehzucht genutzte Fläche etwa 250.000 ha, das waren etwa 85 % der Gesamtfläche von Ostpreußen. Auf fast einem Viertel des ostpreußischen Ackerlandes wurde 1902 Roggen angebaut, der die Winterkälte und die Bodenfröste am besten überstand. In Ostpreußen gab es zu dieser Zeit nur 185 frostfreie Tage und 150 Feldarbeitstage.
Große Teile der riesigen Wirtschaftshöfe des Ordens wurden später aufgeteilt und auf finanziellen Gründen als Lehen vergeben - darunter auch an ehemalige Ordensmitglieder. Großen Wert legte die Ordensleitung auf eine eigenständige Pferdezucht. Dabei wurden in den 61 Gestüten sowohl die zähen, kleinen einheimischen Swoyken als auch schwere Schlachtrösser für die Ordensritter gezüchtet. Ein Vierten der Wirtschaftshöfe befanden in unmittelbarer Nähe zur Ordensburg. Bei den preußischen und livländischen Grenzburgen war es jedoch aus Sicherheitsgründen erforderlich, diese ins Hinterland zu verlegen. Der Wirtschaftshof der Grenzfestung Ragnit lag beispielsweise im 80 km entfernten in Labiau im Landesinneren.
Die gewaltsame Besiedelung durch den Deutschen Orden führte zu zahlreichen Aufständen der ansässigen Prußen und Kriegen mit dem umliegenden Fürstentum Litauen und dem Königreich Polen. Es gab drei große militärische Auseinandersetzungen, aus denen der Orden jeweils nicht siegreich hervorging.
• In der Schlacht bei Tannenberg, auch Schlacht bei Grunwald (polnisch Bitwa pod Grunwaldem, litauisch Žalgirio mūšis) am 15. Juli 1410 im Ordensland Preußen unweit der Orte Tannenberg und Grünfelde verlor der Deutsche Orden gegen Polen und Litauen. Der Erste Frieden von Thorn am 1. Februar 1411 war ein in Thorn auf einer Weichselinsel, zwischen dem Ordensstaat und Polen, ausgehandelter Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Orden einerseits sowie dem polnischen König Władysław II. Jagiełło und dem mit ihm verbündeten Großfürsten Vytautas von Litauen andererseits. Er beendete die militärische Auseinandersetzung, welche 1410 zur Schlacht bei Tannenberg geführt hatte. Für die Auslösung der Gefangenen und Räumung der Ordensburgen durch polnisch-litauische Besatzungen sowie Abzug von Söldnern des polnischen Königs musste sich der Hochmeister zur Zahlung von 100.000 Schock böhmischer Groschen verpflichten, zahlbar in vier Raten zu 25.000 Groschen zu vorbestimmten Terminen. Ein böhmischer Groschen entsprach 3,7 Gramm Silber; da ein Schock 60 Stücken entsprach, musste der Orden 22,2 Tonnen Silber aufbringen. Dieser Betrag erschöpfte die Finanzkraft des Ordens nahezu und stellte einen Grund für den nach 1411 einsetzenden Niedergang der Ordensherrschaft dar.
• Der Friede vom Melnosee - er beendete die nach 1410 trotz des Ersten Thorner Friedens des Jahres 1411 mehrfach aufgetretenen Kriegshandlungen - war ein am 27. September 1422 geschlossener Friedensvertrag zwischen dem Königreich Polen und dem Großfürstentum Litauen auf der einen und dem Deutschen Orden auf der anderen Seite. Der Deutsche Orden hatte Gebietsabtretungen hinzunehmen, so ging das Gebiet von Nieszawa an den König von Polen sowie Niederlitauen an den Großfürsten von Litauen. Das Gebiet um die westpolnische Stadt Nieszawa gehörte von der Gründung der ersten Ordensburg 1230 bis zum Friede vom Melnosee 1422 als Nessau zum Staat des Deutschordenslands. Im Friede vom Melnosee 1422/26 verzichtete der militärisch und politisch geschwächte Orden auf Besitzansprüche in Litauen, namentlich in Žemaitien (Niederlitauen). Der Friedensvertrag regelte auch den Grenzverlauf zwischen ihren Staaten im Bereich der Großen Wildnis. Diese neue Grenzlinie zwischen Preußen und Litauen hatte rund 500 Jahre Bestand. Die Große Wildnis, wie sie vom Deutschen Orden offiziell bezeichnet wurde, war im Mittelalter eine unbesiedelte und unwegsame Landschaft im nördlichen Ostmitteleuropa. Sie umfasste einen Teil Masurens und Preußisch-Litauen
• Der Zweiten Friedensschluss von Thorn, unterschrieben in der Hansestadt Thorn (Toruń) am 19 Oktober 1466, vom polnischen Königreich und dem Deutschen Orden, beendete den Dreizehnjährigen Krieg (1454 - 1466) zwischen ihnen. Der Machtverlust des Deutschen Ordens wurde mit dem Zweiten Friedensschluss von Thorn endgültig besiegelt. Preußen wurde zweigeteilt, und zwar in das
1. Königliche Polen (polnische Polen) dazu gehörten das Ermland, das Culmer Land, Marienburg und Pommern. In dem Vertrag verzichtete der Deutsche Orden auf jegliche Ansprüche auf die Gebiete Danzig/Ostpommern und Chełmnoer Land, die mit Polen reintegriert wurden, sowie die Gebiete Elbing (Elbląg) und Marienburg (Malbork) und das Bistum Ermland, die auch als Teil von Polen anerkannt wurden. Mit der Ersten Teilung Polen-Litauens 1772 endete die Geschichte des „Königlich-Polnischen Preußens“. Als Preußen 1772 das westliche Polnisch-Preußen unter der Bezeichnung Provinz Westpreußen annektiert hatte, verordnete König Friedrich II. für den nordöstlichen Landesteil dem Herzoglichem Polen 1773 den Namen Provinz Ostpreußen.
2. Herzogliches Polen (polnisches Lehen) Der östliche Teil blieb beim Deutschen Orden als Lehen und Protektorat Polens. Er wurde Bestandteil des "einen und unteilbaren" Königreichs Polen. Das Gebiet, das spätere Herzogtum Preußen blieb also dem Orden und der Hochmeister des Deutschen Ordens, sollte jedoch dem polnischen König Heerfolge und einen Treueid leisten. Mit der Ersten Teilung Polen-Litauens 1772 endete die Geschichte des „Herzoglich-Polnischen Preußens“.
Bis zu den drei Polnischen Teilungen blieb dieser Zustand bestehen. Als Preußen 1772 das westliche Königliche-Preußen unter der Bezeichnung Westpreußen annektiert hatte, verordnete König Friedrich II. für den nordöstlichen Landesteil 1773 den Provinz-Namen Ostpreußen.
Zur gesellschaftlichen Beschreibung der Ordensgesellschaft in Ostpreußen werden unterschiedliche Begriffe gebraucht. So wird z.B. die Feudalgesellschaft von der Ständegesellschaft unterschieden. Feudalismus beschreibt ein hierarchisches Konzept zwischen Herr und Gefolgsmann oder Hintersasse, das sich nur in der herrschenden Schicht bildet, während der Stand alle drei aufeinander aufbauende Teilgruppen der Gesamt-Gesellschaft darstellen will. In der Ständegesellschaft wurde der (Erb) Stand des Vaters mit seinen Rechten an den erbberechtigten Sohn weitergegeben. Bei großen Familien entstanden für die nichterbberechtigten Familienmitglieder Versorgungsprobleme. Das versprochene Erbrecht der Siedlungsbauern wurde in Ostpreußen im Laufe der Zeit ausgehöhlt und zum Teil durch das "Legen" der Bauern ganz abgeschafft.
Hintersassen waren in Ostpreußen das Gesinde, die Deputanten, die Insten, die Tagelöhner oder die Kossaten. Es waren Landleute, welche in geschlossene oder offenen Grundherrschaft, nur mit einem Haus oder einem Garten oder einzelnen Feldern „angesessen“ waren.
Grundherrschaft bezeichnet den abgegrenzten (Amts) Bezirk, in dem das Recht zur niederen Gerichtsbarkeit dem Gutsherrn zustand. In den geschlossenen Grundherrschaften den Wirtschaftshöfe des Ordens unterstanden alle im Bezirk ansässigen Untertanen dem Gerichtsherrn. In den offenen Grundherrschaften der "Großen Freien" dagegen erstreckte sich der Herrschaftsbereich des Gutsherrn nur auf die eigenen Gebäude und die Untertanen, die die ihm gehörende Güter bebauten. Die größten Grundherren in Ostpreußen war zunächst der Orden und die Bischöfe. Erst später wurden auch private Grundherren die "Großen Freien" belehnt und wurden ebenfalls zu (Ritter) Gutsherren. Neben der niederen Gerichtsbarkeit gab es die zentrale großen Gerichtsbarkeit bei körperlichen und religiösen Vergehen.
Feudale Ordnung war eine Herrschaftsbeziehung zwischen Machthaber und Untertanen, während die ständische Ordnung einer Gesellschaft die unterschiedliche Beziehungen des Glaubens, der Arbeit und des Krieges abbildet - wie z.B. die Ordensgesellschaft. Die feudale Ordnung umfasst die Verteilung von Grund und Boden und deren Wertschöpfung, beruht also auf der Basis einer landwirtschaftlich organisierten Gesellschaft, während Stände eine arbeitsteiligen Gesellschaftsform des Gesamtstaates darstellen. Anderes ausgedrückt: die Gesamt-Gesellschaft des Ordensstaates wurde durch feudale Elemente innerhalb der Ständen geprägt.
Mit dem Niedergang des Ordens setzte seit dem 14. Jahrhundert im preußischen Ordensland eine Bewegung ein, die für den angesiedelten Bauernstand langfristig verhängnisvoll wurde. Die beliehenen Söldner begannen ihre Güter selbst zu bewirtschaften, um so Erträge zu erzielen. Sie wurden zu Rittergutsbesitzern. Sie versuchten, ihren Besitz auf Kosten des umliegenden Bauernland zusammenzulegen und zu erweitern und die nötigen Arbeitskräfte zur Bewirtschaftung ihrer verliehenen Güter zu gewinnen. Ausgehend von der verbreiteten Anschauung, dass der Gutsherr ein Obereigentum an der ganzen Dorfflur besitze, wurden ganze Bauernhöfe eingezogen und dem eigenen Gut einverleibt. Das zugesagte bäuerliche Besitzrecht wurde in verschiedenen Ordenskomturen zu einem bedeutungslosen Scheinrecht. Zugleich drückte man die Masse der Bauern zu Leibeigenen oder genauer zu Gutsgehörigen bzw. Gutsuntertanen oder Erbuntertanen herab. Die Bauern wurden erblich mit einem Rittergut verbunden, durften dieses ohne Erlaubnis nicht verlassen und konnten mit demselben veräußert werden. Es entstand eine neue "Leibeigenschaft". Die von den Bauern zu tragenden Lasten, namentlich die Frondienste, wurden von fest begrenzten tragbaren zu unangemessenen Pflichten, die vom Gutsherren subjektiv bestimmt wurden. Manche Ordenskomturen unterstützten, im Gegensatz Ordensmeister, dieses Vorgehen, vergrößerte doch die jetzt erhöhten Abgaben der Güter vor Ort, ihre eigene finanzielle Positionen.
Es gab im Mittelalter traditionell drei Stände. Stände waren gesellschaftliche Gruppen, die durch rechtliche Bestimmungen (Vorrechte oder Benachteiligungen) klar voneinander abgetrennt wurden. An der Spitze der Ständepyramide standen der König und nach ihm die Fürsten, bei den Geistlichen der Papst und nach ihm die Bischöfe. Im dritten Stand dagegen war die große Mehrheit der Bevölkerung versammelt, die keine oder nur sehr begrenzte Herrschaftsrechte (zum Beispiel gegenüber dem Gesinde) besaß. Quelle: Ständeordnung – Wikipedia
In einer Abbildung der Ständeordnung von 1488 weist Jesus Christus den drei Ständen ihre Aufgaben zu:
- Tu supplex ora („du bete demütig!“) zum Klerus,
- Tu protege („du beschütze!“) zu Kaiser und Fürsten,
- Tuque labora („und du arbeite!“) zu den Bauern.
Allerdings wurde der erste Stand der Kirchlicher Würdenträger (Prälaten) in Ostpreußen zahlenmäßig nur gering vertreten. Dazu kam, von den vier Bischöfen und Domkapiteln gehörten je drei dem Orden an. Das ständische System galt den Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit als feste, "von Gott gegebene" Ordnung, in der jeder seinen unveränderlichen Platz hatte. Für den Adel und den dritten Stand galt, dass jeder zunächst den Stand seines Vaters übernahm. Ein Wechsel zwischen Ständen war nicht unmöglich, in der Praxis jedoch selten. Verdienst oder Reichtum hatten kaum Einfluss auf die Ständezugehörigkeit. Die Unfreien und Landlosen wurden den drei Ständen praktisch als Leibeigene zugeordnet. Auch die Kirche hielt daran fest. Als Martin Luther über die Freiheit des Christenmenschen schrieb, schränkte er diese ausschließlich auf die Beziehung des Individuums zu Gott ein. Im irdischen Leben habe dagegen jedermann ohne aufzubegehren an seinem Platz in der ständischen Ordnung zu verharren Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A4ndeordnung
Die warmen und trockenen Phasen zwischen dem 8. und 14. Jahrhundert führten in Europa zu einer Verdoppelung der Bevölkerung. Die folgenden Kaltzeit mit Hungersnöten, Kriegen und Säuchen wurde auch als ein Auslöser für spätmittelalterliche Agrarkrisen im 14. und 15. Jahrhundert in Europa gesehen. Die Bevölkerung schrumpfte etwa um ein Drittel. Erst die frühe Neuzeit brachte in Preußen eine gewisse Stabilisierung auf einem gleichbleibenden Niveau. Nach der Bauernbefreiung 1802 und dem Ende Franzosenherrschaft 1815 begann die Bevölkerung in Ostpreußen wieder absolut zu wachsen.
Die starre Ständeordnung begann sich vom Spätmittelalter an langsam zu wandeln. Die Veränderungen des ständischen Systems und die langsam beginnende Durchlässigkeit der Standesschranken entstanden u.a. durch die religiöse Revolution, die fortschreitenden Arbeitsteilung den technischen Fortschritt und den beginnenden Atlantikhandel. Nur der katholische Klerus blieb (bis heute) kaum verändert. Zwar konnte ein Bauer zum Bischof aufsteigen, es passierte aber selten.
Die Gesellschaft war in Preußen in drei Stände geteilt, in Adel, Stadtbürger und Bauern, doch machten die unterständischen Bewohner etwa 70 % der Bevölkerung aus. Die Durchlässigkeit zwischen den Ständen wurde z. B. durch das Militär nur in kleinen Teilen befördert. So konnten z. B. einfache Bauern- und Bürgersöhne bei Eignung zu militärischen Führern der unteren Ebene aufsteigen. Weitere Aufstiegsmöglichkeiten bestanden im Militär für Nichtadlige nur in wenigen technischen Bereichen, kaum in der Verwaltung. Für diesen Adel war es aber nicht standesgemäß, seinen Lebensunterhalt in bürgerlichen Berufen zu verdienen. Dies führte angesichts der Tatsache, dass es etwa 20.000 Adelsfamilien gab, jedoch eine begrenzte Zahl von Gütern, zu einer starken Verarmung des Adels. Gleichzeitig wurde die Militärlaufbahn zunehmend als eine adlige Standespflicht aufgefasst. Die Eheschließung zwischen Partnern, die verschiedenen Ständen angehörten, war gesellschaftlich immer noch verpönt. So achteten die Gutsbesitzer im Landkreis Insterburg noch vor dem 1. Weltkrieg streng auf standesgemäße Heiraten.
Viele der neue Anforderungen und Funktionen und die dazu notwenigen Institutionen und Organisationen der Neuzeit waren in der ursprüngliche einfache mittelalterliche Ständeordnung noch gar nicht vorhanden. Hinzu kamen die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Veränderungen, die sich aus den Folgen von Kriegen, Säuchen und Hungersnöten ergaben. Die Besiedlung von Ostpreußen war ein Beispiel dafür.
Global gesehen hatten sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit der Entdeckung Amerikas 1492 durch Kolumbus stark verändert. Die globalen Handels- und Warenströme verlagerten sich in den Nordatlantik und bezogen nun auch Asien, China, Afrika sowie die Amerikas mit ein. Am Atlantik setzte ein europäischer Wirtschaftsboom ein. Die Ostseehäfen und deren Hinterland blieben demgegenüber zwangsläufig zurück. Der technische Fortschritt fand in Ostpreußen auch auf dem Lande sehr verspätet statt. Je nach politischer Macht-Konstellation fanden diese Veränderungen mit unterschiedlichem Tempo oder zunächst auch gar nicht statt.
Trotzdem wurde das ständische Gesellschaftsmodell gerade in Ostpreußen bis ins 18. Jahrhundert hinein nie grundsätzlich in Frage gestellt. Zwar wurde auf den Staatsdomänen 1799 die Leibeigenschaft abgeschafft, nicht aber auf den ostelbischen Großgrund- und Adelsgütern.
Noch bis zum Ende des Kaiserreiches gab es in Ostpreußen den traditionellen feudalistischen Standesdünkel, der im Junkertum fortlebte. Siehe dazu auch den Absatz 7.1.3 Junker. Allerdings änderte sich nach dem Religionsübertritt von 1525 der Stand und die Stellung der Kirche in Ostpreußen. Das Allgemeine Preußische Landrecht regelte u.a. die Stellung der Bauern und der Stände. Es wurde 1794 erlassen und hatte eine unterschiedliche Geltungsdauer. Die Strafbestimmungen des Landrechts (zweiter Teil, zwanzigster Titel) wurden durch das Strafgesetzbuch vom 14.4.1851 abgelöst. Am 1.1.1900 wurde das preußische Recht im Zivilrecht durch das Bürgerlichen Gesetzbuch abgelöst.
Das Allgemeine Preußische Landrecht regelte in Teil II u.a. die Stellung der Stände
7. Titel Bauern §. 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des platten Landes begriffen, welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der Landwirthschaft beschäftigen; in so fern sie nicht durch adliche Geburt, Amt, oder besondre Rechte, von diesem Stande ausgenommen sind.
8. Titel - Bürger §. 1. Der Bürgerstand begreift alle Einwohner des Staats unter sich, welche, ihrer Geburt nach, weder zum Adel, noch zum Bauerstande gerechnet werden können; und auch nachher keinem dieser Stände einverleibt sind. §. 2. Ein Bürger im eigentlichen Verstande wird derjenige genannt, welcher in einer Stadt seinen Wohnsitz aufgeschlagen, und daselbst das Bürgerrecht gewonnen hat.
9. Titel - Adel §. 1. Dem Adel, als dem ersten Stande im Staate, liegt, nach seiner Bestimmung, die Vertheidigung des Staats, so wie die Unterstützung der äußern Würde und innern Verfassung desselben, hauptsächlich ob. Erlangung des Adels 1). durch Geburt und Heirath; 2) durch Landesherrliche Verleihung.
11. Titel - Kirche §. 1. Die Begriffe der Einwohner des Staats von Gott und göttlichen Dingen, der Glaube, und der innere Gottesdienst, können kein Gegenstand von Zwangsgesetzen seyn. §. 2. Jedem Einwohner im Staate muß eine vollkommene Glaubens- und Gewissensfreyheit gestattet werden. §. 3. Niemand ist schuldig, über seine Privatmeinungen in Religionssachen Vorschriften vom Staate anzunehmen. §. 4. Niemand soll wegen seiner Religionsmeinungen beunruhigt, zur Rechenschaft gezogen, verspottet, oder gar verfolgt werden.
Im Laufe der Zeit fand im Orden eine Um- und Überformung der christlichen Ordensämter (Hochmeister, Großkomtur, Ordensmarschall, Trapier oder Spittler) statt. Der veränderte Verwaltungsaufbau der Landesherrschaft durch den Ordensstaates erforderte neue Strukturen. So wurden z. B. den ursprünglich dominierenden militärischen und christlichen Priesterbrüder die verwaltenden Ritterbrüdern gleichberechtigt.
Nach der Niederlage in der Schlacht von Tannenberg (1410) lösten sich viele der örtlich verbliebenen verantwortlichen Ordensmitglieder von den strengen Ordensregeln des ersten Standes, die Armut, Keuschheit und Gehorsam geboten („du bete demütig!“) und wurden nach dem ursprünglichen Stände-Modell formal zu Mitgliedern im Zweiten und Dritten Stand. Hauptsächlich Sariantbrüder und Laienbrüder wagten diesen Schritt. Das Ziel war der Erwerb von eigenen Besitztümern, die aber nur als Lehen vergeben wurden.
Für die Ländliche Entwicklung im Ordensland Ostpreußen bedeutet das nach 1410 u.a.:
- Der Adel reduzierte die Ritterorden zunehmend zur sicheren Versorgungsbasis für seine nicht erbberechtigter Nachkommen. Entsprechend sank die Motivation in der Ordens-Ritterschaft. "Liederliches Leben" machte sich breit.
- Alltägliche Aufgaben in Verwaltung oder Administration des Deutschen Ordens wurden nun als lästige Pflichten wahrgenommen.
- Der Boden wurde vom Niederen Adel nicht mehr als verliehenes Land mit ständig steigenden Abgabepflichten, sondern als "freier" Besitz betrachtet.
- Mit dem Niedergang des Ordens bildeten sich auch innerhalb und außerhalb des Ordens konkurrierende Machtgruppen in Ostpreußen
- In einigen Komturen begann, im Gegensatz zum Ordensmeister, schon das Bauernlegen.
- Der Niedergang des Ordens konnte nach den verlorenen Kriegen und den folgenden Reparationen durch eine deutliche erhöhte Besteuerung nicht aufgehoben werden.
- In den Städten gründeten sich Innungen und Zünfte.
- Auf den Lande schloss sich der niedere Landadel zur Vertretung seiner Interessen in Ritterschaften zusammen.
- Der Niederen Adel vertrat hauptsächlich seine lokale Interessen gegenüber den "tradionellen" Ordensoberen in den 30 örtlichen Komturen und dem Hochmeister in Königsberg.
Um die Reparationen aus dem Thorner Frieden aufbringen zu können, versuchte der Orden, von seinen Untertanen vermehrt Abgaben zu erheben. Daraufhin forderten Städte und Landadel, die sich der hohen Besteuerung entziehen wollten und seit 1422 einen regelmäßigen Landtag durchgesetzt hatten, Mitsprache. Im Jahre 1440 schlossen diese sich im „Preußischen Bund“ zusammen. Dieser unterstellte sich 1453 König Kasimir IV. von Polen, um ihn als Verbündeten zu gewinnen. Es brach der Dreizehnjährige Krieg zwischen Preußischem Bund und Polen auf der einen und dem Orden auf der anderen Seite aus, der den Orden wirtschaftlich in die Knie zwang.
Im Zweiten Frieden von Thorn vom 19. Oktober 1466, der diesen Krieg beendete, musste der Orden Pomerellen, das Kulmer Land, die Marienburg, Elbing und das Ermland an die polnische Krone abtreten und darüber hinaus für sein Restgebiet, das mit innerer Autonomie ausgestattet war, die polnische Lehnshoheit anerkennen. Zum weiteren Erhalt des Ordensstaates waren nun große Subventionen aus den Balleien im Heiligen Römischen Reich nötig, die viele Kommenden in eine prekäre finanzielle Lage brachten.
Nach der verlorenen Schlacht von Tannenberg wurde 1411 vom Hochmeister des Deutschen Ordens ein Landtag einberufen, der die Finanzierung der polnischen Reparationsforderungen gegen den Ordensstaat regelte. Die Städte und die Ritterschaft bildeten den Landtag, der in dieser Form bis 1525 bestehen bleib. Der Landtag umfasste 48 Teilnehmer - 32 aus dem Landadel und 14 der Stände aus den Städten. Im Ersten Frieden von Thorn, am 1. Februar 1411, musste der Ordensstaat einige Gebiete an Polen-Litauen abtreten und 100.000 Schock böhmische Grosche Entschädigung zahlen. Die in Thorn ausgehandelten Kontributionen belasteten den Orden und die preußischen Stände finanziell außerordentlich und führten letztlich im Jahre 1454 zum Aufstand der 1440 in Elbing zum „Preußischen Bund“ zusammengeschlossenen Landstände gegen die feudale Zwangsherrschaft der Ordensritter. Daraufhin kündigte der Preußische Bund dem Hochmeister als Schutzherrn den Gehorsam auf, erklärte am 4. Februar 1454 dem Orden den Krieg und unterstellte sich mit seinem Anführer Hans von Baysen am 6. März 1454 dem König Kasimir IV. Andreas von Polen als Schutzherrn. Das neue Bündnis führte zum Dreizehnjährigen Krieg gegen den Orden, der 1466 mit dem Zweiten Frieden von Thorn beendet wurde.
Nach dem Dreizehnjährigen Krieg wurde 1466 im Zweiten Frieden von Thorn Preußen geteilt. Königsberg verblieb bei dem vom Deutschen Orden verwalteten Teil Preußens. Nach dem Verlust der Marienburg 1457 wurde die Burg Königsberg Sitz des Hochmeisters des Deutschen Ordens. Mit dem Einzug des Hochmeisters Ludwig von Erlichshausen auf dem Königsberger Schloss war das Domizil des Ordens und somit die gesamte Ansiedlung Königsberg seit 1457 Zentrum des Ordensstaates in Ostpreußen.
Quelle: Robert Bartlett: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt.
Die Kriege des Ordensstaates mit Litauen und Polen dauerten noch bis 1466. Ab 1420 waren aber die Preußenfahrer daran nicht mehr beteiligt. Die letzten Kreuzzüge in Europa waren die gegen die Hussiten in den Jahren von 1420 bis 1434. Quellen: Werner Paravicini: Die Preußenreisen des europäischen Adels. Teil 1 und 2 Preußenfahrt – Wikipedia Deutscher Orden – GenWiki (genealogy.net)
Auseinandersetzungen mit den aufbegehrenden Ständen und der Ritterschaft (Eidechsenbund und preußischer Bund), die sich in ihrer Selbstbehauptung gegen den Orden gelegentlich auch mit Polen verbündeten, und die 1386 vollzogene Vereinigung des christlich gewordenen Litauen mit Polen unter dem Großfürsten Jagiello führten 1410 zur schweren Niederlage des Ordens bei Tannenberg und brachen dessen Vormachtstellung.
Im Gefolge der verlorenen Kriege des 15. Jahrhunderts, durch Brandschatzungen, Reparationsleistungen und daraus resultierend der Einführung von überhöhten Steuern fiel die blühende Wirtschaft des Ordensgebietes allmählich wieder auf den europäischen Durchschnitt zurück. Quelle: Hartmut Bookman: Die Vorwerke des Deutschen Ordens in Preußen
Die Fläche des Landmeistertum Preußen des Deutschen Ordens betrug:
- 1283–1309: 45.000 km² (Abschluss der Unterwerfung der Prußen)
- 1309–1466: 61.100 km² (nach Erwerbung Danzigs und Pommerellens einschl. Bütow und Lauenburg)
- 1466–1525: 35.300 km² (nach Abtretung von Pommerellen, Danzig, Marienburg, Elbing, Nordpomesanien, Ermland und des Kulmerlandes)
Nach der Reichgründung 1871 gab es noch weitere Veränderungen der Größen von Ostpreußen:
- 1871-1920: 36.993 km² (Volkszählung Deutsches Reich 03.12.1917)
- 1920-1939: 34.337 km² (Im Versailler Vertrag festgelegten Gebietsabtretungen des Memellandes von 2.656 km²)
- ab 1939: 36.481 km² (Volkszählung Drittes Reich 17.05.1939, einschließlich der am 23.3.1939 erzwungene Rückgabe des Memellandes aber ohne den Regierungsbezirk Westpreußen und das Soldaugebiet)
- Nach dem Überfall auf Polen wurde am 26. Oktober 1939 der angrenzende polnische Landkreis Ciechanów – in Zichenau umbenannt – als Teil des neuen gleichnamigen Regierungsbezirks der Provinz Ostpreußen und damit völkerrechtswidrig vom Deutschen Reich annektiert. Er umfasste ein Territorium von 13.186,4 km² und hatte 1939 eine Bevölkerung von ca. 895.000 Einwohnern. Hiervon waren 800.000 polnischer, 80.000 jüdischer und 15.000 deutscher Herkunft.
Nach 1945 wurde Ostpreußen geteilt in den:
- Polnischen Teil: 24.173 km² (Woiwodschaft Ermland-Masuren (Województwo warmińsko-mazurskie))
- Russischen Teil: 15.125 km² (Oblast Kaliningrad (Калинингра́дская о́бласть Kaliningradskaja Oblast))
1510 wurde Markgraf Albrecht von Brandenburg (reg. 1510-1525, Herzog von Preußen 1525-1568), Sohn des Markgrafen Friedrich IV. von Ansbach-Kulmbach (reg. 1486-1515, gest. 1536), zum Hochmeister berufen. Der Krieg von 1519 bis 1521 gegen Polen brachte für den Orden zusätzliche Belastungen. Der Hochmeister Albrecht I. von Brandenburg-Ansbach versuchte erfolglos im sogenannten Reiterkrieg (1519–1521), Unabhängigkeit von der polnischen Krone zu erlangen. In der Hoffnung, dadurch Unterstützung aus dem Heiligen Römischen Reich zu erhalten, unterstellte er 1524 das preußische Ordensgebiet der Lehnshoheit des Reiches und unternahm selbst eine Reise ins Reich, blieb allerdings damit erfolglos.
Die Situation wurde verschärft durch die Reformation und das Sendschreiben Martin Luthers (1483-1546) von 1523 "An die Herrn deutschs Ordens, daß sie falsche Keuscheit meiden, und zur rechten ehelichen Keuscheit greifen". Darin forderte er sie zum Bruch der Ordensgelübde und zur Eheschließung auf. Für ihren Unterhalt schlug er vor, den Ordensbesitz aus der kirchlicher Bindung zu lösen. Bei zwei persönlichen Treffen in Wittenberg 1523 riet Martin Luther dem Hochmeister, der um Rat für Reformen des Ordens bat, das Ordensland in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln. Dass der bis dahin katholische Albrecht die Konfession wechselte, war keine Kurzschlusshandlung. Der Reformator Martin Luther höchstpersönlich hatte ihm bei zwei Treffen in Wittenberg dazu geraten. „Siehe das Wunder! Mit prallen Segeln eilt das Evangelium nach Preußen“, freute sich Luther.
Schließlich glaubte Albrecht von Brandenburg, seine Stellung als Landesherr nur durch den Bruch der Ordensgelübde und die Übertragung Preußens als Lehen an die Krone Polens retten zu können. Am 8. April 1525 verließ er den Orden, unterschrieb den Friedensvertrag mit König Sigismund von Polen (reg. 1506-1548) und ließ sich mit dem nunmehrigen Herzogtum Preußen belehnen.
Der Übertritt des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg zum evangelischen Glauben 1525 und die Umwandlung des nach dem ersten und zweiten Thorner Frieden (1411 und 1466) verbliebenen Ordenslandes in ein weltliches erbliches Herzogtum beendeten schließlich die Herrschaft des Deutschen Ordens im preußischen Raum. Mit dem Übergang der Landesherrschaft von einer geistlichen Korporation an einen weltlichen Dynasten war aber keineswegs der Deutsche Orden vernichtet, auch wenn die meisten Mitglieder in Preußen widerstandslos Konfession und Stand wechselten.
Ab 1525/27 war zumeist Mergentheim, im heutigen Nordosten Baden-Württembergs, offizieller Amtssitz des Hoch- und Deutschmeisters.
Der Frieden von Pressburg nach der Niederlage der österreichisch-russischen Koalition bei Austerlitz gegen Napoléon 1805 verfügte, dass die Besitzungen des Deutschen Ordens und das Amt des Hoch- und Deutschmeisters erblich an das Haus Hohenzollern in Österreich übergehen sollten. Das Amt des Hochmeisters und mit ihm der Orden wurden in die Souveränität des Kaiserreichs Österreich integriert. Kaiser Franz I. von Österreich ließ den nominellen Status des Ordens jedoch weiterhin bestehen. Hochmeister war zu diesem Zeitpunkt sein Bruder Anton Viktor von Österreich.
Am 24. April 1805 erklärte Napoléon nach dem Einmarsch der Österreicher in das Königreich Bayern infolge des Fünften Koalitionskrieges den Orden in den Rheinbundstaaten für aufgelöst. Der Ordensbesitz wurde an die Fürsten des Rheinbundes abgetreten. Dem Orden verblieben jetzt nur noch die Besitzungen in Schlesien, Ostpreußen und Böhmen sowie die Ballei Österreich. 1809 wird der Orden in Schlesien und Ostpreußen aufgelöst.
Nachdem der Orden durch die Bestimmungen des Friedens von Pressburg 1805 seine politische Souveränität verloren hatte, befand sich die zentrale Residenz des geistlichen Ordens von 1805 bis 1923 zunächst in Wien, dann bis 1948 in Freudenthal und seit 1948 wieder in Wien. 2018 hat der Orden ca. 1.800 Mitglieder darunter etwa 100 Priester und 200 Ordensschwestern, die sich vorwiegend karitativen Aufgaben widmen. Das Deutschordenshaus ist in Wien hinter dem Stephansdom gelegen.
Siehe auch: Deutscher Orden – Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Orden
Beginn der Ostsiedlung im Nadrauer Gebiet ab 1226. Dort werden später auch die ersten Willschicker siedeln
Die Geschichte der Ostsiedlung des Ordens zwischen 1230 und 1525 ist eng mit dem Schicksal des Deutschordensstaats verknüpft, aus dem später das Herzogtum Preußen, Lettland und Estland hervorgingen. Der Deutschordensstaat oder Staat des Deutschen Ordens war das Territorium des Deutschen Ordens in der Zeit von 1230 bis 1525. Der Staat umfasste im Kern das Gebiet des Herzogtum Preußen sowie als eigenständiges Meistertum Livland und bis 1561 und das heutige Estland und Lettland. Diese Gebiete wurden durch den Orden teilweise erobert und neu besiedelt. Etwa ein Drittel der prusischen Urbevölkerung war während der Eroberung umgekommen. Da die Ordensritter sichere Nahrungsquellen mit den dazu nötigen Arbeitskräften benötigten, begann die planmäßige Besiedlung in Preußen und Livland. Besonders zwischen dem preußischen und dem livländischen Orden kam es jedoch im Laufe der Zeit zu Spannungen. Das zeigte sich besonders an der fehlenden livländischen Unterstützung der Preußen in der Schlacht bei Tannenberg um 1411.
Siehe dazu auch: Deutschordensstaat – Wikipedia
Von 1202 an wurde der Schwertbrüderorden in Livland aktiv. Die Livländische Konföderation (auch lateinisch Terra Mariana, Marienland) war ein lose organisierter Staatenbund, der von 1228 bis in die 1560er Jahre in Livland (auf dem heutigen Gebiet von Estland und Lettland) bestand. Im Spätmittelalter wurde mit Livland (damals auch Eifland) das gesamte Territorium des Schwertbrüderordens bezeichnet, also das heutige Estland und Lettland (zunächst ohne den dänischen Teil im Norden Estlands). Das Gebiet wurde im 13. Jahrhundert vom Schwertbrüderorden unter Führung des Bischofs von Riga, Albert I. von Buxhöveden (bei Bremen), unterworfen. Schnell eroberte der Schwertbrüderorden ganz Livland und Estland. Entgegen der päpstlichen Auflage machte sich der Orden jedoch bald vom Bischof unabhängig. 1207 ließen sich die Schwertbrüder vertraglich ein Drittel des eroberten Landes abtreten. Die andauernde Rivalität zwischen Bischof Albert und dem Orden mündete 1210 in einen Schiedsspruch des Papstes, der dem Orden allerdings noch weitergehende Rechte zugestand. Das von den Schwertbrüdern eroberte Land wurde in drei Herrschaftsbereiche unterteilt:
- Gebiete, die dem Bischof unterstanden (vor allem nordöstlich und südlich von Riga)
- Gebiete, die dem Orden unterstanden (vor allem bei Wenden und an den Grenzen im Osten und im Süden)
- Gebiete unter der gemeinsamen Regierung von Orden und Bischof (unter anderem bei Koknese)
- Einzig Oberlitauen (Aukschtaitien) und Niederlitauen (Žemaitien) zum Großfürstentum Litauen gehörig blieben unabhängig.
Der Schwertbrüderorden wurde 1202 zur Missionierung von Livland (lettisch Vidzeme) gegründet. Nach anfänglichen Erfolgen in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts wurde der Orden im Jahre 1236 nach der schweren Niederlage bei Schaulen gegen die Litauer mitsamt seinen verbliebenen Mitgliedern und Ländereien in den Deutschen Orden eingegliedert. Der Schwertbrüderorden ging 1237 als Livländischer Orden im Deutschen Orden auf. 1237 traf der Landmeister von Preußen, Hermann von Balk, als Bevollmächtigter des Hochmeisters Hermann von Salza beim durch die heidnischen Litauer schwer bedrängten Bischof in Riga ein. Die päpstlich beglaubigten Rechte des Deutschen Ordens wurden hier sofort anerkannt. Fortan übte ein Landmeister die Hoheitsrechte des Ordens in Livland aus.
Die unmittelbar folgende militärische Ostexpansion des vereinigten Ordens wurde bereits mit der Schlacht auf dem Peipussee am 5. April 1242 und der Wiedereroberung des wichtigen Handelsplatzes Pskow durch ein christlich-orthodoxes russisches Heer unter Führung des Nowgoroder Fürsten Alexander Newski endgültig gestoppt. Die Expansion des Deutschen Ordens verschob sich nun nach Nordestland und ins Gebiet der Žemaiten im Süden. Die Žemaiten, auch Samogiten oder Samaiten, litauisch Žemaičiai, waren ein baltischer Volksstamm. Er war im westlichen Litauen, in Samogitien (lit. Žemaitėjė), ansässig.
Anders als in Preußen konnte sich der Deutsche Orden in Livland – selbst nach der Schlacht bei Tannenberg (1410) – als der führende Landesherr Livlands gegenüber Litauen - Polen halten. Preußen wurde 1525 zum weltlichen Herzogtum, während der livländische Ordensstaat erst 1561 durch die Ernennung zum Herzogtum Kurland und Semgallen sowie dem Herzogtum Livland aus der Gebundenheit an die katholische Kirche gelöst wurde wurde. Das Herzogtum entstand, als die weltliche katholisch dominierte livländische Landesherrschaft des Deutschordensstaates 1561 durch den letzten Landmeister in Livland, Gotthard Kettler, in ein protestantisches Herzogtum umgewandelt wurde.
Das Bestreben der Ordensritter, durch Annexion von Žemaitiens (Niederlitauen) eine Landbrücke zwischen seinen preußischen Besitzungen und dem Meistertum Livland wurde nach 1302 mit einer angestrebten Christianisierung der bislang „heidnischen“ Litauer begründet - was aber nicht gelang.
Ab 1385 ging die Großmacht Litauen eine Personalunion mit dem Königreich Polen ein, unter Führung der litauischen Jagiellonen, die später das heidnische Kernland Litauens christianisierten. Der größte Teil von Litauen blieb aber vom Orden unabhängig, da es mit Polen 1385 eine erste Allianz- und Vertrags-Union, die Union von Krewo vereinbarte, der weitere folgten, die 1569 zur Gründung der Adelsrepublik des Königreichs Polen und des Großfürstentum Litauen führten. In der Schlacht bei Tannenberg 1410 besiegte die Union das Heer des Hochmeisters.
Die Verbindung mit Polen wurde 1569 in der Realunion zu Lublin gefestigt. Fortan bestand die Aristokratische Republik Polen-Litauen.
Ab 1648 kam es zu einem anhaltenden inneren und äußeren Niedergang, worauf nach den drei Teilungen Polens ab 1772 die beiden Staaten schließlich 1795 von der politischen Landkarte Europas verschwanden.
Von 1226 an begann der Deutsche Orden im zukünftigen Preußen mit der Christianisierung. Ein weites Siedlungsgebiet im Osten, war das der Prußen. Die Prußen waren die Ureinwohner des Gebietes zwischen den Flüssen Weichsel und Memel. Sie bildeten keinen festen Staatsverband, sondern siedelten als Stämme in relativ fest umgrenzten Siedlungsgebieten. Es gab 8 Baltische Stämme. Um 1200 gab es 12 prußische Landschaften (Gaue) darunter die Landschaft Nadrauen.
In einem Werk, der „Chronik des Preußenlandes“ berichtet der Deutschordenspriester Peter von Dusburg 1326 in Königsberg Folgendes: Zuerst rodeten prußische Wandbauern in den verfilzten tiefen Wäldern. In den Niederungen ließen die sauren und nassen Wiesen noch keine Viehhaltung zu. Erst die langsame Entwicklung von den Waldbauern zu den Feldbauern führten zur Viehhaltung. Die Prußen begannen wilde Schweine zu fangen, sie unter Eichen zu hüten und in Ställen zu füttern. Auch wilde Rinder wurden gefangen, um sie zu melken. Der Auerochse war das erste Wildrind, das domestiziert wurde. Die Wildpferde wurden nicht nur gejagt, um sie zu verzehren, sondern auch um sie zu zähmen. Die auf wilden Wiesen gehaltenen Pferde, die „Schweiken“ begannen bald auch Hakenpflüge zu ziehen. Von den 8 altprußischen Stämmen hatte die meisten etwa 2.000 Pferde, die auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen gebraucht wurden.
Quelle: Hartmut Boockmann: Peter von Dusburg. In: Lexikon des Mittelalters
Die Prußen wählten in Friedenzeiten in jedem Gau ihre Häuptlinge. Sie betrieben Ackerbau und Viehwirtschaft. Städte gab es nicht. An strategischen Punkten, wie Insterburg, wurden aber einfache Festungen errichtet. Die Prußen lebten vorwiegend in Einzelgehöften, in Streusiedlung, weniger im Dorfverband. Dörfer entstanden überwiegend in der Nähe von Prußischen Befestigungen. Im Sommer wurden die festen Wohnsitze häufig verlassen, um ein Nomadenleben zu führen.
Die Besiedlung bestand zunächst überwiegend aus einfachen fensterlosen Holzhütten, wobei jede Hütte seinen eigenen Zweck hatte, Schlaf-, Speise- und Wohnhütten waren getrennt, ebenfalls die Badeanlage, eine Art Sauna. Davon abgetrennt waren die einfachen Unterstände für Vorräte und Vieh. Die später entstandenen festen Wohn-Bauten mit Fenstern und mit einem rechteckigen Grundriss integrierten diese verschiedenen Wohnfunktionen in einem Gebäude. Sie hatten in der Gegend von Masuren schon eine Vorlaube, ein Haustyp der sich später in der Provinz Ostpreußen wiederfand. Als Vorlaubenhaus wurden Bauten bezeichnet, denen an zumindest einer Seite eine Laube vorgebaut ist. Meistens hat diese Laube einen eigenen Giebel. Dies hatte zusätzlich den Vorteil, dass bei einem Brand das herabfallende Stroh der Dacheindeckung vom Haupteingang weggelenkt wurde und der Weg ins Freie länger sicher blieb. Verbreitet hatte sich diese Bauweise vor allem im Bereich östlich der Elbe.
Der Stamm der Nadrauer gehörten zu den Prußen, einem baltischen Stamm, der seit dem fünften Jahrhundert von Christi an der Ostsee zwischen Memel und Weichsel siedelte. In allen 12 Landschafen wohnen um das Jahr 1200 geschätzt zusammen etwa 140.000 - 200.000 Prußen – in Nadrauen wird die Zahl zwischen 12.000 und 16.000 geschätzt. Es kamen etwa vier bis fünf Bewohner pro Quadratkilometer.
Nadrauen, prußisch Nadrawa, litauisch Nadruva, war ein Landschaft der Prußen/ Pruzzen im späteren Ostpreußen. Sie lag östlich des Flusses Deime und grenzte also im Westen an das Samland und Natangen, im Norden an Schalauen, im Süden an Barten und Galinden und im Osten an Sudauen. Der Name beschreibt die Landschaft („na-drawa“: da wo es fließt), die geprägt war durch Urwälder und Sümpfe, feuchte „Grauden“ und lichte „Damerauen“ mit Buschwäldern.
Da sie sich die Prußen der Christianisierung und der Einbindung in fremde Staatsgefüge widersetzten, bat der polnische Herzog Konrad von Masowien 1226 den Orden um Hilfe.
Nach ihrer Unterwerfung durch den Deutschen Orden 1283, die mit der vollständigen Zerstörung prußischer Besitztümer einherging, glichen sich die Prußen im Laufe der Zeit den späteren Zuwanderern kulturell und sozial bis etwa 1500 an. Neben (Nieder) Deutsch, Polnisch und Litauisch wurde in Ostpreußen auch Prußisch gesprochen, doch diese Sprache kannte lange Zeit keine Schriftform. Um die kirchliche Verkündung zu unterstützen ließ Herzog Albert eine Schriftsprache entwickeln und den Kleinen Katechismus Martin Luthers ins Prußische übertragen. Diese deutsch-pruschische Übersetzung erschien 1611 in Königsberg. Doch auch die Schriftsprache konnte den Untergang des Prußischen am Ende es 17. Jahrhunderts nich aufhalten. Die Prußsche Sprache starb aus. Von den letzten Sprechern des Prußischen wird um 1700 berichtet.
Unter Integration - die sich über mehrere Generationen hinziehen kann - war (und ist) zu verstehen:
- das Erlernen der Sprache
- das Aufnehmen von Arbeit
- die Einheirat in die Bevölkerung
1275 wurde die Landschaft Nadrauen vom Deutschen Orden erobert. Die bedeutendste Stadt dieser Landschaft wurde 1336 Insterburg. In Nadrauen lag zugleich das spätere Amt Aulowönen mit dem Dorf Willschicken.
Neben dem Orden gab es aber auch andere „Pionier-Wanderer“. Es waren hauptsächlich Adlige wie z. B. die Söldnerführer und deren Hauptleute sowie schottische und Lübecker Kaufleute, die ihr Glück im Osten suchten. Deren Familien zogen, wenn ihre Männer Erfolg hatten, bald nach. Der Orden wurde auch Mitglied der Hanse
Die Siedler im Ostpreußen hatten verschiedene Motive und waren unterschiedlichen Zwängen ausgesetzt:
- Flucht vor Kriegen, Aufständen, Hungersnöten, religiöser Unterdrückung: sogenannte Push-Faktoren
- Freie Beweglichkeit, Versprechen von eigenem Land, besserer Ernährung und freier Religionsausübung, Unterstützung bei Fernwanderungen, Förderung der Binnenwanderung und Besiedlung, Verdienstmöglichkeiten, Versorgung von Erben: sogenannte Pull-Faktoren
- Zwangsansiedlung der nomadischen Prußen, Legen der Kulmischen Bauern, Einführung der Gutsherrschaft: sogenannte Zwangs-Faktoren
Den ersten Teil der Siedler in die eroberten Gebiete des Ordens in Preußen stellten bis 1283 die litauischen und polnischen (masowischer) Grenzbewohner, die sich auf die Seite des Ordens gestellt hatten. Sie hatten sich räumlich schon mit den einheimischen Pruzzen durchmischte, die im Sommer häufig noch als Nomaden lebten. Es war hauptsächlich die spärliche Grenzbevölkerung um die Großen Wildnis, die sich, als Binnenwanderer im eroberten Ordensland bessere Lebensbedingungen versprach. In und um die Große Wildnis solle ein siedlungsfreier Raum entstehen, um Angreifern aus Litauen und Polen keine logistische Unterstützung zu bieten. Es war extrem schwierig, ohne fremde Hilfe durch die Große Wildnis zu kommen. Es gab noch keine Wege, sondern nur versteckte Trampelpfade. Die Binnenwanderer wurden vom Orden im Samland "angesetzt". Das Gebiet war noch lange als „Sudauerwinkel“ bekannt. Erdlöcher und Reisig Hütten mußten den Siedlern in dieser Zeit in ihrer neuen Umgebung oft als Notunterkunft dienen, bevor winterfeste Quartier errichtet werden konnten.
Die zweite, weitaus größere Welle der Siedler kam hauptsächlich aus dem Reich und wurde vom Orden organisiert. Hier war der Land- und Schiffstransport der Siedler auf den bekannten Wegen und Routen leichter möglich. Die Reise dauerte etwa 4 - 6 Wochen. Häufig wurden wieder zunächst "Pionier-Wanderer" losgeschickt, die bei Erfolg weitere Angehörige nachholten. Die große Welle der Einwanderung deutscher Kolonisten verebbte schon um 1320. Die Besiedlung wurde dann mit den Kindern der Einwanderer als „Binnenkolonisation“ fortgeführt. Ab 1410 wurden wieder verstärkt litauische und polnische Siedler geworben. Zur Besiedlung werden auch Siedler von jenseits der Grenze herangezogen. Masuren (aus Masowien) sind bereits seit dem 14. Jahrhundert eingewandert, dazu kommen verstärkt auch Litauer und Ruthenen. Nach 1466 (dem Jahr des 2. Thorner Friedens) wird die Einwanderung von Masuren und Litauern stärker und schwillt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besonders stark an. Die Masuren werden nicht nur als Bauern, sondern auch als Gutsbesitzer angesetzt und bewohnen auch die Städte. Litauer sind fast ausschließlich Bauern. Der Süden des Landes spricht seit dem 16. Jahrhundert überwiegend polnisch("Masuren") und der Nordosten überwiegend litauisch („Preußisch-Litauen“).
1708 setzte sich die Bevölkerung von Ostpreußen mit 657.836 Einwohnern zusammen aus
- 228.743 Prußen = 33,8 %
- 166.312 Deutsche = 24,6 %
- 142.972 Litauer = 21,7 %
- 127.210 Polen = 18,8 %
- 10.599 Holländer, Schotten, Hugenotten, Franzosen = 0,16 %
Quelle: http://prussen.jurkat.com/besiedelung-bevoelkerungsentwicklung-ostpreussen.htm
Während der Großen Pest von 1709 - 1711 sterben 240.000 Einwohner in Ostpreußen.
Man spricht bei der Ostsiedlung von einem Prozess des Landesausbaus. Der Orden holen gezielt Bauern aus anderen Regionen des Reiches, wie z. b. aus Südwestdeutschland. Sie kamen oft mit neuen Techniken des Landbaues und sie wurden zunächst nach dem Culmer Recht angesiedelt. Entsprechend entstand auch eine neue ökonomische Infrastruktur in Preußen. Der Orden setzte zur Werbung und Besiedlung Lokationsauftrag ein, die nach Erfolg bezahlt wurden. Der Aufbau von Häusern und der Ausbau von Siedlungen wurden von den Lokatoren aufgrund von Verträgen mit dem Orden vor Ort organisiert.
Die Bischöfe schrieben Werbebriefe: "Wohlan denn, ihr Sachsen, Franken, Lothringer, Flamen, ihr ruhmwürdigen Bezwinger der Welt, hier könnt ihr zugleich für das Heil eurer Seelen sorgen und das fruchtbarste Land zur Siedlung erwerben. Die Grundstücke überlassen wir euch zu erblichem und freien Recht, sodass ihr die Befugnis haben sollt, nach eurem Willen darüber zu verfügen."
Die meisten Neusiedler stammten aus dem Westen des Reiches (Flandern, Holland, Rheinland, Westfalen, auch Schwaben und Franken). Dazu kamen auch Neusiedler aus Litauen und Polen. Es gab verschiedene Motive, die alte Heimat zu verlassen: Zum einen wurden auf Grund des Erbrechts die landwirtschaftlichen Flächen zuhause immer kleinteiliger. Der gesamte Besitz musste unter allen männlichen Nachkommen aufgeteilt werden (Realteilung); damit sank der Ertrag pro Familie. Die Abgaben an die Grundherren blieben aber gleich, waren daher immer schwieriger zu leisten, weshalb viele Bauern kaum das Existenzminimum erreichten. Entsprechend attraktiv war die Möglichkeit, weitaus größere Ackerflächen im Osten zu bewirtschaften, die gemäß den Versprechungen des Ordens fruchtbar und reich an Tieren seien.
Die Siedlung nach Osten bedeutete auch einen Gewinn an persönlicher Freiheit. So konnten die Neusiedler zu Erbpächtern werden. Der im Verhältnis äußerst geringe Pachtbetrag und die freie Bewirtschaftung des Landes war im Westen so nicht bekannt. Solange der Eigentümer keinen Schaden nahm, konnte der Pächter sogar das Land verkaufen und im Erbfall sich seinen Nachfolger frei wählen. Die Besitztümer mussten nun nicht mehr unter allen männlichen Nachkommen aufgeteilt werden, sondern konnten als Ganzes vererbt werden
Die deutsche Ostbesiedlung durchlief fünf Phasen, wie die Karte der Deutschen Ostsiedlung zeigt.
Nachdem der Deutsche Orden 1283 die letzten Nomaden - Stämme der Prußen einschließlich ihrer Siedlungsorte und Festungen besiegt hatte, blieb eine dünn besiedeltes Gebiet zurück. Über ein Drittel seiner ursprünglich geschätzten 140.000 - 200.000 Bewohner waren umgekommen. An der Süd- und Ostgrenze des Ordensgebietes - der etwa 250 km langen und ungefähr 45 km breiten Wildnis - befand sich ein fast menschenleeres Gebiet.
Teile des Inhalt der obigen Karte beschreibt Hartmut Boockman in dem Artikel: "Die Vorwerke des Deutschen Ordens in Preußen" Quelle:https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/vuf/article/view/16429
Die wirtschaftliche Angleichung durch die Wiederbesiedlung des gesamten Prußenlandes an Westeuropa dauerten mehr als zwei Jahrhunderte. Die Anwerbung der Siedler erfolgte im Auftrag des Hochmeisters des Ordens und der Bischöfe, indem der örtliche Komtur kraft einer Urkunde (Handfeste) dem Lokator die Genehmigung zur Besiedelung eines ausgewiesen Landstriches erteilte.
Preußen hatte von 1230 bis 1309 und von 1317 bis 1324 einen eigenen Landmeister (Magister Pruscie) an der Spitze. Sein Amtssitz war zunächst in Thorn, dann in Elbing. Seither wurde es vom Hochmeister und der Zentralregierung direkt verwaltet.
Der Komtur war der Leiter einer Niederlassung des Ordens, einer Kommende. Er übte alle Verwaltungsbefugnisse aus und beaufsichtigte die seiner Deutschordenskommende unterstellten Vogteien und Zehnthöfe. Eine Kontrolle war durch sogenannten Ämterwandel, bei dem bei turnusgemäßer Aufgabe des Amtes eine Generalinventur erfolgte, sowie durch Visitationen gegeben
Unterteilt war das Verwaltungsgebiet des Ordenlandes Preußen in sogenannte 30 Komtureibezirke, auch als Kommenden bezeichnet. Größere Komtureien waren nochmals in Vogteien und Pflegeämter unterteilt. Die Gebiete wurden im Laufe der Jahre öfter geändert, Vogteien aus- und eingegliedert, auch Komtureien zusammengelegt.
Zur Besiedlung wurden Lehnsherren als Lokatoren eingesetzt. Organisiert wurde sie von Ordenskomturen und Dienstgutinhabern. Der Lokator war ein mittelalterlicher „Subunternehmer“, der meist im Auftrag des Deutschen Ordens für die Werbung, Urbarmachung, Vermessung und Zuteilung von zu erschließendem Land verantwortlich war. Das Werben wurde mit Geld, das Ansiedeln mit Land bezahlt. Diese aus dem Altreich aus dem niederen Adel oder Stadtbürgertum entstammenden, oft vermögenden Kaufleute, organisierten berufsmäßig die Besiedlungszüge aus Deutschland, Litauen und Polen. Häufig hatten sie in den Herkunftsländern der Siedler bezahlte Vertrauenspersonen, oft waren es auch Verwandte oder Ordensleute.
Der Deutsche Ritterorden in Preußen verwendete die Bezeichnung "Handfeste" für Siedlungsurkunden. Die Lokatoren erhielten für jede neu zu gründende Siedlung eine Handfeste. Darin waren die Rechte der Lokatoren für die Gründung der Städte und Dörfer geregelt, meist die Verleihung des mit „Freihufen“ verbundenen Schulzenamtes und bestimmte Einnahmen (z. B. ein Drittel der Einnahmen aus der niederen Gerichtsbarkeit – Gerichtsbarkeit ohne die ausschließlich dem Orden vorbehaltene Blut- und Halsgerichtsamkeit), sowie die Hofgrößen, „Freiheiten“ und „Gerechtsame“ (insbesondere Mühlen-, Fischerei- und Bierbraugerechtsamkeit und andere Privilegien) der anzuwerbenden Siedler aus den altdeutschen Gebieten und die von den Neusiedlern an den Orden als Grundherrn als Geld- und Naturalsteuer zu entrichtende Abgaben und Dienste.
Die frühen Ost-Siedler waren nach 1283, neben Reichsdeutschen häufig Söhne aus litauischen und polnischer (masowischer) Bauersfamilien, die nicht erbberechtigt waren. Erstgeborene übernahm den Hof der Eltern, die späteren Söhne und Töchter mussten den Hof verlassen und sich eine eigene Zukunft aufbauen – die häufig als „Unfreie Landarbeiter“ endete. Mit Vieh und Pferden und ihrem ganzen Hab und Gut als Erbanteil zogen sie bei den Eltern aus. Geld war damals als Erbanteil nicht üblich.
Es gab zentrale Sammelorte in Litauen und Polen (Masowien), die von den Lokatoren lange vorher auf den Ämter, in den Krügen und Kirchen der Gegend durch Flugblätter bekannt gegeben wurden. Voraussetzung war aber die Anlage von - wenn auch nur wenigen - sicheren Wegen durch die Große Wildnis. Allerdings konnte der größere Teil der Bevölkerung nicht lesen und war auf Gesprächsweitergaben von seriösen Personen angewiesen. Dort wurde dann ein Treck bis zu 200 Personen zusammengestellt. Der Lokator führte den Tross an. Zwischen 20 und 25 Kilometer legte der Zug pro Tag zurück. Bewaffnete Dienstleute und berittene Begleitpersonen schützten den Treck vor Räubern und wilden Tieren.
Beobachtungen von Hügeln und Bäumen aus und Rauchzeichen als Orientierungspunkte waren Mittel, mit denen der Lokator das Land grob eingrenzte. Zur genaueren Abmessung der Siedlung wurden bei stark bewaldeten Gebieten Bäume angeritzt und in offenem Gelände das Areal mit einem Pflug eingegrenzt.
Die Einteilung und Zuteilung der einzelnen Flurstücke für die Siedler erfolgte in der Landvermessung meist durch Messruten oder Messseile. Maßgrundlage war je nach Siedlung entweder der Kleine Morgen bei Handwerkern (ca. 0,2 Hektar) oder nach Klumer Recht die Magdeburger später Preußische Hufe (7,6 Hektar) bei Bauern. Häufig wurden die Grundstücke ausgelost. Bei schlechteren Böden konnten vergrößerte Grundstücke erworben werden.
Die Abbildung zeigt Vergabe eines Lokationsauftrags durch den Landesherrn; Rodungsvorgang und Hausbau; der Lokator fungiert als Richter über die Siedler, eine Szene aus dem Sachsenspiegel
Zu den grundlegenden Aufgaben des Lokators gehörten zudem das Vermessen des ihm zugeteilten Landes und dessen Verteilung an die einzelnen Siedler. Hierbei leitete er oftmals das Losverfahren oder teilte das Land möglichst gerecht zu, um Konfrontationen von Anfang an zu vermeiden. Außerdem stellte er Saatgut, Gerät und andere Arbeitsmaterialien zur Verfügung, die für die Siedlungsgründung notwendig waren. Urbarmachung durch die Trockenlegung sumpfigen Gebietes, die Heidekultivierung und die Rodung von Wälder waren die vordringlichsten Hauptaufgaben der Siedler. Auch Vorschüsse für Anschaffungen sowie den Lebensunterhalt für die Siedler in der Übergangszeit wurden meist vom Lokator getragen. Der Lokator war zudem der Rechtsvertreter (Lehnsherr) für die Siedler, die er verwaltete.
Während der Ordenszeit gab es im Deutschen Reich unterschiedliche Maßeinheiten, die lokal auch unterschiedliche Größen aufwiesen. Es wird von folgenden Maßeinheiten während der Ordenszeit in Ostpreußen bei der Höfe-Besiedlung ausgegangen:
1 preußische Hufe = 30 preußische Morgen = 7,5497 Hektar
1 preußischer Haken = 10 Hektar
Bei der Hufe handelt es sich um eine mittelalterliche Maßeinheit, um ein Bauerngut oder Gehöft mit ausreichenden Acker- und Weideflächen, die eine Familie bearbeiten und von der sie sich ernähren konnte. Die Größe der Hufe sind von Region zu Region anders. Vom Rhein bis Ostpreußen sind Hufengrößen von 15 bis 160 örtlicher Morgen nachgewiesen. Ein Hufen waren in z.B. in Ostpreußen zur Ordenszeit ca. 16,25 Hektar = 830 große Morgen = 400 Quadratruten. Ab 1721 ist eine preußische Hufe = 30 preußische Morgen = 7,5497 Hektar groß.
In wirtschaftlich angespannten Lagen oder ungünstigen Bodenverhältnissen oder aufgrund von persönlichen Beziehungen wurde in Preußen teilweise von diesen Standardmaßen nach oben abgewichen, es kam zu „Übergrößen“ bei der Verleihung von Land. Die Größenangeben der Flächen für Nadrauen sind insgesamt unsicher, da oft nicht klar ist, welch Maßeinheiten genau verwendet wurden oder ob dem nur Schätzungen zu Grunde lagen. Erst ab 1721 wurde das Kirchspiel und das Umland von Aulowönen und Willschicken von Landvermessern genau vermessen.
Das spätere Preußisch Litauen war ein Siedlungsschwerpunkt des Ordens und später der Preußischen Könige. Der Lokator selbst erhielt vor Ort etwa 4 – 6 Hufen – manchmal wurde er auch Gutsbesitzer mit zunächst 25 Hufen. Gleichzeitig wurde er Dorfschulze. Oft setzte er einen Verwalter ein, wenn er das Siedlungsgeschäft dauerhaft betrieb. Ein neu besiedeltes Dorf in der Insterburger Gegend hatte ebenfalls etwa die Größe eines neu vergebenen Guts und war ebenfalls etwa 25 Hufen groß und mit bis zu 10 bäuerlichen Feuerstellen besiedelt. Auf den neu vergebenen Güter kamen die unfreien Landarbeiter mit ihren Familien gewöhnlich in Scheunen oder Ställen unter.
Für ihre Verdienste wurden manche Lokatoren unter anderem auch mit einem abgabenfreiem Freihof oder sogar Freigut belohnt, ferner mit dem Erbschulzenamt, mit Jagd- und Fischereirechten, oft auch mit Einkünften aus Schank- oder Mühlenrechten. Er wurde häufig auch Krug- oder Mühlenbesitzer und war Dorfschulze. Einige Lokatoren gehörten zu den Vorfahren der späteren Gutsbesitzer. Wer nicht erfolgreich wirtschaftet konnte aus dem Lehen entlassen werden und wurde unfrei.
Der Deutsche Orden organisierte folgende Dorfformen mit entsprechenden Rechten
- Die Hufenzinsdörfer wurden für Neusiedler von Lokatoren gegründet. Diese Dörfer wurden für die Neusiedler nach dem Kulmer Recht errichtet und von dem Lokator als Grundstücksverteiler für etwa 10 Bauern mit einer Fläche zusammen von etwa 25 Hufen organisiert, wobei 4-6 Hufen an den Lokator gingen. Seine Pflichten und Rechte wurden mit dem örtlichen Komtur des Deutschen Ordens durch einen Vertrag geregelt. Ein kölmischer Bauer erhielt von seinem Lokator ein Stück Land in der Größe von zwei Hufen, das waren etwa 15 preußische Hektar. Die Siedlungsbauern setzten teilweise schon Scharpflüge ein, die wirksamen als die Hakenpflüge der Prußen waren. Der Hufenbauer war zunächst persönlich frei und konnte seinen Besitz frei vererben oder verkaufen. Jedes Hufenzinsdorf bildete für sich einen eigenen Gerichtsbezirk. Der Schultheiß des Dorfes (also der Lokator oder sein Nachfahre) war der Richter und durfte in der Regel zwei Drittel der eingenommenen Strafgelder behalten, während der Orden Anspruch auf ein Drittel erhob. Außerdem bekam der Orden regelmäßige Abgaben („Zins“), die anhand der Hufenzahl des Dorfes berechnet wurden. Schon während des Niedergangs des Ordens wurden freie Bauern von den umliegenden Gutsbesitzern "gelegt" und deren Land rechtswidrig eingezogen.
- Die Hakenzinsdörfer waren bestehenden Dörfer. In ihnen lebten die einheimischen prußische, unfreien Bauern. Ihnen wurden gewöhnlich zunächst zwei Haken (ca. 20 ha) überantwortet. Ein Haken diente der Entnahme von Bau- und Feuerholz. Ein weiterer Haken war eine landwirtschaftliche Fläche. Die Flächen wurden nach dem traditionellen Arbeitsgerät der Prußen, dem Hakenpflug, benannt, die er in etwa an einem Tag bearbeiten konnte. Der Hakenpflug ermöglichte aber nur eine geringere Tagesleistung als der Scharpflug der Neusiedler. Prußische Bauern waren persönlich unfrei, was sich in ihrer Verpflichtung zu Arbeitsleistungen für den Deutschen Orden zeigte. Im Unterschied zum Schultheiß eines Hufenzinsdorfs hatte der Vorsteher eines Hakenzinsdorfs, oft Starost genannt, keine Gerichtsbefugnisse. Die Abgaben („Zins“) der prußischen Bauern berechneten sich nach der Zahl der Haken. Mittelpunkt für Wirtschaft und Rechtsprechung der Prußen waren die sogenannten Kammerämter, die in der Verwaltungshierarchie des Deutschordensstaats zwischen den Hakenzinsdörfern und den Komtureien standen. Der Kämmerer eines solchen Amtes war freilich meist ein Pruße, der richterliche Befugnisse über seine Landsleute hatte.
- Bei den Große Freie handelte es sich zunächst um im Westen angeworbene adlige Führer (Ritter) von Söldertruppen, welche dem Orden mit schweren Waffen (Schwerter, Lanzen und Reitern) zu Diensten standen. Diese Soldaten-Führer wurden vom Orden durch Großgrundbesitz in Prußen entlohnt, da der Orden kaum Geld besaß. Nach Schätzungen wurden etwa 2.000 Edelleute für ihre Dienste belehnt. Umfangreiche Ländereien gelangten so in ihr Eigentum. Z. B. wie das der Dohnas, ihnen gehörten später 32 Güter im Kreise Mohrungen und Preußisch Holland, der Eulenburgs, ihnen gehörtem später 16 Güter im Kreis Friedland oder der Schlieben, ihnen gehörten später 18 Güter im Kreis Darkehmen/Angerapp. Die riesigen Güter umfassten in der Regel bis zu 20 Dörfer. Die Söldnerführer und ihre Familien entwickelten sich im Laufe der zum ostpreußischen Landadel. Die jeweilige Gefolgschaft von bedeuteten Söldnerführer war häufig zwischen 500 bis 2000 Mann stark. Die unverheirateten Söldner verblieb ebenfalls oft im Lande und wurde zu unfreien Bauern auf den Gütern ihrer Söldnerführer. Es kam zu Mischehen zwischen prusischen Frauen und deutschen Söldnern.
- Die Kleine Freie waren zumeist einheimische Bauern, welche sich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen auf die Seite des Ordens gestellt hatten, zahlten sie keine Abgaben, sondern leisteten dem Orden Militärdienst. Ihre Grundstücke waren für gewöhnlich größer als die der unfreien Bauern. Typisch für die Kleinen Freien der ersten Generation war aber, dass ihr Besitz als abgesonderter Einzelhof eine Gemarkung für sich bildete.
Es konnten drei Kategorien des Landbesitzes unterschieden werden:
- Die Gebiete von Ostpreußen bewohnten neben den eingesessenen Prußen und Kuren infolge einer Besiedlung der Großen Wildnis durch den Deutschen Orden ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts mehrheitlich Litauer sowie Deutsche und Polen. Durch die Vergabe von Grund und Boden als Erbpacht an litauische und polnische Einwanderern aber auch an slawische und prußische Bauern war eine einheitliche, unabhängigere Bauernschicht entstanden, die mit Landarbeitern wirtschaftete. Die Nadrauer Landschaft war durch die Modernisierung der bäuerlichen Wirtschaft, Einführung der Hofstelle mit Eigentumsrecht und die Nutzungsrechte an der Allmende und die Ausbreitung der neuen Haus- und Dorftypen tiefgreifend umgestaltet worden. Diese neue Bauerschicht war dem Adel ein Dorn im Auge.
- Die Lehnsvergabe an den Adel wuchs nach den Kriegen stark an, da zum Kriegsführen adlige Heeresführer benötigt wurden, die für ihre Dienste mit Landes-Lehen des Ordens in Ostpreußen belohnt wurden. Etwa bis 1525 gab es neben diesen Landes-Lehen, die später vielfach zu großen privaten Gütern wurden, noch kleineren Besitzt in Form von Erbpacht, der sich in Dörfern ansiedelte.
- Die dritte Kategorie war der Herzogliche und Königliche Landbesitzt, um 1500 etwa 82 % aller Ländereinen, auf dem später Gütern als Staats-Domänen errichtet wurde. Im Zeitverlauf wurde ein Teil der Bauern, die in den drei Kategorien arbeiteten, durch zwangsweise Unterordnung zu faktisch "Leibeigenen". Besonders bei den Erbpächtern führte dieser widerrechtliche Abbau ihrer verbrieften Rechte zu erheblichem Widerstand. Die zwischen 1525 und 1775 angeworbenen Neusiedler wurden zwar zunächst mit besseren Rechten ausgestattet, der Landadel sorgte bald aber wieder für deren teilweise Rücknahme, so beispielweise durch die zeitliche Begrenzung dieser besseren Rechte und die Schollenbindung. So wurden auch viele der Neusiedler im Laufe der Zeit zu Scharwerkern. Unterhalb der Bauern standen aber noch die Landarbeiter, "die oft am Hungertuche nagten".
Der Deutsche Orden gewann durch die Erwerbung der Neumark (1402) eine direkte Verbindung mit dem Deutschen Reich und eine weitere Erleichterung des Zuzuges von Kolonisten, die bisher auf häufig auf den Schiffsverkehr von Lübeck und Stettin angewiesen waren. Herzog Sigismund verpfändete die Neumark 1402 an den Deutschen Ritterorden, 1429 ging sie dann in dessen vollständigen Besitz über. Siehe auch die Karte: Der Ordensstaat 1410 [[1]]. Im Jahre 1433 wurden Teile der Neumark von Hussiten und Polen zerstört. Am 15. Dezember 1433 schlossen der Deutsche Orden und der König von Polen einen Frieden auf zwölf Jahre. Die eigene Misswirtschaft zwang den Orden, die Neumark bereits 1454 wieder an den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich II. aus dem Hause Hohenzollern zu verpfänden. 1463 erwarb Friedrich II. die Neumark für 40.000 Gulden endgültig.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Neumark_(Landschaft)#/media/Datei:Karte_Mark_Brandenburg_1320.png
Trotz der Errungenschaften des Landesausbaus kam es bereits im frühen 14. Jahrhundert in Europa zu einer Krise, weil die Landwirtschaft kaum die Ernährung der stark gewachsenen Bevölkerungszahl gewährleisten konnte. Lebensmittelknappheit führte zu einem Bevölkerungsrückgang. Die Pest, die Europa Mitte des 14. Jahrhunderts heimsuchte, unterbrach zwischenzeitlich die Zeit des Landesausbaus und die Ostkolonisation. An den Folgen der Großen Pest starben in Europa zwischen 1347 und 1352 über 25 Millionen Menschen.
Die ländliche Entwicklung kam um die Mitte des 14. Jahrhunderts auch in Preußen wegen verschiedener krisenhafter Erscheinungen (Pestepidemien, Naturkatastrophen, politische Unruhen, Kriege) im Wesentlichen zum Stillstand. Diese äußern sich in Form von Bevölkerungsrückgang, verlassenen Höfen und Dörfern, rückgängigem Getreideanbau und sinkende Gewinne. Die gesamten staatlichen Kosten für den neuen Landausbau überstiegen langfristige alle privaten Erträge aus der Landwirtschaft. Dazu kam die zeitlich voranschreitende zwangsweise Unterordnung des größten Teils der Landbevölkerung durch den Frondienst, die Schollenbindung und die Gesindeordnung. Diese übergroße Reglementierung von über 80% der ländlichen Bevölkerung durch den Adel vor Ort ließ auch ein weiteres örtliches Bevölkerungswachstum nicht zu. So mußte z. B. die Genehmigung zur Hochzeit der Scharwerker vom zuständigen Gutsherrn eingeholt werden. Sie wurde selten vor 28 Jahren der Männer bzw. 26 Jahre der Frauen erteilt. Erst ab 1525 wurde in Ostpreußen wieder eine planmäßige Besiedlung durchgeführt.
Die Besiedlung führte aber nicht zu einem absoluten Bevölkerungswachstum, da sie die Bevölkerungsverluste nur ausgleichen konnte. Von 1300 bis 1750 verharrte die Einwohnerzahl in Ostpreußen auf einem Plateau zwischen 600.000 und 700.000 Menschen, innerhalb dieses Korridors kam es aber aufgrund von Kriegen, Kriegen und Hungersnöten zu großen Bevölkerungsschwankungen. Speziell in der Provinz Gumbinnen hielt diese Entwicklung bis zur Bauernbefreiung an.
Das Bevölkerungswachstum wurde vielfach vom Niedernadel auch nicht gewünscht. Sie wollten “keine überzähligen Mäuler stopfen“ – im Gegensatz zu den preußischen Königen „Jedes zusätzlich peußisch Maul diene der Krone“.
Erst nach der Bauernbefreiung 1820 steigt absolut die Zahl der Bevölkerung in Ostpreußen und auch in Willschicken bis zur Reichgründung 1871 wieder an.
Siehe dazu auch: Hartmut Boockmann [35] und https://de.wikipedia.org/wiki/Hochmittelalterliche_Ostsiedlung
Die Altstadt von Königsberg war der Hanse 1339 beigetreten
Der Deutsche Orden bildete die organisierte Form eines christlichen Ordens. Er hatte zentral aufgeschriebenen Regeln, die er versuchte durch feste Normen des klösterlichen orientierte Zusammenlebens als Ordensritter umzusetzen. Durch eine gelenkte Ansiedlung entstand der Deutschordensstaat. Der Deutschordensstaat war das Territorium des Deutschen Ordens in der Zeit von 1230 bis 1561. Der Staat umfasste im Kern etwa das Gebiet Alt-Preußens zwischen Weichsel und Memel (das spätere West- und Ostpreußen) sowie als eigenständiges Meistertum Livland im Baltikum bis 1561 etwa das heutige Estland und Lettland.
Die Hanse (auch Deutsche Hanse oder Düdesche Hanse, Dudesche Hense) war die Bezeichnung für die zwischen Mitte des 12. Jahrhunderts und Mitte des 17. Jahrhunderts bestehenden Vereinigungen hauptsächlich nord- und ostdeutscher Kaufleute, deren Ziel die Sicherheit der Überfahrt auf See und die Vertretung gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen besonders im Ausland war. Die Hanse war nicht nur auf wirtschaftlichem, sondern auch auf politischem und kulturellem Gebiet ein wichtiger Faktor. Die Hanse war eine freiwillige Gemeinschaft von vermögender Berufsgruppen, eine Vereinigung hauptsächlich der Groß- und Fernkaufleute mit ähnlichen Geschäftsinteressen, zur Erzielung eigener materieller Vorteile. Die deutsche Hanse war frei organisiert, hatte keine Verfassung und keine Mitgliederlisten, keine dauerhafte eigenständige Finanzgebarung oder Beamte.
Der Orden öffnet den Hansekaufleuten bereitwillig sein Land und stattet sie mit Rechten und Freiheiten aus. Um in Königsberg als Fernkaufmann tätig zu werden, musste man in die Zunft der Großbürger als Kaufmann aufgenommen werden. Zur Großbürgerschaft gehören zwei Zünfte, die Kaufleute und die Mälzer und die dritte Zunft bestand aus der Kleinbürgerschaft. Es fanden sich um 1500 etwa 211 Brauhäuser in Königsberg.
Als Einkäufer eines Kreuzritterordens müssen sie in vielen Ländern keine Steuern bezahlen. Danzig, Elbig, Königsberg, Riga entwickeln sich zu den bedeutendsten Handelszentren des Ordens. Von hier aus segeln die Koggen zu den Hansekontoren. Für den Handel mit Polen erhalten die Kaufleute der Ordensstädte das alleinige Privileg. Die Komture sorgen für die Sicherheit der Straßen.
Für die ländliche Entwicklung von Ostpreußen war der Getreidehandel von entscheidender Bedeutung. Die Hanse war im späten Mittelalter der größte Getreidehändler im Ostseeraum. Die Hanse war ursprünglich eine Gemeinschaft von Kaufleuten im Ausland zur gemeinsamen Vertretung von Handelsinteressen sowie zum gegenseitigen Schutz. Im Mittelalter entstanden, wandelte sich ihre Organisationsform allerdings im Lauf der Zeit: „Vertraten zuerst einzelne Kaufmanns-Hansen die Interessen niederdeutscher Kaufleute im Ausland, so erschlossen sich die erstarkenden Genossenschaften bald die gesamte Ost- und Nordsee für ihren Handel. Auf Grund ökonomischer und politischer Veränderungen im nördlichen Europa entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Kaufmanns-Hansen zur Städtehanse - bei der Städte einen gegenseitigen Bund bildeten, um sich rechtlich abzusichern.“ Quelle: Johannes Schildhauer: Die Hanse
Der typische Kaufmanns-Hanse war ein Fernhändler, der in großem Stil mit dem Ausland Handel trieb. Sie kamen ursprünglich aus dem Reich, aber auch aus Schottland, der Schweiz, Frankreich und Skandinavien nach Ostpreußen, um hier ihren Wohnsitz zu gründen. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts begleiteten die Kaufleute ihre Waren in der Regel selbst zu den ausländischen Märkten und Messen, um sie dort zu verkaufen oder gegen andere Waren einzutauschen.
Die Praxis der Hansekaufleute änderte sich im 15. Jahrhundert. Die Stadt-Hanse entstand. Bald schon reisten die Hansekaufleute nicht mehr selbst mit ihren Waren zum Zielmarkt, sondern überließen diese Aufgabe ihren Angestellten und Bediensteten. Eine gute Schulbildung war für den Hansekaufmann unerlässlich, dazu kamen Sprachkenntnisse. Die Kaufmannsausbildung dauerte oft bis zu 10 Jahre und beinhaltete einen mehrjährigen Aufenthalt im Ausland. Den hansischen Kaufleuten wurden Attribute wie Ehrlichkeit, Vertrauenswürdigkeit und Solidarität zugeschrieben. Es entstand das Bild des ehrbaren Kaufmanns. Die Geschäfte führten der Hansekaufmann nunmehr vom heimischen Stammsitz aus. Ein Kaufmann konnte nun gleichzeitig an verschiedenen Orten Handel in seinem Namen treiben und so sein Geschäftsvolumen erheblich vergrößern. Er hatte in der Regel in seiner Stadt hohes Ansehen, war wohlhabend und saß häufig auch in den städtischen Gremien. Manchmal war er auch Bürgermeister. Darüber hinaus nahm er im ostpreußischen Provinzlandtag teilweise auch die städtischen Sitze ein.
In den Hansestäten entstanden die typische mehrstöckigen Kaufmannhäuser aus Ziegel gemauert mit hohen Ziergiebeln und Warenwinde zur Straßenseite, unmittelbar nebeneinander auf schmalen Grundstücken Haus an Haus gelegen. Sie dienten als Wohn-, Büro- und Lagerplatz. In den Seehäfen bauten die Hansekaufleute Ladeplätze und Speicherhäuser für eigene und fremde Waren. Es entstanden städtische Hafenviertel. Königsbergs älteste Ladeplatz lag bis 1327 auf dem Vogtswerder, dem späteren Kneiphof. Danach baute Königsberg weitere mehrstöckige Fachwerkspeicher Speicher in der Vorstadt Laak direkt am Alten Pregel. Dieses Flussufer wurde zum neuen Ladeplatz „Lastaadje“ am Hundegatt. Das letzte Stück des Alten Pregels vor der Vereinigung mit dem Neuen Pregel nannte man Hundegatt. Im 16. bis 18. Jahrhundert wurde es zu einem großen Speicherviertel erweitertet. Die ältesten unter diesen 5-stöckigen Fachwerkspeichern hießen der Bär, der Stier und der Hengst. Der Hafen am Hundegatt verlor seine Bedeutung, als 1924 in Contienen die fünf neuen Hafenbecken am unteren Pregel gebaut wurden. Die dabei aus Beton errichteten Getreidespeicher waren damals die modernsten in Europa.
In der Kaufmanns-Hanse waren Seefahrgemeinschaften und Tauschhandel üblich. Bei der Städte-Hans bildeten sich gegenseitigen Städte-Bünde heraus. Zusammen mit der Entwicklung der Städte, in denen ein ständiger Markt möglich war, wurden die erfolgreicheren Kaufleute hier ansässig. Die Bezahlung von Handelsgütern über Schuldscheine, Wechsel oder andere Kreditformen befreiten den Kaufmann jetzt aus einem reinen Tauschhandel und ermöglichte eine Ausweitung des Handels. Kontore nannte man die großen Handelsniederlassungen der Hanse im Ausland. Sie waren für die ländliche Entwicklung von Preußen als wesentlicher Getreide-, Holz- und Bernsteinlieferant von großer Bedeutung. Die vier großen Kontore bildeten die Eckpfeiler des hansischen Fernhandels: Brügge, London Nowgorod und Bergen. An 32 weiteren Standorten gründen die Fernhändler kleinere Niederlassungen und Handelshöfe. In den großen Kontoren konnte auch mit Silbertalern bezahlt werden – dem gängigen Zahlungsmittel der Hanse – vielfach fanden in den kleineren Niederlassungen aber auch noch Naturaltausche vor Ort statt. Es gab im Osten auch die Rechnungsmünze Scot. Scot (auch Skot) ist der von einem Silbergewicht abgeleitete Name einer vom 12. bis zum 16. Jahrhundert in Polen, Preußen und Schlesien gebräuchlichen Rechnungsmünze, die den vierundzwanzigsten Teil einer Mark bezeichnete. Den Kern der Hanse bildeten etwa 72 Städte. Darunter gab es 32 Niederlassungen und Handelshöfe, wie z. B. Bordeaux, Bristol, Kaunas, Kopenhagen, Lissabon, Oslo und Venedig. 130 weitere Städte waren locker assoziiert. So dehnte sich der Einflussbereich der Hanse über ein Gebiet aus, das von Flandern bis zur Republik Nowgorod reichte und dabei den gesamten Ostseeraum bis zum Finnischen Meerbusen umfasste. Einziges nichtstädtisches Mitglied war der Deutschordensstaat – ein von Ordensrittern geführter Flächenstaat bestehend aus Ostpreußen und Livland.
Die Hanse war in Städtegruppen organisiert. Zunächst gab es drei Gruppen, sogenannte Drittel, ab 1494 vier Gruppen, sogenannte Viertel. Ab dem Hansetag 1554 wurden die Viertel als Quartiere bezeichnet.
- Städtegruppen der Hanse von 1347 bis 1494
- lübisch-sächsische Städte unter der Führung von Lübeck
- westfälisch-rheinische Städte unter Führung von Dortmund, später Köln,
- schwedisch-livländische Städte unter Führung von Visby, später auch Riga
- Städtegruppen der Hanse ab 1494
- wendische Städte unter der Führung von Lübeck
- sächsische Städte unter der Führung von Braunschweig und Magdeburg
- preußisch-livländische Städte unter der Führung von Danzig
- westfälische Städte unter der Führung von Köln.
Es gab vier großen Handelskontore der Hanse
- Brügge: 1253 gewährte die Gräfin von Flandern Margarete II. den Hansekaufleuten diverse Handelsprivilegien. Brügge war von 13. bis 15. Jahrhundert die europäische Handelsmetropole. Es war das wichtigste Hansekontor. Hier fanden die Preußen Anschluss an den Waren- und Geldhandel, besonders auch aus dem Mittelmeerraum. Besonders geschätzt war der Handel mit Bernstein. Die Anfertigung von Rosenkränzen aus Bernstein – besonders für Südeuropa – war in Brügge zusammen mit Lübeck eine sehr ertragsreiches Monopol. Auch der Orden besaß hier auch einen eigenen Stützpunkt (Lieger). Die Zahlungen des Ordens an die römische Kurie liefen ebenfalle über Brügge. Im Gegensatz zu den anderen drei Kontoren der Hanse, wohnten und arbeiteten die Hansekaufleute in Brügge nicht von der ortsansässigen Bevölkerung Brügges isoliert in einem eigenen umfriedeten Bezirk, sondern in sozialem Kontakt mit den Bürgern der Stadt. Mit dem Haus der Osterlinge erwarb das Hansekontor erst im Jahr 1442 ein eigenes Gebäude in Brügge, dieses wurde im Jahr 1478 durch einen geräumigeren Neubau am Osterlingenplein ersetzt.
- London: 1175 erlangten einige Kölner Kaufleute durch Heinrich II. Handelsprivilegien bzw. Schutzbriefe und begründeten eine gemeinsame Niederlassung an der Themse. Die Kölner führten hauptsächlich Wein ein. Dieses Gebäude, die Guildhall, übersetzt Gilde- bzw. Zunfthaus, diente den zusammengeschlossenen Kaufleuten als Versammlungsort, Lager und gelegentlich auch für Wohnzwecke. Um 1238 und 1260 bestätigte Heinrich III. die Privilegien der Kaufleute, sie galten nunmehr für alle deutschen Hansekaufleute in London. Die Haupthandelsgüter der deutschen Kaufleute wandelten sich, an Stelle des Weines traten vor allem Getreide, das nach England exportiert wurden. Der Stalhof eingerichtet 1475 (auch Stahlhof) bezeichnete seit 1475 ein umfriedetes etwa 7000 m² großes Gelände am Nordufer der Themse, auf dem die Hansekaufleute in London ihre Niederlassungen hatten. Siehe auch Karte: Ausbreitung der Hanse.
- Nowgorod: Der Petershof wurde 1293 eingerichtet 1293. Er lag in Nowgorod auf der rechten Uferseite des Wolchows, der Handelsseite der Stadt, und grenzte an den Nowgoroder Markt. Es lag nicht direkt an der See und war für die Haseschiffe nur über den Wolchow erreichbar. Das Hansekontor von Nowgorod hielt über diese Wasserstraße Kontakt mit den Hansestädten an Nord- und Ostsee. Nach den Jahreszeiten unterschied man Winter- und Sommerfahrer. Die Händler transportierten überwiegend Rohprodukte nach Westeuropa, insbesondere Pelze, Wachs, Honig und Holz. Im Gegenzug brachten sie vor allem Fertigprodukte nach Nowgorod wie Wein, Bier, Tuch, Waffen und Glas, aber auch Salz, Hering, Metall (Silber), Gewürze, Südfrüchte, Pferde und Bernstein. Das Kontor bestand in einem von Palisaden umzäunten Stadtviertel von Nowgorod, das nur ein Tor als Zugang hatte.
- Bergen: Die Deutsche Brücke wurde 1343 eingerichtet. Nachdem die Stadt Bergen, im Jahre 1070 gegründet, ein zunehmend wichtiger Umschlagplatz für getrockneten Fisch aus dem Norden des Landes und Getreide aus dem Ostseeraum geworden war, errichtete die Hanse dort im Jahr 1343 eine erste Handelsniederlassung. Fisch war im Ordensland besonders als getrocknete Fastenspeise begehrt. Da Kontore keine selbständigen Mitglieder der Hanse sein konnten, wurde die Niederlassung der Hansestadt Lübeck untergeordnet. 1365 wurde die Deutsche Brücke dem Hansetag unterstellt. Das Hansekontor, zusammengesetzt aus über zwanzig nebeneinanderliegenden Höfen, wurde schnell zu einem kompletten Wohn- und Handelsviertel. Zur Blütezeit machten die deutschen Kaufleute (Bergenfahrer) und Handwerker ein Viertel der Stadtbevölkerung Bergens aus.
Neben Verhaltensvorschriften enthielten die Kontorordnungen eine Reihe von Handels- und Seefahrtsregelungen zur Reduzierung des Transportrisikos. So wurde ab der Mitte des 14. Jahrhunderts die Konvoifahrt eingeführt, wenig später auch der Geleitschutz durch Kriegsschiffe auf Fahrten zwischen der Ostsee und den Salzregionen an der französischen und portugiesischen Atlantikküste. Zur Senkung des Havarierisikos wurde die Winterfahrt auf der Ostsee verboten. Dies wirkte sich jedoch auf lange Sicht nachteilig für die Hansekaufleute aus, weil durch den erzwungenen Winteraufenthalt die Kosten in den auswärtigen Häfen stark anstiegen und überdies die Nichthansen im Winter weiter Seehandel trieben.
Zwischen den Hansekaufleuten und in deren Kontoren und Niederlassungen wurde in der Regel Niederdeutsch gesprochen. Es war die Sprache einer Macht-Elite, die auch mit lokalen Sprachelementen z. b. aus dem Litauische, Polnischen oder auch Lateinischen angereichert war. Trotzdem war diese gemeinsame Sprache ein stark verbindendes Element dieser Gruppe von reichen Kaufleuten, die über die örtlichen Grenzen hinaus von Bergen bis Lissabon und von London bis Nowgorod erfolgreich tätig waren
Mitglied der Hanse konnte eine Stadt auf dreierlei Weise sein oder werden.
- Bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts wuchsen die Städte durch die Teilnahme ihrer Kaufleute am hansischen Handel in die Gemeinschaft hinein.
- Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts stellten die Städte förmliche Aufnahme- oder Wiederaufnahmeanträge.
- Einen dritten Weg in die Hanse beschritten vielfach die kleineren Städte, indem sie sich ohne besondere Formalitäten von einer der größeren Städte aufnehmen ließen.
Der Hansetag war die oberste Instanz und das Organ der Gemeinschaft, auf dem ihre Interessen ausgehandelt, beschlossen und durchgesetzt wurden. Hierzu zählen insbesondere die Ratifizierung von Verträgen, das Aushandeln von Handelsprivilegien, Verhandlungen mit ausländischen Herrschern, Entscheidungen über Frieden, Krieg und Wirtschaftsblockaden, Festlegungen von wirtschaftlichen Vorschriften und die Aufnahme oder der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Der erste Hansetag fand 1356 in Lübeck statt. Es folgten 111 Hansetage, davon 76 in Lübeck, der letzte fand 1669 ebenfalls in Lübeck statt. Der Orden unterhielt zeitweise enge Beziehungen zur Deutschen Hanse. Der Hochmeister wurde zeitweilig sogar als Oberhaupt der Hanse angesehen. Die "preußischen" Handelsstädte Königsberg, Braunsberg, Elbing, Danzig, Thorn und Kulm bildeten neben den "wendischen", „Kölner“ und "sächsischen" Städten die Gruppe der preußisch-livländische Städte auf den Hansetagen. Sie wurden von Danzig angeführt. Quelle: Johannes Schildhauer: Die Hanse
Die Beziehungen zwischen der Hanse und dem Deutschen Orden veränderten sich in Ostpreußen im Laufe der Zeit. Es lassen sich sehr grob sechs Phasen unterscheiden. Die genauen Zeitgrenzen sind als ungefähr zu betrachten.
- Bei der gewaltsame Besiedlung in Prußen von 1220 bis 1283 war der Deutsche Orden bei seinen verlustreichen Eroberungszügen auf ausländische Hilfe angewiesen. Er benötigte ein große Zahl von erfahrenen Kriegern aus Europa. Die anreisenden Ritter brachten oft großen Söldnertruppen mit, die zum Teil in Ostpreußen verblieben und dort siedelten. Die Anzahl der einheimischen Deutsch-Ordensritter wuchs in Ostpreußen aber nur langsam bis 1410 durch Zuzug und den Beitritt einer niederen Ritterschaft aus dem Reich auf etwa 1.400 Ritter an. Es waren in der Anfangszeit hauptsächlich Ministerialen des Adels im Reich, die nach Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Aufstiegs suchten. Es war eine aus Franken, Thüringen und Schwaben, ferner aus Elsass, Lothringen und dem Rheinland stammende Ritterschaft. Die Hanse bildete eine Interessengemeinschaft des Bürgertums, die mit der Hilfe von zugezogenen Kaufleuten vor allem aus Westfalen und Rheinland die Küstenstädte der Ostsee besiedelten. Erst wenn sichere Städte mit regelmäßigen Marktplätzen angelegt waren und die entsprechenden Produkte wie z. B. Getreide, Holz oder Bernstein in größeren Mengen gehandelt werden konnten und die rechtlichen Verhältnisse geklärt waren, lohnte sich die Ansiedlung für die Kaufleuten vor Ort. Dazu mußten auch die entsprechenden Handelbeziehungen mit verfügbaren Transportkapazitäten und sichere Land- und Seewege vorhanden sein. Für den Getreidehandel war die Trockenheit des Getreides wichtig. War es nur halbtrocken, so konntes es wegen der Schimmelgefahr nur nach Dänemark und Schweden verschifft werden. Erst wenn es ganz durchgetrocknet war, waren längere Getreidefahrten z. B. nach England möglich. Der Orden und die Hanse stützten sich beide in der Anfangszeit dabei zunächst auf die familiären und finanziellen Beziehungen mit ihrem Mutterland. Die großen Investitionen des Ordens in Preußen wären ohne die finanzielle Unterstützung der 12 Balleien im Deutschen Reich, besonders in den süd- und westdeutschen Gebieten, nicht möglich gewesen. Die Kaufleute benötigten Geld zum Aufbau ihrer Handelshäuser, das sie mitbrachten oder sich geliehen hatte. Auf Grund ökonomischer und politischer Veränderungen im nördlichen Europa entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Kaufmanns-Hansen zur Städtehanse. Es wurden zunächst drei Städte-Gruppen, sogenannte Drittel gebildet.
- Der Wirtschaftlicher Rückgang der Hanse und die Konsolidierung des Ordens von etwa 1300 bis 1350 - bildete eine zweite Periode, in welcher die Entwicklung der Hanse und des Deutschen Ordens auseinanderstrebten. Die Kriege im Ostseeraum zwischen der Hanse und dem Dänischen König führten zu enormen Schwierigkeiten im Handel der hanseatischen Städte untereinander. Die zunehmende Krise der europäischen Wirtschaft durch die seit 1331 wütende Pest, die sich später als Schwarzer Tod über Europa ausbreiten oder der Seekrieg auf dem Ärmelkanal 1338–1340 führten zum Rückgang der Wirtschaft. Es kam zum entscheidenden Niedergang des Getreidehandels. Dazu kam die Schrumpfung von einigen bisher bedeutenden hanseatischen Zentren, wie z. B. Visby. Wechselnde Wasser-Verhältnisse in der Ostsee änderten ihren Salzgehalt, was zu einem Rückgang der Heringsschwärme in der Ostsee führte. Zugleich litt die Lüneburger Saline an der zunehmender Brennholzknappheit. Die Saline hatte für den Salzexport zum Einsalzen der Ostseeheringe in den Anlandehäfen eine sehr große überregionale Bedeutung. Bis Mitte des 14. Jahrhunderts wurde Osteuropa fast ausschließlich über Lübeck mit Salz versorgt, dass aus Lüneburg auf dem Landwege oder dem Elbe-Lübeck-Kanal angeliefert wurde. Lüneburger Salz war Hauptausfuhrprodukt Lübecks und begründete den städtischen Reichtum Lübecks. Dazu kam, dass durch die bevorstehende Einführung des Kompasses Gotland langfristig seine Bedeutung als Landmarke für die Seeschiffe verlor. In derselben Zeit erstarkte der Deutsche Orden in Preußen 1309 durch die Einnahme Pommerellens. 1320 begannen die Preußen Reisen des Europäischen Adels. Mit der Verlegung des Sitzes des Hochmeisters nach Marienburg begann später eine Periode, in welcher der Orden zu einer politischen Großmacht in der Ostseezone werden sollte. Die Marienburg war von 1309 bis 1454 Sitz der Hochmeister des Ordens im Deutschordensstaat mit den Provinzen West- und Ostpreußen und Livland.
- Die Hochzeit des Ordens und Blütezeit der Hanse dauerten von etwa 1350 bis 1410. Der Ordensstaat Preußen wurde nach wie vor u. a. durch Reisen von den Komturen aus Westeuropas unterstützt. Diese Preußen Reisen dauerten von 1320 bis 1410. Es kam zur Sündenvergabe und Prestigeanhäufung bei derartigen Reisen. Dazu kam der verstärkt Zuzug von Adligen, die nicht dem Orden angehörten. Der Grund war die schrumpfenden Vermögen und die sehr begrenzten Erbmöglichkeiten des europäischen Adels in der ursprünglichen Heimat. Diese Krise verursachte einen Zuzug der nicht versorgten Ritter und deren Kapitalien in die Gebieten, die bisher an der wirtschaftliche Peripherie Europas lagen. Durch Ämtervergabe, Landerwerbungen und dem Verleihen von Lehen wurden hier neue wirtschaftliche Grundlagen geschaffen. Diese Verstärkung des Ordens ermöglichte 1376 bei Königsberg mit einen bedeutenden Sieg über das eingefallene litauischen Heer. Der Ordensstaat wurde vom Hochmeister Heinrich von Kniprode und seinem Verwaltungsstab nach modern anmutenden Richtlinien straff geführt. Er wuchs von 1370 -1410 zur stärksten Macht im Ostseeraum heran. Gleichzeitig unternahm der Orden enorme Aktivitäten zur Ansiedlung ländlicher Bevölkerung auf den brachgefallenen Flächen, zur Rodung von Wäldern und Trockenlegung von Sümpfen. Die Ordensverwaltung wurde effektiv umgebaut. Der Ordensstaat Preußen, als Ziel der ständig zuziehenden Ritter, bildete aber auch einen Anreiz für die weitere Entwicklung der hanseatischen Wirtschaftsbeziehungen, durch den steigenden Export von Tuchen, Gewürzen, Weinen, Kunstgegenstände und weiterer Luxuswaren, um die Bedarfe des Ordens, des Adels und der wohlhabenden Bürgerschaft zu erfüllen. Dem Orden mussten diese Waren zuerst angeboten werden. Die Einbeziehung der Ostseezone in das Wirtschaftssystem des nordwestlichen Europas (Niederlande, Rheinland, England) hatte zu der großen wirtschaftlichen Bedeutung des Ordens und der Hanse geführt, die in dieser Zeit wieder enger zusammenarbeiteten. Der Friede von Stralsund 1370, der den Zweiten Dänenkrieg siegreich für die Hanse beendete, markierte den Höhepunkt der Macht des hansischen Städtebunds im Ostseeraum. Es folgte ihre Blütezeit. Die für die Hanse günstige politische Situation wurde von ihr in handfeste kommerzielle Vorteile und Monopolstellungen umgemünzt. Die Hanse verfügte nun über ein Handelsmonopol im Ostseeraum und unterhielt ständige Vertretungen und Kontore in wichtigen Ostseehäfen. Bedeutende Handelsbeziehungen der Hanse existierten mit dem Peterhof auch zur Republik Nowgorod. Der maritime Ost- Westhandel wurde ebenso von der Hanse dominiert und reichte von Nowgorod im Osten bis Brügge und London im Westen. Die Getreideproduktion in den schwach besiedelten Gebieten wurde in Ostpreußen vom Orden auf seinen Wirtschaftshöfe und vom Adel auf seinen Rittergütern deutlich erhöht. Die Überproduktion wurde zum Verkauf angeboten. Der Anteil der „freien“ Bauern an der Getreideproduktion soll bei geschätzten 20 % gelegen haben.
- Die Verhältnisse begannen sich in der vierten Periode erneut zu verändern, sie dauerte etwa von 1400 bis 1450. Sie führte zu einem Bedeutungsverlust von Orden und Hanse. Eine wesentliche Schwäche der Hanse war, dass sie die Waren nur als Zwischenhändler vermittelte, deren Herstellung außerhalb ihrer politischen Kontrolle lag. Deshalb war die Zusammenarbeit mit den Orden als Getreideproduzent sehr sinnvoll. Überall erwuchsen der Hanse aber Konkurrenz an den Rändern des Hanseraums, wie zum Beispiel süddeutsche Unternehmerkaufleute, die in Stettin, Danzig und Königsberg Fuß fassten. In der Folgezeit wurden Holländer, englische Merchant Adventure und Süddeutsche mit Augsburg und Nürnberg an der Spitze zu gefährlichen Konkurrenten der Hanse und forderten die Hansische Vorherrschaft im Fernhandel heraus. Das 15. Jahrhundert sollte große Fernhandels-Unternehmer wie die Fugger aus Augsburg und Welser aus Nürnberg hervorbringen. Jakob Fugger „von der Lilie“ seit 1514 Reichsgraf; (* 6. März 1469 März in Augsburg; † 30. Dezember 1525 dort ) war zwischen etwa 1495 und 1525 der bedeutendste Kaufherr, Montanunternehmer und Bankier in ganz Europa. 1567 schloss der Hamburger Rat mit der Führung der englischen Fernkaufleute Merchant Adventurers einen Vertrag über zehn Jahre ab, woraufhin der Sitz der Gesellschaft nach Hamburg verlegt wurde. Wesentlicher waren hier wiederum die Veränderungen in Westeuropa. Die Kreuzzüge im Osten von Europa machten sich für die Teilnehmer immer weniger bezahlt.
Gleichzeitige erwuchsen der Hanse durch die aufblühende Wirtschaft der sich stetig entwickelten Länder wie Holland und England ab dem 15. Jahrhunderts eine weitere starke Konkurrenz im Überseehandel. Er wurde von der Hanse nur zaghaft betrieben und betraf besonders Gewürze, Tee, Edelmetalle und Sklaven. Mit der teilweisen Verlagerung des Außenhandels auf Landwege und nach Übersee verlor die gesamte Hanse ab 1500 bereits einen zunehmenden Teil ihres Handelsvolumens. Profiteure des Überseehandels wurden jedoch im Laufe der Zeit beispielweise Lissabon, Amsterdam, Liverpool und Hamburg. Es entstand nach der Auflösung der Hanse in verschiedenen Ländern sehr erfolgreich Handelskompanien, die den ursprüngliche Ostseehandel der Hanse bald weit übertrafen. Eine wichtige Voraussetzung für das Gründen einer solchen Handelskompanie war das Vorhandensein eines Hafens und von geeigneten Schiffen. Wichtige Handelskompanien waren zum Beispiel die Hanse Casa da Índia in Portugal, die Niederländische Ostindien-Kompanie in Amsterdam und die Britische Ostindien-Kompanie. Die Handelskompanien waren auch wesentlich an der Eroberung von eigenen Kolonien in Übersee sowie am Sklavenhandel beteiligt. Das betrifft besonders diejenigen der Niederlande, Frankreichs und Großbritanniens.
Dazu vier Beispiele:
- Unter der Herrschaft Manuels I. entwickelte sich Lissabon zu einem führenden Zentrum des Welthandels. Am 9. September 1499 wurde hier Vasco da Gama nach seiner ersten Indienreise ein triumphaler Empfang bereitet. 1503 kam es in Lissabon zur Gründung der Casa da Índia, deren Tätigkeit die Basis der portugiesischen Wirtschafts- und Handelspolitik in den folgenden beiden Jahrhunderten bildete. Besonders in Lissabon wuchsen Handel und Gewerbe, was nicht unwesentlich der Ausbeutung der portugiesischen Kolonien in Afrika, Asien und Südamerika zu verdanken war. Bereits um 1500 sprach man von einer ersten Blüte Lissabons, die bis Mitte des 16. Jahrhunderts andauerte. Der Lissabonner Hafen war in der damaligen Zeit einer der größten der Erde.
- Die Einverleibung Portugals durch Spanien im Jahr 1580 hatte die nördlichen Niederlande dazu gezwungen, selbst Schiffe nach Indien fahren zu lassen. 1602 entstand die Vereenigde Oost-Indische Compagnie (VOC). Bewohner Amsterdams zeichneten mehr als die Hälfte des gesamten Kapitals, das in das neue Unternehmen investiert wurde. 1621 etablierte sich auch die Niederländische Westindien-Kompanie, die 1626 die Stadt Nieuw Amsterdam gründete, die seit 1667 New York heißt. Die Amsterdamer Wechselbank genoss weltweite Reputation. Diese Handelsgesellschaften machten die Republik zur weltumspannenden See- und Handelsmacht, wodurch nach dem Waffenstillstand mit Spanien 1609 das Goldene Zeitalter der Niederlande anbrach. Die Niederlande wurde zur großen Wirtschaftsmacht in der Mitte des 17. Jahrhunderts und Amsterdam zum wichtigsten europäischen Handelsplatz.
- Liverpool wurde der Hauptstützpunkte des Sklavenhandels. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts dominierte die Stadt den Handel mit Afrika. Dieser Dreieckshandel sah vor, das englische Waren wie Töpfe und Krüge (zumeist aus zweiter Hand) nach Afrika geschafft wurden, dort wurden sie gegen Sklaven getauscht, welche nach Amerika deportiert wurden. In Amerika wurde die Schiffe mit Baumwolle und Zucker beladen. Die Baumwolle gelangten nach Manchester. 1829 baute George Stephenson die erste Eisenbahn von Liverpool nach Manchester (Liverpool and Manchester Railway). Um die Abhängigkeit vom Hafen von Liverpool zu verringern, wurden zahlreiche Kanäle gebaut, allen voran der 1894 eröffnete Manchester Ship Canal. Während der Industriellen Revolution stieg die Bevölkerungszahl in Manchester innerhalb weniger Jahrzehnte um ein Vielfaches an. Manchester wurde damals zum wichtigsten industriellen Zentrum der Welt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde 40 Prozent des Welthandels über den Hafen von Liverpool abgewickelt.
- Nach dem Niedergang der Hanse und während der Aufklärung und der Industrialisierung blieb die Hansestadt Hamburg neben Berlin das bedeutendste Wirtschaftszentrum Norddeutschlands. Die globalen Handels- und Warenströme verlagerten sich in den Nordatlantik und bezogen nun auch Asien, China, Afrika sowie die Amerikas mit ein. Am Atlantik setzte ein europäischer Wirtschaftsboom ein. Die Ostseehäfen blieben demgegenüber zwangsläufig zurück. Von den globalen Handelsströmen profitierten im Norden fortan vor allem Hamburg und die englischen Häfen. Durch den Bau des Nord-Ostsee-Kanals wurde Hamburg der bedeutendste Umschlagshafen des Ostseehandels.
- Die wirtschaftliche Bedeutung der Ostseezone für die Hanse blieb im 15. Jahrhundert zunächst erhalten und steigerte sich sogar noch am Ende des Mittelalters, zusammen mit dem immer größeren Bedarf auf Getreide. Gleichzeitig verloren aber die Seestädte der Hanse an der Ostsee ihre führende Position im Schiffbau an die Holländer. Dieser technologische Rückstand verhinderte auch langfristig, dass die Hansen am sich entwickelnden globalen Seehandel nach Übersee teilhaben konnten. Für den Atlantik waren die Bordwände der Koggen zu niedrig, sie verlangten eine flexible Besegelung und hatten eine zu geringe Größe im wirtschaftlich zu sein. Neben den technologischen Gründen gab es auch geografische und finanzielle. Das Stammland der Hanse bestand aus sehr unterschiedlich Fürstentümer, die alle keine koloniale Bezüge hatten. Die inländischen Städtequartiere wie Sachsen und Westfalen weigerten sich mit „Hottentotten“ und „Menschenfressern“ zu handeln, "selbst wenn es Thaler brächte". Sie waren nicht bereit sich an den enormen Summen für ein „Kolonialabenteuer“ zu beteiligen. Das spätere relativ wohlhabende Herzogtum Preußen scheiterte bei der Eroberung von eigenen Kolonien in Afrika und der Karibik hauptschlich aus finanziellen Gründen. Der Krieg 1409 - 1411 und die Niederlage des Ordens bei Tannenberg verringerten deutlich sein Anziehungskraft. Der auf die Kontakte mit dem Westen beschränkte Orden geriet mit seinen eigenen Untertanen in Konflikt. Auseinandersetzungen mit den aufbegehrenden Ständen und der Ritterschaft (Eidechsenbund und preußischer Bund), die sich in ihrer Selbstbehauptung gegen den Orden gelegentlich auch mit Polen verbündeten, und die 1386 vollzogene Vereinigung des christlich gewordenen Litauen mit Polen unter dem Großfürsten Jagiello führten 1410 zur schweren Niederlage des Ordens bei Tannenberg und brachen dessen Vormachtstellung im Ostseeraum.
- Die Endphase begann 1410. Der Deutsch Orden existierte in Ostpreußen nach der Niederlage bei Tannenberg noch bis 1525, hatte sich aber zunehmend mit Verweltlichungswünsche seiner Mitglieder auseinanderzusetzen. Er verlor nach dem Übertritt Albrechts 1525 zum Protestantismus seine Ordensprovinz Preußen an das Haus Hohenzollern. Auch die Bedeutung der Hanse ging zurück. Königin Elisabeth verfügte am 13. Januar 1598 mit Wirkung zum 24. Januar die Ausweisung der hansischen Kaufleute aus England, deren Handelsprivilegien sie aufhob, sowie die Schließung und Beschlagnahmung des Kontors Stalhofs. Der Zwin, ein während einer Sturmflut 1134 in Flandern entstandene Seearm der Nordsee, versandete zum Ende des 15. Jahrhunderts. Brügge war damit von der Nordsee abgeschnitten. Der burgundische Hof zog sich aus der Stadt zurück und Maximilian beschränkte die Rechte der Stadt. Diese musste ihre führende Position in Flandern an Antwerpen abgeben, das über die sandfreie Schelde mit der Nordsee verbunden war. Bergen wird von Island als Stockfisch-Lieferant abgelöst und verliert seine Privilegien. 1494 wird das Kontor in Nowgorod geschlossen. Die Hanse löste sich nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 auf.
Nach der endgültigen Festigung der Ordensherrschaft erfolgte ab den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts auf Beschluss der Ordensleitung der Aus- und Neubau von Burgen zur Sicherung des eroberten Landes. Die Burgen entstanden zunächst aus Holz und wurden von Feinden oft abgebrannt. Danach vorzugsweise aus Backstein, da es an Natursteinen mangelte. Dazu mussten aber die notwendigen Transportwege vorhanden sein. Der Wegebau in der Wildnis war sehr mühsam und kostspielig, da die Gebiete versumpft waren und aus zugewachsenen Wälder bestanden. Es wurden folgende Wege in die Wildnis geschlagen, die strahlenförmig von Königsberg ausgingen:
• von Königsberg über Braunsberg nach Elbing und Danzig
• von Königsberg über Ragnit, Konowo nach Wilna
• von Königsberg über Memel nach Riga
• und von Danzig über Kulm nach Thorn
Es waren aber keine Straßen im heutigen Sinne. Die Wege waren schwer zu befahren, der Untergrund war im Naturzustand belassen worden. Bei Regenwetter waren die Wege stark verschlammt, Stürme kippten Bäume auf die Wege und im Winter waren sie durch Schnee und Eis häufig unpassierbar.
In regelmäßigen Abständen bedurft es an Ausspannwirtschaften, um Zugpferde und Fuhrleute zu versorgen. Da diese Wirtschaften ein Monopol besaßen, wurde oft über zu hohe Preise geklagt. Wenn vorhanden, waren die Ausspannwirtschaften in den „Festen Häusern“ des Ordens untergebracht. Diese waren verpflichtet, den Ordensleuten und deren Gästen in einem bestimmten Radius Fuhrwerke zur Verfügung zu stellen. So z. B. in Instierburg: „Im Ausziehen unterstützen bis Klen-Cropiszken (Kraupischken) herabreisen aber bis nach Taplaken heraufreisen. Mit Pferde und Wagen führen und fördern helfen, auch in Kriegsläuften die Warpenwagen (gedeckte Frachtwagen) zum vierten Teil aushalten und ausrichten“. Diese Verpflichtung bestand noch bis Ende des 17. Jahrhunderts.
Über die Straße von Allenburg nach Wehlau berichtete 1409 der Volksmund:
„ Kömmste na Schallen, motste got knalle,
Un bisde in Redde, denn wull ek wedde,
Du fahrscht durch Lessine im Grienen,
Un kömmste erscht nach Paderwold,
So hefft de Dievel allet gehoolt“
Quelle: Weber, Lotar: Preussen vor 500 Jahren in culturhistorischer, statistischer und militairischer Beziehung nebst Special-Geographie, (digitale-sammlungen.de) https://www.digitale-sammlungen.de/de/details/bsb11370481
Als sich im 13. Jahrhundert, ausgehend von Westeuropa, zunehmend die Kummetanspannung das Jochgeschirr der Ochsen ablöste, ermöglichte dies den Einsatz von Pferdefuhrwerken mit erheblich höherer Last, die zudem weitere Strecken schneller bewältigen konnten. Die Fuhrwerke wurden - je nach Last - 4- oder 6-spännig gezogen und wurden von bewaffneten Reitern begleitet. Die Räder der Fuhrwerke - Leiter- oder Planwagen - waren schon beschlagen, ebenso die Pferde. Auch Pflüge konnten jetzt mit der Kummetanspannung tiefer in die Böden eindringen.
Folgende Transportleistungen waren bei gut ausgebauten und trockenen Wegen im Sommer üblich:
- Mensch: 1 Person, 20+ km/Tag, 45 kg Gepäck
- Ochsenkarren: bis zu 6 Tiere, 15 km/Tag, bis zu 1 Tonne Zuladung
- Fuhrwerk (Pferde/Maultiere): 6 Tiere, 30 km/Tag, bis zu 2 Tonnen Zuladung
- Pferde/Maultierkarren: 2 Tiere, 30 km/Tag, 500 kg Zuladung
- Packtier (Maultier/Pferd): 100 kg, 25+ km/Tag, 100 kg Beladung
Für die ländliche Entwicklung in Ostpreußen war ab dem 14. Jahrhunderte der Handel mit Getreide sehr wichtig. Dazu bedurfte es Wege. Die ursprünglichen Militärwege dienten später der Hanse als Handelsstraßen. Neben den Landwegen spielten für die Hanse im Fernhandel aber die Seewege von und nach Danzig, Elbing und Königsberg die entscheidendere Rolle für den Ex- und Import von Waren.
Schon früh versuchte der Orden durch Intensivierung des Fernhandels Impulse für die ländliche Entwicklung zu geben. 1239 eroberte der Orden den prußische Festungsplatz Balga am Frischen Haff und baute diesen zur Burg aus. Die Lage der Burg war strategisch besonders wichtig, sie sicherte die Durchfahrt durch das gegenüberliegende Nehrungstief. Sie eröffnete damit dem Orden einen neuen Nachschubweg von Königsberg über den Pregel ins Landesinnere bis nach Insterburg und stellte eine sichere See-Verbindung zur Hansestadt Lübeck und anderen Hansestädten her. Bisher war der Nachschub des Ordens und später der Handel der Hanse über See zum Weitertransport auf die Flüsse Weichsel und Nogt angewiesenen. Jetzt kam der Pregel hinzu.
Wesentlich für den wirtschaftlichen Austausch war der Seeverkehr mit Koggen. Die zentrale Verkehrsachs der Schiffe war der Seeweg von London, über Brügge, nach Lübeck - ab 1280 durch den Sund und weiter über Danzig und Visby nach Novgorod und zurück. Nebenrouten, wie nach Königberg, wurden je nach Bedarfen und nach Saison befahren. Die Kogge war ein Segelschiffstyp der Hanse, der vor allem dem Handel diente. Die Länge der spätmittelalterlichen Koggen betrug etwa 20–30 m, die Breite 5–8 m. Im frühen nordeuropäischen Schiffbau herrschte bei der Beplankung die Klinkerbauweise vor und war besonders stabil. Die Segelfläche lag bei circa 200 m². Die Geschwindigkeit betrug nach Versuchen mit nachgebauten Koggen etwa 3,5 Knoten bei Windstärke 3 und 6 Knoten bei Windstärke 6. Koggen konnten also auch bei mäßigem Wind schneller fahren als Fuhrwerke auf dem Land. Probleme gab es jedoch bei Gegenwind. Kreuzen war wohl nur bei schwachem Wind möglich, da die Schiffe für ihre Länge relativ breit waren. Dafür konnte eine Kogge mit vergleichsweise kleiner Besatzung große Mengen Fracht transportieren. Die Besatzung betrug etwa 11 Mann.
Die Tragfähigkeit lag – je nach Größe – bei 40 bis 100 Lasten, entsprechend 80 bis 200 Tonnen Gewicht. Damit waren Koggen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts der wichtigste größere Schiffstyp der Hanse. Deren Handelsflotte befuhren zu dieser Zeit mit ca. 200 Koggen die Ostsee. Auch die angeworbenen Siedler und Ordensritter aus dem Reich wurden häufig mit Koggen von Lübeck und Stettin in den Osten gebracht. Nach dem 2. Thorner Frieden 1466 übernahmen Engländer und Holländer weitgehend die deutschen Frachtfahrten. Die Zahl der ausländischen Schiffe wurde jetzt auf 400 Koggen geschätzt. Erst mit der Gründung des Herzogtums Ostpreußen 1525 stieg die Zahl der preußischen Schiffe langsam wieder an.
Auf hansischen Seeschiffen wurde der Kompass erst Ende des 14. Jahrhundert benutzt, englische und südeuropäische Seefahrer waren ihnen zeitlich deutlich voraus. Bis dahin waren längere See-Fahrten der Hansekoggen nur mit Hilfe von Landsicht möglich. Die Einführung des Kompasses war z. B. zugleich das Ende der wirtschaftlichen Bedeutung von Visby, da es seine Bedeutung als Seemarke für die Novgordfahrer verloren hatte.
Überregionale Bedeutung erlangte der Königsberger Hafen bereits im Mittelalter. Königsberg liegt in der Flussmündung des Pregels, 9 km vom Haff und 40 km von der Ostsee entfernt. Der Haupthafen von Königsberg und der Vorhafen Pillau waren durch den Seekanal mit dem offenen Fahrwasser verbunden. Binnenschiffe erledigten den Weitertransport bis nach Insterburg. Hafen, Kanal und Fluss mußten mehrfach den wachsenden Schiffsgrößen angepasst werden. Bis zum ersten Eisbrecher Einsatz ab 1880 unterblieb im Winter der Schiffsverkehr. Die Holzschiffen wurden dann vielfach an Land gezogen oder in eisfreie Gewässer verbracht. Teilweise wurde der Warentransport auch auf den zugefrorenen Wasserstraßen durch Schlitten versucht. Dies war aber gefährliche und erreichte bei weitem nicht die Kapazitäten der Schiffe.
Der Deutsche Orden handelte als Monopolist mit Bernstein, Honig, Wachs, Talg und Pelzwerk durch die Großschäffer. In Lübeck und Brügge wurden aus dem Bernstein, neben Schmuck hauptsächlich Rosenkränze hergestellt. Der Orden war neben der Hanse auch eines der größten Handelsunternehmen seiner Zeit. Der Großschäffer der Königsberger Burg war u.a. für die Förderung und den Export den Bernstein verantwortlich, auf den der Orden ein besonders strenges Monopol hatte. Wildes Bernsteinsammeln wurde mit dem Tode bestraft. Die Warenmonopole des Ordens galten insgesamt bis zum Zweiten Frieden von Thorn, 1466. Der Großschäffer von Marienburg war für den Export von Getreide zuständig - allerdings ohne Monopol. Der Handel der Hanse war in der Städte der Hanse zu Hause und stand teilweise in Konkurrenz zu der Handelsburgen des Deutschen Orden. Der Orden erzielte auf seine Wirtschaftshöfen z. B. eine Überproduktion an Getreide und Holz, die er selbst zu vermarkten suchte. Der Überseehandel und insbesondere der Handel mit England erfuhren nachhaltige Förderung und das Ordensland hatte attraktive Produkte zu bieten: die Getreideüberschüsse und die Überschüsse aus den landwirtschaftlichen Abgaben des Ordens, das Holz für den Schiffbau und Mastbäume, Eschen- und Eibenholz für die Bögen zum Bogenschießen waren sehr begehrt. Dazu kamen vor allem der Bernstein, sodann Teer, Pottasche, Honig, Leder und edle Felle. Der Orden war auch ein gewichtiger Importeur für westeuropäische Güter und Durchgangsstation für den Handel mit Polen und Russland. Die landwirtschaftlichen Erträgen der bischhöflichen Ländereien waren dagegen frei handelbar. Die lokale Konkurrenz bestand aus städtischen Großkaufleuten, die sich in Ständen organisiert hatten. Die Hanse handelte in Preußen bis 1466 auch zunächst hauptsächlich mit Getreide und Holz. Auf der der höchsten Ebene gab es aber zeitweise bis 1466 politisch motivierte Einverständlich zwischen Hanse und Orden. So gab es auf den jeweiligen Hansetagen gegenseitig verbindliche Absprachen.
Die Altstadt von Königsberg war der Hanse 1339 beigetreten. Ausgeführt wurden aus den preußen Häfen Danzig, Elbing und Königsberg sowohl Ordens-als auch Hanseware. Es waren hauptsächlich Getreide, Holz und Holzprodukte, Pelzwaren, Wachs, Talg, Honig und Bernstein. Auf der Rückfahrt wurden von den Koggen z. B. englische und flandrische Tuche, Baien-Salz von der französischen Westküste, Weine aus Südeuropa und von Rhein, Gewürze und Kunstgegenstände aus Brügge, in Fässern eingelegte Heringe aus Schonen, getrockneten Fisch aus Bergen, Pelze aus Nowgorod und Kupfer und Eisen aus Kalmar geladen. Neben diesen genannten Hauptprodukten wurden an den genannten Orten aber auch zahlreich weiter Güter auch saisonabhängig gehandelt. Eine Sondergruppe waren die Güter des gehobenen Bedarfes, wie Gewürze, Speiseöle, Edelmetalle, Edelsteine, Rosenkränze aus Bernsteine, Perlen, religiöse Gemälde, Schnitzereien sowie Skulpturen, die hohe Gewinne versprachen und von den zahlreichen Piraten auf See besonders gesucht wurden. Banken boten im Falle des Schiffverlustes Versicherungen an, die zwischen 4 und 6 Prozent des Warenwertes des transportierten Güter ausmachten. Die Luxuswaren kamen zuerst den Ordenshäusern zugute, bevor sie in den Städten des Landes weiterverkauft wurden. Der Orden war seiner Zeit der größte Importeur zugleich auch der größte Konsument in Preußen.
1365 gab Hochmeister Winrich von Kniprode der Hansestadt Königsberg das Stapelrecht, das 1518 durch Hochmeister Albrecht und 1782 von Friedrich II. bestätigt wurde. Das Stapelrecht oder auch Niederlagerecht war im Mittelalter das Recht einer Stadt oder eines Marktorts, von durchziehenden Kaufleuten zu verlangen, dass sie ihre Waren für einen bestimmten Zeitraum auf dem örtlichen Stapelplatz abluden, „stapelten“ und anboten (Feilbietungszwang). 1526 öffnete Gustav I. Wasa den Königsbergern alle schwedischen Häfen. Königsberg, die Hauptstadt des Herzogtums Preußen, war seit Ende des 16. Jahrhunderts der neben Danzig von niederländischen Schiffen meist frequentierte Ostseehafen. So kamen 1608 schon 614 holländische Schiffe in die Stadt am Pregel. 1623 wurden 500.000 Scheffel Getreide exportiert. 1772 wurde der Salzhandel das Vorrecht der "Salzverfrachter", der neuen (preußischen) Seehandlungsgesellschaft. Königsberg wurde jetzt auch hinter Stettin zum zweitgrößten Handelsmarkt für in Fässer eingelegte Heringe. 1784 brachte der Export von 3 Millionen Scheffel Getreide 400.000 Taler Umsatz. Der Krimkrieg brachte 1855 einen weiteren Handelsaufschwung. Jetzt wurden bereits 3,5 Millionen Scheffel Getreide aus Königsberg exportiert. Nach dem Bahnausbau kamen bis 1914 große Menge des zu verschiffenden Getreides auch aus Polen und Russland.
Folgende Getreidemengen wurden lt. Statistik aus Königsberg exportiert, Angaben in Kubikmeter (cbm): 1400 = 20.000 cbm, 1623 = 25.000 cbm, 1719 = 60.000 cbm, 1784 = 160.000 cbm, 1855 = 185.000 cbm, 1872 = 250.0000 cbm, 1912 = 800.000 cbm. Die exportierten Mengen waren abhängig von der Produktivität der Landwirtschaft, der Kapazität der Transportgelegenheiten und Getreidespeicher, von nationalen und internationalen Konjunkturen, von Kriegen, Säuchen und dem Wetter. Quelle: Walter Hubatsch, Königsberg als Seestadt.
Der Dreißigjährige Krieg 1618 - 1648 brachte die völlige Auflösung der Hanse. Der Übertritt des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg zum evangelischen Glauben 1525 beendeten schließlich die Herrschaft des Deutschen Ordens im preußischen und baltischen Raum. Preußen unternahm aber noch zwei Versuche, selbstständig in den Fernhandel einzusteigen, um Impulse für die eigene ländliche Entwicklung zu erhalten. Beide Versuche scheiterten.
Im Jahr 1682 sandte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg eine Expedition aus, um die erste brandenburgische Kolonie in Afrika zu gründen. Die brandenburgischen Kolonien waren:
- Groß Friedrichsburg (im heutigen Ghana), Kolonie 1683 bis 1718
- Arguin (im heutigen Mauretanien), Kolonie 1685 bis 1721
- St. Thomas (Karibik, heute zu den Amerikanischen Jungferninseln gehörig), brandenburgisches Pachtgebiet in Dänisch-Westindien 1685 bis 1720
- Krabbeninsel (Karibik, heute zu Puerto Rico gehörig), brandenburgische Annexion in Dänisch-Westindien 1689 bis 1693
- Whydah (im heutigen Benin), brandenburgischer Stützpunkt um 1700 (nur eine Ansammlung von Lagerhäusern, im selben Ort hatten auch Briten und Niederländer einen Stützpunkt).
Gehandelt wurde in den brandenburgischen Kolonien vor allem mit Sklaven, Gummi, Elfenbein, Gold und Salz. Für den Sklavenhandel pachtete der Kurfürst den karibischen Stützpunkt St. Thomas von Dänemark. Nach einer kurzen Blüte setzte ab 1695 ein allmählicher Niedergang der Kolonien ein. Gründe dafür lagen in den nur begrenzten finanziellen und militärischen Mitteln, über die Brandenburg-Preußen verfügte
Es gab noch einen weiteren Versuch: Die preußische Seehandlungsgesellschaft wurde auf Veranlassung von Friedrich dem Großen am 14. Oktober 1772 unter dem Namen „Generaldirektion der Seehandlungs-Sozietät“ in Berlin gegründet Die Seehandlungsgesellschaft war ein Staatsunternehmen für den Aufschwung des Außenhandels des Königreiches Preußen. Die Seehandlung genannte Gesellschaft erhielt das alleinige Recht des Handels mit Seesalz und das Stapelrecht auf Wachs. Die Gesellschaft sollte mit ihren Schiffen unter preußischer Flagge einen Handel hauptsächlich nach Spanien, aber auch nach allen anderen Ländern treiben und in Cádiz einen Handelsagenten unterhalten. Ebenfalls am 14. Oktober 1772 wurde auch eine besondere Seesalzhandlungsgesellschaft, die Preußische Compagnie, gegründet, welche das von der Seehandlung eingeführte Seesalz nach Polen und Litauen verkaufte. Beide Gesellschaften hatten ihre Privilegien bis 1796 erhalten. Die Seehandlungsgesellschaft war als Seefahrtsunternehmen auch im Schiffbau tätig und baute 1776 zwei Werften in Stettin auf. Die Königliche Seeschiffswerft in Havelberg lieferte von 1779 bis 1785 mehrere Seeschiffe an die Seehandlung. Sie besaß bis zu 14 eigene Schiffe. 1831 übernahm die Seehandlung die Dampfschifffahrt in und um Berlin und begann auch selbst den Bau von Binnenschiffen. Am 14. Februar 1845 wurde verfügt, dass sie keine neuen gewerblichen Unternehmungen mehr gründe sollte und den Salzhandel der Steuerverwaltung überlässt. Die Seehandlungsgesellschaft wandelte sich 1918 zu einer dem Finanzministerium unterstellten Staatsbank.
Im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wickelte Danzig allein 75 Prozent des polnischen Außenhandels ab. In diesem Zeitraum betrug der Anteil Danzigs am Getreideexport aus dem Ostseeraum mehr als 60 Prozent. Nach 1650 musste der Ort aber deutliche Einbußen im Handel hinzunehmen. Bis 1700 verlor der Hafen zwei Drittel des Seehandels, den Danzig um 1600 erzielt hatte.
Die Hauptursache war die positive Entwicklung der englischen Landwirtschaft. Die englische Nachfrage nach Korn aus Europa ging zu dieser Zeit stark zurück. Die frühe britische Agrarrevolution führte zu einem stetigen Anstieg der landwirtschaftlichen Produktion in Großbritannien, der auf die Steigerung der Arbeits- und Landproduktivität zwischen Mitte des 17. und Ende des 18. Jahrhunderts zurück ging. Die landwirtschaftliche Produktion wuchs während des hundertjährigen Zeitraums bis 1770 schneller als die Bevölkerung, danach konnte sie aber nicht mehr Schritt halten. Besonders problematisch blieb aber die Abhängigkeit der britischen Inseln von Getreide aus Kontinentaleuropa, da in England die Bevölkerung jetzt von 11 Mio. 1801, auf 27 Mio. 1851 und 1914 auf 42 Mio. anstieg.
Seit 1866 gab es in Königsberg die Getreideexportfirmen Fa. Laubmeyer, Riebensahm & Biehler. Sie war seiner Zeit der größte Getreideexporteur im Deutschen Reich. Es gab in Königberg 1866 sechs Großhandlungen für Indigo und sieben für Tee. 1880 wurden 227.000 Zentner Tee gehandelt. Durch die Handelsverträge mit dem Russischen Kaiserreich (1894) wurde Königsberg zum weltgrößten Durchgangshafen und Welthandelsplatz für Linsen. 1895 legten in Königsberg 1215 Dampfer und Segler mit 447.309 Tonnen Fracht an. 2172 Schiffe mit 610.324 Tonnen Waren aller Art an Bord stachen im selben Jahr von hier aus in See, davon etwa die Hälfte mit Getreide.
Global gesehen hatten sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus stark verändert. Die globalen Handels- und Warenströme verlagerten sich in den Nordatlantik und bezogen nun auch Asien, China, Afrika sowie die Amerikas mit ein. Am Atlantik setzte ein europäischer Wirtschaftsboom ein. Die Ostseehäfen blieben demgegenüber zwangsläufig zurück. Von den globalen Handelsströmen profitierten im Norden fortan vor allem Hamburg und die englischen Häfen. Durch den Bau des Nord-Ostsee-Kanals wurde Hamburg der bedeutendste Umschlagshafen des Ostseehandels.
Quelle: Ostseehandel – Wikipedia
Während der Oberherrschaft des Deutschen Ordens spielte in der Hanse in Preußen die spätere „freie Stadt“ Danzig von 1308 -1454 die dominierende Rolle im Osten. Die Stadtbevölkerung von Danzig betrug im 14. Jahrhundert etwa 20.000 Menschen, sie zählte zu einer der größten Städte in Nordeuropas. Um 1400 lebten dagegen ungefähr 10.000 Einwohner in Königsberg. Quelle: Jörgen Bracker (Hg.) Die Hanse Lebenswirklichkeit und Mythos.
Die Festung namens Instierburg wurde 1336 errichtet
Der durch die Ostkolonisation vorangetriebene Landesausbau führte in Ostpreußen neben dem Festungsbau und den Dorfsiedlungen zu Stadtgründungen. Die Stadtgründungen fanden hauptsächlich zwischen 1300 und 1600 statt. Häufig wurden aber die neu gegründeten Städte zeitnahe wieder niedergebrannt, aber ebenso häufig wieder aufgebaut.
Ein Beispiel war Insterburg. Die Stadt Insterburg wurde 1752 zum Sitz des Landkreises Insterburg, in dessen Kirchspiel Aulowönen, die Gemeinde Willschicken lag.
Der Deutsche Orden unter seinem Hochmeister Dietrich von Altenburg errichtete im späteren Insterburg um 1336 anstelle der von ihm zerstörten heidnischen Burg Unsatrapis (prußisch unzei: an, auf, über/ trapt, trapuns: treten; Litauisch trapte: Floß, Teil eines Holzfloßes; vermutlich eine hölzerne Brücke) eine Festung namens Instierburg, die zum Ausgangspunkt der Feldzüge des Deutschen Ordens gegen Litauen wurde.
Zur Besiedlung wurden Lehnsherren als Lokatoren eingesetzt. Das Dorf Sparge, wie diese Siedlung genannt wurde, begann rasch aufzublühen. Bald darauf privilegierte Ordensmarschall Hinnig Schindekopf, ein umsichtiger Lokator, hier den ersten Insterburger Krug und verlieh ihn "erbeigen dem Paul von der Wederich für treue Dienste". Es war der „Pangerwitzer Krug", dem „Heeringskrug", „Kranichenkrug" und der „Neue Krug" folgten. Die Krüger waren gleichzeitig privilegierte Kaufleute des Ritterordens, hatten die nicht im Lande hergestellten Waren, wie Salz, Tuche und Eisen Eisen, herzuschaffen und durften dafür die über die Selbstversorgung hinaus erwirtschafteten Vorräte des Landes, hauptsächlich Getreide, Wachs, Honig, Pelzwerk und auch Bier vertauschen und verkaufen.
Außerdem hatten sie die Gäste des Ordens bei sich zu beherbergen und ihnen Pferd und Wagen für die Weiterreise bis zu bestimmten Orten zu stellen: „Im Ausziehen unterstützen bis Klen-Cropiszken (Kraupischken) herabreisen aber bis nach Taplaken heraufreisen. Mit Pferde und Wagen führen und fördern helfen, auch in Kriegsläuften die Warpenwagen (gedeckte Frachtwagen) zum vierten Teil aushalten und ausrichten“. Diese Verpflichtung bestand noch bis Ende des 17. Jahrhunderts.
Wechselvoll war auch die Geschichte von Burg und Schloß Insterburg. Immer wieder wurde das 1336 erbaute „feste Haus" von den aufrührerischen Nadrauern hart bedrängt und die Schloßsiedlungen niedergebrannt. Erst 1375 gelang es beim Einfall des litauischen Großfürsten Keistutis dessen Heerführer Schwerdeyke die Insterburg zu erobern und zu zerstören. Wieder aufgebaut, wurde sie 1457 von den Söldnern der preußischen Städte, die sich im Bündnis mit Polen gegen die Ordensherrschaft empört hatten (Städtekrieg), abermals zerstört. 1500 wurde sie wieder instandgesetzt.
1541 wurde dem Dorf Sparger von Herzog Albrecht der „Zulass zur Anlegung des Stetleins Inster" erteilt, wonach der Ort zum Flecken erhoben wurde:
„Wir von Gottes Gnaden Albrecht, Markgraf von Brandenburg, Herzog in Preußen, bekennen und tun kundt jedermann, der es wissen will. Nachdem Unsre lieben getreuen Insassen des Insterburgschen Gebiets es für gut und nützlich gefunden haben, daß zu Insterburg ein neuer Stadtflecken angelegt werde, und Uns darauf in Untertenigkeit gebeten haben. Wir wollten zur Wohlfahrt und Entwicklung dieses Gebiets gnädig solche Anlegung gestatten und bestetigen, so haben Wir in Erwegung der Nützlichkeit und Wohlfahrt Unsren Unterthanen ihnen ihre Bitten nicht gänzlich abschlagen mögen.
Wir wollen demnach den Platz hinter dem Schlosse etwa da, wo ein Dorf, die Sparge genannt, lieget hierzu verordnen. Wir verordnen demnach kraft dises Unsres Briefs, daß ein Jeder der Lust hat hier zu bauen sich niederlassen kan. Zu diesem Bau sol ihme, er sei Krüger oder ein andrer, Unser Amtmann Länge und Breite zuweisen und genau anzeigen, zu welchem Maß einem jeden Gebäude aufzurichten gestattet sind; ebenso welche Freiheiten, Äcker, Wiesen, Holzung und Fischerei ein jeder haben und wo er sie haben darf. Den Einsassen gestatten wir auch, daß sie dort nach Köllmischen Recht wohnen, frei handeln und allerhand Ware verkaufen, die zum Markt gebracht wird, insbesondere aber am Mittwoch, der zum Markttag bestimmt und ausgerufen werden sol. Ausgenommen ist die Ware, die Uns als der Obrigkeit an Honig, Wachs, Wildbret und anderem nach der Billigkeit zustehet. Doch haben sich die Untertahnen des Flecks jedes Verkaufs auf dem Lande zu enthalten. Von dem Fleisch, das von jedem Fremden zum Markt gebracht wird, mag es großes oder kleines Vieh sein, sol Unsrem Haus die rechte Vorderhälfte gegeben werden.
Schuster, Bäcker, Schneider, Tuchmacher, Balbiere und andere Handwerker haben sich mit Unsrem Amtmann über das Stangengeld und was sonst für jedes Handwerk zu entrichten sind ebenso über die Fischerei in dem Angerappfließ nach Billigkeit zu vergleichen. Wenn es geschieht und es bemerkt werden sollte, das der Stadtfleck zur Stadt geeignet ist und zunimmt, und Gericht und Gerechtigkeit zu verordnen nothwendig ist, wollen Wir Unsren lieben, getreuen Einsassen des Stadtfleckens fernerhin nach Gelegenheit und Geburt mit Gericht Stadtgerechtigkeit und anderen Privilegien versehen und versorgen.
Zur Urkund gegeben mit Unsrem Siegel versehen zu Königsbergck, am 12. März eds Jahres 1541“.
Der preußische Herzog Albrecht säkularisierte im Zuge der Durchsetzung der Reformation 1525 die Ordensburg und machte sie zu einem weltlichen Hauptamt. Das noch von Wildnis geprägte Umland ließ er von Litauern besiedeln. Dem daraus entstandenen Ort zu Füßen der Burg gewährte er 1541 das Marktrecht. Markgraf Georg Friedrich erhob am 10. Oktober 1583 den Marktflecken Inster zur Stadt.
Die Stadtrechtsurkunde trägt das Datum: „Gegeben zu Königsberg, den 10. Oktober 1583“.
Amtshauptmann Hans von Tettau erhielt den Auftrag, „jedem gemeinen Einwohner" der neuen Stadt ein Stück Ackerland für drei Mark preußischen Hubenzins abzugeben, und die Bürger durften zudem einen Teil der „Wildnis" roden, „damit es umb die Stadt desto mehr Raum habe, und sie umb so viel desto eher zu mehrem Acker- und Feldbau kommen können". Für Bau- und Feuerholz wurden 20 Huben herzoglichen Waldes freigegeben und jedem Wohnhaus ein Garten in der Stadt zugeteilt. Die Stadtverwaltung oblag gemeinsam Bürgermeister, Rat und Richter, deren Neuwahl alljährlich am Sonntag Reminiscere durch den Amtshauptmann stattfand. Die Rechtsprechung erfolgte nach köllmischem Recht. Kirche, Schule, Markt, die Brotbänke, Badstuben und Krüge hatten ihre Einnahmen an die Stadtobrigkeit abzuliefern.
Nach dem Marktrecht wurde am Sonntag Trinitatis ein freier Jahrmarkt abgehalten, ein weiterer acht Tage nach dem Tilsiter Michalismarkt. An jedem Sonnabend war zudem Wochenmarkt. Ein Marktaufseher gab Acht, daß nur richtige köllmische Ellen und gut gemessene Tilsitsche Scheffle und Maße benutzt wurden.
Im Angerappfluß war eine Meile stromauf und stromab den Insterburgern „freye Fischerei zu ihres Tisches Notdurfft" erlaubt, jedoch sollte nicht „geräubert" werden, auch war darauf zu achten, „dass der Strom nicht gantz und gar verstellet werde, sondern der Fisch sonderlichen in der Mitten seinen freyen Gang haben möge". Zu jenen Zeiten war die Angerapp besonders reich an Lachsen und Stören. Im Mai 1772, so berichtet ein Chronist, ist bei Insterburg ein Stör ins Garn gegangen, der 7 Zentner und 28 Pfund wog.
Noch 1541 bezogen die Insterburger ihr Bier aus der hiesigen Schloßbrauerei sowie aus Königsberg, Wehlau und Friedland. Nach dem Stadtrecht durfte jetzt jeder Stadtbürger von seinem Hausbesitz selbst Bier von 16 Tonnen Last brauen, und zwar gegen geringe Mietzahlung in den zwei großen städtischen Braupfannen, die in der heißen Jahreszeit wassergefüllt auf dem Alten Markt standen, um bei Feuersbrünsten als Wasserreservoir zu dienen. Gebraut wurde ein braunes oder Weißbier und ein schwarzes oder Doppelbier, „Zinnober" genannt. Letzteres soll so vorzüglich gewesen sein, daß es für sechs Mark je Tonne bis nach Litauen und Polen ausgeführt wurde. 1735 schreibt ein Zeitgenosse: „Das dasige Bier soll ganz schwartz und so stark seyn, dass es sich wie Branntweyn anzünden läßt. Was die Eynwohner vornehmlich in Nahrung setzet, ist der Getreydehandel und der Abgang des trefflichen Bieres“. 1753 waren noch über 100 Mälzenbrauer in der Stadt.
Die zuerst von einem Komtur verwaltete Instierburg erhielt ab 1347 einen Pfleger und wurde 1522, als Preußen weltliches Herzogtum geworden, Sitz des Amtshauptmanns. Das Hauptamt Insterburg war damals das größte und wichtigste des Landes.
Am 9. Juni 1590 vernichtete ein Brand 140 von den 149 vorhandenen Häusern. Bei einer abermaligen Feuersbrunst am 24. Juli 1690 konnten nur Schule und Kirche sowie 24 Wohnhäuser — die Stadt war beträchtlich angewachsen — gerettet werden. Vom Rathaus brannte der Turm ab. Fast alle Einwohner waren bettelarm geworden Im 17. Jahrhundert hatte die Stadt unter den ständigen Durchzügen kriegerischer Truppen von Schweden, Russen und Tataren zu leiden. 1655 fallen die Russen ein, 1656/57 die Tartaren. 1679 besetzen die Schweden die Stadt. Von 1643 bis 1648 suchte die schwedische Königin Maria Eleonore, die Witwe von König Gustav Adolf, Zuflucht in der Insterburg. 1689 verstarb Ännchen von Tharau als Pfarrwitwe Beilstein in Insterburg.
1709 wütete in und um Insterburg die Pest. Viele Bürger starben an der Seuche, im ganzen Hauptamt über 66.000 Menschen. In der Stadt Insterburg hatten weniger als die Hälfte die Pest überlebt und die größte Zahl der Häuser wurden verlassen und verfielen. Viele der Überlebenden wurden von auftretenden Räuberbanden erschlagen. Riesige Heuschreckenschwärme, die noch niemals vorher aufgetreten waren, verwüsteten 1711 Felder und Gärten, und dreiviertel des ganzen Viehbestandes fiel der 1712 grassierenden Viehseuche zum Opfer.
Trotz Ansetzung neuer Siedler durch Friedrich I. - Schweizer Calvinisten und französische Hugenotten - war jene Gegend 1713 nur zu zwei Fünfteln bewohnt.
Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. besiedelt 1731 die Stadt das Stadtumland mit Kolonisten wieder erneut. Um die Stadt wiederzubeleben, ließ der Preußenkönig angeworbene Salzburger und Deutsche ansiedeln.
1723 wurde im Rahmen der preußischen Veraltungsreform in der Burg das preußische Hofgericht untergebracht. Insterburg, die Vorstadt und die Burgfreiheit wurden administrativ zur Stadt zusammengefasst. Von 1721 bis 1748 kaufte Herzog Leopold von Dessau, der „Alte Dessauer“, weite Landstriche westlich von Insterburg, um dort Mustergüter anzulegen. 1732 wurde Trakehnen Hauptgestüt und Insterburg/Georgenburg Landgestüt. Während des Siebenjährigen Krieges war Insterburg von 1758 bis 1762 von russischen Truppen besetzt und von 1807 bis 1812 dauert die Franzosenherrschaft.
1583 erhält Insterburg ein Stadtwappen. Zur Entstehung des Wappen heißt es: Das Wort "Inster" war in der baltisch-preußischen Sprache der Name des Flusses, an dem die Burg errichtet wurde, und wird verwendet, um mit "Flüsse" übersetzt zu werden. Das Wort "Burg" bedeutete auf Deutsch "Festung". Der ganze Name "Insterburg" wurde mit "Festung am Wasser" übersetzt. Der Ortsname Insterburg wird 1340 erstmalig erwähnt: „ad castrum Instierburg“. Die Instierburg wurde nach 1256 an Stelle der Prußenburg Unsatrapis erbaut. Das Herzogtum Preußen wurde vom ehemaligen Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht, der zum (lutherischen) Protestantismus konvertiert war, gegründet. Es war das erste Fürstentum im frühmodernen Europa mit lutherischem Glauben. Der preußische Herzog Albrecht säkularisierte im Zuge der Durchsetzung der Reformation 1525 die Ordensburg Insterburg und machte sie zu einem weltlichen Hauptsitz. In diesem Hauptamt gab es 1544 nur ein einziges Kirchspiel, nämlich Insterburg selbst. Doch dann kam die Kolonisierung in Schwung. Bis 1558 folgte das Kirchdorf Gawaiten und bis 1562 das Kirchdorf Pillupönen. 1590 nannte das Kirchspielverzeichnis 13 Kirchspiele mit rd. 500 Orten. Darunter befand sich auch das Kirchspiel Aulowönen, im dem die Gemeinde Willschicken lag. 1541 wurde Insterburg als Stadtflecken anerkannt und Sitz eines Amtshauptmanns und 1583 erfolgte die Erteilung des Stadtprivilegs durch den Regenten Markgraf Georg Friedrich von Hohenzollern-Ansbach.
Das noch von Wildnis geprägte Umland ließ er besiedeln. Zur Zeit der Stadtrechte erstreckten sich Urwälder rund um Insterburg. Sie fanden oft Bären, aber auch Elche und Hirsche. Nur der Besitzer des Landes hatte das Recht zu jagen. Die Leidenschaft für die Jagd in einer so wildreichen Region faszinierte Markgraf Georg Friedrich. Er hielt sich oft in den Jagdrevieren von Insterburg und in der Festung selbst auf. Als Georg Friedrich schließlich am 10. Oktober 1583 die Stadtrechte an Insterburg verlieh, brachte er seine Liebe zur Jagd zum Ausdruck, indem er den Bären und den Jäger in der Darstellung des Stadtwappens verewigte. In der Satzung heißt es: "Wir wollen der Stadt Insterburg ein eigenes Siegel geben, mit dem die notwendigen Dokumente beglaubigt werden sollen..". Nämlich: ein weißer Schild, unten ein grüner Berg, darauf steht ein Schwarzbär auf allen Pfoten, und auf beiden Seiten im Inneren des Schildes stehen zwei Buchstaben G F - die Initialen von Georg Friedrich. Auf dem Schild befindet sich eine Figur (vermutlich Georg Friedrich selbst), die einen Jäger darstellt, der ein Horn in den Händen hält. Der Hintergrund ist in der entsprechenden natürlichen (grünen) Farbe gemalt. Um den Jäger herum befindet sich in einem Halbkreis eine Inschrift in lateinischer Sprache: "Sigill civitatis Insterburgensis" (Siegel der Stadt Insterburg). Georg Friedrich I. (* 5. April 1539 in Berlin; † 25. April 1603 ebenda) war Markgraf von Brandenburg-Ansbach und Brandenburg-Bayreuth (Kulmbach), Herzog von Jägerndorf, Regent von Preußen. Der letzte der fränkischen Linie der Hohenzollern.
Das Wappen und die Flagge von Insterburg wurde von Tscherjachowsk (Insterburg) übernommen. Im September 2019 entschied ein russisches Gericht im Oblast Kaliningrad, dass das Wappen geändert werden müsse, da es keine alphabetischen Zeichen enthalten dürfe. Daraufhin wurde am 13. November 2019 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die mit Vertretern der Öffentlichkeit, Ethnographen und Heraldikern entscheiden soll, ob das Wappen in seiner ursprünglichen Form ohne Schriftzug bleibt oder ganz neu entworfen werden soll.
Zu neuer Kolonisierung des Landes rief der erste preußische König, Friedrich I., 1711 Schweizer ins Land, ihnen folgten unter Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, im Jahre 1732 vertriebene Salzburger. Die Stadt begann wieder aufzuleben. Das Gelände unterhalb des Mühlendammes, damals noch Ackerland, wurde zur Bebauung freigegeben. Doch Insterburg blieb aber noch immer Ackerbürgerstadt, und durch die Straßen zog morgens und abends das Weidevieh auf die Stadtwiesen. Insterburg hatte zu jener Zeit 12 Krüge.
"Wer aus Insterburg kommt unbekneipt, Aus Gumbinnen unbeweibt, Aus Pillkallen ungeschlagen, Der kann von großem Glücke sagen." Quelle: H. Frischbier, Sprichwörter 1, Nr. 1808
Erst als die Ostbahn 1860 in Betrieb genommen (Berlin-Königsberg-Insterburg- Peterburg) und der Bahnhof gebaut wurde, nahm Insterburg einen großen Aufschwung und die Gründerjahre trugen das übrige dazu bei. Ganz neue Stadtteile und Straßen entstanden. Durch die Insterburg durchlaufenden Eisenbahnverbindungen war die Stadt bis zuletzt der wichtigste Bahnknotenpunkt der Provinz. Am 21. Oktober 1866 wird Preußen als letzte den Vertrag zwischen den 22 Staaten oder Freien Städten nördlich der Mainlinie über die Gründung des Deutschen Bundes unterzeichnen (Verfassungsgebung: 1. Juli 1867). Insterburg im Königreich Preußen ist nun eine Stadt im Norddeutschen Bund. Am 18.Januar 1871 wird König Wilhelm von Preußen wird im Spiegelsaal zu Versailles zum Deutschen Kaiser proklamiert, es folgt die Gründung des II. Deutschen Kaiserreichs. Insterburg ist nun eine Stadt im Deutschen Reich.
Zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs war Insterburg aber eine wichtige Garnisonsstadt der preußischen Armee. Im Osten der Stadt entstand ein großes Kasernenviertel. In Insterburg standen 1914 das Kommando der 2. Division mit zwei Brigadekommandos und mehreren Verbänden der Infanterie, Kavallerie und Feldartillerie (darunter zwei Bataillone des Infanterie-Regiments 45), insgesamt über 2000 Soldaten. Der Großverband wurde ursprünglich im März 1816 als Truppen-Brigade in Danzig gegründet und am 5. September 1819 zur Division erweitert. Das Kommando stand in Danzig, ab 1890 in Königsberg und dann von 1899 bis zur Auflösung 1919 in Insterburg.
1902 schied die Stadt Insterburg aus dem Landkreis Insterburg aus und bildete einen eigenen Stadtkreis. 1913 wurde ein Bismarckturm errichtet.
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs wurde die Stadt infolge der Schlacht bei Gumbinnen (19.-20. August 1914) besetzt. Der Landkreis und die Stadt Insterburg war vom 24. August bis zum 11. September 1914 von der russischen Armee besetzt. Der Russische Generalstab logierte im Insterburger Hotel "Dessauer Hof". In Insterburg wurde der praktische Arzt und das unbesoldete Magistratsmitglied, Stadtrat Max Bierfreund von dem Befehlshaber der 1. Russischen Armee General von Rennenkampf als Gouverneur eingesetzt. Die Stadt blieb von Übergriffen und Brandschatzungen durch seinen Einfluss auf die russische Armee relativ verschont. Im Winter 1915, als in Südostpreußen zur Winterschlacht kam, hatten in demselben Hotel, in dem zuvor General Rennenkampf „residierte", Hindenburg und Ludendorff ihr Hauptquartier.
Siehe auch Kapitel 7.2 Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg
In der Zeit der Weimarer Republik war Insterburg Sitz des Landratsamtes, eines Amts-, eines Land- und eines Arbeitsgerichtes, eines Finanz- und eines Zollamtes, einer Reichsbank-Nebenstelle sowie einer Industrie- und Handelskammer. Die Wirtschaft hatte sich mit der Ansiedlung von Ziegeleien sowie von Unternehmen zur Herstellung von Zuckerwaren, Essig und Mostrich, Chemikalien und Lederwaren weiter diversifiziert. 1926 wurde nach Fertigstellung des Pregelseitenkanals der Hafen Insterburg eingeweiht. Nachdem die Stadt zur Zeit der Reichswehr ihre Garnison behalten konnte, erfolgte von 1935 bis 1937 der Bau eines großen Flugplatzes und von Kasernen für die Wehrmacht. 1939 wurde mit der Restaurierung der Insterburg begonnen. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die Bevölkerung auf 49.000 Einwohner angewachsen. In dem vor der Stadt gelegenem Georgenburg war das Land-Gestüt der größte Arbeitgeber. Viele Bewohner lebten in schlichten Insthäusern mit Kleintierhaltung und etwas Gartenland.
Die Weimarer Republik brachte nur vorübergehend mit den "Goldenen Jahren" eine Besserung. Allerdings gab es in der Stadt und im Landkreis Insterburg im Vergleich zum Deutschen Reich 1933 eine relativ niedrige Arbeitslosenquote mit 6 %. Dies hing auch mit der mangelhaften Industrialisierung in Ostpreußen zusammen. Die Arbeitslosigkeit im Reich wächst dagegen von 8,5 Prozent im Jahr 1929 auf 29,9 Prozent im Jahr 1932 an. Den Höchststand erreicht sie - auch saisonbedingt - im Februar 1932 mit über sechs Millionen Arbeitslosen. Die offizielle Statistik zeigte im Jahresdurchschnitt 1932 im Reich noch 4,8 Millionen Erwerbslose.
In Ostpreußen, wie im übrigen Reich auch, wurden große Infrastrukturprojekte durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gefördert. In Insterburg wurden dadurch eine großer Flugplatz und vier Kasernen für die Aufrüstung der Wehrmacht angelegt oder ausgebaut. Die großen Kasernen der 1. Infanterie-Division lagen im Osten der Stadt Insterburg. Es entstanden die Infanterie-Kaserne in der Belowstraße, die Artillerie-Kaserne in der Artillerie-Straße, die Kaserne II in der Kasernenstraße und die Kasernen des Reiterregiments am Ende der Kasernenstraße mit einem direkten Anschluss an die Gleise der Reichs- und der Kleinbahn.
Der Fliegerhorst wurde Mitte der 1930er Jahre auf dem Gelände des schon seit 1928 bestehenden Zivilflugplatzes angelegt. Mit dem Einzug der Fliegerhorst-Kommandantur am 1. Oktober 1936 begann offiziell der militärische Flugbetrieb. Etwa 12.000 Soldaten hatten vor dem Kriegsausbruch ihr Quartier in Insterburg.
Am 26.11.1943 fand auf dem Militärflughafen von Insterburg eine Ausstellung von modernen Waffensystemen der Luftwaffe statt. Insterburg wurde gewählt weil in der Nähe große Bunkeranlagen bei Rastenburg lagen. Die ausgestellten Flugzeuge waren in Teile zerlegt und auf dem Landwege nach Insterburg gelangt, um dort wieder zusammengesetzt zu werden. Darunter war auch die 2-stralige ME 262, der erste einsatzfähige Düsenjäger, der einen Probeflug durchführte. Ausgestellt war auch der 1-stralige Jäger Me 163, der 2-stralige Düsenbomber Arado Ar 234, der 4-motorige Propeller-Bomber Ju 290 und die 6-motorige Junkers Ju 390V1. Die Ausstellung war auf Veranlassung von Hermann Göring für Adolf Hitler organisiert, der nach 90 Minuten Aufenthalt zu seinem Hauptquartier der „Wolfsschanze“ bei Rastenburg weiterfuhr. Die Organisation dieser Ausstellung soll über 1.800.000 Reichsmark gekostet haben. Quelle: https://www.defensemedianetwork.com/stories/german-jets-at-insterburg-hitlers-excellent-air-show/
Gerhard Kiehl aus Lindenhöhe war ab 1939 als Oberschirrmeister im Stab der 1. Infanterie-Division in Insterburg stationiert. Der Stab wurde als Artillerieführer I am 1. Oktober 1934 in Königsberg, im Wehrkreis I, gebildet. Der Name war eine Tarnbezeichnung bei der - von Hitler betrieben - vom Versailler Vertrag verboten Erweiterung der Reichswehr über 100.000 Mann hinaus. Am 15. Oktober 1935 wurde der Stab bei der Enttarnung zur 1. Infanterie-Division umbenannt. Am 3. Februar 1936 wurde der Stab nach Insterburg, im Wehrkreis I, verlegt. Erich Tuttlies aus Willschicken war ab 1936 als Gefreiter der Sanitäts-Abteilung 1 in der Kaserne in der Belowstraße stationiert. Friedel Tuttlies hatte 1938 Helmuth Harward einen der militärischen Kasernenverwalter derselben Kaserne geheiratet. Max Tuttlies wohnte in der Albrechtstraße Nr. 15 und betrieb einen Kolonialwaren-Laden, Hildegard Tuttlies besuchte zwei Jahre lang in Insterburg die Handelsschule und wohnte das letzte Jahr bei ihrem Bruder Max.
Insterburg erlebte während des 2. Weltkriegs von Juni 1941 bis Oktober 1944 insgesamt vierzehn sowjetische Luftangriffe, da die Stadt zunächst außerhalb der Reichweiten der amerikanischen und britischen Bomber lag. Die schwersten Angriffe ereigneten sich im April 1943 sowie im Juli und August 1944. Über die Hälfte der Bausubstanz der Stadt wurde zerstört, und ein weiteres Drittel wurde beschädigt. Am 27. Juli 1944 wurde Insterburg durch einen sowjetischen Bombenangriff erheblich zerstört. 120 Tote waren zu beklagen, obwohl der Kern der Altstadt mit besonders leicht brennbaren Häusern schon geräumt worden war. Von da an wurde die Stadt schrittweise weiter evakuiert, besonders ab dem zeitweisen Einbruch der Roten Armee bei Goldap im Oktober 1944 („Oktober-Katastrophe“).
Anfang Januar 1945 befanden sich noch 8.000 bis 10.000 Insterburger in der Stadt, vorwiegend solche mit Funktionen in noch nicht evakuierten Betrieben und Institutionen. Am 13. Januar 1945 begann die sowjetische Großoffensive in Ostpreußen. Einem schweren Luftangriff am 20. Januar fielen noch einmal 30 Zivilisten zum Opfer. Von da an lag die weitgehend geräumte Stadt unter ständigem Beschuss durch Tiefflieger und Artillerie. Der letzte Zug verließ Insterburg am 22. Januar 1945 um 0:30 Uhr. An diesem Tag besetzte die Rote Armee die brennende Stadt.
Soviel zur Stadtgeschichte von Insterburg bis 1945. Weiter Information über die Zeit noch 1945 sind in Kapitel "9.9.3 Verwaltung im Oblast Kaliningrad" zu finden.
Im Gebiet des späteren Kirchspiel Aulowönen wurde ab 1531 die Türkensteuer erhoben
Als die Türken im Jahre 1529 das Königreich Ungarn zur Hälfte eroberten hatten, entschloss sich das damalige Deutsche Reich zu einem militärischen Vorgehen gegen die Türkei. Um die hierzu notwendigen Geldmittel aufzubringen, wurde eine allgemeine Abgabe für das gesamte Reichsgebiet, die sogenannte Türkensteuer, erhoben. Bedeutung hat die Türkensteuer, da die aufgestellten Steuerlisten in vielen Fällen den ersten Nachweis der Gründung von Siedlungen und auch von Einwohnerzahlen für Gemeinden bilden. Die Listen führen die Vor- und Nachnamen der Haushaltsvorstände der jeweiligen Ortschaft auf und verzeichnen die dazugehörigen Geldsummen. Einige der Türkensteuerlisten verzeichnen neben den Haushaltsvorständen auch das Gesinde. Am Ende der Einträge zu einer bestimmten Ortschaft werden die verzeichneten Geldbeträge für das Kirschspiel summiert.
In Ostpreußen war ein Kirchspiel zunächst zunächst ein Pfarrbezirk, danach Domänenbezirk, dann Kreis und später Verwaltungsbezirk, Gerichtsbezirk und Bezirk für das militärische Aufgebot. Innerhalb der Kirchspiele gab es Landgemeinden, Gutsbezirke und Städte, die im Laufe der Zeit mit verschiedenen Ämter ausgestattet waren: das Pfarramt geleitet vom Pfarrer, das Domänen-Amt geleitet vom Domänen-Amtsmann, das Kreisamt geleitet durch den Kreisvorsteher, den Amtsbezirk geleitet vom Amtsvorsteher, die Stadtgemeinden geleitet vom Bürgermeister, der Gutsbezirk geleitet vom Gutsherrn, das Gemeindeamt geleitet vom Gemeindevorsteher oder Schulzen.
Im Laufe der Zeit gab es Zusammenlegungen von Gemeinden, Grenzverschiebungen, Funktionsänderungen und Ortswechsel der Verantwortlichen. Das frühe Domänenamt wie das folgende Kreisamt umfassten aber das gesamte ursprüngliche Kirchspiel Aulowönen und blieb wesentlich in den ursprünglichen äußerlichen Grenzen von 1610 bis 1945 erhalten. Siehe dazu auch das Kapitel 6.5 Gemeindeverwaltung während der Königszeit, der Kaiserzeit und der Weimarer Republik
Über die Entwicklung des späteren Kirchspiel Aulowönen wird Folgendes berichtet:
Der Raum des Kirchspiels Aulowönen ist erst nach der Ordenszeit zu einer ertragreichen Landschaft geworden. Er war bis dahin ein Teil des ehemals Graudenwaldes der Großen Wildnis, der von der Nehne bis zur Memel reichte und in der Ordenszeit nur im Süden auf dem schiffbaren Pregel und der Inster oder im Norden über Laukischken nach Linkuhnen über die dort nur spärlich vorhandenen Heide- und Sandflächen durchquert werden konnte.
Im Jahre 1352 übernahm der Bischof von Samland den Raum von Georgenburg und Saalau mit dem dazugehörigen Hinterland. Am 17. Mai 1353 gab dann der Bischof das westliche Drittel seinem Domkapitel zur Nutzung ab. Die Westgrenze fiel mit der Grenze des Kreises Insterburg zusammen: vom Pregel bei Auer nach Nordosten bis zur sogenannten Marschschallsgrenze, die etwa an der Ossa nördlich Kallwischken (Hengstenberg) lag. Die Ostgrenze verlief von der Mündung der Droje über Warkau bis jenseits der Ossa hinter Neu Lappönen und Rudlauken. Aus dem nördlichen Teil dieses Streifens ist das Kirchspiel Aulowönen entstanden.
Jäger und Sammler betrieben hier zunächst 'Waldwerk'. Sie sammelten Honig bzw. Wachs und Harz und erlegten Pelztiere, um dieses bei den Dorfschulzen der Hufendörfer hauptsächlich gegen Tabak und Brandwein einzutauschen - Taler wurden erst in zweiter Linie ausgezahlt. Es waren nur wenige Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienten.
Im Jahre 1525 wird Warkau als eine südliche Feuerstelle des Kammeramtes Georgenburg genannt. Ohne dass ein Dorf bestand, gab es im späteren südlichen Kirchspiel einen Krüger im späteren Warkau, der Bier aus dem Brauhaus von Georgenburg ausschenkte. Ab 1590 gab es einen Schulzen in Groß Warkau.
Erst im 16. Jahrhundert begannen im späteren Kirchspiel angesiedelte Schatullbauer verstärkt mit den Rodungen, um Wald in Acker zu verwandeln. Es waren überwiegend Litauer, die der Reformation wegen und der gesicherter Rechtslage die Herzog Albrecht bot, ins Land kamen.
Zwar hatten nicht alle Rodungen aufgrund von Kriegen, Seuchen und Hungersnöte Bestand. Danach wurden aber bald die zahlreiche verlassene Güter und wüst gewordenen Bauernhöfe verstärkt auf "Übermaaß" (übersteigt die Standardgröße) in der Regel wieder neu ausgegeben und frisch besiedelt. Die Standardgröße bei einer Verleihung für einen Hof war von 2 Hufen in der Ordenszeit nach ist nach 1721 auf etwa 1 Hufen = 1,5 Haken = 16,8 ha. gesunken. Die Dörfer hatten jetzt eine Größe von etwa 14 - 16 Hufen. Die Standardgrößen der Güter (Schatullkölmer) entsprach zwar zunächst denen der Dörfer, passte sich aber auch dem Boden an und vergrößerte sich durch das spätere "Bauerlegen" individuell erheblich. Die Gutsarbeiter besaßen noch keine eigenen Häuser, sondern mussten in Ställen und Scheunen mit ihren Familien hausen.
Zur herzoglicher Zeit ist in diesem Raum verhältniswenig neu gesiedelt worden, auch hatten die neugeschaffenen Anwesen wenig Bestand. Zwischen 1600 und 1630 wurden daher viele dieser Höfe und Ortschaften mit ihren Ländereien erneut verliehen. Als im Jahre 1651 der große Kurfürst die wegweisende Instruktion zur Schaffung der Chatoulsiedlungen erließ, wurde gerade im Kirchspiel Aulowönen diese Siedlungsform erfolgreich vorangetrieben und die riesigen Waldungen des Grauden in Ackerflächen, Wiesen und Weiden verwandelt. Über zwanzig neue Güter und Ortschaften wurden hier in den Jahren von 1660 bis 1690 als Chatoulcölmische Güter oder Chatouldörfer angelegt.
Durch die Rodung und Neuausgabe war von Jennen bis Willschicken ein ziemlich aufgesiedelter Raum entstanden, so dass man in Groß-Aulowönen im Jahre 1610 eine Kirche gründen konnte und in der umliegenden Region das dazu gehörige Kirchspiel entstand. Die Kirche in Aulowönen war zuerst ein schlichter Holzbau.
Die Ostpreußische Kriegs- und Domänenkammer zu Königsberg wurde am 4. Februar 1723 im Zuge der Neuorganisation der Verwaltung in allen Teilen der preußischen Monarchie gegründet, um durch die Machtzentralisierung eine größere Transparenz und Effektivität für die Wirtschafts- und Finanzverwaltung des preußischen Staates durchzusetzen. Quelle: Gründung der Ostpreussischen Kriegs- und Domänenkammer zu Königsberg und die Einrichtung einer Kammerdeputation für Gumbinnen – Kulturstiftung https://kulturstiftung.org/zeitstrahl/gruendung-der-ostpreussischen-kriegs-und-domaenenkammer-zu-koenigsberg-und-die-einrichtung-einer-kammerdeputation-fuer-gumbinnen
1610 wurde das Kirchspiel Aulowönen gegründet, 1723 wurde das Domänen-Amt Aulowönen gegründet, 1874 wurde es in Amtsbezirke unterteilt. Um 1700 waren etwa 78 % aller Ländereinen in dem Kirchspiel Aulowönen im königlichem Besitzt, die ab 1735 vom gegründeten Domänen-Amt in Gumbinnen verwaltet wurden.
Der Domänen-Amtsmann des Domänenamt Lappönen hatte ab 1735 seinen Sitz zunächst in Uschupöhnen später bis 1808 in Alt Lappönen. Er war dem Hauptamt in Gumbinnen zugeordnet. Das Domänenamt Lappönen zählte 1752 mehr als 42 Dörfer und 382 Feuerstellen. 1871 sind von 322 Einwohner des Amtsbezirks Aulowönen alle preußisch und evangelisch, 130 ortsgebürtig, 42 unter 10 Jahren, 176 können lesen und schreiben, 40 ohne Angaben, 64 sind Analphabethen, 3 sind blöd- oder irrsinnig, 1 ist ortsabwesend.
Der Amtsvorsteher des Amtsbezirkes Aulowönen hatte ab 1874 seinen Sitz im Groß- Aulowönen. Er war dem Landratsamt in Insterburg im Regierungsbezirk Gumbinnen zugeordnet. Im Jahre 1910 betrug die Einwohnerzahl des Ortes Groß-Aulowönen mit Kirche, Gut, Schule und zwei Ziegeleien 341 Personen.
1740 wurden die bisherigen Provinzialbehörden in die Kriegs- und Domänenkammern überführt und neu gegliedert. Das Hauptamt für das Kirchspiel Aulowönen war bis 1752 Insterburg, geleitet von einem Hauptamtmann. König Friedrich II. gliederte Ostpreußen 1752 in 10 landrätliche Kreise, wobei jeweils mehrere der alten Hauptämter zu einem neuen Kreis zusammengefasst wurden und von einem Landrat geleitet wurden. Der neue Kreis Insterburg wurde gebildet aus den alten Hauptämtern Insterburg, Ragnit, Tilsit und Memel. Die Landräte der neuen Kreise sollten von 1752 bis 1802 für ihren jeweiligen Kreis auch Teile der Aufgaben der Kriegs- und Domänenkammern übernehmen. Sitz des Landrates des neuen Kreises wurde ebenfalls Insterburg.
Danach wurden mehrere Gemeinden innerhalb des Kirchspiels zu Amtsbezirken zusammengefasst. Das Amt Lappönen wird zum Amt Aulowönen. Am 17. 11. 1882 erfolgt die endgültige Feststellung des Amtsbezirks Aulowönen Nr. 34 aus den früheren Landgemeinden Groß Aulowönen, Jennen, Klein Aulowönen, Klein Popelken, Naggen, Rauben und Ußupönen und den Gutsbezirken Alt Lappönen, Kallwischken, Kemsen und Kiaunischken (11 Gemeinden bzw. Gutsbezirke). Am 11. März 1874 wurde Groß Aulowöhnen Amtsdorf und somit namensgebend für einen neu errichteten Amtsbezirk. Er wurde verwaltet vom Amtsvorsteher zunächst in Jenen später dann im Dorf Groß-Aulowönen.
Am 1. Dezember 1923 kam es zum Zusammenschluss der Landgemeinde Groß Aulowönen mit der Nachbargemeinde Uszupönen (Uschupönen) zur neuen Landgemeinde Aulowönen (ohne Zusatz). Am 30. September 1928 schließlich wurden der Gutsbezirk Alt Lappönen und teilweise auch der Gutsbezirk Gründann (heute nicht mehr existent, vorher im Amtsbezirk Buchhof) in die Landgemeinde Aulöwnen eingemeindet. Die Einwohnerzahl der Landgemeinde Aulowönen stieg dadurch bis 1933 auf 1.026 und belief sich 1939 auf 1.049 Personen.
Am 13. 9. 1938 erfolgt die Umbenennung des Amtsbezirks Aulowönen in Aulenbach (Ostpr.).
Wilschicken war der spätere Nachbarsort von Aulowönen. Die Türkenlisten von Aulowönen enthielten nur Besitzer, denen Land ursprünglich vom Domkapitel Samland verschrieben worden war. Dies widersprach dem späteren Reichsgesetz, das eine Kopfsteuer vorsah. Sie wurden als Besitzerlisten weitergeführt. Die Verschreibungen des Landbesitzes erfolgten zu kulmischem Recht, d. h. freiem Besitz.
Die hier summarisch angeführten Angaben über Aulowönen – sie gehen über die Türkenlisten hinaus - enthalten u.a. die folgende Daten:
- 1376 verlieh Hochmeister Winnroch von Kniprode "14 Hufen zur Feuerstelle Auluwöhnen an Albrecht König".
- Das Kirchspiel Aulowönen wurde um 1610 gegründet.
- 1615 erhält Egidius Strützel 2 Hufen und Krugrecht. Er wurde später Dorfschulze im gegründeten Dorf Aulowönen.
- Am 9.10.1619 erhält der Auloweiner Schulmeister Loth Krause 3 Hufen Übermaß (übersteigt die Standardgröße), in der Nähe von Aulowönen.
- 1619 erhält der Pfarrer Johann Neander in Aulowönen zu den bisherigen 4 Widdemhufen (Witwenversorgung aus dem Nachlass) 3 weitere Hufen Übermaß.
- Am 2.1.1623 erfolgt die Verschreibung für Egidie Strützel, Schulzen und Krüger zu Aulowönen von 5 Hufen, 2 Morgen und 15 Ruthen zu Wenskeiten bei Aulowönen, "da die vorherigen Besitzer die Hufen mehr zu Dieberei als des Ackerbaus und Scharwerks wegen besessen, da der Acker schlecht und "schlupisch", fast ohne Wiesenwuchs war." Strützel stiftete der Kirche im Dorf 1640 zwei große Messingleuchter "aufem Altare", die 1914 noch vorhanden waren.
- Im Kirchspiel gingen laut späterer Listeneinträge einige Besitzungen auch bald in andere Hände über. Das Rittergut Buchhof (früher Juckeln), später Nachbargemeinde von Willschicken, wurde im Jahre 1623 mit einer Rodung und "Berahmung" erstmals erwähnt. Es hatte mehrere Vorbesitzer, darunter u.a. von Heyden, Hofgräfe und von Aweyde (Awude), bis es von Carl-Eduard Müller und Emilie Henriette (geb. Kluge), im Jahre 1869 gekauft wurde. Zu Lappönen, einer weiteren Nachbargemeinde von Willschicken, siehe auch hier das Kapitel 6.3.3 Gut Alt Lappönen und den Text Willschicken 9.2 Willschicken und seine Nachbargemeinden
- 1624 erhält H. Deyhorn 18 Hufen in Groß Aulowönen samt Krug-Gerechtigkeit und Brau-Gerechtigkeit (Genehmigung zum Bierbrauen).
- 1680 wird Hans Fuchs, ein Zimmermann aus Ragnit, Inhaber des 2. Kruges in Groß-Aulowönen. Der erste Krug in Klein-Aulowönen war zuerst dem Faustin Klein verschrieben worden und wurde schuldenhalber zurückgegeben, denn "es gehet bey dem Krug keine Landt Strassen vorbey“.
- In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden in der Region des Kirchspiels die ersten umfangreiche Rodungen der bisher vorhandenen Wildnis durchgeführt. Die neu angesiedelten Schatull- oder Koloniebauern waren hier zunächst Waldarbeiter und sie erhielten das gerodete Land dafür als Ackerland. Koloniebauern hatten eine gemeinsame Herkunft, z. b. Salzburg und siedelten in geschlossenen Dörfer, wie Neu Aulowönen, Schatullbauern kamen aus verschiedenen Landesteilen, wie die Siedler in Groß-Aulowönen. Die Ansiedlung wurde von der Forstverwaltung organisiert, die die Zinserträge der ackernden Siedler direkt in die Schatulle des Kurfürsten abführte. Viele Dörfer im Kirchspiel von Aulowönen sind auf diese Weise vor und nach 1700 entstanden. Klein-Aulowönen war ein Koloniedorf. Willschicken war ein Schatulldorf. Groß-Aulowönen und Lappönen waren Scharwerksdörfer, in denen die Bauern Arbeitsdienste auf den dazugehörigen Gütern leisten mußten.
- "Das Dorf Groß-Aulowönen besteht um 1680 aus fast 19 Hufen, wovon die Hälfte auf Widdem (Witwenversorgung aus dem Nachlass), Krüge und drei Hufen kölmisch entfällt, die andere ist bäuerlich, die scharwerkt bzw. auf höherem Zins teilweise befreit steht.“
- Bald siedelten auch Handwerker im Dorf, das nach und nach zum Marktflecken wurde. Es stellten sich dafür viele Bewerber ein, da sie als Schatullkölmer oder Schatullbauern scharwerksfrei blieben und außer ihrem Grundzins nur gelegentlich zum Forstdienst verpflichtet waren. Bewährte sich der Annehmer, so erhielt er nach einigen Jahren seine „Berahmung“.
- Die verheerenden Pestjahre 1709/10 entvölkerten in Ostpreußen Dörfer und Güter, mitunter vollständig, wie im Kirchspiel Aulowönen.
- König Friedrich I. forderte eine schnelle Wiederbesiedlung und erließ am 20. September 1711 ein Patent, durch dass er neu Siedler in das verödete Land rief. Noch im selben Jahr gelang es, in den Gebieten Insterburg und südwestlich von dem späteren Gumbinnen überwiegend Schweizer Calvinisten und Französische Hugenotten ins Land zu holen. Es kamen in der Folgezeit circa 400 Familien, die auf über 60 Ortschaften in den Landkreisen Insterburg und Gumbinnen verteilt wurden. Die Neusiedler gehörten überwiegend dem reformierten Glauben an
- Ab 1723 wurde das Domainen-Justiz-Amt Lappönen eingerichtet, das u.a. die Neuansiedlung steuerte und überwachte.
- Als der Salzburger Erzbischof Leopold Anton von Firmian im Winter 1731 die in seinem Gebiet lebenden Protestanten auswies, nutzte Friedrich Wilhelm I. dies für deren „Re-Peuplierung“ in Ostpreußen. Von den 13.000 Salzburgern, die in den Jahren 1732 / 1733 nach Ostpreußen kamen, fanden über 11.000 im Regierungsbezirk Gumbinnen vorwiegend im Hauptamt Insterburg eine neue Heimat
- 1732 kam es zur Einwanderung von Salzburger Glaubensflüchtlinge in die Region. Unter den deutschen Neusiedlern bilden Salzburger Exulaten oft eigene Coloniedörfer, so Klein Aulowönen, Ernstwalde, Kallwischken (Ostp.), Skardupönen, Schruben und Warglauken. Klein-Aulowönen entwickelte sich zu einem eigenen kleinen Wirtschaftszentrum, wozu auch die von den Salzburgern initiierten Schulen im Kirchspiel Aulowönen beitrugen.
- Am 18.4.1732 übersandte der Magistrat zu Burg bei Magdeburg für 3 (Salzburger) Kolonistenmädchen, die Geschwister Lange in Klein-Aulowönen (Elisabeth, Anna-Christine und Blondine) 665 Reichsthaler.
- In der Liste der Königl. Domänenamtsmänner in Preussisch Littauen wird 1735 auch der Amtmann Chr. Theodor Praetorius für das Amt Lappönen genannt.
- 1757 werden der Präzentor Stein und Lehrer Regge als Lehrer an der Schule in Groß-Aulowönen genannt. Präzentor (von lateinisch praecino ‚vorsingen‘) ist ein kirchliches Amt mit der Funktion eines Vorsängers, später allgemein eines Gottesdiensthelfers oder -verantwortlichen.
- 1785 ist das Dorf Lappönen ein königliches Amt und Vorwerk, mit 5 Feuerstellen, das Domänen-Amt Lappönen hat 42 Dörfer mit 382 Feuerstellen.
- Im 7-jährigen Krieg (1756 - 1763) haben die Dörfer Klein- und Groß-Aulowönen und Alt-Lappönen beim Durchzug gewaltiger preußischer und russischer Heeresmassen zu Fuß und zu Pferde sehr gelitten, vor allem nach der Schlacht bei Groß Jägersdorf am 22.9.1757.
- 1780 ist Groß-Aulowönen ein Königliches Scharwerksdorf geworden, in dem die Bauern Arbeitsdienste auf den umliegenden Gütern leisten müssen. Groß-Aulowönen hat eine lutherischer Kirche, 20 Feuerstellen und gehört zum Landrätlicher Kreis Tapiau, Domänenamt Lappönen.
- Klein-Aulowönen ist 1780 ein Koloniedorf mit 11 Feuerstellen, alle sind Salzburger Abstammung. Sie müssen keine Arbeitsdienste leisten.
- Die Auflösung der Domänenämter erfolgt von 1802 - 1808. Güter konnten jetzt u.a. auch von Bürgerlichen erworben werden.
- Bis zum Jahre 1815 gehörten fast alle Güter und Ortschaften des Kirchspiels zum Königsberger Departement Kreis Tapiau. Die Ämter Lappönen und Saalau wurden dann durch Edikt vom 30. April 1815 zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen.
- 1815 hat das Kirchdorf Groß-Aulowönen 21 Feuerstellen mit 148 Bewohner.
- Am 11. März 1874 wurde Groß-Aulowöhnen Amtsdorf. Das Amt Lappönen wird zum Amt Aulowönen und in Amtsbezirke unterteilt.
- Aus der Russenzeit 1914 berichtete der Gutsbesitzer August Laipacher, " .... dass auch der Groß-Aulowöner Gastwirt Rautenberg sollte von den Russen verschleppt werden, da schrien sein Weib und seine 6 Kinder um Erbarmen, die Russen ließen sich erweichen und er durfte zurückbleiben."
- Am 17.10.1928 Zusammenschluss der Landgemeinden Kemsen, Klein Aulowönen und des Gutsbezirks Kallwischken (Ostp.) zur neuen Landgemeinde Kallwischken. Am 1.9.1939 Umbenennung in die Gemeinde Hengstenberg.
- 1912 erfolgte der Wegfall der Zusatzbezeichnung von "Groß" Aulowönen.
- Von 1938 bis 1945 hieß Aulowönen Aulenbach und hatte 1049 Einwohner, danach heißt es Kalinowka (russisch Калиновка). Die Einwohnerzahl von Kalinowka beträgt 2010 457 Personen.
Quellen:
W. Grunert: Nadrauer Grabung aus: Zeitschrift der Alterstumsgeschichte. Insterburg Heft 21 1937 und Heft 22 1939);
W. Grunert: Geschichte der Besiedlung des Kreises Insterburg aus: Die Heimat - Zeitschrift für niederrheinische Heimatpflege, Krefeld 29. Jahrgang 1956 Heft 1 - 4
Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. [Grasdorf-Laatzen] o. J. [1981]
Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net) https://wiki-alt.genealogy.net/Kirchspiel_Aulow%C3%B6nen_/_Aulenbach_(Ostp.)
Die Türkensteuer wurde von 1531 bis 1619 erhoben. Von dieser Steuer waren nach einem Beschluss des Reichstages zu Regensburg weder Adelige noch Geistliche ausgenommen. Auch die Klöster mußten dazu das Ihrige beitragen. Sie wurde als Kopfsteuer behandelt: jeder über zwanzig Jahre alte Mann mußte zukünftig je nach seinem Stande seinen Beitrag für die „zugesagte Hilfe wider die Türken“ entrichten. Die geringste Summe bezahlten die sogenannten unehrlichen Leute, die Scharfrichter und Gaukler und ihre Sippe – für das Jahr drei Groschen. Dann kam das Hausgesinde, Knechte und Mägde, mit vier Groschen. Dasselbe zahlten die gewöhnlichen Soldaten. Es folgten die verschiedenen Berufsklassen je nach ihrem Einkommen. Mönche, Geistliche und Feldhauptleute zahlten dasselbe, zwölf Groschen. Auch des Kaisers Majestät, die regierenden deutschen Fürsten und die Mitglieder ihrer Häuser waren zur Türkensteuer verpflichtet. Der Kaiser zahlte dreihundert Taler, die kaiserlichen Prinzen zehn Taler, die Fürsten zwischen dreißig und fünfzig Taler.
Die durch die Türkensteuer aufgebrachten Summen – bis 1619 zusammen gegen fünfzig Millionen Taler – wurden für kriegerische Rüstungen gegen die Türkei, wozu auch die Anlage von Festungen gehörte, dann aber zum Teil zur Auslösung von Gefangenen verwendet. Für letzteren Zweck sollen allein gegen zwölf Millionen Taler gezahlt worden sein. Bezeichnend für die damalige türkische Finanzwirtschaft ist es, daß die Regierung des Sultans auf einen gegenseitigen Austausch von Gefangenen sich nur in den seltensten Fällen einließ, vielmehr für die christlichen Kriegsgefangenen eine bestimmte Taxe hatte. Für einen gemeinen Soldaten verlangte der Sultan zwanzig Taler Lösegeld, für einen Obristen fünfhundert Taler. Als nach der Seeschlacht bei Lepanto (1571), in der die Türken eine völlige Niederlage erlitten, die kaiserliche Regierung nun auch für die türkischen Gefangenen ein ähnlich angesetztes Lösegeld forderte, ließ Sultan Selim II. dem deutschen Kaiser die Antwort erteilen, dieser möge mit den Gefangenen nach Belieben verfahren, da er nichts zahlen werde. Die Türkei habe genug Menschen. Woraufhin die gefangenen achthundert Türken einfach in die kaiserliche Armee eingereiht wurden.
Die ersten Preußischen Herrscher und deren Einfluss auf die ländliche Entwicklung in Ostpreußen von 1525 - 1786
Preußen war ein im 13. Jahrhundert im Baltikum entstandenes Staatswesen, dessen Name im 18. Jahrhundert auf den aus dem Kurfürstentum Brandenburg und dem Herzogtum Preußen hervorgegangenen Gesamtstaat der Hohenzollern überging: das Königreich Preußen. Der Name der historischen Landschaft Preußen, geht auf die baltischen Prußen zurück und bezeichnete ursprünglich nur deren Stammesgebiet, das in etwa dem späteren Ostpreußen entsprach.
In der "Kosmographie, das ist Beschreibung aller Länder, Herrschaften und vornehemsten Städte des ganzen Erdbodens" [57] von Sebastian Münster aus dem Jahre 1550 sind auf den Seiten 1296 und 1305 die beiden folgenden Abbildungen zu finden.
Die alte Karte von „Prüßen“ ist kurz nach dem Übergang vom Ordensstaat zum Herzogtum in der „Cosmolographia Universalis“ 1550 veröffentlicht, die Elch-Abbildung ebenfalls. Elche waren die Symboltiere in Ostpreußen. Die Elchschaufel war das Brandzeichen von Trakenen, dem ostpreußischen Hauptgestüt. Siehe Kapitel 6.3.2 "Hauptgestüt Trakehnen"
Nach der Niederlage des Ordens 1410 bei Tannenberg, bei der ein Drittel aller Ordensritter des Landes den Tod fanden, begann langsam der Niedergang des Ordensstaates. Er behielt zwar zunächst den größten Teil seines Territoriums, hatte aber hohe Kontributionen an Polen und Litauen zu leisten. Dazu kamen innere Streitigkeiten.
Der damalige Hochmeister Albrecht von Brandenburg suchte nach Lösungen für die Zukunft seines Landes. Er beriet sich u.a. mit den deutschen Reformatoren Andreas Osiander und Martin Luther. Luther riet im Jahr 1523 den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln und es der Krone Polens zu unterstellen.
Die ersten preußische Herrscher wurden in Ostpreußen von 1525 – 1786 für den langfristige Landesausbau und damit auch für die Dorfentwicklung von Willschicken wichtig. Schon vor der Gründung des Herzogtums 1525 bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde in Ostpreußen eine planmäßige Besiedlung durchgeführt.
Von 1309 bis 1454 war die Marienburg Sitz der Hochmeister des Ordens im Deutschordensstaat Preußen, der von hieraus regiert wurde. Die Marienburg (polnisch Zamek w Malborku) ist eine im 13. Jahrhundert erbaute mittelalterliche Ordensburg des Deutschen Ordens an der Nogat, einem Mündungsarm der Weichsel. Sie liegt am Rande der Stadt Marienburg (poln. Malbork) im Weichseldelta.
Danach wurden Ostpreußen von Königsberg von 1457 bis 1701 und ab 1701 zusammen mit Brandenburg von Berlin und Potsdam aus regiert. Von den preußischen Monarchen wurden jeweils Verantwortliche für den Landesausbau in Ostpreußen bestimmt. Sie waren zugleich Vertreter der Monarchen und Leiter der Verwaltung vor Ort. Sie residierten in Königsberg und trugen die folgende offizielle Titel: ab 1568 Oberräte, ab 1657 Statthalter und ab 1772 Oberpräsidenten.
Die ostpreußische Bevölkerung wuchs zwischen 1640 und 1740 um etwa 100.000 Menschen auf rund 600.000 Einwohner an. Um 1740 waren von den rund 600.000 geschätzten Einwohnern Ostpreußens 150.000 Litauer, 125.000 Polen, 135.000 Prußen, 100.000 Deutsche und etwa 90.000 weitere verschiedene europäische Migranten, die in der Provinz lebten. Im Laufe der Zeit verschmolzen aber die verschiedenen Herkünfte unterschiedlich schnell zu den verschiedenen Bewohnergruppen in Ostpreußen.
Einige kurze Stichworte zu den fünf ersten Preußischen Herrschern und deren Einfluss auf die ländliche Entwicklung in Ostpreußen von 1525 - 1786. Die Themen Bauernbefreiung, Separation und Modernisierung werden danach behandelt.
- Albrecht von Preußen (1490-1568) der Herzog von Preußen
- Friedrich Wilhelm (1620-1688) der Großer Kurfürst von Brandenburg und Herzog in Preußen
- König Friedrich I. (1657 -1713) der Kurfürst von Brandenburg und souveräner Herzog in Preußen. Dort krönte er sich 1701 selbst als Friedrich I. zum König in Preußen
- König Friedrich Wilhelm I. (1688 -1740) der Soldatenkönig
- König Friedrich II. (1712-1786) der Große
Max Beheim- Schwarzbach nennt in seinem Buch „Friedrieh Wilhelm's I. Colonisationswerk in Lithauen, vornehmlich die Salzburger Colonie“ 1879 sieben Perioden der Colonisation in Ostpreußen von 1711-1773:
- Periode: Einleitungsperiode unter Friedrich I., besonders 1711-13.
- Periode: Vorbereitung unter Friedrich Wilhelm I., 1713-21.
- Periode: Erste Hauptperiode grösserer Colonisationen unter Friedrich Wilhelm I. 1721-25 mit der Ansiedlung von Schweizern, Nassauern und Pfälzern.
- Periode: Reactionszeit, 1726-31.
- Periode: Zweite Hauptperiode grösserer Colonisation mit der Ansiedlung von Salzburger, 1732-36.
- Periode: Ausläufer der Colonisationen unter Friedrich Wilhelm I., 1736-40.
- Periode: Vollendung des Werkes unter Friedrich II., 1740-73.
1525 erfolgte die Gründung des Herzogtums Ostpreußen und der Religionsübertritt von Herzog Albrecht von Preußen (1490-1568) vom Katholizismus zum Protestantismus. Ein Ausnahme blieb das katholische Erzbistum Ermland. Das Herzogtum Preußen (Polnisch: Księstwo Pruskie) oder Herzoglich Preußen (Polnisch: Prusy Książęce) war ein von 1525 bis 1701 bestehendes Herzogtum, das mehrheitlich aus dem zwischen den Unterläufen von Weichsel und Memel liegenden Teil des Deutschordensstaates entstanden war. Seine Hauptstadt war Königsberg. Etwa 5.000 Bauern und Fischer wurden von Albrecht aus Kurland, Estland und Livland zum Siedeln in Ostpreußen angeworben, darunter befanden sich auch die späteren „Nehrungs-Kuren“. Viele der Neusiedler aus Litauen und Polen kamen nach der Reformation aus religiösen Gründen aus ihren katholischen Heimatländern ins protestantische Preußen.
Albrecht von Preußen war ein Prinz aus der fränkischen Linie der Hohenzollern und ab 1511 der letzte Hochmeister des Deutschen Ordens. Er verwandelte nach seinem Übertritt zur Reformation im Jahre 1525 die katholisch dominierte weltliche Herrschaft des Deutschordensstaates in Preußen in das erbliche lutherische Herzogtum Preußen um, um es als erster Herzog in Preußen zu regieren.
Die Umwandelung des Ordenstaates erfolgte aus politische, wirtschaftlichen und religiösen Gründen. Im Jahr 1519 findet in Königsberg unter Teilnahme des (noch) Hochmeisters Albrecht und des katholischen Bischofs von Polenz die letzte Prozession in Königsberg statt. 1522 wurde Albrecht während der Religionskämpfe in Nürnberg von Andreas Osiander für die Reformation gewonnen. 1524 bittet eine Gesandtschaft der preußischen Stände – hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen – Albrecht als Ordensmeister das Land als weltlicher Erb-Herr zu regieren. Diese Umwandelung empfehlen, neben den Ständen auch der Landadel (Ritterschaft) und weitere Honoratioren, alle wollen ihre Nachkommen wirtschaftlich versorgt sehen. Dazu kommt die Befürwortung von Martin Luther aus religiösen Gründen. Selbst der Polnische König stimmt aus alter politischer Gegnerschaft zum katholischen Orden für ein Umwandelung.
Von den vier Bischöfen stimmt nur der ermländische Bischof gegen die Reformation. 1525 findet die Umwandlung statt. Auf Anraten Martin Luthers wandelte er das Ordensgebiet in ein weltliches, im Haus Hohenzollern erbliches Herzogtum um, führte die Reformation ein und nahm es am 8. April 1525 aus der Hand des polnischen Königs Sigismund I. in Krakau zum Lehen. Wie der Herzog, so wurden auch seine Untertanen evangelisch. Auf dem Landtag, der kurz darauf in Königsberg gehalten wurde, erklärten sich alle Stände und die Ritterschaft mit dem Bischof von Samland, Georg von Polentz, an der Spitze für die Anerkennung des Herzogtums und für die Annahme der Reformation. 1526 hat Herzog Albrecht als erster deutscher Landesherr auch die kirchliche Verwaltung übernommen und führt dazu die „Preußische Kirchenordnung“ ein. Diese regelt den Ausbau des Pfarrsystems und die geistlicher Betreuung der Prußen, Litauer und Masovier in ihrer Muttersprache.
1544 gründete Herzog Albrecht die Universität in Königsberg. In seiner Amtszeit wurden unter der Leitung von Kopernikus die Prutenischen Tafeln (ein aktualisierter astronomischer Atlas) und preußische Landkarten erstellt und eine Münzreform durchgeführt. Zur Stärkung der lutherischen Reformation holte Albrecht evangelischer Flüchtlinge ins Land und förderte die Ausbildung evangelischer Pastoren und Übersetzungen religiöser Schriften in die verschiedenen Sprachen seiner Untertanen und benachbarten Völker.
Bei der Gründung der Königsberger Universität wurde Johann Placotomus 1544 erster Professor für Medizin. Andreas Aurifaber, der Leibarzt des Herzogs, untersuchte das Heilmittel Bernstein. Der Stadtchirurg Daniel Schwabe führte 1635 die erste Magenöffnung durch. 1637 wurde die erste anatomische Demonstration, 1677 die erste Vivisektion veranstaltet. 1737 errichtete Christoph Gottlieb Büttner aus privaten Mitteln das erste Theatrum anatomicum am Weidendamm. 1793 gründete Prof. Johann Daniel Metzger die erste Hebammenlehranstalt. 1893 führte William Motherby die erste Pockenimpfung durch.
Daniel Schwabe (auch Daniel Schwab; *1592 in Danzig; †nach 1635 in Königsberg i. Pr.) war ein ausgebildeter deutscher Wundarzt. Er war „Königlicher Magister in Pohlen und zu Schweden, auch Churfürstliche Durchlaucht zu Brandenburg und der löblichen treuen Stadt Königsberg wohlbestalter Chirurgus und Lithotomus“ im Herzogtum Preußen. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Schwabe
Er führte die zweite bekannte Magen-Operation an Andreas Grunwald durch „Den 29ten Mai 1635 schluckte ein Bauer, Namens Andreas Grunwald, aus Grunheide, ein Messer herunter, welches auf folgende Art geschah. Grunwald fühlte, dass es mit seinem Magen nicht richtig stehe, und wollte sich daher, seiner Gewohnheit folgend, zum Erbrechen zwingen. Er nahm also sein Messer, hielt es an der Spitze, und reizte mit dem Schaft einen Hals, unversehens entfuhr im dasselbe und glitt in den Magen hinab. Aller angewandten Mühe ohneerachtet, er mochte sich auf den Kopf stellen, wie er wollte, er konnte das Messer nicht wieder herausschütteln, er wurde also nach Königsberg zu einem Arzt gebracht. Dieser ließ ihn, in Gegenwart anderer Ärzte auf ein Bett binden und in dieser Lage öffnen. Zuerst wurde ihm ein magnetisches Pflaster appliziert, und dann durch einen Schnitt 2 Finger breit in die Länge erstlich die Haut, darauf das Fleisch, und endlich das Peritonaeum (Bauchfell), worin die Gedärme liegen, geöffnet. Hierauf wurde mit einer krummen Nadel der Magen aufwärts gezogen, ein Loch an dem Orte, wo die Spitze des Messers steckte, eingeschnitten und so das Messer an der Spitze herausgezogen, worauf der Magen gleich wieder zuschnappte und die Wunde in einigen Tagen glücklich verheilte. Dass die Kur glücklich war, und Grunwald nicht die geringsten Nachwehen davon fühlte, sieht man daraus, dass er sieben Jahre nach dieser schmerzlichen Operation noch Mut genug hatte, sich zum zweitenmale mit einem raschen jungen Weib zu verheiraten.“
Quelle: Karl Mazdorf: Anekdoten, Sittengemälde und Traditionen aus der Preußisch-Brandenburgischen Geschichte
Da das Herzogtum sich nur auf den östlichen Teil Preußens erstreckte, führten er und seine Nachfolger den Titel „Herzog in Preußen“ und nicht „Herzog von Preußen. Dieser Titel fiel 1618 durch Erbschaft an die hohenzollernschen Kurfürsten von Brandenburg, von da an wurden beide Länder von Berlin aus in Personalunion regierten
Am 10. April 1525 huldigte Herzog Albrecht in Krakau feierlich seinem Onkel, dem polnischen König Zygmund I. Stary und wurde offiziell mit dem Herzogtum Preußen belehnt. Dieses Lehnsverhältnis galt bis 1656. Der ehemalige Ordensstaat wurde ein weltliches Herzogtum, das erste protestantische Staatsgebilde. Der vom Orden begonnene Landesaufbau wurde im Herzogtum verstärkt fortgesetzt.
Die verwaltungsmäßige Anpassung vom Ordensstaat zum Herzogtum wurde rasch vollzogen. Aus Komtureien, Vogteien und Pflegen wurden Hauptämter, aus den bisherigen Amtsinhabern des Ordens herzogliche Amtsleute. Das 1525 gegründete Herzogtum Preußen war in die drei „Kreise“ Samland, Natangen und Oberland eingeteilt, die wiederum aus Hauptämtern bestanden. Die Kreise dienten hauptsächlich ständischen Angelegenheiten; bedeutsamer für die allgemeine Verwaltung waren die Hauptämter.
Mit der Gründung des Herzogtums Preußen 1525 wurde Insterburg Hauptamt. Im Hauptamt Insterburg gab es 1544 nur ein einziges Kirchspiel, es war die Stadt selbst, es folgten Gawaiten 1562 und Pillupönen 1562. Im Jahre 1590 gab es schon 13 Kirchspiele mit etwa 500 Ortschaften.
Während der Ordenszeit wurden relativ großzügig kölmische Freibauern angesiedelt. Kölmer waren freie Grundbesitzer, die der Deutsche Ritterorden zu Kölmischen (Kulmischen) Recht angesiedelt hat. Kölmisches Recht verpflichtete zum Reiterdienst bei Verteidigung des Landes, gewährte große Freiheiten: Vererbung des Gutes an Söhne und Töchter, Verkauf mit Vorwissen des Ordens, Befreiung von allem Scharwerk, oft auch die Privilegien der Fischerei, mittleren und minder Jagd, Brauerei und dgl. Große kölmische Güter, denen die volle Gerichtsbarkeit verliehen war, sind später Rittergüter geworden. In der Nachordenszeit bis zur Herrschaft Friedrich des Großen entstanden neue Kölmer, denen statt des Kriegsdienstes ein Zins auferlegt wurde. Das Landrecht von 1685 bewertet den kölmischen Besitz als volles Eigentum. So bilden die Kölmer einen angesehenen Stand, weit über den Bauern stehend.
Nach 1525 wurden die etwa 5.000 angeworbenen Siedler aus Kurland, Estland und Livland überwiegend zu scharwerkpflichtigen Zinsbauern. Die Anwerbung erfolgte im herzoglichen Auftrag, indem der örtliche Amtshauptmann kraft einer Urkunde (Handfeste) dem Lokator die Genehmigung zur Besiedelung eines ausgewiesen Landstriches erteilte.
Um die herzogliche Kasse zu füllen, verpachtete Herzog Albrecht ein Teil seiner Domänen Vorwerke an den Adel. Diese Vorwerke entstanden zunächst bei den Ordensburgen und entwickelten sich nach 1525 zu staatlichen Domänen. Seit der Ordenszeit wurden ihnen die scharwerkpflichten Dörfer der Umgebung zu geteilt. Mit dem Domänenvorwerk erhielt der adlige Pächter nicht nur das eigentliche Gut, sondern auch alle umliegenden Zinsbauer als lebendes Inventar. Vorhandene gutsnahe Freibauern wurden „gelegt“ und die Flächen dem Gut widerrechtlich zugeordnet. Im Laufe der Zeit vergrößerte der adlige Pächter so seine Flächen erheblich, da es auch noch keine amtliche Flurkarten gab.
Der Herzog führte zur direkten Finanzierung einer Herrschaft auch die Schatull- und Koloniebauernschaft ein. Die Schatull- und Koloniebauern wurden direkt auf hoheitlichem Land häufig in Forstdomänen angesetzt. Sie siedelten zunächst jeweils in geschlossenen Dörfern. Entweder bezahlten sie ihr Land direkt in die Schatulle des Herzogs, später des Königs oder erhielten im Voraus als religiös Verfolgte eine Besitzurkunde. Dafür mußten der Wald gerodet und das Land urbar gemacht werden. Dann wurde das Land zur Landwirtschaft aufgeteilt. Später mussten sie auch einen Grundzins pro Feuerstelle (Haushalt) direkt in die Schatullkasse zahlen.
1785 wird Willschicken oder Wilpischen als Chatouldorf mit 15 Feuerstellen erwähnt.
Siehe dazu auch: 5.1 Bauernbefreiung
Nach der Bauernbefreiung lässt sich sehr grob die Aufteilung der Bauern später auch in Klein- (Scharwerk) Mitte- (Schatull/Kolonisten) und Großbauern (Kölmer/Freie) beschreiben. Allerdings ist diese grobe Zuschreibung nur vage.
Die Gutspacht für den Adligen lohnt sich aber nur, wenn er über den Pachtzins hinaus einen satten Gewinn erzielen konnte.
Zwangsläufig stieg damit der Druck auf die Scharwerksbauern. 1577 setzte der Landadel die Schollenbindung für die Scharwerksbauern durch. Viele Bauern hatten auf Grund der bedrückenden Lebensbedingen versucht, vorher ihre Stellen zu verlassen. Die zunehmende Macht des Adels führte dazu, dass die Landbevölkerung durch wachsende ökonomische Abhängigkeit immer mehr in die Leibeigenschaft gezwungen wurde. Sie führte letztlich zu einem Passus in der preußischen Landordnung, in der 1577 festgelegt wurde, dass die Bauern ohne Erlaubnis des Gutsherrn ihren Wohnsitz nicht mehr verlassen durften (Schollenbindung der Bauern)
1666 erfolgte die Erlangung der Souveränität Preußens durch den Großen Kurfürst Friedrich Wilhelm (1620-1688) Förderung von Ackerbau und Einwanderung. Geschätzte 30.000 religiös verfolgten Menschen siedelten mit kurfürstlicher Unterstützung in Ostpreußen.
Die Goldenen Bulle Kaiser Karls IV. von 1356 schrieb dem Markgrafen von Brandenburg die Funktion des Erzkämmerers im Heiligen Römischen Reich und damit die eines der sieben Kurfürsten zu.
Außenpolitisch legte der Großen Kurfürst Friedrich Wilhelm im Westfälischen Frieden 1648 den Grundstein für den Aufstieg Brandenburgs zur europäischen Großmacht und sicherte im Frieden von Oliva 1660 die Souveränität über Preußen. Innenpolitisch setzte Friedrich Wilhelm umfassende Reformen durch und schuf ein stehendes Heer. Als Fehlschlag erwies sich der Versuch, eine kurbrandenburgische Marine aufzubauen, um am Transatlantikhandel teilzunehmen. Siehe dazu Kapitel 3.2.3 "Die Altstadt von Königsberg war der Hanse 1339 beigetreten". Die Erhebung der Mahl-, Schlacht- und Brausteuer in allen Provinzen versetzte den Kurfürsten in die Lage, ein stehendes Heer zu unterhalten, das im Fall eines Kriegs auf 20.000 Mann aufgestockt werden konnte. Sein Sieg über die Schweden in der Schlacht bei Fehrbellin vom 18. bis 28. Juni 1675 brachte ihm den Beinamen Großer Kurfürst ein. Friedrich Wilhelm bekannte sich zum calvinistischen Glauben und betrieb eine tolerante Religionspolitik, die sein Vorgänger teilweise schon begonnen hatte.
Friedrich Wilhelm begann die Landwirtschaft teils gegen heftigen Widerstand der Stände in Ostpreußen zu fördern. Er sollte von den ostpreußischen Ständen dafür 530.000 Taler in fünf Jahresraten erhalten, doch zwang er die Stände mehr Gelder bereitzustellen und sammelte in den Jahren 1655 bis 1661 insgesamt 12,5 Millionen Taler ein. Das Herzogtum Preußen musste mit 7 Millionen Talern den größten Teil stellen. Die Königsberger Stände wehrten sich gegen die absolutistischen Bestrebungen des Kurfürsten und versuchten Unterstützung aus Polen zu bekommen. Der Kurfürst schlug 1662 diesen Königsberger Aufstand mit militärischen Mitteln nieder und konnte so seinen Machtanspruch und die Steuererhebung zur Finanzierung seines stehenden Heeres durchsetzen.
Er unterstützte den Ackerbau und die Einwanderung einer Vielzahl von verschiedenen religiös verfolgten Gruppen in Ostpreußen in dem er ihnen Asyl gewährte und sie bei der Ansiedlung unterstützte. Die größte Gruppe stellten die Bauern. Der Herzog stellte den Bauern Land, Geräte und Vieh zur Verfügung. Das Umland des späteren Dorfes Wilpischen wurde 1657 zu einem preußischen Siedlungsplatz. In den ersten Jahren wurde oft der Status als freier Bauer gewährt, der später aber von den umliegenden Gutsherren vielfach widerrechtlich wieder zurückgenommen wurde. Die ehemals freien Bauern wurden "gelegt", deren Land wurde eingezogen und sie als Unfreie in die gepachteten Domänen zwangsweise eingegliedert. Besser erging es den Handwerkern und Kaufleuten in den Städten, obwohl ihnen durch die Stände zunächst der Beitritt zu den bestehenden Zünften verwehrt wurden. Mit herzoglichen Patenten ausgestattet gründeten sie zunächst eigene Kooperationen, um so später die lokale Anerkennung auch rechtlich zu erreichen.
- Die größten Gruppen der religiös Verfolgten waren zunächst litauische, polnischen und böhmischen Protestanten, die aus ihren katholischen Heimatländern vertrieben wurden. Die Litauer siedelten vorwiegend in den späteren ostpreußischen Kreisen Niederung, Tilsit, Ragnit, Pillkallen, Insterburg, Gumbinnen, Stallupönen und stellten bis 1700 die Mehrheit der dortigen Bevölkerung. Die litauische Prägung des Gebiets endete mit den Verheerungen durch die Pestepidemie von 1709/10 und dem durch den preußischen König danach eingeleiteten Retablissement, einem Wiederaufbau des Landes einschließlich der Neubesiedlung mit deutschsprachigen Siedlern. Quelle: Preußisch Litauen – Wikipedia
- Die Polen siedelten vorwiegend in Masuren in den Kreisen Goldap, Treuburg, Lyck, Johannesburg und Ortelsburg. Die litauische und polnische Einwanderung hielt bis zum Tode Friedrichs des Großen an. Quelle: Masuren – Wikipedia
- Im Ständeaufstand in Böhmen rebellierte 1617 der dortige protestantischen Adel gegen die katholischen Habsburger in den Ländern der böhmischen Krone. Der Aufstand war Folge der religiösen, wirtschaftlichen und politischen Krise in Mitteleuropa zu Beginn des 17. Jahrhunderts und zugleich eine der Hauptursachen für den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Nach der Niederlage der böhmischen Protestanten wurde 1627 in Wien eine neue Verfassung, die so genannte „Verneuerte Landesordnung“ ratifiziert, in der das Erbrecht der Habsburger auf den böhmischen Thron festgeschrieben, die katholische Lehre als einzige Religion zugelassen und die deutsche Sprache der tschechischen gleichgestellt wurde. Gleichzeitig wurden 1627 alle protestantischen Adligen aus Böhmen ausgewiesen. Im damalig lutherischen Sachsen und der preußischen Niederlausitz fanden die meisten eine neue Heimat. Die protestantischen Leibeigenen durften nicht außer Landes gehen. Sie mußten sich zum Katholizismus bekehren und wurden in ihrer Religionsausübung von der katholischen Geistlichkeit überwacht. Eine kleinere Gruppe von zunächst 200 böhmischen Protestanten aus dem niederen Adel zog nach Ostpreußen in den späteren Regierungsbezirk Königsberg, um dort Domäne-Pächter zu werden. Quelle: Ständeaufstand in Böhmen (1618) – Wikipedia
- Eine weitere kleine Gruppen waren die Schottische Reformierte. Über 700 Schottische Reformierte kamen nach 1607 in die Provinz Ostpreußen und zogen vorwiegend ins Ermland. Viele englische und schottische Kaufleute ließen sich in Elbing und Memel nieder und wurden Bürger der Stadt. Sie organisierten sich in der Fellowship of Eastland Merchants die Eastland Company (1579/1628). Die Church of Scotland gründete die Bruderschaft der Schottischen Nation in Elbing. Quelle: Elbląg – Wikipedia
- Etwas 500 Mennoniten siedelten schon 1562 in der Weichsel-Mündung, 250 Gläubige im Memel-Delta im Großen Moosbruch. Dort wurden nach holländischem Vorbild zur Besiedlung Polder angelegt und Windmühlen pumpten zur Entwässerung das Wasser über Gräben und Kanäle in die Ostsee. Menno Simons war einer der führenden Vertreter der Täuferbewegung und wurde zum Namensgeber der niederländischen Mennoniten. 1772 lebten schon 12.032 Mennoniten in Ostpreußen. Im späten 18. Jahrhundert wanderte etwa 9.000 Mennoniten weiter aus und bildete den Kern der mennonitischen Siedlungen in Russland, während der Rest der Mennoniten nach der Annexion der Region durch Preußen in den Teilungen Polens, in West- und Ostpreußen blieben. Die Elbinger Mennonitenkirche, erbaut 1590, ist das weltweit zweitälteste noch bestehende ehemalige mennonitisches Kirchengebäude. Quelle: Weichsel-Delta-Mennoniten (wikibrief.org)
- Mit dem Wachstum der Städte ab dem Spätmittelalter stieg der Bedarf nach haltbaren und transportablen Lebensmitteln beträchtlich an. Damit wuchs auch die Nachfrage nach Butter und Käse, die durch eine gesteigerte Produktion der Großbetriebe gedeckt wurde. Bedeutenden Anteil an dieser Intensivierung hatten holländische Glaubensflüchtlinge, die Mennoniten. Diese verbreiteten in Nord- und Ostdeutschland die fortschrittlichen Kenntnisse der Milchverarbeitung ihrer Heimat, hauptsächlich als Pächter der Molkereien der Güter.
- Die Plautdietsch-Sprache, eine Mischung aus Niederländisch und dem lokalen west- und ostpreußischen Platt, stammt aus dem Weichsel-Delta und wird immer noch von mennonitischen Gemeinden weltweit verwendet. Weltweit sprechen etwa 500.000 Menschen Plautdietsch, in Deutschland haben 2023 etwa 200.000 Menschen eine plautdietsche Herkunft. Der größte Teil von ihnen ist in den 1990er Jahren aus Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach Deutschland eingewandert: Etwa zehn Prozent aller Russlanddeutschen sind Russlandmennoniten. Zu höre ist Plautdietsch auch auf: YouTube Plautdietsch Reggae - Lyell Banman - YouTube
- Weitere Verfolgte, die nach Ostpreußen flohen, waren, fälschlich, als polnische Arianer bezeichnete, "Polnischen Brüder" (polnisch Bracia Polscy). Im Jahr 1666 gründete Samuel Przypkowski in Andreaswalde mit Exilanten aus Polen und Litauen eine unitarische Gemeinde, die bis in das 19. Jahrhundert hinein bestand. Johann Samuel Przypkowski, auch Przipcovius und Pripcovius, (* 1592 in Gnojnik (Tarnów); † 19. Juni 1670 in Königsberg) war ein polnischer Schriftsteller, Staatsmann und bedeutender Vertreter des polnisch-litauischen Unitarismus. Quelle: Kosinowo (Prostki) – Wikipedia
- Von den preußischen Behörden wurden 1823 ebenfalls die Philippone, altgläubige Russen, freundlich aufgenommen und am Dusssee (polnisch Jezioro Duś) bei Eckertsdorf (polnisch Wojnowo) angesiedelt, wo sich noch im Jahre 2000 eines ihrer Klöster befindet. Eckertsdorf wurde im Jahr 1828 gegründet und war eine von elf Siedlungen der russisch-orthodoxen Sekte der Altgläubigen. Quelle: Philipponen – Wikipedia
- Dazu kamen prusische Kuren aus der Rigaer Bucht, die sich im Bereich der Nehrungen ansiedelten. Im Jahr 1844 wurde von der Regierung in Königsberg für 136 fischereiberechtigte Ortschaften der beiden preußischen Haffe verordnet, „daß jeder Berechtigte bei Ausübung der Fischerei... auf der Spitze des Mastes eine wenigstens zwei Fuß lange und einen Fuß breite Flagge (später waagerechte hölzerne Schilder) von derjenigen Farbe, welche der Ortschaft, woselbst er seinen Wohnsitz hat, von der Regierung erteilt worden ist, führen soll.“ Quelle: Kurenwimpel – Wikipedia
- 1671 lud der Großen Kurfürst fünfzig wohlhabende jüdische Familien aus Wien nach Brandenburg ein und begründete damit, zusammen mit der späteren Einladung an die Hugenotten (Edikt von Potsdam, 1685) die Tradition der preußischen Toleranz. Etwa 20.000 Hugenotten folgten dem Angebot Brandenburgs, davon siedelten etwa 2.000 in Ostpreußen. Die Grundlage für die Ansiedlung war das am 25.10.1685 erlassene Edikt von Potsdam des Kurfürsten Friedrich Wilhelm „betreffend diejenigen Rechte, Privilegia und andere Wohlthaten, welche Se. Churfürstl. Durchl. Zu Brandenburg den Evangelisch-Reformierten Frantzösischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden, wegen der Jurisdiction und sonst, dasselbst zu verstatten gnädigst entschlossen seyn“. Quelle: Edikt von Potsdam – Wikipedia
Außerdem befreite der Großen Kurfürst das Gewerbe und den Verkehr von Beschränkungen, förderte den Binnen- und den Seehandel, ließ den Müllroser Kanal bauen und richtete einen eigenen Postdienst ein. 1605 war schon die "fahrende und reitende Post" zwischen Berlin und Königsberg eingerichtet worden.
"Es gibt zum Großen Kurfürst Friedrich Wilhelm zahlreiche historische Darstellungen, die sich überwiegend mit seiner Körperfülle und weniger mit seinen Leistungen für Ostpreußen befassen."
Siehe dazu auch: Hartmut Boockmann: Ostpreußen und Westpreußen
1701 Selbsternennung als König von Friedrich I. (1657 -1713) Er krönte sich am 18. Januar 1701 in dessen Hauptstadt Königsberg und aus dem Herzogtum wurde das „Königreich Preußen“. Die Gesamtkosten für die Krönung wurden später auf sechs Millionen geschätzt, bei einem jährlichen Staatsbudget von vier Millionen Talern. Es wurde geschätzt, dass die Krönung das teuerste Einzelereignis der gesamten brandenburgisch-preußischen Geschichte war. Friedrich I. nennt sich "König in Preußen", mit Rücksicht auf das seit 1466 der polnischen Krone unterstehende Westpreußen. Die vorherigen Territorien des brandenburgischen Kurfürsten und das davon getrennt im Osten liegende Königreich Preußen wurden als Staaten des Königs in Preußen bezeichnet und gemeinsam von Berlin und Potsdam aus regiert. Mit der Erhebung des Herzogtums Preußen zum Königreich schuf er eine Voraussetzung für die Entwicklung des späteren preußischen Staates zur europäischen Großmacht. Der Wiederaufbau des zur Wüstenei gewordenen Landes, das „Rétablissement“ nach der Pest begann, noch in den letzten Regierungsjahren von König Friedrich I. Etwa 3.000 französischen Hugenotten und 2.000 schweizerischen Calvinisten öffnete er das Land.
Wie seine zu Königen aufsteigenden Nachbarn in Sachsen und Hannover strebte Friedrich I. die Königswürde an. Die Zustimmung Kaiser Leopolds I. erreichte er, als dieser Unterstützung im drohenden Krieg gegen Frankreich brauchte. Am 18. Januar 1701 krönte sich Friedrich im Königsberger Schloss selber zum König. Im Krieg gegen Frankreich (Spanischen Erbfolgekrieg) unterstützte er Kaiser Leopold I. wie vereinbart. Unter Friedrichs I. Herrschaft erlebte Preußen einerseits einen finanziellen Niedergang durch den verschwenderischen Hofstaat und das korrupte Drei-Grafen-Kabinett, andererseits aber auch einen kulturellen Aufstieg durch die Aufnahme verfolgter Hugenotten und Calvinisten, die Gründung der späteren Preußischen Akademie der Wissenschaften. Aufgrund des starken Bevölkerungsverlustes Ostpreußens nach der Großen Pest lancierte er 1709 das als „Rétablissement“ bekannte Einwanderungsprogramm.
Friedrich I. forcierte die Einwanderung nach Preußen. Dabei konnte er auf das Edikt von Potsdam vom Großen Kurfürst aufbauen. Vor allem den französischen Hugenotten und den schweizerischen Calvinisten öffnete er das Land, Das Edikt von Potsdam richtete sich nicht in erster Linie an die bessergestellten unter den Hugenotten – die bevorzugten ohnehin entwickelte Länder wie die Niederlande oder England –, sondern an mittellose, aber arbeitsame, vor allem handwerklich und kaufmännisch qualifizierte Einwanderer. Gleich zwei Regimenter mit jeweils 1.000 Mann wurden durch Hugenotten gebildet: 1686 das Regiment zu Fuß Varenne (siehe Altpreußisches Infanterieregiment No. 13 (1806) – Wikipedia) und 1588 Regiment zu Fuß von Wylich (siehe Altpreußisches Infanterieregiment No. 15 (1806) – Wikipedia ). Der brandenburgische Gesandte in Paris, Ezechiel Spanheim, half vielen Emigranten bei der Ausreise.
König Friedrich I. forderte eine schnelle Wiederbesiedlung und erließ am 20. September 1711 ein Patent, durch dass er neu Siedler in das verödete Land rief. Noch im selben Jahr gelang es, in den Gebieten Insterburg und südwestlich von dem späteren Gumbinnen überwiegend Schweizer Calvinisten und Französische Hugenotten ins Land zu holen. Es kamen in der Folgezeit circa 400 Familien, die auf über 60 Ortschaften in den Landkreisen Insterburg und Gumbinnen verteilt wurden. Die Neusiedler gehörten überwiegend dem reformierten Glauben an. So hatte der Name von Fritz Lerdon, dem spätere Ehemann der verwitweten Hedwig Kiehl, hugenottische Wurzeln. Der Name Tuttlies ist litauischer Herkunft.
Generalfeldmarschall Graf Alexander Burggraf zu Dohna-Schlobitten (1661-1728) erhielt vom preußischen König den Auftrag das Besiedlungswerk durchzuführen und zu beaufsichtigen.
Die ersten Schweizer kamen schon 1709 nach Ostpreußen; in den folgenden Jahren nahm die Einwanderung jedoch erheblich zu.
Der größte Teil der etwa 2.000 Schweizer Kolonisten wurde im Kreise Gumbinnen angesiedelt.
Quellen:
Schweizer Kolonien in Ostpreussen (e-periodica.ch)
Im Jahre 1714 entstand die deutsch-schweizerische Gemeinde Sadweitschen (Alt Krug), im Kreis Gumbinnen. Die Gottesdienste wurden in der ersten Zeit in einer Scheune abgehalten. Zu einem Kirchenbau kam es in Sadweitschen nicht, denn zwischen 1736 und 1739 wurde in Gumbinnen die Neustädtische Kirche errichtet, die fortan das zentrale Gotteshaus der evangelischen Christen reformierter Tradition wurde. Auch Schulmöglichkeiten wurde in der Region geschaffen. Als erste Schulmeister wirkten Jean Pierre Capitaine in der Gemeinde Pieragienen und Jakob Challet in der Gemeinde Judtschen. Die Schulmeister darf man nicht mit den heutigen Lehrern vergleichen. Sie waren weder für ihren Beruf vorgebildet noch führten sie diese Tätigkeit im Hauptamt aus. Es handelte sich stets um Handwerker, gewöhnlich Schneider, die ihre Einnahmen etwas durch « Schule halten» aufbesserten und « unterrichteten », wann sie Zeit und Lust hatten.
1713 erwirkte der „Kolonistenvater“ Burggraf Alexander von Dohna den Entscheid zur Berufung eines französischen Predigers (David Clarenc) und zum Bau einer französisch-reformierten Kirche in Judtschen.
Judtschen war eine Gemeinde im Landkreis Pillkallen, Landkreis Gumbinnen. Die Kirche wurde 1727 eingeweiht, 1734 konnte auch ein neues Pfarrhaus bezogen werden. Die Kirche wurde von 1725 bis 1727 als Ziegelbau mit Holzturm errichtet und galt als erste französisch-reformierte Kirche in Preußen. Der Gottesdienst wurde in deutscher und französischer Sprache abgehalten. Die deutschen Schweizer fanden sich durch ihre deutsche Muttersprache leichter mit der neuen Umgebung ab als die französischen Schweizer, die schon durch die Sprache eine schwierigere Verständigung hatten. Anfang des 19. Jahrhunderts hörte der Gebrauch der französischen Sprache, auch in den Predigten auf.
In Judtschen (der Ort hieß von 1938 bis 1946 Kanthausen) lebte von 1747 bis 1750 der junge Immanuel Kant als „Studiosus philosophiae“ beim Pastor Daniel Ernst Andersch (* 1701 in Lissa, † 1771 in Judtschen) und beim Schulmeister Johann Jacob Challet (* um 1686 in Moudon, Kanton Waadt, in der Schweiz † 1771 in Judtschen) als Hauslehrer für deren Söhne. Kant war auch Taufpate für zwei Kinder aus Judtschen. Nachdem das Gebäude lange Zeit baufällig geblieben war, wurde es renoviert und wird seit 2018 als Kant-Museum genutzt.
Jutschen – GenWiki (genealogy.net)
Das wichtigste Zufluchtsland für die französischen hugenottischen Glaubensflüchtlinge war sowohl im Hinblick auf die Zahl der Emigranten als auch in Bezug auf die religiösen Voraussetzungen ihrer Aufnahme Brandenburg-Preußen. Das Herrscherhaus von Brandenburg-Preußen nahm durch die Konversion des Kurfürsten Johann Sigismund im Jahre 1613 den reformierten Glauben an. Das Edikt von Potsdam, 1685, schuf die rechtlichen Voraussetzungen. Von den ungefähr 43.000 hugenottischen Flüchtlingen, die in die deutschen Territorien einwanderten, ließen sich ca. 20.000 in Brandenburg-Preußen, davon etwa 3.000 in Ostpreußen, speziell im späteren Kreis Gumbinnen nieder.
Quelle: Hugenottische Einwanderung nach Preußen (michael-lausberg.de)
Der Wiederaufbau des zur Wüstenei gewordenen Ostpreußens begann, wenn auch nur sehr schleppend, noch in den letzten Regierungsjahren von König Friedrich I. Bei seinem Tode im Jahre 1713 waren erst zwei Fünftel der ausgestorbenen Höfe von nachgeborenen einheimischen Bauernsöhnen oder eingewanderten Litauern und Polen übernommen und bewirtschaftet worden.
Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. machten die Wiederbesiedlung von Ostpreußen zu einer ihrer Hauptaufgaben. Mehr dazu in den folgenden Kapitel.
Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688 -1740) sorgte innenpolitisch für den Aufbau eines starken Heeres und einer straffen Verwaltung. König Friedrich Wilhelm I. führte den Pietismus (Ersatz des toten Buchstabenglaubens durch einen lebendigen Glauben, wahre Gottesfurcht und werktätige Liebe) in Ostpreußen ein. Er berief dazu Heinrich Lysius (1670-1731) aus Flensburg. Auf Vermittlung Philipp Jacob Spener (1635 - 1705) wurde Lysius 1701 als Prediger nach Königsberg berufen. Spener war ein deutscher lutherischer Theologe und einer der bekanntesten Vertreter des Pietismus. Lysius wurde in Königsberg zugleich zum Direktor der dortigen königlichen Schule, des späteren Collegium Fridericianum, Vorläufer der Universität Königsberg ernannt. In dieser Funktion führte er den Pietismus in Ostpreußen auf breiter Front ein. Er baute die Schule nach dem Vorbild des von August Hermann Franke (1663-1723) in Halle gegründeten Waisenhauses aus, organisierte auch den mündlichen Konfirmationsunterricht und führte öffentliche Prüfungen zum Religionsbeweis ein. Zugleich setzte er in der Schule eine tägliche Gewissenserforschung durch, die dem Schüler Immanuel Kant missfiel. Lysius erfreute sich großer Beliebtheit bei König Friedrich Wilhelm I., der ihn zum Stadtpastor, Hofprediger und zum Inspektor der Schulen im litauischen Preußen ernannte. Er tritt zum Pietismus über und richtete in Königsberg neben Halle einen religiösen Schwerpunkt des Pietismus ein. Er setzte sich massiv für die Besiedlung von Ostpreußen nach der Pest ein. Sein Erlass des Einwanderungspatents von 1732 fand europaweite Beachtung.
Als der Salzburger Erzbischof Leopold Anton von Firmian im Winter 1731 die in seinem Gebiet lebenden Protestanten auswies, nutzte Friedrich Wilhelm I. dies für deren „Re-Peuplierung“ in Ostpreußen. Von den 13.000 Salzburgern, die in den Jahren 1732 / 1733 nach Ostpreußen kamen, fanden über 11.000 im Regierungsbezirk Gumbinnen vorwiegend im Hauptamt Insterburg eine neue Heimat. Im Laufe der von König Friedrich Wilhelm I. (1688 -1740) durchgeführten „Repeuplierung “ übernahmen geschätzte 23.000 angeworbene Neusiedler die wüst gewordenen Höfe in Ostpreußen.
Siehe dazu auch das Kapitel 3.2.15 1736 wurde Klein Aulowönen als Koloniedorf von 11 eingewanderten Salzburger Kolonisten-Familien genannt
Es waren außer den Salzburger Exulanten, deutsch- und französischsprachige Schweizer, Nassauer und Pfälzer, rheinischen und westfälischen Zuwanderer. Dazu kamen, was häufig übersehen wird, ca. 20.000 Litauer, oft mit schon vorhandenen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Familienmitgliedern in Ostpreußen.
Friedrich II. der Große (1712-1786) machte sich nach 1763 um die Entwicklung des Rechts, insbesondere des Allgemeinen Landrechts. Zu den weiteren innenpolitischen Vorhaben nach 1763 gehörte in der Landwirtschaft die systematische Förderung der Kartoffel als Nahrungsmittel – bereits am 24. März 1756 hatte der König im sogenannten Kartoffelbefehl alle Beamten angewiesen, sämtlichen Untertanen den Kartoffelanbau „begreiflich“ zu machen. Nach 1763 setzte Friedrich im Warthe-, Netze- und Großen Moosbruch den Landesausbau (Friderizianische Kolonisation) fort, der bereits 1762 im Oderbruch erfolgreich beendet worden war. In den neu erschlossenen Gebieten wurden Dörfer errichtet und freie Bauern angesiedelt. Es war bei anstehender Verlängerung eines Pachtvertrags für staatlichen Grund üblich, dass Angestellte, Mägde und Knechte über ihre Behandlung befragt wurden und bei Missständen der Pächter, auch bei erfolgreichem Wirtschaften, ausgetauscht wurde.
Siehe dazu auch in diesem Text das Kapitel: 3.2.17 Mit der Friderizianischen Kolonisation von 1763 – 1775 wurden im Rahmen des Landesausbaues neue Siedlungsgebiete festgelegt
Die von ihm gewünschte und angeregte Abschaffung oder Milderung der Leibeigenschaft konnte Friedrich nur schrittweise auf den königlichen Krondomänen durchsetzen. Eine allgemeine Abschaffung scheiterte am Widerstand der gesellschaftlich fest verankerten adligen Gutsbesitzer.
Während der Regentschaft Friedrichs wurden Hunderte von Schulen gebaut. Das Landschulsystem krankte allerdings an der noch ungeregelten Lehrerausbildung. Häufig wurden ehemalige Unteroffiziere herangezogen, die des Lesens, Schreibens und Rechnens selbst nur lückenhaft mächtig waren.
Friedrich II. ließ auf die neuen Münzen die Bezeichnung „Reichstaler“ prägen und jeweils 5 Taler an die Kolonisten teilweise als Kredit verteilen. Die Münze enthielt 16,704 g Feinsilber und blieb faktisch bis 1907 die preußische Währungsmünze. Dieser „Preußische Taler“ war zuerst in 24 Gute Groschen oder 288 Pfennig unterteilt. Im Jahre 1821 erfolgte eine Reform der Kleinmünzen: 1 Taler nach dem Graumannschen Fuß wurde nun in 30 Silbergroschen oder 360 Pfenning eingeteilt.
Am 31. Januar 1773 bildete Friedrich der Große per Dekret die neue Provinz Westpreußen. Durch den folgenden Kabinettsbeschluss erhielten die beiden preußischen Provinzen die Namen Ost- und Westpreußen. Friedrich der Große kann sich damit nun "König von Preußen" und nicht wie bisher "König im Preußen" nennen.
Siehe dazu auch das Kapitel 3.2.21 Ausgangslage und Durchführung der Preußischen Reformen 1807 - 1815 und Daten preußischer Geschichte https://www.spiegel.de/sptv/special/a-117065.htm
Die Gegend um Wilpischen wurde zuerst um 1657 als „Siedel Plaz by 2 Gehülfen“ erwähnt
1657 wurde das Umland vom späteren Willschicken im Amt Lappönen als Siedlungsplatz zum ersten Male erwähnt. 1657 wird ein Waldwart auf dem Amt Lappönen eingesetzt. Es sind 2 seiner Gehilfe, die auf Siedlungsplätzen in der Lappönschen Ödnis ihre Häuser bauen.
Dazu siehe auch: Mortensen [69] und Vercamer [70]
Im umfangreiche, nahezu menschenleerem Brachland (Wald-, Sumpf- und Heidelandschaften) gab es im nördlichen Ostpreußen zunächst nur einzelne verstreut liegende Siedlung-Plätze. Sie ergaben um 1500 eine Bevölkerungsdichte von nur knapp 20 Einwohner pro km2. Ursache waren die kaum vorhandenen landwirtschaftlich nutzbaren Böden.
Ein Siedel-Platz (Flecken) wies zunächst keine geschlossenen Bebauung auf und besaß auch kein zentrales Gebäude. Diese von den Ämtern bestimmten Plätze wurde zunächst von einzelnen Schatullbauern besiedelt. Häufig waren lagen sie an einer Wegekreuzung und erhielten das Schankrecht. Aufgrund der kaum vorhandenen Kommunikationsverbindungen wurden später die Gastwirte verpflichtet, die Behörden über (polizeilich) relevante Vorgänge in den Dörfern zu informieren. Waren die Siedler wirtschaftlich erfolgreich, entstand innerhalt von nur ein bis zwei Jahren ein ganzes Schatulldorf, mit bis zu 10 Siedlern. Die kurze Bauzeit war wegen der strengen Winter und der notwendigen gegenseitigen Hilfe geboten. Dazu gehörten auf alle Fälle auch gesicherte Zufahrten.
Schatulle (Chatoule) hieß zunächst der private Grundbesitz des Landesherrn oder der Großgrundbesitzer, den sie aufsiedeln ließen. Es entstanden Schatullgüter, Schatulldörfer und Schatullbauern. Der Zusatz "Schatull“-Bauer" besagte, dass das Gundstück im Besitz des Bauern war – er hatte es gekauft, musste aber jährliche Steuern zahlen, dazu kamen bis 1795 Forstdienste und Jagdfuhren. Die Schatullbauern waren aber scharwerksfrei. Die Schatullbauern hießen wegen der Besitzurkunde zeitweise "Berahmunger". Ihre Grundstücke entstanden im 17. und Anfang des 18. Jahrhundert durch Besiedlung von Wald - der Großen Wildnis Die Steuern flossen zunächst in die kurfürstliche später in die königliche Schatullkasse.
Willschicken – ein Schatulldorf - hatte 1796 schon eine gemeinsame Pferdetränke, zwei Windmühlen und einen Friedhof siehe die folgende Schroetterkarte (1796-1802) Es gehörte 1785 zum Domainen-Justiz-Amt Insterburg.
Siehe dazu auch: 4.1 Grundherrschaft und Gutsherrschaft
Wilpischen / Willschicken gehörte zum Kirchspiel Aulowönen, das um 1610 gegründet wurde. Die Orte Juckeln, Warkau, Gaiden, Alt Lappönen und Jennen bildeten den Kern der Siedlungen, die zur Gründung des Kirchspiels Aulowönen führten. 1660 kam es zu Berahmung von über 10 Hufen und 23 Morgen
Der Große Kurfürst war Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg, der von 1640 bis 1688 regierte. Er gilt als ein bedeutender Hohenzollern und legte den Grundstein für Preußens Aufstieg zur Großmacht.
Über zwanzig neue Güter und Ortschaften wurden im Kirchspiel Aulowönen auf Geheiß des Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg nach dem Tatareneinfall in den Jahren von 1660 bis 1690 als Chatoulcölmische Güter oder Chatouldörfer angelegt, darunter auch Willschicken.
Aufgrund des starken Bevölkerungsverlustes Ostpreußens nach der Großen Pest lancierte Friedrich I. 1709 das als „Rétablissement“ bekannte Einwanderungsprogramm. Der Wiederaufbau des zur Wüstenei gewordenen Landes begann, wenn auch nur sehr schleppend, noch in den letzten Regierungsjahren von König Friedrich I. Bei seinem Tode im Jahre 1713 waren erst zwei Fünftel der ausgestorbenen Höfe von nachgeborenen einheimischen Bauernsöhnen oder eingewanderten Litauern übernommen und bewirtschaftet worden.
Siehe dazu auch: Ostpreußen – Wikipedia
Der Tatareneinfall in Preußisch-Litauen erfolgte in den Jahren 1656/57
Der Vertrag von Wehlau war ein während des Zweiten Nordischen Krieges am 19. September 1657 geschlossener Separatfrieden zwischen dem brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und dem König von Polen und Großfürst von Litauen Johann II. Kasimir. Ausgehandelt wurde er in Wehlau. Dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640-1688), der „Große Kurfürst“, gelang es im Vertrag von Wehlau die Souveränität Preußens zugesichert zu bekommen. Die Bestimmungen des Vertrags von Wehlau konnten im Frieden von Oliva am 3. Mai 1660 bestätigt werden, womit der Kurfürst endgültig Souverän über das Herzogtum Preußen wurde. Es war eine Grundvoraussetzung für die spätere Gründung des Königreichs Preußen im Jahre 1701 durch Friedrich Wilhelm I (1657-1713)
Als die schwedische Königin Christina I. am 16. Juni 1654 abdankte, machte der polische König Johann II. Kasimir als Urenkel Gustav I. Wasas seine Ansprüche auf den schwedischen Thron geltend. Dieser Erbstreit diente Karl X. Gustav König von Schweden als Vorwand zum Zweiten Nordischen Krieg, der in die polnische Geschichte als die „Blutige- bzw. Schwedische Sintflut“ einging, als die schwedischen Soldaten ab Sommer 1655 rasch bis Warschau und Krakau vordrangen. Das vereinigte brandenburgisch-preußisch-schwedische Heer bereitete Johann Kasimir II. Ende Juli 1656 in der Schlacht von Warschau eine schwere Niederlage.
Friedrich Wilhelm, der für das Herzogtum Preußen ein Vasall des polnischen Königs war, ließ die schwedischen Truppen frei durch das brandenburgische Hinterpommern ziehen, um sein Land zu schützen: Dies wurde von polnischer Seite als ein klarer Lehensbruch angesehen, woraufhin der Polnische König an Vergeltung dachte und sein Heer durch die sofortige Indienstnahme von Zehntausenden Krim- und Lipka-Tataren sehr schnell vergrößerte. Diese muslimischen Kämpfer kamen aus dem Krim-Khanat, das seit 1654 an der Seite Polens stand, sowie aus Litauen, wo sie im 14. Jahrhundert mit dem Segen des Großfürsten Vytautas eingewandert waren.
Anfang Oktober 1656 griff Johann II. Kasimir die zahlenmäßig deutlich unterlegene Streitmacht des Preußischen Herzogs Friedrich Wilhelm an. In der hierdurch entbrannten Schlacht von Prostken zogen die Preußen den Kürzeren und verloren 7000 Mann sowie all ihre Kanonen. Prostki (deutsch Prostken) ist ein Dorf im Powiat Ełcki der Woiwodschaft Ermland-Masuren in Polen. Die Bewaffnung der Tataren war zwar dürftig - statt eines Säbels trugen viele von ihnen nur einen auf einem Holzgriff gefestigten spitzen Knochen, den man "maslak" nannte. Mit Pfeil und Bogen waren sie allerdings auf den Rücken ihrer Pferde sehr erfolgreich.
Anschließend erhielten die Tataren unter der Führung des polnisch-litauischen Generals Wincenty Aleksander Korwin Gosiewski und ihres Unter-Khans Ghazi Aga die Gelegenheit, plündernd durch den Südosten des Herzogtums Preußen zu ziehen.
Während des zweiten schwedisch-polnischen Krieges 1656/57 fielen tatarische Hilfstruppen des polnischen Königs hauptsächlich in Preußisch-Litauen ein. Betroffen war vor allem der Süden des Landes, aber auch die Gegend um Insterburg (heute Tschernjachowsk) und die Umgebung von Gumbinnen (heute Gusew). Den Weg der Krieger durch die Wälder von Prostken nach Lyck nannte man seitdem den “Tatarenweg”. Während des Einfalls wurden 23.000 Menschen getötet und 34 000 in die Gefangenschaft und Sklaverei verschleppt.
Gräfin Marianna von Lehndorff, wurde mit ihren zwei Kindern und ihrer Mutter von den Tataren nach Kiew verschleppt. Die Mutter wurde unterwegs erschlagen, da sie nur noch langsam laufen konnte. Marianna und ihre Kinder wurden als Sklaven nach Konstantinopel verkauft. Sie bat von dort Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg am 7.6.1659 in einem 3-seitigem Brief um die Lösegeldzahlung zu ihrer Befreiung, da der Ehemann Bastian Dietrich von Lehndorff die geforderte Summe von 100 Talern nicht aufbringen konnte. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Für einen gemeinen Soldaten verlangte der Sultan zwanzig Taler Lösegeld, für einen Obristen fünfhundert Taler. Quelle: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail.xql?id=lehndorff_n4y_g4f_s3b
Statt eines Soldes wurde den Tataren in Ostpreußen unter ihrem Befehlshaber des Hetmans Zupanskazyaga vom König Johann II. Kasimir von Polen zugesagt, sich mit der Kriegsbeute vor Ort zu entlohnen. Man hatte ihnen Menschen und Gütern als Beute verspochen. Nach dem Beute machen zogen sich die Tataren schnell wieder zurück, um dem bevorstehenden Winter zu entgehen und ohne die entgegengesetzten Befehle vom polnischen König Johann II. Kasimir abzuwarten.
Die Heimsuchung von Land und Leuten in Ostpreußen durch die Tataren endete erst endgültig mit dem Separatfrieden von Wehlau zwischen Friedrich Wilhelm und Johann II. Kasimir, den der Große Kurfürst am 19. September 1657 nach längeren Geheimverhandlungen mit polnisch-litauischen Unterhändlern schloss. Dieser Seitenwechsel bescherte dem Hohenzollern zugleich noch die volle Souveränität über sein Herzogtum Preußen.
Die auf den Tatareneinfall folgende Hungersnot und Seuchen kosteten bis 1660 in Ostpreußen weiteren 80.000 Menschen das Leben.
Einige Ostpreußen behaupteten später, tatarische Wurzeln zu haben, so auch einige Tuttliesen. Sie meinten eine asiatische Augenform, die sogenannte Mongolenfalte zu haben. In der Familie wurde herzlich darüber gelacht.
Siehe dazu auch: Tataren Sturm
Im Jahre 1678 wurde ein preußischer Waldwart in der Siedlung Wilpischen genannt
Die Große Wildnis, wie sie vom Deutschen Orden offiziell bezeichnet wurde, war im Mittelalter eine unbesiedelte und unwegsame Landschaft im nördlichen Ostmitteleuropa. Später wurde sie ein Teil Masurens und Preußisch-Litauens. Ein Teil davon war der ehemalige Graudenwald, ein ehemaliger Urwald zwischen den Flüssen Pregel und Memel. Der Graudenwald war zu gleich ein natürlicher Schutzwall gegen die kriegerischen Litauer.
Als im 13. Jahrhundert die Ordensritter ins Land kamen, reichte die erste Besiedlungswelle nicht aus, die Große Wildnis wenigstens teilweise zu besiedeln. Die ausschließlich im Walde gelegenen frühen strategischen Siedlungsplätze des Deutschen Ordens sind bald wieder verlassen worden, da durch feuchter werdendes Klima der Wald sumpfiger wurde und zur Viehweide nicht mehr taugte. Nur die Talränder der größeren Flüsse blieben trocken genug zur Anlage von Dörfern. „Immerhin bearbeiteten Beutner ihre Bienenbäume, streiften Jäger noch Pelz Wild, gewannen Köhler und Pechbrenner ihre begehrte Ware“. 1376 verlieh Hochmeister des Deutschen Ordens Winnrich von Knipprode an den Siedler Albrecht König 14 Hufen zu Auluwönen. Die Größe der Fläche lässt darauf schließen, dass es ein Schulze war, der zugleich das Schankrecht für einen Krug besaß.
Später, zum Ende der Ordens-Zeit, wurde zwar versucht, die Wildnis mit einer zweiten Besiedlungswelle mit Hilfe von Lokatoren weiter zu besiedelt. Aber auch diese neugeschaffenen Anwesen hatten in der Wildnis wenig Bestand. Strenge Winter, Vieh reißende Wölfe und Bären, ungenügende Bodenbearbeitung und Hungersnöte führten zur Aufgabe vieler der Siedlungen, die selten an ein funktionierendes überörtliches Wegenetz angeschossen waren. Maßgeblich zur Aufgabe waren aber die immer noch stattfindenden Überfälle und Brandschatzungen, besonders aus dem angrenzenden Litauen. Diese Bedrohung änderte sich erst zum Beginn der herzoglichen Zeit, da jetzt neue politische Koalitionen geschlossen wurden.
Mit Beginn der herzoglichen Zeit trat auch eine weitere Beruhigung ein, da die Besiedlungen jetzt zentral geplant und vor Ort durch einen Wildnisbereiter organisiert wurden. Auch wurde das Klima langsam wieder wärmer, gleichzeitig verbesserten sich auch die Werkzeuge, die zur Rodung notwendig waren.
Zum Holzfällen und groben Zurichten genügte anfänglich die beidhändig geführte Axt. Sägeblätter aus Stahl wurden erst gegen Ende des Mittelalters verwendet. Die von zwei Arbeitern abwechselnd gezogene ungespannte Blattsäge wurde erst eingesetzt, als deren Herstellung kostengünstiger wurde. Die Zahnschränkung war das wechselweise Ausbiegen der Sägezähne. Durch die Schränkung entsteht ein Sägespalt, der breiter als das Sägeblatt ist; so wird ein Verklemmen des Blattes verhindert. Die Zähnung war bis dahin dreieckig. Bei Leonardo da Vinci (15./16. Jh.) findet sich erstmals eine M-förmige, auf Zug und Stoß beißende Zähnung. Als die Säge aus Stahl im 15. Jahrhundert aufkam, wurde sie von Holzfällern als Ersatz für die Axt verwendet. Sie erleichterte und beschleunigte nicht nur die Waldarbeit, sie minimierte gleichzeitig den Holzverlust gegenüber der Fällung oder Ablängung mit der Axt. Speziell bei dicken Stämmen waren die Kerbverluste hoch. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4ge
Zwischen 1600 und 1630 wurden daher viele der verfallenen Höfe und Ortschaften mit ihren Ländereien erneut verliehen (besiedelt). Als im Jahre 1651 der große Kurfürst die grundlegende Instruktion zur Schaffung der Chatoulsiedlungen erließ, wurde gerade im Kirchspiel Aulowönen diese Siedlungsform vorangetrieben, um die riesigen Waldungen des Graudenwaldes teilweise in Ackerflächen, Wiesen und Weiden zu verwandelt. Das Kirchspiel Aulowönen wurde im Jahre 1623 mit 4 Siedlungen gegründet. Es sind überwiegend Litauer, die der Reformation und gesicherter Rechtslage wegen, die Herzog Albrecht bot, nach Gumbinnen kamen.
Eine größere Besiedlung des Graudewaldes, darunter auch das Kirchspiel Aulowönen mit der Willschicker Gegend, beginnt etwa 1670.
"Sie entstanden im 17. Jahrhundert aus urbar gemachtem Wald gegen einen Zins in die landesherrliche Schatulle. Die Forstämter stellten die Verschreibungen aus und die Bauern waren erbfrei." … „Das Dorf Aulowönen hält in sich um 1680 fast 19 Hufen, wovon die Hälfte auf Widdem (gewidmete Güter dienen zur Witwenversorgung aus dem Nachlass), Krüge und drei Hufen kölmisch entfällt, die andere ist bäuerlich, die scharwerkt bzw. auf höherem Zins teilweise befreit steht.“
Lapöhnen, zu dem später Willschicken gerechnet wird, wird als gewidmetes Wald-Schatull-Gut erwähnt.
Auf diesen Wald-Schatull-Gütern waren die eingesetzten Wildnisbereiter (Amts-Förster) die Verantwortlichen. In den Jahren 1657 bis 1745 wurden von den Wildnisbereitern Berahmungskontrakte (Siedlungsurkunde) ausgestellt und vom Grundherrn, dem Patron in Berlin, bestätigt. Oft waren es ausgediente und verdiente Soldaten, die mit einem solchen verantwortungsvollen Posten beliehen wurden.
1678 wird ein Waldwart auf dem Siedlungsplatz Wilpischen genannt. Er ist Gehilfe des Wildnisbereiters und braucht als Bauer und aufgrund seiner Tätigkeit einen geringeren oder auch gar keinen Pachtzins für seinen Bauernhof zu entrichten. Bis 1700 entstehen drei weitere Siedlungsplätze.
Siehe dazu auch: Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Willschicken wurde 1709 von der Pest heimgesucht und die größte Zahl der Höfe wurden verlassen und verödeten
Als Schwarzer Tod wird das pandemische Auftreten der Pest im Europa des Spätmittelalters bezeichnet; dieser Seuche fielen zwischen 1346 und 1353 schätzungsweise 25 Millionen Menschen zum Opfer – ein Drittel der damals auf dem Kontinent lebenden Bevölkerung. Sie flackerte in den Folgejahren immer wieder in einzelnen Regionen Europas auf. In lokalen und regionalen Epidemien suchte sie die nächsten drei Jahrhunderte in nahezu regelmäßigen Abständen europäisches Gebiet heim, so im Jahr 1400 als zweitschlimmste Epidemie des ausgehenden Mittelalters bzw. der jungen Neuzeit. Wenn auch die Zahl der Toten bei dieser zweiten großen Pandemiewelle nicht so hoch war, starben dabei vor allem Kinder und Jugendliche. Weitere große Pestepidemien in Europa waren etwa die Große Pest von London 1665/1666, bei der in Südengland etwa 100.000 Menschen starben (davon alleine 70.000 in London und damit etwa ein Fünftel der Stadtbevölkerung) oder die Große Pest von 1708 bis 1714 in Nord- und Osteuropa mit etwa einer Million Toten. Während der Pestwellen kam der Fernhandel fast vollständig zum Erliegen.
Pestepidemien gab es in Ostpreußen in den Jahren 1398, 1405, 1416 und 1549. 1398 starben bei der Pest in Königsberg 5.078 Menschen. 1549 starben bei der Pest in Königsberg und Ostpreußen 15.000 Menschen.
Die fünfte (die Große) Pest forderte in Ostpreußen zwischen 1709 und 1711 etwa 240.000 Menschenleben, etwa ein Drittel der Bevölkerung. Allein in Königsberg starben 9.827 Menschen, ein Viertel der Einwohner. Während der Pestepidemie von 1709/10 starben ca. 160.000 – vorwiegend Litauer – der Bewohner der so genannten „Litauischen Provinz“. 10.834 Bauernhöfe waren durch die Pest in Ostpreußen verödet; davon entfielen auf die Ämter Interburg, Ragnit, Tilsit und Memel allein 8.411; den größten Anteil hatte das Amt Insterburg mit 4.620 verlassenen Höfen.
Der Wiederaufbau des zur Wüstenei gewordenen Landes begann, wenn auch nur sehr schleppend, noch in den letzten Regierungsjahren von König Friedrich I. Bei seinem Tode im Jahre 1713 waren erst zwei Fünftel der ausgestorbenen Höfe von nachgeborenen einheimischen Bauernsöhnen oder eingewanderten Litauern übernommen und bewirtschaftet worden. Dazu kamen Schweizer Calvinisten und französiche Hugenotten – zusammen etwa 400 Familien.
„Preußen ruiniert mich total, das frißt mir auf“, stöhnte Friedrich Wilhelm I. über die Kosten des Wiederaufbaus. Er ließ „Siedlungswillige" aus der Pfalz und Nassau, zusätzlich 2.000 Schweizer und 13.000 wegen ihres Glaubens aus Salzburg vertriebene Protestanten in Ostpreußen einwandern. Die ostpreußische Bevölkerung wuchs auf Grund von Zuwanderungen und Geburtenüberschuss zwischen 1713 und 1740 um 160.000 Menschen auf rund 600.000 Einwohner an. Die Bevölkerung Ostpreußens wuchs langsam aus Deutschen verschiedener Herkunft und Ausländern, besonders Litauern und Polen, zu einer Gemeinschaft zusammen.
Das Rétablissement wurde bis 1721 von Karl Heinrich zu Waldburg und in seiner Nachfolge von Friedrich von Görne vorangetrieben.
„Und doch legte sich bald ein hohes Schicksal über das ganze Kirchspiel Aulowönen Es wurde von der Pest 1709/10 besonders schwer betroffen und verödete fast gänzlich. Selbst der Pfarrer Christoph Voigt und die meisten der bessergestellten Kölmer starben. Die junge litauische Siedlungskraft verlor sich.“
Die Gegend von Norkitten war besonders von der Großen Pest 1709/10 betroffen. Über 50 % der Bevölkerung zwischen Puschdorf und Insterburg starben. Eine 1711 nachfolgende Pockenepidemie raffte dazu besonders viele Kinder dahin. Es fehlten jetzt die Arbeitskräfte, und das führte zu weiteren wirtschaftlichen Zusammenbrüchen.
In jungen Jahren wurde Friedrich Wilhelm von seinen Eltern in die Niederlande gesandt. Dort erhielt Friedrich Wilhelm prägende Eindrücke. Wirtschaft und Politik standen im Zenit des ‚Goldenen Zeitalters‘, die Reformierten dominierten die Republik, und dennoch herrschte ein religiöser Pluralismus, der auch radikalen protestantischen Strömungen Spielräume zur Entfaltung ließ. Die Kontakte, die Friedrich Wilhelm damals knüpfte, sollten ihn lange begleiten, beispielsweise jener mit Johann Moritz von Nassau-Siegen (1604–1679), seinem späteren Statthalter im Herzogtum Kleve und der Grafschaft Mark und schließlich auch im Herzogtum Minden.
Im Jahr 1721 bereiste König Friedrich Wilhelm I. zusammen mit dem befreundeten Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau (1676 – 1747), dem Alten Dessauer, das heimgesuchte Ostpreußen Mit dem vom König erbetenen und geförderten Kauf der Güter Bubainen, Schwägerau und Norkitten mit Woynothen 1721 für etwa 14.000 Reichstaler und noch 4 weiteren Gütern von 1724 bis 1726 leistete der Fürst seinen Beitrag zur Wiederbelebung Ostpreußens nach der Entvölkerung durch die Große Pest.
Er gab wirtschaftliche Impulse, zog einheimische Landsleute von Anhalt nach Ostpreußen, kümmerte sich um die planvolle Fortentwicklung des Retablissements auf seinen Ländereien und kontrollierte das Erreichte. Des Alten Dessauers Sohn, Generalfeldmarschall Leopold Maximilian von Anhalt-Dessau (1700 – 1751), ließ 1735 – 1737 in Bubainen ein als prächtig gerühmtes Schloss errichten. Dieses wurde jedoch bald von den Russen im 7jährigen Krieg niedergebrannt, die Ruinen 1803 endgültig beseitigt. Im 18. Jahrhundert wurde Norkitten Hauptsitz der anhalt-dessauischen Güter. Nach der Zerstörung von Bubainen rückte Norkitten an der Mündung des Flusses Auxinne in den Pregel in den Mittelpunkt der „Dessauischen Lande“, einem etwa 30 km langen Streifen südlich des Flusses Pregel zwischen Wehlau und Insterburg mit einer Fläche von rd. 125 km². Rechtlich war diese Herrschaft nicht Bestandteil des Landes Anhalt, sondern Privatbesitz des Herzoghauses. Deshalb verfügten die Herzöge bis 1918 auch über Sitz und Stimme im Preußischen Herrenhaus. Während man zunächst die meisten Ländereien von einem eigenen Verwalter bewirtschaften ließ, verfügte der Minister v. Larisch 1875 in Dessau generell die Verpachtung. Nach dem 1. Weltkrieg ließ man viele Pachtverträge jedoch auslaufen und nahm das Land wieder in die Selbstbewirtschaftung. In Willschicken hieß es, die Norkitter seien keine Ostpreußen, sondern Dessauer.
Siehe dazu auch: Große Pest (Preußen) – Wikipedia
Von ersten litauischen Neuansiedlern wurde 1713 in Uszupöhnen einem Nachbarsort von Willschicken berichtet
Die meist zweisprachigen preußischen Litauer bezeichneten sich selbst als Lietuwininkai (Litauer), während sich die Litauer in Groß-Litauen Lietuviai nannten bzw. nennen. Sie siedelten zunächst vor allem in den Randgebieten der Wildnis Ostpreußens und stellten dort bis zur Pestepidemie von 1709/10 mehrheitlich die Landbevölkerung, während die Deutschen vorwiegend in den Städten lebten.
Die litauischen Siedler werden Anfang des 17. Jahrhunderts in Preußisch Litauen - im frühen Kreis Insterburg - zunächst noch auf etwa 20.000 bis 30.000 Menschen geschätzt. Ihre Namen sind in den Türkensteuerlisten fast vollständig erhalten. Während der Pestepidemie von 1709/10 starben ca. 160.000 – vorwiegend Litauer – der jetzt ungefähr 300.000 Bewohner der so genannten „Litauischen Provinz“. Das Memelgebiet war von der Epidemie weniger betroffen. Vor der Pest lebten 1708 in der gesamten Provinz Ostpreußen 657.000 Einwohner, davon waren 150.000 litauischer Herkunft.
Nach der Pest kam es zu erneuten Ansiedelungen von Litauer in Preußisch Litauen. Ein Siedlungsort der litauischen Siedler war das Dorf Uschupönen, eine Nachbargemeinde von Willschicken. Die Kirchen in Ostpreußen legten großen Wert darauf, dass die Kinder der Zuzügler aus Litauen getauft wurden.
- 1678 wird ein Waldwart in Uschupönen vermerkt
- 1713 werden 9 litauischen Ansiedler verzeichnet.
- 1785 ist Usziupöhnen ein Scharwerksdorf mit 2 Windmühlen und 13 Feuerstellen. Es liegt im Landrätlicher Kreis Taipau, Amt Lappönen, Patron der König
- 1815 ist es ein Bauerndorf mit 2 Windmühlen, 11 Feuerstellen und 71 Bewohner. Es gehört zum Amt Lappönen, bis 30.04.1815 zum Königsberger Departement gehörig, dann zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen.
Uszupönen ist der südliche Teil des Ortes Aulowöhnen. Im Jahre 1928 wird Uszupöhnen unter Fortfall des Ortsnamens in die Gemeinde Groß Aulowönen eingegliedert.
Etwa 13 von 23 Hofbesitzer in Willschicken trugen 1939 Namen mit litauischem Ursprung. Der litauische Name Tuttlies heißt übersetzt Wiedehopf. 1719 heiratet Christoph Piraga ein Litauer in Wilpischen.
Die „Re-Peuplierung“ führte zur Wiederansiedlung im gesamten Ostpreußen zwischen 1710 und 1740 von insgesamt etwa 68.800 Neusiedler.
„Nach anfänglichen, unzulänglichen Versuchen, die wüst gewordenen Dörfer mit Landeskindern und Zuwanderern aus Litauen, der Schweiz und Frankreich neu zu besetzen, kam für das Kirchspiel Aulowönen erst 1732 mit der Einwanderung der Salzburger der Erfolg. Seitdem herrschen die Namen der Salzburger vor. In einer Liste der 1799 bezahlten Gelder für die Bänke in der Kirche von Aulowönen machen sie die Hälfte aller deutschen Namen aus.“
Erst 1710 erlosch die Große Pest in Preußen. In seinen letzten Regierungsjahren initiierte König Friedrich I. das "Rétablissement" des Landes und siedelte schon 1709 Schweizer und Französische Kolonisten in Gumbinnen an. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I. betrieb die Repeuplierung und den Wiederaufbau mit aller Kraft und holte im Jahre 1731 zusätzlich Salzburger Exulanten ins Land.
Siehe dazu auch: Peuplierung – Wikipedia
Das Umland von Wilpischen wurde 1721 vermessen
Die litauische Prägung von Nordostpreußen endete mit den Verheerungen durch die Pestepidemie von 1709/10 und dem durch den preußischen König Friedrich I. eingeleiteten Retablissement, einem Wiederaufbau des Landes einschließlich der Neubesiedlung mit deutschsprachigen Siedlern. Er warb Kolonisten durch Steuerfreiheiten für die erste und zweite Generation und eine geregelte Landvergabe an. Im Laufe des von König Friedrich Wilhelm I. (1688 -1740) erneut durchgeführten „Repeuplierung “ übernahmen etwa 23.000 angeworbene Neusiedler (Salzburger Exulanten, deutschsprachige Schweizer, Nassauer und Pfälzer) die wüst gewordenen Höfe in Preußen. Ein Teil der Salzburger wurde per Schiff von Stettin nach Königsberg gebracht.
Um ein großes stehendes Heer unterhalten zu können, benötigte König Friedrich Wilhelm I. größere Finanzmittel. Eine Neuordnung des bis dato zersplitterten und uneffektiven Finanzwesens war dabei eine Voraussetzung. Bei Regierungsantritt war der Finanzhaushalt in einen zivilen und militärischen Teil getrennt. Der zivile Teil des Haushalts erstreckte sich auf zwei große Bereiche, die Generaldomänenkasse – für die allgemeine Verwaltung – und die Schatulle, die der Hofhaltung diente. Die Schatulle setzte sich aus den Einnahmen der dem König persönlich gehörenden Güter, den Erträgen des Münzregals sowie den Einkünften des Postwesens zusammen.
Die Domänenkasse bezog ihre Einkünfte zunächst aus den Domänen und Forsten, die nicht der Schatulle angehörten. Die General-Kriegskasse bezog ihre Einnahmen aus dem allgemeinen Steueraufkommen (vorwiegend Akzise und Kontribution). Die Mittel dienten zu einem großen Teil der Armee und zu einem kleinen Teil der Staatsverwaltung. Eine erste Vereinheitlichung der Finanzverwaltung folgte am 13. August 1713, als die bis dato privaten königlichen Schatull-Güter zu Domänengütern gemacht und der gesamte königliche Länderbesitz für unteilbar und unveräußerlich erklärt wurde. Er hatte sich um 1500 mit 82 % auf 78 % in 1713 vermindert. Um feste planbare Einnahmen des Staates zu garantieren, verpachtete Friedrich Wilhelm einen Teil seiner Domänengüter an wohlhabende Bürger zur Bewirtschaftung.
Im August 1713 schuf der König Friedrich Wilhelm I. ein zentrales Generalfinanzdirektorium für alle Domäneneinnahmen. Dieses geriet aufgrund der Verpflichtung zu steigenden Einnahmen in Konkurrenz zur Generalkriegskasse. Zur Überwindung der Rivalität der Fiskal- und Militärbehörde vereinigte Friedrich Wilhelm Ende 1722 diese unter dem „General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänen-Directorium“ (kurz: Generaldirektorium). Das Generaldirektorium wurde von König Friedrich Wilhelm I. 1723 in Berlin eingerichtet durch Anordnung der Verbindung des 1713 gegründeten Generalfinanzdirektoriums und des seit 1660 bestehenden General-Kriegs-Kommissariats zum General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domainen-Direktorium. Diese neue Zentralbehörde war in „Departements“ eingeteilt, die jeweils für mehrere Territorien des Gesamtstaates zuständig waren.
Dem Generaldirektorium in Berlin war die Finanz-, Wirtschafts- und Innenpolitik (mit Ausnahme des Justiz- und Kirchenwesens) übertragen; ihm unterstanden auch die in den Provinzen gebildeten Kriegs- und Domänenkammern und die meisten Spezialverwaltungen. Zu den einzelnen Kompetenzen dieses Generaldirektoriums zählen:
(ab 1722/1723)
- Finanzwesen
- Wirtschaftswesen
- Innenpolitik
(ab 1740)
- Handel und Manufakturen
(ab 1766)
- Zollwesen
- Akzisenwesen
(ab 1768)
- Bergwerkswesen
- Hüttenwesen
(ab 1770)
- Forstverwaltungswesen
Kriegs- und Domänenkammern, auch „Kammerdepartements“, hießen die Provinzialbehörden in Preußen, die Friedrich Wilhelm I. bei der Reorganisation der Verwaltung im Jahre 1723 geschaffen hatte. Sie waren die Vorgänger der 1815 eingerichteten preußischen Regierungsbezirke und ihrer Regierungen.
In Ostpreußen gab es
- Kriegskammer (Königsberg) (1723–1808)
- Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen (seit 1723 Deputation der Königsberger Kammer, dann selbständig 1736–1808)
Die Kammern unterteilten sich in lokale Ämter - 1723 wurde das Domänen-Amt Aulowönen gegründet, 1874 wurde es in Amtsbezirke unterteilt.
Es galt zwischen Domänengütern, Dörfer und Einzelgehöfte und Domänenämtern zu unterscheiden. Die Domänengüter unterschieden sich in Hauptgüter und Vorwerke, zu denen teilweise ganze Dörfer gehörten. Einzelhöfe waren hauptsächlich im Besitz der Kirchen. Die Domainengüter unterstanden einer hierarchisch gegliederten Verwaltungsstruktur, die sich im Ämter, Hauptämter, Kammern und Generaldirektorium gliederte. Als zuständige Oberbehörde führte das Generaldirektorium u.a. die Aufsicht über die regionalen Kriegs- und Domänenkammern, die sich wiederum in Hauptämter und Ämter unterteilten.
Das Domänenamt Lappönen unterstand dem Hauptamt in Insterburg, das Hauptamt in Insterburg unterstand der Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen, diese der Generaldirektion in Berlin.
Die Kammern hatten jährlich im März die Spezialetats der Provinzen für das kommende Rechnungsjahr, ab 1. Juni, an die Generaldirektion einzusenden, die als Grundlage für den Gesamtetat dienten. Die Aufgaben der Kriegs- und Domänenkammer lagen hauptsächlich im Finanzbereich, und zwar in der Aufsicht über den landesherrlichen Grundherrschaftsbereich, um somit die Domäneneinnahmen und die Leistungen der abhängigen Bauern zu sichern, und in der Steuerverwaltung (Kontribution und Akzise). Neben dem finanziellen Interesse mit militärisch-politischer Zielsetzung war das Interesse für die wirtschaftlich-soziale Entwicklung des Landes bestimmend.
Mit der Behördenzusammenlegung erreichte der König eine äußerst schlanke Verwaltung. Kollegialprinzip und Ressortkompetenz blieben erhalten und feste Dienstzeiten wurden eingeführt. Damit begründete der König das preußische Beamtenwesen, dessen Funktionsmerkmale sich aus den Tugenden pietistischer Frömmigkeit ableiteten und einen Bruch mit dem traditionellen feudalistischen Standesdünkel bedeuteten. Er begann die Wirtschaft gegen heftigen adligen Widerstand der Stände zu fördern, indem er den Ackerbau und die Einwanderung umfangreich unterstützte.
Friedrich Wilhelm - der Große Kurfürst - hatte bereits im brandenburgischen Landtag im Rezess (Vergleich) von 1653 für zunächst sechs Jahre Abgaben für ein stehendes Heer durchgesetzt. Als Gegenleistung hatte er den Rittergutsbesitzern weite Zugeständnisse gemacht. Diese betrafen etwa die Umwandlung ihrer Lehns- in Allodialgüter (Privatgüter), auf denen sie die Patrimonialgerichtsbarkeit und die Polizeigewalt über die leibeigenen Bauern behalten durften. Durch das stehende Heer bot er dem rebellierenden Adel zusätzlich viele Karrierechancen.
Friedrich Wilhelm I. - der Soldatenkönig - lies ein Verzeichnis (Kataster) aller Grundstücke anlegen, da der Grund und Boden in seinem Land sich zu einer „gleichmäßigen stehenden Abgabe für ein stehendes Heer“ durch eine Steuer eignete.
Das Gesamtkataster ergab, dass 35.000 Hufen etwa 5878 Quadratkilometer von Seiten der Güter steuerlich nicht veranlagt worden waren.
Siehe dazu auch: 4.1 Grundherrschaft und Gutsherrschaft
Dieses Verzeichnis bildete unter der Bezeichnung „Schoß- und Hufenkataster” die Grundlage zur Steuerhebung auf dem Lande. Die landwirtschaftlichen Gegenstände wie Haus, Hof und Vieh, sowie der Fruchtertrag des Ackerlandes wurden abgeschätzt, um den Durchschnittsertrag des Reinertrags zu ermitteln. Der entsprechende Durchschnittswert wurde dann der Steuer zugrunde gelegt. Das Grund- und Bodenlose Landvolk entrichtete eine Personalsteuer. Für die Stadtbevölkerung wurde die Akzise, eine Verbrauchssteuer auf Zucker, Salz, Fett, Fleisch usw. eingeführt.
Ab 1723 wurde die Verpachtung der Domänengüter staatlich geregelt. Üblicherweise kam es zum Abschluss von Sechsjahresverträgen, wobei die Pächter fortan auch ein vermögende Bürger sein konnten. Der Fiskus verlangte von ihnen als Sicherheit eine hohe Kaution, wodurch vorsätzlicher Missbrauch verhindert werden sollte. 1723 waren es in der Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen 75 % landesherrlicher, 22 % adliger und 3 % städtischer Grund.
Die Domänenverpachtungen reichten jedoch zur Finanzierung des später entstehendes stehen Heeres nicht aus. Deshalb entschloss sich Friedrich Wilhelm I. ab 1725 Schatullbauern in den Staatsforsten der riesigen Wildnis anzusiedeln, die nur ihm direkt abgabepflichtig waren. Er umging damit bewusste eine Bewilligung durch die ostpreußischen Stände.
Zweidrittel des brach liegenden Ostpreußens mussten aber zunächst erst besiedelt werden, um dort überhaupt Steuern erheben zu können. Dazu war eine Vermessung notwendig.
Die Vermessungen wurden zunächst nach dem 1721 eingeführten Otetzkoisches-Maß von König Friedrich Wilhelm festgelegt – es wurde auch das Domänen Kammer Maß genannt.
Quelle: Das Kulmische und Oletzkoische Maß in Preußen. (preussische-masse.de)
Das Magdeburger Flächenmaß, der Magdeburger Morgen, wurde offiziell ab 1793 verwendet. Ab 1813 wurde es als Preußisches Maß bezeichnet. Den Magdeburger Morgen teilte man in den Kleinen und den Großen Magdeburger Morgen.
- 1 Kleiner Morgen = 180 Quadrat-Ruten (Rheinländische) = 25.920 Preußische Quadratfuß ≈ 0,255322 Hektar = 2553,22 Quadratmeter
- 1 Magdeburger Hufe = 15 große Morgen = 30 Kleine Morgen = 5400 Quadratruten ≈ 7,6597 Hektar ≈ 0,0766 Quadratkilometer
Die Preußische Maß und Gewichtsordnung vom 16. Mai 1816 legte die Größen anhand des Parisers Normalmeters und des Normalkilogramms fest. Ab dem 1. Januar 1820 galt in allen Provinzen Preußens nur noch das preußische Maß.
Die Hufe war ein Ertrags- und Flächenmaß aus dem Mittelalter, dass ein Gehöft, sowie das für eine Familie zur Ernährung ausreichende Maß an Acker-,Weide- und Waldflächen umfasste, ohne dass damit eine bestimmte Flächengröße verbunden war.
Nur für die in Herzogtum Preußen verbreiteten altkulmischen Hufe gibt es einen genaueren Wert, da hier die Hufe wegen des flacheren Geländes und der gleichmäßigeren Bodenqualität kaum schwankten:
Eine altkulmische Hufe (Hakenhufe) = 1,5 Haken = 30 altkulmische Morgen = 300 Gewende = 900 Seilen (Schnur) = 9000 Quadratruthen = 168102 Quadratmeter (m²) = 16,8102 Hektar (ha), was nach preußischen Maß 65,840 preußische Morgen sind.
Ein Feldmaß von einer altkulmische Hufe (16 ha) scheint ursprünglich im Raum der Ordensritter eine Art Norm für einen Hof gewesen zu sein. Innerhalb einer Dorfsiedlung oder einer Grundherrschaft scheinen auch immer die gleichen Hufengrößen gegolten zu haben. Dieses Feldmaß für einen Hof verringerte sich im Laufe der Preußen Herrschaft an auf eine Preußische Hufe mit 7,5 ha., da die zur Verfügung stehenden Landflächen bei neuen Dorfgründungen und Siedlungs-Erweiterungen immer geringer wurden.
Die normierten Größen einer Hufen selbst sind aber im Laufe der Jahrhunderte auch immer kleiner geworden, Im 18. Jahrhundert wurden sie vom preußischen König auf 7,659 ha festgelegt, was vier Morgen pro Hektar ergibt. Gleichzeitig wuchs damit die Anzahl der steuerpflichtigen Höfe. Auch für kleinere Flächen musste jetzt auch Steuer bezahlt werden.
Nach dem Preußischen Steuerrecht von 1902 wurde schon ein Hof mit einer Größen bis 7,5 ha als (Klein) Bauer bezeichnet und war damit steuerpflichtig.
Die Höfe der Kolonisten waren in der Insterburger Gegend durchschnittlich zwei Preußische Hufe = 60 Preußische Morgen = 15,3194 Hektar groß. (2 Magdeburger Hufe)
Es waren überwiegend angeworbene protestantische Litauer, die nach der Reformation von 1517 und der gesicherter Rechtslage in das lutherische bzw. calvinistische Ostpreußen kamen.
Ostpreußische Adlige lehnten es meist ab, Dörfer zu gründen, da sie keine freien Bauernschaften dulden wollten und umgekehrt zogen die Kolonisten es vor, sich unter die Oberhoheit des Landesherrn (Domänegüter) zu begeben. Ebenso erhielten meist nur Deutsche die Jagd- und Fischereigerechtigkeit als auch die Bewirtschaftung der Schmieden und der Mühlen, die gleichzeitig der Kontrolle der Erntemenge und damit der steuerlichen Festsetzungen dienten.
Siehe dazu auch: Andreas Kossert : Ostpreußen, Geschichte und Mythos
Das 1735 gegründete Hauptamt „Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen“ bestand bis 1808
Bis zum Jahre 1815 gehörten fast alle Güter und Ortschaften des Kirchspiel Aulowöhnen zum Königsberger Departement, Landrätlicher Kreis Tapiau, Ämter Lappönen und Saalau, sie wurden dann durch Edikt vom 30.04.1815 zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen „Die Domainen des Preußischen Staates umfassen die Domainen-Güter (Domainen im engeren Sinne), die Domainen-Forsten und die Domainen-Jagden“. Unter den Domänen-Gütern besaß nur ein Teil der Güter in Ostpreußen den Titel eines Rittergutes.
Während des Tatareneinfalls 1656 und der Pestjahre 1709/11 wurde Gumbinnen wie das ganze spätere Ostpreußen schwer in Mitleidenschaft gezogen. Durch das von Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. ins Leben gerufene Besiedelungsprogramm erfuhr auch Gumbinnen, dem der König am 24. Mai 1724 das Stadtrecht verliehen hatte, einen spürbaren Aufschwung. Die Siedler in Gumbinnen hatten zwischen 1728 und 1752 sehr unterschiedliche Herkünfte:
- 216 Familien aus Ostpreußen, deutscher und litthauischer Herkunft
- 67 Salzburger
- 46 Nassauer
- 31 aus der französisch sprechenden Schweiz
- 26 aus der deutsch sprechenden Schweiz
- 27 Brandenburger
- 29 Halberstadt-Magdeburger
- 22 Sachsen
- 18 Ansbacher
- 16 Hessen
- 13 Franken
- 12 Pommern
- 7 Westpreußen
- 8 aus den seinerzeit an Polen abgetreten Gebiete
- 5 Braunschweiger
- 4 Thüringer
- 4 Mecklenburger
- 5 Schweden
- 3 Franzosen
- 2 Dänen
- 2 Schotten
- 2 Kurländer
- 2 Dessauer
- 2 Württemberger
- 1 Schwarzenberg-Rudolstadt
- 1 Hannover
- 1 Schleswig-Holstein
- 1 Steiermark
Quellen:
Fritz Schütz: Rahts- und Bürgerbuch (1728-1852) und Seelen-Register (1780-1788) der Stadt Gumbinnen
Rudolf Grenz: Gumbinnen Stadt und Kreis
Nach der Großen Pest kamen Schweizer Reformierte 1710 als erste Neusiedler in die ausgestorbene Stadt. Sie brachten ihren eigenen Prediger mit und errichteten 1739 eine eigene Kirche. Ab 1732 entwickelte sich Gumbinnen zum Zentrum der Salzburger Exulanten. Mit dem Salzburgerhospital und der 1752 errichteten Salzburger Kirche bewahren sie ihre Identität bis heute.
Bereits 1727 schloss sich die auf der Südseite der Rominte entstandene Neustadt der Altstadt Gumbinnen an. Sie hatten einen schachbrettartigen Grundriss. Am 19. August 1735 gründete Friedrich Wilhelm I. in Gumbinnen eine Kriegs- und Domänenkammer als Verwaltungszentrum der Region. Zu dieser Zeit lebten etwa 573 Familien mit ca. 2.100 Menschen im späteren Stadtkreis. Gumbinnen wurde 1808 Sitz des Regierungsbezirks und wurde eine Beamten- und Soldatenstadt.
Siehe dazu auch: 4.1 Grundherrschaft und Gutsherrschaft
Der preußische Staat kaufte dem König von 1713 - 1740 einen Teil der königlichen Domänengütern für 5 Millionen Reichs Thaler ab, um deren Nutzung später weiter privat verpachten zu können. Dadurch sollten langfristig die Staatseinnahmen gesichert werden. Das Allgemeine Preußische Landrecht (APL) vom Juni 1794 wies das Eigentum an den verbliebenen Domänen („Domainen“) dem Staat, ihre Benutzung jedoch dem Staatsoberhaupt zu. Dazu das Allgemeine Preußische Landrecht, Zweiter Teil, 14. Titel von den Staatseinkünften und fiskalischen Rechten (APL, II 14, §§ 11,16,17,21):
- §. 11. Einzelne Grundstücke, Gefälle, und Rechte, deren besonderes Eigenthum dem Staate, und die ausschließende Benutzung dem Oberhaupte desselben zukommt, werden Domainen- oder Cammergüter genannt.
- §. 16. Domainengüter können nur in so weit an einen Privatbesitzer gültig gelangen, als der Staat dagegen auf andere Art schadlos gehalten worden.
- §. 17. Insonderheit können sie gegen andere Güter vertauscht, in Erbpacht ausgethan, oder gegen fortwährende Zinsen den Unterthanen zum erblichen Besitze vertheilt werden
- §. 21. Die Land- und Heerstraßen, die von Natur schiffbaren Ströhme, das Ufer des Meeres und die Hafen, sind ein gemeines Eigenthum (Domainen) des Staats.
Die Domainengüter unterstanden einer hierarchisch gegliederten Verwaltungsstruktur, die sich im Ämter, Hauptämter, Kammern und Generaldirektorium gliederte. Erst nach der Auflösung der Domänenkammern von 1802 bis 1807 konnten Domänengüter auch von Privatleuten gekauft werden.
Das Kirchspiel Aulowönen (1938–45: Aulenbach, Ostpr.) wurde um 1610 begründet.
Die Minderheit - ca. 5 % im späteren Kirchspiel Aulowöhnen - waren die Schatull- und Erbfrei-Bauern, sie hatten zwischen1600 und 1700 ihren Boden vom Kurfürsten bzw. von den späteren Könige gekauft. Die Gelder flossen direkt in die Schatulle des Fürsten und der Könige.
Schatullgrundstücke entstanden durch Rodungen und Kultivierung von Wald und Ödland. Die Lage der Höfe wurde von der Domänenämtern der Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen in Form von Haufendörfern durch die Wildnisbereiter (Förster) der Ämter organisiert.
Diese Bauernstellen waren aber angeworbenen Siedlern vorbehalten, die vermögend waren, da der Boden gekauft werden musste. Die Siedler kamen überwiegend aus Litauen und teilweise aus Brandenburg. Häufig war auch eine Kreditgewährung möglich, die aber auch von den Ernteerträgen abhing.
Bewährte sich der Siedler, so erhielt er nach einigen Jahren seine „Berahmung“ – eine gerahmte Besitzerurkunde. Viele der Haufendörfer im späteren Kirchspiel Aulowöhnen sind, wie Willschicken, auf diese Weise etwa von 1700 bis 1816 entstanden.
80 % der Bauern im Kirchspiel Aulowönen waren jedoch Scharwerker, die den staatlichen Domänen zugordnet, waren. Weitere 5 % waren Kölmer und 15 % Koloniebauern .
Siehe dazu auch: 5 VON IHRER PERSÖNLICHEN RECHTSSTELLUNG
In der Liste der Königl. Domänenamtsmänner in Preussisch-Littauen wurde Amtmann Chr. Theodor Praetorius 1735 für das Amt Lappönen aufgeführt
Im Juli 1724 wurde eine Deputation (Außenstelle) der Kriegs- und Domänenkammer Königsberg in Gumbinnen eingerichtet. Sie war für die Hauptämter Insterburg, Memel, Ragnit und Tilsit zuständig. Am 19. August 1736 wurde die Deputation in eine eigenständige litthauische Kriegs- und Domänenkammer umgewandelt. Der Regierungsbezirk Gumbinnen entstand durch Umbenennung der litthauischen Kriegs- und Domainenkammer zu Gumbinnen durch das "Publikandum" vom 16. Dezember 1808
Durch die Verpachtung von Staatsgütern an Privatleute, die Schaffung von selbständigen Bauernstellen und die Hergabe von Land zu Siedlungen war der staatliche Grundbesitz in Ostpreußen allmählich zusammengeschrumpft. Die ostpreußischen Domänen bildeten den überkommenen Rest des ausgedehnten Grundbesitzes des Deutschen Ritterordens, der in herzoglicher Zeit durch die Einbeziehung von Kirchengütern und Waldrodungen vermehrt worden war.
König Friedrich Wilhelm I. erklärte durch ein Gesetz auch die durch fürstliche Privaterwerbungen geschaffenen Schatullgüter (meist Waldgüter) zu staatlichen Domänen, so dass vier Fünftel des gesamten ländlichen Grundes und Bodens in Ostpreußen in staatlicher Pflege und Verwaltung standen.
Zu den Domänen gehörten Güter (Vorwerke), Dörfer und Einzelgehöfte. Die Bauern, denen Land zur Eigennutzung überlassen worden war, mußten auf dem Gutsbetrieb der Domäne Hand- und Spanndienste leisten.
Siehe dazu auch: 5 VON IHRER PERSÖNLICHEN RECHTSSTELLUNG
Die Domänen wurden an vermögende bürgerliche Landwirte verpachtet, die die Polizeigewalt ausübten und Recht sprachen; sie waren also zugleich Verwaltungsbeamte. Bei Bewährung erhielt ein Domänenpächter den Titel Amtmann, er konnte zum Amtsrat aufsteigen
„Einen weiteren neuen Zug in das Wirtschaftsgefüge brachte im Verlauf der Domänenneuordnung von Friedrich Wilhelms I. das neugeschaffene Domänenamt Lappönen, welches den Norden des ehemaligen Kammeramtes Saalau, also den Bereich des Kirchspiels Aulowönen, umfasste. Uschupöhnen später Aulowönen war zunächst Sitz des Domänenamtes Lappönen. Es war dem Hauptamt in Gumbinnen untergeordnet.“
Siehe dazu auch: Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Einmal war Lappönen ein Königliches Vorwerk und ein Rittergut mit etwa 2.000 Morgen Land, zum anderen gab es das Domänen-Amt Lappönen. Der erste Amtmann für Lappönen um 1735 hieß Chr. Theod. Prätorius. Die Amtmänner ( Domänenbeamten) mussten eine besondere Ausbildung mit Prüfung durchlaufen und wurden dann ernannt. Ein Teil der Domänenbeamten nutzte ihre Stellung aber auch zur Willkür aus.
Hierzu siehe besonders auch: 4.1 Grundherrschaft und Gutsherrschaft
Das Domänenamt Lappönen mit Sitz zunächst in Uschupöhnen / Aulowöhnen, später Alt Lappönen zählte mehr als 42 Dörfer und 382 Feuerstellen.
1785 ist der Ort Lappönen ein königliches Amt und Vorwerk, mit 5 Feuerstellen. Dieser Zustand währte fast drei Generationen, bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Domanenämter aufgelöst und eine ganze Reihe der "Vorwerke", wie die Hauptgüter hießen, verkauft wurden. Das rund 2000 Morgen große Vorwerk AIt-Lappönen erwarb Caroline Girod, die mit dem Amtmann Mehlhorn verheiratet war, zu einem Preis von 19.152 Thalern.“
1924 musste der Rittmeister der Reserve Walter Ornhorst sein noch 587 ha großes Rittergut Lappönen aus wirtschaftlichen Gründen verkaufen. Es wurde durch die gemeinnützige „Baugesellschaft Königsberg“ gekauft und für Neusiedler bereitgestellt. Es wurde 1927 in 24 Bauerhöfe aufgesiedelt. Ein Hof kam zur Großfamilie Tuttlies.
Siehe dazu auch: 6.3.2 Gut Alt Lappönen
1736 wurde Klein Aulowönen als Koloniedorf von 11 eingewanderten Salzburger Kolonisten-Familien genannt
Die Salzburger Exulanten waren etwa 20.000 protestantische ihres Glaubens wegen Vertriebene aus dem Erzstift Salzburg, die aufgrund eines Ausweisungserlasses von 1731 ihre Heimat verlassen mussten. Der Großteil der Exulanten - etwa 13.000 - wurde von Preußen aufgenommen, davon etwa 11.000 im späteren Regierungsbezirk Gumbinnen.
Laut Überlieferung begrüßte Friedrich Wilhelm I., König in Preußen, im Mai 1732 vor der alten Zehlendorfer Dorfkirche die ersten Ankömmlinge mit den Worten:
„Mir neue Söhne – euch ein mildes Vaterland!“
Zwischen Mai und August 1732 verließen vor allem Handwerker- und Bauernfamilien in 16 geordneten Zügen das Erzstift Salzburg. Sie zogen geschlossen nach Preußen, als dessen Untertanen sie bereits galten, weshalb ihre Reise viel einfacher verlief. Fast ein Viertel der Ausgewiesenen überlebte die mühsamen Märsche im Zuge der Vertreibung dennoch nicht.
Friedrich Wilhelm I. hatte am 2. Februar 1732 das Preußische Einladungspatent für die Salzburger erlassen. Sie sollten sich in Ostpreußen ansiedeln, um es zu repeuplieren (wieder besiedeln), da es durch die Große Pest von 1708 bis 1714 entvölkert worden war. Von Stettin kommend traf am 28. Mai 1732 das erste von 66 Schiffen in Königsberg ein. Der erste von elf Landtransporten kam am 6. August 1732, der letzte am 8. November 1733 nach Königsberg. Von den 13.000 Immigranten blieben 377 in der Stadt.
Von den 13.000 Salzburgern, die in den Jahren 1732 / 1733 nach Ostpreußen kamen, wurden in den Kreisen Gumbinnen, Ragnit, Pillkallen, Stallupönen, Goldap und Darkehmen 11.150 Salzburger angesiedelt.
"Drei Klassen von Colonisten wurden gewöhnlich unterschieden: zunächst gab es solche, die auf eigene Faust die Reise unternahmen, d. h. die Zehrkosten selbst bestritten und sich auch auf eigene Kosten anzusiedeln vermochten, also in keiner Weise die Schatulle des Königs in Anspruch nahmen. Das waren selbstredend die gesuchtesten, aber auch die seltensten Zuzügler. Andere wieder konnten zwar die Reisekosten bestreiten, nicht aber das Etablissement selbst, und drittens verlangte der grosse Haufen sowohl Reiseentschädigung als auch die Ansetzung aus königlichem Gelde bestritten zu sehen. Nach dieser Classificirung richteten sich auch die Beneficien, bei denen der Grundsatz galt, dass sie, einmal ausgesprochen, auch für die Folgezeit und für später kommende gelten, wenn nicht etwa inzwischen ein anderes Patent Erweiterungen oder Begrenzungen gebracht hatte; Schweigen ist Bestätigung."
"Alle Vergünstigungen für die Salzburger Landleute lassen sich in drei Worte zusammenfassen: Freijahre, Hufen und Besatz.
- Unter Freijahr verstanden die ersten Patente Befreiung von allem Zins, Gontributionen und allen öffentlichen Lasten, doch hielt man es oft für nöthig, die Scharwerksdienste noch besonders zu erwähnen, die füglich mit Geld abgelöst werden konnten, doch so, dass immerhin noch einiges gewisse Scharwerk, etwa an Holz- und Getreidefuhr, oder was sonst gerade nöthig war, geleistet werde. Der bemittelte Colonist, der völlig für sich selbst sorgen will und kann, soll „neun Freijahre von allen Prästandis" erhalten, den bemittelten Einheimischen, die nach dem Osten ziehen wollen, werden sechs Freijahre in Aussicht gestellt, die ganz unbemittelten fremden Colonisten erhalten ihrer zwei, die einheimischen Zuzügler ein Freijahr.
- Die ankommenden Ackersleute erhielten ungefähr zwei Hufen als das Mindeste überwiesen, zuweilen auch mehr, die Patente sprechen hierüber verschieden, einige Male (werden zwei Huben Säland erwähnt, ausserdem der nöthige Wiesenwachs, soviel zur Hütung und Fütterung erforderlich ist, nebst Hut, Trift, Holzung und Fischerei; andere Patente sprechen auch von drei und vier Huben; man kann in einzelnen Fällen entschieden noch höher greifen. Die Hufe war zu 30 Morgen, der Morgen zu 300 rheinländischen Ruthen gerechnet.
- Die Bemittelten waren verpflichtet, das Bauerngehöft, wozu ihnen jedoch das freie Bauholz geliefert wurde, anzubauen, als auch sich selbst den „Besatz" an Vieh, Pferden, Acker- und Hausgeräth, wie nicht weniger die Saat und das Subsistenz-Getreide anzuschaffen und selbst zu besorgen. Die anderen Colonisten, die den Besatz geliefert erhielten, hatten denselben für 2 Hufen in folgender Gestalt zu erhoffen :
Tabelle: Vergünstigungen für die Salzburger Landleute
24 Thaler für 4 Pferde, 15 Thaler für 3 Kühe, 24 Thaler für 4 Ochsen, 3 Thaler 50 Groschen für 4 Schafe, 4 Thaler für 4 Schweine, 48 Groschen preuss. für 4 Gänse, 48 Groschen preuss. für 8 Hühner, 24 Thaler für Acker- und Hausgeräth, 13 Thaler 30 Groschen preuss. für 30 Scheffel Aussaat-Roggen, 4 Thaler für 12 Scheffel Gerste, 5 Thaler 30 Groschen preuss. für 24 Scheffel Hafer, l Thaler 70 Groschen preuss. für 4 Scheffel Erbsen, 17 Thaler 70 Groschen preuss. für 4 Scheffel Subsistenz-Gerste auf 4 Personen berechnet, 10 Thlaler für Salz, Licht und anderem zum Haushalt nöthigen Unterhalt.
Also in Summa 147 Thaler 76 Groschen preuss."
Quelle: Max Beheim-Schwarzbach: Friedrieh Wilhelm's I. Colonisationswerk in Lithauen, vornehmlich die Salzburger Colonie, 1879
Die für die neu Ankommenden erbauten oder ausgebesserten Häuser und Ställe wurden nicht gerade kostspielig aufgeführt, doch wurden ausserdem, wie schon angedeutet, Häuserbauzuschüsse gewährt, in verschiedenen Summen, 24 Thaler, 28 Thaler etc., im Allgemeinen 10 — 15% der Kosten. Der Besatz war in den Patenten mit einem Minimum von 150 Thaler (genauer mit 147 Thaler 76 Groschen) veranschlagt worden. Das Saatkorn und das Subsistenzgetreide wurde für die bäuerlichen Familien auf 6, für die Kossäthen auf 4 Köpfe berechnet; für die ersteren finden wir die Kosten mit c. 138 Thaler und ziemlich in derselben Höhe (ca. 132 Thaler) für die zweiten aufgestellt. Die Ausfälle, die die Steuerkasse durch die Freijahre zu erleiden hatte, sind schon erwähnt; kurz, die Totalsumme, die die Etablirung einer Colonistenfamilie dem Könige kostete, belief sich auf ca. 400 Thaler, eine Summe der grosse Colonisator Friedrich II. später als Norm beibehielt. Dieser gewaltige Bau der Colonisierung soll sammt anderer zur Etablirung so vieler Leute verwandten Kosten, ohne Transport und Verpflegung der Salzburger, sich auf sechs Millionen Thaler belaufen haben, weswegen man, da viele Jahre nach einander monatlich 25.000 Thaler von Berlin nach Preussen geschickt wurden, Anlass genommen, zu sagen: Es wäre kein Wunder, wenn Preussen zu lauter Silber würde."
1740 nahm der Preußisch Staat 7.400.000 Reichs-Thaler (RT) ein und gab 6.850.000 Reichs-Thaler aus. Im Zeitraum von 1713 bis 1740 entstanden in Preußen die folgende Investitionsaufwendungen:
- 5 Millionen RT für den Erwerb von königlichen Domänengütern
- 2,5 Millionen RT für den Festungsbau
- 2 Millionen RT für den zivilen Bau
- 6 Millionen RT für das Rétablissement in Ostpreußen
- 2 Millionen RT für die Erwerbung Schwedisch-Pommerns bis zur Peene
- 12 Millionen RT für die Soldatenwerbung im Ausland
Quelle: Max Beheim-Schwarzbach: Friedrieh Wilhelm's I. Colonisationswerk in Lithauen, vornehmlich die Salzburger Colonie, 1879
Während des Tatareneinfalls 1656 und der Pestjahre 1709/11 wurde der Regierungsbezirk Gumbinnen wie das ganze spätere Ostpreußen schwer in Mitleidenschaft gezogen. Durch das von Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. ins Leben gerufene Besiedelungsprogramm erfuhr auch die Stadt Gumbinnen, der der König am 24. Mai 1724 das Stadtrecht verliehen hatte, einen spürbaren Aufschwung. Nach der Großen Pest kamen zunächst Schweizer Reformierte 1710 als erste Neusiedler in die ausgestorbene Stadt. Sie brachten ihren eigenen Prediger mit und errichteten 1739 eine eigene Kirche. Ab 1732 entwickelte sich der Regierungsbezirk Gumbinnen zum Zentrum der Salzburger Exulanten. Hier bilden hier Salzburger Aussiedler oft eigene Coloniedörfer, so 1713 im Amt Lappöhnen in Klein Aulowehnen, Malwischken, Warmlauken, Schruben, Skardupöhnen, Wasserlauken.
Bereits bei früheren Ansiedlungen waren bestimmte Freijahre zugestanden worden. Da die Salzburger aber keine Scharwerksdienste leisten wollten, einigte man sich nach langen Verhandlungen auf den Erlass dieser Dienste, blieb aber bei einer zu leistenden Fuhre jährlich und Vorspann bei den Reisen des Königs. Die an die Kolonisten übergebenen Höfe blieben Besitztum der Kolonie-Dörfer oder wurden zu Erbpachten. Die Kolonie-Dörfer verpflichteten sich andererseits, gemeinsam für die Entrichtung der Abgaben zu haften. Dieser Sozietätsvertrag wurde am 17. September 1736 abgeschlossen und galt nur für die ländliche Bevölkerung. Mit Edikt zur Bauernbefreiung der Salzburger Siedler vom 27. Juli 1808 wurde er aufgehoben. Auf der Grundlage des neuen Vertrages erhielt jeder Hofbesitzer eine Eigentums-Verleihungsurkunde. In einer weiteren Kabinettsorder vom 12. September 1811 wurde noch einmal auf die Einheit zwischen der alten Bevölkerung und den Eingewanderten hingewiesen,
Bis 1843 fanden über 3.631 Familien im Regierungsbezirk Gumbinnen vorwiegend in den Kreisen Stallupönen (638), Pillkallen (491), Goldapp (481), Ragnit (440) und Insterburg (248) eine neue Heimat. 1834 lebten in den Regierungsbezirken Königsberg und Gumbinnen zusammen 9.910 Familien und 1843 waren es schon 20.195 Familien.
Siehe dazu auch: Salzburger Exulanten – Wikipedia[82]
Die Salzburger drängen u.a. auf geregelten Verwaltungs- und Schulbetrieb - so auch im Amt Lapphönen und im Kirchspiel Aulowönen. Von neun geplanten Schulbezirken waren hier 1757 sieben eingerichtet:
- Aulowönen: Präzentor Stein und Lehrer Regg
- Ackmenischken: Lehrer Forstreuter (Vater und danach Sohn)
- Wasserlauken: Lehrer Leidereiter
- Gerlauken: Lehrer Leidereiter
- Laukogallen: Lehrer Pleil
- Lepkehmen: Lehrer Hägermann
- Swainen: Lehrer Eichwald
Die Errichtung der gewünschten Kirche verlief in der Stadt Gumbinnen parallel. Um 1740 wurde hier das „Salzburger Hospital“ gegründet, 1739 die erste „Salzburger Kirche“ in Gumbinnen erbaut. 1838 war sie baufällig und wurde abgerissen. 1840 wurde der Nachfolgebau errichtet, einer der letzten Bauten des preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel.
1931 wurde die Kirche umfassend renoviert. Bis 1945 war sie Filialkirche der Altstädtischen Kirche, die – lutherisch orientiert – neben der reformierten Neustädtischen Kirche bestand.
Im Januar 1945 wurde die Kirche durch Kriegseinwirkungen stark beschädigt und verlor ihren Turm. Fortan wurde die Kirche als Schuppen für den Straßenbau verwendet. 1995 wurde die Salzburger Kirche als einzige Kirche in der Stadt Gussew (Gumbinnen) vollständig wiederaufgebaut und am Reformationstag (31. Oktober) feierlich eingeweiht. Seither dient sie den evangelisch-lutherischen und reformierten Russlanddeutschen der Region als Gemeindezentrum. Mit dem Salzburgerhospital und der Salzburger Kirche bewahren die Salzburger ihre Identität bis heute.
Siehe dazu auch: 7.5.4 Kirche
Nach dem 1. Juli 1757 besetzte die Zarenarmee Ostpreußen und wurde von Friedrich II. dem Großen bis 1763 wieder vertrieben
Bei Kriegsausbruch des Siebenjährigen Krieges in Ostpdreußen wurde von den Ortschaften die Aufstellung einer Landmiliz gefordert. Die Grenzkreise Oletzko, Lyck und Johannisburg schafften es, zusammen 2214 Mann aufzubringen. Für je vier bis fünf Hufen galt es, einen Soldaten mit dem dazu gehörigen Proviant und Ausrüstung zu stellen. Außerdem wurde für die Dauer des Krieges eine Kriegssteuer erhoben. Die meisten Dörfer mussten monatlich fünf Groschen pro Hufe in die Staatskasse zahlen. Zusätzlich waren die Menschen waren durch die hohen Kontributionszahlungen für den Unterhalt des fremden Heeres zusätzlichen Belastungen ausgesetzt.
Am 1. Juli 1757 griff eine starke russische Armee im Rahmen des Siebenjährigen Krieges Ostpreußen an und erklärten nach ihrem Sieg die Provinz am 11. 1. 1758 zum russischen Besitz. Die Ostpreußischen Stände huldigten am 13. Januar 1758 der russischen Zarin in Königsberg. Am 24. Januar 1758 unterzeichnete die russische Kaiserin Elisabeth ein Dekret, das den General Wilhelm Graf von Fermor zum Generalgouverneur der "eroberten Gebiete des Königreichs Preußen" ernannte.
Nach dem Russland im Januar 1758 Ostpreußen besetzt und annektiert hatte, marschierte die russische Hauptarmee im Juni in Stärke von etwa 50.000 Mann über Posen zur unteren Warthe, dem rechter Nebenfluss der Oder. In der Schlacht von Zorndorf in Westpommern trafen am 25. August 1758 eine preußische Armee unter König Friedrich II. (der Große) und die russische Hauptarmee unter Wilhelm von Fermor aufeinander.
Durch seinen Sieg verhinderte Friedrich II. im Siebenjährigen Krieg das weitere Vordringen der Russen in die Mark Brandenburg. Die Versorgungslage der russischen Armee war aber nach der Niederlage inzwischen auch so schlecht geworden, dass sich die Russen aus Pommern und Teilen von Ostpreußen wieder zurückzog. Die geplante Versorgung über den Königsberger Hafen war im Winter durch den Eisgang nicht möglich.
Während des Siebenjährigen Krieges war Insterburg von 1758 bis 1762 von russischen Truppen besetzt. Randgebiete wie Pillkallen und Pillau bleiben aber von den Russen bis 1763 besetzt. Zugleich verschlechtere sich die Ernährungslage der gesamten Bevölkerung in Ostpreußen dramatisch, da die Felder und Vorräte verbrannt und das Vieh und andere Lebensmittel geraubt wurden. Die Höfe wurden teilweise niedergebrannt. Zu dieser Zeit hatte Ostpreußen etwa 600.000 Bewohnern. Von 1756 - 1763 sterben auf seinem Gebiet etwa 90.000 Soldaten und Zivilisten - der überwiegende Teil durch Verhungern.
Die hohen Zahlen der Hungertoten erklären sich auch dadurch, dass, wenn ein einzelner Hof keinen Nahrung mehr produzierte, waren immer zugleich mehrere Familien mit bis zu 20 und mehr Menschen betroffen - bei den Gütern konnten bis zu 100 Menschen Opfer werden.
Kriege verwüsten Felder, brennen Höfe ab und töten Vieh und Menschen. Bei den Burbas in Paducken – den Eltern von Berta Tuttlies - wurde ein Gradkreuz aus Stein eines Massengrabes von Hungertoten aufbewahrt, das sie auf ihrem Land gefunden hatten.
Der Frieden von Sankt Petersburg war ein am 5. Mai 1762 während des Siebenjährigen Krieges in Sankt Petersburg geschlossener Friedensvertrag zwischen Preußen unter Friedrich II. und dem Russischen Kaiserreich unter Peter III. Russland schied damit aus der Front der Gegner Preußens im Siebenjährigen Krieg aus und gab ohne Entschädigung das bereits annektierte Ostpreußen sowie Hinterpommern und die Neumark zurück.
Der Frieden galt nach dem Sturz und der Ermordung Peters durch seine Gemahlin und Nachfolgerin Katharina II. (die Große) im Juli 1762 weiterhin, wobei sie das Bündnis mit Preußen jedoch löste.
Siehe dazu auch: Siebenjähriger Krieg – Wikipedia
Mit der Friderizianischen Kolonisation von 1763 – 1775 wurden im Rahmen des Landesausbaues neue Siedlungsgebiete festgelegt
Die Friderizianische Kolonisation bestand aus den Maßnahmen des Landesausbaus (Peuplierung), die im Königreich Preußen unter Friedrich II. ergriffen wurden. Der preußische Staat war bestrebt, seine demographischen und materiellen Verluste aus dem Siebenjährigen Krieg möglichst schnell auszugleichen. Der König rief während seiner Regierungszeit 284.000 Neusiedler (rund 60.000 Siedlerfamilien) in sein Land. Dies führte in der gesamten preußischen Monarchie u.a. zur Entwicklung von etwa 900 neuen Dörfern mit ca. 25.000 Bauernstellen. So wuchs die Bevölkerung des Königreichs Preußen von 3,5 Millionen im Jahr 1748 auf 4,2 Millionen im Jahr 1770 und erreichte 1800 etwa 6,2 Millionen. Ostpreußen hatte 1770 zwischen 600.000 bis 700.000 Einwohner, davon waren vor der Bauerbefreiung 1808 geschätzte 5 % Kolonisten.
Die Kolonisten waren protestantische Glaubensflüchtlinge (Exulanten) aus der Schweiz, Frankreich, Holland, dem Salzburger Land und Litauen und Wirtschaftsflüchtlinge aus Sachsen, Hessen und den Rheinländern. Dazu kamen noch Umsiedler innerhalb Ostpreußens.
Neben den Glaubensflüchtlingen aus dem Ausland, die Religionsfreiheit suchten und Wirtschaftsflüchtlinge aus dem Deutschen Reich, die eine abgesicherte wirtschaftliche Existenz und persönliche Freiheit anstrebten, gab es auch Binnenwanderer in der Provinz Ostpreußen, die ihre schlechten Böden verließen und bessere Lebensbedingungen in ihrer Heimat suchten.
In einigen Gebieten in Ostpreußen erhielt der Kolonist auf den königlichen Domänengütern ein schon fertiges Haus und das dazugehörige Land im gerodeten Zustand. War dieses noch nicht vorhanden, mussten die Kolonisten selbst Hand anlegen. Nach Ablauf eines Freijahres, das am nächstfolgenden Trinitatissonntag begann, hatte er dann lediglich eine jährliche Grundrente von 16 Groschen pro Morgen und die Beiträge zur Deich- und Feuersozietätskasse zu zahlen. Blieb ein Zuwanderer zwei Jahre lang mit seinen Zahlungen im Rückstand, fiel sein Land an den Staat zurück, und er selbst konnte wieder ausgewiesen werden. Letzteres durfte aber erst nach ausdrücklicher Genehmigung des Königs geschehen. Von den anderen Landesabgaben wie Kontribution, Kavalleriegeld und Schoß war der Kolonist befreit, ebenso von Hofdiensten und Kriegsfuhren.
- Kontribution: Diese Abgabe war eine Kriegssteuer, die von besetzten Gebieten erhoben wurde, um die Kosten der Besatzungstruppen zu decken. Besonders im 17. und 18. Jahrhundert war dies eine gängige Praxis in Europa. Die Kontribution wurde oft als Mittel zur Finanzierung von Kriegen und zur Aufrechterhaltung der militärischen Präsenz genutzt.
- Kavalleriegeld: Diese Abgabe wurde speziell zur Finanzierung der Kavallerie, also der berittenen Truppen, erhoben. Im Gegensatz zu anderen militärischen Abgaben war das Kavalleriegeld direkt auf die Unterstützung und Ausrüstung der Kavallerieeinheiten ausgerichtet.
- Schoß: Der Schoß war eine Art Grundsteuer, die auf Immobilien und Grundstücke erhoben wurde. Diese Abgabe war oft an den Besitz von Häusern und Land gebunden und diente der Finanzierung kommunaler und staatlicher Aufgabe
Sein Land erhielt der Kolonist als erbliches Eigentum, das nach seinem Tod auf die direkten Nachkommen oder auf die Witwe überging. Erst in der dritten Generation durfte das Anwesen veräußert werden. Ab 1769/70 erhielt jeder Kolonist eine Erbzinsverschreibung, den „Kolonistenbrief“, in dem die Landübereignung und das Erbrecht für die Kinder u.a. Erben verbrieft waren. Außerdem waren die Kolonisten juristisch freie Bauern. Das schützte sie, ihre Kinder und Kindeskinder sowie auch das Gesinde vor gewaltsamer Werbung zum Militärdienst. Diese Privilegien unterschieden sie in ihrer Rechtsstellung wesentlich von den einheimischen Bauern
Zygmunt Szultka teilt die Friderizianische Kolonisation in folgende Phasen ein:
- Friedrich II. der Große betrieb schon vor dem Siebenjährigen Krieg (1756 - 1763) durch eine Kolonisation, eine Verringerung des Anteils des Großgrundbesitzes und die gezielte Schaffung von bäuerlichen Familienbetrieben. Die erste Phase, welche die Jahre 1747-1754/56 umfasste, stand hauptsächlich im Zusammenhang mit den Investitionen zur Regulierung des Oderbruchs. 1.700 Familien wurden angesetzt, die insgesamt etwa 8.500 Personen zählten. Davon siedelten sich rund 65% (5.500 Personen) in den Staatsdomänen, der Rest in den Dörfern die zu den späteren Stadtkreisen gehörten, an. Die Kolonisten dieser Phase waren schätzungsweise zu 90%, ausländischer Herkunft.
- Das Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 markiert zugleich den Beginn einer achtjährigen (1762/63-1770/71) zweiten Phase. Der Verlust an Soldaten während des Krieges war immens – so verlor allein Preußen 180.000 Mann - davon geschätzte 12 % aus Ostpreußen. Nach 1763 setzte Friedrich im Warthe-, Netze- und Großen Moosbruch den Landesausbau (Friderizianische Kolonisation) fort, der bereits 1762 im Oderbruch erfolgreich beendet worden war, wobei die staatliche Hilfe vor allem den Staatsdomänen und den Dörfern der Stadtkreisen zugutekam. Eine eigne »Kommission zur Herbeischaffung von Kolonisten« wurde 1763 gegründet, und diese Kommission ließ durch preußische Gesandtschaften in ausgewählten Gegenden Europa gezielt »fleißige und arbeitsame Arbeiter« zum Eintritt in die preußischen Provinzen einladen. Quelle: Theodor Fontane-Wanderungen durch die Mark Brandenburg II.(Das Oderland-Das Oderbruch und seine Umgebungen-Das Oderbruch). Der verschuldete Adel hingegen partizipierte daran in einem geringeren Maß. Bis Ende 1771 erhielten in Ostpreußen fast 16.000 Personen den Kolonisten Status, davon hatten sich über 40% in den Dörfern der späteren Stadtkreisen niedergelassen. Von den etwa 9.600 ländlichen Kolonisten siedelten sich 55% in den Staatsdomänen und 45% auf den privaten Adelsgütern an.
- Während der dritten Phase (1771/72-1779) der friderizianischen Kolonisation wurde so ab 1772, in den Dörfern der späteren Stadtkreisen ab 1776, die Verleihung des Kolonisten Status an einheimische Siedler fast vollständig unterbunden. In den Jahren 1772-1779 wurde die ländliche Kolonisation ausschließlich von Immigranten getragen und erfasste vor allem die Adelsgüter, in denen rund 90% der etwa 5.000 ländlichen Kolonisten siedelten.
- Die vierte Phase der friderizianischen Kolonisation (1780-1786) hatte daher vorrangig den Charakter einer Schweizer (Büdner) Ansiedlungsaktion, was auch durch die gesonderte Ausweisung entsprechen der Fördermittel in den Meliorationsplänen Ausdruck fand. Die Siedlungspläne dieses Zeitraums wurden durch die Ansiedlung von fast 3.200 Büdnerfamilien umgesetzt. Von den zusammen rund 8800 Kolonisten waren 80% (etwa 7000) Schweizer Herkunft.
- Nach dem Tode Friedrichs des Großen 1775 stocke die Ansiedlung in Preußen bis zum Ende der Napoleonischen Kriege 1815
Quelle: Zygmunt Szultka: Die friderizianische Kolonisation Preußisch-Pommerns (1740-1786)
Von 1747 bis 1806 entstanden in Preußen etwa 25.000 Bauernstellen mit etwa 60.000 Siedlerfamilien und zusätzlich ca. 900 neue Dörfer. Davon ungefähr ein Drittel in Ostpreußen. Insgesamt wurden in den Jahren 1740/47-1786/87 im Rahmen der friderizianischen Kolonisation in Ostpreußen etwa 25.000 Familien angesiedelt. Bis 1806 entstanden so in Ostpreußen etwa 8.000 Bauernstellen. Die Hälfte davon siedelte in zirka 200 neuen Koloniedörfern. Jede neues Dorf hatte etwa 10 - 20 Feuerstellen (Mehrfamilienhaushalte). Eine Feuerstelle konnten bis zu 20 Seelen umfassen. Die andere Hälfte zog in bereits bestehende Dörfer oder in früher aufgelassenen Siedlungsplätzen, häufig als Freigärtner (Kleinbauer).
Die Ansiedlungen wurden in Form von Meliorationspläne durch jährliche Mittelvergabe zunächst an die bisherigen staatlichen Domänengüter später auch an die adligen Privatgüter gelenkt. Großenteils ging es um die Urbarmachung großer, unbewohnter oder wenig bewohnter Landstriche, etwa um Moorkolonisation im Großen Moosbruch. Typischerweise entstanden hierzu Kolonistenhäuser in der Formation eines Straßendorfes, in denen sich Exulanten u.a. als Freigärtner ansiedelten. Als Freigärtner, auch Freileute genannt, bezeichnete man Kleinbauern, die überwiegend vom Ertrag einer kleinen Landwirtschaft und zusätzlicher Ausübung eines Handwerks oder Kleinhandel lebten. Für das Land zahlten sie zunächst nichts. Allerdings entrichteten sie einen jährlichen Zins.
Zunächst mussten viele dieser Kolonisten das ihnen zugeteilte Land urbar machen. Neben Rodungen bedeutete dies vor allem auch die Trockenlegung von Sümpfen und weitere wasserbauliche Maßnahmen. Da dieses notwendige Know-how insbesondere im niedersächsischen, niederländischen und flandrischen Raum vorhanden war, wurden sehr häufig Immigranten aus diesen ohnehin dicht bevölkerten Gebieten angeworben. Eine weitere mitgebrachte Innovation betraf die Milchverarbeitung und Käseherstellung. Auch die Handwerkssiedler brachten neue Techniken mit. Auch die Handwerkssiedler brachten neue Techniken ihrer Zünfte mit. So waren neuartige Tonwaren zur Aufbewahrung von Lebensmitteln sehr begehrt.
Die zweite wesentliche Aufgabe war dann die Bewirtschaftung des Landes. Auch hier wurden Innovationen mitgebracht. Solche Maßnahmen waren zum Beispiel die Dreifelderwirtschaft, der Räderpflug mit Streichbrett und die langgestielte Sense.
Teilweise wurden diese Dörfer „Hauländereien“ genannt. Als Hauländer (auch Holländer, polnisch Hollendrzy, Holędrzy, Holendrzy, Olędrzy, Olendrzy – altpolnisch für Niederländer) wurden in Preußen und Polen-Litauen niedersächsische, niederländische und flämische mennonitische Siedler bezeichnet, die auf königlichen Ländereien – den Domänen – und in Gutsbezirken - den Rittergütern - als Exulanten angesiedelt wurden. 1772 lebten in Ostpreußen 12.032 Mennoniten. Im späten 18. Jahrhundert wanderte davon etwa 9.000 Mennoniten auf Grund der Verweigerung des Kriegsdienstes wieder aus und bildete den Kern der mennonitischen Siedlungen in Russland, während der Rest der Mennoniten nach der Annexion der Region durch Preußen in den Teilungen Polens, in West- und Ostpreußen blieben. Bis 1807 fand man sie vor allem in Posen und Ostpreußen. Danach wanderten viele Mennoniten weiter nach Nordamerika.
Hauländer siedelten in eigenen Dörfern, den Hauländereien. Für sie galt ein liberaleres Recht als für den üblichen Bauern in Preußen, der im Fronverhältnis zum jeweiligen Gutsherrn stand und damit Leibeigener war. Keine Herrschaft durfte einen Fremden in ihrer Gemeinde aufnehmen. Wer keinen Losbrief vorzeigen konnte, hatte seine Herrschaft ohne Erlaubnis verlassen. Entlaufene leibeigene Untertanen wurden dann polizeilich in ihre Herrschaft zurückgeführt. Vereinbarungen mit den adeligen Landbesitzern in Form von Losbriefen, niedrige Zinsabgaben und Vererbungsmöglichkeiten sicherten den rechtlichen Status der Hauländern ab. In den Domänengütern war die Rechtsstellung entsprechend zentral geregelt. Streitig blieb allerdings der Kriegsdienst.
Losbriefe, durch die sich die verschiedenen Kolonisten, reichsdeutsche Neusiedler und Umsiedler innerhalb Ostpreußen aus der Leibeigenschaft entlassen ließen, förderten die friderizianische Kolonisation. Voraussetzung war allerdings die Zahlungsfähigkeit.
Gründe für den Losbrief waren:
- Freikauf der Leibeigenen. (Geldmangel der Herrschaft führte dazu, dass sich Untertanen von ihnen loskaufen konnten)
- Wanderschaft eines Handwerksgesellen der Meister werden wollte.
- Heirat und damit zusammenhängender Wegzug in eine andere Pfarrei als der eigenen war nur mit dem Losbrief des Herrn möglich.
In Ostpreußen des 18. Jahrhunderts wurde beispielsweise zum Freikauf ein Betrag zwischen einem und zehn Taler, je nach Vermögen der Leibeigenen, genommen. Der Wert zum Vergleich, eine Milchkuh kostete einen Taler. Ein Losbrief war nur von der Gutsherrschaft auszustellen, er sollte den Namen der Herrschaft, den Namen des Untertanen und den Grund bzw. die Ursache der Loslassung beinhalten.
Friedrich II. von Preußen (1712–1786), nach dem die Friderizianische Kolonisation benannt ist, wird folgendes Zitat zugeschrieben: „Alle Religionen seindt gleich und guth, wan nuhr die leute, so sie profesiren, Ehrlige leute seindt, und wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land pöplieren, so wollen wir sie Mosqueen und Kirchen bauen“. Quelle: https://de.wikiquote.org/wiki/Friedrich_II._(Preu%C3%9Fen)
Großenteils ging es um die Urbarmachung großer, unbewohnter oder wenig bewohnter Landstriche, etwa um Moorkolonisation. Typischerweise entstanden hierzu Kolonistenhäuser in der Formation eines Straßendorfes, in denen sich Exulanten u.a. als Freigärtner ansiedelten. Losbriefe, durch die sich zahlungsfähige Kolonisten aus der Leibeigenschaft entlassen ließen, förderten die friderizianische Kolonisation. Als Freigärtner, auch Freileute genannt, bezeichnete man Kleinbauern, die überwiegend vom Ertrag einer kleinen Landwirtschaft und zusätzlicher Ausübung eines Handwerks oder Kleinhandel lebten.
In einem Schreiben vom 21. Januar 1777 wies Friedrich II. seinen Etatminister von Gaudy an, die Aufmerksamkeit der Melioration „ostpreußischer und litthauischer Brücher“ zuzuwenden.
In Ostpreußen waren Melioration eine kulturtechnische Maßnahmen zur Werterhöhung des Bodens. Sie diente
- zur Steigerung seiner Ertragsfähigkeit,
- zur Vereinfachung seiner Bewirtschaftung und
- zum Schutz vor Schädigung oder Zerstörung
Solche Maßnahmen waren zum Beispiel Dreifelderwirtschaft, Räderpflug mit Streichbrett, langgestielte Sense, Wasser- und Windmühlenbau, Deichbausysteme und die Eindeichung von Überschwemmungsgebieten, die Bewässerung, die Entwässerung durch Drainierug, die Urbarmachung von Ödland und die Moorkolonisation.
Das Großes Moosbruch (russisch Большое Моховое болото Bolschoje Mochowoje boloto) ist ein großes Moor am Südostufer des Kurischen Haffs und östlich des Flusses Deime, etwa 20 Kilometer nordöstlich der Kreisstadt Polessk (Labiau). Die Größe des Moosbruchs wird mit einer Fläche von 125 qkm angegeben. So begann auch die Besiedlung des Moosbruches in Ostpreußen in der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Veranlassung des preußischen Königs Friedrich II. Entlang dem Moorrand wurden nach und nach 17 Kolonistendörfer mit 5348 Einwohnern im Jahre 1904 gegründet. Jeder Kolonist erhielt 6 Morgen Land, je zur Hälfte an den Flüssen gelegenes Niedermoor und sich daran anschließend Übergangs- bzw. Hochmoor. Damit möglichst alle Kolonisten Zugang zu den schiffbaren Flüssen erhalten konnten, wurden die Parzellen mit 26 m möglichst schmal gehalten. Bei den Zuschussparzellen waren es nur 10-12 m. Typischerweise entstanden hierzu Kolonistenhäuser in der Formation eines Straßendorfes. Die Kolonistenhäuser wurden nach einheitlichen Plänen errichtet.
Im Moosbruch in den Siedlungsdörfern Laukenen und Carlsrode wurden 1820 und 1862 zwei Tuttlieser Familien angesiedelt. Die Laukener Tuttliesen waren ein Pionierfamilie, die eine zweite nachzog. Beide Familien kamen beide ursprünglich aus Treinlauken/Kreuzberg, da hier die Böden sehr sandig waren und wenig Ertrag brachten. Im Große Moosbruch wurden hauptsächlich Kartoffeln und Zwiebeln angebaut. Zippelbauern fuhren bis 1914 über Land, um ihre Ware zu verkaufen. In Willschicken wurden sie freudig erwartet. Bis 1910 kamen zu Weihnachten in Willschicken bei den dortigen Tuttliesen immer eine Pferdefuhre mit Torf aus Laukenen an.
Infolge des 2. Weltkrieges wurden die Moorkolonien im Januar 1945 verlassen und später nicht wieder besiedelt; sie sind von der Landkarte verschwunden.
Siehe auch Große Moosbruch: https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fes_Moosbruch
Im Jahre 1785 hatte sich Wilschicken zu einem Chatouldorf mit 15 Feuerstellen (Wohngebäude von Großfamilien) entwickelt
1785 war Wilschicken war ein Schatulldorf - auch Chatouldorf - und hatte sich zu einer Dorfgröße mit 15 Feuerstellen entwickelt. Es war dem Landrätliche Kreis Tapiau, Amt Lapöhnen zugeordnet. 23 % im Kirchspiel Aulowöhnen waren Schatull- und Erbfrei-Bauern und siedelten 1811 dort in 14 Schatulldörfer.
Jede neues Dorf hatte etwa 10 - 20 Feuerstellen (Mehrfamilienhaushalte). Die Feuerstelle war damals in der Regel ein Wohnhaus mit einer Großfamilien aus verschiedenen Generationen. Dazu kamen noch Knechte und Mägde. Damalige Statistiker schätzten, dass pro Feuerstelle zwischen 10 bis 20 Personen zusammen lebten. So waren 1815 im Landkreis Insterburg in den gezählten 3.845 Feuerstellen 25.619 Seelen zu Hausen, im Kirchspiel Aulowönen waren es im selben Jahr in den 430 Feuerstellen 2.772 Seelen und in Willschicken in 4 Feuerstellen 65 Seelen.
Schatuller waren überwiegend vermögende Binnenwandere. Sie hatten ihren Boden direkt beim König über die Domänenämter häufig auf Kredit gekauft. Die Kaufsumme dieser Bauern flossen direkt in die Schatullkasse des Königs. Neben Grundzins und Personensteuer hatten sie meist keine weiteren Abgaben zu entrichten. Auch diese Zinserträge wurden nicht an die lokalen Ämter sondern direkt in die Schatulle des Königs abführte.
Schatullgrundstücke entstanden durch Rodungen und Kultivierung von Wald und Ödland. Die Höfe wurde von der Domänenverwaltung in Form von Straßendörfern organisiert. Diese Bauernstellen waren aber vermögenden Siedlern vorbehalten, da der Boden gekauft werden musste. Bewährte sich der Siedler, so erhielt er nach einigen Jahren seine „Berahmung“ – eine gerahmte Besitzerurkunde.
Im Kirchspiel Aulowöhnen siedelten etwa 5 % Koloniebauern. Es waren Glaubensflüchtlinge aus dem Ausland. Teilweise waren sie in den 5 reine Koloniedörfern im Kirchspiel zu finden, teilweise siedelten sie in den angrenzenden Gemeinden.
45 % der Bauern im Kirchspiel Aulowöhnen waren Scharwerksbauern. Sie waren zur Fronarbeit auf den Gütern gezwungen und durften ihre Wohnsitze nicht verlassen. Sie arbeiteten einschließlich der Familienmitglieder auf dem Gut in der Landwirtschaft und im Gutshaushalt, in wöchentlichen Zeiträumen, die der Gutsbesitzer vorgab. Das Scharwerk musste an zwei bis drei Tagen in der Woche geleistet werden, wurde aber oft auch täglich verlangt. Nur an Sonntagen und großen Festtagen sollte niemand zum Scharwerk gerufen werden. Eine Befreiung vom Scharwerk musste mit Geld oder Naturalien an den Gutsherrn abgegolten werden. Das Scharwerk wurde 1802 in Ostpreußen aufgehoben. Sie waren zur Aufrechterhaltung ihres Lebensunterhaltes aber auch nebenbei Kleinbauern auf teilweise gepachtetem Land. Die Kinder konnten das Pachtland oft nicht erben und mußten ihren Lebensunterhalt dann als Gesinde oder Tageslöhner auf den Gütern verdienen oder auswandern. Die Scharwerker siedelten im Kirchspiel Aulowöhnen in 7 reinen Scharwerkdörfern und in 21 gemischten Gemeinden.
Die "Kölmer und Freie" (bis 1811 etwa 22 % im Kirchspiel Aulowöhnen), die späteren Großbauern, standen in der sozialen Rangordnung der Landbewohner an der Spitze. Sie besaßen großen Grundstücke als freies Eigentum zu besonderen (kulmischen) Rechten, die sie meist schon während der Ordens- und Herzogenzeit erhalten hatten. Sie siedelten sich auch häufig schon während der Herzogzeit in die Umgebung der damals vorhandenen Dörfern an und kauften dort in Großen Maße Land auf oder eigneten sich es rechtswidrig durch "Bauernlegen" an. Neben den Großbauern gab es im Kirchspiel Aulowöhnen 9 Culmischen Gütern, 3 Rittergütern und 2 Forsten.
Dazu kamen die Landarbeiter. Ulrich Wehler berichtet: „Auch im ostpreußisch-litauischen Kammerbezirk mit seinen relativ vielen sichergestellten Domänen- und Adelsbauern (25 787) hat man für 1802/04 gezählte 47 229 Unterbäuerliche (Eigenkäter, Kossäten, Insten, Hirten und Handwerker) also ein Verhältnis von fast 1 zu 2 ermittelt.“
Siehe dazu im Text das Kapitel: 4.2 Gruppen der Landbevölkerung vor der "Bauernbefreiung"
Insgesamt wurden in den Jahren 1740/47-1786/87 im Rahmen der friderizianischen Kolonisation in Ostpreußen etwa 25.000 Familien angesiedelt. Bis 1806 entstanden so in Ostpreußen etwa 8.000 Bauernstellen. Die Hälfte davon siedelte in zirka 200 neuentstandenen Dörfern. Die andere Hälfte zog in bereits bestehende Dörfer oder auf früher aufgelassenen Siedlungsplätzen.
Entwicklungsdaten | Landkreis Insterburg | Kirchspiel Aulowönen | Schatulldorf Willschicken |
---|---|---|---|
Einwohner | Anzahl | Anzahl | Anzahl |
Feuerstellen 1785 | 3.481 | 430 | 15 |
Feuerstellen 1815 | 3.845 | 430 | 4 |
Einwohner 1939 | 43.032 | 4.995 | 127 |
Dörfer 1811 | % | % | % |
Scharwerker-Dörfer | 60,0 | 45,0 | 0,0 |
Schatull-Dörfer | 12,0 | 23,0 | 100,0 |
Kolonisten-Dörfer | 8,0 | 8,0 | 0,0 |
Großbauern, Güter und Forsten | 20,0 | 22,0 | 0,0 |
Gesamtzahl der Dörfer absolut | 582 | 61 | 1 |
Hof-Flächen in ha 1939 | % | % | % |
0,5 - 5 | 36,4 | 39,7 | 23,0 |
5-10 | 21,2 | 22,4 | 27,0 |
10-20 | 20,6 | 16,3 | 27,0 |
20-100 | 17,9 | 18,3 | 23,0 |
100-10.000 | 3,9 | 3,3 | 0,0 |
Gesamtfläche in ha absolut | 120.300 | 11.928 | 320 |
Beschäftigte 1939 | % | % | % |
Landwirtschaft | 74,5 | 81,4 | 89,0 |
Handwerk und Industrie (*) | 18,9 | 15,3 | 11,0 |
Handel (**) | 6,6 | 3,3 | 0,0 |
Gesamtzahl der Beschäftigten absolut | 36.212 | 4.370 | 104 |
(*) Die Industrie in Insterburg beschäftigt sich mit Flachsspinnerei, Maschinen-, Ofen-, Kunststein-, Zementrohr- und Schuhwarenfabrikation, Knochen und Gipsmüllerei, Gerberei und Bierbrauerei. Bedeutend war auch die Pferdezucht, für die in Georgenburg das litauische Landgestüt bestand. Alljährlich fanden in Insterburg zwei große Pferderennen statt.
(**) In Aulowönen gab es: Adler Apotheke: Luise Barkow, Emil Eschmann, Adolf Günter, Julius Gefeller; Dampfziegelei: Ewald Guddadt, Gustav Knackstädt, Arthur Meyer; Gastwirtschaft: August Rautenberg; Dampfmühle: Otto Schiemann; Ziegelei: Teufel Emma Teufel; sowie eine Molkereigenossenschaft; An- und Verkaufsgenossenschaft; Raiffeisenkasse; Volksbank Insterburg (Nebenstelle); Landmaschinenreparatur u. Pflugfabrik: Karl Hertzigkeit; Autoreparatur u. Handel: Schwarznecker u. Reck; Buchdruckerei: Curt Stamm; Arzt: Dr. Epha; Tierarzt: Jaeckel; Zahnarzt: (Dentist) Quidor.
(*) In Willschicken gab es eine Privat-Molkerei und eine Windmühle
Quelle: Kurt Henning, Charlotte Henning: Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen. Ein Ortsnamen-Lexikon. o. O. (Grasdorf-Laatzen)
Im Viertes Hauptstück der Vollständigen Topographie des Königreichs Preußen darin; Vollständige Topographie vom Lithauischen Cammer-Departement von Johann Friedrich Goldbeck, 1785, auf den Seiten S 206 / 7 ist zu finden:
"Willschicken gehörte zum Landräthlichen Kreis Tapiau, zum Justizkreis Insterburg, zum Domänenamt Lappöhnen, eingepfarrt zur Kirche in Aulowönen, der Patron des Dorfes ist der König."
Gleichzeitig wird auch eine Feuerstelle eines Halbmeister (Abdecker) in Willschicken aufgeführt, die aber zum Amt Laukischken gezählt wurde. [90]
Die Fläche des damaligen Schatulldorfes Willschicken war aufgrund der Zuordnung zu Tapiau wesentlich größer, als nach der Kreis Reform von 1818. Willschicken wurde ab 1818 dem Kirchspiel Aulowönen zugeordnet und hatte jetzt eine kleinere Fläche, da die in Streulage liegenden Einzelgehöfte der Chatoulbauern anderen Gemeinden zu geordnet wurden. Hintergrund war die Anweisung zu Ausweisung von überregionalen Siedlungsgebieten in Form von eigenen Gemeinden und den einheitliche Vorschriften für den regionalen Hausbau der Kolonisten.
Das alte Hauptamt Insterburg stellt 1735 das größte der vier preußisch-litauischen Hauptämter dar und umfasste 29 Ämter.
Verwaltungstechnisch bildete im Jahr 1752 König Friedrich II. in Preußen aus den vier alten Hauptämtern Insterburg, Memel, Gumbinnen und Ragnit und das neue Hauptamt Insterburg. Dieses hatte eine Fläche von ca. 8860 km² und im Jahre 1800 265.088 Einwohner.
Aus dem Gebiet des neuen Hauptamtes Insterburg von 1752 wurden 1818 elf neue Kreise gebildet, darunter auch ein neuer, deutlich kleinerer Kreis Insterburg (Stadt und Land). Der neue Kreis Insterburg, 1818 gebildet, umfasst 1430 km² und hatte zusammen 58.891 Einwohner.
Im neuen Kreis Insterburg dominierten kleinere und mittlere landwirtschaftliche Betriebe. Eine Grundfläche von mehr als 100 ha wiesen nur 158 Güter aus. Davon waren 48 Betriebe als Rittergüter anerkannt oder diesen als kölmischen Gütern gleichgestellten. Dazu kam der gesamte Besitz der Fürsten von Anhalt-Dessau in Ostpreußen mit einer Fläche von rd. 125 km², der auf Betreiben von König Friedrich Wilhelm I. von 1724 bis 1726 an die Fürsten verkauft worden war und in 8 Rittergütern aufgeteilt wurde. Diese bestanden bis 1945.
Der neue Kreis Insterburg gehörte bis 30.04.1815 zum Königsberger Departement und wurde dann zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen. Dieser neue Kreis umfasste das Gebiet mit überwiegend litauischsprachiger Bevölkerung. Es waren die 10 Amtsbezirke (Kirchspiele) Aulowönen (mit der Gemeinde Willschicken), Berschkallen, Didlacken, Georgenburg, Insterburg, Jodlauken, Norkitten, Pelleningken, Norkitten und Saalau.
Auch die Amtszugehörigkeit von Willschicken erfuhr Veränderungen. Es gehörte zunächst zum Amt Lapöhnen. Lapöhnen war 1785 zugleich königliches Amt und Hauptgut mit 3 Vorwerken. Das Hauptgut war ein Rittergut unter dem direktem Patronat des Königs. 1785 besaß das Dorf 5 Feuerstellen mit 53 Bewohnern. Das Domänen-Amt Lappönen hat 42 Dörfer mit 382 Feuerstellen. Es gehörte damals zum Landrätlicher Kreis Tapiau. 1867 hatte das Dorf Lapöhnen 159 und 1905 etwa 143 Einwohner.
Am 11. März 1874 wurde das Kirchspiel Groß Aulowöhnen namensgebend für einen neu errichteten Amtsbezirk, zu dem jetzt auch Willschicken gehörte. Der Ort Aulowönen war jetzt ein Amtsdorf. Die Einwohnerzahl des Ortes Aulowönen mit Kirche, Gut, Schule und zwei Ziegeleien betrug im Jahre 1910 etwa 341, im Jahre 1939 waren es schon 1.049 Einwohner. Kalinowka (russisch Калиновка, deutsch Aulowönen), 1938 – 1945 Aulenbach (Ostpreußen), litauisch Aulavėnai) ist ein Ort in der russischen Oblast Kaliningrad. Er gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Munizipalkreis Tschernjachowsk zur Landgemeinde im Rajon Tschernjachowsk. Gleichzeitig wurde der Ort Sitz eines Dorfsowjets und Verwaltungssitz und hatte 2010 etwa 457 Einwohner.
Siehe dazu auch: Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
1874 wurde das Amt von Lapöhnen nach Aulowönen verlegt. 1927 wurde das Gut aufgesiedelt. In Kriegsfolge kam Alt Lappönen 1945 mit dem nördlichen Ostpreußen zur Sowjetunion. Datschnoje (russisch Дачное, deutsch Alt Lappönen, litauisch Lapėnai) ist ein Dorf (russisch дере́вня село́) in der russischen Oblast Kaliningrad. Er gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Tschernjachowsk im Rajon Tschernjachowsk.
1947 erhielt der Ort Lapöhnen den russischen Namen „Datschnoje“ und wurde gleichzeitig dem Dorfsowjet Kalinowski selski Sowet im Rajon Bolschakowo zugeordnet. Später gelangte der Ort mit dem Dorfsowjet in den Rajon Tschernjachowsk. Von 2008 bis 2015 gehörte Datschnoje zur Landgemeinde Kaluschskoje selskoje posselenije und seither zum Stadtkreis Tschernjachowsk. Nach 1945 wurde das ehemalige Gut Lapöhnen eine Kolchose mit 24 Kolchosbauern. Von den ursprünglich insgesamt etwa 1.400 ha. vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen der folgenden alten Gemeinden, wurden auf Grund von Boden-Vernässung, fehlender Arbeitskräfte und Wirtschaftlichkeit 2010 nur noch etwa 600 ha. bewirtschaftet.
Die Kolchoshöfe lagen in den alten Gemeinden:
- Alt Lappönen später Lapöhnen mit damals 565 ha. - 2010 russische Siedlung Datschnoje mit 11 bewirtschafteten Höfe
- Willschicken später Wilkental mit damals 320 ha. als Siedlung aufgelassen - 2010 mit 4 bewirtschafteten Resthöfen
- Paducken später Padau mit damals 167 ha. als Siedlung aufgelassen - 2010 mit 2 bewirtschafteten Resthöfen
- Keppurlauken später Birkenhof mit damals 437 ha. als Siedlung aufgelassen - 2010 mit 7 bewirtschafteten Resthöfen
Die Höfe im Kolchos Datschnoje wurden teils in zerstörten Gebäuden wiederhergerichtet, teils sind es Neubauten.
Im Zuge der Privatisierung der Landwirtschaft in Russland gab es jedoch seit 1991 große Veränderungen. Siehe dazu in diesem Text das Kapitel 9 AUSBLICK AUF DEN OBLAST KALININGRAD
Ein- und Ausfuhren in und von Königsberg 1797 - 1802
Nach dem Niedergang der Hanse hatte sich der Fernhandel neu organisiert. Um 1650, als das polnische Einzugsgebiet von Danzig seine Blüte erlebte, war Danzig mit ca. 77.000 Menschen – vor Wien, Augsburg, Köln und Hamburg – die volkreichste Stadt mit einer deutschen Einwohnerschaft. Es war zugleich der größte Getreidehafen der Ostsee geworden. Mit dem beschleunigten Niedergang des polnischen Staates zeichnete sich in den 1760er Jahren immer deutlicher ab, dass Preußen eine Annexion Danzigs anstrebte. 1783/84 verhängte der preußische König eine Blockade gegen Danzig. In diesen Jahren kam es zu einem dramatischen Niedergang des Danziger Handels und des mit diesem verbundenen städtischen Gewerbes; die Stadt verarmte regelrecht. Die Einwohnerzahl ging auf etwa 36.000 zurück. Im Zuge der Zweiten Polnischen Teilung fiel Danzig durch die Annexion 1793 an die Hohenzollern. Damit verlor die Stadt ihren autonomen Status und ihre Freiheit als Stadtrepublik an die absoluten Monarchie der Hohenzollern.
Für das ländlich geprägte Ostpreußen war nun Königsberg um 1800 der wichtigste Hafen geworden und war geleichzeitig der größte Ausfuhrhafen für das in Ostpreußen produzierte Getreide. Er übertraf damit deutlich das früher führende Danzig. Etwa 60 % der Landwirtshaft in Ostpreußen bestand zu dieser Zeit aus Getreideanbau. Allerdings wurden die Hafen-Aktivitäten von Königberg durch die drei Polnischen-Teilungen 1772,1793 und 1795 beeinträchtigt. Über die Ein- und Ausfuhr im Königsberger Hafen von 1797 bis 1802 geben die hier beigefügten sechsjährigen Tabellen einen näheren Aufschluss. Quelle: Ludwig von Baczko, Versuch einer Geschichte und Beschreibung Königsbergs.
1784 brachte der Export von 3 Millionen Scheffel Getreide aus dem Königsberger Hafen noch 400.000 Thaler. Der gesamte Umfang der Königsberger Ausfuhren zur See lag in den Jahren 1785 bis 1787 knapp unter zwei Millionen Thaler. Der Konkurrenzhafen Riga erwirtschaftet dagegen im selben Zeitraum vier Millionen Thaler Umsatz. Der Grund lag darin, daß Russland in seinem annektierten Teil von Polen die Ausfuhr der Produkte nach Preußen mit zwölf Prozent Zoll belegte, die Einfuhr nach Riga von allen Abgaben befreit waren. Dazu kamen für preußische Produkt erhöhte Einfuhrzölle nach Polen.
Die preußische "Seehandlungssocietät" besaß das Monopol für Tabak und später auch für Kaffee. Die Einfuhrverbote für Königsberg von schwedischem Kupfer, wurden aufgehoben, da die preußischen Bergwerke nicht genug liefern konnten. Das Kupfer wurden zu den Abnehmer in Polen und Galizien (Österreich) auf dem Landwege zu den dortigen Kupferhütten weiter transportiert.
Nicht ausreichend getrocknete Getreide konnte von Königsberg nach Dänemark und Schweden auf kurzem Wege verschifft werden, da bei längeren Seefahrten Schimmelgefahr drohte. War das Getreide voll ausgetrocknet konnte es auch längere Seetransporte antreten, z. B. nach England, Frankreich, Spanien oder Portugal.
Aus Schweden kamen Pech, Teer, Stabeisen, Kupferblecht und Baumaterialien. Dänemark lieferte Heringe, Stockfisch und "indische Waren“. Durch die Schwedenfahrten erzielte Königsberg einen jährlichen Gewinn von 150.000 Thaler.
Königsberg lieferte nach England Weizen, Roggen, Leinsaat, Hanf, Flachs, Asche, Holz und Garn für jährlich etwa 200.000 Thaler. Hinzu kamen große Mengen von Holz für den Schiffsbau, die nach Memel geflößt wurden für jährlich etwa 5.000 Thaler. Diese Holztransporte wurden von Königsberg mit verwaltet.
Die aus England eingeführten Waren bestanden aus Zinn, Blei, Steinkohlen, englische Biere, verschiedene Material- und Fabrikwaren – wie Stoffe und Tuche aus Manchester, Tabaksblätter, schottisches Salz und verschiedene „ostindische und amerikanische Waren“.
Nach Frankreich gingen Leinsaat, Flachs, Hanf, Holz, Pottasche und Getreide. Aus Frankreich kamen Weine, Brandweine, Süße-Waren, Salz, Kaffee und rohen Zucker. Seidenen-Waren wurden größtenteils auf dem Landwege nach Königsberg gebracht. Vor der Russischen Annexion ging der größte der aus Frankreich kommende Teil dieser Waren weiter nach Polen.
Der Handel von Königsberg nach Spanien und Portugal wurde wegen der afrikanischen Seeräuber fast nur mit fremden Schiffen durchgeführt. Es wurden Getreide, Holz, Hanf und Leinen geliefert und Königsberg erhielt von dort Salz und süßen Wein. Bei diesem Handel dienen die Holländer größtenteils als Zwischenhändlern. Aus Holland kamen direkt ostindische Gewürz und Material-Waren - wie Tuche und dorthin wurden ostpreußische Landeserzeugnisse verschifft.
Zusätzlich wurden jährlich für etwa 600.000 Thaler ostpreußische Fabrikate über Königsberg in andere preußische Provinzen und Teile des Reiches versandt, was zusätzlich zu einem erheblichen Verwaltungsaufwand führte. Im altpreußischen Gebiet kannte man 1817 noch 57 Zolltarife für etwa 3000 Waren im inneren Verkehr. Die anderen Reichsteile besaßen darüber hinaus noch jeweils sehr unterschiedliche eigene Zollsysteme.
Holland, Großbritannien, Frankreich und Dänemark waren nach den napoleonischen Kriegen stark an einem freien Handel interessiert. Preußen hingegen hielt zunächst an seine eigenen Aus- und Einfuhrzöllen fest. Als Folge des Wiener Kongresses (1815) ordnete Preußen 1818 das Wirtschafts- und Finanzsystem mit dem preußischen Zoll- und Verbrauchsteuergesetz neu. Die Zollerhebung wurde an die Außengrenzen Preußens verlegt. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen ließ daraufhin Provinzial-Steuer-Direktionen errichten. Als am 1. Januar 1834 der Deutsche Zollverein gegründet wurde, führte dies dazu, dass dem politischen Vielerlei des deutschen Staatenbundes die kompakte wirtschaftliche Einheit eines Zoll-Bundesstaates unter Führung Preußens gegenüberstand. Ziel des Zollvereins war die Schaffung eines wirtschaftlichen Binnenmarkts und die Vereinheitlichung fiskalisch-ökonomischer Rahmenbedingungen. Das einheitliche Vereinszollgesetz von 1869 wurde 1871 in Reichsrecht verwandelt. 1879 setzte unter Bismarck wieder eine verstärkte Schutzzollpolitik, insbesondere gegen englische Waren ein.
Ab 1806 kam es in Willschicken zur Zwangsabgabe von Lebensmitteln und Vieh an die durchziehende französische Armee
Nach den Niederlagen in den Schlachten von Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 kam es zum Zusammenbruch der preußischen Armee. Zunächst wurde das Königsberger Umland Flucht- und Rückzugsgebiet der in der Schlacht bei Jena und Auerstedt geschlagenen Preußischen Armee. Truppen und Festungen kapitulierten vor den Franzosen unter Kaiser Napoleon I., der am 27. Oktober 1806 in Berlin einzog. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. floh nach Ostpreußen.
Nach der weitgehenden Vernichtung der preußischen Armee im Feldzug von 1806 plante Napoleon, die zur Unterstützung Preußens in Ostpreußen eingerückten russischen Streitkräfte in einer Entscheidungsschlacht zu stellen. Am 7. und 8. Februar 1807 wurde die französische Armee von russischen Streitkräften in der Schlacht bei Preußisch-Eylau zurückgeschlagen. Von diesem Rückschlag ernüchtert, bot Napoleon Friedrich Wilhelm III. einen Waffenstillstand an, demzufolge Preußen lediglich auf seine Gebiete westlich der Elbe verzichten musste. Friedrich Wilhelm III. lehnte jedoch ab, da er hoffte, dass weitere russische Angriffe die Waagschale zugunsten Preußens neigen würden. Eine weitere russische Verstärkung blieb jedoch aus und Napoleon schlug die russische Armee in der Schlacht bei Friedland vernichtend. Am 14. Juni 1807 musste Zar Alexander I. um Waffenstillstand bitten.
Nach dem Ende des Alten Reiches am 6. August 1806 führte Friedrich Wilhelm seine Reichstitel Kurfürst und Erzkämmerer des Reiches zunächst weiter. Erst 1809 legte er sie ab.
1807 wurde Königsberg von den Franzosen besetzt. Vier Tage lang brandschatzten sie die Stadt und zwangen die Einwohner, eine Zahlung in Höhe von 4 Millionen Francs aufzubringen.
Im Jahre 1807 verwüsteten die Franzosen auch die Kirche und das Pfarrhaus in Aulowönen, raubten die Abendmahlsgeräte und verbrannten Kirchenbücher.
In der Kirchenrechnung von 1806/07 heißt es dazu :
"Da durch die öfteren und mehr als hundertfachen Plünderung, auch durch gewaltiges Erbrechen der Schranken, welche die hiesigen Widdem in 3 Wochen, besonders den 18., 19, und 20. Juny hatte erdulden müssen und wobei Pfarrer an Geld, Silber, Vieh, Pferde, Wagen und Getreide gegen 3000 Reichsthaler wenigsten verlohren hat und unter anderem zwey beutel von 100 Groschen grob Courant und ein beutel wenigstens von 80 Groschen mit Schulgeld verlohren gegangen, so sind wenigsten hundert und achtzig Groschen hier in Rest gebrachtworden".
Siehe dazu auch: Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Am 25. Juni 1807 begannen in Tilsit die Friedensverhandlungen zwischen Napoleon und Zar Alexander I. auf zwei Pontonbooten, die in der Mitte der Memel, der Demarkationslinie zwischen den französischen und den russischen und preußischen Truppen in Ostpreußen, verankert waren, während der König von Preußen am Ufer zurückbleiben musste.
War das franko-russische Abkommen vom 7. Juli 1807 in Tilsit noch ein Abkommen unter Gleichen, hatte der mit Preußen fünf Tage später geschlossene Vertrag den Charakter eines Diktatfriedens. 1807 sind von Preußen an Frankreich als Kriegskontribution insgesamt zu leisten: 75.750 Pferde, 228.000 Stück Vieh, 1.079.065 Scheffel Winterkorn, 1.322.122 Scheffel Hafer, 1.195.162 Scheffel anderer Früchte, dazu 75.529.058 Taler an anderen Leistungen – in Geld umgerechnet insgesamt 99.349.156 Taler. Die noch zusätzlich aufgelegen Kriegskosten für die Städte Königsberg betragen 4 Mio und für Elbing 2,8 Mio Taler. Die Städte brauchen für die Rückzahlung fast 100 Jahre. Zum Vergleich: Die preußischen Staatsausgaben hatten im Friedensjahr 1805 knapp 27 Mio. Reichstaler betragen (davon über 17 Mio. für das Militär und fast 7 Mio. für Hof- und Ziviletat). Der angesparte Staatsschatz zählte bis dahin fast 3 Mio. Reichstaler.
Im Königsberger Folgeabkommen vom 12. Juli 1807 verpflichtete sich Frankreich, seine Truppen aus Preußen Zug um Zug entsprechend der Abgeltung der noch festzusetzenden Kriegskontribution zurückzuziehen. Deren Höhe wurde von Napoleon erst am 8. September 1808 in der Pariser Konvention festgelegt. Preußen hatte danach drei Jahre lang jährlich eine Kriegskontribution von 120 Mio. Francs (über 32 Mio. Preußische Reichstaler) zu leisten, bis zur Zahlung sollten in den Oder-Festungen französische Garnisonen von insgesamt 10.000 Mann verbleiben. Das preußische Heer, bei Kriegsbeginn 1806 etwa 235.000 Mann stark, war auf 42.000 Mann zu reduzieren. Die Aufstellung oder Ausbildung jeder Art von Miliz oder militärischer Reserve wurde untersagt. Preußen unterlief das Verbot ab 1808, mit Einrichtung einer Reservearme (Krümpersystem). Frankreich verpflichtete sich, Preußen, mit Ausnahme der Festungen, innerhalb von 40 Tagen zu räumen. Damit endete im Dezember 1808 die Anwesenheit französischer Truppen in Städten und Dörfern Preußens, nicht aber in den Festungen Stettin, Küstrin und Glogau.
Auf dem Höhepunkt des französischen Kaiserreichs bestanden die Truppen 1812, die für Russland aufgeboten wurde, aus etwa 530.500 Mann. Es in ihrer Mehrheit nicht aus Franzosen, sondern aus Kontingenten von mehr als 20 verschiedenen Nationalitäten. Zu den 300.000 Franzosen, Holländern und Belgiern kamen 95.000 Polen (kommandiert von General Prinz Józef Antoni Poniatowski), 35.000 Österreicher (kommandiert von Karl Philipp zu Schwarzenberg), 25.000 Italiener, 20.000 Sachsen, 20.000 Preußen (kommandiert von General Grawert, dann von Ludwig Yorck von Wartenburg), 17.000 Westfalen, 15.000 Schweizer und 3.500 Kroaten.
Ausgangspunkt für den Russland Feldzug war Kauna. Hier starteten 1812 422.000 Soldaten und 1813 kehrten 10.000 zurück. Ostpreußen war jeweils Durchzugsland. Kaunas (deutsch veraltet Kauen, russisch Ковно Kowno, belarussisch Коўна Kouna, polnisch Kowno, hebräisch קובנה) ist mit über 315.000 Einwohnern (Stand 2021) die zweitgrößte Stadt Litauens und das Zentrum des Regierungsbezirks Kaunas.
Die Zahl der zivilen und militärischen Toten, während der Napoleonischen Kriege 1806 - 1815 wird in Ostpreußen insgesamt auf über 200.000 berechnet. Einige Angehörige der napoleonischen "Großen Armee" verblieben aber auch in Ostpreußen. Es waren hauptsächliche Handwerker, die später vor Ort auch heirateten. Deren Zahl wird zwischen 1.000 und 1.500 Mann geschätzt. So ist der Familienname „Lerdon“, der Besitzer des Kruges in Lindenhöhe, der Nachbargemeinde von Willschicken, französischer Herkunft.
Ausgangslage und Durchführung der Preußischen Reformen 1807 - 1815
Am 6. August 1806 verkündete Kaiser Franz II. von Österreich die Niederlegung der Reichskrone des Heiligen Römischen Reiches und erklärte unter dem Druck des siegreichen Eroberers Napoleon das Reich für aufgelöst. Dieser Einschnitt wurde von Historikern als ein mögliches Enddatum der Geschichte der Frühen Neuzeit gewertet. Der Beginn der modernen europäischen Staatenentwicklung in der Frühen Neuzeit führte in Teilen Westeuropas zunächst zum Aufbau einer eigenen staatlichen Macht. Die Katholische Kirche wurde aus allen weltlichen Machtbereichen hinausgedrängt. Nachdem dieser Prozess abgeschlossen war, gingen Preußen daran, sich einen eigenen Verwaltungsunterbau zu schaffen, der die vorhandenen ständisch und kirchlich geprägten Verwaltungsstrukturen an den preußischen Staat anpasste. Dieser Prozess begann in Ostpreußen schon nach dem Ende des Deutschen Ordens 1525 und war erst am 31. Mai 1740 mit der Thronbesteigung Friedrich II. abgeschlossen. Friedrich II. gilt als erster Repräsentant des aufgeklärten Absolutismus in Preußen. Der aufgeklärte Absolutismus entstand im 18. Jahrhundert und vertrat die Prinzipien des Allgemeinwohles, der Fürsorge für das Volk und der religiösen Toleranz. Der aufgeklärte Absolutismus gilt als wichtige Voraussetzung für die Demokratisierung des bürgerlichen Staats.
Im 17. Jahrhundert hatte sich in den ostelbischen Gebieten Brandenburg-Preußens dann aber die Gutsherrschaft durchgesetzt. Die entrechteten Bauern waren als Unfreie Landarbeiter an den Gutsherrn gebunden und leisteten ihm Frondienste. Wesentliche lokale Machtbefugnisse lagen nun in den Händen der adeligen Guts- und Grundbesitzer, den Junkern und nicht mehr in den staatlichen Verwaltungen.
Die Gesellschaft war nun in Preußen in drei Stände geteilt, in Adel, Stadtbürger und Bauern, doch machten die unterständischen Landarbeiter etwa 60 - 70 % der Bevölkerung aus. Die wirtschaftliche und rechtliche Lage dieser Landarbeiter war sehr schlecht. Die gesamte Bevölkerung in Preußen wurde zusätzlich durch Hungersnöte, Epidemien und Kriege reduziert. Trotzdem wuchs die Bevölkerung von 0,66 Mio. 1709 auf 0,86 Mio. 1815 an. Dazu trugen vor 1807 wesentlich die ausländischen Siedlungsbauern bei, die in Preußen angesetzt wurden, besonders aber durch die Bauernbefreiung nach 1815 wuchs die Bevölkerung auf Grund verbesserte wirtschaftliche und rechtliche Lage von 0,86 Mio. 1815 auf 1,85 Mio. 1871. Trotzdem verließen von 1815 bis 1913 etwa 920.000 Ostpreußen ihre Heimat, da sie dort keine hinreichenden Lebensbedingungen fanden. Die folgende Übersicht zeigt die Teilnahme der Bevölkerung von Ostpreußen an Kriegen:
- Schwedisch-Brandenburgischer Krieg (1674–1679)
- Spanischer Erbfolgekrieg (1701–1714)
- Großer Nordischer Krieg (1700–1721)
- Österreichischer Erbfolgekrieg (1740–1748)
- Siebenjähriger Krieg (1756–1763)
- Revolutions- und Napoléonische Kriege (1792–1807)
- Befreiungskriege (1813–1815)
- Schleswig-Holsteinischer Krieg (1848–1851)
- Deutsch-Dänischer Krieg (1864)
- Preußisch-Österreichischer Krieg (1866)
- Deutsch-Französischer Krieg (1870-1971)
- 1. Weltkrieg (1914-1918)
- 2. Weltkrieg (1939-1945)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Kriege_und_Schlachten_Preu%C3%9Fens
Dazu kamen in Preußen aber noch weitere innere Probleme. So wurde z. B. die Durchlässigkeit zwischen den Ständen durch das Militär nur in kleinen Teilen befördert. Einfache Bauern- und Bürgersöhne in den Mannschaften konnten bei Eignung zu militärischen Führern nur zur unteren Ebene der Unteroffiziere aufsteigen. Der Zugang zu Offiziersschulen war nur Adligen gestattet. Weitere Aufstiegsmöglichkeiten bestanden im Militär für Nichtadlige nur in wenigen technischen Bereichen, kaum in der Verwaltung. Die Beamtenschaft rekrutierte sich zum großen Teil aus ehemaligen Unteroffizieren und Soldaten. Zackige Begrüßung, schroffer militärischer Ton und unbedingte Pflichterfüllung gegenüber dem Vorgesetzten wurden so auf den zivilen Bereich und in die Familien übertragen. Für den Adel war es aber nicht standesgemäß, seinen Lebensunterhalt in bürgerlichen Berufen zu verdienen. Dies führte angesichts der Tatsache, dass es etwa 20.000 Adelsfamilien gab, jedoch eine begrenzte Zahl von Gütern, zu einer starken Verarmung des Adels. Gleichzeitig wurde die Militärlaufbahn zunehmend als eine adlige Standespflicht aufgefasst. Die Eheschließung zwischen Partnern, die verschiedenen Ständen angehörten, war gesellschaftlich immer noch verpönt. So achteten die Gutsbesitzer in Willschicken noch vor dem 1. Weltkrieg streng auf standesgemäße Heiraten.
Bereits König Friedrich I. bemühte sich um ein grundlegendes Landrecht für Preußen. Es galt hauptsächlich die Staatsfinanzen zu sanieren und einen einheitlichen Verwaltungsaufbau zu erreichen und einen rechtlich geregelten Ablauf der Behördenarbeit sicherzustellen. Erste Versuche von König Friedrich I. ein Landrecht zu entwickeln, scheiterten jedoch. Am 31. Mai 1740 bestieg Friedrich II. nach dem Tod seines Vaters den preußischen Thron. So bezeichnete er sich selbst als „ersten Diener des Staates“. Er versuchte gegen den Widerstand des Adels beispielhaft folgen gesellschaftliche Reformen durchzusetzen:
- Friedrich der Große nahm die Arbeiten am Allgemeinen Landrecht wieder auf und gab 1746 in einer Kabinettsorder eine umfassende Kodifikation in Auftrag. Sein Ziel war dabei zum einen, ein allgemein gültiges und klar verständliches Gesetz zu schaffen und zum anderen, dem Machtmissbrauch von Juristen entgegenzuwirken. Das ausgearbeitete Gesetz wurde jedoch noch nicht erlassen. Nach Friedrichs Tod 1780 wurde der Großkanzler Johann Heinrich von Carmer mit der Überarbeitung betraut. Das Gesetz wurde dann allerdings erst 1793 erlassen und bewahrte die konservative Einstellung von Adel und Ständen in Preußen, die lange erfolgreich Widerstand gegen mögliche Reformen zu ihrem Nachteil geleistet hatten.
- Der Strafvollzug sollte humanisiert werden. Zu seinen ersten Maßnahmen im Sinne der Aufklärung gehörte die Abschaffung der Folter. Es sollte auch u.a. übermäßige Misshandlungen von Gutsbesitzern, Polizei- und Domänenbeamten an Untertanen verhindert werden. Der König hatte verkündet: „Wir brauchen kräftige Soldaten und keine geschlagenen Hungerleider“. Weitere Reformen betrafen auch eine Neuordnung der Prozessordnung, die die Verschleppung von Verfahren verhindern sollte. Siehe dazu auch das Kapitel 4.1 Grundherrschaft und Gutsherrschaft
- Die für Preußen in wirtschaftlicher Hinsicht nicht ganz uneigennützige Toleranz und Offenheit gegenüber Einwanderern und religiösen Minderheiten wie Hugenotten und Katholiken ist in seiner Amtszeit wichtig. Am 22. Juni 1740 schreibt er „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“.
- König Friedrich II. gliederte 1752 nach brandenburgischem Vorbild in Ostpreußen die ursprünglichen 34 Hauptämter in 10 landrätliche Kreise, wobei jeweils mehrere der alten Hauptämter zu einem Kreis zusammengefasst wurden. So entstand z. B. der 3. Landrätlicher Kreis Insterburg, gebildet aus den alten Hauptämtern Insterburg, Ragnit, Tilsit und Memel
- Ab 1740 wurden unter König Friedrich II. eine Reihe neuer Departements (Ministerien) angeordnet, die nun nach Sachgebieten gegliedert wurden.
- Er griff auch direkt in die Landwirtschaft ein. So ordnete er 1742 per Edikt die Anpflanzung von Maulbeerbäumen zur Seidenraupenzucht an, um von ausländischen Seidenlieferungen unabhängig zu werden. Am 24. März 1756 ordnete er allen Beamten im sogenannten „Kartoffelbefehl“ an, sämtlichen Untertanen den „Kartoffelanbau begreiflich zu machen“.
- Nach 1763 setzte Friedrich im Warthe-, Netze- und Großen Bruch den Landesausbau (Friderizianische Kolonisation) fort. Insgesamt kamen zwischen 1763 und 1775 geschätzte 60.000 Siedlerfamilien ins Königreich Preußen, davon 16.000 Siedler in die Provinz Ostpreußen.
- Während der Regentschaft Friedrichs wurden Hunderte von Schulen gebaut. Das Landschulsystem krankte allerdings an der ungeregelten Lehrerausbildung. Häufig wurden ehemalige Unteroffiziere herangezogen, die des Lesens, Schreibens und Rechnens selbst nur lückenhaft mächtig waren.
- Die von ihm gewünschte und angeregte Abschaffung oder Milderung der Leibeigenschaft konnte Friedrich nur schrittweise auf den königlichen Krondomänen durchsetzen. Eine allgemeine Abschaffung scheiterte am Widerstand der gesellschaftlich fest verankerten adligen Gutsbesitzer.
Das Allgemeine Preußische Landrecht (APL) regelte z.B. in Teil II im 7. Titel u.a. die Stellung der Bauern v o r der Bauernbefreiung
7. Titel Bauern
- §. 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des platten Landes begriffen, welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der Landwirthschaft beschäftigen; in so fern sie nicht durch adliche Geburt, Amt, oder besondre Rechte, von diesem Stande ausgenommen sind.
- § 2 Wer zum Bauernstande gehört, darf ohne Erlaubnis des Staats, weder selbst ein bürgerliches Gewerbe treiben, noch seine Kinder dazu widmen. (…)
- § 133 Untertanen sind ihrer Herrschaft Treue, Ehrfurcht, und Gehorsam schuldig.
- § 134 Sie sind derselben zu Diensten und Abgaben (…) verpflichtet (…).
- § 150 Sie dürfen das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, ohne Bewilligung ihrer Gutsherrschaft nicht verlassen.
- § 151 Sie können aber auch von der Herrschaft, ohne das Gut, zu welchem sie gehören, nicht verkauft, vertauscht, oder sonst an einen Andern wider ihren Willen abgetreten werden. (…)
- § 161 Untertanen sind bei ihrer vorhabenen Heirat die herrschaftliche Genehmigung nachzusuchen verbunden.
- § 185 Die Kinder aller Untertanen, welche in fremde Dienste gehen wollen, müssen sich zuvor der Herrschaft zum Dienen anbieten. (…)
- § 227 Faules, unordentliches, und widerspenstiges Gesinde, kann die Herrschaft durch mäßige Züchtigungen zu seiner Pflicht anhalten.
Quelle: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten (01.06.1794), Einleitung | opinioiuris.de
Schon vor dem vorläufigen Abzug der Franzosen 1808 begann in Königsberg die Reorganisation und Restrukturierung des Preußischen Staatswesens. Als Preußische Reformen oder Stein-Hardenbergsche Reformen werden die in den Jahren 1807–1815 eingeleiteten Reformen bezeichnet, die die Grundlage für den Wandel Preußens vom absolutistischen Stände- und Agrarstaat zum aufgeklärten National- und Industriestaat waren. Der völlige Zusammenbruch Preußens durch die Niederlage gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt 1806 sowie durch die scharfen Restriktionen im Frieden von Tilsit 1807 machte die notwendigen Reformen unvermeidbar. Preußen hatte rund die Hälfte seiner Einwohner und seines Landes verloren und war zu einer hoch verschuldeten Mittelmacht abgestiegen. Der Hof in Berlin mußte fliehen und residierte daher zunächst in Memel (Januar 1807 bis Januar 1808), dann bis Ende 1809 in Königsberg und mit ihm die Reformer. Napoleon genehmigte dann dem preußischen König die Rückkehr nach Berlin. Am 15. Dezember 1809 verließ der König mit 36 Kutschen seine ostpreußische Residenz wieder, um am 23. Dezember 1809 an der Spitze seiner Truppen in Berlin einzureiten.
Der zögerlichen König Friedrich Wilhelm III. war gezwungen zu handeln. Er musste erkennen, dass der militärische, politische und wirtschaftliche Zusammenbruch Preußens nur durch Reformen überwunden werden konnte. In dieser Situation gewannen die Reformer in der Bürokratie und im Militär die Oberhand über die konservativen und restaurativen Teile der Bürokratie und über den Adel. Einen erheblichen Einfluss übte die Philosophie in der Nachfolge von Immanuel Kant auf die Hauptakteure aus. So ließ der König es zu, dass eine Gruppe von progressiven Ministern, Beamten und Militärs eine Reihe von Regierungsedikten erarbeiteten, die Preußen zu einem modernen Staat machen sollten und durch die Königin Luise unterstützt wurden. Diese Regierungsedikte wurde wurden auch "Reform von oben" genannt. Sie wurden vom Freiherrn vom Stein, von Karl August von Hardenberg, Wilhelm von Humboldt und den Militärs Gerhard von Scharnhorst und Neidhardt von Gneisenau vorangetrieben.
Wesentlichen Anteil daran hatte auch der preußische Reformer Theodor von Schön, von 1809 – 1816 Regierungspräsident im Gumbinnen und von 1824 - 1842 Oberpräsident von West- und Ostpreußen und Kabinettsminister in Berlin. Verkehrspolitik, Schulwesen, die gesamte innere Struktur der Provinz Ostpreußens konnten so, gegen den Widerstand des Adels, reformiert werden.
Als Mitglied der Immediatkommission - die von Preußens König 1807 eingesetzte Reformergruppe - setzte sich von Schön für die Bauernbefreiung und die Beseitigung der Erbuntertänigkeit ein; im Rahmen der Beratungen über eine preußische Städteordnung befürwortete er eine sehr weitgehende Freiheit der Repräsentanten des Bürgertums. Als höchster Beamter seiner Provinz gehörte er zusammen mit Johann August von Sack, Oberpräsident der Provinz Pommern und Ludwig von Vincke, Oberpräsident der Provinz Westfalen zu der „liberalen Fraktion“ der Oberpräsidenten, die eine Verfassung, Pressefreiheit, größere Rechte der Landstände, weitergehende Verwaltungs-, insbesondere Gemeinde- und Gerichtsreformen erstrebte und über lange Zeit in scharfer Auseinandersetzung mit dem konservativen Teil der Ministerialbürokratie agierte.
Nach dem Regierungsantritt von Friedrich Wilhelm IV. verfasste von Schön 1840 anonym, die für die damalige Zeit revolutionäre Schrift „Woher und Wohin? Oder der preußische Landtag im Jahre 1840."; in der er entschieden für die Wahl von politischen Repräsentanten eintrat und nach französischem Vorbild die Einberufung sogenannter Generalstände forderte. Seine an Kant angelehnten philosophischen Ansichten stimmten wenig mit denen des neuen Königs überein. Das Bekanntwerden seiner Verfasserschaft führte 1842 schließlich zu seiner Entlassung durch Friedrich Wilhelm IV.
Vom Stein und Humboldt wurden nach einem Jahr ausgetauscht, konnten aber in diesem einen Jahr noch entscheidende Veränderungen bewirken.
Im Frieden von Tilsit verlor Preußen etwa die Hälfte seiner Fläche. Dazu gehörten vor allem die Gebiete westlich der Elbe und die bei den letzten polnischen Teilungen annektierten östlichen Territorien. Damit war der altpreußische Staat faktisch untergegangen. Nach dem Wiener Kongress 1815 betrieb König Friedrich Wilhelm III. den Wiederaufstieg Preußens zur Großmacht. Die Staatsreformen setzte er jedoch nicht fort, sondern betrieb eine Restaurationspolitik im Rahmen der "Heiligen Allianz" zusammen mit Russland und Österreich. Die Preußischen Reformen von 1807 - 1815 wurden nach 1815 zwar nicht rückgängig gemacht, aber zum Teil erst nach der Revolution in Preußen 1848 weitergeführt.
Die Erlasse zur Preußischen Reform wurden durch die genannten Minister und den Militärs in drei unterschiedlich besetzten Gruppen ausgearbeitet. König Friedrich Wilhelm III. war, wenn auch widerwillig, in allen drei Gruppen persönlich vertreten. Häufige dauerte die Umsetzung sehr lange, besonders wenn Veränderungen zu Ungunsten des Adels geplant waren. Die Staatsreformer wurden dann vom König in einigen Punkten ausgebremst, da Friedrich Wilhelm III. theoretisch eine Balance zwischen dem herrschenden Adel und dem aufstrebendem Bürgertum erreichen wollte. Faktisch behielt aber der Adel in einigen Themen, die ihn besonders betrafen, die Oberhand oder konnte jahrelange Verzögerungen erreichen. So wurde das Dreiklassenwahlrecht in Preußen erst 1849 eingeführte.
Die Tagungen, bis auf die Bildungsreformer, wurden im später sogenannten Luisen-Haus in Königsberg beraten und dort auch nach der vorläufigen königlichen Paraffe beschlossen. Die Urkunden zu den Erlassen wurden in den Residenzen in Memel, in Königberg und ab 1809 in Berlin bzw. Potsdam ausgefertigt und vom König verkündet.
Siehe dazu auch: Friede von Tilsit – Wikipedia
- Die erste Gruppe der Erneuerungen bildeten die Minister Karl Freiherr vom Stein, Karl August von Hardenberg, die von Dohna, von Frey, von Heidemann, von Schön und von Schenkendorf. Sie beriet die Befreiung der Bauern, die Gleichstellung der Bürger, die Selbstverwaltung der Städte durch gewählte Volksvertreter, die Neuordnung der Staatsverwaltung durch verantwortliche Fachminister, die Einführung der Gewerbefreiheit und die Gleichberechtigung der Juden.
- Die zweite Gruppe umfasste die Bildungsreform, für die Wilhelm von Humboldt verantwortlich war. Sie wurde in Berlin beraten. Er erneuerte das Bildungswesen im Sinne des Humanismus, setzte die allgemeine Schulpflicht durch und gründete die Berliner Universität.
- Die dritte Gruppe bildete die Heeresreform, die Gerhard von Scharnhorst, August Neidhardt von Gneisenau und Hermann von Boyen einleiteten. Sie modernisierten die Preußische Armee, schafften die Prügelstrafe (pro forma) für Soldaten ab und führten die allgemeine Wehrpflicht ein.
Beispiele für die erste Gruppe, der Reform der preußischen Verwaltung nach 1807:
- Die Bauernbefreiung sah gesetzlich 5 Stufen vor. Zur Bauerbefreiung siehe das Kapitel 5.1 Bauernbefreiung
- das Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807
- das Regulierungsedikt vom 14. September 1811
- die Deklaration zum Regulierungsedikt vom 5. Mai 1816
- die Gemeinheitsteilungsordnung vom 7.6.1821 kam in Ostpreußen erst 1845 zur Anwendung
- das Ablösungs-Gesetz vom 2. März 1850.
- Im Jahr 1810 erneuerte Napoleon die Forderung nach Zahlung einer Kriegsentschädigung. Friedrich Wilhelm III. ernannte Hardenberg am 27. Oktober 1810 zum Staatskanzler, der versprach, die französische Rechnung durch eine radikale Reform der Staatsfinanzen zu begleichen. Die Staatsschulden betrugen 66 Millionen Taler, fast doppelt so viel wie vor 1806. Papiergeld, Kreditaufnahmen und Wertminderungen der Münzen hatten die wirtschaftliche Krise Preußens weiter verschärft. Die Steuerlast wurde von Hardenberg durch eine Verbrauchssteuer gleichmäßig verteilt. Gewerbefreiheit wurde eingeführt und Zünfte abgeschafft.
- Ein weiteres wichtiges Ziel der Reformer war die verwaltungsrechtliche Neuordnung des gesamten Landes. Preußen wurde 1815 in 10 Provinzen und 25 Regierungsbezirke eingeteilt. Dazu gehörte auch die Provinz Ostpreußen mit den Regierungsbezirk Königsberg und Gumbinnen, 1818 wurden Teile von Gumbinnen zum Regierungsbezirk Allenstein. Der Regierungsbezirks Gumbinnen hatte im Jahre 1922 14 Kreise, darunter der Stadt- und der Landkreis Insterburg. Siehe auch das Kapitel 6.4.1 Gebietsgliederung. Insbesondere auf dem Land gab es neben dem Staat bislang noch adelige Gutsherrnrechte. Mit dem Gendarmerie-Edikt von 1812 wurden Landkreise als einheitliche Verwaltungseinrichtungen für Gebietseinheiten aus Dörfern, kleineren Städten und Gutsbezirken geschaffen. Die Kreise wurden anfangs direkt in die staatliche Kontrolle eingebunden. An der Spitze standen nicht mehr adelige Landräte, sondern ernannte Kreisdirektoren mit weitreichenden Vollmachten. Als Vertreter der Bevölkerung kamen sechs Kreisdeputierte hinzu. Die Gutsherrengerichte des Adels wurden durch die staatliche Gerichtsverwaltung ersetzt. Auch die polizeilichen Rechte der Gutsherren wurden durch Einführung der Gendarmerie eingeschränkt. Die Kreisreform war einer der größten Veränderungsvorhaben der Reformer in Bezug auf die Adelsprivilegien. Letztlich ist sie daher auch in weiten Teilen am erbitterten Widerstand der Aristokratie gescheitert. Der Adel konnte im Jahr 1816 durchsetzen, dass der Landrat, der nun wieder die führende Position einnahm, in der Regel aus den Reihen der eingesessenen Gutsbesitzer kommen sollte. Dies führte letztlich dazu, die Stellung des Adels auf dem Land zu stärken.
- Die Reform der Zollpolitik erfolgte nach dem Ende der napoleonischen Kriege und nach der territorialen Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress. Preußen hatte seine westlichen Besitzungen wiedergewonnen. Damit entstand nicht nur ein wirtschaftsstruktureller Gegensatz zwischen den gewerblich entwickelten westlichen preußischen Provinzen Rheinland, Westfalen sowie den sächsischen Gebieten auf der einen Seite und den stark agrarisch geprägten ostelbischen Gebieten auf der anderen Seite. Auch die Zollpolitik war höchst unterschiedlich. Während man im altpreußischen Gebiet 1817 noch 57 Zolltarife für etwa 3000 Waren im inneren Verkehr kannte, wurden Binnenzölle in den Westprovinzen seit der französischen Herrschaft so gut wie gar nicht mehr erhoben. In Preußen waren mit dem Zollgesetz von 1818 alle innerstaatlichen Handelsschranken gefallen. Nach außen hin wurde ein nur mäßiger Schutzzoll erhoben. Für den Durchgangsverkehr wurden allerdings hohe Zölle fällig. Dies war ein Kompromiss zwischen den Interessen der im Freihandel engagierten Großgrundbesitzer und denen der noch schwachen gewerblichen Wirtschaft, die Schutzzölle verlangte. Das preußische Zollgesetz, das konsequent angewandt wurde, erwies sich als einfach und effizient.
- In Preußen wurde schon durch das Königliche Edikt vom 27. Oktober 1810 versprochen, die verschiedenen Grundsteuersysteme der einzelnen Landesteile zu vereinheitlichen, die Steuern gleichmäßig zu verteilen und sämtliche Grundsteuerbefreiungen aufzuheben. Gegen die Aufhebung der Grundsteuerbefreiungen liefen die Gutsbesitzer im Ostpreußen Sturm. Die Grundsteuerregelungen im Sinne des Königlichen Edikts erfolgten jedoch zunächst nur in den beiden westlichen Provinzen Rheinland und Westfalen. In den sechs östlichen Provinzen (Preußen, Pommern, Posen, Schlesien, Mark Brandenburg und Sachsen) konnte dagegen der Adel seine steuerlichen Vorteile noch bis 1861 erfolgreich behaupten, da der Widerstand der bevorzugten Stände gegen die Aufhebung ihrer Steuerbefreiungen in diesen Landesteilen sehr groß war. Erst am 21. Mai 1861 beschloss das preußische Abgeordnetenhaus nach jahrzehntelangen parlamentarischen Beratungen und nach Zustimmung des Herrenhauses eine Reformierung der Grund- und Gebäudesteuer für das gesamte Staatsgebiet Preußens. Somit wurde erst 51 Jahre nach dem Versprechen des Königs die Grundsteuerreform in Gesamt-Preußen verwirklicht. Durch die Miquel’sche Steuerreform von 1891/93 wurde die Grundsteuer in Preußen grundsätzlich den Gemeinden überlassen. Auch die Tuttliesen als Grundbesitzer in Willschicken hatten Grundsteuern zu zahlen. Die Grundsteuer betrug in Willschicken 8,87 RM je ha. Reinertrag.
- 1820 wurde in Preußen die Klassensteuer eingeführt. Erhoben wurde die neue Steuer nur auf dem flachen Land, während in größeren Städten eine Mahl- und Schlachtsteuer erhoben wurde. Es wurden 5 Steuerklassen gebildet.
- „vorzüglich“ wohlhabende und reichen Bürger
- wohlhabender Bürger- und Bauernstand
- gemäßigt wohlhabender Bürger- und Bauernstand
- geringe Bürger- und Bauernstand
- Lohnarbeiter, Gesinde und Tagelöhner
- Mit Ausnahme der niedrigsten Steuerstufe 5, wurde die Steuer als Haushaltssteuer abgeführt. Die Steuersätze betrugen jährlich in der ersten 48 Taler, in der zweiten 24, in der dritten 12, in der vierten 4 Taler und in der fünften Klasse maximal 1½ Taler. Standesherren und adelige Gutsbesitzer mussten diese Steuer nicht entrichten. Landräte, die für die Steuerschätzung zuständig waren, konnten mit ihrer Schätzung der Grundsteuer Einfluss auf die Wahlen nehmen. Im Jahr 1873 wurden die Mahl- und Schlachtsteuern abgeschafft, die Klassensteuer galt von da an auch für die städtische Bevölkerung. 1851 wurde die Klassensteuer aufgespalten: „Die alte Klassensteuer traf nur noch Einkommen bis 1000 Taler, alle höheren Einkommen unterlagen im ganzen Land […] einer klassifizierten Einkommensteuer", die aber erst 1891 eingeführt wurde. U. a. Bismarck hatte sich gegen jede Veränderung gestellt. Die Miquel´sche Einkommensteuer von 1891 (EStG 1891) – verbunden mit einer reformierten Gewerbesteuer und der Einführung einer allgemeinen Vermögensteuer - 1906 kam die Erbschaftsteuer hinzu – führte zu beträchtlichen Staatseinnahmen, so dass der preußische Finanzminister Johannes von Miquel einen Finanzausgleich zwischen Staat und Gemeinden einrichten konnte. Die wesentliche Neuerung war die Steuerprogression: Mit dem Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 wurde die bisherige Einteilung der Steuerpflichtigen in einkommensabhängige Klassen, die jeweils den gleichen Steuerbetrag zu zahlen hatten, abgeschafft und durch einen progressiven Steuertarif ersetzt: Der Steuersatz der Einkommensteuer stieg von 6 Mark für Jahreseinkommen von 900 bis 1050 Reichs Mark, also rund 0,6 %, bis auf 4 % für Jahreseinkommen über 100.000 Reichs Mark. Im Jahr 1873 wurden die Mahl- und Schlachtsteuern abgeschafft, die Klassensteuer galt von da an auch für die städtische Bevölkerung. 1851 wurde die Klassensteuer aufgespalten: „Die alte Klassensteuer traf nur noch Einkommen bis 1000 Taler, alle höheren Einkommen unterlagen im ganzen Land […] einer klassifizierten Einkommensteuer", die aber erst 1891 eingeführt wurde. U. a. Bismarck hatte sich gegen jede Veränderung gestellt. Die Miquel´sche Einkommensteuer von 1891 (EStG 1891) – verbunden mit einer reformierten Gewerbesteuer und der Einführung einer allgemeinen Vermögensteuer - 1906 kam die Erbschaftsteuer hinzu – führte zu beträchtlichen Staatseinnahmen, so dass der preußische Finanzminister Johannes von Miquel einen Finanzausgleich zwischen Staat und Gemeinden einrichten konnte. Die wesentliche Neuerung war die Steuerprogression: Mit dem Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 wurde die bisherige Einteilung der Steuerpflichtigen in einkommensabhängige Klassen, die jeweils den gleichen Steuerbetrag zu zahlen hatten, abgeschafft und durch einen progressiven Steuertarif ersetzt: Der Steuersatz der Einkommensteuer stieg von 6 Mark für Jahreseinkommen von 900 bis 1050 Reichs Mark, also rund 0,6 %, bis auf 4 % für Jahreseinkommen über 100.000 Reichs Mark.
Quellen: Der Zehnte – ein Streifzug durch die Steuergeschichte | Steuern und Finanzen | bpb.de und Klassensteuer – Wikipedia
Ferdinand Tuttlies war nebenberuflich als Schneider und Maurer tätig. Jedes Jahr brachte er seine, von seiner Frau Berta fein säuberliche aufgeschriebenen Ein- und Ausgaben als Nebenerweblicher zum Amt. Jedesmal wurde er dort aber immer beschieden, es seinen nur "Kinkerlitzken", "go man to Huus". Ferdinand Tuttlies meinte dann immer: "De söön to fuul".
- Im Königreich Preußen wurde das allgemeine Wahlrecht erst nach der Revolution von 1848 eingeführt Die Abgeordneten des Abgeordnetenhauses von 1849 bis zum Ende der Monarchie 1918 wurden nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt wurden. Das Abgeordnetenhaus war die zweite Kammer des Preußischen Landtages. Auch auf Gemeindeebene wurden die Stadtverordneten der preußischen Städte und Gemeinden gemäß der Preußischen Gemeindeordnung ebenfalls nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt. Das 1849 in Preußen eingeführte Dreiklassenwahlrecht knüpfte unter anderem an die Klassensteuer an: Nach ihrem Anteil am Gesamtaufkommen aus Klassen-, Grund- und Gewerbesteuer ihrer Gemeinde bzw. ihres Wahlbezirks wurden die Wahlberechtigten in drei Klassen eingeteilt, die je ein bis zwei Wahlmänner wählten. Das Dreiklassenwahlrecht sah vor, dass die Stimmen öffentlich abgegeben und je nach der Steuerklasse des Wählers gewichtet wurden. Die Wahlberechtigten wurden in drei Abteilungen eingeteilt:
- Die Wahlberechtigten, die die meisten Steuern zahlten, wählten in der 1. Abteilung.
- In die 2. Abteilung wurden diejenigen eingeteilt, die unter den verbleibenden Wahlberechtigten die größte Steuerleistung erbrachten
- Die übrigen Wahlberechtigten bildeten die 3. Abteilung.
- Wahlberechtigt war jeder männliche Preuße, der das 24. Lebensjahr vollendet hatte und seit mindestens sechs Monaten seinen Wohnsitz in einer preußischen Gemeinde hatte. Er durfte auch nicht durch rechtskräftiges Urteil die bürgerlichen Rechte verloren haben oder öffentliche Armenunterstützung erhalten. Die Provinz Preußen war nach dem Wiener Kongress 1915 aus unterschiedlichen Teilen entstanden. Sie umfasste Ostpreußen, Westpreußen und Litauen. Preußen hatte sich in § 13 der Deutschen Bundesakte verpflichtet, eine landständige Verfassung zu erlassen. Es wurde jedoch kein allgemeiner Landtag eingesetzt, sondern es wurden auf Provinzebene Provinziallandtage geschaffen. Rechtsgrundlage war das Allgemeine Gesetz wegen Anordnung der Provinzialstände vom 5. Juni 1823. Für die Provinz Preußen erfolgte dies durch das Gesetz, wegen Anordnung der Provinzialstände für das Königreich Preußen vom 1. Juli 1823. Der so geschaffene Provinziallandtag bestand aus drei Ständen: der Ritterschaft, den Städten und den bäuerlichen Grundbesitzern. In Ostpreußen stellte die Ritterschaft 30, die Städte 15 und die Grundbesitzer 15 Abgeordnete. Damit ergaben sich 60 Abgeordnete. Mit Verordnung vom 17. März 1828 wurde die genauere Verteilung geregelt. Danach stellten beispielsweise Danzig und Königsberg je 3, Memel und Tilsit je einen Abgeordneten. Voraussetzung für die Wählbarkeit war in allen drei Ständen Grundbesitz, der zehn Jahre lang ununterbrochen im Besitz gewesen sein musste, die Mitgliedschaft in einer der christlichen Kirchen, die Vollendung des dreißigsten Lebensjahres und der unbescholtene Ruf. Das Wahlrecht im ersten Stand war an den Besitz eines Ritterguts, nicht jedoch an die Zugehörigkeit zum Adel geknüpft. Für die Abgeordneten der Städte war ein Wert des Grundbesitzes oder des Gewerbes von 8.000 oder 10.000 Talern (je nach Größe der Städte), für die Abgeordneten des Landes Grundbesitz von über 100 ha Voraussetzung. Dieser Wert sank nach der Bauernbefreiung auf 20 ha. Die Wahl erfolgte auf sechs Jahre. Alle drei Jahre schied die Hälfte des Landtags aus und wurde neu gewählt. Die Wiederwahl war zulässig. Es wurden auch Stellvertreter gewählt. Der Anteil der Abteilungen an den Wahlberechtigten (Urwählern) schwankte im Laufe der Zeit und auch regional. Landesweit entfielen auf die 3. Abteilung etwa 80–85 % der Wahlberechtigten, auf die 1. Abteilung ca. 4 %. 1913 waren in der 3. Abteilung 79,8 % der Wahlberechtigten (1898: 85,3 %), in der 2. Abteilung 15,8 % (1898: 11,4 %) und in der 1. Abteilung 4,4 % (1898: 3,3 %). Außer Kraft gesetzt wurde das Dreiklassenwahlrecht erst im November 1918 nach dem militärischen Zusammenbruch und dem Untergang der preußischen Monarchie im Zuge der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg.
Ferdinand Tuttlies verkündete: "Ik mok dat Krietzke for mi un nich for dat Kaiserchen" und erntete damit fragende Blicke.
- Dem Entwurf Hardenbergs nach erhielten die Juden die gleichen bürgerlichen Rechte und Pflichten wie die anderen Staatsbürger; der Erwerb von Grundbesitz wurde ihnen gestattet, der Zugang zu städtischen und Universitätsämtern ermöglicht. Auch die freie Ausübung der jüdischen Religion und des kulturellen Brauchtums wurde nunmehr garantiert. Aufgrund der Korrekturen Friedrich Wilhelms III enthielt das preußische Edikt jedoch Einschränkungen, anders als entsprechende Gesetze im Königreich Westphalen: Die Juden erhielten vorerst keinen Zugang zu Offiziersrängen, Justiz- und Verwaltungsämtern, unterlagen aber der Wehrpflicht. Durch Kabinettsorder Friedrich Wilhelms IV. vom Dezember 1841 wurden Juden dauerhaft vom Staats- und Militärdienst ausgeschlossen. Unabhängig von den Korrekturen des Königs stieß das Edikt schon bald auf Kritik von Emanzipationsgegnern. Trotz der Einschränkungen bedeutete es einen großen Schritt hin zur Emanzipation in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit war die rechtliche Lage der Juden hier deutlich besser als in den meisten südlichen und östlichen Nachbarregionen. Dies machte Preußen für jüdische Zuwanderung auf Jahrzehnte hinaus attraktiv. Juden siedelten sich im preußischen Insterburg relativ spät an; die erste Familie soll sich erst um 1830 hier niedergelassen haben. Eine jüdische Kultusgemeinde wurde aber bereits gegen Ende der 1830er Jahre gegründet; sie wuchs sehr schnell bis 1880 auf 363 Mitglieder an. Es waren hauptsächlich Zuzüge aus dem Osten. Bald zählte sie - nach Königsberg, Allenstein und Memel - zu den größeren jüdischen Kultusgemeinden Ostpreußens. 1865 weihte die hiesige Judenschaft einen Synagogenneubau in der Forchestraße ein.
Beispiele für die zweite Gruppe, der pädagogischen Reform in Preußen nach 1807:
Wilhelm von Humboldt wurde im Jahr 1809 im Innenministerium mit der Leitung der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ in Preußen betraut. Er sollte Ideen für eine Reform des preußischen Schulsystems entwickeln. Sein Modell beinhaltet ein gestuften allgemeinbildenden Bildungssystems und sollte im Rahmen der Preußischen Reformen den Staat erneuern helfen. Zwei kurzen Schriften handeln von Problemen, die Humboldt als amtlichem Schulvisitator auffielen. So kritisiert er den unzulänglichen Zustand der Schulen in Ostpreußen und Litauen. Nach König Friedrich Wilhelm III. sollte Preußen die Verluste durch den Krieg durch geistige Leistungen seiner "Bürgerkinder" ausgleichen.
Der Königsberger Schulplan wurde als interne Denkschrift (Ueber die mit dem Königsbergischen Schulwesen vorzunehmenden Reformen, Ende Juli/Anfang August 1809) ebenso wie der damit zeitlich und sachlich zusammenhängende Litauische Schulplan im Herbst 1809 von Wilhelm von Humboldt kurz nach seiner Ernennung zum Sektionsleiter für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium verfasst. Wilhelm von Humboldt, der 1808 die Leitung der Abteilung Kultus und Unterricht (noch im Innenministerium angesiedelt) übernahm.
An die Stelle der Vielfalt der alten kirchlichen, privaten, städtischen oder korporativen Einrichtungen trat nunmehr die staatliche Schule, gegliedert in Volksschule, Gymnasium und Universität. Der Staat hatte die Aufsicht über alle Schulen, setzte nun die allgemeine Schulpflicht und einheitliche Lehrpläne streng durch und wachte über das Prüfungswesen. Staatlich anerkannte Leistungskriterien wurden geschaffen als Voraussetzung für den Eintritt in den Staatsdienst: Es sollte auf Bildung und Leistung ankommen, nicht mehr auf Herkunft und Stand.
Der Königsberger Schulplan von Wilhelm von Humboldt gehört zu den zentralen Quellen der deutschen Pädagogik: „Der Zweck des Schulunterrichts ist die Übung der Fähigkeiten und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet, der junge Mensch soll in Stand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigene Schaffen immer anschließen muss, teils schon jetzt wirklich zu sammeln, teils künftig nach Gefallen sammeln zu können und die intellektuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist auf doppelte Weise, einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens beschäftigt. Aber alle seine Funktionen sind nur relativ, immer einem Höheren untergeordnet, nur Sammeln, Vergleichen, Ordnen, Prüfen u.s.f. Das Absolute wird nur angeregt.“
Quelle: Wilhelm von Humboldt, „Der Königsberger und der Litauische Schulplan“, in Wilhelm von Humboldt, https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wilhelm_S%C3%BCvern und Johann Wilhelm Süvern – Wikipedia
Nachfolger Wilhelm von Humboldts wurde unter dem Innenminister Friedrich von Schuckmann Johan Wilhelm Süvern. Er reformierte in der Nachfolge Wilhelm von Humboldts gegen erhebliche reaktionäre Widerstände die Schulgesetzgebung Preußens und war Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften
Zur Schule in Lindenhöhe siehe das Kapitel 6.5.2 Volksschulwesen.
Beispiele für die dritte Gruppe, der Reform des preußischen Militärs nach 1807:
Die Erfahrungen von 1806 hatten gezeigt, dass die altpreußische Heeresorganisation der modernen französischen Armee nicht mehr gewachsen war. Sie war mit ihrer alten starren Linientaktik gegenüber der neuen flexiblen französischen Kolonnentaktik bzw. Schützenreihe zu unbeweglich. Die preußischen Offiziere behandelten ihre Soldaten als willenlose Objekte, die bei Vergehen mit harten Strafen bis hin zum Spießrutenlaufen zu rechnen hatten. Daher wurde damit begonnen, die Würde und Stellung der einfachen Soldaten anzuheben, indem die Soldatengesetze dem bürgerlichen Rechtsempfinden angepasst wurden. Das drakonische Strafsystem und insbesondere die Prügelstrafe wurden (pro forma) weitgehend abgeschafft. Das Offizierskorps wurde reformiert. Eine nicht unbeträchtliche Zahl ungeeigneter höherer und niederer Offiziere wurde entlassen. Das Adelsprivileg wurde abgeschafft; damit stand die Offizierslaufbahn auch Bürgerlichen grundsätzlich offen. Insbesondere dies stieß auf erheblichen Unwillen des Adels. In der Praxis zeigte sich allerdings bald durch eine Art Kooptationsrecht der Offiziere, die in der Regel adelige Fähnriche bevorzugten, dass der bürgerliche Einfluss gering blieb.
Innerhalb des Offizierskorps sollten bei den höheren Rängen nicht mehr das Dienstalter, sondern die Leistung den Aufstieg bestimmen. Die Preußische Kriegsakademie sollte eine bessere Ausbildung der Offiziere gewährleisten. An die Stelle einer Vielzahl von oberen Behörden trat 1809 das Kriegsministerium mit dem Generalstab.
Die zentrale Reform war die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Damit sollten die Ungerechtigkeiten des bisher geltenden Wehrersatzsystems und die ständischen Unterschiede aufgehoben werden. Zwar wurden Pläne gemacht, die Begrenzung der Truppenstärke auf 42.000 Mann durch den Frieden von Tilsit mit einer Reservearmee dem Krümpersystem zu umgehen, gleichwohl kam es zunächst nicht zur Umsetzung der Wehrpflicht. Der König zögerte wie häufig bei wichtigen Entscheidungen und aus Adel und Offizierskorps gab es Widerstände. Erst mit dem Beginn der Befreiungskriege konnten die Reformer 1813 die Wehrpflicht durchsetzen. Endgültig gesichert wurde diese allerdings erst 1814 in einem allgemeinen Wehrgesetz. Neben den Linientruppen wurde nunmehr auch die Landwehr zur Heimatverteidigung und als Reservetruppe aufgestellt. Die Landwehr war organisatorisch selbständig, es gab eigene Einheiten und Offiziere. Ausschüsse in den Kreisen organisierten diese Truppe, in der Bürgerliche zu Offizieren aufsteigen konnten.
Zum Gedenken an das Ende der Befreiungskriege wurde am 4. Juni 1816 in der Kirche in der Nachbargemeinde von Willschicken Aulowönen eine Totenfeier für die in den Feldzügen 1813 -1815 gefallenen 28 Gemeindemitgliedern abgehalten. Unter der Ziffer 15. war zu lesen: " Johann Tutlys, Kürassier des Ostr. Rgt., Sohn des Wirthen David Tutlys aus Klein Popelken (Kirchspiel Aulowönen), er starb einen ehrenvollen Tod in der Schlacht bei Leipzig mit 23 Jahren."
Das Chatouldorf Willschicken hatte im Jahre 1815 aufgrund der Napoleonischen Kriege nur noch 4 Feuerstellen (Wohngebäuden) mit zusammen 85 Bewohnern
Die Provinz Ostpreußen hieß von 1815 -1875 Provinz Preußen.
1815 war Willschicken ein Chatouldorf mit 4 Feuerstellen und 85 Bewohnern. Der Sitz des Landrates wurde 1818 von Tapiau nach Wehlau verlegt und das Amt Lappönen und Wilschicken kam zum neuen Kreis Insterburg.
Die Zahl von ursprünglich 15 Feuerstellen (Wohngebäude) 1785 und deren Abnahme 1818 auf 4 in Willschicken lässt darauf schließen, dass zum einen in Ostpreußen durch die die Napoleonischen Kriege (1806–1815) viele Hofstellen unwirtschaftlich und verlassen wurden, da die Männer - etwa 20.000 - eingezogen waren und dass zum anderen der Einzugsbereich von Wilschicken durch die Zugehörig zu Tapiau wesentlich größer war als die spätere Zugehörigkeit der Gemeinde Willschicken zu Insterburg
Organisatorisch war das frühe Wilschicken - als Schatulldorf - während der Bauernbefreiung ursprünglich ein kleines Haufendorf. Es war mit einem Dorfkern von ursprünglich 15 Feuerstellen später nach den Napoleonischen Kriegen 1806 -1815 mit 4 oder 5, dann mit 7 Feuerstellen angelegt.
Bei den zwei später gebauten Wohngebäuden wurde schon der Brandabstand von 150 Fuß zu anderen Wohngebäuden eingehalten. Es war ein geschlossen bebautes Dorf mit zunächst unregelmäßigen Grundstücksgrundrissen und unterschiedlich großen Höfen, oft von einem Zaun oder Graben umgeben.
Haufendörfer unterscheiden sich von den anderen Dorfformen dadurch, dass die Lage unplanmäßig war und eher zufällig angelegt wurden.
Die Gemarkung solcher Dörfer gliederte sich in Dorfkern, Ackerflur und Allmende.
Räumlich wurde das spätere Wilkental ein Straßendorf. Ein lineares, zumeist doppelzeiliges Dorf, dessen Häuser bzw. Gehöfte eine Straße in dichter Anordnung säumen. Die wegen der Feuergefahr baupolizeilich vorgeschriebenen Abstände zwischen den Höfen von 150 Fuß etwa 42 Meter wurden erst 1887 eingeführt. Die gewählte Bauform der Höfe als Vierkant war witterungsbedingt, um so die Bewohner und das Vieh besser von den überlangen und strengen Wintern in Ostpreußen zu schützen.
Siehe dazu auch den Text Willschicken Kapitel 8 Höfe - Besitzer und Beschreibungen 8 Höfe - Besitzer und Beschreibungen
Die Bevölkerung in Willschicken verdoppelte sich von 85 im Jahr 1823 auf 168 Einwohner im Jahr 1869
In Ostpreußen wächst aber die Bevölkerung nach den Napoleonischen Kriegen im Rahmen der Bauernbefreiung und begleitet von einer langanhaltenden Getreidekonjunktur wieder.
Durch die Edikte zur Bauernbefreiung des Jahres 1811 wurden in Ostpreußen von den 560 Quadratmeilen Landes, welches die Rittergüter ausmachten (darunter waren 210 Quadratmeilen bäuerliches Land), 140 Quadratmeilen freies Eigentum der Bauern. Ewa 60 Quadratmeilen verloren aber die Bauern wieder an die Güter, da sie die Ablösesummen nicht aufbringen konnten. (Einen Quadratmeile umfasste je nach Landschaft 55–57 Quadratkilometern)
Es gab ab 1811 folgende Eigentümer- bzw. Besitzer-Gruppen:
Besitzer- Gruppen nach der Bauernbefreiung
· Rittergutsbesitzer/Pächter · Domänenbesitzer/Pächter · Gutsbesitzer/Pächter · Gutsverwalter mit eigenem Land · Besitzer/Pächter (Klein-, Mittel- u. Großbauer) |
Eine Folge der Bauernbefreiung war neben dem Wachstum der Bevölkerung die Separation. Ab 1850 wurden auf der Fläche der Gemeinde Wildschicken neben den 7 Altsitzern in der Dorfmitte 16 neue Höfe unterschiedlicher Größe in Streulage angelegt. Dazu kamen noch separate Gebäude und kleine Landflächen für das Dienstpersonal der Großbauern und Gütern. Die Güter besaßen allerdings in den Nachbargemeinden auch noch Land. Eine Windmühle, eine kleine Molkerei und ein Friedhof waren in Willschicken ebenfalls zu finden.
Zweidrittel der Höfe in Willschicken wurden ausgesiedelt oder neugebaut und erhielten neue Besitzer.
Direkt nach der Bauernbefreiung setzte zunächst eine starke Binnenwanderung in Ostpreußen ein. Es wurden nach Arbeits- oder Bauernstellen gesucht. Voraussetzungen bei Siedlungsprojekten war eine langfristig gesicherte Finanzierung durch Erbschaften und Krediten. Die Rückzahlungen erfolgten auch durch gesicherte Mengen an Naturalien. Georg Friedrich Knapp schätzte, dass bei einer Hofgröße von etwa 7,5 ha. dieses Mischmodell bei guten Ernten nach 15 - 20 Jahren Erfolg haben könnte. Es kam aber nur für einen kleinen Teil der ländlichen Bevölkerung in Ostpreußen in Frage, die entsprechende Erbschaften vorweisen konnten. Die große Masse der Landbevölkerung wurde zu besitzlosen Landarbeitern.
Siehe dazu auch Kapitel 6.1 Bevölkerungsentwicklung
Erst nach Ausbau der Eisenbahn wurden auch die Provinzgrenzen überquert. Hier ging es aber nur um Arbeit und nicht um das Siedeln.
Ab 1833 tauchen die ersten Tuttliesen in Aulowöhnen und Willschicken auf. Sie kamen aus Treinlauken/Kreuzberg Kreis Labiau. Der Kreis Labiau war ein Landkreis in Ostpreußen Er lag an der südöstlichen Küste des Kurischen Haffs und seine Kreisstadt war die Stadt Labiau. Aufgrund der sandigen Böden war dort die wirtschaftliche Lage auf dem Lande sehr schlecht. Häufig machten sich „Pionier-Wanderer“ auf den Weg, die andere Familien nachzogen. Zunächst war eine Tuttlieser Familien aus Treinlauken um 1820 nach Lauken in den Großen Moosbruches gezogen, 1862 folgte die zweite Tuttlieser Familien den Großen Moosbruches nach Carlsrode. Beide Familien wurden als Koloniesierung angesetzt.
Es wurde berichtet, dass, hätte der Hofneubau von Ferdinand Tuttlies in Willschicken nicht geklappt, es konkrete Pläne gab, auch im Großen Moosbruch zu siedeln, da hier die finanziellen Rahmenbedingungen noch günstig waren. Eine weitere Überlegung war ein „Zippel-Buer“ im Samland zu werden, hier waren die klimatischen Bedingungen zum Zwiebelanbau sehr günstig. Auch im Samland gab es schon Tuttliesen. Es blieb aber bei diesen Plänen.
Um 1807 wird im Rahmen der Bauernbefreiung das für Willschicken zuständige Domänenamt verantwortlich u.a. auch für die Güter Alt/Neu Lappönen und Kreppurlauken im Rahmen der „Bauernbefreiung“ aufgelöst. In Willschicken wohnten damals 7 Schatull-Bauern. Nur auf den vorgenannten Gütern, die jedoch nur zum kleinen Teil den späteren Wilkentaler Grund bewirtschafteten, wurden später Scharwerker eingesetzt.
Die Preußischen Reformen schufen mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 in der gesamten preußischen Monarchie eine einheitliche Verwaltungsstruktur. Am 11.03.1874 wird der Amtsbezirk Groß Franzdorf (Nr. 27) gebildet, zu dem auch Willschicken gehört. 1882 erfolgte die endgültige Feststellung der Grenzen der Gemeinde Willschicken.
Siehe dazu auch Kapitel 6.4.1 Gebietsgliederung
Von der "Bauernbefreiung" (Ablösung der Erbuntertänigkeit, Erwerb von Eigentum und gesetzlichen Flurbereinigung) 1807-1850 waren die sieben Großbauern von Willschicken nur am Rande betroffen. Es waren alle ehemalige Schatull- und Erbfrei-Bauern, die hatten ihren Boden vom Kurfürsten bzw. König gekauft und urbargemacht hatten. Sie waren schon Eigentümer ihres Landes. Für sie arbeitete ihr Gesinde und Instleute. Bei Bedarf kamen Tageslöhner und Wanderarbeiter hinzu.
Die Landarbeiter besaßen keine größeren Grundstücksansprüche und kamen in Gemeinschaftsunterkünften oder in Nebengebäuden und Katen unter. In so einem Nebengebäude wohnten 1938 noch Friedrich Papendick und Frau Flemig, gelegen in der Nähe des Hofes von Besitzer August Herrmann Tuttlies. Teilweise wohnten die Altenteiler zusammen mit den Erben noch in einem Wohngebäude, hatten dort aber deutlich weniger Platz.
Siehe dazu auch den Abschnitt 5 VON IHRER PERSÖNLICHEN RECHTSSTELLUNG
Während der "Bauernbefreiung" kam es in den Nachbargemeinden von Willschicken zu zahlreichen Landabtretungen, da die dortigen Scharwerks-Bauern die Abtretungssummen an ihre Gutsherren nicht zahlen konnten. Zu Landabtretungen kam es aber auch in Willschicken, und zwar im Erbschaftsfalle. Nach Meinung des Insterburger Landrates Konrad von Massow entstand die Parzellierung von Privatgrundstücken nach der Bauernbefreiung häufig durch Erbschaftsregulierungen, wobei der Grundstücksnehmer als Erbe nicht die Mittel besaß, um die Miterben mit Geld zu entschädigen, und sie deshalb mit Landabtretungen abfinden musste.
Diese "wirtschaftlich" notwendige Flurbereinigung erfolgte in Willschicken hauptsächlich während der wirtschaftlichen Depressionen und längeren Krisen, 1873-1879 und 1918-1924.
Ab 1722 wurde von der Domänenkommissionen die lokale Bodengüte für die Versteuerung durch grobe Schätzungen festgesellt.
Durch die Seperation entstanden zusammenhängende Bauern-Grundstücke. Sie wurden nach 8 Klassen anhand der mittleren landwirtschaftlichen Einheitswerte in den Kreisen bewertet. Sie waren im Landkreis Insterburg in der Gemeinde Willschicken durch die Bodenwerte 4 und 5 bewertbar. 1935 lag der steuerliche landwirtschaftliche Einheitswert für diese Böden im Kreis Insterburg zwischen 600 und 699 Reichsmark pro Hektar. Die gesamte Spannweite für Ostpreußen lag zwischen 300 und 1599 Reichsmark pro Hektar. Diese Werte wurden für notwendige Verkäufe und Hypotheken-Kredite zu Grunde gelegt. Im Jahr 1905 beträgt der Grundsteuer Reinertrag in Willschicken 8,87 RM je ha
Siehe dazu auch das Kapitel 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
Nach der Reichgründung schrumpften aber die Willschicker wieder langfristig von 164 im Jahre 1871 auf 122 gemeldete Einwohner im Jahre 1933
Die freie Ortswahl der ländlichen Bevölkerung nach Bauernbefreiung und die große Zahl der der Arbeitsplätze in der Industrie, die nach 1871 im Reichen entstehen ist, war ein Voraussetzung für die die umfangreiche Abwanderungen aus Ostpreußen.
Die deutsche Bevölkerung wuchs in Ostpreußen zwischen 1871 und 1933 von 1.822.000 auf 2.330.000 Millionen, d.h. um 28 %. Zwischen 1871 und 1933 verlor die Provinz aber zwei Drittel ihres Zuwachses an Wohnbevölkerung (einschließlich Polen und Litauer) insgesamt 920.000 Menschen durch Abwanderung. Ein kleinerer Teil davon wanderte vor der Reichsgründung auch nach Russland aus.
Verwaltungstechnische, finanzielle und raumordnerischen Maßnahme halfen nicht diese enorme Abwanderung zu stoppen. Das Dorf bietet seinem Nachwuchs keine Arbeit mehr
Es konnten zwar theoretisch Kredite durch die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion beschafft werden, die wirtschaftliche Situation ließ es aber im Allgemeine nicht zu, nur Neusiedler bildeten eine Ausnahme. Für sie gab es günstige staatliche Programme.
Alle drei Entwicklungen hatte auch in Willschicken unmittelbare räumliche Folgen. Die sieben Großbauern behielten zwar ihre Höfe, mussten aber aus wirtschaftlichen Gründen einen beträchtlichen Teil ihres Landes aufteilen und verkaufen. Von den 319 ha Gesamtfläche in Willschicken hielten die 7 Großbauern um 1900 nur insgesamt nur noch 83 ha. Auf den verkauften Flächen entstanden durch "Abbau" und Neubau, neben den 2 vorhandenen Gütern, 7 Mittelbauer und 7 Kleinbauer. Willschicken hatte nun insgesamt 23 Höfe
Siehe dazu auch das Kapitel 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
Die Grundstücke lagen aber nicht immer dorfnahe. Willschicken wurde zu einer Streusiedlung, mit einem kleinen alten Straßen-Dorfkern. Die Hofgrößen bis 7,5 ha. wurden in der Steuerklasse von 1910 als Kleinbauern bezeichnet. Die Finanzierung der Neusiedler geschah neben Erbschaftsanteilen in der Regel über Hypotheken-Kredite der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion. Eine Alternative war die Pacht.
Das vorhandene Straßennetz und die Planung neuer Straßen bestimmte die räumliche Struktur von Willschicken. Die Anlage der privaten Zufahrtswege zu den neuen Grundstücken, häufig auch über die Nachbargrundstücke, führte aber oft zu Rechtsstreitigkeiten vor den örtlichen Behörden.
Von 1853 stieg die Einwohnerschaft in Willschicken durch Geburtenüberschuss von 110 auf 168 im Jahre 1868, um dann bis 1939 auf 127 Einwohner zu sinken. Was sich bemerkbar machte, war die dauerhafte Abwanderung der Landlosen, da die landwirtschaftlich zu nutzenden Flächen nicht beliebig vermehrbar waren, bzw. durch das Erbrecht festgelegt waren. Dazu kam, das Willschicken als kleines Bauerndorf nicht in der Lage war, dem Geburtenüberschuss seiner Bewohner eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten.
Willschicken wird zunächst Aulowönen, dann Franzdorf zugeordnet.
Nach der endgültigen Feststellung des Amtsbezirks „Groß Franzdorf Nr. 27“ am 17. 11. 1882 wurden die Grenzen von Wilkental festgelegt und die Lage der Neusiedlungen in Willschicken durch eine Straßenkarte zu den erworbenen Grundstücken in Form von örtlichen Bebauungsplänen vorbereitet. Die Bebauungspläne wurden von der Baupolizei in Aulowönen in der Person des Amtsvorstehers erarbeitet und mussten mit der Gemeindeverwaltung und dem Landrat in Insterburg abgestimmt werden. In der Gemeindeverwaltung waren die Interessen der Großbauern und Gutsbesitzer stark vertreten.
Nach 1918 waren alle „freien Ländereien“ in Willschicken aufgesiedelt. Nur noch durch Verkauf oder Konkurse fanden Besitzerwechsel statt.
Siehe dazu auch das Kapitel 6.4 Gemeindeverwaltung während der Königszeit, der Kaiserzeit und der Weimarer Republik
Berta und Ferdinand Tuttlies heirateten 1904 in Willschicken
Durch die räumliche Nähe der Höfe zueinander entstand zugleich eine soziale Nähe. Bei den Tuttliesen stamme die Ehefrau Berta Tuttlies, geb. Burba aus Paducken und der Ehemann Ferdinand Tuttlies aus Willschicken. Allgemein hieß es: Mädchen, mach die Augen auf, Heiraten ist kein Pferdekauf.
Die räumliche Orientierung der Bewohner von Wilkental, auf die Nachbargemeinden und Städte wie
- Pillwogallen später Lindenhöhe
- Paducken später Padau
- Aulowönen später Aulenbach
- Keppurlauken später Birkenhof
- Insterburg
hing von den notwendigen Aktivitäten der Willschicker, von der Art der in den Nachbargemeinden und Städte vorhandenen Gelegenheiten, den sozialen Kontakten und der räumlichen Lage der Höfe in Willschicken ab.
Siehe dazu auch 9.2 Willschicken und seine Nachbargemeinden
So war der Laden und die Gaststätte Lerdon in Lindenhöhe auch das "soziale Zentrum" vom östlichen Wilkental. Ganz in der Nähe besaßen die Tuttliesen auch ihren Hof. In südlichen Aulowöhnen wurden größere Sache gekauft, es gab einen Bahnhof, die Kirche, einen Arzt und eine Apotheke. Nach Insterburg fuhr man nur zu besonderen Gelegenheiten. Natürlich spielten die Verkehrsmittel, wie Fahrrad, Kutschwagen, Eisenbahn oder Auto und das Wetter und die Jahreszeiten eine Rolle
Eine Dorfgemeinschaft wie Wilkental, zeichnet sich durch soziale Beziehungen aus wie
- die Talka. Sie bezeichnete in Preußisch-Litauen die gegenseitige „Bitthilfe“ unter den Dorfbewohnern, die bei umfangreichen landwirtschaftlichen Arbeiten wie Pflügen, Aussaat, Roggenernte, Dreschen und Hausbau erbeten und gewährt wurde. Oft schloss ein großes abendliches Fest – möglichst mit Musik und Tanz – eine Talka ab, immer war sie mit reichlicher Verköstigung der Helfer verbunden. Der Hausbau der Tuttliesen wurde durch eine Talka tatkräftigt unterstützt.
- eine große Beteiligungen an Gottesdiensten, Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Trauerfeiern
- das Bestehen von stabilen Verwandtschafts- und Nachbarschaftsbeziehungen
- der regelmäßigen Besuche der Gaststätten. Es werden von den Männern beim Trinken Neuigkeiten ausgetauscht und Zeitungen gelesen. Am Wochenende wird dort von den jungen Leuten getanzt. Es ist die traditionelle Gelegenheit zum Kennenlernen.
- die Beschaffung den Witterungsverhältnissen - wie den langen und strengen Winter - angepasste Bekleidung und Nahrung
- das überwiegende Verwenden des ostpreußischen Platt als Alltagssprache, deren Sprach-Teile vielfach aus Litauen und Polen stammten
- die Nutzung von vergleichbare Aktionsräume, die über die formalen Gemeindegrenzen hinweggingen, häufig wurde im fußläufig erreichbaren Umfeld gearbeitet und geheiratet
- das Verwenden von vergleichbarem Häuserschmuck zu Festen wie Weihnachten, Ostern und Erntedank
- die Ausübung von vergleichbaren Sitten und Bräuche wie z. B. : Rasemuckenjagen und Schmackostern, Kalmus und Alwieteschockel, Roggenband und Plon, Weihnachtsschimmel und Pfefferkuchen, Brummtopf und Dannekindern, Schlorrenschmeißen und Naujahrsbock, Leinölbrot und Bügeltanz [109]
Hildegard Tuttlies sagte: “Wir lebten zwar in einer kleinen Welt, waren aber zufrieden.“
Siehe dazu auch im Text Willschicken – GenWiki (genealogy.net) das Kapitel 9 Geschichten & Anekdoten rund um Willschicken
Ferdinand Tuttlies nahm ab 1914 am 1. Weltkrieg teil
Andreas Kossert fasst die Auswirkungen des 1. Weltkrieges auf Ostpreußen zusammen:
Vom August 1914 bis zum Februar 1915 waren bis zu zwei Drittel Ostpreußens zeitweise russisch besetzt. Die zweimal durch Ostpreußen ziehende Frontlinie hinterließ durch die Kampfhandlungen ein zerstörtes Land. . „Bereits 1914 setzte man eine Kommission ein, welche die Verluste in Ostpreußen protokollieren sollte. Für die Gesamtprovinz belief sich der Schaden auf 1,5 Milliarden Mark. Etwa 1.500 Zivilisten waren der Besatzung zum Opfer gefallen. Insgesamt kamen während der Kämpfe 1914/15 über 61.000 Soldaten ums Leben – 27.860 Deutsche, 1.100 Österreicher sowie 32.540 Russen. Dramatische Auswirkungen zeigte der Verlust an Vieh und Pferden, der die Versorgung ernsthaft gefährdete. … Viele Menschen hatten aber auch in ihren Dörfern ausgeharrt oder waren auf der Flucht von russischen Truppen überrascht worden. Auf ‚Spionageverdacht‘ hatten die Besatzer gnadenlos reagiert, es war zu zahlreichen Exekutionen gekommen. … Insgesamt wurden bis zu 13.000 Zivilisten nach Russland deportiert und kehrten erst nach Jahren wieder zurück.“
Quelle: Kossert: ZEIT 13.02.2014
Siehe dazu auch das Kapitel 7.2 Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg
Der verlorenen 1. Weltkrieg hatte für Deutschland und Ostpreußen ab 1919 u.a. sowohl finanzielle als auch räumliche Folgen
Nach dem 1. Weltkrieg ist die Aussiedlung und Neugründung der Höfe in Willschicken weitergeht abgeschlossen. 4 von den 5 Tuttliesen Kindern verließen den heimatlichen Hof von Ferdinand Tuttlies in Willschicken, um sich woanders Arbeit zu suchen, da es zu Hause keine Anstellungen für sie gab.
Konjunkturzyklen bestimmten das Leben auf dem Lande. Die Konjunkturzyklen waren gerade für die Landwirtschaft in Ostpreußen eine Berg- und Talfahrt. Von 1848 bis 1873 gab es einen deutlichen und langen Aufschwung. Nach der Reichsgründung lösten sich danach bis zum 1. Weltkrieg 5 Konjunkturen und 5 Depressionen zeitlich ab. Dann folgten der 1. Weltkrieg, die Unterzeichnung des Versailler Vertrages, die Hyperinflation, die goldene Jahre, die Weltwirtschaftskrise und die Kriegsfinanzierung des 2. Weltkrieges.
Siehe dazu auch das Kapitel 4.1 Grundherrschaft und Gutsherrschaft
In Ostpreußen waren nach dem 1. Weltkrieg gegenüber dem Reich die Lebenshaltungskosten etwa 10 % höher, die Löhne etwa 20 % niedriger. Dazu kamen - was besonders wichtig war - stagnierende oder fallende Getreidepreise und erhöhte Transportkosten auf Grund des polnischen Korridors. Eine Industrialisierung hatte in Ostpreußen kaum stattgefunden. Erhöhte Steuern verschlechterte die Lage. Staatliche Siedlungsprogramme hatten kaum Erfolg. Das größte Problem war die fehlenden Arbeitsplätze, die zur Abwanderung führten. Zwar hatte die Güter während der Erntezeit große Bedarfe an Landarbeitern, die aber überwiegend durch "billige" polnischen Tagelöhner gedeckt wurden. Zwischen 1918 und 1933 verlor die Provinz Ostpreußen zwei Drittel ihres Zuwachses an Wohnbevölkerung insgesamt 375.000 Menschen durch Abwanderung. Auch Willschicken war von der Abwanderung betroffen
Alle Veränderungen betrafen besonders auch die Landwirtschaft und deren Bevölkerung auch in Willschicken fundamental, da sie keine ausreichenden Arbeitsplätze anbieten konnte
Siehe dazu auch das Kapitel 7.3 Zwischenkriegszeit - Weimarer Republik
Die finanziellen Forderungen gegen Deutschland aufgrund des Versailler Vertrages beliefen sich zunächst auf eine Abschlagszahlung von 20 Milliarden Goldmark. Am 5. Mai 1921 setzte die Reparationskommission die endgültige Kapitalsumme, die Deutschland zu tilgen und zu verzinsen hatte, auf 132 Milliarden Goldmark fest. Dazu kamen die Auslandsschulden. Um die Reparationen bezahlen zu können bedurfte es einer umfangreichen Finanz- und Steuerreform im Deutschen Reich. Initiator war Matthias Erzberger.
Matthias Erzberger wurde 1903 Abgeordneter für die Zentrumspartei im Reichstag und dort vor allem als Kritiker der Kolonialpolitik bekannt. Er beteiligte sich an der Aufdeckung mehrerer Kolonialskandale. Im Oktober 1918 wurde er Minister, im November 1918 unterzeichnete er als Bevollmächtigter der Reichsregierung und Leiter der Waffenstillstandskommission das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne, das die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs faktisch beendete. Anschließend setzte er als Reichsminister der Finanzen von 1919 bis 1920 die nach ihm benannte Erzbergersche Reform durch, die als umfangreichstes Reformwerk der deutschen Steuer- und Finanzgeschichte gilt. Eine Hetzkampagne des deutschnationalen Politikers Karl Helfferich und der damit verbundene Prozess zwangen ihn 1920 zum Rücktritt. Verbreiter der Dolchstoßlegende bezeichneten Erzberger als einen der „Novemberverbrecher“ und "Erfüllungspolitiker". Er wurde von zwei Marineoffizieren, beide Angehörige der rechten Organisation Consul und des Freikorps Oberland, 1921 ermordet. Im Nationalsozialismus wurden Teile der Erzbergerschen Steuerreform, insbesonders die Vermögensbezogenen Steuern, wieder zurückgenommen. Siehe auch die folgende Abbildung: Steuerentwicklung 1925 - 2020
Quelle: Matthias Erzberger - Wikipedia
Das Ziel der Steuerreform war eine sozial gerechte Verteilung der enorm angestiegenen Steuerlast auf Grund der Reparationen. Die durchgeführte Reichsfinanzreform schuf ein neues Steuersystem auf Basis einer einheitlichen Besteuerung mit einer progressiv ausgestalteten Einkommenssteuer als Herzstück und weiteren direkten wie indirekten Reichssteuern. Die Einkommensteuer war im Kaiserreich gering und betrug beispielsweise in Preußen max. 4 %. Nun wurde der Spitzensteuersatz auf 60 % angehoben. Die Steuerkompetenz ging weitgehend auf die Republik über, dass die Länder und Kommunen prozentual an den Steuereinnahmen beteiligten. Statt 2 Milliarden Mark an Steuern und Abgaben vor dem Krieg benötigte der Staat nun 17 Milliarden Mark. In der Landwirtschaft lag z. B. vor dem 1. Weltkrieg die abzugsfähige Steuerlast vom Betriebsergebnis durchschnittlichen bei 1 - 2 % um ab 1920 auf 4 - 6 % zu steigen. Bei etwa 20 % der über 100 ha großen Gütern in Ostpreußen wurden Steuernachzahlungen eingefordert, da hier Steuerhinterziehung aufgedeckt wurden. So stiegen die vorher sehr niedrige gesamte Steuerlast einiger ostpreußischen Gutsbesitzer ab 1920 um bis zu 520 %. Dies führte häufig zu weiterer Verschuldung und zu enormen politischen Widerständen.
Quelle: Dieter Hertz-Eichenrode, Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen 1919 - 1930
Auch die Tuttliesen als Grundbesitzer in Willschicken hatten Steuern zu zahlen.
Die Grundsteuer zielt auf den Ertrag, der aus dem Grund und Boden gewonnen wird. Nach dem „Gesetz über die Einrichtung des Abgabewesens“ vom 30. Mai 1820 war in jeder preußischen Provinz eine Grundsteuer zu erheben, die durch die Gemeinden von den zahlungspflichtigen Eigentümern in monatlichen Beiträgen eingezogen wurde. Die Grundsteuer war bis zur Steuerreform 1920 die Haupteinnahmequelle des preußischen Staates.
Während bei den älteren Grundsteuerformen nur grobe Schätzungen des Bodenwerts nach dem Flächeninhalt (Hufe, Morgen) zugrunde gelegt wurden, kam mit der Ausbildung des Katasterwesens vom 18. Jahrhundert an die qualitative Beurteilung hinzu. Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre wurde streng nach den Flurstücken des Liegenschaftskatasters vorgegangen. Jede Parzelle wurde einzeln geschätzt. Dies war ein relativ aufwändiges Verfahren, gerade bei kleinen Parzellen. Danach wurden Flurbücher und Mutterrollen erstellt. 4 Jahre lang arbeiteten etwa 3.500 Beamte in Preußen daran, die notwenigen Unterlagen zu erstellen. Jährlich wurden dafür etwa 20 Mil. RM benötigt.
Zur Ermittlung des jeweiligen Wertes eines Grundstücks war sein Flächeninhalt durch eine "Parzellar- oder Stückvermessung" zu ermitteln. Die Ergebnisse wurden in Flurbüchern und Mutterrollen festgehalten,
- Flurbuch: Die Flurbücher sind Verzeichnisse aller Flurstücke einer Flur, die je Flur fortlaufend nummeriert sind, mit deren Lagebezeichnung, Eigentümer, Flächengröße, Kulturart, Bodenqualität, Klassensteuereinteilung und Reinertrag.
- Mutterrolle: Die Mutterrolle diente der Erhebung der Grundsteuer und einhielt je Artikel die Grundstücke eines Eigentümers mit deren Lagebezeichnung, Flächengröße, Kulturart, Bodenqualität, Klassensteuereinteilung und Reinertrag.
Als Reinertrag galt der nach Abzug der Bewirtschaftungskosten verbleibende erzielbare Überschuss.
Zur Klassensteuer siehe das Kapitel 3.2.21 Vorbereitung der Preußischen Reformen 1807 - 1815
Die individuellen Reinerträge wurden nach der Erhebung in 8 unterschiedliche Klassen eingeteilt Nach der Klassenbildung wurden zusätzliche Werte nach einer fachgerechte und qualitative Bodenschätzung von Kulturart und Bodenqualität hinzugezogen. Unter Bodenschätzung, auch Bonitierung oder Bonitur, verstand man die Bewertung der Ertragsfähigkeit und damit die Schätzung des Wertes (Bodenbonität) landwirtschaftlicher Grundstücke (Ackerböden oder Grünlandböden). Dazu wurden zunächst im Rahmen der Acker- bzw. Grünlandschätzung die Ertragsfähigkeit des Grundstücks beurteilt, die sich allein aus dem Boden und bei Grünland zusätzlich aus dem Klima ergab. Danach erfolgen Zu- oder Abschläge, die die Geländeeigenschaft (z. B. Hangneigung) berücksichtigen. Danach wurde für jedes Dorf nur ein einziger mittlerer Durchschnitts-Wert ermittelt. Der Reinertrag wurde von den Katasterämter für die Gesamtfläche jeder Gemeinden pauschal und für die großen (Ritter) Güter individuell festgelegt. In Willschicken betrugen im Jahr 1905 die Gemeinde - Grundfläche 319,8 ha, der Grundsteuer Reinertrag 8,87 RM je ha. Für 1925 wurden er bei analoger Fläche um 4,8 % erhöht. Dieses System wurde seit dem 1. April 1938 durch ein einheitliches Grundsteuerrecht abgelöst.
Quelle:
Die Erträge aus dem Nebenerwerb der Schneiderei von Ferdinand Tuttlies wurden nicht immer berücksichtigt, obwohl er sein penibel von seiner Frau Berta geführte Schneiderbuch der Gemeinde jedes Jahr vorlegte. "Dö sin Kinkalitkes" wurde ihm beschieden.
Deutsche Reparationsleistungen mussten in Goldmark, Devisen und Sachgütern geleistet werden. Letztendlich belief sich die Gesamtsumme der durch die Weimarer Republik erfolgten Zahlungen bis 1923 nach deutschen Angaben auf 67,7 Milliarden Goldmark, nach den alliierten Berechnungen aber nur 21,8 Milliarden Goldmark. Die Differenz erklärt sich durch eine unterschiedliche Bewertung zahlreicher Leistungspositionen.
Im 15. Oktober 1923 wurde in Berlin zur Neuordnung der Währungsverhältnisse in Deutschland die Deutsche Rentenbank errichtet. Ihre Aufgabe bestand in der Stabilisierung der Währung und der Rückgewinnung des völlig verlorengegangenen Vertrauens in das deutsche Geld. Damit gelang es, die Hyperinflation abrupt anzuhalten. Die alte Mark blieb vorerst gesetzliches Zahlungsmittel und wurde am 30. August 1924 durch die Reichsmark ersetzt. Wer sich etwa vor 1921 für ein Haus oder anderen Grundbesitz verschuldet hatte, der war über Nacht seine Schulden los. Größter Profiteur war der Staat. Seine gesamten Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark beliefen sich, als am 15. November 1923 die neue Währung Rentenmark eingeführt wurde, auf minimale Beträge.
Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurde dann auch der Teil der deutschen Schulden geregelt, der auf verbleibende Auslandsschulden bezüglich der Reparationsforderungen des Versailler Vertrags zurückging. Die Bedienung dieser Auslandsschulden war am 3. Oktober 2010 abgeschlossen
Ostpreußen wurde 1919 durch den Versailler Vertrag vom übrigen Reichsgebiet getrennt und konnte ohne Grenzkontrollen nur per Schiff (Seedienst Ostpreußen), auf dem Luftweg oder über bestimmte Bahnstrecken durch den Polnischen Korridor erreicht werden. Ferdinand Tuttlies verkündet: "We liv on en Inselken."
Sieh auch dazu das Kapitel 7.3.1 Polnischer Korridor
Die ursprüngliche Fläche von Ostpreußen wurde aufgrund des Versailler Vertrages drei Mal verändert - und zwar durch die (vorläufige) Abtrennung des Memelland, des Soldauer Ländchen und Westpreußen. Die Abtretungen wurden durch den Nationalsozialismus wieder revidiert. 1939 gab es eine Vergrößerung durch die widerrechtliche Annexion des polnische Landkreis Ciechanów hinzu.
Das Memelland oder Memelgebiet (litauisch Klaipėdos kraštas) war ein Gebiet im nördlichen Ostpreußen, das Deutschland 1920 nach Artikel 99 des Versailler Vertrags ohne Volksabstimmung an die alliierten Mächte abtreten musste. Es lag rechts der Memel bzw. ihres Deltaarms Skierwieth (Skirvytė) und umfasste auch den entsprechenden Teil der Kurischen Nehrung. Bis Anfang 1923 verwaltete Frankreich das Gebiet in Vertretung des Völkerbundes. Dann wurde es von Litauen annektiert.
Das 2656,7 km² große Territorium war etwa 140 km lang und bis zu 20 km breit. Von den über 140.000 Bewohnern bezeichneten sich im Jahr 1925 laut einer litauischen Volkszählung 72,5 % als Deutsche bzw. Kulturdeutsche – darunter waren 16 % zweisprachig – und 27,5 % als Litauer. Größte Stadt war in jener Zeit Memel (Klaipėda) mit 40.000 Einwohnern (1931 11 % Litauer), gefolgt von Heydekrug (Šilutė) mit 5000 Einwohnern und Pogegen (Pagėgiai) mit 2800 Einwohnern.
Im März 1939 zwang der NS-Staat Litauen unter Kriegsdrohung, das Memelland abzutreten, das anschließend in Ostpreußen aufging. Da diese Gebietserweiterung nach dem 31. Dezember 1937 stattfand, zählte das Memelland völkerrechtlich nicht zu den Ostgebieten des Deutschen Reiches.
Aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags von 1919 wurde das Gebiet Soldau zusammen mit weiteren 32 Gemeinden des Kreises Neidenburg am 10. Januar 1920 an Polen abgetreten. An den Volksabstimmungen in Ost- und Westpreußen nahm das sogenannte Soldauer Gebiet („Soldauer Ländchen“) nicht teil, da die Bahnlinie Danzig–Warschau aus geostrategischen Gründen Teil des Polnischen Korridors wurde.
Während des Polnisch-Sowjetischen Kriegs wurde Soldau im August 1920 kurzfristig von der Roten Armee besetzt, die die Rückkehr des gesamten Polnischen Korridors nach Deutschland ankündigte und vom deutschen Teil der Bevölkerung begeistert begrüßt wurde.
Als Folge des Überfalls auf Polen und der anschließenden Okkupation 1939 kam das Soldauer Gebiet völkerrechtswidrig zum NS-Staat. Am 26. Oktober 1939 wurden die ehemals zum Kreis Neidenburg gehörenden Gemeinden einschließlich Soldau zunächst zum Landkreis Soldau zusammengefasst. Mit Wirkung zum 24. April 1940 erfolgte die Vereinigung mit dem Landkreis Neidenburg.
Vom 3. Dezember 1829 bis zum 1. April 1878 waren Westpreußen und Ostpreußen zur Provinz Preußen vereinigt, die seit dem 1. Juli 1867 zum Norddeutschen Bund und seit dem 1. Januar 1871 zum Deutschen Reich gehörte.
Mit dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 fiel das gesamte Kreisgebiet westlich der Weichsel als neuer Kreis Gniew (Mewe) an Polen. Dieser wurde zum 1. April 1932 aufgelöst und auf die Kreise Tczew (Dirschau), Starogard (Preußisch Stargard) und Swiecie (Schwetz) aufgeteilt. Der vorläufig deutsch gebliebene Ostteil wurde einstweilig dem Oberpräsidenten in Königsberg i. Pr. unterstellt. Am 24. Januar 1920 trat der Kreis unter die Interalliierte Kommission für Regierung und Volksabstimmung in Marienwerder.
Nach dem eindeutigen Ergebnis der Volksabstimmung im Abstimmungsgebiet Marienwerder am 11. Juli 1920 verblieb der verkleinerte Restkreis im Deutschen Reich. Trotz des positiven Ausgangs des Referendums für einen Verbleib beim Deutschen Reich mussten allerdings am 12. August 1920 auch die östlich der Weichsel gelegenen Landgemeinden Außendeich, Johannisdorf, Kleinfelde, Kramershof und Neu Liebenau an Polen abgetreten werden.
Mit dem 16. August 1920 endete die Unterstellung des Kreises unter die Interalliierte Kommission für Regierung und Volksabstimmung in Marienwerder. Nunmehr konnten endgültige Regelungen hinsichtlich der Reste der Provinz Westpreußen getroffen werden. Zum 1. Juli 1922 wurde der Kreis Marienwerder in die Provinz Ostpreußen eingegliedert. Der Regierungsbezirk Marienwerder wurde aus Traditionsgründen in Regierungsbezirk Westpreußen umbenannt. Sitz des Regierungspräsidenten blieb die Stadt Marienwerder.
Zum 30. September 1929 fand im Kreis Marienwerder entsprechend der Entwicklung im übrigen Preußen eine Gebietsreform statt, bei der alle selbstständigen Gutsbezirke aufgelöst und benachbarten Landgemeinden zugeteilt wurden. Dominierender Wirtschaftszweig zu jener Zeit war die Landwirtschaft, in der 1933 rund 65 % der nicht in der Kreisstadt lebenden Bewohner tätig waren.
Mit dem 26. Oktober 1939 wurde der Landkreis Marienwerder Teil des neu gebildeten Reichsgaus Westpreußen, der zum 2. November 1939 in „Reichsgau Danzig-Westpreußen“ umbenannt wurde. Der Regierungsbezirk führte jetzt zwar wieder die frühere Bezeichnung „Marienwerder“, war aber nicht mehr Bestandteil des Freistaats Preußen.
Am 2. Dezember 1940 wurden rückwirkend die seit dem 26. Oktober 1939 mit verwalteten polnischen Gemeinden Burztych (Außendeich), Janowo (Johannisdorf), Kramrowo (Kramersdorf), Male Polko (Kleinfelde) und Nowe Lignowy (Neuliebenau) des Landkreises Dirschau in den Landkreis Marienwerder eingegliedert.
Siehe auch dazu: Friedensvertrag von Versailles – Wikipedia
Nach dem Ende der Weimarer Republik verkündete der Bürgermeister von Willschicken 1933: Willschicken soll nationalsozialistisch werden
Die Diktatur des Nationalsozialismus, die Kriegswirtschaft, die Einberufung der Männer und der Militäraufmarsch griffen tief in die bisherigen dörflichen Strukturen ein.
Die Gleichschaltung der NSDAP machte auch vor Willschicken nicht halt. Die Verwaltung wurde anpassen. Der Kreisleiter der NSDAP war nun für den Landkreis Insterburg im Gau Ostpreußen maßgeblich. Der Ortsbauerführer und der Blockwart bestimmten weitgehend das Dorfleben durch regelmäßig Kontrollen und gegebenenfalls verhängten Sanktionen. Hildegard Tuttlies schätzt, dass von den 23 Höfen in Wilkental, es etwa Zweidrittel gab, auf denen häufig zumindest ein jüngeres Mitglied in der NSDAP bzw. in deren Unterorganisationen zu Hause war. Anni Bartuschat aus Willschicken migrierte lt. Bremer Passagierlisten am 18. Mai 1934 auf dem Schiff „Bremen“ von Bremen nach New York. Quelle: https://www.passagierlisten.de/. Vor dem Bürgermeisteramt des Großbauern Mikuteit wurde eine Hakenkreuzfahne gehisst. Das vor dem Tuttliesen Hof liegende und von der Familie gepflegte Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg wurde eingeebnet.
Siehe dazu auch: 7.4.7 Die Lage der ländlichen Bewohner in Ostpreußen ab 1933
Die Provinz Ostpreußen wurden von den Nationalsozialisten durch Annektionen von Teilen Polens auch räumlich vergrößert. Siehe dazu auch: 7.4.2 Generalplan Ost
Hildegard Tuttlies erfuhr auf ihrer Arbeitsstelle, einer Baumschule am Mauersee, informell durch den Briefträger vom Bau der umfangreichen Bunkeranlagen für das Oberkommando Herr (OKH Mauerwald) und für Hitler ("Wolfsschanze" bei Rastenburg). Diese Orte waren von der alliierten Luftwaffe bis Mitte 1944 noch nicht erreichbar. Die örtlichen Briefträger hatten eine genaue Liste erhalten, in welchen Gebieten keine Post mehr auszutragen war. Die neu eingerichteten Großlager für die zwangsverpflichteten Bauarbeiter und der umfangreiche Baustellenverkehr blieben den örtlichen Anliegern nicht verborgen.
Vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus bekam man in Willschicken nur durch die extrem negative nationalsozialistische Presse zum 20. Juli 1944 etwas mit. Unter den mehr als 200 später wegen der Erhebung Hingerichteten waren 1 Generalfeldmarschall , 19 Generäle, 26 Oberste, zwei Botschafter, sieben Diplomaten, ein Minister, drei Staatssekretäre sowie der Chef des Reichskriminalpolizeiamts; außerdem mehrere Oberpräsidenten, Polizeipräsidenten und Regierungspräsidenten. Darunter waren beispielhaft u.a. folgende ostpreußische Offiziere und Verwaltungsangehörige:
- Heinrich Graf von Dohna-Schlobitten, Gutsbesitzer. (* 15. Oktober 1882 in Waldburg bei Königsberg; † 14. September 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war deutscher Generalmajor und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graf_zu_Dohna-Schlobitten
- Oberstleutnant Hans Otto Erdmann, (* 18. Dezember 1896 in Insterburg; † 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war Berufsoffizier und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Otto_Erdmann
- Wessel Freytag von Loringhoven, (* 10. November 1899 in Groß Born, Kurland, Lettland; † 26. Juli 1944 im OKH Mauerwald, hingerichtet ) war Oberst im Generalstab der deutschen Wehrmacht. Er war Mitglied des militärischen Widerstandes gegen Adolf Hitler und seit 1937 befreundet mit Claus Graf Schenk von Stauffenberg, der das Attentat vom 20. Juli 1944 ausübte. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wessel_Freytag_von_Loringhoven
- Fritz Goerdeler, Stadtkämmerer von Königsberg (* 6. März 1886 in Schneidemühl; † 1. März 1945 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war ein deutscher Jurist. Wie sein Bruder Carl Friedrich engagierte er sich im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Siehe dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Friedrich_Goerdeler. Zu Beginn des Jahres 1943 übernahm Fritz Goerdeler die Aufgabe, in Königsberg Verbündete für den geplanten Staatsstreich zu werben. Er unterhielt hierfür enge Kontakte zu militärischen Widerstandskreisen. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 verhaftete die Gestapo neben anderen Mitgliedern der Familie auch Fritz Goerdeler. Am 23. Februar 1945 zum Tode verurteilt, wurde er am 1. März 1945 in Plötzensee gehenkt. Die Töchter Jutta und Benigna überlebten die Sippenhaft der SS, bis sie am 30. April 1945 befreit wurden. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Goerdeler
- Oberst Kurt Hahn, (* 22. Juli 1901 in Januschkau (Landkreis Osterode in Ostpreußen); † 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war ein deutscher Oberst im Generalstab und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Hahn_(Offizier)
- Major Gerhard Knaak, (* 19. Juni 1906 in Königsberg; † 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war ein deutscher Berufsoffizier und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Gerhard Knaak war als Major Kommandeur eines Pionier-Bataillons, das an der Ostfront in Russland zum Einsatz kam. Im November 1943 erklärte er seine Bereitschaft, Sprengstoff für einen Anschlag zu organisieren. Allerdings wurde später englischer Sprengstoff, der geeigneter erschien, von Wessel Freytag von Loringhoven besorgt und verwendet. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Knaak
- Hans Koch, Rechtsanwalt (* 16. August 1893 in Bartenstein in Ostpreußen † 24. April 1945 in Berlin, erschossen) war ein deutscher Jurist und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde Hans Koch Mitglied der Bekennenden Kirche. Als er im Herbst 1935 eine jüdische Industriellenfamilie in einem Enteignungsprozess mutig und „zu gut“ verteidigte, wurde er verhaftet und blieb ohne Prozess bis Ende 1935 in Haft. Er gehörte 1937 zu den Verteidigern von Pastor Martin Niemöller und Hermann Ehlers. Sofort nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er als Reserveoffizier einberufen, d. h. „aus dem Verkehr gezogen“. Wegen seiner früheren Verwundung kam er aber nicht an die Front, sondern wurde als Hauptmann a. D. im Rüstungsamt des Oberkommandos der Wehrmacht eingesetzt. Im Januar 1945 wurde er denunziert und verhaftet. Als die sowjetischen Truppen bereits die Stadtgrenze Berlins erreicht hatten, wurde er ohne Prozess oder Urteil in der Nacht vom 23. auf den 24. April 1945 von einem Sonderkommando des Reichssicherheitshauptamts erschossen Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Koch_(Jurist)
- Oberstleutnant i. G. Wilhelm Kuebart, (* 4. März 1913 in Trakehnen; † 24. September 1993 in Marquartstein) war ein deutscher Offizier und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Die vorhandenen Beweise reichten nicht aus, Kuebart wirkliche Teilhabe an der Verschwörung nachzuweisen, obgleich er in die Planungen eingeweiht war und sie unterstützte. Er wurde jedoch zu einer fünfjährigen Zuchthausstrafe verurteilt und mit der Begründung, er sei unwürdig, weiterhin die deutsche Uniform zu tragen, unehrenhaft aus der Wehrmacht ausgestoßen. Zwar brauchte er die Haftstrafe nicht anzutreten, blieb jedoch unter ständiger Beobachtung durch die Geheime Staatspolizei. Er starb am 24. September 1993 in Marquartstein. Quelle:https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Kuebart
- Oberleutnant d. R. Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort, Volkswirt und Gutsbesitzer (* 22. Juni 1909 Hannover; † 4. September 1944 Berlin-Plötzensee, hingerichtet) Während des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg war Lehndorff Ordonnanzoffizier bei der Heeresgruppe Mitte, unter anderem von Generalfeldmarschall Fedor von Bock. Ein Massaker an 7000 Juden in Baryssau im Oktober 1941 wurde für ihn zum entscheidenden Grund, sich dem militärischen Widerstand gegen das NS-Regime anzuschließen. Als Oberleutnant der Reserve war Lehndorff Verbindungsoffizier des „Unternehmens Walküre“ zum Wehrkreis I in Königsberg. Er hatte Urlaub von der Wehrmacht zur Führung seines sehr großen Gutsbetriebes. Sein Schloss Steinort besuchten Henning von Tresckow, Fabian von Schlabrendorff und Helmuth James Graf von Moltke. Konspirative Gespräche wurden bei Kutschfahrten oder im Park hinter dem Schloss geführt. Einen Tag nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 in dem nahen Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ wurde Lehndorff verhaftet. Zweimal hat er fliehen können, in Steinort und in Berlin. Seine Töchter Gabriele Pauline Agnes (20 Monate), Vera Gottliebe Anna (5 Jahre) und Maria-Eleonore (6 Jahre) internierten die Nationalsozialisten vom 26. August 1944 bis Dezember 1944 im Kinderheim im Borntal in Bad Sachsa. Lehndorff wurde am 3. September 1944 durch den Volksgerichtshof zum Tod verurteilt und am darauf folgenden Tag erhängt. An ihn und weitere Opfer des Nationalsozialismus erinnert die Gedenkstätte Plötzensee. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Graf_von_Lehndorff-Steinort
- Joachim Meichßner, (* 4. April 1906 in Deutsch-Eylau; † 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war ein deutscher Berufsoffizier und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Quelle:https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Meich%C3%9Fner
- Joachim Sadrozinski, (* 20. September 1907 in Tilsit; † 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war ein deutscher Oberstleutnant im Generalstab und Widerstandskämpferdes 20. Juli 1944. Am 20. Juli 1944 unterstützte Sadrozinski Stauffenberg, indem er beispielsweise die Befehle für das Unternehmen Walküre an die Wehrkreise verschickte. In diesen wurde Hitler für tot erklärt und die Verhaftung zentraler Personen der SS, dem SD, der Gestapo und der NSDAP befohlen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Sadrozinski
- Hellmuth Stieff, (* 6. Juni 1901 in Deutsch Eylau; † 8. August 1944 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet) war ein deutscher Generalmajor und Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944. Er wurde in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 im Führerhauptquartier Wolfsschanze bei Rastenburg/Ostpreußen verhaftet und schwer misshandelt. Die Gestapo versuchte erfolglos, mittels Folter Namen aus ihm herauszupressen. Sein Schweigen rettete, so der Historiker Horst Mühleisen, „die Brüder Georg und Philipp von Boeselager, Axel von dem Bussche, Rudolf-Christoph von Gersdorff und andere“. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmuth_Stieff
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Personen_des_20._Juli_1944
"Hans Graf von Lehndorff war der Bruder von Oberleutnant d. R. Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort (siehe oben). Hans Graf von Lehndorff, der Medizin studiert hatte und Chirurg geworden war, kam als Assistenzarzt am Kreiskrankenhaus in Insterburg Ende 1941 mit einer Gruppe evangelischer Laien in Kontakt, die sich in einer Zeit wachsender politischer Bedrängnisse zusammengefunden hatten. Von dieser Gruppe führten ihn Wege in die evangelische Bekennende Kirche und in den inneren Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Zur Wehrmacht wurde Lehndorff wegen Unabkömmlichkeit im Krankenhaus nicht eingezogen. Er leitete Anfang 1945 ein Lazarett in Königsberg und erlebte die Schlacht um Königsberg und die Einnahme der Stadt durch die Rote Armee.
Unter monatelangem Beschuss der weitgehend eingeschlossenen und zerstörten Stadt durch Artillerie und Tiefflieger versorgte er Verwundete, Kranke und Gebärende in Krankenhäusern, Bunkern und Kellern, hielt Andachten und Bibellesungen ab. Eine Gelegenheit zur Flucht aus der Stadt nahm er nicht wahr, auch motiviert durch seinen christlichen Glauben. Lehndorff arbeitete ärztlich weiter, auch als sich die Situation in Königsberg nach Eroberung durch die Rote Armee mit Plünderungen, Morden und Massenvergewaltigungen in der durch Brandstiftungen in ein Flammenmeer verwandelten Stadt zur Apokalypse steigerte. „Ich bin so ausgelöscht, daß ich nicht einmal mehr beten kann“, „Das ist der Mensch ohne Gott, die Fratze des Menschen“, „Kann man überhaupt von diesen Dingen schreiben, den furchtbarsten, die es unter Menschen gibt?“
Lehndorff machte auch die zeitweilige Austreibung der Königsberger Restbevölkerung im April 1945 ins Samland mit, kam in das Internierungslager Rothenstein des NKWD und setzte dann in der von Hunger, Seuchen und massenhaftem Sterben heimgesuchten Stadt seine ärztliche Tätigkeit unter Extrembedingungen bis Oktober 1945 fort. Dann schlug Lehndorff sich in das westliche Ostpreußen und angrenzende Westpreußen durch, eine Region, die er aus Kinder- und Jugendzeiten durch Besuche bei seinen Großeltern gut kannte. Er lebte unter elenden Bedingungen illegal zwischen restlichen Deutschen, Polen und sowjetischen Besatzungssoldaten. Häufig auf der Flucht, war er mit ärztlichen Hilfsleistungen tätig und erhielt dafür Naturalien. Auf dem Gutsfriedhof von Januschau brachte er die aufgewühlten Gräber seiner Verwandten provisorisch wieder in Ordnung. Neben den Vorfahren mütterlicherseits ruhten dort zwei seiner Brüder. Lehndorff spürte auch die Stelle im Ort Kontken bei Stuhm auf, wo seine Mutter, ein Bruder und sechzehn andere Mitglieder des Trecks aus Januschau von Rotarmisten erschossen worden waren. Sie waren erst Wochen nach ihrem Tod vor Ort in einem Massengrab beerdigt worden. Aus Rosenberg, wo Lehndorff zuletzt im Krankenhaus gearbeitet hatte, durfte er dann im Mai 1947 nach Deutschland ausreisen."
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_von_Lehndorff
Seine Erlebnisse von 1945 bis 1947 nach der Eroberung seiner Heimat durch sowjetische Truppen schrieb Lehndorff in seinem Ostpreußischen Tagebuch auf, das bis heute immer wieder neu publiziert wird (2020 wurde die 35. Auflage veröffentlicht) und auch verfilmt wurde. Die Kaliningrader Zeitung Nowyje Koljossa veröffentlichte einen Auszug in russischer Übersetzung. Quelle: Graf von Lehndorff Ostpreußisches Tagebuch: Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945–1947
Am 03. 06. 1938 erfolgte die Umbenennung der Gemeinden Willschicken in Wilkental
Noch während der Weimarer Republik 1927 wurde ein Gemeindereformgesetz erlassen, welches die bisherige kommunale Selbständigkeit der großen Güter aufhob und diese an bestehende Gemeinden angliederte oder zu neuen Gemeinden zusammenfasste. Da man nun für diese größeren Einheiten oft neue Namen suchte, wurde die Gelegenheit wahrgenommen, die alten litauisch klingenden Ortsnamen durch deutsche zu ersetzen.
Die Nationalsozialisten ersetzten 1938 systematisch alle litauischen Orts-, Fluss-, Forst- und Moornamen durch „Eindeutschungen“ und verdrängten die litauische Sprache und deren Kultur.
Die Deutsche Gemeindeordnung (DGO) vom 30. Januar 1935 löste das zuvor geltende von den deutschen Ländern geschaffene Kommunalverfassungsrecht ab und schuf in Deutschland eine „reichsweit“ einheitliche, zentralistische gesetzliche Regelung. Die kommunale Selbstverwaltung blieb zwar nominell als Konstrukt erhalten: Die Gemeinden "verwalten sich unter eigener Verantwortung", faktisch jedoch wurde sie abgeschafft: Es gab weder eine gewählte Vertretungskörperschaft die Gemeindevertretung noch ein gewähltes Verwaltungsorgan den Gemeindevorstand. Wahlen durch die Gemeindebewohner oder gewählter Vertreter (Schöffen) gab es ebenfalls nicht mehr. Der Kreisleiter der NSDAP bestimmte die Richtung.
Wilkental wurde seit 1940 polizeilich verwaltet vom Amtsvorsteher, dem Besitzer Julius Onusseit in Klein Schunkern. Mit der Einführung der Kreisordnung für die sechs östlichen preußischen Provinzen vom 13. Dezember 1872 zum 1. Januar 1874 wurde die gutsherrliche Polizeigewalt beseitigt. Sie wurde aber nicht auf die Gemeinden oder auf den Kreis übertragen, sondern den neuen Amtsvorstehern anvertraut. Diese wurden vom Kreistag für ihren Bezirk, den Amtsbezirk, gewählt und vom König, später vom Oberpräsidenten und zuletzt vom Regierungspräsidenten ernannt. Der Amtsbezirk umfasste mehrere Landgemeinden oder Gutsbezirke, während die Stadtgemeinden außerhalb des Bereichs eines Amtsbezirks blieben. Größere Landgemeinden oder Gutsbezirke konnten auch allein für sich einen Amtsbezirk bilden (Eigenamtsbezirk).
Der Amtsvorsteher war die Ortspolizeibehörde. Er wurde bis 1933 für die Dauer von sechs Jahren gewählt und später durch die Parteigliederungen der NSDAP ernannt. Bei Fehlen geeigneter Kandidaten konnte auch ein Amtsvorsteher für den Bereich eines oder mehrerer benachbarter Amtsbezirke kommissarisch ernannt werden. In einem Eigenamtsbezirk nahm der Gemeinde- oder Gutsvorsteher die Aufgaben des Amtsvorstehers wahr. Einen bestimmten Amtssitz gab es nicht. Die Geschäfte wurden vom Wohnsitz des Amtsvorstehers aus ehrenamtlich geleitet, so dass dieser Sitz bei der Ernennung eines neuen Amtsvorstehers auch örtlich wechseln konnte. So sollten eine sparsame Verwaltung gewährleistet sein und die schwache Finanzkraft der östlichen Kreise Preußens nicht durch eine hauptamtliche Verwaltung überfordert werden. Hildegard Kiehl berichtete, dass der Amtsvorsteher als überzeugter Nationalsozialist ab 1940 bei den Tuttliesen in Wilkental nicht sonderlich beliebt war. Ursache waren mehrfache unangemeldete Polizei-Kontrollen der Milchabgaben und der Schweinehaltung.
Siehe dazu auch: 7.4.5 Veränderungen in der Verwaltung während des Nationalsozialismus
Von den 122 Einwohnern in Wilkental im Jahre 1939 kamen durch den 2. Weltkrieg und dessen Folgen 34 Menschen um, darunter 4 Mitglieder der Tuttliesen-Familie
Die Gemeinde Wilkental wird nach 1945 aufgelassen und fast alle Häuser sind zerstört, der Rest wird leergeräumt und bis auf 4 Häuser abgebrochen. Nach dem verlorenen Weltkrieg wurde 1945 das ehemalige Ostpreußen geteilt, der Süden kam zu Polen, der Norden zur damaligen Sowjetunion. Das südliche Ostpreußen deckt sich heute weitgehend mit der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren (poln. Województwo warmińsko-mazurskie) mit der Gebiets-Hauptstadt Allenstein/Olszty. Es ist ein beliebtes Tourismusgebiet geworden. Der nördliche Teil, der Oblast Kaliningrad (Kaliningradskaja oblast’), wurde Teil der RSFSR (nach 1991 Russische Föderation) mit der Hauptstadt Kaliningrad. Unter allen deutschen Provinzen hatte Ostpreußen im Zweiten Weltkrieg die meisten Verluste erlitten: Von seinen fast 2,5 Mio. Einwohnern fielen 511.000 Menschen (darunter 311.000 Zivilisten) im Kampf, auf der Flucht, durch Verschleppung und Lagerinternierung sowie dem Hunger und der Kälte zum Opfer.
Siehe dazu auch:
Text Willschicken 10 Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang
und
Kapitel 7.5 Ausblick auf den Oblast Kaliningrad 7.5 Ausblick auf den Oblast Kaliningrad
Lage der Gemeinde Willschicken in Ostpreußen
Die verwaltungsmäßige Gliederung von Ostpreußen und damit die Entwicklung von Willschicken wurde durch die folgenden geschichtlichen Herrschaftsformen mitbestimmt:
- Ordensstaat 1231 – 1525
- Herzogtum Preußen 1525 – 1618
- 1618 fiel das Herzogtum Preußen durch Erbschaft an die brandenburgischen Hohenzollern, es wurde zu Brandenburg-Preußen
- Königreich Preußen 1701 – 1772
- 1772 Vereinigung des Königreich Preußen und Fürstbistums Ermland zur Provinz Ostpreußen
- 1808 Verwaltungsreform: Umbenennung der Kriegs- und Domänenkammer in Regierung und des Kammerbezirks in Regierungsbezirk.
- 1823 Vereinigung der Provinz Ostpreußen mit der Provinz Westpreußen zur Provinz Preußen mit den Regierungsbezirken Königsberg, Gumbinnen, Danzig und Marienwerder
- 1878 Teil des Dt. Reiches, Aufteilung der Provinz Preußen in die Provinz Ostpreußen, bestehend aus den Regierungsbezirken Königsberg und Gumbinnen und in die Provinz Westpreußen bestehend aus den Regierungsbezirken Danzig und Marienwerder
- 1905 Provinz Ostpreußen wird in drei Regierungsbezirke Königberg, Gumbinnen und Allenstein aufgeteilt
- 1920 Weimarer Republik, Einrichtung des Polnischer Korridors und Ausgliederung des Memellandes, Soldauer Ländchen und von Westpreußen
- 1945 Drittes Reich, Ostpreußen wurde geteilt und aufgelöst, der Süden kam zu Polen, der Norden zur damaligen Sowjetunion, heute Russischen Föderation
Unterhalb der Provinzebene wurden in Preußen ab 1808 „königliche Regierungen“ eingerichtet, die später als Regierungsbezirk bezeichnet und als Mittelinstanz eingeführt wurden. In der Provinz Ostpreußen gab es zwei Regierungsbezirke. An der Spitze eines Regierungsbezirks stand ein Regierungspräsident.
Im Gegensatz zu den Provinzen trugen die Regierungsbezirke und Landkreise nicht einen traditionellen Namen, sondern den ihres Verwaltungssitzes. Diese lagen in manchen Fällen nicht im größten Ort. Beides trug dazu bei, dass die Identifikation der Bevölkerung mit der regionalen Ebene Regierungsbezirk gering war.
Auf lokaler Ebene wurden Kreise eingerichtet, die ein Bindeglied zwischen der staatlichen Verwaltung und der durch die geplante (aber erst Ende des 19. Jahrhunderts verwirklichte) kommunale Selbstverwaltung zu größerer Bedeutung gelangten Gemeindeebene bilden sollte. Die nunmehr selbständigen und von einem meist ehrenamtlichen Bürgermeister repräsentierten Gemeinden wurden durch die Kreisverwaltung und ihre professionelleren Strukturen in der Ausübung ihrer Amtsgeschäfte unterstützt.
Den Spitzenbeamten eines Landkreises nannte man Landrat, den Sitz der Kreisverwaltung Landratsamt oder Kreishaus.
Die Größe eines Kreises sollte so bemessen sein, dass von jedem Dorf aus innerhalb eines Tages eine Reise mit der Kutsche zum Sitz der Kreisverwaltung, die Ausführung der geplanten Amtsgeschäfte und die Rückreise möglich sein sollte oder umgekehrt der Landrat ein entlegenes Dorf besuchen konnte, ohne dort übernachten zu müssen.
Größere Städte blieben außerhalb der Zuständigkeit der Landkreise, da sie selbst über eine professionelle Verwaltung verfügten und ihre Amtsgeschäfte allein erledigen konnten. Sie bildeten einen Stadtkreis, später als kreisfreie Stadt bezeichnet.
Da die Ära des Verwaltungsaufbaus (1815–1945) auch die für die preußischen Städte extrem bedeutende Zeit der Industrialisierung umfasst, die unter anderem von einem rasanten Wachstum der Städte gekennzeichnet war, stieg die Zahl der kreisfreien Städte in Preußen immer weiter an, weil ehemalige Kleinstädte oder gar Dörfer innerhalb weniger Jahrzehnte fünf- oder sechsstellige Einwohnerzahlen erreichten und damit den Rahmen der für ländliche Gebiete gedachten Kreisverwaltungen sprengten und deshalb, oft gegen den erbitterten Widerstand der Landräte, aus ihren Landkreisen austreten durften.
Diese für Preußen geltende Entwicklung fand so in Ostpreußen nicht statt. Kreise, deren Verwaltungssitz in einer ihr nicht angehörenden Stadt lag, wurden Landkreis genannt, im Gegensatz zum gleichnamigen Stadtkreis. Alle übrigen Kreise hießen amtlich Kreis.
Die Gebietseinheiten, die die Lage von Willschicken ordneten, lassen sich kurz folgendermaßen beschreiben:
- „Das Agrarland Ostpreußen lebte bis 1945 vom Export seiner landwirtschaftlichen Produkte, hauptsächlich Getreide. Mit 36 998,75 Quadratkilometern war Ostpreußen die drittgrößte Provinz und wies mit 55,8 Einwohner pro Quadratkilometer die geringste Bevölkerungsdichte des Deutschen Reichs auf. Die deutsche Bevölkerung wuchs in Ostpreußen zwischen 1871 und 1933 von 1.822.000 auf 2.330.000 Millionen, d.h. um 28 %. Zwischen 1871 und 1933 verlor die Provinz zwei Drittel ihres Zuwachses an Wohnbevölkerung (einschließlich Polen und Litauer) insgesamt 920.000 Menschen durch Abwanderung. Siehe dazu die Statistiken [119]
- „Preußisch-Litauen (im 20. Jahrhundert vereinzelt Deutsch Litauen, litauisch: Mažoji Lietuva oder Prūsų Lietuva) bezeichnet den seit dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts neben Deutschen, Prußen und Kuren mehrheitlich von Litauern besiedelten Raum im Nordosten Preußens (heute in etwa die östliche Hälfte des Oblast Kaliningrad, früher weitgehend das Gebiet der Regierungsbezirk Gumbinnen)".[120]
Provinz Ostpreußen in der Weimarer Republik 1920. Im Westen gemindert um ehemalige Teile Westpreußens und das Soldauer Ländchen, im Norden gemindert um das Memelland [121]
Verwaltungsgliederung der Provinz Ostpreußen 1905 bis 1920; Regierungsbezirke Königsberg, Gumbinnen und Allenstein; Mit Wirkung ab 1. November 1905 wurden die vier südlichen Kreise (Johannisburg, Lötzen, Lyck und Sensburg) vom Regierungsbezirk Gumbinnen abgetrennt und zusammen mit dem Südteil des Bezirks Königsberg zum neuen Regierungsbezirk Allenstein zusammengefasst. [122]
- "Der preußische Regierungsbezirk Gumbinnen lag im Nordosten Preußens. Er bestand von 1808 bis 1945 zunächst unter der Bezeichnung "Regierungsbezirk Litthauen zu Gumbinnen". Von 1824 bis 1878 bildete er den östlichsten Teil der Provinz Preußen, dann der Provinz Ostpreußen." Gumbinnen im Nordosten Ostpreußens war Verwaltungssitz für den Regierungsbezirk Gumbinnen, also den Ostteil der Provinz. Durch Kreis und Stadt verliefen die Preußische Ostbahn und die Reichsstraße 1 von Königsberg zur Reichsgrenze in Eydtkuhnen [123]
- "Der preußische Landkreis Insterburg war ein Landkreis in Ostpreußen und bestand zwischen 1818 und 1945. Nach der 1902 erfolgten Erhebung der Stadt Insterburg zum Stadtkreis umfasste der Landkreis nur noch die Landgemeinden im Umkreis der Stadt."
- "Am 01.01.1945 umfasste der Amtsbezirk Franzdorf die Gemeinden Bessen, Dröschdorf, Groß Franzdorf, Groß Warkau, Klein Schunkern, Lindenhöhe und Wilkental (7 Gemeinden). Er wird zuletzt verwaltet vom Amtsvorsteher in Klein Schunkern." Quelle: Amtsbezirk Franzdorf – GenWiki (genealogy.net)
- „Das Dorf Aulowöhnen (Aulowönen) lag in ”Klein Litauen (Lithuania minor)" oder ”Preußisch Litauen”, dem nordöstlichen Teil des alten Ostpreußens. Seine Einwohner waren nach der Reformation überwiegend evangelisch, eine eigene Kirche ist seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Das nördlichste Kirchdorf des Kreises Insterburg , Aulowönen, erreichte man über Georgenburg, Pagelienen, Reckeitschen und Mittel Warkau auf der Reichsstraße 137. Es lag ungefähr 20 Kilometer von Insterburg entfernt. Ende der 1920iger Jahre wurden zwei selbständige, dicht aneinander grenzende Gemeinden Groß Aulowönen und Ußupönen, zu der Gemeinde Groß Aulowönen später Aulenbach vereinigt, schließlich kamen auch noch 24 Bauernhöfe dazu, als das Rittergut Alt Lappönen, dessen letzter Besitzer Rittmeister der Reserve Walter Ornhorst war, aufgesiedelt wurde. 1939 zählte Aulowönen1049 Einwohner.“
Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) 1907 [126]
Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.) 1939 [127]
- Willschicken/Wilkental wird in GenWiki folgendermaßen beschrieben:
- 1678 wird ein Waldwart in Wilpischen/Willschicken erwähnt. 1719 heiratet Christoph Pirage in Wilpischen/Willschicken. 1785 hat Wilschicken oder Wilpischen, ein Chatouldorf, 15 Feuerstellen und liegt im Landrätlichen Kreis Tapiau, Amt Lappönen. Patron von Wilpischen/Willschicken ist der in König. 1815 hat das Chatouldorf 4 Feuerstellen, 85 Bewohner. Es gehört bis 30.4.1815 zum Königsberger Departement dann wird es zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen.
- Bis 1819 gehörte Willschicken als Schatulldorf zum Rittergut Alt Lappönen
- 1871 sind alle Einwohner preußisch und evangelisch, 68 ortsgebürtig, 37 unter 10 Jahren, 73 können lesen und schreiben, sind 44 Analphabeten und sind 5 ortsabwesend.
- 1905 sind von den Einwohnern 139 evangelisch, 11 andere Christen, 131 geben Deutsch als Muttersprache an, 15 litauisch, 4 deutsch zusammen mit einer anderen Sprache an.
- 1939 leben in Willschicken 127 Einwohner in 35 Haushalten auf 23 Höfen, davon sind 12 Einwohner unter 6 Jahren, 102 zwischen 14-65 Jahren und 23 Personen über 65 Jahren alt. Es werden folgende Erwerbstätige gezählt: 104 Personen in der Land- und Forstwirtschaft, 6 Personen in Handwerk und Industrie, ohne eigenen Beruf sind 36 Personen. Es gibt 35 mithelfende Familienmitglieder und 37 Arbeiter. Diese wohnen nicht alle in Willschicken.
Quellen:
Niekammers Güteradressbuch 1932,
Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970,
Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990 von Dr. Michael Rademacher M.A
Wilschicken Ksp. Aulowönen 1800 [128]
Willschicken Ksp. Aulowönen 1893 [129]
Wilkental (Willschicken) Ksp. Aulenbach 1939 [130]
Siehe dazu auch die Geschichte von Willschicken GOV:WILTALKO04VT
Boden und Klima
Die Landwirtschaft in Willschicken wird physikalisch durch Boden und Klima geprägt. Boden und Klima setzen die Rahmenbedingungen für die Bevölkerungsentwicklung, Regulierung und Ablösung, Separation und Modernisierung und Gebietsgliederungen.
Das Landschaftsbild des nördlichen Ostpreußens wird von leicht gewelltem Flachland mit Moränenhügeln, größtenteils versteppten Wiesen und Feldern sowie viel Wald bestimmt, der von breiten Flussniederungen und Moorgebieten unterbrochen wird. Größte Flüsse sind der Pregel und die Memel, weitere Flüsse sind die Łyna bzw. Lawa (Alle), die Angrapa (Angerapp), die Krasnaja (Rominte) und die Dejma (Deime). Im Norden befindet sich – angrenzend an das Kurische Haff – die Elchniederung (Lossinaja Dolina) und das Große Moosbruch, eine Moorlandschaft, die zum Teil trockengelegt worden ist. Hier siedelten 1862 in Carlsrode auch Teile der Tuttliesen Familien.
Die Wanderdünen verschafften der Kurischen Nehrung den Beinamen "Europäische Sahara". Sie entstanden als Folge des Abholzens der Nehrungswälder zu Bauzwecken in der Ordenszeit. Schon in der Zeit des Deutschen Ordens erfolgten die ersten Rodungen. Erst der Kahlschlag im Nordischen Krieg (1674–1679) und in der russischen Zeit ließ unbewachsene und höhere Dünen entstehen. 1569 verschütteten Wanderdünen das Dorf Alt Kunzen, im Laufe der Zeit noch sechs weitere Orte. Die Wanderdünen werden bis zu 70 Meter hoch. Die Gesamtlänge der Kurischen Nehrung beträgt 98 km, von denen der 46 km lange südliche Teil zu Russland und der 52 km lange nördliche Teil zu Litauen seit 1945 gehören. Die mit 3,8 km breiteste Stelle befindet sich beim Bulvikio ragas (Bullwikscher Haken), vier Kilometer nordöstlich von Nida (dt. Nidden), dem Grenzort des litauischen Teils. Die schmalste Stelle liegt bei der Siedlung Lesnoi (Sarkau) am südlichen Ende der Nehrung und ist nur 380 m breit.
Das Frischen Haff und das Kurischen Haff wurden vor 1945 von etwa 400 Kurenkähnen unter Segeln befahren. Etwa die Hälfte diente der Fischerei. Am Mast der Fischereikähne war der Kurenwimpel befestigt. Der Kurenkahn war ein ca. zwölf Meter langes Holzboot. Typisch für seine Form war der hochgezogene Bug und eine nach hinten abschwingende Seitenlinie. Eine Besonderheit war aber der flache Bootsboden, der mit einem Tiefgang von ca. 40 cm zum einen das Befahren seichter Stellen im Haff, zum anderen aber auch das problemlose Anlegen am Ufer und ein teilweises An-Land-Ziehen ermöglichte (was mit einem Kielboot nicht möglich ist). Da man aufgrund der Bauart nicht auf das Vorhandensein von Hafen- oder Kaianlagen angewiesen war, eignete sich der Bootstyp neben der Fischerei auch gut zum Abtransport von Vieh, Holz, Heu und anderen Lasten von ufernahe gelegenen Nutzflächen. Die Kähne wurden grundsätzlich gesegelt. Der Fischfang mit Motorkraft war auf den beiden Haff bis 1945 zur Schonung des Bestandes grundsätzlich verboten. Nach 1945 wurden im Oblast Kaliningrad die die Holzkähne durch Metallschiffe ersetzt, die durch Fischereikolchose betrieben wurden. Deren Erträge der Haff-Fischerei sind aber wegen Überfischung und Umweltverschmutzung aber stark zurückgegangen. Quelle: https://wiki.genealogy.net/Fischer_aus_dem_Memelland#Hafffischerei
Für die beiden Haffe wurde versucht, durch die Fischereiordnungen vom 17. bis zum 19. Jahrhunderts, den Fischbestand durch immer verbesserte Schutz- und Schonbestimmungen gegen Raubfischerei zu sichern. Dies war auch der Sinn der Fischereigesetze des preußischen Gesamtstaates. Im Jahr 1844 wurde von der Regierung in Königsberg für 136 fischereiberechtigte Ortschaften der beiden preußischen Haffe verordnet, „daß jeder Berechtigte bei Ausübung der Fischerei... auf der Spitze des Mastes eine wenigstens zwei Fuß lange und einen Fuß breite Flagge von derjenigen Farbe, welche der Ortschaft, woselbst er seinen Wohnsitz hat, von der Regierung erteilt worden ist, führen soll.“
Der Wimpel an der Spitze des Mastes war in fünf Abschnitte gegliedert, wobei der erste zum Bug zeigt, der zweite auf dem Mast steht und die letzten drei Teile zum Heck gerichtet sind:
- (zum Bug zeigend) Symbole der Elementarkräfte: Mond (kleine Raute), Sonne (große Raute) und Windbänder symbolisieren die Himmelskörper. „Damit diese Kräfte dem Fischer günstig seien, fügt er sein Symbol der Hoffnung und des friedlichen Zusammenlebens hinzu, ein Kreuz im Quadrat. Das Quadrat und das Kreuz zeugen von der Wechselwirkung der Religionen, der alten heidnischen und der heutigen christlichen.“ Der obere Teil des Wimpels zeigt ein Symbol des Wohlstands. Er verweist darauf, was der Fischer besitzt, z. B. sein Haus, sein Vieh. Hier ist auch der Ort zur Darstellung von Dorfansichten.
- (auf der Mastspitze) Symbol des Glaubens: Alte und neue Götter schützen den Besitz des Fischers und seiner Familie. Häufig zu finden ist die Darstellung des Wellengottes Bangputtis, dessen eine Hand zum Himmel und dessen andere Hand auf die Wellen zeigt. Was aussieht wie eine Harfe oder Lyra sind symbolisierte Schlangen, die für die Erdgöttin stehen. Eingearbeitet wird oft ein Kreuz. Ein Kleeblatt steht für Erfolg und Glück.
- Symbol der Familie: Das nach oben herausragende Kreuz zeigt, dass der Fischer die Achtung seiner Familie genießt. Ein Kreuzchen von einem Kreis umgeben stellt die Ehefrau dar, am Rand werden die Kinder symbolisiert.
- Besitz: Ein T zeigt einen Kurenkahn an, nach unten offene Dreiecke zeigen die Anzahl von sonstigen Booten an. Hier werden auch andere irdische Errungenschaften (oder Träume) dargestellt wie ein Fahrrad oder ein großes Haus.
- Arbeit: Die Anzahl der Helfer wird durch Löcher in der Mütze des Fischers dargestellt. Handelt es sich um einen Verwandten, dann wird es durch eine Abzweigung vom Kreuzlein gezeigt.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kurenwimpel
Zwischen dem Frischen Haff und dem Kurischen Haff lang das Samland. Die etwa 75 × 30 km große Halbinsel ragt zwischen Frischem Haff, Kurischem Haff und den Nehrungen in die Ostsee. Hier gab es an der Küste Bernstein. Bernstein bezeichnet einen seit Jahrtausenden bekannten und insbesondere im Ostseeraum weit verbreiteten klaren bis undurchsichtigen gelben Schmuckstein aus fossilem Harz. Stantien & Becker war ein im Jahre 1858 von Friedrich Wilhelm Stantien und Moritz Becker in Memel, dem heutigen Klaipėda (Litauen), gegründetes Unternehmen zur industriellen Bernstein-Förderung. Das Unternehmen ging 1899 in staatlichen Besitz über. Es betrieb zunächst Bernsteinbaggerei im Kurischen Haff bei Schwarzort und Grabungen an der Küste, dann ab 1873 den industriellen Tagebau von Berstein in Palmnicken, wo er 2023 noch im Tagebau bei Jantarny von einem russischen Unternehmen gefördert wird. Siehe auch dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Kaliningrader_Bernsteinkombinat
Im Jahre 1890 wurden an der samländischen Küste mehr als 200 Tonnen gefördert. Der Erlös hierfür soll rund 1.800.000 Goldmark betragen haben. Die Gesamtförderung (Baggerei, Bernsteingräberei und bergmännische Gewinnung) hat in manchen Jahren 400 bis 500 Tonnen erreicht. Die jährliche Gesamtförderung in Ostpreußen lag im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zwischen 200 (im Jahre 1876) und 500 Tonnen (im Jahre 1894), wovon der größte Teile auf das Samland und hiervon wiederum der weitaus überwiegende Anteil auf die Firma Stantien & Becker entfielen. Die Grube "Anna" soll in den Jahren 1892 bis 1896 im Jahresdurchschnitt allein knapp 500 Tonnen Bernstein erbracht haben. Für die damalige Zeit ungewöhnlich unterhielt die Firma Stantien & Becker ein Krankenhaus, eine Betriebskrankenkasse und eine Pensionskasse. In Schwarzort wurde eine Schule errichtet und in Palmnicken eine evangelische Kirche Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war es verboten an der Bernsteinküste in der Ostsee zu baden.
Die gesamte Bernsteinküsten - der Küstenstreifen vor Palmnicken - durfte ab Friedrich dem Großen nicht betreten werden. Auf alten Karten wurden noch Galgen für die Bernsteindiebe eingezeichnet. Erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde dieser Stand für Urlauber zugänglich. Vorher waren schon die benachbarten Badeorte Cranz 1817 und Rauschen 1820 gegründet worden. Im Juli und im August quartierten sich wohlhabende Königsberger Familien in der Fischerdörfern der Nordküste des Samlandes ein. In der Regel wurden Teile des Haustandes auf mehreren Pferdewagen mitgeführt. Geschlafen wurde in mitgeführten Zelten, gekocht und gegessen in den freigeräumten Bauernhäusern, deren Bewohner sich für zwei Monate in Nebengebäuden einquartierten. Die Plätze waren allerdings begrenzt und mußten lange vorher gebucht werden.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Seebädertourismus vor allem in Cranz und Rauschen. Der Tourismus für Alle wurde erst durch den Straßen- und Eisenbahnbau ab 1900 erschlossen. Es war überwiegend Tagestourismus aus Königsberg, die Übernachtungsmöglichkeiten an der Ostseeküste blieben gering. Ab 1933 sollte das „Volksbaden in der Ostsee für alle Volksgenossen“ möglich sein. Gauleiter Koch hatte 1939 den Samlandplan entwerfen lassen. Direkt nach ihrer Hochzeit 1943 verbrachten Gerhard und Hildegard Kiehl eine Wochen in Cranz. Im Oblast Kaliningrad entwickelte sie die Samlandküste zum Touristenziel, besonders für Leningrader. Pläne für den den Ausbau des Westtourismus wurden nach Beginn des Ukrainekrieg nicht weiter verfolgt.
Samland-Karte (R. Jankowsky, 1902) [132]
Samland-Plan (Gauleiter Koch 1939) [133]
Bernsteinkette Hildegard Kiehl [134]
Die Frische Nehrung entstand in einem langen Prozess aus einem Wechselspiel von Sandablagerungen durch die Brandung der Ostsee und Sedimentablagerungen der Flüsse. Im Laufe der Zeit wuchs der westliche Riegel der Nehrung mit Ablagerungen der Weichsel aus der Gegend von Danzig in Richtung Osten, der östliche Riegel mit Ablagerungen des Pregel vom Samland in Richtung Westen. Zunächst bildeten sich Sandinseln, zwischen denen die “Tiefs”, das sich bildende Haff mit der Ostsee verbanden. Das Tief zwischen Schmergrube und Kahlberg, auch Elbinger Tief genannt, bestand bis weit ins 13. Jh. hinein. In der Folge entstand das Rosenberger Tief, auch Altes Tief genannt. Das machten die Danziger im Städtekrieg 1455/1456 unbrauchbar, indem sie dort fünf Schiffe versenkten und das Tief dadurch versandete. Das Lochstädter Tief versandete, als sich das 1426 gebildete Tief gegenüber der Burg von Balga von den Schiffsführern wegen bessere Wassertiefen überwiegend benutzt wurden. Auch dies versandete. Aus den 1479 bei Pillau entstandenen Durchbrüchen durch die Nehrung entwickelte sich der zukünftige Haupt-Durchgang vom Haff zur Ostsee, 1511 bereits als das Richtige Tief bezeichnet, während alle anderen Tiefs versandeten und verschwanden.
Wegen der geringen Wassertiefe des Frischen Haffs hatten von alters her Schiffe, die zu den Seehäfen Königsberg oder Elbing wollten, Teile ihrer Ladung in Pillau an Frachtkäne abgeben müssen, bis sie einen Tiefgang von höchstens 4 m aufwiesen. Als zum Ende des 19. Jahrhunderts die Seeschiffe immer größer wurden, verlor der Hafen von Königsberg daher an Bedeutung gegenüber den anderen Ostseehäfen. Das Leichtern in Pillau verteuerte die Transportkosten. Anderseits war ein Vertiefen der Fahrrinne durch den Schlick und Sand des offenen Frischen Haffs praktisch nicht möglich. Deshalb wurde zwischen 1890 und 1901 der Königsberger Seekanal mit einer Fahrrinnentiefe von durchschnittlich 6,7 m und einer Breite bis zu 30 m gebaut. Der Kaliningrader Seeschifffahrtskanal (russisch Калининградский морской судоходный канал/Kaliningradski morskoi sudochodny kanal), angelegt 1901 als Königsberger Seekanal wurde nach dem Krieg von Russland weiter ausgebaut. Im Jahre 2.000 ist er ein 43 km langer Kanal zwischen dem Seehafen Kaliningrad (bis 1946 Königsberg) und der Ostsee bei Baltijsk (bis 1946 Pillau). Die nutzbare Breite des Kanals beträgt 50 bis 80 m, die Tiefe 9–10,5 m.
Polen eröffnete am 17.9.2022 einen neuen ein Kilometer langen Kanal, der das Frische Haff mit der Ostsee verbindet. Damit können Schiffe künftig direkt den Hafen von Elblag (Elbing) anlaufen. Das erspart ihnen den langen Umweg um die Frische Nehrung (eine 70 Kilometer lange Landzunge) und die Fahrt durch russische Hoheitsgewässer, da der nördliche Teil des Frischen Haffs zum Gebiet Kaliningrad gehört. Der Kanal kann Schiffe mit einer Länge von maximal 100 Metern, einer Breite von bis zu 20 Metern und einem Tiefgang von maximal 4,5 Metern aufnehmen. Das erlaubt den Einsatz von Schiffen von bis zu 3500 Tonnen Tragfähigkeit. Der Kanalbau erfolge auch unter militärischen Gesichtspunkten.
Der Boden in Ostpreußen bildete die Grundlage der Wirtschaft. 86,2 % waren landwirtschaftliche Nutzfläche (L.N.), davon 16,1 % schwere Ton- und Lehmböden, 52 % mittlere Böden, 23 % Sandböden und 5,1 % Moorböden
Große Teile des Bodens gehören zu den Bodenklassen 4 und 5. Als Rohstoffe sind Sand und Kies für das Bauwesen und Lehm interessant. Etwa 30 Prozent des Gebietes sind von Wäldern bedeckt.“
Quelle : Ostpreußen – Wikipedia
Karte: Geologische Übersicht von Ostpreußen [135]
Karte: Böden in Ostpreußen [136]
Abbildung: Bodenarten [137]
Als fruchtbar galten die Niederungsgebiete zwischen der Nogat und der Memel sowie ein Teil des Baltischen Landrückens, oft mit guten Lehmböden. Andere Gebiete besaßen mitunter nur dürftigen Sandboden. Das Bodenartendreieck ordnet die Bodenart im Landkreis Insterburg als Ton und tonhaltiger Lehm ein. Die Grund- und Endmoränenlandschaft im Landkreis Insterburg, sowie die Deck-Tone geben einen fruchtbaren, wenn auch oft schwer zu bearbeitenden Ackerboden. Aufgrund der Bodenbeschaffenheit musste, je nach Bodenart, im Landkreis Insterburg häufig zwei- oder vierspännig gepflügt werden. Die schweren Mähmaschinen bedurften immer mehrfacher Bespannung.
Nachteilig war das kühle Klima. Die Obstblüte begann meist erst Ende Mai, auch das Getreide war spät erntereif. Darum lohnte es sich nicht, zwischen der Ernte des Sommergetreides und der Aussaat des Wintergetreides noch eine Zwischenfrucht zu pflanzen. Haupterzeugnisse waren Roggen und Kartoffeln.
Nachdem Friedrich II. bereits 1745 ein Gesetz zum Anbau der Kartoffel erlassen hatte, demzufolge die Bauern zehn Prozent ihrer Ackerfläche mit Kartoffeln zu bepflanzen hatten, befahl er nochmals 1757 mit einer „Circular-Ordre“ und mit Nachdruck den Anbau der Kartoffel und verpflichtet die Behörden zu entsprechenden Kontrollen.
Roggen war das Hauptprodukt der ostpreußischen Landwirtschaft. Vor dem 1. Weltkrieg galt Ostpreußen als die „Kornkammer des Deutschen Reiches“.
Der Winter in Ostpreußen war lang und schneereich. Er zwang die Menschen in der Landwirtschaft zu einer Ruhepause, die sie für viele andere Arbeiten, für gesellschaftliche und traditionelle Zusammenkünfte nutzten. Waren die Felder abgeerntet, begannen die Zeit der Herbstmanöver. Auf den Höfen wurde das Werkzeug in Stand gesetzt und kleinere Reparaturen durchgeführt. Es begannen die Schlachtungen. Wenn vorhanden wurden die Eiskeller gefüllt. Das untere Stockwerk steckte in der Regel tief in einem Erdaufwurf und war auch im Sommer somit kühl und ideal für die Lagerung von Hackfrüchten wie Kartoffeln, Rüben, Wrucken und Rote Beten, aber auch Kohlsorten wie Weiß-, Rotkohl und Wirsing.
Der Winter war für die Männer die Zeit des Holzeinschlags, für die Frauen die Zeit es Strickens und Flickens, für die Gutsbesitzer der Jagten und der Vereinssitzungen. Rodeln, Eissegelns und Schlittschuhlaufen z. B. um den Krängelpfahl waren bei den jungen Leuten sehr beliebt. Familien organisierte Besuche und Schlittentouren untereinander. Dazu kamen Einkaufsfahrten in die größeren Städte. Zu Weihnachten wurde extra gekocht, gebraten, gebacken und eingelegt. In den Schulen und in den Kirchen wurden die Weihnachtsfeiern gründlich vorbereitet. Grog, Eierpunsch und Warmbier waren beliebte Getränke. Auf den Gütern wurden die Rotweinkeller geöffnet.
Quelle: Waldfrieden (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Das raue Klima mit seinen durchschnittlichen 173 Frosttagen im Jahr beschränkte die Vegetationszeit auf sechs bis sieben Monate und stellte die Landwirtschaft in Ostpreußen vor große Probleme. Die Heizungsperiode betrug im Durchschnitt sieben Monate. Die Häuser erforderten dickere Mauern, stabile und feuersichere Dächer und Doppelfenster. Waren keine Doppelfenster vorhanden, wurden im Winter häufig - wenn vorhanden - zusätzliche Fensterflügel eingehängt. Oft wurde auch der Zwischenraum zwischen den Fenster gegen die Winterkälte mit trockenem Moos bis zur halben Fensterhöhe ausgestopft. Ganz wichtig waren die großen Kachelöfen, die oft Warmluftkanäle in die anderen Zimmer besaßen. In strengen Wintern passten "Ofenwächter" über Nacht auf, dass das Feuer nicht erlosch. Die Ofenbank war im Winter bei allen Bewohnern sehr beliebt. Der große aufgemauerte Küchenherd war für die Familien eine zusätzliche Wärmequelle. Aus Sparsamkeitsgründen erloschen viele Herdfeuer z. B. bei den armen Kleinbauern über Nacht, was dann in Fällen von großer Kälte manchmal zu Frostschäden in den Küchen führte. Die Milch war eingefroren.
In den Röhren der Kachelöfen wurden die winterfesten "Eiseräpfel" gebraten. Die süßsäuerlichen Äpfel, wurden Ende Oktober reif und erreichen ihren vollen Geschmack nach einer Nachreife von 4–6 Wochen im Dezember. Sie zählen zu den sogenannten Wirtschaftsäpfeln, das heißt, sie wurden vor allem zum Kochen, Backen, Einmachen und Entsaften verwendet. Die Äpfel konnten in sehr stark geschützten Erdmieten bis zum übernächsten Jahr aufbewahrt werden.
Bis zum Ausbau der Eisenbahn waren Holz und Torf die wichtigsten Heizmaterialien in Ostpreußen.
Im Winter war in Ostpreußen der Pelz eine normale Arbeitskleidung. Großen Schaden nahmen die Obstpflanzungen während des sehr strengen Winters 1928/29. Bis zu 75 % der Obstbäume fielen dem sehr strengen Frost von über 30 Grad Celsius zum Opfer. Bei den Tuttliesen mussten alle Obstbäume neu gepflanzt werden, über die Hälfte waren Wirtschaftsäpfel.
Ferdinand und Berta Tuttlies auf der Ofenbank im Winter 1930, [138]
Verschiedene Klimaelemente in Ostpreußen im Vergleich um 1900, [139]
Abbildung: Extrem-Wetter in Ostpreußen [140]
VON DER NATUR DER BESITZRECHTE
Diese Dimension enthält Faktoren der Grundherrschaft und Gutsherrschaft in Preußisch-Litauen etwa 1700 -1800
Grundherrschaft und Gutsherrschaft
Der Übergang vom adligen Hof des Spätmittelalters zum „Gut“ der frühen Neuzeit erfolgte etwa um 1500. Gleichzeitig veränderte sich die rechtlichen Stellung der Bauern in diesen so gebildeten Adelsbesitzungen. Stand es bis etwa Mitte des 15. Jahrhunderts den Bauern frei, ihr Land zu verlassen, versuchten die Adligen nun, sie Menschen ihres Herrschaftsbezirks an das Gut, an die „Scholle“, zu binden. Durch den Bevölkerungsrückgang in der Folge vor allem der Pest gab es nämlich nicht mehr genug Menschen, die als Arbeitskräfte den inzwischen großen Eigenbesitz des Adels bearbeiten und die entsprechenden Dienste verrichten konnten. Auf den Gütern bildete sich die Leibeigenschaft aus.
Um 1700 und 1800 überwog in Deutschland die Grundherrschaft westlich der Elbe, die Gutsherrschaft war überwiegend östlich der Elbe anzutreffen. Bei der Grundherrschaft fielen Grund-, Leib- und Gerichtsherrschaft häufig auseinander.
„Der Gutsherrschaft dagegen gelang es Grund-, Leib und Gerichtsherrschaft dauerhaft zu kombinieren. Sie verband schließlich ein durchgreifende, durch Boden- und Personalrechte, Polizeigewalt und Patrimonialrechte abgestützte Herrschaft im Territorium des Gutsbezirks mit einer landwirtschaftlichen Betriebs- und Arbeitsorganisation, die auf den Zwangsdienst abhängiger Arbeitskräfte beruhte. Im Westen sah der Grundherr den Bauern als Steuerzahler und Renten Quelle im Osten sah der Gutsherr den Bauern als Arbeitskraft. Im Westen richteten sich die Grundherren auf die lokalen Märkte aus im Osten waren die Gutsherren überwiegend auf den Fernhandel mit Getreide fixiert. … In Ostpreußen lebten um 1816 etwa 886.000 Menschen, davon 701.000 auf dem Lande. Die landwirtschaftliche Produktion umfasste um 1816 etwa 53% Getreide, 23% andere pflanzliche Erzeugnisse und 24% Nutztiere. “
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafs - Geschichte Band 1
Das Rechtsinstitut der Gutsherrschaft überließ in Ostpreußen dem Landadel
- die gesamte untere Zivilverwaltung bis 1871 (Vogteiverfassung) – Quellen: Herrschaftssystem der Mark Brandenburg – Wikipedia und Otto Hinze: die-hohenzollern-und-ihr-werk.de,
- die Militärverwaltung des Kantonsreglement bis 1813 - Quelle: Kantonreglement
- und die Patrimonialgerichte (Untere Rechtsprechung) bis 1851 bzw. 1918 - Quelle: Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten – Wikipedia
Ursprünge der ostelbischen Gutsherrschaft
Die Ursprünge der ostelbischen Gutsherrschaft reichen zurück bis in die Zeit der deutschen Ostkolonisation durch den Deutschen Orden. Für ihre Kriegs- und Kolonisierungsdienste wurde die zugezogenen Adligen aus dem Altreich mit umfangreichen Ländereien und lokalen Rechten belehnt, da der Orden ihre Dienste nicht mit Geld bezahlen konnte. Diese frühe Gutsherrschaft hatte zunächst nur das Ziel, den Lebensunterhalt der gutseigene Haushalte sicherzustellen. Die Leistungen der Gutsbauern für die Guts-Herrschaft blieben daher auch zunächst überschaubar. Nach den Krisen während des 15. Jahrhunderts durch Hungersnöte, Kriege und Seuchen nahm die ländliche Bevölkerung zeitweise aber stark ab. Um sich nach diesen Bevölkerungsrückgängen weiter wie bisher versorgen zu können, zogen die Gutsherren jetzt im Osten verstärkt das brachgefallenen Land der "Freien Bauern" ein. Die von den adligen Grundherren geforderten Arbeitsleistungen traf nunmehr auf ihren vergrößerten Gütern auf eine dort verminderte Zahl der Guts-Bauern. Um diese Restbevölkerung dennoch zwangsmäßig auf den Gütern zu halten, wurden deren Mobilitäts-Rechte stark eingeschränkt. Die beginnende Kolonisierung schaffte aber auch nur langsam eine Verbesserung, da zunächst nur die Frei- und nicht die Guts-Bauernstelle für die Kolonisten von Interesse waren.
Eine allgemeine Rechtseinschränkung auf den Gütern wurde auch durch wirtschaftliche Faktoren vorangetrieben. Im Gegensatz zum 15. Jahrhundert war das 16. Jahrhundert eine Zeit wirtschaftlicher Konjunktur, die sich vor allem im starken Anstieg der Getreidepreise in Ostpreußen äußerte. Da die gutsherrliche Eigenwirtschaft jetzt nicht mehr nur der bloßen Selbstversorgung diente, sondern sich nach den Bedarfen des europäisch Marktes zu orientieren begann, gab es eine räumliche Vergrößerung der Gutsbetriebe. Die Gutsbesitzer wurden jetzt zum agrarischen Großunternehmer. Wurden während der Krisenphase früherer Jahre lediglich die wüsten Bauernstellen in die gutsherrliche Produktion einbezogen, so verminderte sich jetzt das zur Verfügung stehende ungenutzte Land langsam, aber merklich durch einen einsetzenden Anstieg der Bevölkerung und den Ergebnissen einer verstärkten Repeuplierungspolitik der Preußischen Herrscher. Es begann jetzt teilweise - gegen geringes Geld das Aufkaufen - oder willkürlich die Enteignung und das Einziehen der Besitzrechte von noch bewohnten Frei-Höfe – etwa ein Drittel aller Frei-Bauern wurden in Ostpreußen »gelegt« und ihre Nutzflächen dem gutsherrlichen Besitz zugeschlagen. Die Bevölkerung in Ostpreußen pendelte zu dieser Zeit zwischen 400.000 und 600.0000 Einwohnern.
Zugleich setzte eine massive Verschlechterung der Rechtsstellung der Guts-Bauern ein. Es entstand in Ostpreußen in dessen Verwaltungsbezirken die rechtlich unterschiedlich definierte Scharwerks-, auch Domänen- oder Amts-Bauernschaft. Die Guts-Bauern wohnten in kleinen Katen, hatten etwas Land zum Eigenanbau und wurden in Scharwerksdörfern angesiedelt. Das ledige Gesinde (Unfreie) wurde direkt auf den Gütern untergebracht. Zum größten Teil bekamen sie nur sehr schlecht Behausungen oder ihnen wurden die Viehställe zugewiesen. Da für die immer größer werdenden Güter immer mehr Arbeitskräfte erforderlich waren, nahm die Fronbelastung für den einzelnen Guts-Bauern stark zu. Es kam zu häufigen Forderung nach überhöhten und unangemessenen Diensten durch die adligen Gutsherren. Bei Nichterfüllung wurden rechtlich legale Körperstrafen vollzogen. Um der vorhandenen Hof-Flucht dieser Guts-Bauern entgegenzutreten, verstärkte sich die rechtliche Bindung an den gutsbäuerlichen Hof. Das Verlassen der Güter stand unter Strafe, die Spanndienste umfassten bis zu Dreiviertel der Arbeitszeit und es durfte z. B. nur mit Zustimmung des Gutsherren "spät" geheiratet werden. Ende des 16. Jahrhunderts wurde in vielen Regionen dann auch der Gesindezwang-Dienst üblich. Darüber hinaus kam es durch den Preußischen Landtag, in dem die Stände und der Landadel dominierten, zu weiteren Verschlechterungen im bäuerlichen Besitzrecht. Einer gravierenden Verschlechterung hatte Friedrich Wilhelm I. 1653 zugestimmt, unter der Bedingung, ein stehendes Herr aufbauen zu können. Diese betrafen die Umwandlung der Lehns- in Allodialgüter (Privatgüter) gegen Geld, auf denen die Gutsherren die Patrimonialgerichtsbarkeit und die Polizeigewalt über die leibeigenen Bauern aber behalten durften.
Quelle: Georg Friedrich Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens.
Folgend Ereignisse bestimmen in der Neuzeit mit die Entwicklung der Gutsherrschaft in Ostpreußen
- Ab 1713 wandelte Friedrich Wilhelm I. seinen königlichen Besitz in regionale Staats-Domänen um führt die Schulpflicht ein.
- Ab 1740 beginne Friedrich II mit tiefgreifenden gesellschaftliche Reformen. Er schaffte die Folter ab und forcierte den Ausbau des Bildungssystems und der Landwirtschaft
- Ab 1799 / 1807 beginnt die Bauernbefreiung
Im Zuge der Frühaufklärung und des Wirkens des Halleschen Pietismus im preußischen Staat erfolgte 1717 durch königlichen Edikt die Einführung der allgemeinen Schulpflicht in den preußischen Staaten. Die damalige nur gering ausgeprägte Staatsverwaltung verfügte nicht über die Möglichkeiten, den Schulbesuch zu kontrollieren. Auch mangelte es an den nötigen Finanzen, um ein flächendeckendes und professionelles Schulsystem zu etablieren. Die entstehenden Dorfschulen waren vom Niveau her einfache private Klippschulen, sie wurden weiterhin von Küstern geleitet. Das Edikt von Friedrich Wilhelm I. zeigte in der Praxis wenig Wirkung, bildete aber die Grundlage für das Generallandschulreglement, das Friedrich II. 1763 erließ. Gesetzlich wurde damit noch einmal die Schulpflicht bestätigt und vertieft. Es sah eine Schulpflicht von acht statt sechs Jahren vor. Der Unterricht sollte regelmäßig je drei Stunden vor- und nachmittags stattfinden, nach einem festen Lehrplan und mit ordentlich ausgebildeten Lehrer. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts gingen nur knapp 60 Prozent der Kinder regelmäßig zum Unterricht. Das änderte sich erst, als die Kinderarbeit gesetzlich verboten wurde
Quelle: Königreich Preußen-Wikipedia
Krongut
Als Krongut, Krondomäne, Kronland oder Königsgut wurden im Mittelalter und in der frühen Neuzeit jene Gebiete in Ostpreußen bezeichnet, die sich in direktem Besitz der Herzöge und später der Könige befanden und nicht als Lehen an Vasallen vergeben worden waren. Sie wurden vom lokalen Amtshauptmann des Königs und ab 1713 dann von der neu eingerichteten preußischen Kriegs-Domänen-Kammer verwaltet.
Unter dem Königshaus Preußens (1701 - 1918) herrschte in Ostpreußen auf regionaler Ebene der Landadel durch die Gutsherrschaft. Trotzdem griff z. B. der preußische König Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig und Friedrich II., der Große selbst immer wieder persönliche direkt durch Edikte und Patente in die Lebensverhältnisse seiner Bauern in Ostpreußen eine. Hintergrund waren Vollzugsdifferenzen zwischen dem Königshaus und dem regionalem Landadel, die häufig durch persönliche Kontrollen der preußischen Könige vor Ort aufgedeckt wurden. Die (Nicht) Handlungen der lokalen adligen Domänenbeamten wurden zum Teil geleitet durch übermäßige Habgier, wirtschaftliche Unfähigkeit und persönliche Willkür.
Die regionalen adeligen Domänenbeamten reagierten auf die königlichen Kontrollen mit übermäßige Druck auf die ihnen untertänigen Scharwerksbauern. Durch diese Repressionen kam es aber zu weiteren Verschlechterungen. Sie wirkten sich z. B. sowohl nachteilig auf die königlichen Domänenerträge als auch auf den Arbeitswillen der Scharwerksbauern aus.
Dieser Niedergang entstand besonders durch die persönliche Willkür der Domänenbeamten z. B.
- bei der willkürlichen Einforderung der Scharwerksleistungen wie Hand- und Spanndienste zur Unzeit
- durch die Überforderung bei Missernten aufgrund des unveränderlichen Umfangs der verlangten Naturalabgaben
- bei der kompromisslosen Eintreibung der Zinsen bei verschuldeten Höfen
- der gewaltsamen Vertreibung der Scharwerker und deren Familien bei Zahlungsunfähigkeit von den Höfen
Die Motive des preußischen Königshauses unter Friedrich II. waren neben der Vermeidung von weiteren Verschlechterungen überwiegend ökonomische Überlegungen - wie
- die zwangsweise Aufstellung von Wirtschaftspläne durch die örtlichen Domänen - Erträge und Verluste mussten dokumentiert werden
- die Einführung von ertragsversprechenden Produkten - wie Seidenzucht, Kartoffelanbau, Obstbäume und Schnittweiden
- die Missachtung des Verbotes von willkürlichen Misshandlungen der Scharwerksbauern und deren Familien wurden streng sanktioniert - die Arbeitskräfte sollten gesundheitlich erhalten bleiben
- die Dienstzeiten der Kantonisten (Wehpflichtigen) wurden den Saat- und Erntezeiten angepasst
Beispiele für solche königlichen Edikte und Patente sind
- Schutz der Gutsuntertanen, 14. Mai 1775
- Strafen für Misshandlungen bäuerlicher Untertanen, 15.Juli 1749
- Pflege des Seidenbaums, 23.Januar 1775
- Förderung des Kartoffelanbaus, 5. April 1757
Quellen: Untertanenpatent – Wikipedia und Publikation der Edikte und Patente - Deutsche Digitale Bibliothek (deutsche-digitale-bibliothek.de)
Dazu auch beispielhaft ausführlich das
"Patent wegen Umzäunung der Dörfer, des Obstbaus etc., etc.,
24. August 1721, in Stadelmann, Bd. 1. S. 251 f., Nr. 286
Demnach Seine Königl. Majestät in Preussen etc. etc. wahrgenommen, was maassen in Dero Königreich Preussen die meisten Dörfer nicht nur unbezäumt, sondern auch bey denenselben weder Obst- noch gute Küchen-Garten gefunden werden, die Gebäude auch nicht mit Bäumen wider den Sturmwind und anderen gefährlichen Zufällen besetzt und verwahret seynd:
Alss seynd Allerhöchstgedachte Se. Königl. Maj. Daher bewogen worden, vermittelst eines gedruckten allergnädigsten Patents Dero allergnädigsten Willens-Meynung, welchergestalt obiger Mangel zu ersetzen und zu redressieren, jedermännlich bekannt zu machen, wie Sie denn hierdurch allergnädigst, jedoch ernstlich befehlen und ordnen:
1. Dass umb jewederes Dorf wo Holz zu bekommen ist, ein tüchtiger Zaun gemacht, wo es aber an Holz fehlt mit einem Graben umbgeben und auf solche Weise eingeschlossen werden soll.
2. Soll bey jedem Ambts- oder Dienst-Haus ein besonderer Platz umbezäunet und derselbe gepflügt und zugerichtet serden, umb Obst-Bäume darinnen zu ziehen, maassen ein jeder Baur schuldig seyn soll, alle Frühjahr und Herbst, und zwar jedesmahl drey wilde Stämme von Apfel-Bäumen, und eben ach soviel Stämme von Birn-Bäumen dahin zu liefern und zu setzen, welche hernachsmahls durch einen tüchtigen Gärtner gepfropfet und zu gehörigen Zeit in der Bauern Gärten versetzt werde sollen.
3. Soll ferner bey jedem Baurhofe gleichfalss ein gelegener und beauemer Platz zum Küchen-Garten abzusondern, zugerichtet, und mit allerhand Küchen- Gewächsen besäet werden, damit solches dem Bauern zu menagirung des Brodt-Getreydes und sonsten in seiner Wirtschaft zu statten komme.
4. Soll ein jeder Baur bey seinem Hause, Scheunen und Schoppen, Weyden setzen und solche zur fünf Fuss von einander."
Der größte Teil der nicht adligen Bevölkerung lebte in Ostpreußen auf dem Lande und von der Arbeit in der Landwirtschaft. Die königlichen Edikte und Patente bis 1807 führten aber nur zu punktuellen Veränderungen
„Der grundbesitzende Adel hatte seine ökonomische und gesellschaftliche Basis in der ländlichen Herrenstellung. Trotz großer Flächen landesherrlichen Domänenbesitzes herrschte der Adel auf dem Lande bis 1811. Das resultiert vor allem aus seinem Obereigentum an Besitzerrechten, welches sich Ostpreußen bis zu 80 Prozent der Landbevölkerung erstreckte. Der Obereigentümer besaß die höheren Rechte am geteilten Land-Eigentum über das Land der Bauern. Hier konnten die regionalen Adligen ihre Ansprüche auf Zinsgelder, Naturalabgaben und Dienstleistungen weiterhin geltend machen. Sie waren gleichzeitig Gerichtsherren, Träger der Polizeigewalt und auch Patronatsherren über Kirche und Schulen, Siegelführung, Jagdrecht, Brau- und Brandweinmonopol und weitere Bann und Zwangsrechte. Steuer- und Zollfreiheit sicherten dem Landadel kommerzielle Vorteile, auch gegenüber der städtischen Kaufmannschaft. "
Quellen: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafs - Geschichte Band 1
Kriegs- und Domänenkammern
Kriegs- und Domänenkammern, auch „Kammerdepartements“, hießen die Provinzialbehörden in Preußen, die Friedrich Wilhelm I. bei der Reorganisation der Verwaltung im Jahre 1723 geschaffen hatte.
16. 12. 1808 erfolgte eine Umbenennung
- der Kriegs- und Domänenkammer in Regierung und
- des Kammerbezirks in Regierungsbezirk.
Sie waren die Vorgänger der 1815 eingerichteten preußischen Regierungsbezirke z. B. Gumbinnen und ihrer lokalen Regierungsämter z. B. Insterburg. Der ostpreußische Landkreis Insterburg im Regierungsbezirk Gumbinnen bestand von 1818 bis 1945. Nach der Teilung der Provinz Preußen in die Provinzen Ostpreußen und Westpreußen am 1. April 1878 wurde der Kreis Insterburg Bestandteil Ostpreußens. Am 1. April 1902 schied die Stadt Insterburg aus dem Kreis aus und wurde in einen Stadtkreis umgewandelt. Der Kreis Insterburg erhielt danach die Bezeichnung Landkreis.
Unter Friedrich Wilhelm I. wurde die königliche Verwaltung zeitweilig auch als "Kriegskommissariat" bezeichnet und durch die Domänenkammer ergänzt und dann mit ihr im Jahr 1723 zur Kriegs- und Domänenkammer zusammengeschlossen. Im Jahr 1724, als er auch die drei Städte Königsberg zusammenlegte, gründete Friedrich Wilhelm I. eine zweite Kammer in Gumbinnen für das von der Großen Pest verwüstete Preußisch Litauen, den späteren Regierungsbezirk Gumbinnen.
Die Kriegs- und Domänenkammern gingen hervor aus der Zusammenlegung der beiden Ämter Kriegskommissariate mit den Amtskammern,
- Kriegskommissariate waren Behörden, die die Steuern und Abgaben zu erheben hatten, welche für die Bedürfnisse der Armee, für das stehende Heer, bestimmt waren.
- Amtskammern verwalteten die Domänen und zogen die Pachtgelder für diese staatlichen Güter ein.
Die Kriegs- und Domänenkammern standen unter der Leitung des General-Oberfinanz-, Kriegs- und Domänendirektoriums (Generaldirektoriums) in Berlin. Diese Ämter bestanden bis zu den großen Preußischen Reformen durch Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom Stein und Karl August von Hardenberg im Jahre 1808.
Quelle: Kriegs- und Domänenkammer – Wikipedia
Im Jahr 1752 bildete König Friedrich II. in Preußen aus den Hauptämtern Insterburg, Memel, Gumbinnen und Ragnit einen Kreis Insterburg. Dieser hatte eine Fläche von ca. 8860 km² und im Jahre 1800 265.088 Einwohner.
1815 kam es auch zu einer umfassende Kreis-Reform in Ostpreußen, da sich die 1752 eingerichteten Kreise als unzweckmäßig und zu groß erwiesen hatten. Aus dem Gebiet des alten Kreises Insterburg wurden elf neue Kreise gebildet, darunter auch ein neuer, deutlich kleinerer Kreis Insterburg. Dieser umfasste die Kirchspiele Aulowönen, Berschkallen, Didlacken, Georgenburg, Insterburg, Jodlauken, Norkitten, Pelleningken, Norkitten und Saalau. Der neue Kreis Insterburg enthielt auch einen separaten Geschäftsbezirk, das Domänenamtes Insterburg. Der Geschäftsbezirk des Domänenamtes Insterburg umfasste um 1816 etwa 180 Dörfer mit ca. 30.000 Einwohnern.
Die Domainen des Preußischen Staates umfassen die Domainen-Güter (Domainen im engeren Sinne), die Domainen-Forsten und die Domainen-Jagden“. Das Allgemeine Preußische Landrecht (APL) vom Juni 1794 wies das Eigentum an Domänen („Domainen“) dem Staat, ihre Nutzung jedoch dem Staatsoberhaupt zu ( APL, II 14, § 11). Daneben gab es noch Kirchen- und Klostergüter.
Als „Domainen“ galten Grundstücke, Pachteinnahmen und Rechte, deren besonderes Eigentum dem Staat und die ausschließliche Nutzung dem Oberhaupt zukam. Auch Landstraßen, schiffbare Flüsse, Häfen und Meeresufer galten als Domäne ( APL II 14, § 21). Sie unterstanden einer hierarchisch gegliederten Verwaltungsstruktur.
Am 13. Juni 1805 erlässt der König die "Instruktion für die Königlichen Domainen-Beamten in Ostpreußen, Littauen und in den beiden Westpreußischen Kammer-Departements". Diese Instruktion betraf neben den Scharwerksbauern auch die Dorfschulzen, Polizisten, Müller, Krüger, Schmiede, Ärzte, Hebammen und Handwerker eines genau abgegrenzten Dorfes. Sie beinhalteten die Feldpflege, Aussaat- und Erntevorschriften, Wegerechte, Bau- und Feuerwehr-Vorschriften und enthielten Hinweise zu Erbschaft, Schulbesuche, Armenpflege und Bettelei. Der Domänen-Beamte hatte in seinem Amtsbezirk jedes Dorf einmal im Jahr aufzusuchen und musste sich mit seinen Untergebenen alle 8-14 Tage beraten. Jedes Domainen-Justiz-Amt wurde von einem Ökonomie-Beamten und den beiden Justiz-Bedienten des Kreises geführt. Der Ökonomiebeamte wurde vom König ernannt, die Justiz-Bedienten vom Provinz Gouverneur. Die Ökonomiebeamten hatten jedes Jahr eine Etat aufzustellen, der genau von der Kriegs- und Domainendirektoriums in Berlin kontrolliert wurde. Dazu kamen vor Ort diverse Departements-Räte wie z. b. der Registrant, der Amtsschreiber, der Kämmerer und für jeweils etwa 10 Dörfer ein Unterbedienter.
Die Beamten und Räte stammten aus dem lokalen Adel, waren ehemalige Offiziere und mussten nach Studien- und Militärzeit zusätzlich eine Ökonomie- oder Justiz-Ausbildung vorweisen und wurden nach einer Prüfung zum Kriegs- und Domainen-Rat ernannt. Diese Stellen wurden offiziell ausgeschrieben. Die Unterbedienten waren in der Regel ehemalige Unteroffiziere. 1785 gab es in Ostpreußen 141 Domainen-Ämter, 32 davon waren zugleich Domainen- und Justizämter. Den Kriegs- und Domainen-Räten standen auch geerbte oder vor Dienstantritt gekaufte private Güter zu, die sie allerdings auch selber zu kontrollieren hatten. Während ihrer Dienstzeit war eigener Landerwerb untersagt.
"Unter der Gerichtsbarkeit der Königlichen Domainen-Aemter stehen alle Königlichen Vorwerke, Bauer- und Schaarwerksdörfer, imgleichen alle Cölmische- und Erbfreygüter und Dörfer, die wenigen Cölmischen Güter ausgenommen, die zur eigenen Gerichtsbarkeit privilegirt worden oder Städtische Kämmereygüter sind. Auch stehen die Besitzer Cölmischer Güter, wenn sie nicht zu den Eximirten gehören, nicht allein in realibus, sondern auch für ihre Person unter der Gerichtsbarkeit des Domainen-Amtes. Zu den Eximirten gehören alle Königliche Bediente, imgleichen alle karakterisirte Personen, als welche mit ihren Familien unter der Gerichtsbarkeit der Obergerichte stehen, wenn sie gleich auf solchen Gütern oder Gründen wohnen, die der Gerichtsbarkeit eines Domainen-Amtes unterworfen sind. Die Königlichen Land-Kirchen nebst den dazu gehörigen Kirchen- und Schulen-Bedienten und deren Familien, wie auch die zu den Kirchen gehörigen Aecker und Grundstücke stehen ebenfalls unter der Gerichtsbarkeit der Obergerichte; doch steht es ihnen sowohl als den vorerwehnten Eximirten frey sich der Rechtspflege der Königlichen Domainen-Aemter zu bedienen."
Quellen: Die Domainen-Ämter von 1785 — Portal Ahnenspuren - Suche in Ostpreußen (ahnen-spuren.de)
Rittergut
Ein Rittergut war ein Besitz, mit dem durch Gesetz oder Gewohnheitsrecht seit dem Mittelalter bestimmte Vorrechte des Eigentümers, insbesondere die Rechte der Gutsherrschaft über erbuntertänige und zinspflichtige Bauern (bis zur Bauernbefreiung) sowie die Landtagsfähigkeit verbunden waren. Hinzu kamen oft die Gerichtsfähigkeit, als erste Instanz in Rechtsstreitigkeiten sowie Steuerbefreiungen. Außerdem waren mit den Rittergütern noch weitere Vorrechte verbunden. Sie übten damit – bis zur Bauernbefreiung – außerdem die örtliche Obrigkeit mit lokaler Polizeigewalt dar (vergleichbar einem Bürgermeister), teilweise noch bis 1928. Ferner gehörten zu den Vorrechten der Rittergutsbesitzer die Jagdgerechtigkeit, häufig Fischereirechte, Braugerechtigkeit und andere Bannrechte. Das kirchliche Patronatsrecht war ebenfalls mit dem Besitz eines Rittergutes verbunden
Rittergüter wurden bis Ende des 17. Jahrhunderts noch häufig mit ungefähren Lagen aufgerufen, wie "liegt im Forst", "zu finden jenseits des Flusses" oder "in der Landschaft". In Preußen wurden vom Herzog oder König ausgesuchte schon aufgesiedelte Flächen zu Rittergütern erklärt, die guten wirtschaftlichen Ertrag versprachen. Die Gutsgrößen der ursprünglich verliehenen Lehen waren aber häufig geschätzt, da genaue Grenz-Vermessungen und exakte Quellen fehlten auch gab es höchst unterschiedliche Messgrößen.
Die Flächen-Bezeichnung "Gut" oder "Rittergut" ebenso wie die des "Besitzers" als freier Bauer, wurden bei der Erstbesiedlung ursprünglich vom Landesherrn erteilt und in den Kirchenbüchern festgehalten, später in den Handmatrikeln ab 1713 des Preußischen Königreiches und dann in den Steuerlisten seit 1871 mitgeführt. Die Titel "Gut" oder "Rittergut" waren vererbbar. Durch die spätere Möglichkeit des Verkaufes - auch an Bürgerliche - wurde der rechtliche Titel "Gut" oder "Rittergut" auch mit übergeben.
Die Entwicklung der Wirtschaft und mit ihr die der Güter in Ostpreußen seit Beginn des Königreiches Preußen zeigt an, dass diese ungefähr in Wellenlinien verläuft.
- Von 1500 bis etwa 1700 nimmt die Anzahl der Güter in Ostpreußen durch verstärkte Lehnsvergabe zu. Es gilt, die Große Wildnis zu besiedeln. Die Flächen der bestehenden Güter vergrößerten sich durch widerrechtliches Bauerlegen, Landeinzug von Bauerland und Brache und dem gezieltem Zukauf, aus eigenem Antrieb (Auskaufen der freien Bauern). So bewirtschafteten die Güter in der Landschaft Nartangen (später Regierungsbezirk Königsberg) 1426 ein Viertel, 1519 die Hälfte und 1628 Zweidrittel der Landflächen. Aufgrund einer verbesserter Landwirtschaft (Dreifelderwirtschaft) herrscht ab 1600 zeitweise eine Getreidekonjunktur in Ostpreußen. Der Fernhandel mit Getreide beginnt. Die Bevölkerung wächst in Ostpreußen von 400.000 auf etwa 700.000 Einwohner - Siehe dazu auch Kapitel 6.1 Bevölkerungsentwicklung
- Ab 1700 verkleinerten sich die Anzahl und Flächen der Güter wieder, und zwar durch Kriege, Säuchen und Hungersnöte. Ab 1713 gab es eine königliche Steuerpolitik, der Adel wird stärker belastet und eine erfolgreiche königliche Ansiedlungspolitik, mit aus- und inländischen Kolonisten. Nach den Tode Friedrich des Großen 1786 stocke allerdings die Ansiedlung. Die Durchschnittflächen der Güter im Landkreis Insterburg gingen auf etwa 100 ha. zurück. Die Bevölkerung sinkt auf 650.000 - Siehe dazu auch die Geschichte von Willschicken Willschicken – GenWiki (genealogy.net)
- Nach der Bauernbefreiung 1807 hatte sich aber insgesamt die landwirtschaftlichen Flächen in Preußen fast verdoppelte, davon profitierten besonders die Güter in Ostpreußen. Die Anzahl bleibt etwa konstant. Die Bauernbefreiung führte zu großen Veränderungen - Siehe dazu auch Abschnitt 5 VON IHRER PERSÖNLICHEN RECHTSSTELLUNG. So mussten z.B. die "befreiten" Bauern als Gegenleistung für den Erwerb von Eigentum zwangsweise Teile von ihrem Land an ihre Gutsherren abgeben. Bei den Gütern wuchsen die Erträge, von zwei kurzen Unterbrechungen von 1821-25 und 1846-47 abgesehen, um das zwei- dreifache. Die Durchschnittsgröße der landwirtschaftlichen Güter vergrößerte bis 1870 im Landkreis Insterburg auf 240 ha. Die Bevölkerung steigt auf knapp 900.000 - Siehe dazu auch Kapitel 6.1 Bevölkerungsentwicklung
- Nach 1873 ging aber im Landkreis Insterburg die Durchschnittsgrößen der Güter bis 1914 wieder auf 120 ha. zurück. Ausschlaggebend waren hierfür hauptsächlich wieder wirtschaftliche, aber auch demografische Gründe. Von 1879 -1913 gab es eine sehr unruhige wirtschaftliche Zeit. Zudem war das Europäisches Getreide auf dem deutschen Markt preiswert zu haben. Die fortgeschrittene Modernisierung der englischen Landwirtschaft führte zu einer großen Konkurrenz. Die Bevölkerung in Ostpreußen stieg auf 1.800.000. Die große Abwanderung von über 900.000 Ostpreußen beginnt. - Siehe dazu auch Kapitel 6.1 Bevölkerungsentwicklung. Dies führte bei den ostpreußischen Gütern zu umfangreichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Landarbeitermangel, hochgradiger Verschuldung - Siehe dazu auch Kapitel 6.2 Verschuldung - und zwangsweisen Landverkauf. Die staatliche Unterstützung der Aufsiedelungen von Gutsland und die Ansiedlung von Kleinbauern konnten diese Situation auch nicht ändern. Hinzu kamen die erhöhten Transportkosten aufgrund des Polnischen Korridors - Siehe dazu auch Kapitel 7.3.1 Polnischer Korridor und die zurückgebliebene Modernisierung des größeren Teils der Güter - Siehe dazu auch Kapitel 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur. In Ostpreußen begann sich Landwirtschaf ökonomisch nicht mehr zu lohnen.
- Während der Weimarer Republik und des Dritten Reiches nahmen die Anzahl und die Flächen der Güter weiter ab. Etwa 5 % aller Flächen wurden vom Militär für Kasernen, Truppenübungsplätze, Flugplätze, Häfen, Befestigungen und Aufmarschplätzen abgefordert.
- Zur weiteren Entwicklung nach 1945 siehe dazu auch Kapitel 7.5 Ausblick auf den Oblast Kaliningrad
Unter den staatlichen Domänen-Gütern besaß nur ein Teil der Güter in Ostpreußen den Titel eines Rittergutes. Sie konnten vererbt oder verkauft werden. Mit dem Erwerb eines Rittergutes gingen auch die mit dem Gut verbundenen Realrechte auf den neuen Eigentümer über.
Der Landkreis Insterburg umfasste 1818 etwa 1430 km² und hatte zusammen 58.891 Einwohner. Im Landkreis Insterburg dominierten 1752 - bis auf den Besitz der Fürsten von Anhalt-Dessau - kleinere und mittlere landwirtschaftliche Güter. Eine Grundfläche von mehr als 100 ha wiesen 158 Güter aus. Davon waren als Rittergüter anerkannt oder diesen gleichgestellten kölmischen Gütern 48 Betriebe. Dazu kam der gesamte Besitz der Fürsten von Anhalt-Dessau mit einer Fläche von rd. 125.000 ha. im Landkreis, der auf Betreiben von Friedrich Wilhelm I. von 1724 bis 1726 an die Fürsten verkauft worden war und in 8 Rittergütern aufgeteilt wurde. Rechtlich war dieses Gebiet nicht Eigentum des Landes Anhalt, sondern Privatbesitz des Herzogshauses Anhalt und blieb dies bis zur Vertreibung und Enteignung im Jahre 1944/1945.
Quelle: Home :: Martin-Opitz-Bibliothek
In Ostpreußen zählte um das Jahr 1900 ein Rittergut ab einem Grundsteuerreinertrag von 1500 Mark jährlich zum Großgrundbesitz. Die Regelung wurde jedoch nicht starr gehandhabt. Teilweise waren die Gutsrechte jedoch nicht an Land gebunden, sondern basierten auf grundherrschaftlichen Rechten oder auf Kapitalbesitz. In Ostpreußen betrug die Mindestgröße für ein Rittergut am Ende des 18. Jahrhunderts nur noch 80 Morgen (20 Hektar), jeweils abhängig von der örtlichen Bodenqualität und den regionalen Rechtsvorschriften. Die Festlegung einer Mindestgröße entstand schon durch das Regulierungsedikt erlassen durch den Preußischen König Friedrich Wilhelm III. vom 14. September 1811 und die entsprechende Anpassung der Erb-Rechte durch den ostpreußischen Landtag, in dem der regionale Adel dominierte. Es galt die wachsende Zahl seiner adligen Erben zu versorgen. Weitere Voraussetzung war ein sogenanntes "castrum nobile", also die Existenz eines Herrenhauses. Mit den Rittergütern waren Verpflichtungen und Privilegien verbundenen. An das Rittergut waren staatsrechtliche Befugnisse in Form von Realrechten gebunden – Rechte, die nur dem jeweiligen Rittergutsbesitzer zustanden. Die staatsrechtlichen Befugnisse waren also unmittelbar mit dem Betrieb verbunden und gingen bei Übertragung auf den neuen Eigentümer über. Dieser musste sich dann in der jeweiligen örtlichen "Ritterschaft" gegen Zahlung einer Aufnahmegebühr "immatrikulieren" lassen.
In der preußischen Verfassung von 1850, wurde das Recht einer besonderen Vertretung der Rittergutsbesitzer in den Landtagen vollständig aufgehoben. In Preußen kam den Rittergütern danach aber noch eine Bedeutung in den Kreis- und Provinzialversammlungen zu. Rittergüter in Preußen bildeten meist eigene kommunalrechtliche Gutsbezirke, die neben der meist gleichnamigen Landgemeinde bis etwa 1929 bestanden.
Das Rittergut Buchhof lag im Kirchspiel Aulowönen im Landkreis Insterburg und war 1900 etwa 334 ha groß. Die dazugehörige Gemeinde Buchhof führten den gleichen Namen. Im Jahre 1900 errichtet der dortige Rittergutbesitzer Robert Mueller ein stattliche Herrenhaus auf seinem Rittergut Buchhof. Einige Rittergutsbesitzer waren auch Multifunktionäre, bei denen sich die regionale Macht bündelte. So auch Herr Robert Mueller. Er war Amtsvorsteher des Amtsbezirks Juckeln (Buchhof), Kreis- und Landtagsmitglied, gründet in Aulowönen die Raiffeisen-Genossenschaft und war Vorsitzender der An- und Verkaufs-Genossenschaft, der Herdbuch-Gesellschaft, der Molkerei-Genossenschaft in Insterburg, Kirchenvorstand der evangelischen Kirchengemeinde im Kirchspiel Aulowönen / Aulenbach (Ostp.). Außerdem war er in seinem Gutsbezirk, der zugleich Gemeindebezirk war, mit der Befugnis der Niederen Gerichtsbarkeit ausgestattet. Das Gut Buchhof wies einen eigenen vergitterten Arrest-Raum auf. Darüber hinaus war Mueller Vorsteher der drei jährlichen Amtsvorsteher -Tage, die jeweils im Frühjahr, Sommer und Herbst stattfanden.
Im Jahr 1900 umfasste der Amtsbezirk Juckeln 32 später 29 Dörfer. Die Tagungen fanden bis 1918 immer im Saal der Gastwirtschaft Drückler in Lindicken (Lindenberg). Hier wurden hauptsächlich Kreis- Wasser- und Wegebau- Maßnahmen behandelt und beschlossen. In der Kriegszeit vertritt Robert Mueller den Landrat Overweg, der lieber auf seinem Besitz im Alt Reich weilte. Die vielfältigen Verdienste von Robert Mueller führen zur Verleihung des erblichen Familiennamens "Mueller-Buchhof" für sich und seine Familie und die seiner Geschwister ab April 1917. Das Rittergut Juckeln wurde am 9. August 1918 in "Buchhof" umbenannt.,
Quelle: Buchhof (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Familien-Dynastien
Es entwickelten sich auch frühe Familien-Dynastien unter den Gutsbesitzern, teilweise mit einem Besitz von jeweils über 10 000 ha Land. Ins Land gekommen waren sie als katholische Söldnerführer, um den Deutschen Orden zu unterstützten, dafür wurden sie mit sehr großen Länderreine entlohnt. Das Mandat vom 6. Juli 1525, auch Mandat der Reformation genannt, war ein durch Albrecht von Brandenburg-Ansbach erlassener Akt, der den offiziellen Übergang des Herzogtums Preußen zur evangelisch-lutherischen Konfession des Protestantismus beglaubigt und beförderte durch die "Calvinistische Ethik" lt. Max Weber u.a. die Gutsentwicklung in Ostpreußen "nachhaltig". Zu dieser Auffassung gibt es auch entgegengesetzte Meinungen.
Adlige Großgrund-Besitzer entwickelten im Laufe der Zeit sehr große Besitztümer, wie das Haus Dohna. Durch eine Anordnung des Herzogs vom 30. Dezember 1525 wurde Peter von Donaw vom Herzog in den Besitz von Hof und Haus Schlobitten versetzt. In den darauffolgenden Jahren ist Peter von Donaw ein wohlhabender Großgrundbesitzer, der aus seinem Vermögen sogar dem Herzogshaus Kredite in beachtlicher Höhe gewähren kann. Auf seinem Schloss Mohrungen schrieb er eigenhändig ein an seine Nachkommen (acht Söhne, eine Tochter namens Sophia) gerichtetes Memorandum nieder, in dem er folgende Güter als sein Eigentum bezeichnet: 1. Deutschendorf (84 1/2 Huben), 2. Lauca (60 Huben), 3. Eberssbach, 4. Newen-Markt, 5. Hermessdorff, 6. Schlobitten (20 Huben, der Hof 10 Huben), 7. Klein-Scharnitten, 8. Herrendorff, 9. Furstenau, 10. Karnitten, 11. Gross-Scharnitten, 12. Hensels. Seiner Aufstellung zufolge standen ihm außerdem Leistungen aus zehn anderen Dörfern des Amtes Mohrungen zu.
Um 1785 gehörte das riesige Konglomerat der 32 Dohnaschen Gütern, mit zu den 310 adligen Gütern der Kreise Mohrungen und Preußisch Holland, davon ein Teil im Recht des Majorats oder Fideikommisses. Herrschaftlicher Sitz des Schlobittenschen Majorats war das Rittergut Schlobitten mit dem gleichnamigen Kirchdorf, dem gleichnamigen Vorwerk und dem ansehnlichen Schloss, das eine wertvolle Familienbibliothek beherbergte. Dazu gehörten das Kirchdorf Herrndorf, wo sich eine Wasser- und Windmühle besonderer Bauart befand, sechs andere Bauerndörfer und fünf Vorwerke mit insgesamt 4.790 ha Ackerland, die sämtlich im Kreis Preußisch Holland lagen.
Die Forstgüter der Familie Dohna hatten zwischen 5.000 und 20.000 ha. Waldflächen, ihnen stand aber häufig auch noch kleinere Ackerflächen zur Verfügung.
Die Bauernbefreiung betraf ab 1799 auch den Dohna-Clan. Das Majorat der Dohnaschen Gütern blieb aber bis 1945 bestehen. Majorat oder Ältestenrecht bezeichnet ein Erbrecht, bei dem ein Landbesitz oder Vermögen oder ein Teil davon in der Form einer Stiftung zu einem Majoratsgut gewandelt wurde, das vom ältesten Sohn (Primogenitur) als Ganzes zu erben und zu erhalten war; gab es keinen Sohn, fiel das auch als Ältestengut bezeichnete Majorat dem nächsten männlichen Verwandten zu, bei gleichem Grad der Verwandtschaft dem ältesten Verwandten. Das Fideikommiss war ein durch Stiftungsakt geschaffenes unveräußerliches und unteilbares, einer bestimmten Erbfolge unterliegendes Vermögen, das auch nicht belastet werden durfte.
Quelle: Słobity – Wikipedia Das Rittergut Gut Friedrichstein im Land-Kreis Königsberg Land war eines der größten privaten Grundbesitztümer im Deutschen Reich der 1920er bis 1940er Jahre. Der Grundbesitz von Friedrichstein mit Schloss, Fasanerie und Amalienhof, dem Forst (Schutzforst), Groß Hohenhagen sowie Wehnenfeld mit Vorwerk Lottienenhof umfasste 6215 ha. Die Familienstiftung Quittainen beinhaltete noch einmal 9907 Hektar, was zusammen mehr als 160 Quadratkilometer ausmachte.
Ein im Volksmund genannter Gutshof war in Ostpreußen formal ein großer Landbesitzt mit dem staatlichen Titel "Gut" oder "Rittergut", der ursprünglich an Adelige als Lehen gegeben worden war. Er enthält die Gutsanlage mit Herrenhaus, Ställe, Scheunen, Gesindehäuser und später auch Schnitterkasernen. Dazu kamen das Ackerland, Brachen, Forst, Moore, kleinere Seen und Bäche. Nebenhöfe, die vom Haupt-Hof aus verwaltet wurden, nannte man Vorwerk.
Die Neu- Anlage der Domänengüter war weitgehend von der landesherrlichen Domanialverwaltung vorgegeben und recht einheitlich. Auf den Messtischblättern bilden Domänenanlagen gewöhnlich ein langgestrecktes Rechteck, an der einen Schmalseite durch das Haus des Domänenpächters abgeschlossen, ihm folgen an den Längsseiten links und rechts große Wirtschaftsgebäude und schließlich die "Katen" der Gutsarbeiter und die "Schnitterkaserne" für die Wanderarbeiter, die bei der Ernte hinzustießen. Die dazu gehörigen Dörfer und deren Haustypen wurden aufgrund von Planungen der Domanialverwaltung angelegt, siehe dazu auch den Abschnitt 6.3.5 Hausbau
Im Haushalt 1805/06 in Preußen betrugen die Domäneneinnahmen 8,7 Millionen Taler und nahmen so den ersten Platz ein. Die Domänengüter wurden in der Regel bis 1808 nur verpachtet. Ab 1808 wurden dann die staatlichen Domänenämter aufgelöst. Die Domänengüter konnten von da an von adligen und zunächst in Unterzahl auch von privaten Gutsherren erworben werden, so etwa das Gut Alt Lappönen mit 665 ha.1856 befanden sich dann nur noch 58 % des ehemaligen Domänen-Landes in den Händen adliger Land-Besitzer.
Etwa ein Fünftel des Landes aller ehemaligen ostpreußischen Domänengüter (1800 etwa 320.000 ha) blieb aus unterschiedlichen Gründen staatlich - so etwa die 14.000 ha Weideland des staatlichen Gestüts Trakehnen einschließlich der 16 Vorwerke oder die staatlichen Forstdomänen der Rominter Heide mit 25.000 bzw. Elch Wald mit 14.000 ha. Quelle: [https%C3%A4ne Staatsdom]://de.wikipedia.org/wiki/Staatsdom%C3%A4ne Staatsdom]
Verteilung des bewirtschafteten Landes um 1800
In den sechs preußischen Ostprovinzen befanden sich vor 1914 noch insgesamt 52 % des Grundvermögens in den Händen von Großgrundbesitzern, von denen wiederum 50 % mehr als 1000 Hektar besaßen. Während in Westdeutschland kleinere Betriebe üblich waren, konzentrierte sich der Grundbesitz östlich der Elbe meist auf wenige (meist adlige) Großgrundbesitzer (Junker) und deren Rittergüter
"In den Kammerbezirken (spätere Regierungsbezirke) Ostreußen/Königsberg und Preußisch-Litauen siedelten um 1800 ca. 56.900 Bauern unter der Gutsherrschaft, das waren ca. 10 Prozent aller preußischen Bauern. Unter ihnen bildeten die 5.000 Freien und Kölmer die Spitze, die lediglich an den Landesherrn mäßige Abgaben und geringe Dienste zu entrichten hatten. Von den restlichen 42.000 Bauern lebten 10.500 als Untertanen (Gesinde) auf adligen Gütern, die übrigen 31.500 auf Domänen des Landesherrn als Scharwerker. Dazu kamen die teilfreien Schatull- und Koloniebauern, die der Gutsherrschaft nicht unterworfen waren.
Der Landesherr war damit Herr über fünf von sechs ostpreußischen Bauern. 231.000 Familien auf dem Land verfügten in Ostpreußen über keinen nennenswerten Besitz, dazu kamen etwa 500.000 besitzlose Landarbeiter als Tagelöhner. Zur rechtlichen Situation der Landarbeiter im Einzelnen siehe auch das Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1792 den Fünfter Titel: Von den Rechten und Pflichten der Herrschaften und des Gesindes in 208 (!) Paragrafen.
1/3 der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche des Kammerbezirks Ostpreußen/Königsberg (1,5 Millionen Hektar) wurden um 1800 von den Gütern des Landesherrn, der Adligen und der Städte bewirtschaftet. Die Gutsherrschaften des Adels umfassten dabei eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 26 Prozent, der Anteil der von Kölmern und Freien betrug 2,8 Prozent, der von Bauern bewirtschaftete 13,4 Prozent. Das Verhältnis der Gutsflächen zu den Flächen der Kleinbauern betrug 1 zu 0,62. Die Kölmer, ein für Ostpreußen charakteristischer Stand, waren aus den Besitzern der kommunalfreien Güter hervorgegangen, die nur die niedere Gerichtsbarkeit besaßen, keine deutschen Bauern ansetzen konnten und der adligen Gerichtsbarkeit nicht teilhaftig geworden waren. Sie bildeten auf Einzelgütern, unmittelbar unter der Landesherrschaft als Lehnsherr stehend, den "Großbauernstand". Gleichzeitig wuchs die Verschuldung weiter an. Siehe dazu auch das Kapitel 6.2 Verschuldung
Bis in das 19. Jahrhundert bestimmte die Gutsherrschaft, die sich in den Gebieten östlich der Elbe entwickelt hatte, nicht nur die Agrarverfassung, sondern auch das wirtschaftliche, soziale und politische Leben auf dem Lande. Den Mittelpunkt der Gutsherrschaft bildete das eigenbewirtschaftete Rittergut mit seinen Vorwerken, dass der adlige Eigentümer selbständig unter Ausnutzung der Dienstbarkeit der erbuntertänigen Bauern und der Dienstleistungen abhängiger Bauern und der Gesindedienste, die Bauern- und Tagelöhner-Kinder gegen herkömmlichen Lohn - teilweise Naturalien - verrichteten, bewirtschaftete. Innerhalb des Gutsbezirks waren die adligen Grundherren im Besitz der obrigkeitlichen Rechte. Sie übten gegenüber ihren Gutsuntertanen die Patrimonialgerichtsbarkeit und die Polizei- und Verwaltungshoheit aus und hatten das Patronat über Schule und Kirche inne."
Arbeitsteilung
Auf den Gütern herrschte eine traditionelle Arbeitsteilung und noch um 1900 wurde hauptsächlich mit Naturalien entlohnt. Unter Arbeitsteilung verstand man die Unterteilung eines Arbeitsprozesses in verschiedene Arbeitsschritte, die von unterschiedlichen Personen, Gruppen oder Betrieben durchgeführt wurden. Die folgenden Aufstellungen stammen wahrscheinlich von dem Gut Kempa im Dorf Fasten im Kreis Sensburg. Quelle: Unbenannte Seite (fasten-kreis-sensburg.de)
Zur Entwicklung der Gutsherrschaft siehe die folgende Abschnitte: 5.1 Bauernbefreiung, 5.2 Landarbeiter nach der Bauernbefreiung, 6.1 Bevölkerungsentwicklung , 6.2 Verschuldung und 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
Gerhard Krause berichtete in seiner Dissertation "Landwirtschaftliche Betriebsverhältnisse in Ostpreußen 1815-1870" folgendes: "Im Kreis Insterburg war die Beköstigung auf einem größeren Gut folgende:
- Morgens 7 Uhr Suppe von saurer Milch und Mehl,
- mittags Gemüse und zweimal die Woche reichlich ein Pfund Fleisch,
- abends Suppe oder Gemüse,
- ein bis dreimal täglich einen Schnaps.
- Der Knecht bekam wöchentlich 15 Pfund Teig oder 13 Pfund gebackenes Brot, die Magd nur 10 Pfund."
Quelle: https://pbc.gda.pl/Content/90247/Landwirtschaftliche_Kraus_G.pdf
„Arbeit schulpflichtiger Kinder, im Allgemeinen solcher über 11, mindestens über 10 Jahre, kommt ganz überwiegend bei mittleren Wirtschaften vor und zwar zum Zweck des Viehhütens, hier in den Kreisen, Ragnit, Pillkallen, Stallupönen, Gumbinnen, Insterburg in erheblichem Umfang, gegen festen Sommerlohn von 20-50 Mk., wo neben Wohnung und Kost und mehrfach Kleidung (zwei Anzüge) gewährt wird. Die Hütezeit dauert ca. sieben Monate, von Anfang April bis Anfang November. Daneben kommt die Verwendung von Kindern zu leichter Feldarbeit, Jäten, Steinsammeln, aber auch zu Akkordarbeiten in der Kartoffelernte, vor, wobei im Kreis Stallupönen erhebliche Löhne gezahlt werden, so dass ein Kind bis zu 1Mk. pro Tag verdienen kann bei einer Arbeitszeit von bis zu 12 Stunden. Kann diese Erscheinung nicht ohne weiteres als unbedenklich bezeichnet werden, so ist andererseits die Wirkung auf den Schulbesuch mehrfach problematisch.“
Quelle: Max Weber: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklenburg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen Duncker & Humblot, Leipzig 1892 (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, LV. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland; Bd. 3) 1892
Der größte Teil der rechtlichen Rahmenbedingungen der Gutsherrschaft endete im Deutschen Reich vor dem 1. Weltkrieg, mit einigen Ausnahmen erst 1923. Dazu siehe auch 5.1 Bauernbefreiung.
Die sozialen Folgen der Gutsherrschaft, in Form einer hierarchischen und reglementierten Gesellschaft in Ostpreußen blieben aber noch bis zum Ende des 1. Weltkrieg und länger bestehen.
Schichtenmodell für Ostpreußen
Wolfgang Köllmann hat versucht, ein Schichtenmodell für Ostpreußen um 1900 zu entwickeln. Er teil in einem ersten Schritt die ostpreußische Gesellschaft in Ober-, Mittel- und Unterschicht ein, in dem er die Stellung und Schichtzugehörigkeit der jeweiligen beruflichen Position der Einwohner beschreibt. Ein einem zweiten Schritt verbindet er die verschiedenen Gruppen innerhalb und zwischen den Schichten anhand von Wanderungen und Auf- und Abstiegspfaden.
Die drei Schichten lassen sich anhand des Schichtenmodell für die 1,99 Mil. Einwohner in Ostpreußen im Jahre 1900 folgendermaßen kurz beschreiben:
- Die Oberschicht wird auf 5 % der Bevölkerung geschätzt. Hier gab es strikte soziale und politische Regel. "Der Landadel galt in Ostpreußen als sehr konservativ, militaristisch und antiliberal. Er war die reaktionäre Stütze der Monarchie der Hohenzollern und des preußischen Staats- und Militärwesens. Die Demokratie lehnte der Landadel schroff ab. Er dominierte praktisch die gesamte politische Elite der preußischen Stammlande. Die Herrschaft der Junker wurde durch die im ländlichen Raum tief verwurzelten aristokratischen Traditionen und die Verbundenheit der Familien mit dem preußischen Militär gestützt, in dem die Söhne seit Generationen als Offiziere dienten. Ihre Einkünfte bezogen die Junker vornehmlich aus der Landwirtschaft, in der sie eine monopolartige Stellung innehatten, welche sie nicht nur in den ostelbischen Gebieten, sondern auch im restlichen Preußen und dann im gesamten Reich erfolgreich zu behaupten wussten. Die auf dem Land in den ostelbischen Gebieten bestehende junkergeprägte Gutsherrschaft prägte die ökonomische Rückständigkeit und Untertanengeist der Landbevölkerung. Prügel gehörte zu den verbreiteten Disziplinierungsmitteln der Gutsherren. " Quelle: Junker (Preußen) – Wikipedia So heiratet der Adel fast nur untereinander. Die höhere Verwaltung wurde ganz überwiegen mit ehemaligen Offizieren besetzt. Ein Abstieg war bei der Verletzung von sozialen Normen und wirtschaftlicher Pleite durchaus möglich, aber selten. Die Junker besaßen insbesondere im 19. und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im östlich der Elbe gelegenen, auch Ostelbien genannten Kerngebiet Preußens eine bedeutende politisch-ökonomische Machtstellung, die politisch bis 1918 durch das Dreiklassenwahlrecht und ökonomisch durch den erheblichen Großgrundbesitz dieser Schicht gefestigt wurde. Die Zahl der nicht-adligen Gutsbesitzer stieg bis 1918 auf 62 %. Allerdings waren die Lebensbedingungen auf den bürgerlichen Gütern gegenüber der adligen Gütern nur zum Teil besser. Zu den Junkern siehe auch 7.1.3 Junker
- Die Mittelschicht umfasste geschätzte 40 % der Bevölkerung. Hier dominierten zahlenmäßig die Mittel- und Kleinbauern. Zwischen den verschiedenen Bauerngruppen gab es aber auch nur einen begrenzten Austausch. Sie grenzen sich auch untereinander stark voneinander ab. Der Aufstieg gelang teilweise durch Einheirat in eine "höhere" Gruppe. In der Landwirtschaft war insgesamt die wirtschaftliche Situation in Ostpreußen um 1900 kritisch. Die Randlage der Provinz verteuerte die Transportkosten der Produkte um etwa 10 %, die Modernisierung der Landwirtschaft blieb hinter dem Reich zurück und preiswerte Getreideeifuhren aus Russland, Polen und England machten auf dem heimischen Markt erfolgreich Konkurrenz. Die Lebenshaltungskosten waren in Ostpreußen 10 -15 % höher als im Reich. So kamen erfolgreiche Kapitalinvestitionen von Externen in die Landwirtschaft nach 1871 nur noch selten vor. Ländereien von bankrotten Bauern zu erwerben waren wirtschaftlich nicht mehr erfolgsversprechend. Soziale Aufsteiger aus der Unterschicht und die unversorgte Bauernkinder aus der Mittelschicht strebten dagegen Arbeitsplätz im Handwerk, im Handel und in der Verwaltung an. Der gesamte Gewerbebereich wuchs dem Reich gegenüber aber nur langsam. Zu den Bauern der Mittelschicht siehe auch 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
- Im Bereich der Unterschicht mit geschätzten 55 % der Bevölkerung gab es aber dagegen nur sehr begrenzte Aufstiegschancen. Die unversorgte Kinder aus der Unterschicht hatten, wenn sie keine Arbeit im Gewerbe fanden, keine Perspektive. Auch die nicht erbberechtigen Kinder der Kleinbauern aus der Mittelschicht wurden teilweise zu mittellosen Landarbeitern in der Unterschicht. Sie und die bereits vorhandenen Arbeitslosen verließen dann der Not gehorchend, wegen der grassierenden Arbeitslosigkeit Ostpreußen. Zwischen 1871 und 1933 verlor die Provinz zwei Drittel ihres Zuwachses an Wohnbevölkerung insgesamt 920.000 Menschen durch Abwanderung. Zur Unterschicht siehe auch 5.2 Landarbeiter nach der Bauernbefreiung,
Um 1900 gab es in Ostpreuße, historisch durch die voraufgehende Gutsherrschaft bedingt, ein insgesamt noch starres Gesellschaftsgefüge und es gab in diesem Gefüge für den größeren Teil der Bevölkerung mehr Abstiegs- als Aufstiegschancen - was zur Abwanderung aus Ostpreußen führte. Staatlich geförderte Ansiedlungsprogramme auf Domänen- oder Gutsland, um die fehlenden Landarbeiter sesshaft zu machen hatten keinen Erfolg, da die Güter zur Erntezeit lieber auf "billige" Landarbeiter aus Polen zurückgriffen.
Quelle: Wolfgang Köllmann, Bevölkerungsgeschichte
Gruppenbezeichnungen der Bauern und Landarbeiter
Die folgenden Gruppenbezeichnungen der Bauern und Landarbeiter wurden auch in Ostpreußen regional, zeitlich und sachlich unterschiedlich gebraucht und überschnitten sich auch teilweise. Es wird den Bezeichnungen von Max Weber gefolgt.
Quelle:
Max Weber: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklenburg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen Duncker & Humblot, Leipzig 1892 (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, LV. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland; Bd. 3)
Vor der Bauernbefreiung gab es im System der Gutsherrschaft folgende Bauerngruppen. Die Scharwerksbauern waren mit ca. 80 % etwa 700.000 Menschen in Ostpreußen vor der Bauernbefreiung die größte Gruppen, sie warten zugleich neben den Unfreien auch die ärmste Bevölkerung.
Besitzer- und Bauer- Gruppen vor der Bauernbefreiung
· Kirchen- und Kloster- Güter · Rittergüter · Privatgüter · Kölmer und Freie Bauern · Schatull-Bauer und erbfreie Bauer · Koloniebauern · Scharwerksbauern auch Gutsbauern, Domänenbauern oder Amtsbauern · Eigenkätner, Losmann, Kossäthen |
siehe auch : 4.2 Gruppen der Landbevölkerung vor der "Bauernbefreiung"
Die Bauernbefreiung 1799 veränderte das Rechtssystem der Gutsherrschaft und damit das soziale System der Gesellschaft in Ostpreußen grundlegend. In Preußen wurde 1799 die Leibeigenschaft der Domänenbauern im Rahmen der preußischen Agrarverfassung aufgehoben. Erst 1807 wurden im Rahmen der Preußischen Reformen unter vom Stein und Hardenberg der bäuerlichen Besitzrecht verbessert. Teilweise wurden sie Besitzer, teilweise konnten sie aber die geforderten Ablösungen nicht zahlen und mußten dafür ihr Land an ihre ehemaligen Herrschaftsgüter abgeben.
Nach der Bauernbefreiung entstand zugleich die zahlenmäßig größte Gruppe, die der verarmten Landarbeiter. Hans-Ulrich Wehler schätzt das um 1850 etwa 52 % der Gesamtbevölkerung von etwa 900.000 in Ostpreußen zu den Landarbeitern gezählt werden können.
Landarbeiter- Gruppen nach der Bauernbefreiung .
· Gesinde · Deputanten, Gärtner · Insten · Tagelöhner · Wanderarbeiter · Heimatlose |
siehe auch: 5.2 Landarbeiter nach der Bauernbefreiung
Nach der Bauernbefreiung gab es in der Landwirtschaft in Ostpreußen ab 1811 neben den Landarbeitern folgende Eigentümer- bzw. Besitzer-Gruppe, von denen aber nur ein kleinerer Teil wohlhabend war. Den zahlenmäßig größten Teil an Köpfen mit etwa 300.000 machten die Klein- und Mittelbauern aus. Der größte Teil mit 70 % der landwirtschaftlicher Fläche gehörte aber zu den Großbauern und Gütern.
Besitzer- Gruppen nach der Bauernbefreiung
· Rittergutsbesitzer/Pächter · Domänenbesitzer/Pächter · Gutsbesitzer/Pächter · Gutsverwalter mit eigenem Land · Besitzer/Pächter (Klein-, Mittel- u. Großbauer) |
siehe auch: 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
Innerhalb und zwischen diese verschiedenen Gruppen gab es im Zeitverlauf allerdings sehr unterschiedliche Entwicklungen.
Gruppen der Landbevölkerung vor der "Bauernbefreiung"
Es gab verschiedene Möglichkeiten die Landbevölkerung in Ostpreußen in Gruppen eizuteilen.
So gibt es historische Aufzeichnungen, so z. B. die „Kategorien (Gattungen) von Bauern (Einsassen) in Preußisch-Litauen im 18. Jahrhundert nach: Actenstück der Gumbinner Regierung: „Nachricht von allen Gattungen der Einsassen des lithauischen Departements und wo rinnen eine Art von der anderen unterschieden ist.“ 1760, Generalia Nr.375, Vol. I. Quelle: Beheim Schwarzbach: Friedrich Wilhelm's I. Colonisationswerk in Lithauen, vornehmlich die Salzburger Colonie. Hartung, Königsberg 1879, 65ff.
„ 1) Köllmer sind diejenigen Landinsassen, die ihre Privilegien und Verschreibungen über gewisse Ländereihen teils vom Orden, seit anno 1230, teils vom Markgrafen seit1525 und dessen Nachfolgern erhalten; sie zahlen die Contribution an die Kriegskasses sind aber übrigens mit keinen Diensten oder Scharwerk oneriert.
2) Chatoullkölmer, Freyen, Erb Frey Bauern, sind Leute, deren Vorfahren sich in den ausgehauenen Waldungen, Ländereien urbargemacht und darüber von der hohen Landesherrschaft Privilegia erhalten; der Zins von diesem aus getanen Lande ist vordem durch die Oberforstmeister zur herrschaftlichen Chatoulle verrechnet, bei der General Verpachtung in anno 1724 und 1725 aber zu den Domänen Ämtern geschlagen und mit in der Prästat.-Tabelle aufgeführt; diese Leute prästiren weiter keine Dienste als bei Kirchen und Schulen.
3) Chatouller oder Chatoull Bauer hat sich gleichfalls in den ausgehauenen Waldungen etabliert und solche urbar gemacht. Ihr Zins ist wie beiden Chatoullköllmern zur königlichen Chatoulle geflossen, jedoch haben sie ihre Verschreibungen nur von den Oberforstmeistern ausgefertigt erhalten. Diese Chatouller müssen für jede Person über 12 Jahr 30 Gr. Kopfschoss, welcher unter die unbeständigen Gefälle zum Ertrage gekommen, außer ihren fixierten Hubenzins jährlich an das Amt bezahlen und sind dabei einige Burgfuhren zu präsentieren schuldig.
4) Assecuranten sind diejenigen, welche sich auf dem in den Bauerndörfern aus gemittelten Uebermass und auf anderen Wüsteneien gegen einige Freijahre ex propriis etabliret und darüber assecurationes oder Erbverschreibungen zu freien Rechten erhalten. Außer ihren an das Amt, gemäss der Prästations-Tabelle, zu bezahlenden Zinsens sind selbige mit keinem Dienste weiterbehaftet.
5) Coloniebauern sind diejenigen Colonisten (also nicht alle!),welche die in der Pest wüst gewordenen Bauernerben angenommen, und bestehen meistenteils aus Schweizern, Salzburgern und Nassauern; sie sind vom ordinären Scharwerk beim Amt befreit und nur zu einigen Burgdiensten und Postfuhren verpflichtet, zahlen auch den Zins nach der Prästations-Tabelle an das Amt.
6) Hochzinser sind Leute, die sich theils auf den abgebauten königlichen Vorwerken etablieret, teils wegen Befreiung vom Scharwerk einen hohen Zins pro Hube zu zahlen übernommen, und finden sich solche vorzüglich in der Niederung Tilsitschen Districtes. Diese haben wegen des Landes und zu bezahlender Zinsen Contracte und Verschreibungen, welche dreißig Jahre dauern, und wenn solche expiiret, so sind sie als dann verbunden, einen doppelten Zins zu bezahlen, nach welchem dann ein neuer Contract wieder auf 30 Jahre mit ihnen errichtet wird; sie sind vom ordinären Scharwerk frei und nur zu einigen Burg und Postfuhren, gleich den Coloniebauern verpflichtet. Der Zins, so selbige bezahlen ist in den Prästationstabellen aufgeführt, wohingegen
7) die Amts- oder Scharwerkbauern den ordinären Scharwerk bei den Amts-Vorwerken gegen das gewöhnliche Scharwerksgeld prästiren und den Hubenzins wie gewöhnlich dem Amt entrichten.
8) Eigenkäther haben sich mit Genehmigung der Kammer und des Amtes auf dem Dorfanger oder sonst auf königlichem Grund und Boden kleine Wohnhäuser erbaut und zu ihrer Subsistenz auch noch eine Gartenstelle erhalten, wofür sie jährlich 45/60 Gr. bis 1 Thlr. außer dem Kopf- und Hornschoss bezahlen müssen.
9) Die Gärtner stehen bei den Cöllmern und Vorwerken gegen gewissen Lohn und Deputatsstücke in Dienst und sind von dem gewöhnlichen Kopf- und Hornschoss befreiet.
10) Instleute oder Lossgänger wohnen auf königlichen Vorwerken oder bei Cöllmern und Bauern; sie bekommen keinen fixirten Lohn und Deputat, sondern erhalten, wenn sie bei diesen arbeiten, ein gewisses Tagelohn, wogegen sie die Wohnungsmiete an ihren Wirth entrichten. Diejenigen, so bei den Bauernwohnen, zahlen den gewöhnlichen Kopf- und Hornschoss an das Amt“.(...)"
Quelle: Gerhard Bauer: Quellen zur Alltagsgeschichte in Preußisch- Litauen (18.-20. Jahrhundert), Annaberger Annalen Nr. 15, 2007
Das folgende Ornigramm - als weitere Möglichkeit der Gruppeneinteilung - zeigt die Verteilung und Qualität des Grundbesitzes im 18. Jahrhundert im Königreich Preußen: (Zeitemphyteuten waren Mennnoniten-Höfe Westpreußen, Regierungsbezirk Marienwerder, Landzählung der Zeitemphyteuten, 1824 – Mennonitica (mennonitegenealogy.com))
Die bäuerliche Bevölkerung in Preußisch-Litauen lässt sich im Rahmen der „Bauernbefreiung“ in Preußen (1799-1850) nach Erwin Spehr grob in vier Gruppen einteilen.
Quelle: Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (ge-nealogy.net)
Auf vier dieser (Voll) Bauern-Gruppen soll näher eingegangen werden:
Alle kölmischen Güter, die bereits vor 1612 im Besitz adliger Familien gewesen waren, erklärte der Kurfürst Friedrich Wilhelm am 16. Juli 1663 zu Rittergütern. Einigen kölmischen Gütern wurde auch die Gerichtsbarkeit, Jagd-, Fischerei-, Krug- und Mühlengerechtigkeit verliehen. Ein aus mehreren kleinen kölmischen Freigütern bestehende Ortschaft wurde als kölmisches Dorf bezeichnet. Nach der Kabinettsordre vom 10. September 1807 erhielten diese Güter zudem das Recht, das landschaftlichen Kreditsystem zu nutzen und zu allen künftigen Landtagen zugelassen zu werden. „Die Kölmer und Freie (bis 1811 etwa 22 % im Kirchspiel Aulowöhnen), standen in der sozialen Rangordnung der Landbewohner an der Spitze. Sie besaßen großen Grundstücke als freies Eigentum zu besonderen (kulmischen) Rechten, die sie meist schon während der Ordens- und Herzogenzeit erhalten hatten. Sie stellten normalerweise den Dorfschulzen und waren gleichzeitig Krüger in den Dörfern, die nach 1570 in der Wildnis angelegt wurden. Diese befanden sich hauptsächlich auf schon bestehenden alten Siedlungsplätzen. Diese privaten Grundbesitzer hatten außer der geringen Grundsteuer, dem königlichen Domänenamt gegenüber keinen weiteren Verpflichtungen. Um 1800 kamen auf 1000 ha Ackerland ca. 70 - 80 landwirtschaftliche Arbeitskräfte, abhängig von den Produkten.
Bei den Bauernhöfen der untertänigen (Guts) Bauern, konnte man nach dem "Wiederaufbau" drei Klassen unterscheiden. Sie waren in Teilen aber nur bis zum Ende der Bauernbefreiung 1850 von Bedeutung, in Einzelfällen wie der Ablösungskassen sogar bis 1918.
Quelle: Kölmer – Wikipedia
Die erste Klasse: (im Kirchspiel Aulowöhnen 23 %), waren die Schatull- und Erbfrei-Bauern , sie hatten ihren Boden gekauft und waren Binnensiedler. Es gab Schatullgüter und Schatulldörfer. Schatullgrundstücke entstanden durch Rodungen und Kultivierung von Wald und Ödland. Die Höfe wurde von der Domänenverwaltung in Form von Straßendörfern organisiert. Straßendörfer unterscheiden sich von den anderen Dorfformen dadurch, dass sie unplanmäßig angelegt wurden. Ein großer Teil der Straßendörfer entstand im Zusammenhang mit der mittelalterlichen Dreifelderwirtschaft, bei der jeder Bauer Streifen verschiedener Felder bewirtschaftete und sich die Lage dieser Feldstreifen auch immer wieder änderte. Im Zuge der Einführung der Dreifelderwirtschaft wurde die Feldflur einer Siedlung in schmale, streifenförmige Ackerstücke unterteilt, die im Flurzwang bewirtschaftet wurden, d. h. die Arbeiten auf allen Ackerstücken eines Dorfes wurden immer gleichzeitig ausgeführt. Typisch für Dreifelderwirtschaft ist, dass die Länge ihrer Felder mindestens das Zehnfache der Breite beträgt. Diese langgestreckte Form ist auf die Schwierigkeit des Wendens mit Pfluggespannen zurückzuführen. Schmalgestreckte Parzellen machten nur wenige Wenden notwendig. Die Gemarkung solcher Dörfer gliederte sich in Dorfkern, Ackerflur und Allmende. Schatullkölmer oder Schatullbauern blieben scharwerksfrei und waren außer ihrem Grundzins nur gelegentlich zum Forstdienst verpflichtet waren. Neben Grundzins und Personensteuer hatten sie meist keine weiteren Abgaben zu entrichten. Die Zinserträge wurden nicht an die lokalen Ämtersondern direkt in die Schatulle des Königs abführte.
Diese Bauernstellen waren aber vermögenden Siedlern vorbehalten, da der Boden gekauft werden musste. Bewährte sich der Siedler, so erhielt er nach einigen Jahren seine „Berahmung“ – eine gerahmte Besitzerurkunde. Viele der Haufendörfer im Kirchspiel Aulowöhnen sind, wie Willschicken, auf diese Weise etwa von 1700 bis 1816 entstanden.
Quelle: Schatulle (Grundbesitz) – Wikipedia
Die zweite Klasse waren Koloniebauern (ca. 8 % im Kirchspiel Aulowöhnen). Der preußische König Friedrich II. legte mit Edikten und Dekreten zur Bevölkerungsmehrung eine Grundlage für seine Friderizianische Kolonisation, die Schaffung von rund 900 Kolonien in der gesamten preußischen Monarchie. Der König rief rund 60.000 Siedlerfamilien in sein Land. Großenteils ging es um die Urbarmachung großer, unbewohnter oder wenig bewohnter Landstriche, etwa um Moorkolonisation. Etwa 20.000 Koloniebauern kamen nach Ostpreußen. Größere Siedlergruppen wie Salzburger (1732 etwa 16.000 Zuwandere), Hugenotten, Mennoniten, Schweizer Schotten, Pfälzer und Hessen hatten den Koloniestatus erhandelt. Die Dörfer der Koloniebauern wurden von der Domänenverwaltung als Straßendörfer geplant. Auch sie erhielten wie Scharwerksbauern Land und Hof vom König kostenlos und hatten deshalb vielerlei Pflichten, jedoch vom Scharwerksdienst selbst waren sie befreit. Der spätere Regierungsbezirk Gumbinnen war ein bevorzugtes Siedlungsgebiet der Koloniebauern, ca. 55 % siedelten hier.
Quelle: Protestantenvertreibung – Salzburgwiki (sn.at)
Die dritte Klasse: Die große Masse der Scharwerksbauern auch Domänenbauern oder Amtsbauern (ca. 45 % im Kirchspiel Aulowöhnen) aber war arm. Trotz hoher Kindersterblichkeit wuchsen durchschnittlich 6 Kinder zu billigen Arbeitskräften auf. Durch den „Wiederaufbau“ entstanden viele Sielungen neu oder es wurden verfallene Höfe besiedelt. Bis 1782 entstanden in den 28 Gemeinden des Kirchspiels Aulowönen etwa 50 (neue) Dörfer. Die Bauern waren erbuntertänig (Lasswirtschaft), d.h. sie unterlagen der Schollenpflicht (das Gut und der Hof konnte nicht eigenständig verlassen werden), sowie den Frondiensten und dem Gesindezwang.
Ein Scharwerker konnte nur nach Genehmigung durch den Gutsherrn seinen Hof mit den Pflichten und Rechten regulär vererben oder mit Genehmigung des Amtes gegen eine Abstandszahlung an einen anderen übergeben. Die Scharwerker waren nicht Eigentümer ihres Landes, sondern nur Besitzer - ein Besitzer mit "besseren" Rechten. Neben dem Besitzer-Status konnte der Scharwerksbauer das Land auch pachten - ein Pächter mit "schlechteren" Rechten.
Die Scharwerksbauern hatten bei der Neuansiedlung Ackerland, Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Arbeitstiere, Nutzvieh, Hofgeräte und Saatgut vom Grundherrn kostenlos erhalten, d.h. durch das Domänenamt vom König – das ihnen gegenüber jedoch auch noch weiteren Verpflichtungen wie z. B. bei Alter, Krankheit und in der Bestattungsfürsorge mit Einträgen in den Kirchenbüchern bei Geburt, Heirat und Tod. Ein Scharwerksbauer mit besseren oder schlechteren Rechten konnte jederzeit bedingungslos gekündigt werden - besonders wenn er seine Steuern nicht rechtzeitig zahlten.
Die Scharwerker hatten neben der Zahlung des Grundzinses dem Amt gegenüber einer Vielzahl von eigenen Verpflichtungen. Die wichtigste war der Frondienst, d.h. die Mitbewirtschaftung der staatlichen Domänen mit den eigenen Arbeitstieren und Geräten, denn die staatlichen Güter hatten keine eigenen Landarbeiter. Die Beanspruchung lag im Mittel um 1800 bei 80 - 85 Tage pro Jahr. Um 1720 waren es noch 200 -240 Tage. Allerding standen im 17. Jahrhundert den Scharwerken auch kaum schon Pferdefuhrwerke zur Verfügung. Jeder Scharwerker musste durch den Gesindezwang für die Hausarbeit auf den Gütern eine Teilnahme durch Angehörige oder Nachbaren stellen (Frauen und Kinder, ab 14 Jahre), die auch untereinander gegen Geld ver- und geliehen werden konnten. Obwohl ab dem 9. März 1839 in Preußen die Kinderarbeit unter 14 Jahre verboten war, war sie bei den Landarbeitern aus purer Existenzsorge immer noch verbreitet und von den Gütern teilweise auch geduldet.
Folgende Scharwerkts-Arbeiten wurden Hauptamt Tilsit 1722 dokumentiert
- 1. Pflügen und Eggen
- 2. Ausmisten, Mistfahren, Miststreuen
- 3. alle Erntearbeiten
- 4. Waschen und Scheren der Schafe
- 5. Schafhortenfuhren
- 6. Brot- und Malzgetreidefuhren zur Mühle
- 7. Zwei Getreidefuhren nach Königsberg zu üblicher Bezahlung
- 8. Jährlich ½ Fischfuhre
- 9. Wollfuhren
- 10. Fahren von Bier und Branntwein aus der Brennerei in die Krüge
- 11. Deputatholzfuhren gegen übliche Bezahlung
- 12. Deputatholzfuhren für Kirchen- und Schulbediente
- 13. Salzfuhren, wenn angefordert
- 14. Vorspann-, Kriegs- und Marschfuhren
- 15. Fouragelieferungen gegen Vergütung des gelieferten Getreides zu üblichen Preisen
- 16. Burgdienste bei Amts- und Vorwerksgebäuden
- 17. Alle Mühlendienste
- 18. Alle Forst- und Jagddienste
- 19. Dienste zur Verbesserung der Ströme und Dämme
- 20. Hand- und Spanndienste bei Kirchen- und Schulbauten
- 21. Reparatur der Vorwerkszäune
- 22. Reparaturen an Vorwerksinsthäusern
- 23. Holen und Wegbringen der Justizbeamten
- 24. Fortbringen der herrschaftlichen Briefe
- 25. Botengänge nach Willkür der Herrschaft
- 26. Beiträge für Festungsbauten, sowohl an Menschen als auch an Geld
- 27. Leistung aller Dorfverbindlichkeiten
- 28. Besserung der Wege und Brücken
- 29. Weidenpflanzungen in Dörfern und an Straßen
Quelle: Hauptamt Tilsit – GenWiki (genealogy.net)
Insgesamt flossen so bis zu 40 % der bäuerlichen Bruttoproduktion dem Domänenamt zu.
Zu diesen drückenden Diensten oder Abgaben müssen noch die versteckten Leistungen hinzugerechnet werden. Herrschaftliche Monopolansprüche erstreckten sich z. B. auf die Kalkbrennerei oder die Ziegelerstellung. Der Mühlenbann gebot, alles Getreide beim Herrn mahlen zu lassen. Das Bier- und Brandweinmonopol verschaffte ihm ein lukratives Geschäft, das bereits ein Drittel der Gutserträge ausmachen konnte. Nicht selten ab es eine Backzwang und Vorverkaufsrechte, wenn bäuerliche Produkte zum Verkauf kamen.
Zu der von allen abhängigen Bauern geforderter Grundzins bis zu 40 % der Bruttoerträge kam noch in Kriegszeiten die Kontribution in Ostpreußen in Höhe von 3 - 7 Taler je Hufe hinzu.
„ Kein Wunder, dass sich rund 80 % aller Bauern nur auf einem kärglichen Lebensniveau, ein wenig ober- oder auch unterhalb des Existenzminimums, das ohnehin niedrig nach zeitgenössischen Maßstäben angesetzt wird, behaupten konnten“ (Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 1)
VON DER PERSÖNLICHEN RECHTSSTELLUNG
Diese Dimension beschreibt die Bauernbefreiung und die Folgen in Preußen von 1807 - 1850.
Bauernbefreiung
Als Preußische Reformen oder Stein-Hardenbergsche Reformen werden die in den Jahren 1807–1815 eingeleiteten Reformen bezeichnet, die die Grundlage für den Wandel Preußens vom absolutistischen Stände- und Agrarstaat zum aufgeklärten National- und Industriestaat schufen. Der Zusammenbruch Preußens 1806/1807 nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt sowie dem Frieden von Tilsit zwang König Friedrich Wilhelm III. zu Reformen, die seine Minister Karl Freiherr vom Stein und Karl August von Hardenberg als „Revolution von oben“ einleiteten. Die erste Säule der Erneuerungen bildeten die Befreiung der Bauern, die Gleichstellung der Bürger, die Selbstverwaltung der Städte durch gewählte Volksvertreter, die Neuordnung der Staatsverwaltung durch verantwortliche Fachminister, die Einführung der Gewerbefreiheit und die Gleichberechtigung der Juden. Quelle: Preußische Reformen – Wikipedia
Das Lebensniveau der ländlichen Arbeitskräfte war in Ostpreuße über lange Zeiträume wirtschaftlich bedrückend. Die "Bauernbefreiung" bezeichnet die in Deutschland mehr als hundert Jahre dauernde Ablösung der persönlichen Verpflichtungen der Bauern gegenüber ihren Grund- und Gutsherren vorwiegend im 18. und 19. Jahrhundert. Der Begriff wurde 1887 vom Straßburger Volkswirt Georg Friedrich Knapp eingeführt. (Quelle: Georg Friedrich Knapp: Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens). Andere Autoren sprechen von der Bauernverfolgung.
Einer der führenden Vertreter des preußischen Adels, General Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777–1837), kritisierte das Edikt, da es dem zweiten Stand (Adel) die Machtstellung sowie die Vorrechte nahm und die (als von Gott gegeben betrachtete) feudale Ständeordnung mit dem Adel an der Spitze aufhob. Zudem wurde der Adel ökonomisch sehr geschwächt und musste oftmals in der Stadt ein Gewerbe betreiben, um sich seine Existenz zu sichern, weil sich überwiegend die Bürger nunmehr als Gutsbesitzer versuchten. Er verurteilte die neu erschaffene „Menschenklasse“ namens Landbewohner in seiner Kritik Steins und seines Edikts von 1807. Weiter wies er auf die nun unsichere Lage der Bauern hin, welche lediglich Grundherren gegen Gläubiger tauschten, da sie selbst kein Land besäßen, jedoch nicht mehr auf die bisherige Fürsorge der Grundherren bauen könnten
Quelle: Oktoberedikt – Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Kornernte
Die gesamte Bauernbefreiung lässt sich nach Max Weber zeitlich drei Phasen einteilen: 1799 - 1821, 1821-1850, 1850-1913, die sich inhaltlich durch 5 Schritte beschreiben lassen.
- Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit der Domänenbauern, d.h. der Schollenpflicht, sowie den Frondiensten und dem Gesindezwang.(9.10.1807)
- Die Verleihung - die Regulierung - des Eigentums an Boden, Gebäuden und Inventar an die Domänenbauern gegen Land- oder Geldleistungen(14.9.1811)
- Einschränkung der Verleihung und amtliche Festlegung der Gutswerte von Boden, Gebäuden, Inventar und Diensten (29. Mai 1816)
- Die Auflösung der Allmenden und die Beseitigung der Gemengelage ("Separation") für Güter und Bauern. Bei der Zuteilung wird nach Eigenkätner oder Losmann unterschieden (Die Gemeinheitsteilungsordnung vom 7.6.1821 kam in Ostpreußen erst 1845 zur Anwendung).
- Die Aufhebung der ständischen Patrimonialgerichtsbarkeit und der Polizeigewalt. Rückkehr in "alte Zeiten" (2.3.1850)
Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit der Domänenbauern, d.h. der Schollenpflicht, sowie den Frondiensten und dem Gesindezwang
Die erste Phase der Bauernbefreiung reichte von 1799 bis 1821 und beinhaltet die Schritte 1 -3.
- In Preußen wurde ab 1799 die Leibeigenschaft der Domänenbauern im Rahmen der preußischen Agrarverfassung aufgehoben
- das Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807 hob die Erbuntertänigkeit der Domänenbauern "Über den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Gebrauchs- und Grundeigentums sowie über die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner " auf. Das es nur allgemein gehalten war erarbeitet Albert Thaer bis 1811 die Ausführungsbestimmungen, in Form des Regulierungsediktes, da der Besitzer einer erbuntertänigen Bauernstelle zwar persönlich frei wurde, die auf seiner Stelle lastende Verpflichtung dem Gutsherren gegenüber aber weiterhin erfüllen musste.
Die Verleihung - die Regulierung - des Eigentums an Boden, Gebäuden und Inventar an die Domänenbauern gegen Land- oder Geldleistungen
Das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 sollte den Domänenbauern das Eigentum an den von ihnen bewirtschafteten Höfen übertragen werden. Zuvor war Ackerland, Wohnhaus, Wirtschaftsgebäude, Arbeitstiere, Nutzvieh, Hofgeräte und Saatgut das Grundherrn kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, in Geldbeträgen zu bewerte
Die Regulierung von 1811 sah vor, dass der untertänige Bauer (Schatuller) für die Ablösung seiner Verpflichtungen ein Drittel seines Landes an den Gutsherrn abgab und dafür freier Eigentümer auf den restlichen zwei Dritteln wurde. Der Gutsherr musste z. B. sich künftig seine Gespanne und Lohnarbeiter selber halten und brauchte auch nicht mehr dem Bauern beim Bauen, bei einer Krankheit oder im Alter zu helfen. Wenn der Bauer (Schatuller) nicht Eigentümer, sondern Pächter gewesen war, so musste er die Hälfte seines Landes abgeben, um auf der anderen Hälfte Eigentümer zu werden. Die Landabgabe war auch (theoretisch) durch eine verzinsliche und lange laufend zu tilgende Grundrente zu ersetzen.
Die Bauern konnten sich nur auf Antrag von bisheriger Abgabe und Frondiensten durch eine Zahlung an die "neuen" Gutsherrn (die früheren königlichen Domänen-Ämter) freikaufen. Dazu konnte der Gutsherr eine höhere als die regional gültige Normalentschädigung fordern, d.h. er durfte die Landabtretung oder den Marktpreis für die in eine jährlich zu zahlende Rentenschuld verwandelten Dienste oder Abgaben aus der Stellung des Stärkeren heraus aushandeln.
Dies geschah im Rahmen der neuen General-Kommissionen zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse, die in Zusammenarbeit mit den regionalen Regulierungskommission die Eigentumsverleihung (Regulation und Ablösung) vornahm (abgeschlossen um 1855). Da alle Bauern vom Kreditsystem der ritterlichen Landschaften bis 1850 ausgeschlossen waren, blieb den Spannfähigen in der Regel nur die Landabtretung - ihnen blieb häufig nur unterwertiges Land übrig.
Einschränkung der Verleihung des Eigentums an Boden, Gebäuden und Inventar an die Domänenbauern und amtliche Festlegung der Gutswerte von Boden, Gebäuden, Inventar und Diensten
Die Deklaration zum Regulierungsedikt (1816) grenzte die Zahl der möglichen Antragssteller deutlich ein. Sie regelte die Entschädigungen für die Gutsbesitzer - mit einem Drittel des Bodens, einem Drittel des Grundwertes in Barzahlung oder einem Drittel des jährlichen Gesamtertrages zu Lasten der Besitzer oder die Hälfte-Regel zu Lasten der Pächter. Besonders die Landüberlassung führte zu deutlichen Verschlechterungen der untertänigen Bauern, da Barzahlungen für die Bauern kaum möglich waren. Diese Regeln galt aber nur für die Minderheit nämlich die spannfähigen Bauern - geschätzte 20 % und nicht für die Mehrzahl der nicht spannfähigen Kleinbauern, deren Rechtsverhältnis bis 1850 unverändert blieben. Die Zahl der spannfähigen Bauern wurde aber nochmals eingeschränkt, nämlich auf die Bauern, die vor 1752 katastrierten Besitz aufwiesen, d.h. schon auf einer eigenen Stelle registriert waren. "Überdies unterlag die Regulierung nur solchen spannfähigen Stellen, für welche die Gutsherrschaft unter Besetzungszwang stand". Knapp schätzt die Zahl der Bauerstellen, die nicht besetzt waren auf 10%. Dieses Land konnte der Gutsbesitzer selbst einbeziehen. „Kein Zweifel, dass das „Reaktionsedikt“ von1816 die Position des Landadels nachhaltig verbesserte“ (Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte Band 1) Folgende Punkte wurde in der Diskussion über die Folgen der Auflösung immer wieder angesprochen.
- Durch das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 sollte den Amtsbauern das Eigentum an den von ihnen bewirtschafteten Höfen übertragen werden. Die Amtsbauern, hatten als "Entschädigung" mit einem guten, erblichen Besitzrecht bis ein Drittel ihres Bodens, die mit einem nicht erblichen Besitzrecht bis zur Hälfte ihres Landes an den Gutsherrn abzutreten. Aber die nicht mehr geleisteten Dienste, das Inventar, das Vieh und die Gebäude stellte der Grundherr ab 1816 ihnen in Rechnung oder fordern zusätzliche Landabtretungen. Die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion übernahm die finanzielle Organisation. Die Regulierungskommission übernahm die räumliche Organisation.
- Die gesamte finanzielle Belastung der Scharwerksbauern war jetzt jährlich etwa zwei bis dreimal so hoch war wie vorher. Sie waren häufig nicht mehr in der Lage diese Zahlungen zu leisten, trotz der gesetzlichen Möglichkeit von 24-51-jähriger Rückzahlungsraten, je nach Zinssatz, so dass die Grundstücke vielfach an den Gutsherrn zurückfielen oder gepfändet wurden und von Ortsfremden wie vermögenden Landadligen und wohlhabende Stadtbürgern erworben wurden - häufig auch zur Spekulation.
- Der dritte Abschnitt des Gesetzes regelte abschließend die Bedingungen für die Eigentumsübertragung der Bauernstellen, die bisher nicht als regulierungsfähig galten. Hierbei handelte es sich um die Bauernstellen, die nur zu Handdiensten verpflichtet oder nicht als Bauernstellen katastriert worden waren. Von der Regulierung ausgenommen wurden die Grundstücke, auf denen die Gebäude der Wirtschaftsbeamten, Dienstboten oder Tagelöhner standen. Das Recht der Eigentumsübertragung konnte nur von Grundeigentümern, nicht aber von Pächtern wahrgenommen werden. Hatte eine den Ablösungsgesetzen unterliegende Bauernstelle zum Zeitpunkt des Erlasses keinen Besitzer, verblieb das Eigentum an diesem Grundstück bei der Gutsherrschaft.
- Neben dem Eigentumsübergang war jetzt auch die Ablösung der Reallasten möglich. Die Reallast war das Recht des Gutsherrn als jeweiligen Eigentümers einer bestimmten Fläche, die auf diesem Grundstück liegenden Leistungen von seinem bäuerlichen Nutzer dauerhaft zu verlangen. Das größte Problem bei der Ablösung der von den Bauern geleisteten Reallasten für die Gutsherrn war aber die Ermittlung der bäuerliche geleisteten Dienste, Leistungen und Abgaben durch Geldbeträge. Dazu worden von den Behörden genaue Vorgaben erstellt. Veröffentlicht wurden diese von der Kommission ermittelten Normalmarktpreise für Dienste, Abgaben und Leistungen aller Kreise des Regierungsbezirkes Königsberg: Darin heißt es: „Nachdem in Gemäßheit der §§. 67-72. des Ablösungsgesetzes vom 2ten März c. die Feststellung der bei der Ablösung von Reallasten und bei gutsherrlich bäuerlichen Regulirungen zu beachtenden Normal-Preise und Normal-Markt-Orte, durch die von den Verpflichteten und Berechtigten erwählten Distrikts-Commissionen in sämmtlichen Kreisen des Regierungs-Bezirks erfolgt ist, werden die Resultate der von den Distrikts-Commissionen gefaßten, von dem Königl. Spruch-Kollegium für die landwirthschaftlichen Angelegenheiten des Regierungs-Bezirks Königsberg bestätigten Beschlüsse hiedurch zur Kenntniß gebracht“ (Amts-Blatt der Königl. Preuß. Regierung zu Königsberg 1850: 11) Die folgenden Tabellen zeigt die ermittelten Geldbeträge. Veröffentlicht wurden die von der Kommission ermittelten Normalmarktpreise für Dienste, Leistungen und Abgaben aller 19 Kreise des Regierungsbezirkes Königsberg. Lediglich der Name "II. Kreis Fischhausen" wurde je nach Kreis in den Tabellen angepasst. Für die Regierungsbezirke Gumbinnen und Allenstein gab es ein entsprechendes Vorgehen.
Quelle: Der Wandel der sozialen Beziehungen zwischen Gutsherren, Instleuten, Bauern und unterbäuerlichen Schichten im Samland nach der „Bauernbefreiung“ Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. phil.) des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück vorgelegt von Martina Elisabeth Mettner aus Bremen
- Die Abtretungen der Domänenbauern über Ein-Drittel oder die Hälfte ihres Landes konnten jetzt auch in Barleistungen umgewandelt werden. Dass die überwiegende Mehrheit der Bauernschaft diese Summen ad hoc nicht aufzubringen imstande war, war vorherzusehen. Deshalb trat zeitgleich mit dem „Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse“, dass „Gesetz über die Errichtung von Rentenbanken“ am 02. März 1850 in Kraft. In dem Paragraph 2 wird bestimmt, dass die „Ablösung durch die Rentenbanken erfolgt, sobald die Reallasten in feste Geldrenten verwandelt worden sind, dadurch, dass die Bank den Berechtigten gegen Überlassung der Geldrente für das zu deren Ablösung erforderliche Kapital durch zinstragende, allmählich zu amortisierende Schuldverschreibungen (Rentenbriefe) abfindet, die Rente aber alsdann von dem Verpflichteten so lange fortbezieht, als dies zur Zahlung der Zinsen und zur allmählichen Amortisation der Rentenbriefe erforderlich ist. Sobald diese Amortisation vollendet ist, hört die Verbindlichkeit des Belasteten zur Entrichtung der Rente ganz auf“. Mit diesem Erlass war die Gesetzgebung zur Ablösung der Dienste, Leistungen und Abgaben abgeschlossen. Quelle: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV008342802/ft/bsb10553130?page=3
- Die jeweiligen Zahlungsverpflichteten und Zahlungsberechtigten mussten sich bei der Auseinandersetzung über die Art der Zahlung einigen, welche Einmalauszahlung oder als monatliche Rentenzahlung möglich war. Diese Barleitungen betrug das 25-fache des Jahresertrag in Form einer von 5 oder 7 % zu verzinsender Grundrente. Die Amortisationszahlungen dauerten im Extremfall bis zum 1.Weltkrieg und wurden durch die Rentenbank die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion ab dem 2. März 1850 vorfinanziert. Es fanden hier 25 152 rechtliche Auseinandersetzungen betreff der Ablösungen in Rentenform statt. Die meisten Anträge gingen zwischen 1852 und 1854 ein. Die letzten Renten an die Grundeigentümer liefen 1913 aus.
- Die Ablösung und Regulierung des Grundbesitzes und der Reallast betraf etwa 80 % der ehemaligen Scharwerksbauern, das waren insgesamt auch 80 % der Bevölkerung der ostpreußischen Landwirtschaft. Die Mehrzahl Höfe blieben noch über den offiziellen Ablösungstermin 1850 hinaus, ihren Grundherren "informell" verpflichtet. Rechtsstreitigkeiten waren eher in der Minderzahl.
- Neben der Abschaffung der Erbuntertänigkeit und der Reallast gab es für alle Domänenbauern auch die Ablösung des Zehnt (bezeichnet eine etwa zehnprozentige traditionelle Grundsteuer in Form von Geld oder Naturalien an den Grundherrn
- Die Verbesserung der Rechte der Schatull- und Koloniebauern erfolgt stückweise bis 1850/1855, die der Nichtbauern die Eigenkäter, Losleute, Instleute und Saisonarbeiter sogar erst nach 1918.
- Die Patrimonialgerichte umfassten die niedere Gerichtsbarkeit, also vor allem Eigentums-, Familien-, Erb- und Gutsrechte, Gesindeordnung und teilweise auch niederes Strafrecht (z. B. Beleidigungen, Raufereien) Das Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 hob Patrimonialgerichte für Deutschland endgültig auf.
Quelle: Bauernbefreiung – Wikipedia
1821 war die erste Phase der Regulierung, für etwa 20 % der ehemaligen Scharwerksbauern abgeschlossen. Sie betraf die berechtigten grundherrlichen, erblichen und spannfähigen Domänenbauern mit katastriertem Besitz. Erst ab 1821 konnte diese Gruppe der ehemaligen Scharwerksbauern eine Geld-Ablösung beantragen. Die Reformen von 1799 bis 1821 betrafen nur diejenigen Bauern, die in einem gutsherrlichen Verhältnis standen. Nicht betroffen waren zunächst die mit einem besseren Besitzrecht ausgestatteten grundherrlichen Bauern. Diese Reformen galten zudem nur für das Preußen im Gebietsstand von 1807 nach dem Frieden von Tilsit.
Die Verbesserung der Rechte der Schatull- und Koloniebauern erfolgt stückweise bis 1850/1855, die der Eigenkäter, Losleute, Instleute und Saisonarbeiter sogar erst bis 1918.
Knapp kritisierte an der Bauernbefreiung die zum Teil zwangsweise Landabtretungen der Bauern an die Güter und das sich verschlechternde wirtschaftliche Schicksal der Bauern und der landlosen Schichten (der Nichtbauern) in Preußen. Quelle: Georg Friedrich Knapp: Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens
Obwohl die Reformer mit diesem Edikt hauptsächlich für mehr Freiheit für die Bauern sorgen wollten, vergrößerte sich in der Folgezeit die besitzlose ländliche Unterschicht. Letztlich profitierten der bäuerliche Mittelstand und bis zur Reichsgründung die Großgrundbesitzer und adligen Junker von der Reform, die auf diese Weise ihren Landbesitz mehren und modernisieren konnten. „Den Bauern die Freiheit uns das Land“
Aber auch nach der „Bauernbefreiung“ blieb die Lage angespannt. Der Regierungsbezirk Gumbinnen hatte die größten Bevölkerungsverluste. Selbst eine Vielzahl staatlicher Maßnahmen halfen nicht, diese langanhaltenden massive Abwanderungen aus der Landwirtschaft zu stoppen. Erst im Dritten Reich stabilisierte sich die Bevölkerung zwangsweise – begründet durch den massiven Ausbau der Armee und die Kriegswirtschaft mit entsprechenden Gesetzen und Verordnungen wie den Reichsnährstand auf etwa 2,5 Mio. Während des Dritten Reiches meldeten sich nach Schätzungen zirka 85.000 junge Ostpreußen freiwillig bei der Wehrmacht.
„Schon vor 1914 ist das Wachstum der ostpreußischen Wirtschaft hinter dem der Bevölkerung zurückgeblieben und der Überschuss an Arbeitskräften in andere Teile Deutschlands abgewandert.“
Quelle: Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen | SpringerLink
Die Auflösung der Allmenden und die Gemeinheitsteilung ("Separation") für Bauern
Die zweite Phase der Bauernbefreiung begann 1821 und reichte bis 1850. In ihre bestanden für die größte Bauerngruppe der Scharwerker die "alten Regeln" weiter. Wenn als unregulierbar eingestufte Bauernstellen nicht eingezogen wurden, erfolgte oft eine Zusammenlegung mit anderen Bauernstellen und nachfolgender Deklaration als Vorwerk. Vorwerke galten ebenfalls als nicht regulierbar. Die ehemaligen Bauernstelleninhaber wurden auf diesen Vorwerken dann in der Regel als angestellte Tagelöhner zur Arbeit eingesetzt. Generell erfolgte die Regulierung der Bauernstellen nicht automatisch, sondern musste von den Gutsherren oder den Bauern selbst beantragt werden. Wurden keine Regulierungsanträge gestellt blieben die bisherigen Verhältnisse bestehen. Daß kleine, nicht spannfähige Bauernstellen nicht der Regulierung unterlagen, war für die Gutsherren von großem Vorteil, denn auf diesen Stellen mussten statt der Spanndienste Handdienste geleistet werden und auf diese Handdienste wollten die Grundherren nicht auch noch verzichten.
Die Allmende (auch die Gemeindeflur oder das Gemeindegut) war ein Teil des Gemeindevermögens (Landfläche, Gewässer, Wald), das als gemeinschaftliches Eigentum von allen Berechtigten benutzt werden durfte. Daneben gab es auch Allmende auf Gutsland.
In den ostpreußischen Dörfern gab es auch bis zum Abschluss der "Bauernbefreiung" gemeinschaftliche Eigentum - die Almende. Die unterschiedlichen Nutzungsberechtigungen erschwerten eine intensivere Bewirtschaftung. Durch eine Ablösung des gemeinschaftlichen Eigentums wurden mit der Privatisierung des Landes erhebliche Produktivitätssteigerungen besonders bei den Großgrundbesitzern im 18. Jahrhundert erzielt.
Die Gemeinheitsteilungsordnung vom 7.6.1821 kam in Ostpreußen erst 1845 zur Anwendung. Beauftragt wurde dazu die Generalkommission. "Diese hatte nunmehr die Aufgabe neben der Regelung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse u. a. auch die Gemeinheitsteilung (Separation) durzuführen, die auch heute (1930) noch nicht ganz abgeschlossen ist und deren Folgen bei uns noch deutlich in der Auflockerung der früher geschlossenen Dorflage zu erkennen ist." Quelle: Wilhelm Obgartel, Insterburg Stadt und Land besonders nach ihrer Landschaftsgliederung und Ihrer Geschichte
Die Verteilung der Allmende Flächen der Gemeinden wurde zunächst per Antrag ausgelost. Es entstanden der Losmann, zunächst als Pächter. Es entstanden dadurch zugleich Dorferweiterungen, es gab aber auch neue Streusiedlungen und Einzelhöfe. Auf den Allmende Flächen der Gutsherren siedelten in der Regel Eigenkätner.
Bis dahin gehörte lt. Wilhelm Obgartel jedem Allmende-Bauer eine Hofstelle, im Landkreis Insterburg mit 2 - 4 Morgen Land ( 1 Morgen = 0,25 ha), welches früher der Lands- oder Gutsherrschaft rechtlich zugeordnet war. Darauf stand das Wohnhaus an der Straße, dahinter die Wirtschaftsgebäude. Ein Erdwall mit einem Graben schloss die Bauernstelle nach allen Seiten ab. Der Wall war mit Bäumen bepflanzt. Die Feldflur der Gemeinde, ehemals nur zum Nießbauch den Wirten überlassen, lag rings um das Dorf. Der Nießbrauch war in Deutschland das unveräußerliche und unvererbliche absolute Recht, ein fremdes Grundstück, eine fremde Sache, ein fremdes Recht oder ein Vermögen zu nutzen.
Bei der Gemeinheitsteilung handelte es sich um:
- Acker- und Ernteberechtigung
- Weideberechtigung auf Ackern, Wiesen, Angern und Forsten,
- Forstberechtigungen zur Mast, zum Holz- und Streuholen,
- Berechtigung zum Plagge-, Heide- und Blütenhieb,
- zur Gräserei und zur Nutzung von Schilf, Binsen oder Rohr auf Gewässern
- zum Nachrechen auf abgeernteten Feldern,
- zur Nutzung von Deputatbeeten
- zum Harzscharen
- zur Fischerei instehenden oder Privatgewässern
- zur Torfnutzung
Quelle: allmende in preußen - Bing images
1850 folgte das Gesetz zur Ablösung der Reallasten. Bei der Ablösung der Reallasten (Nutzungsberechtigungen am gemeinschaftlich genutzten Grundstück) musste der alte Grundstückseigentümer - in Ostpreußen waren das Gemeinden oder Gutsherren - als Berechtigter auf Antrag für die Ablösung entschädigen werden. Dies geschah in Form von Geld oder überwiegend durch Grundstücksanteile der neuen Siedler.
Da durch die Gemeinheitsteilungen viele kleine Splittergrundstücke entstanden und auch der sonstige Grundbesitz eines Eigentümers zerstreut liegen konnte, wurde es nötig, Wege anzulegen und Grundbesitz zusammenzulegen.
Bei diesen Verfahren wurden die von den Bauern individuell genutzten, aber stark parzellierten Flächen durch die Regulierungskommission neu verteilt, so dass größere Parzellen und ein neues Wegesystem geschaffen wurden. Hierdurch wurde die Produktivität der Betriebe gefördert, da sich Wege verkürzten, weniger Zugvieh nötig wurde und die eigenen Flächen besser in Aufsicht standen. Durch die Regulierungskommission wird auch das Gemeinschaftseigentum der Dörfer die „Allmende“ auf Antrag der Amtsbauern verteilt. Der ausgearbeitet Plan wurde den Betroffenen vorgelegt. Die Beteiligten trugen die Kosten, der Staat stellte die Beamten und gewährte Stempel und Gebührenfreiheit bei allen Umschreibungen. Zwar wurde eine "allgemeine Zustimmung" erwartet, bei Unstimmigkeiten hatte aber die Regulierungskommission das letzte Wort - aber manchmal dauerte die Regulierung bis zu 10 Jahre. Je größer das Land, desto größer der Gebietsanspruch“. Nur 14 % des Grundes der aufgelösten Allmenden wurden den Amtsbauern zugeteilt. Der Rest ging an die Gutsbesitzer.
Die Feldflur waren nach den Grundsätzen der alten Dreifelderwirtschaft in drei ziemlich gleichgroßen Flächenabschnitten zerlegt, die im jährlichen Wechsel als Winterfeld, Sommerfeld und als Brache bewirtschaftet wurden. Jedes Feld war wiederum in so viel Teile zerlegt, als Wirte im Dorf vorhanden waren. Sie sahen von der Zufuhr- und Feldwegen gänzlich ab. Der Besitzer der hintersten, am weitesten gelegenen Parzelle fuhr ohne weiteres über die vor ihm leidenden Ackerstreifen der Nachbaren. Sollte dadurch für diesen kein Schaden entstehen, so musste deren Parzellen im Frühjahr noch nicht bestellt und im Herbst schon abgeerntet sein. Das führte mit Naturnotwendigkeit zur Gleichzeitigkeit und Gemeinsamkeit der Arbeit und Ordnung der Abfolge der Feldarbeiten der einzelnen Wirte auf den verschieden gelegenen Parzellen. Quelle: Wilhelm Obgartel, Insterburg Stadt und Land besonders nach ihrer Landschaftsgliederung und Ihrer Geschichte
In Preußen wurde die Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 im Jahr 1872 geändert und auf die Zusammenlegung von Grundstücken, die nicht im gemeinschaftlichen Eigentum stehen, erweitert. Damit wurde die Zusammenlegung eine selbständige Maßnahme der Neuordnung. Am 17. 11. 1882 erfolgte die endgültige Feststellung des Amtsbezirks „Groß Franzdorf Nr. 27“ mit den Landgemeinden Bessern, Drohndorf, Groß Franzdorf, Gaden, Groß Wartau, Klein Schunkern, Mohlen, Paducken, Pillwogallen und Willschicken und den Gutsbezirk Wartau. Damit war eine "regionale" Raumplanung möglich geworden.
Die nach der Ablösung entstehen zusammenhängende Bauern-Grundstücke waren vor allen nach Bodenwerten bewertbar. Die Grundstücke lagen aber nicht immer dorfnahe. 1935 lag der steuerliche landwirtschaftliche Einheitswert für die Böden im Kreis Insterburg zwischen 600 und 699 Reichsmark pro Hektar. Die gesamte Spannweite für Ostpreußen lag zwischen 300 und 1599 Reichsmark pro Hektar. Quelle: Hans Bloech: Ostpreußens Landwirtschaft, Teil 1
Nach der Separation blieb es aber bei der Abwanderung. Trotz weiterhin hoher Geburtenrate hatte Ostpreußen langfristig nur eine der geringsten Bevölkerungszunahmen im Deutschen Reich. Ursache waren die massiven Abwanderungen der Landlosen. Zu weiteren Folgen siehe auch 6.3 Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
Die Aufhebung der ständischen Patrimonialgerichtsbarkeit und der Polizeigewalt
Die dritte Phase der Bauernbefreiung reichte real von 1850 bis 1913. Die endgültige Ablösung aller Dienste, Leistungen und Abgaben der Dienststelleninhaber, erfolgte nach Abschluss der Regulierung von 1821 erst 1850, also fast 30 Jahre später. Es sollte das formale Ende der "Bauerbefreiung" sein. Das „Gesetz betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse“, vom 2. März 1850, hob das Edikt von 1811 und die Deklaration von 1816 auf. Quelle: http://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV008342802/ft/bsb10553130?page=3
- Im ersten Abschnitt des Gesetzes geht es um die Aufhebung der Berechtigung des Obereigentums der Lehensherren, Guts-, Grund- und Erbzinsherren. 14 weitere Aufhebungen der Berechtigungen der Lehensherren, Guts-, Grund- und Erbzinsherren folgen, wie z.B. die Aufhebung von Heimfallrechte für stellenlose Landstücke, Bepflanzung mit Maulbeerbäumen, Jagdrechten, Bewachung, Abgaben bei Taufen, Wegerechte, Leichen-, Hochzeiten-, Kindestaufen-, Doktor- ober Hebammenfuhren.
- Der zweite Abschnitt des Gesetzes behandelt die Ablösung der Verpflichtungen, die sich aus den Reallasten zu Lasten der Domänenbauern ergeben. Die Reallast war das Recht des Gutsherrn auf seinem Grund "wiederkehrende Dienste" von den dort wirtschaftenden Domänenbauern zu verlangen. Alle bisherigen Verpflichtungen in Form von Diensten, Leistungen und Abgaben der Domänenbauern auf den Domänen wurden als ablösbar deklariert. Zuerst sollte dazu der Geldwert der abzulösen Reallasten festgestellt werden, bevor sie den Bauern in Rechnung gestellt werden konnten. Diese Reallasten beziehen sich im Gesetz vom 2.März 1850 auf die Titel II (Dienste), Titel III (Feste Abgaben in Körnern), Titel IV (Feste, nicht in Körnern bestehende Naturalabgaben), Titel V (Natural-Fruchtzehnt), Titel VI (Besitzveränderungs-Abgaben), Titel VII (Feste Geldabgaben), Titel VIII (Andere Abgaben und Leistungen) und Titel IX (Gegenleistungen). Titel X regelte die Abfindung der Berechtigten. Die Titel II bis V sind in der folgenden Tabelle aufgeführt.
- Der Wert der entfallenen gutsherrlichen Berechtigungen sollte ermittelt und gegen den Wert der entfallenen bäuerlichen Verpflichtungen, d.h. der bäuerlichen Dienste, Leistungen und Abgaben gerechnet werden.
Patrimonialgerichte waren die in Deutschland bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden gutsherrschaftlichen Gerichte der adeligen Grundherren, die eine eigene vom Staat unabhängige Rechtspflege, die Grundgerichtsbarkeit, ausübten. Preußen besaß bis 1848/49 eine regional stark differenzierte Gerichtslandschaft. Die als Patrimonialgerichte bezeichneten, nicht landesherrlichen Gerichte der adligen Güter und Grundherren wurden in den einzelnen preußischen Landesteilen im Zuge von Reformen nach und nach in den Jahren 1772–1798 eingeführt, auch vorher bestand allerdings schon eine grund- und standesherrliche Gerichtsbarkeit. Die preußischen Patrimonialgerichte wandelten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von gutsherrlichen Verwaltungsinstanzen zu modernen Gerichten, bei denen vor allem die Rechtsangelegenheiten der ländlichen Bevölkerung verhandelt wurden. Die späteren Patrimonialgerichte umfassten die niedere Gerichtsbarkeit auf dem Lande, also vor allem Eigentums-, Familien-, Erb- und Gutsrechte, Gesindeordnung und teilweise auch niederes Strafrecht (z. B. Beleidigungen, Raufereien)
Mit Königlicher Kabinettsorder vom 8. August 1837 wurde festgelegt, dass die Strafbestimmungen der Gesindeordnung von 1810 betreffend die Zwangsrückführung von entlaufenem Gesinde auch auf Instleute, Gärtner und Deputanten in der Provinz Preußen anzuwenden ist . 1846 wurde dem angestellten Gesinde vorgeschrieben, mit Erreichen des 16. Lebensjahres ein "Gesindedienstbuch" (Arbeitsbuch) zu führen: "Bei Entlassung des Gesindes ist von der Dienstherrschaft ein vollständiges Zeugnis über die Führung und das Benehmen in das Gesindebuch einzutragen." Dadurch wurden Teile der Landbevölkerung - nämlich das Gesinde - rechtlich eingeschränkt und in Teilen wieder in "alte Zeiten" zurückgesetzt. Die Zeugnisse waren zum Teil negativ oder wurden verweigert, um das Gesinde am Verlassen der Güter zu hindern. Bei Unstimmigkeiten zwischen Herrschaft und Gesinde wurde die Gesinde-Polizei eingeschaltet, vertreten durch den Bürgermeister bzw. Amtsvorsteher (Verordnung vom 29. September 1846). In den entsprechenden Gremien hatten die Gutsherren eindeutig das Sagen.
1848 wurden die Patrimonialgerichte (Gutsgerichte des Adels) abgeschafft. Teile der ständischen Patrimonialgerichtsbarkeit gingen in die Kompetenzen der regionalen Gerichte. Dies ist von besonderer Bedeutung für das Gesinderecht, wo bis dahin Beschwerden des Gesindes über die Dienstherrschaft (den Gutsherrn) von letzterem als Beklagtem und Gutsrichter in einer Person behandelt und abgeurteilt werden konnten. 1854 verschärfte das Gesetz betreffend die Verletzungen der Dienstpflichten des Gesindes und der ländlichen Arbeiter die Strafvorschriften bei Vertragsbruch, um die Landflucht und den „Leutenot“ zu bekämpfen sowie „hartnäckigen Ungehorsam oder Widerspenstigkeit gegen die Befehle der Herrschaft oder der zu seiner Aufsicht bestellten Personen“.
Geldstrafe bis zu 5 Talern oder Gefängnis bis zu drei Tagen waren vorgesehen. Das bisherige Züchtigungsrecht in den Gutbezirken des Adels blieb bestehen. Besondere Strafvorschriften bei Verletzung der Dienstpflicht durch die Herrschaft gab es nicht. 1872 verloren die Rittergutsbesitzer die gutsherrliche Polizeigewalt in den Gutsbezirken an den königlichen Landrat durch die neue Kreis-Ordnung. Dies war bedeutsam u. a. für die Zuordnung der Gesindepolizei an den Landrat und nicht mehr an den Bürgermeister. Ein Großteil der Vorschriften, die u.a. das Gesinde betrafen, blieben aber inhaltlich bestehen.
Die Gründe der Züchtigung waren z. B. Arbeitsverweigerung, Schlechtausführung, Trunkenheit oder Unkeuschheit. Subjektive Gründe spielten aber auch eine beträchtliche Rolle. Zwei "Gutsdamen" im Landkreis Insterburg sollen sich hier "besonders hervorgetan haben." Quelle: Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (genealogy.net)
Der Herrschaft stand ein Züchtigungsrecht zu, das individuell angewandt wurde: meist in der Form einer Auspeitschung mit einer Peitsche oder Birkenrute oder in Form von Stockhieben erteilt. Die Schläge erfolgten üblicherweise auf den Rücken oder auf das Gesäß. Gegen körperliche Übergriffe durfte sich das Gesinde nur im Falle der Gefährdung des eigenen Lebens wehren. Abgesehen davon musste sich das Gesinde ausdrücklich Verbalinjurien gefallen lassen, die unter Gleichen ohne weiteres als Beleidigung aufgefasst worden wären.
Bis 1850 ist in Ostpreußen der adlige Gutsbesitzer noch mit „gnädiger Herr“ anzureden. Als 1884 die Gesindeverhältnisse auf einem Gut bei Insterburg neu zu Papier gebracht werden, heißt es aber darin noch: „Der Besitzer oder Wirt mit Familie wird angeredet göns`ger Herr, göns`ge Fruke, Fräuleinke. Die Rangstufen des Gesindes sind: Klein-Jung, Groß-Jung, Klein-Loser, Groß-Loser, Kutscher, Futtrack (Pferdewärter), Kuhfüttrer und Knecht als oberste Stufe. Auf der weiblichen Seite Jungmädchen, Köchin, Lahksche, Wirtschafterin, die in den Stuben – hier Buterschte und Küche (Bonnerschte) wirken zum Wohle der Herrschaften.“
Mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 wurde das seit der Einführung der gutsherrschaftlichen Gerichte das geltende Züchtigungsrecht des Dienstherrn gegenüber dem Gesinde (nicht jedoch gegenüber minderjährigem Gesinde) abgeschafft. Grundlegende Veränderungen gab es erst 1918. Die Gesindeordnung wurde endgültig abgeschafft.
Quelle: Gesindeordnung – Wikipedia
In Preußen wurde Ende der 1860er Jahre amtlich festgelegt, dass Kontorbediente und Markthelfer, Stiefelputzer und Aushilfskellner, Hilfsarbeiter, Gewerbsgehilfen und Wirtschaftslehrlinge wie auch landwirtschaftliche Gärtner, Deputate und Instleute rechtlich nicht dem Gesinde zuzuordnen seien. Schließlich wurden 1900, mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), einige Bestimmungen der Gesindeordnung gemildert.
Quelle: Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (ge-nealogy.n
Landarbeiter nach der Bauernbefreiung
Die Landarbeiter (Nichtbauern, Unterbäuerliche) stellen bezogen auf die gesamte ländliche Bevölkerung schon vor der Bauernbefreiung die größte Gruppe in Ostpreußen dar. Hans-Ulrich Wehler (Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 1) berichtet: „Auch im ostpreußisch-litauischen Kammerbezirk mit seinen relativ vielen sichergestellten Domänen- und Adelsbauern (25 787) hat man für 1802/04 gezählte 47 229 Unterbäuerliche (Eigenkäter, Kossäten, Insten, Hirten und Handwerker) also ein Verhältnis von fast 1 zu 2 ermittelt.“ 1867 war die Bevölkerung in Ostpreußen von 0,9 Mio. in Jahre 1846 auf 1,88 Mio. gewachsen. Davon arbeiteten etwa 1,42 Mio. in der Landwirtschaft. Die "Bauernbefreiung" betraf ca. 1,15 Mio., in der Hauptsache Domänenbauern. Etwa 0.5 Mio. verloren ihr Land und wurden zu Nichtbauern. Da sie nur zeitlich begrenzt bis etwa 1870 auf den Gütern als Landarbeiter unterkamen, mussten sie danach abwandern. Die Wohnbevölkerung wuchs in Ostpreußen zwischen 1871 und 1910 von 1.822.034 auf 2.664.175 Millionen, d.h. um 44.4%. In den 40 Jahren zwischen 1871 und 1910 wanderten jährlich durchschnittlich zwischen 20.000 und 30.000 überwiegend junge Männer in das Reich, insgesamt etwa 1 Mio. Ostpreußen. Es gab unter den Nichtbauern Pächter, Landarme und Landlose mit Zwischenformen und zeitlich begrenzen Wechsel von der einen zur anderen Gruppe. Es gab in Ostpreußen unter den Nichtbauern Eigenkätner, Losleute (Pächter), Isten (Landarme) und Gesinde, Gärtner und Tagelöhnern und Lohnarbeiter (Landlose). Die Begrifflichkeiten wurden nicht immer einheitlich gebraucht, waren regional unterschiedlich und verschoben sich auch im Zeitverlauf. So gab es z.B. den Losmann, Kossäthen, Hufner, Häusler, Häuselmann, Käter, Kathenleute, Büdner, Bödner, Brinksitzer, Instleute, Köbler, Pointler oder Söldner, amtsdeutsch auch Kolonisten oder Kleinstellenbesitzer.
In den Gebieten östlich der Elbe hatten die Agrarreformen erhebliche soziale Folgen. Viele Bauern, die sich eine Landabtretung nicht leisten konnten, konnten die Entschädigungssumme aber auch nicht aufbringen und rutschen in die sich stark vergrößernde Unterschicht der Landarbeiter ab.
- Die Zahl, der je nach Region und Rechten unterschiedlich bezeichnete, landlose Landarbeiter (Gesinde, Deputanten, Insten, Tagelöhner) stieg von 1807 bis 1871 insgesamt um das Zweieinhalbfache.
- Die Zahl der landarmen Insten hatten sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Höhepunkt, bevor sie allmählich von Lohnarbeitern verdrängt wurden. Um 1840 soll es in Ostpreußen etwa 200.000 Insten gegeben haben. Die Zahl der Familienangehörigen und abhängigen Knechte lag um ein Vielfaches höher.
- Allein die Zahl der Kleinbesitzer als Pächter, regional Eigenkätner oder Losleute genannt, nahm von 1807 bis 1871 sogar um das Drei- bis Vierfache zu. Viele waren auf einen landwirtschaftlichen, handwerklichen oder sonstigen Nebenerwerb angewiesen. Da der Arbeitsmarkt für den Nebenerwerb nur begrenzt aufnahmefähig war, blieb nur die Abwanderung.
Eigenkätner
Bei den Nicht-Bauern waren die Eigenkätner oder Hufner die wichtigste Gruppe der Feldpächter in Ostpreußen. Die Kätner hatten auf gepachtetem Grund ein eigenes kleines Haus (Kate) mit Garten. Sie waren also fest ansässig und arbeiteten auf privaten Gütern als Tageslöhner oder betrieben ein ländliches Handwerk wie Schmied, Stellmacher, Schumacher, Schneider, Forstwart oder Fischer. Kätner, die mit ihren Familien die Nutzung der Hufe, eine Bauernstelle des Gutes mit vollem Inventar erhielten, arbeiteten hauptsächlich gegen Leistung von Hofdiensten. Manchmal hatten sie in geringem Maße zusätzlich Abgaben in Naturalien und Geldabgaben als Pacht zu leisten. Sie waren Pächter konnten aber nach "gehöriger Anzeige und nicht zur Unzeit" beliebig gekündigt werden. Sie waren also Bedienstete, die mit Land, Haus und Garten entlohnt wurden. Neue Eigenkätner wurden vielfach auf alten oder zusätzlich neu erworbenen Allmendeflächen der Güter eingerichtet.
Losmann oder Kossäth war die Bezeichnung für einen kleinen Feldpächter in Ostpreußen. Einem Losmann wurden kleine Flächen des vorhandene gemeinschaftliche landwirtschaftliche genutzte Land oder des neu urbar gemachtes Land bei Auflösung der Dorfallmende auf Antrag per Los zugeteilt. Die Pacht fiel an die Gemeinde. Es wurden zunächst örtliche Bewerber berücksichtigt, die ihre Ablösung an die Gutsbesitzer nicht zahlen konnten. Sie erhielten als Pächter etwa 2 - 4 Morgen Land ( 1 preußischer Morgen = 0,25 ha). Die Höfe der Losmänner waren meist in Streulage am Dorfrand in der nahen gemeinschaftliche landwirtschaftliche Dorfallmende angesiedelt und hatten kein Marktrecht. Es wurde aber auch irgendwo in der Mark, oft kilometerweit vom Dorf oder der nächsten Ansiedlung entfernt, kulturfähiger Boden der Allmende, sei er noch so geringwertig, gerodet und in dessen Mitte eine Kate (ein Kotten) errichtet, die dann dem Losmann zugeteilt wurde. Es entstanden Höfe in Streulage. Da die Größe dieses Ackerlandes für den Unterhalt einer Familie nicht ausreichte, verdingte sich der Losmann zusätzlich als Landarbeiter, Knecht, Holzfäller oder Tagelöhner oder mußte auswandern. Losmänner wurden vielfach auf Allmendeflächen eingerichtet, die rechtlich ursprünglich den Gemeinden zugefallen waren.
Nach der "Bauernbefreiung" konnten Eigenkätner und Losmann nach der möglichen Umwandelung der Pacht in Eigentum teilweise zu Kleinbauern mit Nebenerwerbsstellen werden. Voraussetzung waren vorhandene Finanzmittel. Ferdinand Tuttlies hatte eine solche Nebenerwerbslandwirtschaft und war gleichzeitig Maurer und Schneider.
Michael Tuttlys war ein Losmann, geboren 1802, in Treinlauken, gestorben am 25.3.1842 in Ernstwalde, verheiratet sich am 23.10.1830 in Treinlauken mit Charlotte Schoentaube, die am 03.01.1806 in Spannegeln geboren wurde. Er war der Vater von Johann Ferdinand Tuttlies, der schon um 1860 in Willschicken als Besitzer siedelte. Michael Tuttlys Vater hatte als Losmann in Treinlauken ein Hofgrundstück zu gelost bekommen und seinen Status an seinen Sohn vererbt, der dadurch als Hoferbe steuerliche Vorteile hatte.
Max Weber beschäftigt sich 1892 in einer großen Studie mit dem Lebensniveau der Landarbeitern u.a. in Ostpreußen, die nach der Bauernbefreiung die Arbeit auf den Gütern zu verrichten hatten. Er unterscheidet die Landarbeit der Nichtbauern generell in folgende 6 sozialen Gruppen:
Gesinde, Deputanten, Insten, Tagelöhner, Insten, Tagelöhner, Wanderarbeiter und Heimatlose.
Quellen:
Max Weber: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklenburg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen Duncker & Humblot, Leipzig 1892 (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, LV. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland; Bd. 3)
und
Max Weber, Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen Landarbeiter
Gesinde
Das zumeist junge und ledige landwirtschaftliche Gesinde (Gespannarbeit, Viehpflege, Hirten, persönliche Dienste), dass bei festem Geldlohn, freier Kost und Wohnung im Dienstbotengelass des Gutes in der Regel unmittelbar nach dem Schulabschluss in den Dienst eintrat.
Die jungen Leute auf den Gütern waren häufig die unversorgten Kinder der umliegenden Landbevölkerung, die direkt nach der Schule ihre ersten Erfahrungen in der Landwirtschaft machten. Die jungen Mägde und Knechte waren aber bestreb, die Güter rasch zu verlassen, da sie als Tagelöhner wesentliche mehr verdienten und sich während der "Saison" ein besseres Leben leisten konnten. Man unterschied das unverheiratete Hausgesinde mit Lohn und Verpflegung vom verheirateten Deputatgesinde mit Naturalentschädigung, einem zugewiesenen Landteil und teilweise einer eigenen Wohnung oder einem Gesindehaus. Auch unterschied man zwischen Haus- und Hofgesinde, je nachdem ob häusliche oder landwirtschaftliche Dienste geleistet wurden
Das unverheiratete Gesinde der Güter, das nicht der Reichsgewerbeordnung, sondern den örtlichen Gesindeordnungen unterstand und den städtischen Dienstboten vergleichbar ohne geregelte Arbeitszeit täglich durchgehend zur Dienstleistung verpflichtet war. Das Gesinde unterlag bis 1900 der Gesindeordnung. Sie wurde entlohnt mit Wohnung, Kost, Kleidung, wenig Bargeld. In Ostpreußen waren etwa 5 % des Gesamtlohns Bargeld. Die Arbeitsverhältnisse waren unbefristet. Zwar galten sie lebenslang, konnten aber vom Gutherren nach Gutdünken gekündigt werden. Aufgrund der niedrigen Lebenserwartung kam es nur in sehr wenigen Fällen zu einer Altersversorgung, die in der Regel nur aus Naturalien bestand.
Deputanten
Die Gruppe der unverheirateten "Gärtner" und verheirateten 'Deputanten' bzw. 'Deputatisten', die ebenfalls festen Jahreslohn, statt täglicher Kost aber feste Naturalbezüge (Deputate) in Getreide und Kartoffeln, Brennmaterial (Kohlen, Torf, Holz) sowie etwas Land zur eigenen Bewirtschaftung erhielten, das Recht hatten, einen eigenen kleinen Viehbestand auf der gutswirtschaftlichen Weide zu halten, im Winter im Gutsstall auf Kosten des Gutes durchzufüttern und ebenfalls auf dem Hof, aber in eigener Hauswirtschaft ('Katen') oder in – als Familienwohnungen abgesonderten – Räumlichkeiten lebten.
Der Deputant war Anfang des 19. Jahrhunderts ein verheirateter Landarbeiter, welcher zur Arbeit das ganze Jahr verpflichtet wurde und in Guts-Wohnungen umsonst oder gegen niedrige Miete wohnte. Bei den Deputanten-Familien war es selbstverständlich, dass die Kinder schon früh mitarbeiten mussten, was auch bei den "Vollbauern" noch bis in die 20iger Jahre ebenfalls der Fall war.
Neben einem niedrigen Barlohn, der entweder als Tagelohn nach der Zahl der Arbeitstage oder wie die Gesindelöhnung als fester Jahreslohn gezahlt wurde, erhielt er ein sogenanntes Deputat, das heißt statt der dem ledigen Gesinde zubereitet gereichten Beköstigung, bekam er die entsprechenden Naturalien geliefert. Diese Naturalien waren dem Betrag nach auf die Deckung des Bedarfs an Nahrungsmitteln für den Arbeiter selbst und seine Familie berechnet, deren Mitarbeit in Gestalt der Stellung einer zweiten Arbeitskraft regelmäßig in Anspruch genommen wurde.
Die Gärtner (unverheiratet) und Deputanten (verheiratet) unterlagen bis 1860 der Gesindeordnung. Sie hatten auf den Gütern jeweils Einzelverträge. Sie waren durch Jahreskontrakte gebundene Arbeiter und hatten Einstellungen am Martini, dem 1. November oder zum 1. April. Es gab 3, 6 oder 12 Monatskündigung. Sie wurden durch Deputat (Wohnung, Naturalien, Brennholz, Weidenutzung für Kuh-Schweine-Schafe) und Bargeld bezahlt. In Ostpreußen waren etwa 15 % des Gesamtlohns Bargeld
Insten
Die Bauernbefreiung führte nach 1850 zur Etablierung und einer deutlichen Zunahme der Instleute. Die Insten waren aus den landarmen gewordenen Kleinbauernverhältnissen (Scharwerkern) hervorgegangen und wurden nun Gutstagelöhner. Dabei erhielten jedoch nicht alle vorher leibeigenen Gutsangehörigen Pachtstellen. Die Übrigen mussten sich im Tagelohn verdingen.
Die Insten schlossen sich mit ihrer Familie und ein oder zwei Knechten (Hofgänger oder Scharknechte genannt) einem Gut an. Sie traten zunächst an die Stelle der bisherigen gutsuntertänigen Scharwerk-Bauern. Hier arbeitete die Gruppe für den Gutsherren. Tatsächlich war die Lage der Insten eine Folge der Aufhebung der Leibeigenschaft und der Landreformen ab 1807. Ihr Einkommen bestand aus verschiedenen Bestandteilen. Dazu gehörte die Entlohnung in Geld und Naturalien. Hinzu kam das Nutzungsrecht für die eigene oder die gepachtete kleine Landwirtschaft oder das Halten von Vieh. Hinzu kam ein gewisser Anteil am Ertrag des Gutes. Die Agrarreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts führten zunächst zu einer Zunahme der Instleute.
Insten, das waren Familien ohne eigene Hufe (Bauernstellen). Sie wurden lediglich mit Haus und Garten entlohnt, außerdem hatten sie Nutzungsrechte an gemeinsamen Wald und Weideflächen. Der Mann war Tagelöhner und war etwa 180 Tage beschäftigt, die Frau und die Kinder mussten etwa 60–70 Tage im Jahr auf dem Gut arbeiten. Die Dauer der jährlichen Beschäftigung richtete sich nach den aktuellen Bedarfen der Gutsbesitzer. Teilweise war sie auch vertraglich per Handschlag geregelt.
Die Zusammensetzung der Entlohnung war unterschiedlich. Im Osten war der Anteil des Naturallohns meist höher als in den westlicheren Gebieten. Der Naturallohn konnte sich aus der Wohnung, aus Land oder Saatgut zusammensetzen. Hinzu kamen Nahrungsmittel und als Drescherlohn als Teil des Ertrags des Gutes Getreide. Die Höhe des Naturallohns war an die Arbeitsleistung und die Anzahl der gestellten Arbeitskräfte gebunden. Ein Drittel des Einkommens etwa entfiel auf Geldeinkommen für das in den Wintermonaten betriebene Dreschen des Getreides. Daneben erwirtschaftete die Familie noch etwas auf dem von den Gutsherren zur Verfügung gestellten Grundbesitz. Das vom Gutsherrn zur Verfügung gestellte Haus und der Grundbesitz, die Instenstelle, machten die Instenfamilien stark vom Gutsherrn abhängig.
Insgesamt war die soziale und wirtschaftliche Lage der Inste nach Max Webers empirischen Untersuchungen besser als die qualifizierten Industriearbeiter. Allerdings wurde ihre Existenz vom Wandel und der Modernisierung der Landwirtschaft bedroht. Die Bedeutung des Getreideanbaus ging zurück. Auch die Getreidepreise sanken aufgrund der preiswerteren englischen Exporte. Hinzu kam, dass durch die Einführung von Dreschmaschinen die Insten eine bislang wichtige Aufgabe tendenziell einbüßten.
Die Agrarreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts führten mittelfristig zu einer Verschlechterung. Die Möglichkeit der eigenen Viehhaltung wurde eingeschränkt. Außerdem gelang es den Insten durch die Konkurrenz der Industrie auf längere Sicht kaum noch, Hofgänger oder Scharknechte anzuwerben. Auch viele Kinder der Insten zogen andere Tätigkeiten vor. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Bedeutung der Insten zu Gunsten von reinen Tagelöhnern und Lohnarbeitern ab, da diese saisonweise besser verdienten.
Die Insten unterlagen bis 1860 der Gesindeordnung. Seit 1837 waren die Instleute wie auch das Gesinde der Polizeiaufsicht der Gutsherren unterworfen. Ein Koalitions- und Streikrecht hatten sie bis zur 1918 nicht. Dabei waren die Familien samt Knechten durch einen zu erneuerten Vertrag an den Gutsherren gebunden. Die festgelegten Vertragstermine waren Martini der 11. November oder der 1. April bei 3, 6 oder 12 Monatskündigung. Sie hatten auf den Gütern einen Familienvertrag und mussten bei Bedarf noch weiteren Arbeiter stellen, wie Scharwerker oder ledige Kinder. Die Ehefrau arbeitete auf Verlangen in der Ernte, beim Waschen, Melken und am Schlachttag mit - zum Teil gegen Barlohn.
Tagelöhner
Die freien Landarbeiter / Tagelöhner bildeten eine vierte Gruppe. Sie stellten nicht sich (Gesinde) und ihre Familie (Insten) der Gutswirtschaft zur freien Disposition über ihre Arbeitskraft, sondern standen in einem regulären Lohnarbeitsverhältnis, dass sich – bei vielerlei Grenz-, Zwischen- und Übergangsstufen zu den kontraktlich gebundenen gutswirtschaftlichen Arbeitskräften – vom Tagelöhner Verhältnis gewerblicher Arbeiter im Kern nur unwesentlich unterschied. Diese Gruppe rekrutierte sich
a) aus jenen 'Einlieger' genannten besitzlosen Landarbeitern, die in den Dörfern als 'Einmieter' oder 'Geldstubenleute' unterzukommen suchten, erheblich mobiler waren als die ortsgebundenen Kleinstellenbesitzer bzw. Pächter und als 'lose Leute' oder 'Losleute'
b) häufig eine regionale Zwischen - Übergangsgruppe zu den reinen Wanderarbeite.
Die Standortgebundenheit des nebenerwerbstätigen Kleinstellenbesitzers bzw. Pächters (Eigenkätner) konnte auf dem lokalen Arbeitsmarkt seine Position in der Lohnkonkurrenz mit dem besitzlosen landwirtschaftlichen Lohnarbeiter schwächen. Das führte zu Spannungen zwischen besitzlosen Lohnarbeitern, die ihre Arbeitskraft meistbietend verkauften, und nebenerwerbstätigen Kleinstellenbesitzern bzw. Pächtern, die sich dem Diktat von Arbeitslohn und Arbeitsbedingungen durch die Gutswirtschaft zu fügen hatten.
Die Alternative war Arbeitswanderung über größere Distanzen. Dies war aus betriebstechnischen Gründen häufig nur bedingt möglich. In der Dorfhierarchie stand aber der Status des lokalen halbselbständigen Kleinproduzenten über dem des flexiblen Nebenerwerbstagelöhnes, obwohl eine genaue Abgrenzung schwerfällt.
Die Tagelöhner hatten einen per Handschlag einen regulär geschlossen Arbeitsvertrag und unterlagen bis 1900 der Gesindeordnung. Sie wurden nur mit Bargeld entlohnt. Bei "niederen Straftaten" wurden sie aber sofort ohne Barzahlung "vom Hof gejagt". Bei größeren Straftraten wurden sie den Gerichten übereignet. Sie arbeiten sowohl auf den Gütern als auch auf den Bauernstellen. Es waren Lohnarbeiter wie landlose Einlieger, Kleinstellenbesitzer, Kätner oder Kossäthen. Der Unterschied zu dem Wander- oder Saisonarbeiter lang in der geografischen Herkunft. Die Tageslöhner kamen aus Ostpreußen und wurde wesentlich besser bezahlt als die polnischen Fremdarbeiter.
Wanderarbeiter
Zu den Wanderarbeiter zählen Saisonarbeiter zum Ernteeinsatz – oft aus Polen. Diese Arbeitswanderer wurden in der Regel auf vierfache Weise an- bzw. abgeworben
a) durch Aufseher-Agenten, eine Mischung von selbständig arbeitenden Arbeitsvermittlern und Vorarbeitern, die von Dorf zu Dorf zogen, größere Arbeitergruppen zusammenstellten, ins Zielgebiet begleiteten, dort als Vorarbeiter bzw. Aufseher überwachten und ihr "Werbegeld" in der Regel erst dann einstreichen konnten, wenn die herangeschafften Saisonarbeiter im Zielgebiet nicht bzw. nicht aufs Neue kontraktbrüchig geworden waren, denn der Vertrag lautete jeweils auf "Lieferung einer Arbeitskraft für die ganze Saison"; daneben bestand das berüchtigte informelle System des Kontrakthandels zwischen "großen" Arbeiterwerbern und "kleinen" Aufseher-Agenten, die ihre Kontrakte bei den "großen" Werbern kauften, wobei dieser Handel mit der Saisonware Arbeitskraft den Kontraktbruch gegenüber dem Arbeitgeber noch um eine weitere Spielart zu ergänzen tendierte: den Kontraktbruch gegenüber Arbeiterwerbern bzw. Aufseher-Agenten selbst;
b) wurden Arbeitswanderer rekrutiert durch der jeweiligen Gutswirtschaft vertraute Saisonarbeiter bzw. -arbeiterinnen, die das Reisegeld für die im Herkunftsgebiet an- bzw. abzuwerbende Arbeitergruppe vorgeschossen, für jede vermittelte Arbeitskraft ein "Kopfgeld" erhielten und selbst auf dem jeweiligen Gut im Saisontagelohn arbeiteten, während die Arbeiteraufsicht dort von einem Gutsbeamten übernommen wurde;
c) durch die Gutsbeamten selbst und
d) durch professionelle städtische "Stellenvermittler". Die Wanderarbeiter standen zwar auf der untersten Stufe der Landarbeiter - sie waren aber frei
Die die besondere Anziehungskraft der Beschäftigungsangebote "im Westen" sorgte hier noch die Tatsache, daß Lohnniveau und Lebensstandard ostpreußischer Landarbeiter hinter denjenigen aller anderen ostelbischen Gebiete zurücklagen. In der ostpreußischen Landwirtschaft wurden "nicht nur die niedrigsten von allen preußischen Regierungsbezirken, sondern die niedrigsten deutschen Tagelöhne überhaupt" gezahlt.
Die Wander- oder Saisonarbeiter waren Fremdarbeiter. Sie waren rechtliche nicht abgesichert, teilweise wurden sie rechtlich, wie die Tageslöhner behandelt. Bei Verstößen wie den Kontraktbruch wurden sie des Gutbezirks verwiesen mit einem Einreiseverbot nach Deutschland belegt. Sie wurden durch Vermittler in Gruppen oder Arbeiterkolonnen angeworben. Sie arbeiten sowohl auf den Gütern als auch auf den Bauernstellen. Sie mussten die Karenzzeit beachten, d. h. im Winter (Dezember – Februar) nach Hause in Polen zurückkehren. Sie arbeiteten im Akkord und wurden mit Bargeld deutlich schlechter als die ostpreußischen Tagelöhner bezahlt. Noch schlechter wurden die Frauen der Fremdarbeiter bezahlt. Für Güter und Großbauern waren sie die am meisten nachgefragten Arbeitskräfte zwischen 1870 und 1910.
Heimatlose
In Preußen galten zahlreiche Verordnungen, wonach Arme, Bettler, Landstreicher „und anderes unnützes Gesinde“ abzuweisen seien. Friedrich Wilhelm befahl 1725 sogar, dass alle an der Grenze aufgegriffenen „Zigeuner ohne Gnade mit dem Galgen bestraft“ werden sollten.
Im späten 19. Jahrhundert war die Obdachlosigkeit der Heimatlosen ein Massenphänomen. Davon besonders betroffen waren "exmittierte", das heißt in Städten aus ihren Wohnungen geworfene Familien, mittel- und arbeitslose Männer aus ländlichen wie städtischen Regionen, und auch aus ihren Stellungen entlassene Dienstmädchen. Obgleich die von Obdachlosigkeit betroffenen Gruppen im Kaiserreich äußerst unterschiedlich waren, existierten allgemeine Zuschreibungen. Alleinstehende männliche Obdachlose wurden häufig als "arbeitsscheue" "Vagabunden", "Wanderer", "Stromer" oder "Landstreicher" bezeichnet, während man alleinstehende obdachlose Frauen und Mädchen als "gefallen" beschrieb, womit die Unterstellung einherging, sie würden als Prostituierte arbeiten.
Obdachlosigkeit und Landstreicherei galten als Straftatbestände und konnten mit Gefängnis und/oder Arbeitshauseinweisung geahndet werden. Mit der Gründung des Deutschen Reiches wurden Armutszustände wie Landstreicherei, Bettelei und Obdachlosigkeit sowie Verhaltensweisen wie „Spiel, Trunk, Prostitution und Müßiggang“ oder „Arbeitsscheu“ kriminalisiert. Rechtliche Grundlage bildeten die § 361 und 362 des Strafgesetzbuches von 1871, die diese auch als „Asozialität“ bezeichneten Verhaltensweisen als Übertretungen neben Haftstrafen mit der Sanktion einer "korrektionellen Nachhaft" im Arbeitshaus (bis zu maximal zwei Jahren) belegte.
Nach dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 war die in den Arbeitshäusern vollstreckte 'korrektionelle Nachhaft' ausschließlich zulässig nach einer strafrichterlichen Verurteilung wegen Landstreicherei, wegen Bettelei (falls die Angeklagten innerhalb der letzten drei Jahre schon einmal wegen dieses Delikts verurteilt worden waren oder unter Drohung bzw. mit Waffen gebettelt hatten), bei Armut (falls die Gerichte sie durch Spiel, Alkoholmissbrauch oder Müßiggang verursacht sahen), bei gewerbsmäßiger, polizeiwidriger Prostitution, bei unterstellter Arbeitsscheu und bei Obdachlosigkeit. Die genannten Delikte wurden nach § 361 RStGB als Übertretungen mit Haft bis zu sechs Wochen geahndet. Von diesem ohnehin begrenzten Katalog möglicher Einweisungsgründe spielten jedoch bei Männern nur Bettelei bzw. Landstreicherei und bei Frauen Prostitution eine nennenswerte Rolle. Im Jahre 1896, dem ersten Jahr, für das eine nach Einweisungsgründen differenzierende Statistik vorliegt, waren in Preußen 90 Prozent der auf strafrechtlicher Grundlage in Arbeitshäuser eingewiesenen Männer wegen Bettelei bzw. Landstreicherei und 76 Prozent der Frauen wegen unerlaubter Prostitution verurteilt worden.
Arbeitshäuser auch Besserungsanstalten oder Korrektionsanstalten genannt waren Einrichtungen, die Vagabunden, „Trunkenbolde“, „Arbeitsscheue“, „liederliche“ Dirnen, aber auch entlassene Sträflinge aufnahmen, die darin zur Arbeit angehalten wurden und an eine geordnete Lebensführung gewöhnt werden sollten. Der Zwang zur Arbeit in den Arbeitshäusern wurde ergänzt durch den Arbeitszwang am Unterstützungswohnsitz. Das heißt, dass die Unterstützung der Armen an die Verpflichtung geknüpft war, ihre Arbeitskraft dort entsprechend ihren Fähigkeiten einzusetzen. Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht führte wieder zur Einweisung ins Arbeitshaus. Grundlage für diese Verfahrensweise war das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz (UWG) von 1870. Ein solcher „Unterstützungswohnsitz“ diente nicht nur der Aufteilung von Zuständigkeiten, sondern vor allem der Kontrolle der Fürsorgeempfänger. Er wurde durch zweijährigen Gemeindeaufenthalt, Heirat oder Abstammung erworben und berechtigte zu einer geringen Unterstützung durch den Ortsarmenverband.
Ab 1880 wurden heimatloste Zigeunersippen auch in leerstehende Gehöfte zwangsangesiedelt, die sie allerdings nur im Winter bewohnten, im Sommer zogen sie über Land. 1885 belief sich im Regierungsbezirk Gumbinnen die jährliche Armutslast auf 53,9 % aller Ortskommunalabgaben. Einige kleinere Städte wie Aulowönen und umliegende Dörfer hatten auch Stallgebäude oder Scheunen als Unterstützungswohnsitze zur Verfügung gestellt, oder Plätze für das fahrende Volk ausgewiesen. In Tapiau lag die „Tapiau „Ostpreussische Provinzial-Besserungsanstalt“. Die Gründung der Anstalt geht zurück auf das bereits 1792 in der Burg Tapiau eingerichtete „Landarmen- und Versorgungshauses Tapiau“. 1801 verfügte die nunmehr „Corrections- und Besserungsanstalt Tapiau“ genannte Einrichtung über 400 Plätze, außerhalb des Anstaltsgeländes wurden drei Gebäude zur Unterbringung ortsfremder Insassen errichtet, hieraus entwickelte sich die spätere Heil- und Pflegeanstalt, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs erfolgte eine ständige Vergrößerung bis zu einer Bettenzahl von 1200.
Die Justiz des Kaiserreichs machte in Ostpreußen reichlichen Gebrauch von der Möglichkeit zur Sanktionierung von Armut durch Einweisung in Arbeitshäuser. Im Zeitraum von 1877 - 184 ist in Preußen etwa jede fünfte bis siebte wegen Bettelei oder Landstreicherei verurteilte Person schließlich in ein Arbeitshaus gebracht worden. Die Quote der „Überweisungen“ lag bei Landstreicherei sehr viel höher als bei Bettelei. Im Jahre 1885 wurden in Preußen von 15 883 wegen Landstreicherei verurteilten Personen 7 729 an die Arbeitshäuser überwiesen, dagegen nur 8310 von 58 523 wegen Bettelei verurteilten Personen. Die Dauer der Arbeitshausunterbringung war innerhalb der in § 362 RStGB festgelegten Schranke von maximal zwei Jahren ganz in das Ermessen der Landespolizeibehörde gestellt und wurde von dieser völlig willkürlich gehandhabt. Quelle: Wolfgang Ayass: Die „korrektionelle Nachhaft“. Zur Geschichte der strafrechtlichen Arbeitshausunterbringung in Deutschland
Im Sommer waren die Ernährungsmöglichkeiten auf dem Lande besser als in den Städte. Im Sommer wurde von dem Heimatlosen häufig im Freien geschlafen. Wer im Winter oder bei schlechten Wetter über keinen festen Schlafplatz und sehr geringe finanziellen Mittel verfügte, war in den Städten zur Übernachtung in sogenannten Heimen mit bis zu 4 Betten übereinander und unter sehr schlechten hygienischen Bedingungen angewiesen. Berüchtigt waren "Unterkünfte", die ihren "Kunden" ein langes Seil zum Einhaken mit beiden Armen zum "Schlafen im Stehen" anboten. Am Morgen wurden dann die Seilknoten plötzlich gelöst.
Weitere "Schlaf-Möglichkeiten" waren das Polizeigewahrsam oder das Arbeitshaus. An beide Institutionen konnten sich Obdachlose entweder freiwillig wenden, oder aber sie wurden dorthin nach einem Gefängnisaufenthalt zwangsüberwiesen. Im Winter war das Polizeigewahrsam stets überfüllt. Kranke und stark verschmutze Menschen wurden in der Regel abgewiesen. Während der Polizeigewahrsam nur für eine Nacht Unterkunft auf einer Holzbank ohne Lehne in einem Raum mit vielen anderen Menschen gewährte, bot das Arbeitshaus für eine längere Zeit maximal bis 2 Jahre Zwangs-Unterkunft, allerdings gepaart mit schwerer und streng überwachter Arbeit, schmaler Kost. Die Einrichtung zu verlassen, war verboten.
Die geschlossene Unterbringung in den Arbeitshäusern litt unter dem Dilemma, daß sie für leichtere Fälle unnötig, für schwerere Fälle aber aussichtslos erschien. Erfahrene Heimatlose führten gezielt Armutszustände wie Landstreicherei, Bettelei und Obdachlosigkeit sowie Verhaltensweisen wie „Spiel, Trunk und Müßiggang“ oder „Arbeitsscheu“ herbei, um nach einer Verurteilung den Winter im Arbeitshaus zu verbringen.
Die Heimatlosen (z. B. Landfahrer, Landstreicher, Vaganten, Vagabunden, Wanderer, Stromer, Obdachlose, Bettler, Zigeuner oder Nichtsesshafte) 1850 geschätzte 5 % der Bevölkerung hatten in der Landwirtschaft in Ostpreußen keinen Platz. Die Heimatlosen wurden von den Gemeindevorstehern und Gutsherren strikt abgewiesen und aus der Gemeinde verscheucht, teilweise durch Gewalt. Manchmal wurde auch die Polizei aktiv, an der örtlichen Gemeindegrenze kehrte sie aber gewöhnlich bereits um. Quelle: Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (genealogy.net)
Lebensniveau der Nichtbauern
Zur besseren Einschätzung wird das Lebensniveau der Nichtbauern zur Ordenszeit (1454 etwa 100.000 = 20% der Gesamtbevölkerung) dem nach der Bauernbefreiung (1853 etwa 500.000 = 30% der Gesamtbevölkerung) gegenübergestellt. Zum Lebensniveau der Nichtbauern während der Ordenszeit geben die folgenden drei Texte aber nur begrenzt Auskunft. Dabei wird der Begriff der Nichtbauern während der Ordenszeit in den drei Texten als Unfreie, Abhängige oder Landlose beschrieben und unterschiedlich benutzt. Von daher ist die Gegenüberstellung nur grobe und unvollständige.
- Max Toeppen hatte schon 1858 seine "Historisch-comparative Geographie von Preußen" veröffentlicht. Er war neben Weber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein führende preußische Landeshistoriker.
- Das Buch “Preußen vor 500 Jahren in kulturhistorischer, statistischer und militärischer Beziehung, nebst Special-Geographie” ist ein Text von Lotar Weber. Er wurde 1878 in Königsberg veröffentlicht und bietet aus damaliger Sicht einen Einblick in das Preußen von vor 500 Jahren während der Ordenszeit. Lotar Weber beschreibt auch auf seinen Seiten 39 – 83 die Inhalte von Peter von Dusburgs „Chronik des Preußenlandes“, das in Versform in Latein erschien.
- Peter von Dusburg lebte etwa von der zweiten Hälfte des 13. bis zur ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, seine genauen Lebensdaten sind jedoch unbekannt. Sein Hauptwerk "Chronicon Terrae Prussiae (Chronik des Preußenlandes)" verfasste der Deutschordenspriester in Königsberg in der Zeit des Hochmeisters Werner von Orseln. Ihm übergab er 1326 das Werk. Ergänzungen seiner Chronik reichen bis 1330. Das Werk war als Tischlesung für die Ordensbrüder gedacht. Der Text setzt im Jahr 1190 ein. Die Arbeit von Peter von Dusburg ist die erste bekannte längere Beschreibung des Ordenlandes in Ostpreußen.
Quellen:
Max Toeppen: Historisch-comparative Geographie von Preussen (uni-hamburg.de) und https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Toeppen
Peter von Dusburg: Peter von Dusburg – Wikipedia
Die folgenden Tabellen stammen von Lotar Weber und zeigen
- den Durchschnittspreis für eine Scheffel Roggen zwischen 1386 und 1409
- die Arbeitslöhne im Ordensland um 1400
- die Preise für ausgesuchte Handelswaren von 1344 - 1407
- die Preise von ausgesuchten Lebensmittel, Pferde und Vieh im Ordensland um 1400.
Sie erlauben nur eine grobe Einschätzung der damaligen Lebenssituation der Einwohner auf dem Lande in Ostpreußen. Die Preise sind in Scot oder Pfennig angegeben. Scot (auch Skot) ist der von einem Silbergewicht abgeleitete Name einer vom 12. bis zum 16. Jahrhundert in Polen, Preußen und Schlesien gebräuchlichen Rechnungsmünze, die den vierundzwanzigsten Teil einer Mark bezeichnete.
Dabei galten die Wertrelationen
- 1 Scot = 30 Pfennig
- 6 Scot = 1 Ferding
- 24 Scot = 1 Mark
Nicht zu verwechseln ist der Scot mit dem Scoter (auch Schoter), einer ab etwa 1490 vom Deutschen Orden in Preußen geprägten Silbermünze mit einem Nennwert von 15 Pfennig.
Quelle: Scot (Rechnungsmünze) – Wikipedia
Vierhundert Jahre später gab es folgendes Bild: Das Lebensniveau der Nicht-Bauern lag um 1860 in der Regel noch unter dem der Kleinbauern. Ein Vergleich der Jahresverdienste des landwirtschaftlichen Dienstpersonals mit den damals üblichen Preisen zeigt 1861, wie bescheiden die Lebensführung der Landarbeiter gewesen ist. Ein Tagelöhner verdiente zum Beispiel bei über zehnstündiger Arbeit etwa 13 Silbergroschen täglich. 24 Hühnereier kosteten im Vergleich dazu ungefähr 12 Silbergroschen.
Eigene Tabelle: Einkommensbeispiele von Landarbeitern in Mecklenburg und Masuren
Tages-Einkommen männlicher Tagelöhner und Jahrslohn männliches Gesinde in Mecklenburg und Masuren | ||||||||
Einkommen freier | Roggenwerte freier | Gesindelöhne | ||||||
männlicher Tageslöhner | männlicher Tageslöner | männliches Gesinde | ||||||
Tageslohn | entspricht Tageslohn | Jahreslohn | ||||||
in Mark | in kg | in Mark | ||||||
Jahr | Mecklenburg | Masuren | Mecklenburg | Masuren | Mecklenburg | Masuren | ||
1873 | 1,42 | 0,89 | 11,77 | 5,59 | 142 | 69 | ||
1892 | 1,69 | 1,11 | 13,01 | 7,81 | 160 | 105 | ||
1914 | 2,00 | 1,51 | 14,63 | 10,20 | 227 | 135 |
Quelle: Klaus J. Bade, Land oder Arbeit? Transnationale und interne Migration im deutschen Nordosten vor dem Ersten Weltkrieg
Die Lohnkosten in Ostpreußen passten sich erst zu Ende der 1880er Jahre im Zeichen wachsender 'Leutenot' langsam dem Niveau an, das sie in westlicheren Agrargebieten, etwa in Mecklenburg, anderthalb Jahrzehnte zuvor schon erreicht bzw. sogar schon überschritten hatten. Dieses lag auch an der Umstellung von Deputat-Lohn auf Geldlohn. Frauen erhielten trotz deren extreme Belastung nur die Hälfte des Lohnes der Männer.
„Gleichwohl kann man für die letzten beiden Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg von einer Erhöhung mindestens der nominellen Landarbeiterlöhne ausgegangen werden, die allerdings teilweise durch die Erhöhung der Lebenshaltungskosten im selben Zeitraum um etwa 30 Prozent wieder wettgemacht wurde.“
„An den gemeinhin sehr schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der ländlichen Arbeiter kann jedoch vor allem im Bereich der Gutwirtschaft kein Zweifel sein. Landarbeit ist oft monotone Schwertarbeit, die von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang unter allen Witterungsverhältnissen anhält und besonders während der Saat- und der Erntearbeit unter sehr starken Leistungsdruck steht. Der Einsatz von Maschinen hat diesen Einsatz im 19. Jahrhundert in Ostpreußen noch keineswegs wirksam erleichtert.“
„Das Gesinde wohnte auf den Bauerhöfen oft in winzigen Verschlägen dicht beim oder zusammen mit dem Vieh, selten in eigenen Knechts- oder Mägdekammern, auf den großen Gütern aber in den wohl meist überbelegten Leutestuben, Wanderarbeiter kampierten nich selten direkt auf dem Felde, eben der Arbeit, auch auf eigenen Wunsch, weil sie nach Leistung gezahlt wurden und dann jede Minute nutzten – oder sie wohnten in oft unbeschreiblich verfallenen Katen und schlecht gepflegten kasernenartigen Leutehäusern der Gutswirtschaft. Inste bewohnenten im Allgemeinen eine meisten, aber nicht immer frei gewählte Kate mit einer Stube nebst Kochgelegenheiten sowie ein bis zwei Kammern, in denen auch die Scharwerker unterzubringen waren, daneben noch Bodenraum, Keller und Stall.
Diese Haushalte hatten nur sehr geringe Bareinnahmen. Eine ostpreußische Instenfamilie erhielt im Jahre 1901 für 230 Arbeitstage des Mannes und der Scharwerker und 200 Arbeitstag der Frau, alle auf einem Gut, ganze 198 Mark an Geldlohneinnahmen, von denen noch der Barlohn und die Ausgaben für die Kleidung des Scharwerkers abzuführen waren, aus der eigenen Wirtschaft kamen 157,90 Mark an Bareinnahmen hinzu. Statt der Getreideprodukte, der Milch und des Fleisches konnten häufig nur Kartoffeln zu allen Mahlzeiten verzehrt werde.“
"Die ländliche Oberschicht behauptete ihre autoritäre Führungsposition, gestützt durch überkommene und höchst bewusst beibehaltene Rechtsverhältnisse gerade in den selbstständigen Gutsbezirken, gestützt durch die politischen Eliten und durch die Kirchen. Die ländlichen Arbeits- und Sozialbeziehungen verharrten auch deshalb bis etwa 1900 in den genannten hierarchischen Gesellschaftsgruppen." Quellen: Gerhard A. Ritter, Klaus Tenfelde, Arbeiter im Deutschen Kaiserreich
Trotz dieses sehr unbefriedigenden Zustandes wuchs aber die Zahl der freien Landarbeiter beträchtlich an.
"Die Nachkommen der Insten verdingten sich als freie Landarbeiter und nötigten Instfamilien, die nicht in Deputantenstellen ohne Scharwerkforderung einrücken konnten, selbst diesem Weg zu folgen. Die Zahl der freien Landarbeiter stieg, durch den starken Zuwachs unterbäuerlicher Schichten bedingt, weit über die Kapazitätsgrenze des landwirtschaftlichen Arbeitsmarkts hinaus ständig weiter an, zumal auch nachgeborene Bauernsöhne, deren ausgezahlter Erbanteil nicht zu Pacht oder Anzahlung einer Kleinwirtschaft hinlangte, zunehmend den Wechsel ins freie Landarbeiterverhältnis dem herkömmlichen Weg des beschränkten sozialen Aufstiegs der Landlosen über den Gesindedienst zu Inststellen vorzogen."
Quellen: Oskar Mulert, Vierundzwanzig ostpreußische Arbeiterfamilien. Ein Vergleich ihrer ländlichen und städtischen Lebensverhältnisse Lebensmittelpreise um 1900 https://historischkochen.de/lebensmittelpreise-um-1900/
Die Attraktivität der 'freien' Landarbeit gegenüber der Kontraktarbeit lag bei allen Risiken dieser marktabhängigen Existenz in vergleichsweise hohen Geldlöhnen während der kurzen Hochsaison, freier Budgetgestaltung aufgrund der reinen Geldlöhnung, persönlicher Unabhängigkeit, räumlicher Ungebundenheit und, wie alle Berichte erkennen lassen, darin, daß es für die Tagelöhner Frauen nicht die zunehmend als erniedrigend empfundene Arbeitspflicht der Instfrauen gab.
Quelle: Klaus J. Bade, Land oder Arbeit? Transnationale und interne Migration im deutschen Nordosten vor dem Ersten Weltkrieg
VON DEN KRIESENBEWEGUNGEN 1814 - 1914
Diese Dimension enthält 8 Faktoren: die Staatenbünde, die Wirtschafsentwicklung, die Konjunkturzyklen, die Verschuldung, die Bevölkerungsentwicklung, die räumliche Verteilung, die Infrastruktur und die Staatliche Verwaltung in Ostpreußen etwa von 1814 - 1914.
Staatenbünde 1814 - 1871 mit Preußen
Nach den Staatsbünden soll auf die Wirtschaftsentwicklung in Preußen und Deutschland eingegangen werden.
Es gab im 19.Jahrhundert nach dem Wiener Kongress 1814 -1815 folgende Staatenbünde
- 1815 - 1820 Heilige Allianz
- 1815 - 1866 Deutscher Bund
- 1833 - 1871 Deutscher Zollverein
- 1866 - 1871 Norddeutscher Bund
- 1817 - 1918 Deutsches Kaiserreich
Die Bevölkerung in Europa wuchs 1800 von 187 Mio., über 266 Mio. im Jahre 1850 auf 401 Mio. im Jahre 1900. Dieser enorme Bevölkerungszuwachs musste ernährt und mit Arbeit versorgt werden. Die Folgen auf dem Lande waren in der ersten Jahrhunderthälfte u.a. Änderungen der Besitzrechte, Kultivierung von Brachland und eine verstärkte Modernisierung. Dazu kamen ab 1830 umfangreiche Binnen- und Auswanderungen. Auch in Ostpreußen stiegen die Einwohnerzahlen kräftig an. So wuchs im Landkreis Insterburg die Bevölkerung von 31.104 Einwohnern im Jahre 1818 auf 74.577 im Jahre 1900. Die wachsende Wirtschaft konnte aber nicht alle Teile der Bevölkerungszuwächse versorgen. Von 1831 - 1890 wanderten etwa 4,2 Mio. Deutsche aus.
Die wirtschaftliche Entwicklung in Europa des 19. Jahrhundert wurde häufig u.a. von machtpolitischen Entscheidungen gegenüber anderen Ländern überlagert. Es kam zu diplomatischen Drohungen, Grenzschließungen, Aushebung von Truppen und Verlegungen an die Grenzen, rechtsverstoßende Grenzüberschreitungen, Belagerungen, Besetzungen, Plünderungen und Brandschatzungen von fremden oder auch auf eigenen Gebieten, offene kriegerische Auseinandersetzungen und erzwungene Friedensschlüsse, die häufig mit Gebietsveränderungen und Kontributionen verbunden waren. Diese Macht-Ausübungen gingen in der Regel zu Lasten der betroffenen örtlichen Wirtschaft. Die europäischen Mächte versuchten durch zwischenstaatliche Verträge diese Gewalt zurückzudrängen, u.a. um sichere überregionale Wirtschaftsräume für ihre Bevölkerungen einrichten zu können. Im zersplitterten Deutschland entstanden auch deswegen zahlreiche Staatenbünde. Es soll zunächst auf deren räumliche Folgen für Deutschland eingegangen werden.
Es bedurfte neuer politischer Ideen, die umsetzbar waren, leistungsfähigere staatliche Organisationsformen, als den bisherigen Ständestaat und umfangreiche technische und wirtschaftliche Innovationen, wie z.B. die Einführung von Dampfmaschinen oder der Gewerbefreiheit. Dieser Umbau fand in Europa und besonders in Deutschland jedoch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit statt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts beeinflussten in Deutschland verschiedene wirtschaftspolitische Vorstellungen mit den langfristigen Wandel in der Landwirtschaft, die beginnende Industrialisierung und die zunehmende wirtschaftspolitische Integration. Preußen trieb besonders die wirtschaftspolitische Integration innerhalb des späteren Reichsgebietes teilweise zwangsweise voran - die Gründe lagen neben den machtpolitischen Vorstellungen seiner Eliten auch in den Preußischen Reformen.
Als Preußische Reformen werden die in den Jahren 1807–1815 eingeleiteten Reformen bezeichnet, die die Grundlage für den Wandel Preußens vom absolutistischen Stände- und Agrarstaat zum aufgeklärten National- und Industriestaat schufen. Nach dem Wiener Kongress 1815 betrieb König Friedrich Wilhelm III. den Wiederaufstieg Preußens zur Großmacht. Die Staatsreformen setzte er jedoch nicht fort, sondern betrieb eine Restaurationspolitik im Rahmen der "Heiligen Allianz" zusammen mit Russland und Österreich.
In Preußen entstand der Reformimpuls aus der Abwehr Frankreichs. Nach der provozierten Schlacht von Jena und Auerstedt im Oktober 1806 war der preußische Staat zusammengebrochen. Der Königshof floh, französische Besatzungstruppen zogen in Berlin ein. 1807 sah sich Preußen nach Fläche wie Bevölkerung auf die Hälfte reduziert. In dieser extremen Notlage entwarf ein kleiner Kreis von Angehörigen der Elite – Karl vom und zum Stein (1757-1831), Karl August von Hardenberg (1750-1822), Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und andere – ein Rettungsprogramm für Preußen, das zumindest teilweise verwirklicht wurde.
Der Ausdruck "Heilige Allianz" bezeichnet das Bündnis, das die drei Monarchen Russlands, Österreichs und Preußens nach dem endgültigen Sieg über Napoléon Bonaparte am 26. September 1815 in Paris abschlossen. Frankreich trat der Allianz 1818 bei.
Kerngedanke der Heiligen Allianz war die Sicherung eines „Ewigen Friedens“ durch konsequente Selbstverpflichtung europäischen Monarchen auf die Grundsätze einer christlichen Nächstenliebe, die in der Praxis der Monarchien in den bestehenden Herrschaftsordnung aber hauptsächlich durch die adligen Patriarchen aufgrund ihrer persönlicher Macht ausgeübt werden sollte (Paternalismus). „ … als die Richtschnur ihres Verhaltens in der inneren Verwaltung ihrer Staaten sowohl als durch in den politischen Beziehungen zu jeder anderen Regierung alleine die Gebote der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, die, weit entfernt, nur auf das Privatleben anwendbar zu sein, erst recht die Entschließung der Fürsten direkt beeinflussen und alle ihre Schritte lenken sollen, damit sie so den menschlichen Einrichtungen Dauer verleihen und ihren Unvollkommenheiten abhelfen.“ Quelle: Heilige Allianz – Wikipedia
Die Monarchen wollten einen großen Fürstenbund, in dem diese "Grundsätze des Christentums" als höchstes Gesetz des Völkerlebens gelten sollten. Die konservativen Mächte Russland, Österreich und Preußen vereinbarten dazu die Heilige Allianz, um dazu dieses "christliche Prinzip" dauerhaft durchzusetzen, obwohl die Herrscher der drei Mächte unterschiedlicher christlicher Religionen angehörten – der orthodoxen, der katholischen und der protestantischen Religion. Die Heilige Allianz begann in den 1820ern auf Grund von Differenzen zwischen den europäischen Herrschern über den Freiheitskampf Griechenlands und Belgiens zu zerbrechen.
Die Preußischen Reformen von 1807 - 1815 wurden nach 1815, nach dem Wiener Kongress, von Friedrich Wilhelm III. zwar nicht rückgängig gemacht, aber zum Teil erst auf Druck der Revolution in Preußen nach 1848 weitergeführt. 1824/1829 wurde Ostpreußen mit Westpreußen zur Provinz Preußen vereinigt.1816 wurde Theodor von Schön von König Friedrich Wilhelm III. zum Oberpräsidenten von Westpreußen ernannt und 1824, nach der Zusammenlegung dieser Provinz mit Ostpreußen, zum Oberpräsidenten der ganzen Provinz Preußen mit Sitz in Königsberg. Er führte die liberale Reformationspolitik in Ostpreußen bis 1840 weiter, wurden aber 1842 vom König entlassen. Ab 1878 wurde Ostpreußen wieder eine eigene Provinz.
Nach dem Friedenskongress von Münster und Osnabrück (1648) war der Wiener Kongress von 1814/15 der zweite große Versuch, die Verhältnisse unter den Staaten Europas so zu ordnen, dass neue Kriege erschwert würden. Der Wiener Kongress, der vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 stattfand, ordnete nach der Niederlage Napoleon Bonapartes in den Koalitionskriegen Europa neu. Nachdem sich das politische Europa als Nachwirkung der Französischen Revolution (1789–1799) und Napoleons Kriege (1796 - 1815) erheblich verändert hatte, sollten einerseits die alten Zustände wieder hergestellt, andererseits wurden zahlreiche Grenzen verändert und auch neue Staaten proklamierte, um den verschieden Machtinteressen und Volksgruppen gerecht werden zu können. Angestrebt wurde u.a. ein Macht-Gleichgewicht zwischen Russland, Preußen, Frankreich und England herzustellen, um den europäischen Frieden für längere Zeit bewahren zu können.
Der Wiener Kongress verhandelte in verschiedenen Kommissionen. Es gab unter anderem einen Ausschuss für die Deutschen, einen für die europäischen Angelegenheiten, einen für Gebietsfragen, einen für die Flussschifffahrt und einen für den Sklavenhandel.
Auf britischen Druck hin wurde in Artikel 118 der Kongressakte von Wien die Ächtung des Sklavenhandels („Die Declaration der Mächte über die Abschaffung des Negerhandels“, vom 8. Februar 1815) festgelegt. Das Übereinkommen verzichtete auf ein konkretes Umsetzungsdatum. Mit dem Beschluss der europäischen Großmächte wurde das Ende eines der ältesten Geschäftszweige der Geschichte eingeleitet. Es dauerte noch gut 150 Jahre, bis die letzten Länder auf die Sklavenhaltung verzichteten. Nach den USA im Jahr 1865 schaffte Brasilien 1888 als letzter Staat der Neuen Welt die Sklavenhaltung ab. Erst 1972 schaffte Oman die Sklaverei ab.
Außerdem wurde eine Übereinkunft über die Freiheit der internationalen Flussschifffahrt getroffen und eine Zentralkommission für die Rheinschifffahrt eingesetzt. Nach dem Wiener Kongress trat 1816 in Mainz eine Kommission (die spätere Zentralkommission für die Rheinschifffahrt) zusammen, um für die Rheinschifffahrt eine gemeinsame Übereinkunft der Rheinuferstaaten zu erarbeiten. Mit der Rheinschifffahrts-Akte vom 31. März 1831 (Mainzer Akte) wurde die Freiheit der Schifffahrt bis in das offene Meer garantiert, das Stapelrecht in Köln und Mainz abgeschafft und die Uferanliegerstaaten wurden verpflichtet, Schifffahrtshindernisse zu beseitigen. Die Rheinschifffahrt war für die West-Provinzen Preußens von großer Bedeutung.
Zu den Gebietsveränderungen zählten u.a.:
- Verlust der von Frankreich annektierten Gebiete
- Gebietsgewinne für Preußen, Russland, England und Österreich
- Teilung Polens
- Gebietsgewinn für den "Kranz mittlerer Staaten" (Schweden, Vereinte Niederlande, Sardinien - Piemont)
Zur weiteren territorialen Neuordnung siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Kongress#cite_ref-9
"Den Entscheidungen darüber, welcher Staat welche Territorien abzugeben hatte bzw. welche Territorien ihm zugeschlagen wurden, lagen Vorarbeiten einer „Statistischen Kommission“ zugrunde. In dieser Kommission hatten Fachleute, darunter Geographen, Ökonomen und Bevölkerungsstatistiker in aufwendiger Kleinarbeit den jeweiligen „Territorialwert“ veranschlagt, in den vor allem die Größe des Territoriums, seine Einwohnerzahl und dessen Ertragskraft einflossen. So ließen sich abgehende und gewonnene Territorien, Forderungen und Zugeständnisse näherungsweise miteinander verrechnen. Das Territorium Frankreichs war bereits vor Beginn des Kongresses im Ersten Pariser Frieden auf die Grenzen von 1792 zurückgeführt worden."
Nachdem Napoleon 1815 endgültig gestürzt worden war, wurde Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754-1838) nochmals für kurze Zeit Außenminister unter Ludwigs XVIII., dem er zum Thron verholfen hatte. Er vertrat Frankreich zwar als Verlierermacht auf dem Wiener Kongress von 1814/15, doch handelte er geschickt erst ein Mitspracherecht, dann eine bedeutende Bündnisposition Frankreichs mit Großbritannien und Österreich gegen Russland und Preußen aus. Er schaffte es, als Vertreter der Verliererseite so günstige Bedingungen auszuhandeln, dass Frankreich keine Gebietsverluste erleiden musste. Sein größter Erfolg war wohl die Wiederherstellung der Grenzen von 1792.
Drei Hauptziele wurden im Wiener Kongresses behandelt. Die Restauration und die Legitimität betrafen besonders Frankreich, einem wichtigen Gegenspieler von Preußen auf dem Wiener Kongress. Das Hauptziel der Solidarität wurde politisch zunächst von der "Heiligen Allianz" abgedeckt. Die stattgefundenen politischen Entwicklungen in Frankreich vor und nach dem Wiener Kongress beeinflussten in starkem Maße auch die Entwicklung in Deutschland. Deshalb soll auf die französische Entwicklung kurz eingegangen werden. Frankreich war der „Erbfeind“ Preußens. Der Begriff bezog sich auf die Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich von den vier Reunionskriegen (1667 – 1697) über die sechs Koalitionskriege (1791 – 1813), die Befreiungskriege (1813 – 1815) und den Deutsch-Französischen Krieg von 1870 - 1871 bis zum Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die Kriege zwischen 1792 und 1815 hatten zahlreiche Regionen Europas verwüstet. Mindestens 2,5 Millionen, nach anderen Schätzungen sogar bis zu fünf Millionen Bewohner des Kontinents hatten ihr Leben verloren, prozentual etwa derselbe Anteil von Opfern, den später der Erste Weltkrieg fordern sollte.
- Seit Anfang der 1780er Jahre stand Frankreich kurz vor dem Staatsbankrott. Ein vom Finanzminister Calonne am 29. 1.1787 vorgelegter Plan zur Sanierung der Staatsfinanzen wurde abgelehnt. Daraufhin fordern Angehörige aller Stände die Zusammenkunft der Generalstände. Um den drohenden Staatsbankrott zu vermeiden, rief König Ludwig XVI. alle Vertreter des Klerus (1. Stand), des Adels (2. Stand) und der restlichen Bevölkerung (3. Stand, bestehend aus Besitz- und Bildungsbürgertum sowie Handwerker und Bauern) zusammen. Die Landarbeiter gehörten keinem Stand an.
- Der 1. Stand, die Geistlichen hatte 300 Abgeordnete. Er war von direkten Steuern befreit, machte 0,5 % der Bevölkerung aus und besaß 10 - 15 % der Bodenfläche.
- Der 2. Stand, der Adel hatte 300 Abgeordnete. Er war von direkten Steuern befreit, machte 1,5 % der Bevölkerung aus und besaß 20 - 25 % der Bodenfläche.
- Der 3. Stand, Bürger, Handwerker und Bauern hatte 600 Abgeordnete. Er hatte eine hohe Steuerlast, machte 98% der Bevölkerung darunter ca. 70 % Bauern und Tagelöhner und 28 % Besitz- und Bildungsbürger und besaß 65% der Bodenfläche.
- Die französischen Generalstände trafen sich ab dem 1. 5. 1789 in Versailles. Die sich weiter verschlechternden Lebensbedingungen des Volkes führten am 14. 7. 1789 mit dem Sturm auf die Bastille zum Beginn der Französischen Revolution. Die Verfassunggebende Nationalversammlung hob am 4. 8.1789 sämtliche Privilegien des Adels und des Klerus auf. Auch das Feudalsystem wurde abgeschafft. Die Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte am 26. 8. 1789 wird die zentraler Errungenschaft der Französischen Revolution. Die am 3. 9.1791 verabschiedete Verfassung machte Frankreich zu einer konstitutionellen Monarchie. Die am 21. 9. 1789 – erstmals nach allgemeinem Wahlrecht statt nach Steueraufkommen – gewählte Nationalkonvent schaffte die Monarchie ab und rief die Erste Französische Republik aus. Nach der versuchten Flucht des Königs wurde dieser verhaftet und am 21.1.1793 hingerichtet. Formell ging die Erste Republik 1804 mit der Krönung Bonapartes zum Kaiser Napoléon und der Errichtung des Ersten Kaiserreichs in Frankreich zu Ende.
- In Europa sollte der politische Zustand vor 1789 durch die Restauration der vorrevolutionären politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wieder hergestellt werden. Die Restauration sollte aber nicht so weit gehen, dass alle seit 1789 eingetretenen wirtschaftlichen Veränderungen wieder rückgängig gemacht werden sollten. Obwohl Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Stellung mehr Macht auf sich vereinigte als jeder frühere französische Monarch, bedeutete seine politische Ordnung keine Rückkehr zum Ancien Regime; die französische Gesellschaft behielt ihren Nachrevolutionären Charakter. Frankreich wollte seine wirtschaftlichen und politischen Verluste durch Napoleons Kriege wieder ausgleichen und Großmacht bleiben. Beides ging aber nur langsam voran. Die Industrialisierung Frankreichs begann spät und verlief so zögerlich, dass man nicht von einer „Industriellen Revolution“ sprechen konnte. In Frankreich gab es nur wenige, gut zugängliche Bodenschätze an Steinkohle und Eisenerz, anders als in Großbritannien, Belgien oder Deutschland. Sie lagen überwiegend in Randgebieten. Zudem standen weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, weil die Bevölkerung nicht so rasant wuchs, wie in Großbritannien und Deutschland und weil das Ackerland in der Französischen Revolution den Bauern übereignet wurde: So gab es wenige besitzlose Landarbeiter. Zugleich entfiel mit der Abschaffung des Großgrundbesitzes eine Quelle für das Investitionskapital im industriellen Sektor.
- Die politische Entwicklung in Preußen wurde schon vor dem Wiener Kongress durch die gesellschaftlichen Entwicklungen in Frankreich stark beeinflusst. 1789 begann die Französische Revolution, welche auch erhebliche Auswirkungen auf die deutschen Staaten hatte. Bereits 1792 schlossen sich Preußen und Österreich in einer Koalition gegen das revolutionäre Frankreich zur Verteidigung der Monarchie zusammen. 1791 entschlossen sich Österreich und Preußen in der Pillnitzer Deklaration zu einem gemeinsamen Bündnis gegen Frankreich. Dieser Koalition schlossen sich wenig später u.a. Großbritannien, Spanien und Neapel an. Frankreich reagierte auf dieses Vorgehen am 20. April 1792 mit einer Kriegserklärung, die den Ersten Koalitionskrieg einleitete. In den folgenden fünf Koalitionskriegen 1801 - 1813 eroberte Frankreich weite Teile Europas. Der Russland Feldzug 1812 leitete durch die zeitlich folgenden Befreiungskriege (1813 – 1815) die Niederlage Frankreichs ein.
- Die bürgerlich demokratischen Februarrevolution von 1848 in Frankreich führte zur Ausrufung der Zweiten Französischen Republik unter Napoleon III. Sie war Mitauslöser der Deutschen Revolution 1848/49. Der Neffe des ehemaligen Kaisers Napoleon Bonaparte, Louis Napoléon Bonaparte, wurde am 10. Dezember 1848 zum Staatspräsidenten gewählt. Die Republik hielt jedoch nur drei Jahre. Diese Zeit nutzte Louis Napoléon, um von langer Hand den Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 vorzubereiten und begründete das zweite Kaiserreich Frankreichs. Er ließ sich, ein Jahr nach erfolgreichem Staatsstreich, bei dem ihm diktatorische Vollmachten zuerkannt wurden, zum Kaiser Napoleon III. erklären. Nach dem verlorenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurde Napoleon III. am 4.9.1871 abgesetzt und die Dritten Französische Republik (1871 - 1946) ausgerufen. Die Vierte Französische Republik dauerte von 1946 - 1958, die Fünfte Republik ab 1958 bis heute.
- Europa sollte einen solidarischen gegenseitigen Schutz fürstlicher Interessen vor revolutionären Ideen und nationale Bewegungen erhalten. Europas Adel hatte mit großer Furcht die Hinrichtung des französischen Königs wahrgenommen und fürchtete um seinen Einfluss und seine eigene Existenz.
Eine weitere Kommission der Wiener Verhandlungen betraf Deutschland. Die Gründung des Deutsche Bundes war ein weiteres zentrales Ergebnisse des Wiener Kongresses. Nach dem Wiener Kongress wurden 1815 die auf dem linken Rheinufer liegenden französisch besetzten Gebiete auf Preußen, Hessen und Bayern verteilt. Die von Frankreich eingeführte moderne Rechts- und Kommunalordnung wurde aber in diesen Gebieten weitgehend übernommen. Der napoleonische Code civil als bürgerliche Rechtsordnung blieb bis zum Inkrafttreten des BGB am 1. Januar 1900 in allen linksrheinischen Territorien weiterhin erhalten.
Preußen erzielte im rohstoffreichen Westen Deutschlands erhebliche Gebietszuwächse und erhielt die Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg und Westfalen und das Großherzogtum Niederrhein. Es entstanden die preußische Rheinprovinz mit den Regierungsbezirken Koblenz (Sitz des Oberpräsidenten), Düsseldorf, Aachen, Köln, Trier und Wetzlar und die preußische Provinz Westfalen mit der Provinzialhauptstadt Münster. Das von Napoleon I. für seinen Bruder Jérôme geschaffene Königreich Westphalen (1807–1813) war räumlich nicht identisch mit dem Herzogtum bzw. der Provinz Westfalen.
Die Nichtaufnahme der Provinzen West- und Ostpreußen in den Deutschen Bund war 1815 noch damit begründet worden, daß die „Preußischen Lande Königlich Polnischen Anteils“ und das Herzogtum Preußen – beide hervorgegangen aus dem 1466 im Zweiten Thorner Frieden aufgelösten Staat des Deutschen Ordens – schon vorher nicht zum 1806 aufgeteilten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gezählt hatten und damit auch keine zum Deutschen Reich gehörende Besitzungen im Sinne der Bundesakte gewesen waren.
1848–1851 kamen aufgrund eines Bundestagsbeschlusses Preußens östliche Provinzen West- und Ostpreußen und – vorbehaltlich einer Regelung für die polnische Bevölkerung – Posen doch zum Deutschen Bund. Preußen ließ diese Aufnahme doch 1851 rückgängig machen, um damit eine Auseinandersetzung mit Österreich zu vermeiden. Als offizielle rechtliche Begründung für den geplanten Austritt – dem auch die Abgeordneten der Provinz Preußen nicht widersprachen – wurden die 1848 geführten Aufnahmebeschlüsse angeführt: es habe damals keinen Plenarbeschluss über den Beitritt gegeben, der aber eigentlich Voraussetzung für die Aufnahme gewesen sei. Am 3. Oktober 1851 erklärte die Bundesversammlung in Frankfurt am Main, „daß die Provinzen Ost- und Westpreußen sowie die im Bundestagsprotokoll vom 22.4. und 1.5.1848 bezeichneten Teile des Großherzogtums Posen nicht als zum Deutschen Bund gehörig zu betrachten seien."
Erst 1866 sorgte Bismarck dafür, daß die Ostprovinzen in den Norddeutschen Bund aufgenommen wurden. Und mit der Reichsgründung 1871 wurden West- und Ostpreußen auch Teile des Deutschen Reiches.
Die Jahre 1846 und 1847 waren durch die letzte große Hungersnot der vorindustriellen Zeit geprägt. Witterungsbedingte Missernten und die zusätzlich seit 1844 grassierende Kartoffelfäule dezimierten die Vorräte an Grundnahrungsmitteln und führten zu deren Verknappung. Damit einher gingen Teuerungen, die es besonders unausgebildeten Handwerkern und Hilfsarbeitern unmöglich machten, ausreichend Nahrung für sich und ihre Familien zu kaufen. Das zu geringe Angebot an Nahrung und mangelhafte Strategien der Krisenbewältigung der deutschen Staaten mündeten in zahlreiche Protestaktionen, die sich im Frühjahr 1847 über ganz Deutschland ausbreiteten, wodurch ein Nährboden entstand, aus dem sich auch die Revolution von 1848/49 speiste. Unter Friedrich Wilhelm IV. (1795 - 1861, preußischer König seit 1840) verschärfte sich der Gegensatz zum bürgerlichen Liberalismus im Vormärz. In der Deutschen Revolution 1848/49 hatte der König die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angetragene Kaiserkrone abgelehnt, da ihr der "Ludergeruch der Revolution" anhafte. Anschließend verlassen viele Abgeordnete die Nationalversammlung, da sie die Revolution als gescheitert ansehen.
Die Demokratiebewegung von 1848 hat einen ihren Schwerpunkt in Königsberg. Dieser wurde repräsentiert von Persönlichkeiten wie Eduard von Simson, Präsident der Frankfurter Nationalversammlung 1848, und von Johann Jacoby, ebenfalls Mitglied der Nationalversammlung, dazu Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, Vorkämpfer für die Emanzipation der Juden in Preußen und Gegner Bismarcks. Zur liberalen Königsberger Gemeinde zählten auch z. B. der Theologe Julius Rupp, Großvater von Käthe Kollwitz, dem Gründer der ersten freikirchlichen Gemeinde in Deutschland, und der Prediger Daniel Détroit, der für die Französisch-Reformierte Gemeinde in Königsberg ein eigenes reformatorisches Bekenntnis entwickelte
In Preußen bestanden Auswanderungsverbote noch bis 1825; wer danach auswandern wollte, musste erst allen rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, wie z.B. Wehrdienst, Eheversprechen, Straffreiheit oder Schuldenabbau. Gerade den Wehrdienst und die Straffreiheit versuchten viele Auswandere durch Namensänderungen zu umgehen. Es gab noch keine offiziellen Personalpapiere und „spezielle Schreibstuben“ boten hier ihre Dienste an. Die Passkarte als Vorläufer des Personalausweises wurde seit dem Aufkommen der Eisenbahn seit 1850 von den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes als Ausweisdokument eingeführt. Daneben gab es alle möglichen Identifizierungsausweise wie Arbeitsbuch, Soldbuch, Familienstammbuch usw..
Die mit der Niederschlagung der Revolution und der nachfolgenden Reaktionsära einhergehende Verfolgung von Anhängern einer liberalen, vor allem aber einer republikanisch-demokratischen oder sozialistischen Gesinnung veranlasste in den Jahren nach 1848/49 Zehntausende zur Flucht aus den deutschen Staaten. Sie fanden zunächst vor allem in Frankreich, England, der Schweiz oder den USA Asyl. Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 sahen auch viele politisch Enttäuschte in der Auswanderung einen Ausweg aus den reaktionären Verhältnissen in Deutschland. Der größte Anteil der Auswanderer bestand aber aus Wirtschaftsflüchtlingen.
Dabei wurden drei Hauptursachen für die Auswanderung zu genannt: 1. Wirtschaftliche Gründe 2. Religiöse Gründe 3. Politische Gründe
Im 19. Jahrhundert gab es aus Deutschland drei große Auswanderungswellen, wobei es unterschiedliche Angaben über die Höhe und zu den Anlässen gibt.
Die Zeitblöcke der Auswanderung aus Deutschland ergeben sich aus den vorliegenden Statistiken.
1. Welle: Von 1831 bis 1860 wandern ca. 1.539.000 deutsche Migranten aus. 1833 wurde der Deutsche Zollverein gegründet. Zwar führten der Deutsche Zollvereine u.a. zu einem wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland. 1830 – 1850 begann die Industrialisierung und von 1848 – 1861 fanden die "Goldene Jahre der Landwirtschaft“ statt. Die "Goldene Jahre der Landwirtschaft" von 1848 - 1861 führten zu einer Getreidekonjunktur und Bevölkerungswachstum, die Einwohnerzahl in Ostpreußen verdoppelt sich von 1846 von 0,92 Mio. auf 1,80 Mio. Einwohner im Jahre 1862. Die sich verändernde Wirtschaft konnte aber die wachsende Bevölkerung nicht vollständig ernähren. Die Gründe für die erste große Auswandererwelle waren Nachwirkungen der „Bauernbefreiung“, Übervölkerung, Missernten, sowie das Scheitern der Revolution von 1848. Die Jahre 1846 und 1847 waren durch die letzte große Hungersnot der vorindustriellen Zeit geprägt. Witterungsbedingte Missernten und die zusätzlich seit 1844 grassierende Kartoffelfäule führten zu großen Hungersnöten. Dazu kamen die Fluchtbewegung nach 1848 aus politischen Gründen, aufgrund der niedergeschlagenen Deutschen Revolution.
2. Welle: Von 1861 bis 1880 wandern ca. 1.445.000 deutsche Migranten aus. 1866 wurde der Norddeutsche Bund gegründet, 1871 das Deutsche Kaiserreich. Nach dem US-amerikanischen Bürgerkrieg (1861–65) gab es eine starke Ausweitung der Getreideimporte europäischer Länder aus den USA. Deutschland wandelte sich bis in die 1870er Jahre von einem wichtigen Getreideexporteur zu einem wichtigen Importeur. Hierunter litt besonders Ostpreußen, wo Teile der Landbevölkerung ihre Existenz verloren. Die Fluchtbewegung der 2. Welle entsteht aus wirtschaftliche Gründen, aufgrund der Erste Weltwirtschaftskrise. Es herrscht die Große Depression und die Gründerzeit Krise in Deutschland. Im Frieden von Frankfurt verpflichtete sich Frankreich, nachdem es im Deutsch-Französischen Krieg (1870/1871) besiegt worden war, zu Reparationszahlungen in Höhe von fünf Milliarden Francs in Gold. In Deutschland wurde dieses Gold eingeschmolzen und zu eigenen Münzen (der goldgedeckten Währung Mark) geprägt. Zur gleichen Zeit verkaufte Deutschland seine Silberbestände und kaufte weiteres Gold auf dem Weltmarkt zu. Es kommt zu einem Wirtschaftsboom in Deutschland. Der Bergbau und die Industrie im Westen benötigen dringend Arbeitskräfte aus dem Osten. Im Anschluss an die Boomjahre der Gründerzeit kam es 1873 zum sogenannten Gründerkrach, in dessen Folge allein in Deutschland und Österreich über 60 Banken insolvent wurden. Diese Krise wurde durch die Überhitzung der Volkswirtschaft verursacht. Fabriken und Firmen waren durch überhöhten Krediten aufgebaut oder übernommen worden. Daraufhin stiegen Ende 1873 die Zinsen für Kredite stark an, was besonders Eisenbahngesellschaften in große Bedrängnis brachte. In der Industrie ging die Produktion stark zurück, es kam zu umfangreichen Entlassungen und Lohnkürzungen. Ein allgemeiner Rückgang der Nachfrage, der Kaufkraft, des Konsums, der Investitionen und der Preise (Deflation) war zu verzeichnen. Der Kurswert von 444 deutschen Aktiengesellschaften sank vom Dezember 1872 bis zum Dezember 1874 um ca. zwei Milliarden Mark. Offenbarungseide, Suizide und Familientragödien häuften sich im Bürgertum. Es wurden aber hauptsächlich Industriearbeiter, die aus dem Osten zugewandert waren, entlassen. Der deutsche Westen stellte in dieser Periode das Hauptkontingent der Auswanderer.
3. Welle: Von 1881 bis 1890 wandern ca. 1.280.000 deutsche Migranten aus. Von einem Kontinent zum anderen gelangte man zunächst nur durch gefährliche und beschwerliche Seereisen per Segelschiff. Von England aus war ein Segelschiff bis nach Australien sieben bis acht Monate unterwegs. Nach Australien wanderten 1871 – 1880: 9.902 Personen und 1881 – 1891: 7.851 Personen aus dem Deutschen Reich aus, nach den USA waren es 1871 - 1880: 555.866 Personen und 1881 - 1891: 134.1097 Personen. Die Dampfschiffe lösen die Segelschiffe ab. Die Segelschiffsreise dauerte von Hamburg nach Neu York etwa 35 Tage, Dampfschiffe mit Schraubenantrieb - ab 1836 - brauchten etwa 14 Tage. Sie hatten ein größeres Landevolumen und waren wetterunabhängig. Eine Überfahrt nach New York kostete in den 1880er Jahren mehr (um die 34 Thaler etwa 160 Mark) als das Jahresgehalt eines einfachen Landarbeiters einbringen konnte (um die 24 Thaler etwa 113 Mark). 1873 betrug der durchschnittliche Jahreslohn eines Landarbeiters in Masuren 69 Mark. Die Mehrzahl der Emigranten reist auf dem fensterlosen Zwischendeck. Dafür bekommen die Zwischendeckspassagiere wenig geboten: Schlechte Durchlüftung, Platzmangel, Nässe und die Folgen der Seekrankheit machen den Menschen zu schaffen, Nahrungsmittel waren mitzubringen. An Deck dürfen sie nur begrenzt, bei Sturm gar nicht. Viele Auswandere verschuldeten sich im Voraus bei zweifelhaften Banken in den Zielländer, um dann in der neuen Heimat ihre Schulden oft über mehrere Jahre unter ausbeuterischen Bedingungen bei ihren Kreditgebern abzuarbeiten. Der steigende Lebensbedarf im Deutsche Reich und der Einfuhrbedarf in Europa führte zu gewaltige Verbesserung der kontinentalen und ozeanischen Verkehrsmittel. Auf der Rückfahrt transportierten die Auswanderschiffe diese begehrte US-Produkte, wie Baumwolle, industrielle Halbprodukt und später auch Getreide. Amerika wurde das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“, es hieß "Beine hoch Amerika" Der Gegensatz zu den deutschen Verhältnissen war so groß, dass die Auswanderung als Ausweg aus allen Schwierigkeiten empfunden wurde. Landarbeiter, die keine Arbeit fanden, stand der Weg über das große Wasser offen. Der deutsche Osten stellte in dieser Periode das Hauptkontingent der Auswanderer.
1901 ließ der Generaldirektor der Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag), Albert Ballin, auf der Elbinsel Veddel in Hamburg Massenunterkünfte für tausende Auswanderer errichten, die aus ganz Europa jede Woche in der Stadt ankamen. Die HAPAG, die Auswanderer, deren Einreise in die USA abgelehnt wurde, auf eigene Kosten zurückbringen musste, bot an, in Hamburg Unterkünfte einzurichten. Dies ermöglichte es, die Auswanderer vor ihrer Abfahrt zu überprüfen und sie 14 Tage in Quarantäne zu legen.
Die „Auswandererbaracken“ am Amerika-Kai des Hamburger Hafens wurden am 20. Juli 1892 eröffnet und rund 1400 Leute wurden hier in – selbst für diese Zeit – sehr notdürftigen Unterkünften einquartiert. Alle ankommenden Auswanderer, die eine Schiffspassage im Zwischendeck hatten, mussten dort wohnen. Den anderen war es erlaubt, wie zuvor in der Stadt zu bleiben. 1898 benötigte Hamburg den Grund, auf dem die Auswandererbaracken standen, zur Hafenerweiterung und bot als Alternative den Stadtteil Veddel an.
Hier eröffnete die HAPAG 1901 die „Auswandererhallen“. Durch diese speziell gebauten Baracken, die einen eigenen Eisenbahnanschluss hatten, konnte die Welle der Emigranten – meist aus osteuropäischen Ländern – um die Stadt herumgeleitet werden. Die neue Anlage bot in 15 Gebäuden Platz für 1200 Personen. Für zwei Mark pro Tag bekommt ein Auswanderer ein Bett und drei Mahlzeiten. Es gab fünf Schlaf- und Wohnpavillons, zwei bequemere Unterkünfte („Hotel Nord“ und „Hotel Süd“), eine große Speisehalle, Wasch- und Sanitäreinrichtungen in jedem Schlafpavillon, eine Synagoge und eine Kirche für die beiden christlichen Konfessionen sowie ein Verwaltungsgebäude. Darüber hinaus gab es einen Musikpavillon, in dem Konzerte stattfanden, ein Lazarett, Gepäckschuppen und einen Stall. 1905 wurden in der Nähe weitere acht Baracken errichtet.
Anfang des 20. Jahrhunderts stieg die Zahl der Auswanderer über Hamburg so stark, dass die Anlagen 1906/07 durch zusätzliche 18 Unterkünfte, einen Block mit getrennten Küchen und Speiseräumen für Juden und Christen sowie ein großes Empfangsgebäude erweitert wurden. Am Ende dieser zweiten Entwicklungsphase bestanden die Auswandererhallen aus 30 Gebäuden auf 12,4 Morgen Land. 1913 wurde die Höchstmarke von über 170 000 Emigranten erreicht. Hamburg war Deutschlands größter Auswanderungshafen geworden. Zwischen 1891 und 1914 wanderten fast 1,9 Millionen Menschen aus ganz Europa über den Hafen an der Elbe aus, die überwiegende Mehrheit in die USA. Sie war das Hauptziel der europäischer Auswanderer während der Jahrhundertwende geworden.
Die gesamte Auswanderung wird für 1820 - 1887 auf 18,6 Millionen Europäer geschätzt. Davon entfallen auf: Großbritannien: 7,5 Mio. Personen, Irland: 3,5 Mio. Personen, Deutschland: 4,2 - 5,0 Mio. Personen, Italien: 0,9 Mio. Personen, Skandinavien: 0,9 Mio. Personen, Frankreich: 0,4 Mio. Personen und Österreich - Ungarn: 0,35 Mio. Personen.
Quelle: https://wiki.genealogy.net/Deutsche_Auswanderer
Die Wanderungen in Ostpreußen betrafen hauptsächlich Binnenwanderungen. Die Abwanderungen in Ostpreußen setzen um 1870 nach dem Ausbau der Eisenbahn im großen Stil ein. Sie waren um die Jahrhundertwende besonders hoch und gingen auch nach dem Ersten Weltkrieg zunächst nicht zurück. In den 40 Jahren zwischen 1871 und 1910 wanderten jährlich durchschnittlich zwischen 20.000 und 30.000 überwiegend junge ostpreußische Männer in das Reich ab, d.h. etwa eine Million Menschen verließen in diesem Zeitraum ihre Heimat. Der Anteil der Ostpreußen an den Überseemigranten war relativ gering, da die entsprechenden Informationen auch von den Gutsbesitzern unterdrückt wurden. Sie und die Provinzregierung hofften dagegen auf eine Rückkehr der Reichswanderer, die sich aber nicht erfüllte.
Der Deutsche Bund hatte die Aufgabe, für die innere und äußere Sicherheit der Gliedstaaten zu sorgen. Der Deutsche Bund war ein Staatenbund, auf den sich im Jahr 1815 die „souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands“ und der Kaiser von Österreich und der Könige von Preußen (er handelte für das bestehende Königsreich Preußen), von Großbritannien (er handelte nur für das Königsreich Hannover), von Dänemark (er handelte nur für das Herzogtum Holstein) und der Niederlande (er handelte nur für das Großherzogtum Luxemburg) geeinigt hatten. Am 8. Juni 1815 beschlossen die versammelten europäischen Mächte mit der Deutschen Bundesakte die völkerrechtliche Grundlage des Deutschen Bundes; nach der Wiener Schlussakte war er ein „völkerrechtlicher Verein“ (Art. I) und besaß das Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schließen. Oberhaupt des Bundes war der preußische König als Inhaber des Bundespräsidiums. Verantwortlicher Minister war der Bundeskanzler. Der Deutsche Bund stabilisierte die politische Geografie Mitteleuropas. Von ungefähr 300 selbstständigen politischen Einheiten in Deutschland um 1789 waren 1815 nur noch 38 übrig geblieben Der Deutsche Bund bestand mit erst 38, später aus 41 Mitgliedern. In propagandistisch geschürter Franzosenfeindschaft schien sich eine gesamtdeutsche Identität zu stärken.
Mit der Gründung des Deutschen Bundes 1815 setzte eine zweite Phase des Bevölkerungswachstums in Deutschland ein, das jetzt viel schneller erfolgte als in der vorhergehenden Periode im 18. Jahrhundert und während des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts - nach der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 - zu einem starken Bevölkerungswachstum führte.
Der Deutsche Bund Bedeutung hatte mit seiner Innenpolitik wirtschaftlich nur teilweise Erfolge. Es gab problematischen Gegensätze von Agrar- und Industriegesellschaften, von protestantischem Norden und katholischem Süden sowie zwischen konstitutionellen und absoluten Monarchien innerhalb des Bundesgebiets. Zwar gab über die in Artikel 19 der Bundesakte vorgesehenen gemeinsame Wirtschafts-, Handels- und Verkehrspolitik zahlreiche Debatten, auch wurden zahlreiche Vorlagen erarbeitet, doch zu wesentlichen Entscheidungen kam es hier nicht. Es entstanden aber zunächst verschiedenen Zollvereine, die damit geplante und nicht zustande gekommene Aufgaben des Bundes real übernahmen. Der Deutsche Zollverein löste dann 1833 den Preußischen Zollverein, den Preußisch-Hessischen Zollverein, den Mitteldeutschen Handelsverein und den Süddeutschen Zollverein ab. Der Deutsche Zollverein wurde von Preußen dominiert. West- und Ostpreußen wurden aber nicht Mitglied des Deutsche Zollvereins.
Der Deutsche Bund Bedeutung verfolgte mit seiner Innenpolitik repressive Ziele. Die Karlsbader Beschlüsse waren das Resultat der Ministerialkonferenzen vom 6. bis 31. August 1819 im damals böhmischen Karlsbad, das zum Kaisertum Österreich gehörte. Vertreter der einflussreichsten Staaten des Deutschen Bunds beschlossen dort repressive Obrigkeitsmaßnahmen, die sich gegen die deutsche Nationalbewegung und gegen liberale Forderungen nach Verfassung richteten. Namentlich wurden die Burschenschaften verboten, die Freiheit der Lehre an den Universitäten und die Meinungsfreiheit beschränkt und eine allgemeine Zensur eingeführt (Demagogen Verfolgung). Die Karlsbader Beschlüsse blieben bis zur Deutschen Revolution von 1848 in Kraft. Einige der klügsten Köpfe wie Heinrich Heine (1797-1856), Ludwig Börne (1786-1837) oder Karl Marx (1818-1883) gingen ins Exil.
Es verfestigten sich in den verschiedenen Einzelstaaten wirtschaftlich unterschiedliche Entwicklungsgebiete, die räumlich häufig über die Gründung des Norddeutsche Bund 1866 und der Reichsgründung 1871 hinaus bestand hatten. Die Vorbereitungsphase der Industrialisierung in Deutschland begann etwa 1790. Das eigentliche Einsetzen der Industrialisierung fand in den Einzelstaaten unterschiedlich, etwa in einem Zeitfester zwischen 1830 und 1850, statt. Ein Impuls wirtschaftlicher Dynamik war die zaghaft beginnende Industrialisierung ab Mitte der 1830er-Jahre. Sie wurde einerseits durch die Baumwollspinnerei und die Bergwerke getragen andererseits durch den Eisenbahnbau, der in den 1840er-Jahren seinen ersten Boom erlebte. In Baumwollfabriken stellten Frauen und Kinder sogar 50 bis 80 Prozent der Arbeitskräfte. Die Eisenbahn hatte eine doppelte Wirkung: Einerseits erleichterte sie als Verkehrsmittel den Transport von Personen und Gütern. Andererseits wurde sie zum Wachstumsmotor, indem sie selbst eine riesige Nachfrage nach Investitionen und Arbeitsleistungen schuf.
- Die erste Gruppe umfasste deutlich industrialisierte Gebiete wie das Königreich Sachsen, die Rheinprovinzen Preußens, die Rheinpfalz und das Großherzogtum Hessen.
- Eine zweite Gruppe umfasste solche Regionen, in denen zwar einige Branchen oder Teilregionen als Vorreiter der Industrialisierung erscheinen, das Gesamtgebiet aber nicht als industrialisiert gelten konnte. Dazu zählten das Königsreich Württemberg, das Großherzogtum Baden, die preußischen Provinzen Schlesien, Westfalen und Nassau.
- In einer dritten Gruppe fanden sich Regionen, in denen es zwar frühindustrielle Ansätze in einigen Städten gab, die aber ansonsten eine vergleichsweise geringe gewerbliche Entwicklung aufwiesen. Dazu rechneten das Königreich Hannover, die spätere Provinz Hannover und der spätere bayrische Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken.
- Die vierte Gruppe bestand aus Gebiete, die ganz überwiegend landwirtschaftlich geprägt waren und deren geringes Gewerbe meist handwerklich ausgerichtet war. Dazu zählen das Großherzogtum Mecklenburg und die preußischen Provinzen Posen und Ost- und Westpreußen.
In den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hatten mehrere deutsche Staaten, darunter auch Preußen, ein sehr gemischtes Sammelsurium von verschiedenen Binnenzöllen durch einheitliche Außenzölle ersetzt. Um 1790 gab es in Deutschland 1800 Zollgrenzen. Allein innerhalb der preußischen Staaten gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts über 67 lokale Zolltarife mit ebenso vielen Zollgrenzen. Bei einem Transport von Königsberg nach Köln beispielsweise wurde die Ware etwa achtzigmal kontrolliert.
Im Rahmen der Preußische Reformen wurde das Preußische Zollgesetz vom 26. Mai 1818 - das "Gesetz über den Zoll und die Verbrauchssteuer von ausländischen Waren und über den Verkehr zwischen den Provinzen des Staates" - erlassen. Es schuf einen einheitlichen Wirtschaftsraum im Königreich Preußen und gilt als Vorläufer des Deutschen Zollvereins von 1834. Das Zollgesetz hob alle Binnenzölle zwischen den preußischen Provinzen auf. Alle Importwaren wurden mit einem mäßigen Zoll von einem halben Taler pro Zentner belegt. Dieser niedrige Zollsatz sollte den Import fördern
In Preußen waren mit dem Zollgesetz von 1818 alle innerstaatlichen Handelsschranken gefallen. Dies begünstigte zwar die Verstärkung der regionalen Binnenmärkten in Preußen, erschwerte jedoch die für die wirtschaftliche Entwicklung ebenfalls wichtige Entwicklung von Staatsgrenzen überschreitenden Märkten. Dies galt besonders für den Wirtschaftsverkehr zwischen Neu-Preußen und Alt-Preußen, den westlichen und östlichen Teilen Preußens, der zu dieser Zeit noch über die Staatgebiete des Königreiches Hannover geführt werden musste.
Die Nachbarstaaten folgten dem preußischen Zoll-Beispiel nicht und blieben bei ihrer protektionistischen Handelspolitik. Sie versuchten durch Handelshemmnisse preußische Anbieter auf ihrem Inlandsmarkt zu benachteiligen, um inländische Anbieter vor preußischer Konkurrenz zu schützen. Auch deshalb setzten rasch u.a. preußische Bemühungen zur überstaatlichen Integration der Zoll- und Handelspolitik ein, die 1834 in die Bildung des Zollvereins mündeten.
Der Deutsche Zollverein war ein Zusammenschluss von deutschen Staaten nur für den Bereich der Zoll- und Handelspolitik. Der Zollverein trat durch den am 22. März 1833 unterzeichneten Zollvereinigungsvertrag am 1. Januar 1834 in Kraft. Der Zollverein war kein Teil des Deutschen Bundes, sondern ein eigenständiger Zusammenschluss in Form eines Vereins. Da ihm im Laufe der Zeit fast alle Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes außer Österreich beitraten, nahm er die wirtschaftliche Einigung Deutschlands der politischen Reichsgründung des Jahres 1871 vorweg.
Die Grundprinzipien des Zollvereins waren
- Getrennte Außenzollverwaltungen der Einzelstaaten wurden beibehalten.
- Beseitigung gemeinsamer Zollgrenzen
- Einnahmen wurden durch zentrales Büro in Berlin nach Maßgabe der Bevölkerungsgröße über Einzelstaaten verteilt.
So stellte Hoffmann von Fallersleben bereits 1840 die ökonomischen Auswirkungen des Zollvereins in einen ironischen Kontrast zum Deutschen Bund in seinem Lied „Der Deutsche Zollverein“: „Schwefelhölzer, Fenchel, Bricken, Kühe, Käse, Krapp, Papier, Schinken, Scheeren, Stiefel, Wicken, Wolle, Seife, Garn und Bier; Pfefferkuchen, Lumpen, Trichter, Nüsse, Tabak, Gläser, Flachs, Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter, Rettig, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs! Und ihr andern deutschen Sachen, Tausend Dank sei euch gebracht! Was kein Geist je konnte machen, Ei, das habet ihr gemacht: Denn ihr habt ein Band gewunden Um das deutsche Vaterland, Und die Herzen hat verbunden Mehr als unser Bund dies Band.“ Quelle: Hoffmann von Fallersleben: „Der Deutsche Zollverein“, Unpolitische Lieder (1840).
Neben Preußen umfasste der Deutsche Zollverein zu Beginn das Großherzogtum Hessen, Kurhessen, die Königreiche Bayern, Württemberg, Sachsen und die thüringischen Einzelstaaten. Bis 1836 traten das Großherzogtum Baden, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt dem Zollverein bei. 1842 erweiterte sich das Zollgebiet um die Herzogtümer Luxemburg, Braunschweig und das Reichsfürstentum Lippe, 1854 folgten das Königreich Hannover und das Reichsfürstentum Oldenburg. Somit umfasste der Zollverein vor der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 circa 425.000 km². Das Gebiet des Deutschen Zollvereins bzw. des Deutschen Reiches stellte 1871 nach Großbritannien und den Vereinigten Staaten die drittgrößte Industriemacht der Welt dar.
Der Deutsche Zollverein schuf die Anfänge einer nationalen, auf den Markt hin orientierter Wirtschaftspolitik. Ziel des Deutschen Zollvereins war die Schaffung eines wirtschaftlichen Binnenmarkts für das gesamte Deutschland und die Vereinheitlichung seiner fiskalisch-ökonomischen Rahmenbedingungen.
West- und Ostpreußen wurden aber durch eine Intervention Preußens nicht Mitglied des Deutsche Zollverein und konnten nur innerhalb Preußens zollfrei handeln. Auch hier wollte Preußen Auseinandersetzungen mit Nachbarstaaten vermeiden. Dies galt auch besonders für den, für Ostpreußen sehr wichtigen Getreidemarkt. Für den wichtigen Getreidehandel außerhalb Preußens wurden nun in Ostpreußen häufig zollvereinsangehörige Zwischenhändler eingesetzt, um die Vorteile des Zollvereins trotzdem zu nutzen.
Es kam auch zu einer zunehmenden Vereinheitlichung von Münz- und Währungssystemen. Bis 1857 bildete sich ein System konvertibler Währungen unter Führung des preußischen Talers heraus. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861, schuf ein einheitliches Handelsrecht.
Politisch stärkte der Deutsche Zollverein die Vormachtstellung Preußens mit ihrem späteren Kanzler Bismarck. Von 1862 bis 1890 – mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 1873 – war Bismarck Ministerpräsident in Preußen, von 1867 bis 1871 zugleich Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes. Von 1871 bis 1890 war er erster Reichskanzler des Deutschen Reiches, dessen Gründung er wesentlich vorangetrieben hatte.
Schon vor dem Norddeutschen Bund hatte sich die Wirtschaft und die Einwohnerzahl in Europa unterschiedlich entwickelt. Um die Machtstellung Preußens in Europa auszubauen und zu erhalten, schloss Bismarck zahlreiche Macht-Bündnisse mit europäischen Staaten und führte drei erfolgreiche Kriege.
- Deutsch-Dänischer Krieg (1864)
- Deutscher Krieg (1866)
- Deutsch-Französischer Krieg (1870-1871)
Im Deutschen Krieg (23.6. - 26.7.1866) siegte Preußen mit seinen Verbündeten - eine Reihe norddeutscher, meist kleinerer Staaten, die sich Preußen oft nur widerwillig anschlossen - gegen Österreich und dessen Alliierte (die Königreiche Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover, die Großherzogtümer Baden und Hessen, das Kurfürstentum Hessen und weitere Kleinstaaten). Im Vorfrieden mit Österreich (26. Juli 1866) setzte Preußen durch, die Verhältnisse im Norden Deutschlands bis zur Mainlinie neu zu ordnen. Hier taucht auch zuerst der Ausdruck Norddeutscher Bund auf. Dieses Arrangement hatte Preußen zuvor bereits mit dem französischen Kaiser Napoleon III. abgestimmt.
Am 1. Oktober 1866 annektierte Preußen vier seiner Kriegsgegner nördlich des Mains: das Königreich Hannover, Kurhessen, das Herzogtum Nassau und die Freie Stadt Frankfurt. Die übrigen Staaten durften ihre Gebiete fast ohne Änderungen behalten. Drei weitere Kriegsgegner nördlich des Mains, nämlich das Königreich Sachsen, und die Herzogtümer Sachsen-Meiningen und Reuß älterer Linie, wurden in den Friedensschlüssen dazu verpflichtet, sich dem Norddeutschen Bund anzuschließen. Das Großherzogtum Hessen musste mit seiner Provinz Oberhessen sowie den rechtsrheinischen (rheinhessischen) Gemeinden Kastel und Kostheim dem Bund beitreten, die alle nördlich des Mains lagen. Durch die Einverleibungen stieg die Bevölkerungsanzahl Preußens von etwa 19 Millionen auf fast 24 Millionen.
Der Prager Frieden vom 23. August 1866 beendete den Krieg zwischen Preußen und Österreich. Der Vertrag sah die Möglichkeit vor, dass Preußen und die übrigen Staaten nördlich des Mains sich vereinigen. Der Norddeutsche Bund, gegründet 1866, war der erste deutsche Bundesstaat. Er vereinigte alle deutschen Staaten nördlich der Mainlinie unter preußischer Führung. Auch West- und Ostpreußen gehörten jetzt zum Norddeutschen Bund. Er war die Vorstufe der mit der Reichsgründung 1871 verwirklichten "kleindeutschen Lösung". Österreichs blieb auf das Betreiben von Bismarck hin ausgeschlossen. Gegründet als Militärbündnis im August 1866 wurde der Bund durch die Verfassung vom 1. Juli 1867 ein Bundestaat.
Die Gründung des Norddeutschen Bundes hatte erhebliche Folgen für den Deutschen Zollverein. Durch die Verfassung des Bundes hörten die bisherigen norddeutschen Staaten auf, Einzelmitglieder des Zollvereins zu sein. Dies machte eine Neuordnung nötig. Die Grundlagen dafür wurden auf einer Zollvereinskonferenz im Juni 1867 gelegt. Abgeschlossen wurde der neue Vertrag am 8. Juli 1867 und trat am 1. Januar 1868 in Kraft. Dieser nahm auf der Ebene der Zoll- und Handelspolitik einen einheitlichen Bundesstaat vorweg.
Dem König von Preußen stand das Präsidium des Norddeutschen Bundes zu. Er setzte einen Bundeskanzler ein. Der Bundeskanzler erhielt zur Unterstützung seiner Arbeit eine oberste Bundesbehörde, das Bundeskanzleramt - es wurde später in Reichskanzleramt umbenannt. Die Gliedstaaten entsandten Stimm-Bevollmächtigte in den Bundesrat. Der Bundesrat übte zusammen mit dem Reichstag das Gesetzgebungsrecht einschließlich der Haushaltsbewilligung aus. Bundeskanzler Bismarck war gleichzeitig preußischer Ministerpräsident. Auf diese Weise hatte er größten Einfluss auf die 17 preußischen Stimmen im Bundesrat und damit auf den gesamten Bundesrat, in dem es zusammen 43 Stimmen aller Bundesstaaten gab.
Der Norddeutsche Reichstag übernahm eine Reihe von Gesetzes-Entwürfe aus der Zeit des Deutschen Bundes, die damals aber nicht umgesetzt wurden. Zu den Neuerungen und Vereinheitlichungen, die meist nach 1870 fortgalten, gehören u.a.:
- Staatsangehörigkeitsgesetz und Passwesen
- Einheitlicher Militärdienst
- Gleichberechtigung der Konfessionen
- Freizügigkeit im Bundesgebiet
- Aufhebung polizeilicher Beschränkungen der Eheschließung
- Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch
- Oberster Handelsgerichtshof
- Allgemeine Deutsche Wechselordnung
- Genossenschaftsgesetz
- Aufhebung der Konzessionspflicht für Aktiengesellschaften
- Gewerbeordnung mit Koalitionsfreiheit
- Maß- und Gewichtsordnung
- Postgesetz mit einheitlichen Tarifen
- Strafgesetzbuch
- Urheberrecht
- Beseitigung der Schuldhaft
- Unterstützungswohnsitz (Im Gesetz über den Unterstützungswohnsitz gab es die Verpflichtung zur Unterstützung von Bedürftigen durch den Ortsarmenverband, in dessen Bereich sich die Bedürftigen aktuell befanden und nicht mehr wie bisher, nur in ihrem Heimatsortsarmenverband. Einen Ortsarmenverband konnte aus einer oder mehreren Gemeinden oder Gutsbezirken bestehen. Der aktuelle Aufenthaltsortort der Bedürftigen wurde als Unterstützungswohnsitz bezeichnet.)
Für die ländliche Entwicklung in Ostpreußen waren von 1814 - 1871 zwei Sachverhalte besonders wichtig.
1869 wurde die Gewerbeordnung erlassen. Sie war Basis für Reichsgewerbeordnung von 1872 und bestand in der Übernahme des wesentlich auf die Reformen von 1807/11 zurückgehenden preußischen Gewerberechts. Sie wurde gegen den heftigen Widerstand der traditionell gewachsenen Zünfte als neue Handels- und Gewerbefreiheit einführt.
So lautete eine Resolution des Handwerker-Gewerbekongresses in Frankfurt vom 15. Juli 1848: „Wir erheben feierlichen Protest gegen die Gewerbefreiheit. Nicht allein wegen der gefährdeten Interessen, unserer bürgerlichen Freiheiten und unseres wohlerworbenen Eigentums, sondern wegen der bedrohten Zukunft, der Verarmung des Mittelstandes, aus Vaterlandsliebe.“ Der Protest blieb, trotz massiver Empörungen, ungehört.
Die Gewerbefreiheit garantierte Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit für jeden, der einen Handwerksbetrieb, eine Fabrik oder ein Handelsgeschäft eröffnen wollte – ein Grundpfeiler einer liberalen, den freien Wettbewerb erleichternden Wirtschaftsordnung. Die Gewerbefreiheit nutzten in Ostpreußen besonders (adlige) Gutsbesitzer auf dem Lande, um eigene Gewerbebetriebe zur Verarbeitung ländlicher Produkten wie Mühlen, Molkereien, Brauereien oder Gerbereien zu errichten. Große Forst-Güter wurden in der Holzverarbeitung aktiv. Die Gewerbefreiheit ermöglichte auch offiziell die häufig notwendige Nebenerwerbstätigkeit der Kleinbauern, diese mussten aber bei den örtlichen Ämtern angemeldet werden und waren im Rahmen ihrer Erträge steuerpflichtig.
Generell lässt sich sagen, dass die kleinen Agrar-Betriebe in Ostpreußen die Verlierer der Agrarreform von 1807 - 1871 waren. Sie gerieten in vielen Fällen unter die Wirtschaftlichkeitsgrenze ihrer Höfe und mussten von ihren Eigentümern, sofern kein Nebenverdienst möglich war, aufgegeben werden. Die Kleinbetriebe litten besonderes darunter, dass im Zuge der Agrarreform die bisher gemeinschaftlich genutzten Flächen (Allmenden) nicht zu ihrem Vorteil aufgeteilt wurden. Das galt besonders für den Verlust von Weidemöglichkeiten für die Nutztierhaltung.
Die mittleren und großen bäuerlichen Betriebe hatten oft noch jahrzehntelang Ablöseverpflichtungen nachzukommen und unterlagen dadurch erheblichen Belastungen. Schon die genaue Festlegung der Höhe der Ablösungen dauerten lange, da sehr unterschiedliche Verpflichtungen und deren Wert örtlich je Kreis berechnet werden mussten. Die Ablösungsleistungen zogen sich zum Teil bis in die Zeit der Reichsgründung (1870/71) hin. In Ostpreußen mussten etwa ein Drittel der ländlichen Bevölkerung nach der Agrarreform ihren Lebensunterhalt als Tagelöhner verdienen oder wanderten in die westlichen Industriegebiete ab.
Trotzdem wuchs die Bevölkerung. 1816 lebten in Ostpreußen 0,88 Mio. Einwohner, 1915 waren es 2,12 Mio. Insgesamt wurde jedoch festgestellt, dass durch Beseitigung der Innovationshemmnisse der feudalen Agrarordnung - insbesondere in der Bodenverteilung - es auf Kosten der ländlichen Bevölkerung zu deutlichen Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft im 19. Jahrhundert kam. Ostpreußen bildete hier aber in Deutschland das Schlusslicht. Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Bd. 1 und 2
Durch die im November 1870 abgeschlossenen Staatsverträge traten das Königreiche Bayern und Württemberg und die Großherzogtümer Baden und Hessen dem Norddeutschen Bund bei.
Nach dem erfolgreichen Deutsch-Französischer Krieg (1870-1871) entstand nach dem Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung am 1. Januar 1871 das Deutsche Kaiserreich. Durch die Reichsverfassung von 1871 wurde das deutsche Kaiserreich zu einem einheitlichen Zoll- und Handelsgebiet, wenngleich Hamburg und Bremen bis 1888 als Freihäfen zunächst noch außerhalb des Zollgebietes blieben. Für den zollfreien Handel mit dem Hinterland wurden in beiden Städten sogenannte Zollvereinsniederlagen errichtet. Die Zollvereinsverträge in Deutschland blieben zwar bestehen, aber die Funktionen des Vereins gingen auf das Reich über. Dem Reich standen die Zollgesetzgebung und die Zollerhebung an den Außengrenzen zu.
Der erste deutsche Nationalstaat war eine föderale, konstitutionelle Monarchie. Preußen nahm 65 Prozent der Gesamtfläche des neu gegründeten Deutschen Reichs ein und stellte 62 Prozent seiner Bevölkerung. Laut seiner Verfassung war das Reich ein Fürstenbund, dessen Präsidium stets dem König von Preußen unter dem Titel Deutscher Kaiser zustand.
Ökonomische und Demografische Transformation
Von 1815 - 1871 gab es, neben der der politischen Transformation, eine wirtschaftliche und eine demografische Transformation. Ausführlicher wird darüber in den folgenden Kapiteln 6.3 Konjunkturzyklen, 6.4 Verschuldung und 6.5 Bevölkerungsentwicklung berichtet.
Bei der Betrachtung wird auch in einem knappen Überblick die ländliche Entwicklung teilweise über 1950 hinaus verlängert werden, um mit Hilfe einiger Zahlen, den nach dem 2. Weltkrieg stattgefundenen Bedeutungsverlust der Arbeit auf dem Lande in Deutschland kurz beschreiben zu können. Dazu kam, dass fast alle der geflohenen ostpreußischen Bauern im Westen keine eigenen Bauerstellen erhalten konnten. Sie mussten beruflich „umsatteln“, da auch die noch vorhandenen Knecht-Stellen vor Ort häufig schon durch andere Flüchtling überbesetzt waren. Teilweise gab es in der ersten Zeit auch wieder die Subsistenzwirtschaft auf den Höfen. Arbeit auf dem Ackerland oder im Haus gegen ein Bett auf dem Dachboden und eine Handvoll Kartoffeln. Einige Westbauern sollen aufgrund des riesigen Arbeitskräfteüberschusses dabei gut verdient haben. In den Dörfern gab es häufig eine Ablehnung gegenüber den „Pollacken“, den Flüchtlingen aus dem Osten. Zur weiteren Entwicklung siehe auch das Kapitel 9 VOM OBLAST KALININGRAD.
Von 1818 bis 2022 wächst die Deutsche Bevölkerung mit Ausnahme der beiden Weltkriege über das 3fache von 25,0 auf 83,4 Mio. Als Indikator dienen die Bevölkerungsstände.
Von 1870 bis 2022 wächst die Deutsche Wirtschaft mit Ausnahme der Zwischenkriegszeit etwa um das 15fache. Als Indikator dient das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Ende der 1960er Jahre entfiel mehr als die Hälfte der Bruttowertschöpfung auf die Industrie, 2020 dominiert der Dienstleistungsbereich mit rund 70 %. Die Wertschöpfung in der Landwirtschaft lag 2022 um 1%.
Die deutsche Wirtschaft hat seit Gründung des Zollvereines 1833 eine Transformation durchlaufen, die sich in einer deutlichen Verschiebung der Erwerbstätigen zwischen den drei Sektoren Land- und Forstwirtschaft, Produzierendes Gewerbe und Dienstleistungen widerspiegelt. In der Landwirtschaft arbeiteten von allen Erwerbstätigen 1907 etwa 9,8 Mio. (18,3)% ) und durchschnittlich von 1950 - 1970 4,8 Mio. (16,3%) und von 1980 - 1991 1,5 Mio. (2,5% ) Menschen.
Der Demografischer Übergang beschreibt in der Demografie einen typischen Verlauf der Bevölkerungsentwicklung von Staaten bzw. Gesellschaften in mehreren Phasen. Zunächst verlaufen Geburten- und Sterberate parallel auf einem hohen Niveau. Dabei sinkt zuerst die Sterberate und dann zeitlich versetzt die Geburtenrate. Dann laufen beide Raten wieder parallel auf einem niedrigen Niveau weiter, danach übersteigen die Sterberaten die Geburtsraten geringfügig - die Bevölkerung schrumpft - wird aber häufig durch Zuwanderungen wieder ausgeglichen.
Die jährlichen Einkommen aller deutschen Einwohner (reales Bruttoinlandsprodukt - BIP pro Kopf) wuchs mit unterschiedlichen Raten von 1812 bis 2022 – bis auf die Zwischenkriegszeit - aufgrund veränderter wirtschaftlicher und demografischer Faktoren. Die Phasenlängen wurden die Anzahl zeitlich durch ähnliche Prozentwerte innerhalb eins Zeit-Fensters bestimmt:
- In den Jahre 1820 - 1850 gab es durchschnittlich 0,3% BIP Wachstum pro Kopf, im Jahrhundert vor den 1810er Jahren vermutlich kein oder nur ein sehr geringes Wachstum auf Pro-Kopf-Basis. Dazu fehlen die notwendigen Statistiken. Die Sterbe- und eine höheren Geburtenrate verliefen auf einem hohen Niveau parallel mit großen Ausschlägen. Die Bevölkerung in Ostpreußen wächst von 1820 - 1850 von 0,89 auf 1,53 Mio. Einwohner
- In den Jahren 1851 - 1880 gab es durchschnittlich 1,1% BIP Wachstum pro Kopf. Wachstumsbeschleunigung im 19. Jahrhundert sind die Folgen der Bauernbefreiung, die einsetzende Industrialisierung und der schnelle Technische und Medizinischer Fortschritt.
Der zentrale Wachstumsmotor für die Industrialisierung in Deutschland war der Eisenbahnbau. Die von diesem ausgehende Nachfrage förderte die Entwicklungen in den drei aufs engste miteinander verbundenen Leitbranchen: dem Bergbau, der Metallerzeugung und dem Maschinenbau. Die Geburtenraten lagen weiter über den Sterberaten. Dazu kam, das die Menschen länger lebten. 1895 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung 42,8 Jahre. Die Bevölkerung in Ostpreußen wächst von 1851 - 1871 von 1,53 auf 1,85 Mio. Einwohner
- In den Jahren 1880 - 1913 gab es durchschnittlich 1,5% BIP Wachstum pro Kopf. Ab 1880 erfolgt der verstärkte Übergang zu weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung. Der Landstraßenbau und die Grenzübergänge werden deutschlandweit vereinheitlicht. Die Entwicklung des Eisenbahn- und Kanalnetzes, von Dampflokomotiven und Dampfschiffen wird vorangetrieben. Der Bau von Bahnhöfen und Häfen wird gefördert. 1890 gibt es einen Wirtschafts-Boom, z.B. erfolgt die massenhafte Gründung von 928 neuen Aktiengesellschaften im Deutschen Reich. Die Geburtsraten in Preußen sinkt von 1895 bis 1910 von 35,8 % auf 33,5 %. Die Sterberaten sinken von 24,2 auf 18,3 %, was insgesamt zu einem langsameren Bevölkerungswachstum führt. Die Bevölkerung in Ostpreußen wächst von 1871 bis 1910 von 1,85 Mio. auf 2,07 Mio. Einwohner.
- In den Jahren 1914 - 1950 gab es mittelfristig wahrscheinlich 0,0% BIP Wachstum pro Kopf. Es gabt keine allgemeine langfristige Zunahme des Einkommen der Inländer, abgesehen von Kriegs- und Inflationsgewinnlern. Ursache waren die Weltkriege (1914–1918, 1939–1945) und die Weltwirtschaftskrise (1929–1932). In beiden Kriegen wurden die Kriegskosten durch verdeckte staatliche Schuldenaufnahme manipuliert, was jeweils zu Währungszusammenbrüchen nach den Kriegen führte. In beiden Kriegen gab es erhebliche Bevölkerungsverluste. 9.442.000 Soldaten ließen zwischen 1914 und 1918 auf den Schlachtfeldern, in der Etappe, im Lazarett, in der Heimat auf beiden Seiten ihr Leben. Insgesamt wurden im Zweiten Weltkrieg international geschätzt über 60 Millionen Menschen getötet. Die meisten Opfer gab es in der Sowjetunion, wo 27 Millionen Menschen ums Leben kamen. Mehr als sechs Millionen Juden wurden von den Deutschen ermordet. Die wirtschaftliche und soziale Integration der 12 bis 14 Millionen deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Osten in die beiden neue entstandenen deutschen Staaten vollzog sich nach dem 2. Weltkrieg in einem langen Prozess, häufig über zwei Generationen. Während des 1. Weltkrieges sanken die Geburtenraten durch die schlechte Ernährungslage der Bevölkerung erheblich. Durch Propaganda-Aktionen und Geldanreize erhöhten der Nationalsozialismus bis 1945 die Geburtenraten. Die Bevölkerung in Ostpreußen wächst von 1914 bis 1945 von 2,07 auf 2,39 Mio. Einwohner.
- In den Jahren 1950 - 1973 gab es durchschnittlich 4,6% BIP Wachstum pro Kopf. Der Marshallplan war das wirtschaftliche Startsignal. Es fand das Wirtschaftswunder in Deutschland statt. Im letzten Drittel des Wirtschaftswunders gab es von 1960 - 1965 eine eine starke Anwachsen der Geburtenraten. Die Bundesrepublik wurde zusätzlich Einwanderungsland. Ab 1972 lag in der Bundesrepublik Deutschland erstmals die Geburtenrate unter der Sterberate. Seitdem gibt es mehr Sterbefälle als Geburten in Deutschland. Die Bevölkerung wächst aber durch Zuzüge. Die Zahl der in der Bundesrepublik beschäftigten Ausländer stieg von etwa 73.000 (1954) über 329.000 (1960) auf 711.000 (1962) um 1965 erstmals die Millionenmarke zu überschreiten (1,2 Mio.). Nach einem kurzen Rückgang 1967 stieg ihre Zahl weiter an, um 1973, dem Jahr des Anwerbestopps, einen Höhepunkt von 2,6 Mio. zu erreichen. Insgesamt war gut ein Drittel der ausländischen Beschäftigten 'Gastarbeiterinnen'. Die etwa 130.000 Deutschen, die nach Kriegsende noch im Kaliningrader Gebiet verblieben waren, wurden ab 1948 gewaltsam in die damals noch Sowjetisch besetzte Zone in Deutschland abgeschoben. 1953 lebten in der Bundesrepublik 69.935.117 und in der DDR 18.112.000 Einwohner. 1953 lebten im Oblast Kaliningrad schon etwa 150.000 zugezogene russische Einwohner und noch etwa 220 Deutsche, die noch technisch wichtige Funktionen ausüben mussten.
- In den Jahren 1973 - 1990 gab es durchschnittlich 2,2% BIP Wachstum pro Kopf. Gegenüber der Vorperiode schrumpfte die Wachstumsraten des BIP um 2,4% Die Gründe lagen im Auslaufen des Wirtschaftswunder und in der Erhöhung der Ölpreise und der Freigabe der Wechselkurse. Die Geburten- und mit einer etwas höheren Sterberaten verliefen parallel. In der Bundesrepublik lebten 1979 vor der Wiedervereinigung 61.439.342 und in der DDR 16.740.324 Einwohner. 1979 lebten im Oblast Kaliningrad etwa 800.000 russische Einwohner, davon waren 1.218 Deutsche.
- In den Jahren 1991 - 2012 gab es durchschnittlich 1,2% BIP Wachstum pro Kopf. Die Wiedervereinigung erfolgte am 3. Oktober 1991. 1993 gab es eine Rezession. Hohe Arbeitslosigkeit (8,9 Prozent), wachsende Schuldenberge aufgrund der Wiedervereinigung, hohe Inflation (4,5 Prozent) und einbrechende Exportgeschäfte waren 1993 der Hintergrund für ein erneutes Schrumpfen des BIP um 1,0 Prozent. Dazu kam 2009 eine schwere Finanzkrise aufgrund der geplatzten Immobilienblase in den USA. Deutschland nimmt in der Zeit zwischen 1991 und 1995 die meisten Bürgerkriegsflüchtlinge aus den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens auf. 350.000 Menschen finden einen Zufluchtsort in der Bundesrepublik. Nach der Wiedervereinigung leben 81.325.090 Einwohner 2010 in Deutschland.
- In den Jahren 2013 - 2022 gab es durchschnittlich 1,0% BIP Wachstum pro Kopf, d.h. ein erneutes Schrumpfen der Wachstumsraten des BIP um 0,2%. Gründe des niedrigen Wachstums waren die bislang schwersten Rezessionen 2020 durch COVID-19. Anschließend folgte die Energiekrise. Als Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016 wird die im Zusammenhang mit der Einreise von über einer Million Flüchtlingen, Migranten und anderen Schutzsuchenden nach Deutschland in den Jahren 2015 und 2016 entstandene Situation für Staat und Gesellschaft bezeichnet. Sie ist Teil der europaweiten Flüchtlingskrise und erreichte ihren Höhepunkt im Herbst 2015. Im Gesamtjahr 2015 wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ca. 890.000 Schutzsuchende erst-registriert. Im Ausländerzentralregister waren zum Stichtag, dem zum 30. Juni 2023 rund 1,07 Millionen Menschen aus der Ukraine erfasst, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges am 24. Februar 2022 nach Deutschland eingereist sind. 2021 lebten in Deutschland 83.237.124 Einwohner. 2021 lebten im Oblast Kaliningrad etwa 1,07 Mio. russische Einwohner, davon waren 4.118 Deutsche.
Quellen:
https://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/103_Erwerbstaetigkeit_3.pdf
Walter G. Hoffmann: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts
Ab 1950 hatten in der Bundesrepublik die Dienstleistungsbereiche mit dem steigenden Wohlstand und mit veränderten Konsumgewohnheiten stark an Bedeutung gewonnen. 1978 übertrifft der Tertiäre Sektor den Sekondären Sektor. 2022 arbeiten 74,9% der Erwerbstätigen in den Dienstleistungsbereichen, im Sekundären Sektors sind es noch 23,9%. In der Landwirtschaft arbeiten jetzt nur noch 1,2% aller Erwerbstätigen.
Der Dienstleistungsbereich (Tertiäre Sektor) umfasst 2022 etwa 34.643.000 Erwerbstätige, davon • Handel, Verkehr und Gastgewerbe mit 29% • Information und Kommunikation mit 5% • Finanz- und Versicherungsdienstleister mit 4% • Grundstücks- und Wohnungswesen mit 1% • Unternehmensdienstleister mit 18% • Öffentliche Dienstleister, Erziehung, Gesundheit und sonstige Dienstleistungen mit 43% Quelle: Erwerbstätige und Arbeitnehmer nach Wirtschaftsbereichen (Inlandskonzept) 1 000 Personen - Statistisches Bundesamt
Auf die Landwirtschaft entfiel 1800 etwa 62% der Erwerbstätigen. Dieser Anteil ging bis 1928 auf etwa 32 %, bis 1950 auf 24% und bis 2022 auf 1,2% etwa 554.000 Erwerbstätige zurück. Dazu kamen 2022 noch Saisonkräfte. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit kamen die meisten dieser Saisonarbeitskräfte aus Ländern wie Rumänien und Polen. Insgesamt arbeiteten etwa 275.000 Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, was zusammen etwa 30 % aller Arbeitskräfte in diesem Sektor ausmacht.
Diese enorme Veränderung in der Landwirtschaft war nur mit Hilfe einer weitgehenden Flurbereinigung, der Mechanisieren, dem Düngereinsatz, der betriebswirtschaftlichen Ausrichtung und einer umfangreichen Subventionierung möglich. 2022 lag der Selbstversorgungsgrad für Nahrungsmittel in Deutschland bei rund 86 Prozent. Der Selbstversorgungsgrad beziffert, wie viel Prozent der benötigten Agrarerzeugnisse im eigenen Land produziert werden
Angesichts des niedrigen Einkommens gaben Haushalte um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Durchschnitt schätzungsweise zwischen 60 und 80% ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus; 2022 sind es noch gut 14%.
Nach der Wiedervereinigung wurde von (ausländischen) Konzernen Ackerland zur Bewirtschaftung aufgekauft. 11 % der landwirtschaftlichen Fläche wurde 2021 von Unternehmensgruppen kontrolliert, es gibt deutlicher Unterschied zwischen dem Westen und Osten Deutschlands. Von den insgesamt 262 800 landwirtschaftlichen Betrieben in der Landwirtschaftszählung 2020 waren dies knapp 4 % oder circa 10 200 Betriebe. Diese bewirtschafteten zusammen eine Fläche von rund 3,63 Millionen Hektar, das waren etwa 22 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland. Während ein Betrieb im Westen durchschnittlich 47 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche bewirtschaftete, waren es im Osten durchschnittlich 221 Hektar. Dazu sind die Pachtpreise zwischen 60 und 80% gestiegen, insbesondere bei Neupachtungen und Sonderkulturen.
Quelle: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_N047_41.html
Zudem ist Deutschland zu einem Einwanderungsland geworden. 2022 gab es 13,9 Mio. Migranten in Deutschland. Besonders hohe Anteile von Arbeitsmigranten finden sich nach den Zahlen der Bundesagentur mit Stand März 2023 unter anderem bei Reinigungskräften mit 41 %, in der Lebensmittelherstellung mit 38 %, im Hoch- und Tiefbau mit 33 % sowie dem Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe mit 32 %. Auch im Verkehrs- und Logistiksektor sowie der Landwirtschaft (Saisonarbeiter) sind Migranten deutlich überrepräsentiert.
Seit 1960 wurde die Bundesrepublik Einwanderungsland. Im Jahre 2022 betrug die Bevölkerung in Deutschland 83,4 Mil. Einwohner. Davon sind 21,2 Mio. Personen mit deutscher Einwanderungsgeschichte entweder seit 1950 selbst in das heutige Gebiet Deutschlands eingewandert oder ihre beiden Elternteile sind seit 1950 in das heutige Gebiet Deutschlands zugezogen. Darunter befinden sich auch 2,8 Mio. Flüchtlinge aus der DDR. Ferner kamen seit 1950 rund 4,6 Mio.(Spät-) Aussiedler in das frühere Bundesgebiet beziehungsweise seit 1990 nach Deutschland. Im Unterschied dazu basiert die Definition des Migrationshintergrunds auf der Staatsangehörigkeit der Personen zum Zeitpunkt der Geburt (entweder selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren) 2022 gab es 13,9 Mio. Migranten in Deutschland. Davon gab es 200.100 Einbürgerungen. Insgesamt zogen zwischen 2010 und 2022 rund 17,4 Mio. ausländische Staatsangehörige aus dem Ausland nach Deutschland, im gleichen Zeitraum verließen aber auch etwa 10,2 Mio. das Staatsgebiet wieder.
Bevölkerung mit Migrationshintergrund & Ausländer in Deutschland - Statistisches Bundesamt
Konjunkturzyklen
Die neugeschaffenen Institutionen des 19. Jahrhunderts sollte in Deutschland nach der Vorstellung einiger ihrer Gründer u.a. auch die negativen Folgen von wirtschaftlichen Abschwüngen besser ausgleichenden können, was aber nicht sofort gelang.
Konjunkturzyklen wurden in der Landwirtschaft in Ostpreußen häufig durch Mangelkrisen ausgelöst.
- Eine Missernte trieb die Getreidepreise empor.
- Für die meisten Bauern machte der erhöhte Erlös dank der gestiegenen Preise für das reduzierte Ansatzvolumen den Ausfall an Mengen, die sonst auf dem Markt verkaufbar gewesen wären, nicht wett. Dieser Einkommensverlust, dessen Ausmaß dem Preisanstieg ungefähr proportional gewesen sei, wurde durch den Arbeitsausfall verschärft, da eine geringere Ente eingebracht und verarbeitet wurde.
- Da die Missernte auch die Stadtbewohner zu erhöhten Ausgaben für die unentbehrlichen Grundnahrungsmitte zwang, schrumpfte in Stadt und Land die Nachfrage die Nachfrage nach gewerblichen Gütern und Handelsumschlag.
- Nummerierter Infolgedessen geriet die Gewerbeproduktion und er Handelsumschlag ins Stocken, so dass ein allgemeiner Abschwung mit verbreiteter Arbeitslosigkeit und Lohnverfall einsetze.
- Nach einem besseren Ergebnis sanken die Agrarpreise. Damit wurden städtische und ländliche Einkommen für den Konsum gewerblicher Güter wieder freigesetzt, worauf sich ein neuer Aufschwung von Land- und Gewerbewirtschaft entfalten konnte.
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte. Bd. 1
Im April 1815 brach der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa aus – eine beispiellose Naturkatastrophe mit Zehntausenden Toten. Die Folgen der gigantischen Aschewolke waren verheerend. Das durch die Eruption ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen, die aufgrund der Auswirkungen auf das nordamerikanische und europäische Wetter dem Jahr 1816 die Bezeichnung „Jahr ohne Sommer“ einbrachten. In Teilen der nördlichen Hemisphäre kam es durch Missernten zur schlimmsten Hungersnot der Bevölkerung des 19. Jahrhunderts und - da Futtergetreide fehlte - zum übermäßigen vorzeitigem Schlachten von Nutztieren - darunter auch viele Pferde. In Osteuropa (geprägt vom Kontinentalklima) und Skandinavien waren dagegen die Auswirkungen nicht so gravierend. So stieg in Polen (und wahrscheinlich auch in Ostpreußen) der Getreidepreis von 1815 bis 1817 wegen der verstärkten Exportnachfrage lediglich um ein Viertel. Der Getreidepreis in Mittel-Europa erreichte dagegen erst im Folgejahr (1817) das Anderthalbfache des Niveaus von 1815. Am stärksten betroffen war das Gebiet unmittelbar nördlich der Alpen: Elsass, Deutschschweiz, Baden, Württemberg, Bayern und das österreichische Vorarlberg. Hier erreichte der Getreidepreis im Juni 1817 das Zweieinhalb- bis Dreifache des Niveaus von 1815. An einzelnen abgelegenen Orten wurde auch das Vierfache erreicht.
Quelle: Tambora – Wikipedia
In Ostpreußen wurden um 1800 etwa 60 % der landwirtschaftlichen Flächen mit Getreide bebaut. Nach der Bauernbernbefreiung und der Franzosenzeit begannen auch Klein- und Mittelbauern in Ostpreußen verstärkt ihre, wenn auch begrenzten Getreideenten zum Verkauf auf dem Markt anzubieten. Besonders der englische Getreidemarkt war für die Großerzeuger auf den Land-Gütern in Ostpreußen von großer Bedeutung. Bis 1821 bestritt Ostpreußen etwa 50 % der englischen Getreideeinfuhr. Darüber hinaus spielte auch die amerikanische Wirtschaft eine zunehmende Rolle in Europa.
Die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse reagieren unmittelbar auf die allgemeine wirtschaftlichen Konjunkturzyklen. Die landlose und landarme Bevölkerung in Ostpreußen hatte unter den wirtschaftlichen Abschwüngen des Getreidemarktes am meisten zu leiden. Aber auch die gesamte Konjunktur im Deutschen Reich veränderte das Leben in Ostpreußen. Das zeigte sich besonders bei der langedauernden Abwanderungen der erwerbslosen Bevölkerung aus Ostpreußen im großen Stil in die entstehenden Industriegebiete im Alt-Reich.
Die landwirtschaftlichen Großbetriebe konnten die Abschwünge des Getreidemarktes bei der Bewirtschaftung ihrer Höfe teilweise intern ausgleichen, um so auf die veränderten Bedingungen zu reagieren. Die Güter und Großbauern konnten einen Wechsel in der Tierhaltung, Anbauart und den Nutzpflanzen vornehmen. Sie legten Flächen still oder wandelten Acker- in Weideland um, da die Fleischproduktion höhere Gewinne versprach. Bei vorhandenen Wäldern kam es zu einem verstärkten Holzeinschlag. Wesentlich war aber die Möglichkeit, bei Bedarf, die verstärkte Einstellung oder Entlassung von "billigen" polnischen Landarbeitern. Später übernahmen Maschinen Teile der Landarbeit. Dies Anpassungen konnten aber den Marktpreis für Getreide generell nicht beeinflussen.
Bei den Kleinbauern und teilweise auch den Mittelbauern waren aber solche Anpassungen mangels Möglichkeiten, nicht zu realisieren. In der Regel wurde z. B. eine bestimmte Mindestmenge der Getreideernte für den Eigenverbrauch benötigt. Bei Missernten oder Preiskrisen wurde dann aber Getreideverkäufe nicht mehr möglich oder nicht mehr sinnvoll.
Besonders aber litten die deutschen Landarbeiter, deren Lebensweise teilweise unter das Existenzniveau absanken. Ihre (zeitlich befristeten) Arbeitsplätze verminderten sich in Ostpreußen in Krisenzeiten um bis zu 60 %. Langfristig kam es aber auch zu einer generellen Abnahme dieser Gruppe, sie wanderte ab.
Die Kontinentalsperre war eine von Napoleon am 21. November 1806 in Berlin verfügte Wirtschaftsblockade über das Vereinigte Königreich und dessen Kolonien. Das in Frankreich schon 1796 bestehende Importverbot für britische Waren wurde infolge der militärischen Siege Napoleons auf die kontinentaleuropäischen Staaten ausgeweitet. Großbritannien sollte mit den Mitteln des Wirtschaftskrieges zu Verhandlungen mit Frankreich gezwungen und die französische Wirtschaft gegen europäische und transatlantische Konkurrenz geschützt werden. Die Kontinentalsperre bestand von 1806 bis 1813
Besonders problematisch war die Abhängigkeit der britischen Inseln von Getreide aus Kontinentaleuropa, da in England die Bevölkerung von 11 Mio. 1801 auf 27 Mio. 1851 anstieg. Der längere Transport aus Osteuropa ließ die Weizenpreise um das Dreifache ansteigen. Hungerunruhen waren die Folge. Die Kontinentalsperre trug ebenfalls zu einer Abwertung des Pfund Sterling bei. Zwischen 1808 und 1810 verlor die britische Währung im Vergleich zum französischen Franc und dem Hamburger Schilling um 15 % an Wert
Ab 1818 liegen genauere Daten zu den Konjunkturzyklen vor. Hans-Ulrich Wehler fasst zusammen:
"Es wurden besonders die ländliche Produzenten von Getreide in Ostpreußen von den Konjunkturzyklen zeitlich unmittelbar betroffen."
Die Inhalte der folgende Tabelle zu Preußen und dem Deutschen Reich stammen von Hans-Ulrich Wehler.
Konjunkturzyklen in Preußen und dem Deutschen Reich von 1818 - 1945 mit Ergänzungen zur Provinz Ostpreußen | |
1818 bis 1820 | Nachkriegsaufschwung nach der Franzosenzeit, Beginn der Auswirkungen der Bauernbefreiung in Ostpreußen |
1821 bis 1825 | Abschwung, Verhängung von englischen Einfuhr - Kornzöllen, dessen vollständige Abschaffung in England erst 1853, dadurch Getreide - Preiskrise in Ostpreußen |
1826 bis 1845 | Industrieaufschwung durch Beginn der Frühindustrialisierung, Auftakt der Abwanderung aus Ostpreußen nach Sachsen, ins Ruhrgebiet und nach Berlin |
1846 bis 1847 | Abschwung, Agrarkrise, Hungersnöte durch Kartoffelfäule auch in Ostpreußen, 1847 Missernte in Ostpreußen mit große Hungersnot, Geld-Sammlungen im Dt. Reich zur Unterstützung, Auswanderungen |
1848 bis 1873 | Aufschwung, "Goldene Jahre der Landwirtschaft", Getreidekonjunktur bis 1865 und Bevölkerungswachstum, die Einwohnerzahl in Ostpreußen verdoppelt sich. West- und Ostpreußen wurden 1866 Mitglieder des Norddeutsche Bundes. |
1873 bis 1879 | Erste Weltwirtschaftskrise, Große Depression, Gründerzeit Krise, Getreideexport bricht ein, der Zwangsverkauf von adligen Land-Gütern in Ostpreußen steigt an |
1879 bis 1882 | Industrieaufschwung, Importsog der USA nach Gütern der deutschen Leitsektoren (Textil-, Eisen- und Stahlproduktion, Chemie- und Elektroindustrie) |
1882 bis 1886 | Wirtschaftsabschwung, industrielle Überproduktion im Deutschen Reich, landwirtschaftlicher Produktionsrückgang in Ostpreußen |
1886 bis 1890 | Wirtschafts-Boom, z. B. massenhafte Gründung von 928 neuen Aktiengesellschaften im Deutschen Reich, zahlreiche Spekulationen mit Land-Gütern in Ostpreußen |
1890 bis 1895 | Wirtschaftsabschwung, Preis- und Lohnverfall durch Bankrotte des größten Teil der neu gegründeten Aktiengesellschaften, Notverkauf von Gutsland in Ostpreußen |
1895 bis 1900 | Industrieaufschwung, Leitsektoren der Industrie wachsen stark, steigende Nachfrage nach Arbeitskräften, weitergehende Abwanderung aus Ostpreußen |
1900 bis 1902 | Wirtschaftsabschwung, u.a. durch "sensationeller Bankrott" der Baringbank in England mit negativen Folgen auch für die Getreideeinfuhr nach England |
1902 bis 1907 | Industrieaufschwung, Gründung neuer Unternehmen, wachsende Nachfrage nach Arbeitskräften, verstärke Abwanderung aus Ostpreußen |
1907 bis 1908 | Landwirtschaftsabschwung, Kollaps in der Wallstreet u.a. mit dem Verfall der Getreidepreise auch in Ostpreußen |
1908 bis 1913 | Aufschwung, starke Steigerung des Exports von Industrieprodukten, aber starke Konkurrenz von preiswertem Importgetreide aus USA, England, Russland und Polen |
1914 bis 1918 | 1. Weltkrieg, Zweite Weltwirtschaftskrise, Große Inflation, in Ostpreußen fehlen Arbeitskräfte, es blüht der Schwarzmarkt und es gibt umfangreiche Kriegsschäden. 1.500 Zivilisten und 61.000 Soldaten kamen in Ostpreußen um, 13.000 Bewohner wurden nach Russland deportiert. |
1918 bis 1924 | Hyperinflation, Flucht in die Sachwerte, in Ostpreußen wird auf dem Lande wieder mit Naturalien bezahlt |
1924 bis 1928 | Wirtschaftsaufschwung, "Goldene Jahre in Berlin", umfangreiche staatliche Hilfsprogramme für die ostpreußische Landwirtschaft |
1929 bis 1933 | Dritte Weltwirtschaftskrise, Schwarzer Freitag, sechs Mio. Arbeitslose, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch in Ostpreußen |
1933 bis 1945 | 2. Weltkrieg, versteckte Kriegsfinanzierung, Lohn- und Preisstopp, 25 % aller Ostpreußen (ca. 510.000 Tote) starben durch den Krieg und dessen Folgen, 44.000 Bewohner wurden nach Russland deportiert, danach Vertreibung der Rest-Bevölkerung und Verlust der Provinz |
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte Band 2 und 3
Verschuldung
Die Verschuldung war bis 1945 ein Dauerthema in der Landwirtschaft in Ostpreußen. Frühe Quellen berichten: In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts brach für den Landadel eine schwierige Zeit an. Die Kriege und die wirtschaftliche Zerrüttung in den 1740er und 1750/1760 Jahren, verschärften noch durch die staatliche Manipulation des Kornmarktes durch das Magazinsystem und die demografische Überlastung durch den natürlichen Zuwachs der landbesitzenden Familien, setzten den Landadel zusehends unter Druck. Die Verschuldung der Junkergüter nahm drastisch zu, was in vielen Fällen zu Bankrotten oder dem Zwangsverkauf des Grundsitzes, häufig an wohlhabende Bürgerliche führte. Adlige beklagten das "Güterschlachten". Das betraf besonders für den letzten Schritt zu, einer sehr gefürchteten Entscheidung, den Zwangs-Verkauf von Gutsland. Allgemein betrachtet war die Verschuldung der gesamten Landwirtschaft nach der "Bauernbefreiung" hoch.
Tabelle: Verschuldung in Preußen in der Landwirtschaft 1883
Verschuldung in Preußen in der Landwirtschaft 1883 | |||
überhaupt | davon | davon | |
absolut | verschuldet | verschuldet | |
in % | mittelmäßig | hoch | |
Große Güter | 70,4 | 27,5 | 32,9 |
Großbauern | 43,1 | 28,5 | 14,6 |
Mittelbetriebe | 39,8 | 27,5 | 12,3 |
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte Band 3
Die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion - diese Organisation, die den ostpreußischen Landwirten unkündbare Kredite zu mäßigen Zinsen beschaffen konnte, wurde 1788 von König Friedrich Wilhelm II. von Preußen mit einem Kapital von 200.000 Talern gegründet. Die Anstalt wurde 1869 als öffentlich-rechtliches Institut von der Ostpreußischen Generallandschaftsdirektion gegründet. Sie bestand bis 1932. Quelle: Ostpreußische Generallandschaftsdirektion – Wikipedia
Sie war eine staatlich finanzierter landwirtschaftlicher Kreditanstalten (der so genannten Landschaften), zunächst zur ausschließlichen Nutzung durch die Junkerfamilien. Es war ab dem 2. März 1850 eine gemeinnützige öffentlich-rechtliche Kreditanstalt. Diese Einrichtungen vergaben Hypotheken in Form von Pfandbriefen zu niedrigen Zinssätzen an notleidende oder verschuldeten adligen Grundbesitzer. Die adligen Landschaftsräte als gewählte Vertreter der (Guts) Landwirtschaft ihrer Kirchspiele schätzten die Kreditgrenzen für die Erststellige Beleihung mit Pfandbriefen ab.
Tabelle: Gesamtverschuldung der Grundbesitzer aus Land- und Fortwirtschaft im Regierungsbezirk Gumbinnen 1902
Gesamtverschuldung der Grundbesitzer aus Land- und Fortwirtschaft im Regierungsbezirk Gumbinnen 1902 | |||||||||
Einkommens- | Zahl der | Durschschnitts- | Schulden | Prozentzahl | |||||
gruppen | Grundeigen- | Gesamt- | Betrag | in % des | der unver- | ||||
von Reichs-Mark | tümer | vermögen | der | Brutto- | schuldeten | ||||
in netto pro Jahr | (Brutto) | Schulden | gesamt- | Eigentümer | |||||
in Reichs-Mark | Vermögens | ||||||||
bis 900 | 7 070 | 12 000 | 5 000 | 46,7 | 5,1 | ||||
900 bis 1 500 | 8 611 | 24 000 | 11 000 | 46,3 | 5,0 | ||||
1 500 bis 3 000 | 3 260 | 58 000 | 29 000 | 49,7 | 8,9 | ||||
3 000 bis 6 000 | 611 | 161 000 | 81 000 | 50,6 | 9,5 | ||||
6 000 bis 9 500 | 92 | 301 000 | 145 000 | 48,1 | 10,9 | ||||
über 9 500 | 78 | 774 000 | 236 000 | 30,5 | 10,3 | ||||
Zusammen | 19 722 | 34 000 | 16 000 | 46,6 | 5,9 |
Quelle: Dieter Stüttgen, Die Preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Gumbinnen 1871 -1920
Der Zinssatz der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion betrug 3,5 % oder 4 %, hinzu kamen 0,5 % Tilgung und 0,25 % Verwaltungskosten. Der Kreditnehmer musste, um an Bargeld zu kommen, die Pfandbriefe an der Börse verkaufen. Das Kursrisiko war bei den relativ stabilen Verhältnissen bis zum Ersten Weltkrieg gering. Die Landschafts -Pfandbrief-Darlehen waren etwa in 35 Jahren – etwa eine Besitzergeneration - getilgt, so dass bei der nächsten Hofübernahmen die übernehmenden Erben durch erneute Darlehnsaufnahme Eltern und Geschwister abfinden konnten.
Die Kreditanstalten waren zunächst überaus erfolgreich, zumindest wenn man als Maßstab für Erfolg das rapide Wachstum des Wertes der von ihnen ausgestellten Akkreditive heranzieht, die schnell zu Objekten finanzieller Spekulation wurden. Darlehen der Kreditanstalten halfen einigen notleidenden Grundbesitzern, ihre Produktivität zu verbessern.
Die adligen Landschaftsräte fungierten vor Ort auch als eine Art von Maklern, die in der Regel ihre adligen Interessenten bevorzugten. Ein Landschaftsrat aus Königsberg hatte auch bei adligen Verwandten in Berlin eine Art Vermittlungsbüros für Landkäufer in Ostpreußen eingerichtet. Quelle: Bank der Ostpreußischen Landschaft zu Königsberg i.Pr. | ZBW Pressearchive Neben den offiziellen Institutionen hatten sich aber auch schnell private Agenten installiert, die zum Teil ein Unwesen betrieben - siehe dazu 10.1 Folgen der Separation.
Doch die gesetzlichen Bedingungen, die Darlehen zur nutzbringenden Verbesserung des Landes zu verwenden, wurden häufig sehr großzügig ausgelegt, sprich die vom Staat subventionierten Kredite wurden für Zwecke missbraucht, die wenig zur Konsolidierung des adligen Landbesitzes beitrugen. Davon abgesehen reichten die Kreditanstalten nicht aus, die sich stetig verschärfende Schuldenkriese im gesamten ländlichen Sektor zu beheben, da sich Grundbesitzer, die von den Landschaften keine günstigen Darlehen mehr erhielten, einfach an andere Geldgeber wandten. Über die 54 Millionen Taler Hypothekendarlehen hinaus, welche die Kreditanstalten 1807 insgesamt hielten, hatten die adligen Landbesitzer weitere 307 Millionen Taler Grundschulden bei bürgerlichen Gläubigeren aufgenommen.“
Wolfgang Kapp war von 1906–1920 Generallandschaftsdirektor der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion. Er führte am 13. März 1920 zusammen mit General Walther von Lüttwitz unter Einsatz der Marine-Brigade Ehrhardt mit Unterstützung von Erich Ludendorff den erfolglosen Kapp-Putsch gegen die demokratisch gewählte Reichsregierung in der Hauptstadt Berlin an. Kapp setzt sich selbst als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident ein und beruft Lüttwitz zum Reichswehrminister und Oberbefehlshaber der Reichswehr. Diese illegitime Gegenregierung scheitert am Widerstand der Zivilbehörden, der bürgerlichen Parteien und eines Generalstreiks. Nach dem Scheitern floh Kapp am 17. März verkleidet nach Schweden. Nach zweijährigem Exil in Schweden stellt sich Kapp dem Reichsgericht, um seine Motive offenzulegen. Wolfgang Kapp stirbt am 12. Juni 1922 in der Untersuchungshaft in Leipzig an einer Krebserkrankung (Quelle: Christopher Clark, Preußen)
Nach Hans-Ulrich Wehler ist die „Landwirtschaft bis 1933 im Verhältnis von fast 1 zu 1 abhängig von den Konjunktur- und Depressionsverläufen der Wirtschaf. Zumal die Landwirtschaft bis 1873 der führende wirtschaftliche Sektor war. Erst 1885 gewann die deutsche Industrie in Hinblick auf so wichtige Leistungsindikatoren wie die Wertschöpfung, den Kapitalstock, die Nettoinvestition und den Anteil am Nettoinlandsprodukt den Primat vor der Landwirtschaft .“
Durch die Hyperinflation von 1918 -1924 verloren alle staatlichen und privaten Kreditgeber ihr Geld. Das traf auch die Tuttliesen. Sie hatten durch Kriegsanleihen erheblich Geld verloren.
Insgesamt blieb aber die Verschuldung in der Landwirtschaft ein Dauerthema in Ostpreußen. Insbesondere ist das Schuldenproblem nach dem Ersten Weltkrieg abermals deutlich hervorgetreten und zu einem Symptom der wirtschaftlichen Schwäche der Provinz geworden. Die öffentlich-rechtlichen oder genossenschaftlichen Banken, landwirtschaftliche Genossenschaften oder gemeinnützige Siedlungsgesellschaften waren jetzt die Kreditgeben. Sie waren typischerweise auch Hauptgläubiger. Aufgrund der konjunkturellen Lage lohnte sich die private Kreditvergabe an verschuldete Höfe nicht mehr oder war, wie im Dritten Reich untersagt.
Selbst in guten Zeiten gelang es den wenigsten ihre Schulden abzubauen, da es häufig langwierige Prozesse waren. Die guten Zeiten dauerten häufig nicht lange genug. Was lag dann näher als ein Verkauf oder die Verpachtung.
Altsitzer bezeichnet den Eigentümer, der seinen Hof nicht mehr selbst bewirtschaftet, sondern ihn an seine Nachkommen abgegeben hat. Es führte häufig zu räumlichen Trennungen. Dazu wurden sehr umfangreiche schriftliche Vereinbarungen getroffen und in die Grundakte eingetragen. Damit war seine Versorgung gesichert, eine Rente gab es damals noch nicht. Das führte häufig, aber auch zu langfristiger Verschuldung der Erben.
Um die strukturelle Verschuldung zu mildern, war die Separation (Flurbereinigung) ein wichtiges Instrument. Sie ermöglichte eine Modernisierung der ländlichen Infrastruktur, die aber aufgrund der Machtverhältnisse auf dem Lande nur teilweise umgesetzt wurde.
Die Dörfler wussten im Allgemeinen die wirtschaftliche Lage ihrer Nachbaren gut einzuschätzen. Hildegard Tuttlies hat ihren Vater als einen freundlichen und sehr gutgläubigen Menschen beschrieben. Der größte Schuldner von Ferdinand Tuttlies wurde im Laufe der Zeit allerdings sein eigener Bruder Ewald durch den eigenen Hofausbau, bei dem er sich völlig übernahm - was zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien führte. Es fand auch keine Talka mehr statt. Inzwischen war eine beträchtliche Summe aufgelaufen. Da eine Einigung privat nicht mehr möglich war, nahm Ferdinand seinen Bruder jetzt am Schlafittchen. Er suchte, auch auf Drängen seiner Frau Berta, die Unterstützung durch die Behörden bei einer Entschuldungsstellen. Dies führte im Dorf zu beachtlicher Aufregung. Das Verfahren dauerte fast zwei Jahre. Nach einem gerichtlichen Vergleich übernahm Ferdinand Tuttlies Teile des Landes von seinem Bruder als kostenfreie Pacht, sein verliehenes Geld war auf Grund der Weltwirtschaftskriese 1929 kaum noch was wert - ähnlich dem Wert-Verlust der Kriegsanleihen, die sein Vater 1914 gezeichnet hatte. Der Hof von Ewald Tuttlies war hoch verschuldet und wurde aus formalen Gründen von Herrn Papendick gepachtet, die Hofbewirtschaftung geschah jedoch durch Ferdinand bzw. Erich Tuttlies. Die Dörfler standen zu Ferdinand Tuttlies, Ewald Tuttlies wurde gemieden. Er ging 1934 zur Wehrmacht.
Bevölkerungsentwicklung
Die Bevölkerungsentwicklung dominiert die ländliche Entwicklung in Ostpreußen.
"Nicht nur für Deutsche, sondern auch für Polen, Litauer und Russen spielt Ostpreußen eine besondere Rolle im kollektiven Gedächtnis. Auf allen Seiten überwog bis 1989 eine einseitige, nationale Geschichtsschreibung. Die historische Auseinandersetzung mit der einstigen Wiege Preußens und später östlichsten Provinz war das Paradebeispiel für eine idiologisch motivierte Geschichtspolitik, die der politischen Legitimation dienen sollte. Dabei hilft ein nüchterner Blick auf die Geschichte der reale Bevölkerungsentwicklung.“
Quelle: Andreas Kossert, Ostpreußen Geschichte und Mythos
Die natürliche Bevölkerungsentwicklung wird durch Geburtenraten und Sterberaten bestimmt. Sie unterscheidet sich von der räumlichen Bevölkerungsentwicklung, die durch Wanderungsbewegungen (Migration) beschrieben wird. Weitere wichtige Einflüsse sind aber auch wirtschaftliche Verhältnisse, klimatische Gegebenheiten, epidemische Krankheiten, politische und militärische Ereignisse. Alle diese Faktoren führen im Zeitverlauf zu einer positiven, negativen oder gleichbleibenden Bevölkerungszahl. Zuverlässige Beschreibungen werden oft durch veränderte Gebietsstände erschwert.
Die Prußen waren ein Baltischer Stamm. Um das Jahr 1200 gab es in Prußen geschätzte 200.000 Ureinwohner. Etwa die Hälfte kam ab dem Jahre 1235 in den langandauernden Missionskriegen mit dem Deutschen Orden in den nachfolgenden Jahrzehnten um. Danach begann eine 500jährige Entwicklung der Besiedelung von verschiedenen Völkergruppen in Ostpreußen. Bekannt war neben den Salzburger Kolonisten mit 13.000 Menschen im Jahre 1732 auch die Friderizianischen Kolonisation von 1763 – 1775. Diese brachte 16.000 Menschen nach Ostpreußen.
Die folgende Tabelle zeigt den erreichten Entwicklungsstand der Besiedelung durch verschiedene Kolonisten-Gruppen in Ostpreußen um 1708:
Mit 33 Prozent machten die ortsansässigen Prußen 1708 noch die größte Gruppe aus. Die Prußen hatten sich aber im Laufe der Zeit an die sie umgebenden Deutschen, Polen und Litauer vollständig angepasst. Von den letzten Sprechern der Prußischen Sprache wird um 1700 berichtet. Nur Teile ihrer Sprache blieben im weiteren Verlauf in wenigen schriftlichen Fragmenten, Orts- und Familiennamen und im ostpreußischen Platt erhalten.
Kurz nach Beginn der Herrschaft durch den Deutschen Ordens wurden bereits im späteren Ostpreußen auf dem Lande christliche Kolonisten angesetzt. Es waren bis 1708 hauptsächlich Litauer mit 21,2 %. Diese siedelten überwiegend im nördlichen Teil, dem späteren Preußisch-Litauen (Regierungsbezirk Gumbinnen). Die litauische Siedler bevorzugten - wenn die Eigenmittel reichten - Bauernstellen, die mit "guten" Rechten ausgestattet waren. Sie wurden dann zu Schatull-Bauern. Diese Besitze entstanden im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts durch Besiedlung von Wäldern.
Die Polen (Masuren) mit 18,8 % siedelten im südlichen Teil, dem späteren Masuren (Regierungsbezirk Allenstein). Nach der Reformation waren es hauptsächlich aus Polen vertriebene Lutheraner. Der inoffizielle Name Masuren kam seit dem 18. Jahrhundert in Gebrauch, da sich viele evangelische Zuwanderer aus dem südlicher gelegenen Masowien in Ostpreußen angesiedelt hatten. In Masuren wurden hauptsächlich Scharwerksbauern angesiedelt.
Diese beiden Gruppen machten mit 270.153 (40 %) 1786 den Hauptteil der Siedler in Ostpreußen aus. Dazu kamen bis 1708 etwa 10.000 Menschen verschiedener religiöse Minderheiten aus ganz Europa nach Ostpreußen. Sie wurden bis 1772 noch durch weitere 80.000 ausländische Migranten ergänzt
Auch die zahlreichen Verwaltungsangehörigen des Deutschen Ordensstaates und deren Gesinde, sowie die mitgezogenen Söldnertruppen aus dem Alt - Reich (Prußenfahrten) waren ebenfalls zukünftige Bewohner von Ostpreußen. Der Orden arbeitet vor Ort auch eng mit Kaufleute der Hanse zusammen. Königsberg war ihr schon 1339 beigetreten. 1361 wurde Danzig Vollmitglied der Hanse. Sie alle waren zum Siedeln im ehemaligen Prußen-Land aufgefordert. Der Ordensstaat war bis 1400 in wirtschaftlicher und administrativer Hinsicht eines der modernsten und wohlhabendsten Gemeinwesen der damaligen Zeit mit einer effizienten Verwaltung, die schon zahlreiche Mitarbeiter aufweisen konnte. 1708 gab es 24,6 % Deutsche, darunter befanden sich aber mittlerweile ganz überwiegend landwirtschaftliche Kolonisten aus Sachsen, Hessen und den Rheinländern.
Von 1300 bis 1750 verharrte die Einwohnerzahl in Ostpreußen auf einem Plateau zwischen 600.000 und 700.000 Menschen, innerhalb dieses Korridors kam es aber zu großen Bevölkerungsschwankungen.
Nur durch eine gezielte und andauernde Kolonisierung gelang es den Herrschern in Ostpreußen zwischen 1300 und 1786 diesen Bevölkerungsstand in etwa beizubehalten, allerdings mit unterschiedlichen Erfolgen. Von 1740 bis 1786 kamen etwa 150.000 Ansiedler nach Ostpreußen, um die Verluste durch die zahlreicher Kriege, Aufstände, Hungersnöte und Seuchen auszugleichen. Der damalige Stand dieses ersten Landausbaus durch Kolonisierung hatte sich auf eine gesamte Bevölkerungsgröße von 600.000 bis 700.000 Menschen in Ostpreußen eingerichtet.
Die Siedlungsformen bestanden aus Haufen- und Straßendörfer und gingen nach der Separation auch in Streusiedlungen mit bleibendem Dorfkern über. Diese Dorfentwicklung nahm auch das spätere Willschicken. Die Siedlungsform und Haustypen wurden aber von der Baupolizei der lokalen Domänenkammern geplant und überwacht.
Die Fruchtbarkeit und die Sterblichkeit verliefen von 1300 bis etwa 1750 parallel gemeinsamen auf einem hohen Niveau, die jeweiligen Verläufe wiesen jedoch großen Ausschläge auf, wie z.B. während der Pest oder des Siebenjährigen Krieges. Die Rückschläge konnten aber immer wieder durch eine gezielte Kolonisierung ausgeglichen werden. Deshalb kam es auch während dieser Zeit zu keiner grundlegenden Veränderung des vorgefundenen Bevölkerungssockels. Die damalige Lebenserwartungen lagen bei der Landbevölkerung um die 30 Jahre.
Nach dem Tode Friedrichs des Großen 1786 fing die Bevölkerung in Ostpreußen langfristig an, lokal zu wachsen. Die Sterblichkeit nahm ab, die Fruchtbarkeit blieb auf einem hohen Niveau. Das Land konnte ab jetzt eine größere Anzahl seiner eigenen Landeskinder ernähren, wenn auch teilweise auf einem extrem niedrigen Stand. Eine weitere Kolonisierung stockte, da jetzt auch die zahlreichen unversorgten Erben der örtlichen Bauern im Zuge der beginnenden Melioration selber auf dem ostpreußischen Land angesetzt wurden. Mit der Ablösung der persönlichen Verpflichtungen der Bauern gegenüber ihren Guts- und Landesherren begann 1807 nach den Napoleonischen Kriegen in Preußen die Bauerbefreiung. Die Lebenserwartung nahm langsam zu. Die Bevölkerungszahl begann in Ostpreußen insgesamt auch langfristig zu wachsen.
Die Bauernbefreiung von 1807 - 1850 führte in Preußen zu einem grundlegenden Landesumbau. Bauern wurden jetzt zu Besitzern auf eigenem Land. Die Arbeitszeit, die die freien Besitzer auf den "freien" Höfe jetzt zur ihrer Verfügung hatten, vervierfacht sich in der gleichen Zeit, da sie gegenüber den Guts- und Landesherren keine Arbeitspflichten mehr hatten. Die Flächen der Güter nahm aber bis 1871 zu, da viele bisherige Bauern aus wirtschaftlichen Gründen Teile ihres im Rahmen der Bauernbefreiung erworbenen Landes wieder an die Güter abgeben mussten und so zu Kleinbauern oder Tagelöhnern wurden. Die Zahl der ländlichen Kleinbauernstellen stieg auf dem Dorf um das Dreifache. Die Gutswirtschaften mußten ohne die bisherigen Dienste ihrer Scharwerksbauern neue Arbeitsstellen schaffen – so mussten jetzt Insten, Deputanten und Gesinde dauerhaft fest eingestellt werden, dazu kamen bei Bedarf auch die Tageslöner. Die Zahl der festangestellten Arbeitskräfte auf den Gütern stiegt bis 1867 um das Doppelte. Auch Tagelöhner, Gärtner und Gesinde konnten jetzt legal Familien gründen. Die Zahl der gegrünten Familien auf dem Lande verdoppelt sich ebenfalls insgesamt ebenfalls von 1805 bis 1867.
Die Bauernbefreiung wurde durch eine verstärkte Melioration begleitet. Die Melioration (Bodenverbesserung) - sie hatten schon unter Friedrich dem Großen begonnen, führte z. B. zur die Ausdehnung des Ausbaus auf minderwertigen Böden und ungenutzten Brachen, Waldrodung und Moorkultivierug, Verbesserung von Saatgut und Tierzucht, Zusammenlegung von Flächen mit zusätzlicher Düngung und verbesserter Landtechnik. In Ostdeutschland wurde bis 1864 etwa 15,1 Mio. ha. Land neu gepflügt. Dadurch wurden u.a. die Ackerflächen in Preußen von 1807 bis 1864 verdoppelt.
Die Bevölkerung wuchs so in Ostpreußen im Jahr 1815 von 0,86 Mio. auf 1,80 Mio. im Jahr 1867, danach begann aber die große Abwanderungswelle, vor allem ins Alt-Reich in die Industriegebiete in Schlesien und Sachsen (die so genannte „Sachsengängerei“), ebenso ins Ruhrgebiet und nach Berlin. 1907 wohnten in Berlin 98.000 geborene Ostpreußen. Es gab für die nachwachsenden Generationen nicht mehr genügende Arbeitsplätze in Ostpreußen. Von 1871 bis 1933 wanderten 920.000 Ostpreußen ab. Trotz aller demografischer Veränderungen und staatlicher Bemühungen blieb das Lebensniveau des größte Teils der ländlicher Bevölkerung hier dauerhaft unter dem des Reiches.
Quelle: Ploetz, Raum und Bevölkerung
Zur Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen gehört u.a. drei Faktoren
- Ausgangsbasis der Einwohnerzahlen
- Entwicklung von Geburten- und Sterberaten
- Ein- und Auswanderungen
Einwohnerzahl in Ostpreußen
Die Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen wurden von 1700 bis 1945 u.a. durch acht Ereignisse beeinflusst, die zugleich die Geburten- und Sterberaten und die Bevölkerungs-Wanderungen mitbestimmen:
- Ein Drittel der Bevölkerung in Ostpreußen etwa 240.000 Menschen stirbt an der Pestepidemie 1709 – 1710. 1709 gab es 0,66 Mio. Einwohner
- Die „Re-Peuplierung“ führte unter dem Soldatenkönig zur Wiederansiedlung in Ostpreußen zwischen 1710 und 1740 von etwa 68.800 Neusiedler.
- Unter Friedrich dem Großen werden von 1740 -1786 etwa 60.000 Kolonisten in Preußen angesiedelt, davon etwa 16.000 in Ostpreußen. Nach dem Tode Friedrichs des Großen stockt die Ansiedlung
- Während des Siebenjährigen Kriegs (1756–1763) eroberten 1757 russische Truppen Ostpreußen, ziehen sich aber bald zurück. Insgesamt sterben während der 7 Jahre schätzungsweise 90.000 Ostpreußen .
- Die Zahl der zivilen und militärischen Toten, während der Napoleonischen Kriege 1792 -1815 wird in Ostpreußen auf über 200.000 geschätzt.
- Während und nach der Bauernbefreiung wächst die Bevölkerung von 1815 mit 0,86 Mio. auf 1867 auf 1,80 Mio. Einwohner
- Von 1871 bis 1933 wanderten 920.000 Ostpreußen ab, da sie keine Arbeit fanden.
- Von 1914 bis 1945 wuchsen zwar die Einwohner leicht von 2,1 Mio. auf 2,39 Mio., die Toten beider Kriege werden aber zusammen auf 700.000 geschätzt.
Eigene Tabelle: Einwohner Deutsches Reich, Ostpreußen, Landkreis Insterburg, Willschicken 1700 – 1945 *
Einwohner 1700 - 1945 Dt. Reich, Ostpreußen, LK Insterburg, Willschicken | ||||
Jahr | Ostpreußen | LK Insterburg | Willschicken | |
Dt. Reich | ||||
W. Rep. | ||||
Dr. Reich | ||||
in Mio. | in Mio. | absolut | absolut | |
1709 | 0,66 | 80 | ||
1711 | 0,42 | 20 | ||
1815 | 0,86 | 80 | ||
1816 | 0,88 | |||
1818 | 25,0 | 0,89 | 31 104 | 83 |
1823 | 85 | |||
1846 | 0,92 | 58 699 | ||
1853 | 1,53 | 110 | ||
1858 | 155 | |||
1865 | 1,78 | 127 | ||
1867 | 1,80 | 134 | ||
1868 | 168 | |||
1871 | 41,05 | 1,85 | 66 788 | 154 |
1885 | 166 | |||
1890 | 49,42 | 1,95 | 71 782 | 152 |
1900 | 54,32 | 1,99 | 74 547 | 160 |
1905 | 58,51 | 2,03 | ** | 150 |
1910 | 62,69 | 2,07 | 46 110 | 148 |
1915 | 65,95 | 2,12 | 147 | |
1920 | 61,79 | 2,22 | 45 819 | 145 |
1925 | 62,41 | 2,26 | 44 775 | 146 |
1933 | 65,36 | 2,33 | 43 514 | 122 |
1939 | 79,37 | 2,48 | 43 028 | 127 |
1940 | 69,83 | 2,47 | ||
1945 | 66,00 | 2,39 | ||
* Einwohner nach den jeweiligen Gebiesständen. In Willschicken wurden 1704 vier, 1709 eine und 1815 vier Feuerstellen erhoben. Eine Feuerstelle umfasste statistisch 20 Einwohner.
** Am 1. April 1902 schied die Stadt Insterburg aus dem Kreis Insterburg aus und wurde in einen Stadtkreis umgewandelt. Der Kreis Insterburg erhielt danach die Bezeichnung Landkreis (LK). Die Einwohnerzahl reduzierte sich im neuen Landkreis 1910 um etwa 28.000.
Quellen:
Landkreis Insterburg – Wikipedia
Deutsches Kaiserreich: Einwohnerzahl 1871-1912 | Statista
Demografie Deutschlands – Wikipedia
Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen - Pruzzen Prußen Preußen (jurkat.com)
Deutsche Verwaltungsgeschichte Ostpreußen, Kreis Insterburg (treemagic.org)
Suche nach 'willschicken' in Metadaten und Volltexten | MDZ (digitale-sammlungen.de)
Im Jahr 1701 ließ sich der spätere Kurfürst Friedrich III. in Königsberg zum König in Preußen krönen und wählte für sein gesamtes Reich den Namen Königreich Preußen. 1871 wurde das Deutsche Reich und 1918 die Weimarer Republik gegründet. 1933 ergriffen die Nationalsozialisten die Macht. In den jeweiligen Zeiträumen veränderten sich die Gebietsgrößen und die Erhebungsmethoden der Bevölkerungsstatistik. Diese Veränderungen relativieren die Vergleichbarkeit.
- Im Deutschen Reich lebten 1871 etwa 41,05 Mio. Einwohner und 1910 sind es etwa 62,69 Mio. Einwohner, ein Zuwachs um 52,75 %
- In Ostpreußen leben 1871 etwa 1,85 Mio. Einwohner und 1910 sind es 2,07 Mio. Einwohner, ein Zuwachs von 11,89 %.
- In Willschicken gab es im gleichen Zeitraum eine Abnahme um 3,89 %.
- Im Landkreis (Lk) Insterburg ist von 1910 an ebenfalls eine Abnahme festzustellen.
Die nicht ausreichenden Lebensbedingungen mit unzureichender Ernährung, mangelnder Gesundheit, langfristiger Arbeitslosigkeit und Erblosigkeit hatten in Ostpreußen auf dem Lande dramatische Effekte.
Das landwirtschaftlich geprägte Ostpreußen konnte bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts der wachenden Bevölkerung nicht mehr lebenssichernde Arbeitsplätze sowohl in der überwiegenden Landwirtschaft als auch in der zurückgebliebenen Industrie bieten.
Von 1871 bis 1910 wanderten etwa 1 Million Ostpreußen ins Reich ab. Selbst nach dem Ersten Weltkries hielt die hohe Abwanderung unvermindert an. Das zeigen u. a. die sinkenden Einwohnerzahlen im Landkreis Insterburg und in Willschicken. In der Provinz Ostpreußen nahm der Anteil des Industriesektors von 1871 bis 1907 nur von 16,1 % auf 20,4 % in der Rheinprovinz dagegen von 41.3 % auf 54,4 % zu.
So gab es in Ostpreußen hauptsächliche nur gewerbliche Betriebe. Sie beschränken sich aber auf die gewerbliche Verarbeitung den land- und forstwirtschaftlichen Roherzeugnissen in Groß-Schlachtrein, Käsereien und Molkereien, Mühlen, Brennereien, Stärkefabriken und Sägewerken. 1932 wurde fast die Hälfte allen deutschen Hartkäses in Ostpreußen hergestellt. In Gumbinnen gab es zur gleichen Zeit den größten Mühlenbetrieb im Deutschen Reich, die Mühlenwerke der Prang-Aktiengesellschaft am nördlichen Ufer der Angerapp in Gumbinnen gelegen.
In der Region Insterburg war die Prangmühle Gumbinnen ein wesentlicher Betrieb. Die Anfänge gehen auf einen Erbkaufkontrakt zurück, der zwischen der Preußisch-Litauischen Kriegs- und Domänenkammer und dem Mühlenmeister Michael Frank geschlossen und 1753 von Friedrich dem Großen signiert wurde. Nach vielen Besitzerwechseln ging die Mühle 1877 an den Stadtrat Arthur Prang über, der sie weiter ausbaute. 1909 Umwandlung in die “A. Prang Dampf- und Wassermühlenwerke AG”. 1922 an der Berliner Börse eingeführt, die große 1923er Kapitalerhöhung übernahm dann ein Konsortium unter Führung der Deutschen Bank, Fil. Königsberg. 1938 umbenannt in Prangmühlen AG. Das Absatzgebiet waren vor dem 2. Weltkrieg die Nordischen Staaten, Holland, England, Frankreich und Italien. Die Mühle besaßen eine Einlagerungsmöglichkeit von 300.000 Tonnen und einen täglichen Mahlverbrauch von 4.000 Zentner Getreide. Jährlich waren 80 vollbeladene Güterzüge notwendig, um das Getreide zu Mühle zu bringen. 8 bis 10.000 Landwirte belieferten die Mühle direkt.
"Aus Ostpreußen gingen der Tilsiter Käse und Königsberger Klopse, ein Fleischgericht aus Gehacktem, in die allgemeine deutsche Küche ein. Beliebt sind Königsberger Marzipan, unter den Alkoholika Bärenfang (Honiglikör) und Pillkaller (Machandelschnaps)".
Technische Betriebe z. B. für Textil- Landmaschinen erreichten nur mittlere Größen. Drei Ausnahmen waren die Werften in Danzig, der Lokomotiven Bau in Elbing und der Waggon-, Lokomotiven- und Schiffsbau in Königsberg.
Die geringen Wachstumsraten der Industrie in Ostpreußen sind auch auf eine "zaghafte Industrialisierung" zurückzuführen. Gegner einer raschen Industrialisierung waren die Großgrundbesitzer, die den Verlust ihres Einflusses befürchteten. Dazu kamen – bis auf Bernstein - die fast gänzlich fehlenden Bodenschätze und fehlende Facharbeiter. Hinderlich war das unzureichende Verkehrswegenetz. Die bis zu vier Monate vereisten Flüsse konnten nur von Fahrzeugen bis zu 400 Tonnen genutzt werden, der Oberländische Kanal verkraftete gar nur Kähne bis maximal 100 Tonnen. Den Meereszugang behinderte zudem die starke Dünenbildung an der Küste. Das geringe Gefälle der Tieflandflüsse machte auch die Nutzung der Wasserkraft nahezu unmöglich. Nach den Versailler Verträgen wurden die überregionalen Verkehrsanbindungen noch unzureichender.
Karte: Gewerbe in Ostpreußen 1910 [190]
Abbildung: Erwerbstätige in Ostpreußen 1907 [191]
Das obige Foto zeigt die ehemaligeTabelle: Erwerbstätige im Deutschen Reich nach Wirtschaftssektoren [192]
Beschäftigte in Industrie und Handwerk [193]
Die Motorisierung der Feldwirtschaft fand zwar schon ab 1870 statt. Die begann in Ostpreußen im größeren Umfang erst ab dem Jahre 1930. Sie fand hauptsächlich auf "modernen" Gütern statt, die genügend Kapital besaßen. Bis zum 1. Weltkrieg wurden saisonal flexible Schnitter Kolonnen hauptsächlich aus Polen für Ostpreußen angeworben, da die frei verfügbare Masse der Besitzlosen Ostpreußen die Migration vorzog. Während der Weimarer Zeit war die Anwerbung aus Polen politisch stark umstritten. Für die "überschüssige" Landbevölkerung aus Ostpreußen waren die Lebensbedingungen in der Fremde auch nicht berauschend, aber anscheinend immer noch besser, wie zu Hause.
Die Bevölkerungszuwächse in Ostpreußen beruhen auf Geburtenüberschüsse. Trotz des Wachstums der Bevölkerung von 1920 von 2,22 Mio. auf 2,48 im Jahre 1939 war Ostpreußen wirtschaftlich nicht in der Lage, den Bevölkerungs-Zuwachs vollständig in der Provinz zu halten.
Die mäßige Zunahme der Bevölkerung in Ostpreußen ab 1920 beruht auf "Nachholeffekte" aufgrund des 1. Weltkrieges. Die Steigerungen ab 1939 sind auch auf die Eingliederung der Memelgebietes zurückzuführen.
Geburten- und Sterberaten
Als demografischer Übergang wird der Übergang von hohen zu niedrigen Sterbe- und Geburtenziffern bezeichnet. Er beginnt idealtypisch mit dem Rückgang einer hohen Sterblichkeit. Die Ursachen des Rückgangs umfassen sowohl einen höheren Lebensstandard und bessere Hygiene der Bevölkerung als auch den medizinischen Fortschritt, wobei zuerst die Säuglings- und Kindersterblichkeit zurückgeht. Da die Geburtenzahl zunächst hoch bleibt, wächst die Bevölkerung vorübergehend schnell an und ihre Altersstruktur beginnt sich zugunsten jüngerer Altersjahrgänge zu verschieben.
Eigene Tabelle: Geburts-, Sterbe- und Heiratsraten in Preußen 1875 - 1910
Geburts-, Sterbe- und Heiratsrate in Preußen 1875 -1910 | ||||||||||||
Preußen | Städte in Preußen | Landgemeinden in Preußen | ||||||||||
Jahr | Geburtes- | Sterbe- | Heirats- | Geburtes- | Sterbe- | Heirats- | Geburtes- | Sterbe- | Heirats- | |||
Rate in % | Rate in % | Rate in % | Rate in % | Rate in% | Rate in % | Rate in % | Rate in % | Rate in % | ||||
1875 - 1880 | 41,1 | 27,4 | 16,3 | 41,0 | 29,0 | 18,2 | 41,4 | 26,5 | 15,3 | |||
1881 - 1885 | 39,1 | 27,0 | 15,9 | 37,6 | 27,8 | 17,6 | 39,8 | 26,5 | 15,0 | |||
1886 - 1890 | 39,0 | 25,6 | 16,3 | 36,8 | 25,7 | 18,4 | 40,3 | 25,4 | 15,00 | |||
1891 - 1895 | 38,5 | 24,2 | 16,2 | 36,8 | 24,1 | 18,0 | 40,2 | 24,3 | 15,5 | |||
1886 -1900 | 38,0 | 22,3 | 17,0 | 35,3 | 22,2 | 19,1 | 40,0 | 22,4 | 15,5 | |||
1901 - 1905 | 36,0 | 20,7 | 16,2 | 32,9 | 20,4 | 17,7 | 39,9 | 21,3 | 15,1 | |||
1906 - 1910 | 33,5 | 18,3 | 16,0 | 30,3 | 18,1 | 17,6 | 36,4 | 18,7 | 14,9 |
Quelle: Horst Matzerath, Urbanisierung in Preußen 1815 -1914
Mit einer zeitlichen Verzögerung setzt dann ein Rückgang der Geburtenzahlen ein. Dieser kann als Anpassung an die höhere Überlebenswahrscheinlichkeit von Kindern und einer sich unter dem Einfluss gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse und verändernder wirtschaftlicher Rahmenbedingungen wandelnden idealen Kinderzahl interpretiert werden. Das Bevölkerungswachstum schwächt sich ab und die Bevölkerung beginnt, auch aufgrund der während des demografischen Übergangs stark gestiegenen Lebenserwartung, zu altern. Historisch verlief die Phase mit den höchsten Bevölkerungswachstumsraten in Preußen zeitgleich mit Industrialisierung und ging bis zum Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts langsam zurück Quelle: Erster und Zweiter demografischer Übergang | bpb.de und Anlage 1
Das "Modell des Demografischen Übergangs" ist nur eine Möglichkeit zur Beschreibung und Interpretation von Geburten- und Sterberaten. Es ist streng genommen kein "erklärendes theoretische Modell", sondern eine Beschreibung von ähnlichen Verkäufen in ähnlichen Regionen aber mit Lücken. Die einzelnen Phasen haben verschiedene Wendepunkte und können unterschiedlich lang sein. Durch häufige Gebietsveränderungen, veränderte Erhebungsmethoden, unterschiedliche Zeiträume und das Fehlen von Daten treten zusätzlich Interpretation-Schwierigkeiten auf.
Abbildung: Demografischer Übergang [194]
Abbildung: Geboren und Gestorben in Deutschland 1840 - 2000 ohne Kriegstote [195]
Abbildung: Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen Heimatatlas für Ost-Preussen[196]
Der Demografische Übergang fand in Europa und Nordamerika zwischen 1850 und 1940 statt und kennzeichnet alle Industrie- und Schwellenländer im Laufe ihrer Entwicklung. In Deutschland begann er etwa 1850, die Hauptphase lag zwischen 1870 und 1920
Nach 1815 sollen mit Hilfe des Modells des Demografischen Übergangs Phasen der Bevölkerungsentwicklung in Ostpreußen beschreiben werden.
Folgende Phaseneinteilungen werden vorgeschlagen:
- Phase 1 von 1815-1867 - Unruhiges Gleichgewicht. Wahrscheinlich setzte diese Phase schon viel früher ein. Die genaueren Statistiken beginnen aber erst ab 1815, viele Kirchenbücher und andere historische Quellen mit vorhergehenden statistischen Daten sind während der Weltkriege verbrannt. Fruchtbarkeit und Sterblichkeit hielten in Deutschland von 1815 bis 1867 einen gezackten Parallelverlauf etwa zwischen durchschnittlich 42 und 28 %. Bis dahin spielt sich auf niedrigem Niveau ein ungefährer Gleichstand der Gesamtbevölkerung in Ostpreußen zwischen 1700 und 1846 von etwa 0,9 Mio. ein. Die Bauernbefreiung lässt große Teile der ländlichen Bevölkerung verarmen. Die Geburtenraten steigen in Ostpreußen ab 1846 deutlich an. Die Bevölkerung verdoppelt sich bis 1867 bis 1847 von 0,86 Mio. auf 1,80 Mio., um sich dann auf einem Plateau einzupendeln. Von 1848 bis 1873 gibt es in Ostpreußen die „Getreidekonjunktur", sie lässt die Menschen hoffen. Die Sterberaten fielen erst ab 1906 unter 20 %.
- Phase 2 von 1867-1895 - Mehr Menschen leben länger. Trotz der durchgehend die hohen Geburten-Überschüsse, stellt sich in Ostpreußen von 1867 bis 1895 nur ein Bevölkerungswachstum von 1,80 auf 1,99 Mio. Einwohner ein. Im gleichen Zeitraum ist das Abfallen der Sterberate in Preußen von 27,4 % auf 24,2 % zu erkennen, während die Geburtenziffern von 41,1 % auf 38,5 % abnimmt. Die Bevölkerung wächst zwar, aber die Altersstruktur beginnt sich zugunsten jüngerer Altersjahrgänge zu verschieben. Es beginnen im großen Stil Wanderungen der jungen Landarbeiter in die Ballungsgebiete.
- Phase 3 von 1895 bis 1914 - Bevölkerung wächst auf hohem Niveau langsamer. Ab 1885 sinken die Geburtsraten in Preußen schneller. Von 1895 bis 1910 von 35,8 % auf 33,5 %. Die Sterberaten sinken allerdings auch von 24,2 auf 18,3 %. Die Bevölkerung wächst in Ostpreußen aber nur von 2,02 Mio. auf 2,12 Mio. Einwohner. Die Abwanderungen gehen weiter. Konjunkturen und Depressionen wechseln im 5 Jahres Rhythmus. Die Wanderungen bleiben auf hohem Niveau. Sie differenzieren sich aber durch die Unterstützung durch soziale Netzwerke, Rückwanderungen und erneuter Start, Nachzug und Auswanderung in die USA.
- Phase 4 von 1914 -1939 - Dominanter 1. und 2. Weltkrieg Von 1914 an liegt die Sterberate in Deutschland zunächst noch zwischen 21 und bis 1918 bei 24 %, um nach dem 1. Weltkrieg auf durchschnittlich auf 11 % abzusinken. Die Geburtenraten liegen zwischen 1915 und 1925 über 20 %. Von 1915 bis 1939 wächst die Bevölkerung in Ostpreußen von 2,12 auf 2,48 Mio. Einwohner. Die Wanderungen gehen in Ostpreußen aufgrund nicht ausreichender Arbeitsplätze in der Industrie bis zum 2. Weltkrieg weiter.
- Ab 1972 liegt in der Bundesrepublik Deutschland erstmals die Geburtenrate unter der Sterberate. Beide Raten verlaufen dann mit einem Abstand von z.Z. mit etwa 200.000 parallel weiter.
Geburten- und Sterberaten werden zusätzlich durch Heiratsraten und Säuglings- bzw. Kindersterblichkeit und die Länge der Lebenserwartung beeinflusst.
Das relative niedrigen Bevölkerungswachstum in der 2. und 3. Phase ist in Ostpreußen darauf zurückzuführen, dass, neben der Abwanderung, die Sterberate der Kinder auf einem relativ hohen Niveau lag. Das galt besonders für Säuglinge. Häufigste Todesursache war dabei Durchfall, wobei vor allem Kinder gefährdet waren, die nicht gestillt wurden. Ärmere Gesellschaftsschichten hatten dabei eine höhere Sterblichkeit als reiche. Die Kindersterblichkeit in Deutschland sank bis 1910 auf etwa 160, 1930 auf unter 100 und 1970 auf etwa 25 ja 1.000 Lebendgeborene. Ursache für den Rückgang waren konsequentes Stillen sowie beratende, soziale und hygienische Maßnahmen und auch die Kinderheilkunde.
Erstaunlicherweise sind in Preußen die Sterberaten auf dem Lande gegenüber den Städten niedriger. Ist das Leben auf dem Lande tatsächlich "gesünder" als in den damaligen Städten? Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Tatsächlich bieten aber hohe Werte der Bevölkerungsdichte in den Städten auch hohe Ansteckungsgefahren von Krankheiten. Folgende Epidemien fanden in Königsberg statt:
- 1807 Flecktyphus und Ruhr in Königsberg, 10.000 Tote, Viehsterben, große Teuerung, 1.949 Geburten, 6.392 Todesfälle
- 1831 Cholera in Königsberg, 2.200 Erkrankungen, 1.327 Tote, siehe auch Cholera-Aufstand in Königsberg. Der Cholera-Aufstand in Königsberg war ein Aufstand mehrerer hundert Menschen Ende Juli 1831 in Königsberg, der acht Tote und zahlreiche Verletzte forderte. Anlass war die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den städtischen Maßnahmen bei der Bekämpfung einer Cholera-Epidemie. Quelle: Cholera-Aufstand in Königsberg – Wikipedia
- 1866 Cholera in Königsberg, 3.967 Erkrankungen, davon 517 Soldaten; 2.671 Tote
- 1871 Pocken, 771 Erkrankungen
- 1871 Cholera, 3.741 Erkrankungen, 1.790 Tote
In den östlichen Regionen Preußens liegen die Geburtsraten auf dem Lande zwischen 1875 und 1910 über denen der Städte. Die hohen Geburtenraten auf dem Lande, die bis zu 16% über den Sterberaten lagen, sind Ausdruck eines "traditionellen" Menschenbildes, das von den Kirchen und den Gutsherren vermittelt wurde. Die Menschen starben für heutige Verhältnisse früh bekamen aber dennoch viele Kinder. Bei den Gutsherrlichen Bauern bedurfte es der Genehmigung der Gutsherren, wenn der Scharwerker eine Ehe einzugehen wollte.
Ergänzend enthielten die meisten Lokalrechte Verbote für die Vermehrung der Bauernstellen durch Erbteilung, so dass nur ein Kind in die Funktion des Hausvaters und Gemeindegenossen nachrücken konnte. Dennoch hatte der stellengebundene Ehekonsens die Konsequenz, dass rund 20 bis 30 Prozent der mitteleuropäischen Bevölkerung niemals heiraten durften. Theoretisch waren diese Dauerledige auch kirchenrechtlich zu lebenslanger sexueller Abstinenz verpflichtet. Mütter und deren "unehelichen" Kinder wurden von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzt und von den "Autoritäten" sozial verachtet und verfolgt.
Die Quoten der unehelichen Geburten wuchsen in Preußen auf dem Lande von 1849 mit 6,7 % auf 7,2 % in 1874, in den Städten von 1849 mit 9,4 % auf 9,8 % in 1874.
Die Heiratsraten in Preußen haben einen verhältnismäßig gleichförmigen Verlauf, liegen in den Städten zwischen 17 und 18 % etwas über denen auf dem Lande, hier zwischen 14 und 15 %. Ehen wurden in der Regel erst dann eingegangen, wenn ihre wirtschaftliche Situation langfristig gesichert erschien. Auf dem Lande kam es häufig zu Spät-Ehen, da erst dann, ihre Zukunft gesichert war. Der gleichförmige Verlauf der Quoten lässt auch darauf schließen, dass die wirtschaftliche Lage in Ostpreußen gleichbleibend schlecht blieb.
Die Familienstände in Preußen: (1900)
- 59,62 % ledig
- 34,68 % verheiratet
- 5,53 % verwitwet
- 0,17 % geschieden
Die Heiratsraten in Preußen liegen zwischen 1875 und 1910 in den Städten über denen in den Landgemeinden. Die Gründe sind wohl neben der strengen Normierung wie die Heiratsgenehmigung auf dem Lande auch in besseren Lebensperspektiven in den Städten bieten, zu finden. Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von einem wesentlichen Wanderungsmotiv "einem übergroßen Freiheitsdurst der jungen Landbewohner"
Die Ehe-Genehmigung der Scharwerks-Bauern war an eine Stelle gebunden. Der stellengebundene Ehekonsens führte zu Spät-Ehen mit einem hohen durchschnittlichen Heiratsalter von rund 28 Jahren bei den Männern und 26 Jahren bei den Frauen. Die Verkürzung der fruchtbaren Lebensspanne der Frau auf etwa zehn Jahre hatte einen geburtenregulierenden Effekt. Ein Paar konnte kaum mehr als vier oder fünf Kinder bekommen, von denen oft nicht mehr als die Erhaltungsquote von zweien überlebte. Die "persönliche Rechnung" besagte, mindestes 4 Kinder zu haben, davon könnten 2 streben, die überlebenden 2 Kinder könnten dann Vater und Mutter im Alter versorgen. Um 1900 lag die Fruchtbarkeitsziffer für Frauen bei 4,93 Kinder. Dieses Menschenbild hielt bis nach dem 1. Weltkrieg und wurde während des Nationalsozialismus wieder belebt. Generell ist nach Kriegen ein Ansteigen der Geburtenraten festzustellen.
Quelle: BiB – Fakten – Säuglingssterblichkeit in Deutschland (1872-2020) (bund.de)
Im Deutschen Reich betrug 1871/1881 die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt für Jungen 35,6 Jahre und für Mädchen 38,4 Jahre. Durch die hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit starb ein Drittel der Kinder vor Vollendung des 5. Lebensjahres. Um 1900 lag die Fruchtbarkeitsziffer für Frauen bei 4,93 Kinder. In den letzten 140 Jahren hat sich die Lebenserwartung bei Geburt in Deutschland mehr als verdoppelt (2016/2018: Jungen: 78,5 Jahre / Mädchen: 83,3 Jahre). Dafür sind viele Faktoren verantwortlich: Fortschritte in der Medizin, im Gesundheitswesen und im Bereich der Hygiene, bessere Ernährung, komfortableres Wohnen, bessere Arbeitsbedingungen sowie höhere Sicherheitsstandards.
Die folgende Tabelle zeigt die durchschnittliche Lebenserwartung Im Deutschen Reich
Quelle: Demografie Deutschlands – Wikipedia
Rechtliche Strategien gegen die Vermehrung der lokalen Bevölkerung waren nicht nur nach innen, sondern auch nach außen gerichtet. Um 1800 sollen etwa zehn Prozent der ländlichen Bevölkerung in Ostpreußen "heimatlos" gewesen sein. Sie wurden unterschiedlich bezeichnet, z. B. als Heimatlose, Landfahrer, Vaganten, Vagabunden, Wanderer, Obdachlose, Bettler oder Nichtsesshafte. Unter ihnen war die Säuglingssterblichkeit extrem hoch.
Besonders strikt war das Sich-Abschließen gegenüber der die Landstraßen bevölkernden heimatlosen Bevölkerung. Es gab eine strikte Abweisung der Gemeindevorsteher und Gutsherrn diesen Außenstehenden gegenüber. Ein freier Zuzug - der oft in Gruppen auftretenden Heimatlosen – hätte die dörfliche Sozialwelt binnen kurzem überfordert. Durch gleiches Verhalten der Dorfgesellschaften waren die Landfahrer, immerhin nach Schätzungen von 1850 noch rund fünf Prozent der Bevölkerung in Preußen, in eine unentrinnbare unfreiwillige nahezu völlige Recht- und Schutzlosigkeit ohne realistische Wiederansiedlung abgedrängt. Ein regulärer Lebenserwerb stand ihnen nicht mehr offen, womit Lebensmittel-Diebstahl zum Überlebenszwang wurde. Wolfgang John, schätzt die Zahl der Obdachlosen für 1880 in Preußen in den Städten aufgrund einer Umfrage auf 682 000 – noch etwa 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, auf dem Lande sollten geschätzte 3,5% "heimatlos" sein, da sie dort "besser überleben konnten". (Quelle: Wolfgang John, … ohne festen Wohnsitz… Ursache und Geschichte der Nichtseßhaftigkeit und die Möglichkeiten der Hilfe) Während der Industrialisierung ging ihre Zahl auf Grund der sozialen Ausgrenzung kaum zurück. In Ostpreußen fürchteten sich konservativer Kreis um 1900 vor "polnischen Bettlern". In Willschicken konnten man nach dem 1. Weltkrieg noch „Ziegahnsche" oder „Pracher" auf der Straße begegnen. Im Dritten Reich wurde die "asoziale" Teile der Bevölkerung in Lagern systematisch weitgehend umgebracht.
Ein- und Auswanderungen von Ostpreußen
"Als Migration werden räumliche Bewegungen von Menschen bezeichnet, die mit einer längerfristigen Verlagerung des Lebensmittelpunktes (von Individuen, Familien oder Kollektiven) über eine administrative Grenze hinweg einhergehen. Migrationen, die innerhalb eines Staates erfolgen, werden als Binnenwanderungen bzw. Binnenmigration bezeichnet." Quelle: Migration | bpb.de
Maßgeblich für das Deutsche Reich waren die Binnenwanderungen.
Die Intensität der Binnenwanderung im Deutschen Reich hing eng mit den damaligen Konjunktur-Rhythmen zusammen. Ab 1872 wechselten Auf- und Abschwung bis 1914 etwa alle 5 Jahre ab, so dass es keine langfristig Lebensperspektive für Menschen ohne festes Einkommen gab. Siehe weiter oben auch die Tabelle: Konjunkturzyklen im Deutschen Reich nach Hans-Ulrich Wehler. Die Hyperinflation 1918-1924 und die Weltwirtschaftskriese 1929 - 1933 lieferten weitere handfeste Wanderungsargumente.
Besonders ausgeprägt war die Ost-West-Binnen-Wanderung, also der Zug aus den östlichen preußischen Provinzen nach Berlin oder in die rheinisch-westfälischen Industriegebiete. Bis 1907 hatten 1,94 Millionen Menschen die ostelbischen Provinzen Ostpreußen, Westpreußen und Posen verlassen und rund 24 % der in diesen Provinzen Geborenen lebte zum Zeitpunkt der Volkszählung in anderen Teilen des Reiches. Von diesen waren etwa 400.000 im Ruhrgebiet und 360.000 in Berlin und Umgebung wohnhaft. Bis 1914 wanderten allein etwa 450.000 meist polnisch oder masurisch sprechende preußische Staatsbürger ins Ruhrgebiet.
Im Zuge der Industrialisierung wanderten im späten 19. Jahrhundert zahlreiche Einwohner Masurens in die westlichen Industriegebiete ab. Im Jahr 1908 lebten etwa 120.000 bis 130.000 Masuren im Ruhrgebiet, wo sie als Teil der sogenannten Ruhrpolen wahrgenommen wurden. Beispielsweise waren zwischen 1884 und 1904 allein nach Gelsenkirchen 18.275 Masuren zugezogen, auf der Zeche Graf Bismarck arbeiteten im Jahr 1900 2.174 Masuren. 1920 zählte Gelsenkirchen 67.000 Masuren, die zur Volksabstimmung in ihre Heimatorte reisten. Regionale Ansiedlungsschwerpunkte im Ruhrgebiet bildeten Wattenscheid für Neidenburger und Soldauer, Bochum für die Osteroder und Wanne für Lötzener. Im mittleren Ruhrgebiet waren manche Stadtteile masurisch geprägt, so erhielt Gelsenkirchen-Schalke den Beinamen „Klein-Ortelsburg“.
Die Mehrheit der Fernwanderer waren Einzelwanderer, zumeist ledige jüngere Männer. In Bereich der Nahwanderung, also innerhalb einer Provinz, waren Frauen, die meist Arbeit als Dienstmädchen suchten, überdurchschnittlich stark vertreten. Später holten die ostdeutschen Zuwanderer nur zum Teil Frauen und andere Familienangehörige nach, da die Zurückgebliebenen zu Hause die Kleinbauernstellen bewirtschaften mussten. Ausgeprägt war auch die Rückwanderung, etwa im Alter oder in Zeiten schlechter Konjunktur.
In einigen Gebieten entwickelten sich Formen von regelmäßiger Saisonarbeit. So wanderten aus Masuren jedes Jahr zahlreiche Bauhandwerker zum Arbeiten für einige Monate ins Ruhrgebiet und kehrten ebenso regelmäßig in den Wintermonaten wieder zurück. Mit der Einführung günstiger Arbeitertarife durch die Eisenbahn nahm auch die Pendelwanderung erheblich zu. Diese verschiedenen Formen machten eine dauerhafte Abwanderung unnötig und ermöglichten insbesondere den Besitzern kleiner unrentabler Höfe, ihren Besitz zu halten
Die Abwanderungen in Ostpreußen setzen um 1870 nach dem Ausbau der Eisenbahn im großen Stil ein. Sie waren um die Jahrhundertwende besonders hoch und gingen auch nach dem Ersten Weltkrieg zunächst nicht zurück. In den 40 Jahren zwischen 1871 und 1910 wanderten jährlich durchschnittlich zwischen 20.000 und 30.000 überwiegend junge ostpreußische Männer in das Reich ab, d.h. etwa eine Million Menschen verließen in diesem Zeitraum ihre Heimat. Die, durch die Versailler Verträge, abgeriegelte Provinz drohte nach dem 1. Weltkrieg auszubluten. Von 1920 bis 1933 wanderten nachmals schätzungsweise 320.000 Menschen nicht nur in das Reich, sondern auch nach Übersee ab. Die Bevölkerungszahlen im Landkreis Insterburg im Kreis Franzdorf und in Willschicken nahmen deshalb sogar ab.
Die Ab- bzw. Zuwanderung in Ostpreußen lief ab 1800 in mehreren Phasen ab:
- Erstwanderung in ländliche Umgebung und größere Städte der Umgebung - auch Binnenwanderung. (siehe auch Demografischer Übergang Phase 1) Bis zum Ausbau der Eisenbahn ab 1860 wahren die Transportmittel sehr begrenzt. In einem ersten Schritt wurde in die ländliche Umgebung nach Arbeitsplätzen gesucht. Stellen als Instleute, Gesinde oder Tagelöhner waren begehrt. Jedoch nur während der wirtschaftlichen Aufschwünge boten sich in kleinem Maße die Gelegenheiten an. Die größeren Städte in Ostpreußen waren nicht in der Lage die großen Massen langfristig aufzunehmen, da es hier nicht genügende Arbeitsstellen gab. Besonders unversorgte Frauen suchten nach „Häuslichen Diensten“ in der Region und in der Provinz Ostpreußen. Hinzu kamen landsmännische Bindungen. Der Land-Kreis Gumbinnen wies 1919 mit über 70 Einwohnern je km² mit der höchsten Bevölkerungsdichte in Ostpreußen auf. Hier gab es eine Konzentration von ehemals Litauern von diesseits und jenseits der Grenze. Sie machten um 1900 etwa 10 % der Ortsansässigen aus. Diese zogen weitere Lands-Männer und Frauen nach sich, um hier als Erstwanderer bei Freunden und Verwandten unterzukommen, um dann nach Arbeit zu suchen.
- Abwanderung in Industriegebiete und Großstädte (siehe auch Demografischer Übergang Phase 2) Insbesondere junge Männer aus den Landgemeinden zogen jetzt dahin, wo es an Arbeitskräften mangelte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann eine wachsende Zahl nachgeborener ostpreußischer Bauernsöhne und Landarbeiter in die Industriegebiete in Schlesien und Sachsen abzuwandern (so genannte „Sachsengängerei“), ebenso ins Ruhrgebiet und nach Berlin. So fehlten vielerorts in der Erntezeit die Arbeiter. Mit Wirkung ab 1. November 1905 wurden in der Provinz Ostpreußen die vier südlichen Kreise (Johannisburg, Lötzen, Lyck und Sensburg) vom Regierungsbezirk Gumbinnen abgetrennt und zusammen mit dem Südteil des Bezirks Königsberg zum neuen Regierungsbezirk Allenstein zusammengefasst. Die Abwanderungsraten waren im neuen Regierungsbezirk Allenstein am höchsten. Dies hing auch mit der minderen Bodenqualität zusammen. Dieser Regierungsbezirk wies auch den höchsten Anteil zugewanderter polnischer Bevölkerung auf, die häufig in der zweiten Generation weiterwanderte. Es waren zunächst Saisonwandere, die im Winter zurückkehrten.
- Zuzug von Saisonarbeitern (siehe auch Demografischer Übergang Phase 3) Für die wachenden Ernteerträge auf den Gütern wurden deshalb (billige) Saisonarbeiter aus Kongresspolen angeworben. Diese Schnitter Kolonnen verpflegten sich selbst. Kornus aus der Korbflasche verdünnt mit Wasser, Kohlsuppe und eine Seite fetter Speck war eine übliche Verpflegung. Akkordarbeit war die Regel. Geschlafen wurde in den Ställen oder im Freien. Auf dem Gut Alt Lappönen gab es sogar eine “Schnitterkaserne“, in der im Dritten Reich Ostarbeiter untergebracht wurden. Quelle: https://annaberger-annalen.de/jahrbuch/2021/Ausgabe29.shtml
- „Osteuropäische Migration nach Deutschland bedeutete seit dem späten 19. Jahrhundert vornehmlich Migration von Polinnen und Polen. Weil es seit dem späten 18. Jahrhundert keinen polnischen Staat mehr gab, handelte es sich um Staatsangehörige Russlands oder Österreich-Ungarns. Im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republikgalt eine Beschäftigung polnischer Arbeitskräfte zwar als wirtschaftlich notwendig. Wegen der Furcht vor einer "Polonisierung" der östlichen Gebiete des Reiches sollte aber verhindert werden, dass sie sich dauerhaft niederließen. Ihr Aufenthalt wurde deshalb streng kontrolliert und saisonalisiert. Polnische Arbeitskräfte durften im Wesentlichen nur in der Landwirtschaft beschäftigt werden und mussten im Winter in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren. Kurz vor dem Erster Weltkrieg wurde die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte in Deutschland auf insgesamt 1,2 Millionen geschätzt, ein Drittel davon waren Polinnen und Polen, von denen ca. 270.000 in der Landwirtschaft arbeiteten.“ Frauen wurden bevorzugt, da sie deutlich weniger als die Männer verdienten. Im Ersten Weltkrieg wuchs besonders in Ostpreußen die Zahl der polnischen Arbeitskräfte nochmals an, da sie auf dem Lande die einberufenen Männer ersetzen sollten, was aber nur teilweise gelang. Quelle: Osteuropäische Arbeitskräfte in Deutschland vom späten 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart | bpb.de
Die folgenden Fotos zeigen polnischer Landarbeiter um 1900
Foto: Polnischer Landarbeiter 1881[199]
Foto: Polnische Schnitter um 1900 [200]
Foto: Gut Dönhofstädt, Kreis Rastenburg; Vorschnitter Franz Mielke und hinter ihm noch mindestens 15 Binderinnen und Schnitter [201]
- Weiterwanderung und Suche nach annehmbaren Arbeitsplätzen (siehe auch Demografischer Übergang Phase 3) Die jungen Männer aus der ostpreußischen Landwirtschaft bleiben häufig nur ein Jahr an ihrem ersten Zielort. Ursachen waren ungewohnte Umgebung, schlechte Wohn- und Arbeitsbedingungen und gesundheitliche Probleme. Sie zogen weiter „um es besser zu treffen“. „Das informelle Informationsnetz und die gezielte Anwerbung in bestimmten Regionen führten dazu, dass häufig Verwandte und Freunde, nachbaren und Berufskollegen aus demselben Herkunftsgebiet den neuen Ankömmling auffingen.“
Tabelle: Wanderungsvolumen und Wanderungssaldo in Berlin
Wanderungsvolumen und Wanderungssaldo in Berlin | |||
Jahr | Zuzug | Abzug | Saldo |
1880 - 1890 | 1 585 000 | 1 162 600 | 422 400 |
1890 -1900 | 2 090 700 | 1 656 800 | 433 900 |
1900 - 1910 | 2 603 000 | 2 245 000 | 358 000 |
1907 wohnten in Berlin 98.000 geborene Ostpreußen.
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte Band 3
- Teilweise Rückwanderung nach Hause zur Familie und Erneute Abwanderung in Industriegebiete und Großstädte (siehe auch Demografischer Übergang Phase 3) „Die Rückwanderungen auf Land erfolgten, wenn die hochgespannten Erwartungen enttäuscht oder die Hoffnungen durch eine Konjunkturschwankung durchkreuzt wurden. Überwiegend blieb es nicht bei einer dauerhaften Rückkehr, sondern bei der nächsten Gelegenheit ging es wieder auf die Suche nach einem Erwerbsangebot in einer anderen Stadt. So bildete sich ein Kreislauf heraus, der Hunderttausend immer wieder zurück in die ländliche Gemeinschaft führte.“ Erich Tuttlies arbeitet von 1925 bis 1935 als Maurer zuerst in Insterburg. Hier wohnte er bei seinem Bruder Max. Dann zog der weiter nach Berlin und kehrte 1933 wieder zu Hause zurück.
- Nachzug der Familien (siehe auch Demografischer Übergang Phase 3) "Man kann auch einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt". Dieser Ausspruch stammt von Heinrich Zille, der das Mietkasernenelend in Berlin zeichnete. Die Wohnungssituation war in den Ballungsgebieten für nachziehende Familien katastrophal. Bis zu 8 Personen "hausten" in 1-Zimmerwohnungen. Es gab aber auch des "Trockenwohnen" von Mietskasernen in Großstädten oder Schlafgänger, die sich ein Bett im Schichtbetrieb teilten. Als Schwabesches Gesetz bezeichnet man die 1868 von dem Berliner Statistiker Hermann Schwabe formulierte Beobachtung, wonach bei steigendem Einkommen eines Privathaushalts dessen Konsumausgaben für Wohnungsmiete relativ abnehmen. „Je ärmer jemand ist, desto größer ist die Summe, die er im Verhältnis zu seinem Einkommen für Wohnungsmiete verausgaben muss“. In Berlin verdoppelten sich die Mieten von 1850 bis 1870. Pionierwanderer erkundeten häufig zunächst die Gelegenheiten vor Ort, um dann gegebenenfalls die Familie nachzuholen. Die Zahlen bleiben zumindest in der „ersten „Wander-Generation“ gering. Die Literatur nennt nur ca. 10 % Familien-Nachzug. In den meisten Fällen blieb aber „das Haus der Eigenkätner in der Heimat“ der wichtigste Ankerpunkt für die zurückgebliebenen Familien und die rückkehrenden Wanderer.
- Auswanderung: (siehe auch Demografischer Übergang Phase 3 und 4) Die Perspektivlosigkeit und Abenteuerlust führte zur Auswanderung zwischen 4,2 und 5,0 Millionen Menschen aus Deutschland nach Übersee – insbesondere nach Nordamerika und dort in erster Linie in die USA. Es waren überwiegend Familienwanderungen. Diese waren auch das Ziel von (1880–1914) etwa fünf Millionen Transitwanderern aus Osteuropa, die sich über deutsche und westeuropäische Häfen einschiffen wollten, dabei aber teilweise auch unterwegs 'strandeten' da ihnen die finanziellen Mittel ausgingen, sie krank wurden, aber auch weil sie hier Arbeit oder Ehepartner fanden. Ostpreußen war und blieb aber kein Auswanderungsgebiet, sondern ein Ausgangsraum der internen Ost-West-Fernwanderung, zu der es die stärksten Kontingente stellte: Während die deutsche Auswanderungsstatistik etwa in dem Jahrzehnt 1890–1900 insgesamt nur 12.859 überseeische Auswanderer aus Ostpreußen erfasste, betrug der gesamte Wanderungsverlust Ostpreußens in diesem Jahrzehnt 451.916 Personen. Auswanderung aus Willschicken fand aber auch statt. So migrierte z. B. Anni Bartuschat aus Willschicken mit Familie lt. Bremer Passagierlisten am 18. Mai 1934 auf dem Schiff „Bremen“ von Bremen nach New York. Quelle: bremer passagierlisten auswanderung - Suchen (bing.com)
- Zuwanderung: Von der Reichsgründung bis 1910 stieg die Zahl der registrierten Ausländer im Deutschen Reich (ohne Saisonarbeiter) von 206.000 auf knapp 1,2 Mio. Etwa 110.00 Polen arbeiteten saisonweise in der ostpreußischen Landwirtschaft.
Der damalige Regierungspräsident des Regierungsbezirkes Gumbinnen Graf Westfal stellte 1887 folgendes fest: "Als eine der Hauptursachen für die Abwanderung ist die Tatsache hervorgehoben, dass die Industrie des Westens das ganze Jahr über gleichmäßige Beschäftigung und entsprechende Löhne biete, während die Landwirtschaft im Regierungsbezirk Gumbinnen, die den vorwiegenden Erwerbszweig darstelle und gleichzeitig aber zur Bewältigung der Bestell- und Erntearbeiten auf einen äußert kurzen Zeitraum eingeschränkt sei, außerhalb der Saison den größeren Teils der Arbeitskräfte entlassen müsse. Hinzu komme, dass gleichzeitig außerhalb der intensiven Beschäftigungszeit die Löhne auf die Hälfte und tiefer herabsänken. Diese unsicheren Arbeitsverhältnisse und Lohnschwankungen machten die Landbevölkerung leicht empfänglich für die Anwerbungen der Arbeitgeber aus den westlichen Provinzen."
Mit einem Schreiben vom 2. April 1901 fordert der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen den Regierungspräsidenten von Gumbinnen Eduard Wilhelm von Hegel (1895-1905 Regierungspräsident in Gumbinnen) auf, aufgrund der Volkszählung des Jahres 1900, die wirtschaftliche Lage im Regierungsbezirk darstelle.
In der daraufhin erstellten Denkschrift kommt der Gumbinner Regierungspräsident von Hegel in Jahr 1901 zu dem Schluss, dass für die Verbesserung der Lage der landwirtschaftlichen Arbeiter „hauptsächlich die Erhöhung der Löhne, Schaffung besserer Wohnungen und die Segnungen der sozialen Gesetzgebung, einschließlich einer besseren Behandlung durch ihre Arbeitgeber“ in Betracht kämen.
Auf die teilweise bedrückende Wohnungslage der landwirtschaftlichen Arbeiter auf den Gütern ist oben schon hingewiesen worden. Zwar gab es "genügend Wohngelegenheiten" für die Landarbeiter auf den Gütern, sie entsprachen aber in keiner Weisen den damaligen Anforderungen von Sozialreformern und Teilen der Verwaltung an Größe, Hygiene, Kochmöglichkeiten und Wärmedämmung. Die Bemühungen von staatlichen Stellen durch die Aufsiedlung von bankrotten Gütern oder von Brachland, Neusiedlern durch Häuserbau eine attraktive Alternative zur Abwanderung zu bieten, hatten kaum Erfolg. Zu den Schattenseiten der privaten Besiedlung hat sich auch Max Weben weiter unten geäußert. Er kritisiert die fiktive Marktposition von Kleinbauern und die nicht mehr vorhandene Allmende.
Daran konnte anscheinend auch der Umstand nichts ändern, dass die Löhne der Landarbeiter in dem Jahrzehnt von 1884 – 1894 etwa um ein Drittel, in dem Jahrzehnt von 1890 – 1900 sogar um etwa zwei Drittel stiegen.
Quelle: Dieter Stüttgen, Die Preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Gumbinnen 1871 -1920
Max Weber berichtet in seiner großen Studie u.a. aus Ostreußen über den Ton und das Verhalten der Besitzer gegenüber den Landarbeitern :
„Sehr häufig wird in beide Hinsichten schwer gefehlt. Wiederum auch hier viel mehr auf den Gütern als in den mittleren und kleinen Wirtschaften. Die Anforderungen an Tätigkeit und Leistungsbereitschaft der Arbeiter aller Kategorien übersteigt oft, ohne Rücksicht auf Alter, Geschlecht, Ernährungsweise usw. alles Maß, wozu häufig noch Lohnabzüge, polizeiliche Bestrafungen und dergleichen treten. Das erbittert die Leute und ist der Hauptgrund auch des Fortziehens … Gleichwohl ziehen sie ab, weil sie sich Hoffnung machen auf eine bessere, menschenwürdigere Behandlung. Namentlich sind es viele der jüngeren „schneidigen“ Besitzer und deren gleichartige Beamten, welche diesbezüglich manche Verantwortung trifft.“
Quelle: Max Weber: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklenburg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen Duncker & Humblot, Leipzig 1892 (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, LV. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland; Bd. 3)
Separation und Modernisierung der Landwirtschaft und der Infrastruktur
Folgende Punkte werden angesprochen:
- Folgen der Separation
- Beispiel Hauptgestüt Trakehnen
- Beispiel Gut Alt Lappönen
- Modernisierung der Landwirtschaft
- Modernisierung der Infrastruktur
Die rationelle Landwirtschaft erforderte ausgebildete und leistungsbereite Arbeitskräfte, größere und modernere Wohnbauen, Ställe, Scheunen, verstärkter Maschineneinsatz, Mineraldünger, kürzere Wege auf eigenem Land, eine verbesserte Dreifelderwirtschaft, Melioration und neue Zuchtmethoden. Hinzu kamen ein modernes Schulwesen, eine leistungsfähige Infrastruktur, sichere Vertriebskanäle und stabile Abnahmemärkte. All dies setzte den persönlichen und politischen Willen voraus und kostet Geld.
Insgesamt bleib aber die Modernisierung der Landwirtschaft in Ostpreußen gegenüber dem Reich zurück. Bis 1945 war die Wirtschaft Ostpreußens überwiegend agrarisch geprägt. Bodenschätze fehlten nahezu. Aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte von gebietsweise zwischen 40 bis 45 Menschen je km² im Landkreis Insterburg (Stand: 1919) war der land- und forstwirtschaftliche Sektor auf den Export seiner Überschüsse angewiesen.
Karte: Ostpreußen, Bevölkerungsdichte 1919 [202]
Karte: Deutsches Reich, Bevölkerungsdichte 1933 [203]
Tabelle: Bevölkerungsdichte per qkm in Ostpreußen, Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland Einwohner nach den jeweiligen Gebiesständen der jeweiligen Jahre [204]
Es fehlten die lokalen Absatzmärke und mit ihnen mögliche Konsumenten für die in Ostpreußen erzeugten Produkte. Die Löhne, die in der Landwirtschaft gezahlt wurden, waren mit die niedrigsten im Deutschen Reich. Es begann eine Spirale nach unten. Die "überschüssige" Arbeitsbevölkerung war auf Grund niedriger Löhne und fehlender Arbeitsplätze gezwungen abzuwandern. Separation und Modernisierung von der Landwirtschaft und der Infrastruktur konnten diese Prozesse in Ostpreußen nicht stoppen. Erst durch die Kriegswirtschaft der Nationalsozialisten "beruhigte" sich die Dynamik der Bevölkerungswanderungen etwas.
Folgen der Separation
„Separation“, „Ausbau“ oder „Abbauten“, masurisch "Wynara", (Flurbereinigung) d.h. die (amtliche) Zusammenlegung oder (freiwillig/wirtschaftlich) der Tausch, die Pacht, die Erb- und Altenteilung oder der Kauf und Verkauf von fideikommmissfreien Guts-, Scharwerks- und Allmendegrundstücken führte zu einer Differenzierung in der gesamten Bauernschaft. Die Gründe waren gesellschaftlicher Natur. So gesehen wird die Separation als Modernisierung verstanden. Sie hatte aber für große Teile der ländlichen Bevölkerung auch negative Auswirkungen.
In Preußen wurde 1821 die Gemeinheitsteilungsordnung erlassen, es folgte 1850 das Gesetz zur Ablösung der Reallasten.
Die Auflösung der Allmenden und die Beseitigung der Gemengelage ("Separation") hatte nach Erwin Spehr wirtschaftliche und räumliche Ursachen, die zu folgenden direkt und indirekte wirtschaftliche und räumliche Wirkungen führten.
Wirtschaftliche Wirkungen der Separation
Es gab ab in Ostpreußen 1811 folgende Besitzer-Gruppen:
Besitzer- Gruppen nach der Bauernbefreiung
· Domänenbesitzer/Pächter · Rittergutsbesitzer/Pächter · Gutsbesitzer/Pächter · Gutsverwalter mit eigenem Land · Besitzer/Pächter (Klein-, Mittel- und Großbauer) |
Von 1807 bis 1850 fand eine verstärkte Differenzierung und Verschiebung unter den Gruppen der verschiedenen Landbesitzenden statt. Vor der Eigentumsverleihung hatte jeder Scharwerksbauer (= Domänenbauer = Amtsbauer = späterer Kleinbauer) eines Dorfs meist gleich viel Land durch die Zuweisungen der Domänenkammern bei der Erstansiedlung erhalten. Im Regierungsbezirk Gumbinnen betrug die durchschnittliche Landgröße der Scharwerk-Besitzer etwa 7,5 ha. Infolge der genossenschaftsähnlichen Bewirtschaftung des Scharwerkerlandes gab es kaum Wettbewerb. Es gab daher kaum große Unterschiede zwischen Arm und Reich. Das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 sollte den Bauern das Eigentum an den von ihnen bewirtschafteten Höfen übertragen.
Nach der Teil-Eigentumsübergabe an sie waren viele Scharwerker (statistisch mit einer Hof Größe bis 7,5 ha) auch aufgrund von mangelndem Wissen über die neuartigen Wirtschaftsweise, als "neue" Kleinbauern dem lokalen Wettbewerb nicht gewachsen. Es gab eine hohe Analphabeten-Quote von 62 % unter ihnen. Bei fehlenden Pferden spannten sich die Hofbesitzer selber vor den Pflug. Bei ihnen herrschte noch die einfache Dreifelderwirtschaft vor. Jede Gemarkung gliederte sich in die Flurstücke Wintersaat, Sommersaat und Brache, die turnusmäßig wechselten. Es wurde angebaut was immer schon angebaut wurde, und zwar auf die gleiche Art und Weise wie früher. Die Daten für Aussaat und Ernte wurden immer noch von den Gutherren verkündet und dem ebenfalls die spärlichen Ernten und nicht den Händlern angeboten wurden. Der größere Teil "befreiten" Bauern verharrte wirtschaftlich im passiven Abwarten oder mussten Äcker verkaufen, um die hohen Abgaben bezahlen zu können. Reichten die Erträge zum Lebensunterhalt nicht mehr aus, so musste nach Nebenerwerben gesucht werden, was im ökonomisch unterentwickelten Ostpreußen schwierig war. Die ackerlos gewordene Kleinbauerschaft ergatterte entweder eine Nebenerwerbsstellen, versuchte sich als Knecht oder musste abwandern. Die Ziele der Wanderungen lagen zunächst innerhalb der nahen Kreise und Regierungsbezirke, dann im ganzen Reich. Der Regierungsbezirk Gumbinnen verzeichnete 1850 die höchsten Abwanderungsraten mit 28 % der ländlichen Bevölkerung.
Betriebe von rund 3 ha Anbaufläche, die in anderen Agrargebieten noch im wesentlichen eigenständige Subsistenzproduktion ermöglichen konnten, zwangen im Osten in aller Regel zum abhängigen Nebenerwerb im Tagelohn. Betriebe von 3–5 ha Anbaufläche bei mittlerem Boden und von 5–7 ha Anbaufläche bei schlechtem Boden wiederum gestatteten zwar relativ selbständige Subsistenzproduktion, waren aber einerseits zu groß, um jenen kleinen Nebenerwerb im Tagelohn auf umliegenden Großbetrieben zu gestatten, der nötig war, um bei Eigenbedarfsproduktion ohne Marktgewinne die Mittel zu beschaffen, die zum Ankauf von Gütern über den Markt (Saatgut, Düngemittel, Geräte, Kleidung) nötig waren; andererseits waren sie zu klein, um Marktproduktion zu gestatten, mit deren Hilfe Roherträge in Reinerträge umgewandelt und zusätzliche lohnabhängige Arbeitskräfte hätten bezahlt werden können. Deswegen lavierten Kleinstellenbesitzer im Osten, deren Anbaufläche zum wirtschaftlichen 'Sterben' zu groß, aber zum 'Leben' zu klein war, an der wirtschaftlichen Existenzgrenze. Erst ab 7–8 ha Anbaufläche auf mittlerem Boden begannen im Osten selbständige und spannfähige kleine Bauernwirtschaften.
Ein kleinerer aktive Teil der neuen Kleinbauern - häufig ehemalige erblichen und spannfähigen Domänenbauern mit katastrierten Besitz - erarbeitete sich Gewinn, kauften oder pachteten sich günstig angebotenen Äcker hinzu und vergrößerten dadurch ihren Hof.
Hierzu diente auch die Eigentumsverteilung, die z. B. durch "Beziehungen" zwischen den Gruppen der Bauern wie durch Heiraten herbeigeführte worden waren. "In den Dörfern gingen auch bei den normalen Bauern Eigentumsbeziehungen oft vor Liebesbeziehung" (Quelle Hans-Ulrich Wehler) Kleinbauer, Mittelbauern und Großbauern grenzten sich traditionell auch untereinander sozial ab. Das entsprechende Gruppenverhalten der Adligen wurden von den Dorfbewohnern in kleinem Rahmen lange Zeit kopiert. Das Überschreiten von sozialen Grenzen wurde argwöhnisch beäugt. Dazu gehörten auch die sozialen Aufsteiger, nämlich erfolgreiche Kreditnehmer und Geldbeschaffer, die zum einen der Abwendung von Bankrott oder Zwangsverkauf zum anderen der rationellen modernen Wirtschaft oder beidem in der Lage waren. "Bis zum 1. Weltkrieg waren sozialen Grenzen der (Adels) Güter zementiert, der Großbauern fest, der Mittelbauern flexible und der Kleinbauern fallweise ausgerichtet."
So entwickelte sich auch ein kleinerer Teil der ehemaligen Scharwerksbauern in Laufe der Zeit zu Mittelbauern (statistisch mit einer Hof Größe zwischen 7,5 - 20,0 ha). Die bereits bestehenden Mittelbauern waren gegenüber ihren neuen Konkurrenten skeptisch. Die Höfe der Mittelbauern wurden mit durch die Familie und bewirtschaftet. Die Perspektive aller Mittelbauern war aber insgesamt wirtschaftlich ungewiss. Sie hing stark von der allgemeinen ökonomischen Entwicklung und von eigenen Aktivtäten und denen der Erben ab.
Die Großbauern und Güter behielten bis etwa 1850 ihr "festes" Personal, um sich danach bei Aussaat und Ernten vom örtlichen Tagelöhner auf polnische Saisonarbeiter umzustellen. Die Mittelbauern wirtschaften weiter familiär. Die Kleinbauern kämpfen von Anfang an zum größeren Teil um das Überleben. Die Nichtbauern – der größte Teil der ländlichen Bevölkerung - kamen in der öffentlichen Diskussion in Ostpreußen nicht vor.
Die Großbauern (statistisch mit einer Hof Größe zwischen 20 - 100 ha) erwarben - wenn die Finanzkraft oder Kredit vorhanden war - im großem Maße Ackerland von bankrotten Scharwerker - häufig, um ihren eigenen Besitz zu arrondieren. Sie gingen auch teilweise von der einfachen Dreifelderwirtschaft zur produktiveren Fruchtwechselwirtschaft über. Der Anbau von Kartoffeln und Klee erforderte keine Brache mehr, die in der einfachen Dreifelderwirtschaft üblich war. Die Einführung des Kunstdüngers und die Mechanisierung der Landwirtschaft förderte diese Entwicklung. Durch die Vergrößerung der Flächen und Erhöhung der Modernisierungsleistungen erhöhte sich der Gewinn. Aber nicht alle machten mit. Bis 1870 nahm im Laufe der Zeit zwar die Anzahl der traditionellen Großbauern aufgrund mangelnder finanzieller Erträge absolut ab, die Flächen der rentablen Großbauern wuchsen aber an.
Die landwirtschaftlich genutzte Fläche wurde in Ostpreußen nach der Separation von 1848 bis 1873 von 7,3 Millionen auf 12,46 Millionen Hektar vergrößert. Es wurde in großem Maße sogenanntes Todland und Brachen kultiviert. Wirtschaftlich lohnte es sich. Die die Produktion erhöhte sich um vierzig Prozent. Von 1848 - 1873 herrschte in der Landwirtschaft eine stabile Konjunktur. Die Gewinne auf den rentablen Höfen verdreifachten sich. Danach herrschten ein wirtschaftliches Auf und App mit beträchtlichen Folgen für die Landwirtschaft. (siehe Tabelle Konjunkturzyklen) Geschätzte 35 % landwirtschaftliche Höfe und Güter verloren nach der Reichsgründung den Anschluss und gingen Bankrott.
Bis 1870 hatten die Güter deutliche Flächengewinne erzielt. Einmal durch die verordnete Teil-Land-Abtretungen von Scharwerk-Land. So hatten die Amtsbauern im Zuge der Bauerbefreiung mit einem guten, erblichen Besitzrecht bis ein Drittel ihres Bodens, die mit einem nicht erblichen Besitzrecht bis zur Hälfte ihres Landes an die Amts-Güter abzutreten. Die Geldsummen, die den Gütern durch die Regelungen im Zuge der Eigentumsverleihung zustanden, konnten auf Antrag bei der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion in einem Betrag ausgezahlt werden. Zur Modernisierung wurden diese Summen aber nur zum geringeren Teil eingesetzt. Dieser plötzliche Kapitalzufluss weckte aber die Kauflust bei landwirtschaftlichen Flächen. Die Fläche der Güter nahm um ca. 20 % bis 1871 zu. Zum anderen fiel den Amts-Gütern ehemaliges Scharwerksland zu, welches von den ehemaligen Scharwerksbauern stammt, die die Raten für die Ablösung nicht mehr zahlen konnten. Hinzu kam, dass nur 14 % des Grundes der aufgelösten Allmenden den Amtsbauern= Kleinbauern = Scharwerkern zugeteilt wurde, 86 % ging aber an die Amtsgüter.
Die Güter waren flächenmäßig auch die Gewinner der "Getreidekonjunktur" von 1848 - 1873. Aber nach der Reichsgründung gingen insgesamt die Anzahl der Güter und die Flächenanteile für die Gutsbesitzer und Rittergüter zurück. Gründe für die Abnahme nach der Reichsgründung waren die wirtschaftlichen Depressionen, denen häufig eine Verschuldung folgte. Hinzu kam eine mangende Modernisierung. Die Verschuldung konnten auch nicht während der folgenden Konjunktur abgebaut werden. Bis zum 1. Weltkrieg lösten sich nach 1871 fünf Konjunkturen und fünf Depressionen zeitlich ab.
Der größere Teil der Schuldner war aber bei „Ostpreußische Generallandschaftsdirektion“ verschuldet. Hier gab es eine "geordnete Abwicklung". (siehe 6.2 Verschuldung) Ab 1850 wurden auch nichtadelige Schuldner beraten. Das Interesse der Generaldirektion - in Person der adligen Landschaftsräte - war "das Land zusammen zu halten" d.h. wirtschaftlich profitable Flächen zu erhalten und keine Kreisfremde anzusiedeln, sondern "die richtigen Neusiedler" zu finden, d.h. innovative Besitzer und keine Hofverwalter. Der Hofverwalter wurden häufig von Eigentümer eingesetzt, die die Ländereien als Kapitalanlage betrachteten und deren Wohnsitze oft nicht in Ostpreußen zu finden waren. Auf die Mittel- und Großbauern konzentrierte sich auch die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion mit ihren Krediten ab 1872, da diese Gruppe, nach allgemeiner Auffassung, am innovativsten waren. Bei den Gütern war bis auf dem Fideikommiss häufig die die Erbfolge unklar. Die Gutsbesitzer und Großbauern mussten, bei wirtschaftlichen Notlagen, wenn sie keine Kredite mehr bekamen, Teile ihres Landes an die Ostpreußische Generallandschaftsdirektion zum Vermakeln überlassen oder an besserzahlende Spekulanten verkaufen. Zum Teil wurden die Ländereien auch mehrfach zwischen Spekulanten verschoben. Ein Drittel der Spekulanten soll ihren Wohnsitz gar nicht in Ostpreußen, sondern z. B. in Berlin gehabt haben. Die Spekulanten konnten beträchtliche Gewinne erzielen. Voraussetzung waren steigende Agrarpreise, zahlungswillige Neusiedler oder Landbedarfe für die Infrastruktur-Maßnahmen. Die (Teil) Verpachtung war eine zusätzliche Möglichkeit. Auch bei Verpachtungen z. B. von großen Gütern waren durch Unterpachtverträge Spekulationsgewinne möglich.
Auf den bankrotten Gütern gab es im großen Stil Aussiedlungen oder Flächenverkäufe an Großbauern. Im Erbschaftsfall wurde etwa die Hälfte aller Güter in Ostpreußen an Nichtadlige verkauft, die andere Hälfte verblieb in der adligen Familie, nicht zuletzt aufgrund des Fideikommisses und des Majorates. 1856 befanden sich nur noch 58 % des adligen Landes in den Händen adliger Land-Besitzer.
Auf den Neuerwerbungen entstand das neues "Berufsbild" des Gutsverwalters oder Gutsinspektors, der nach Eigentümervorgaben wirtschaftete und seinen "Herren" in der Regel einmal im Jahr sah. Hofverwalter wurden häufig von Eigentümer eingesetzt, die die Ländereien als Kapitalanlage betrachteten und deren Wohnsitze oft nicht in Ostpreußen zu finden waren. Leider versuchte einige Guts-Verwalter - auch aufgrund der Eigentümer-Vorgaben - "das Letzte aus Personal und Vieh herauszupressen." Dort, wo dennoch eine Mechanisierung stattfand, wurden bisherige Arbeitskräfte, wenn auch zuerst nur langsam, durch die modernen Land-Maschinen ersetzt. Einige Gutsverwalter besaßen zusätzlich auch anteiliges Gutsland.
Die alten und neuen Eigentümer der Gutsflächen mussten die Scharwerk-Arbeitsanteile der Kleinbauern ersetzen. Diese waren jetzt in Naturalien oder bar zu bezahlen. Aber nur eine kleine Gruppe von Nichtbauern (Landarbeitern) behielt auf den Gütern - da wo es unbedingt notwendig war, nämlich bei den Alltagsroutinen wie bei der Viehfütterung und dem Melken - ihre "Festanstellung". Die neuen Eigentümer setzten bei zusätzlichen Bedarfen wie Aussaat und Ernte polnische Saisonarbeiter ein. Sie waren "billiger" zu bekommen als die einheimischen Kräfte, die zunehmend abwanderten.
Hans-Ulrich Wehler schätzt das um 1850 etwa 52 % der Gesamtbevölkerung in Ostpreußen zu den Nichtbauern gezählt werden können. Diese Eigenkätner, Instleute und Losleute verloren ihre Perspektive auf den Gütern.
Durch diese "Aussortierung" erhöhte sich deren Anteil an der ländlichen verarmten Bevölkerung erheblich.
Ab 1860 konnte die Ostpreußische Wirtschaft insgesamt die Überschüsse der arbeitswilligen Land-Bevölkerung nicht mehr aufnahmen.
Viele bettelte regelmäßig vor Ort, einige stießen zur „Vagantenbevölkerung“. Die Kindersterblichkeit übersteig die sowieso schon hohen Zahlen.
Dieser "überschüssige" Bevölkerungsteil - häufig Analphabeten - war neben den besitzlos gewordenen Kleinbauern am ersten bereit oder gezwungen, abzuwandern.
Eine weitere Handhabung war die vollständige oder teilweise Verpachtung, allerdings mit überschaubaren Gewinnerwartungen, da bis zum 1. Weltkrieg Pacht häufig mit Naturalien bezahlt wurde.
Der Verpächter hatte ein Ablöserechtrecht über das Pachtland. In Ostpreußen waren 1938 153.415 ha = 6,1 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche verpachtet. Davon 116 972 ha als alleinige Wirtschaftsfläche und der Rest 91 176 ha als Zupachtungen zum eigenen Land.
In Ostpreußen wurden 1938 mit 2.333.301 Einwohnern von seiner gesamten Landmasse von 3.689.973 ha 2.515.898 ha = 68 % landwirtschaftlich genutzt. Im Regierungsbezirk Gumbinnen mit 559.205 Einwohnern und einer Größe von 933.458 ha, wurden im Jahr 1907 davon 772.368 ha gleich 82 % landwirtschaftlich bearbeitet. Der Landkreis Insterburg hatte 1938 mit 43.224 Einwohnern eine Größe von 116.083 ha, davon wurden 86 % landwirtschaftlich genutzt. Die Gemeinde Willschicken hatte 1938 127 Einwohner auf einer Fläche von 319,8 ha, davon waren 278,31 = 87,4 % der Landwirtschaft zu zurechnen. Die Benennung und die Klassierung der Grundeigentümer-Gruppen gehen vermutlich auf amtliche Steuerlisten aus den Jahren 1910 und 1920 zurück. Sie wurde leider nicht einheitlich erhoben. Das Grundeigentum - so Forsten, Moore und Gewässer - wurde, auch abhängig von den Konjunkturverläufen, nur teilweise landwirtschaftlich genutzt. Sie wurden statistisch unterschiedlich erfasst.
Eigene Tabelle: Grundeigentümer-Gruppen in der Landwirtschaft in Ostpreußen 1938, im Regierungsbezirk Gumbinnen 1907 und in der Gemeinde Willschicken 1938:
Landwirtschaftliche Flächen- Anteile der Grundeigentümergruppen in Ostpreußen 1938 und im Regierungsbezirk Gumbinnen 1907 und in der Gemeinde Willschicken 1938 | ||||||||||||||
Die Provinz Ostpreußen ist 1938
3.689.973 ha groß |
Der Regierungsbezirk Gumbinnen ist 1907 933.458 ha groß | Die Gemeinde Willschicken ist 1938 319,8 ha groß | ||||||||||||
davon sind 2.515.898 ha = 68% Landwirtschaftsfläche | davon sind 772.368 ha = 82% Landwirtschaftsfläche | davon sind 278,31 ha = 87% Landwirtschaftsfläche | ||||||||||||
Diese verteilen sich 1938 in | Diese verteilen sich 1907 in | Diese verteilen sich 1938 in | ||||||||||||
die gesa. Flächen in ha | die Anzahl der Betriebe | die gesa. Flächen in ha | die Anzahl der Betriebe | die gesa. Flächen in ha | ||||||||||
Grundeigentümer-Gruppen | Gruppen-Fläche in ha | absolut | in % | Gruppen-Fäche in ha | absolut | in % | absolut | in % | Gruppen-Fäche in ha | absolut | absolut | |||
Nebenerwerb | k.A. | k.A. | k.A. | bis 2,00 | 37 920 | 49,00 | 22 965 | 2,97 | - | - | - | |||
Kleinbauern | 2,00 - 7,50 | 487 953 | 14,30 | 2,00 - 7,00 | 14 218 | 18,40 | 58 426 | 7,56 | 2,00 - 10,00 | 8 | 43,49 | |||
Mittelbauern | 7,50 - 20,0 | 511 839 | 15,00 | 7,00 - 20,00 | 16 146 | 20,90 | 18 797 | 2,43 | 10,00 - 20,00 | 5 | 66,52 | |||
Großbauern | 20,00 - 100,00 | 1 399 027 | 41,00 | 20,00 - 100,00 | 8 147 | 10,50 | 364 011 | 47,13 | 20,00 - 100,00 | 10 | 168,30 | |||
(Ritter) Gutsbesitzer | 100 - 1 000 | 870 126 | 25,50 | über 100 | 939 | 1,20 | 307 951 | 39,87 | - | - | - | |||
(Ritter) Güter-Besitzer | über 1 000 | 1 433 | 4,20 | k.A. | k.A. | k.A. | k.A. | - | - | - |
Quellen: Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (genealogy.net)
Hans Bloech: Ostpreußens Landwirtschaft, Teil 1 - 3
Walter G. Hoffmann: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts
und Dieter Stüttgen, Die Preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Gumbinnen 1871 -1920
Räumliche Wirkungen der Separation
Durch die Separation wurde der Gemeindebesitz wurde anteilmäßig den Beteiligten an Eigenturm gegeben. Dadurch entstanden beispielhaft folgende räumliche Probleme
- Es gab für die Bauern das Recht zu Holzholen z. B. von einer zugewiesenen Parzelle im Wald. Es fehlten die Zufahrtswege.
- Der Bauer sollte z. B. auf seinem neuen Ackerplan, den er aus der Aufteilung der Gemengelage erhielt, ein neues Gehöft einrichten, ein sogenannter Ausbau. Es fehlten die finanziellen Mittel.
- Der Gutsbesitzer musste z. B. Ställe für die Pferdehaltung und Arbeitshäuser für das Gesinde bauen. Es fehlte die "standesherrliche" Einsicht.
- Die räumlichen Veränderungen mussten mit Geld bewertet werden. Der Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft war für viele der Beteiligten ein Problem. Ein Teil der Analphabeten konnten nicht rechnen.
Die Durchführung der Separation, die zu starken Veränderungen in der Landwirtschaft führte, wurde von weiteren Problemen gebremst. Dazu zählte die Angst der Landeigner vor finanziellen Verlusten ebenso wie Streitigkeiten der Interessenten bei der Aufteilung der Parzellen nach Größe und Bodengüte und der anschließenden Verlosung. Mitunter dauerte die Separation ganzer Orte in mehreren Etappen über zehn Jahre. Waren sich aber alle Bewohner einig, dann wurde die gesamte Dorfgemarkung bezüglich der Bodenqualität geldlich bewertet und so aufgeteilt, dass jeder Bauer seinen Grundbesitz möglichst in einem Stück erhielt. Dabei wurden Nachteile eines schlechteren Bodens oder einer größeren Entfernung vom Dorf durch größere Schläge ausgeglichen.
Für siedlungswillige Neu- oder Aussiedler waren die zersplitterten Flächen der alten Landwirtschaft ein Problem. Die Flächen, die durch die Separation verteilt wurden, waren zum Teil nicht für die Felderwirtschaft geeignet und die geplanten Parzellen bildeten ein vielflächiges wild gezacktes Mosaik, oft ohne Zufahrtswege. Eine vorherige Flurbereinigung, dessen Ziel zusammenhängende Grundstücke zu bilden war, war eine Voraussetzung. Erst nach der Flurbereinigung, hatten Neu- oder Aussiedler und Siedlungsgesellschaften Interesse an dem zusammengelegten Ackerland. Der alte Hofplatz wurde entweder für Instleute verwendet oder an Handwerker oder Kätner verkauft. Nicht selten blieben nur wenige Bauern mit den Handwerkern, dem Kaufmann, dem Krug und der Schule im alten Dorf zurück. den alten Dorfkern.
Manches kleine Bauerndorf hat sich aufgelöst und wurde zur Streusiedlung. Es entstanden Gemeinden in Streulagen mit einem "alten" Dorfkern - so wie Willschicken. Hier blieben nur 7 von insgesamt 22 Höfe Bauern den alten Dorfkern. Bauern deren Besitz weit vom Dorf entfernt lag siedelten aus. Sie gaben ihren alten Hof auf und bauten einen neuen auf einem Außengrundstück. So haben sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der Bauern „ausgebaut“, wie man in Ostpreußen sagte. Es entstand das typische Landschaftsbild mit den zahlreichen von Baumgruppen und Gärten umgebenen Einzelhöfe. Die Separation veränderte das Landschaftsbild grundlegend, da sie die vielfach zerklüftete Dreifelderwirtschaftsflächen abschaffte und die geometrisch gerade Ackerform schuf.
Die damals währen der Separation zugeteilten Betriebsflächen blieben meist langfristig bestehen. Damit der Ausbau von statten gehen konnten bedurfte es langfristig umfangreicher finanziellen Hilfen.
Dazu wurden sehr unterschiedliche Programme wie Preußische Generallandschaftsdirektion (1850), Ostpreußenhilfe (1915), Allgemeine Grenzhilfe (1926), Osthilfe (1926), Ostpreußenprogramm (1927) oder Reichsnährstand (1933) aufgelegt. Dazu zählte auch die Ostpreußische Landgesellschaft (1906)
Quellen:
Ostpreussische Landgesellschaft mbH | ZBW Pressearchive
Ostpreußische Landgesellschaft – Wikipedia
Neben der Separation durch die Ablösung der Allmende, aus Erbfolgegründen und aus dem "Ausbau" gab es auch eine weitere "Landentwicklung". In einigen Landkreisen wurden Höfe, die von ihrem Besitzer finanziell mit mehr zu halten waren, wurden von gewinnorientierten Agenten systematisch erkundet. Dazu diente häufig der Dorfklatsch, einige Runden Konus im Gasthaus oder "gute Beziehungen" zur örtlichen Verwaltung oder den Kreditgeber. Die Nachbaren der Schuldner wurden daraufhin von den Agenten aufgesucht, die ihnen ein verlockendes Angebot machten. Es bestand darin, den Besitz des Schuldners vor einer Pfändung und Versteigerung günstig zu erwerben, da diese Ländereien "sowie in der Nachbarschaft lägen und bekannt seien" und aufgrund der Schulden preiswert zu haben sein. Bei Kauf vergrößerten sich dann die Erträge des Käufers "automatisch" durch mehr Landfläche, bei Rückgängen wären das neue Land dann schnell zu parzellieren und mit Gewinn weiterzuverkaufen, z.B. an Neusiedler. Als Anzahlung genügte ein kleiner Geldbetrag - häufig weniger als 5% des Grundwertes zur Anzahlung und einen Eintrag einer Hypothek ins Grundbuch. Zum Teil trat der Agent auch als Zwischenhändler auf.
Viele der geschäftsunerfahrenen und gutmütigen Bauern, aber auch Gutsbesitzer, gingen auf diese Angebote ein. Sie übersahen dabei, dass die Erzeugerpreise der Landwirtschaft in Ostpreußen erheblich schwankten, das die Entwicklung der Bodenpreise nicht stabil war und sie langfristig erhebliche Schulden durch Grundbucheinträge aufhäuften, z.B. durch die steigenden Raten für die Hypothekenzinsen. Hinzu kamen lokale Effekte wie steigende Kosten, mangelnde Mechanisierung, Abwanderung von Landarbeitern oder unzureichender Marktzugang und Missernten. Traf alles zusammen verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage der Schuldner schnell erheblich. Als Ausweg blieb den Landkäufern dann nur der Gesamt- oder Teilverkauf des "neuen" oder "alten" Landes zu schlechten Preisen - zum Teil an dieselben Agenten. Der ursprüngliche Landbesitzer ging leer aus, da die Anzahlung bis zur endgültigen Bezahlung einbehalten wurde, der Landkäufer verschuldete sich langfristig, der Agent füllte sich die Taschen mit "satten" Provisionen und das Land wurde weiter aufgeteilt. Teilweise wurde dieser "Kreislauf" mehrfach durchgeführt. Im Kreis Insterburg wurden einige Großbauern und Güter bis zu sechsmal privat verkauf - parallel dazu wurde deren Landflächen immer kleiner. Aber auch bei Mittel- und Kleinbauern funktionierte dieses Geschäftsmodell. Kurz vor der Jahrhundertwende griff der Staat mit Gesetzten zur Einrichtung von Rentengütern mit überschaubarem Erfolg ein, so sollten Einrichtung von Nebenerwerbsstellen u.a. gefördert werden. Erst vor dem 1. Weltkrieg kam dieser private Zwischenhandel zum Erliegen, da das damalige niedrige Zinsniveau für die Banken nicht mehr attraktiv war.
In Königsberg war im Jahr 1906, um einer fortschreitenden Landflucht aus Ostpreußen entgegenzuwirken, die Ostpreußische Landgesellschaft gegründet worden, deren Hauptaufgabe das Vorantreiben der inneren Kolonisation war. Sie ist 1930 in die Osthilfe aufgegangen
Max Weber schreibt 1892 in seiner großen Studie u.a. über die Ostpreußische Landgesellschaft:
„Von Preußen gefördert, sollte die Ostpreußische Landgesellschaft auch den nachgeborenen Söhnen der Bauern einen eigenen Hof zu ermöglichen. In der ganzen Provinz wurde die innere Siedlung durch die Landgesellschaft aufs stärkste gefördert. Vor dem Ersten Weltkrieg richtete sie auf 35.000 ha ehemaligen Großgrundbesitzes 1.600 Siedlerstellen ein.
Es waren überwiegend bäuerliche Wirtschaften von 15–20 ha, aber auch Handwerker- und Arbeitersiedlungen von 1–2 ha. Die Entschuldung des Altbesitzes wurde durch das Besitzfestigungsgesetz, vornehmlich im Regierungsbezirk Allenstein gefördert. Auch genossenschaftliche Zusammenschlüsse wirkten mit, die ost- und westpreußische Landwirtschaft zu kräftigen.
Die Siedlung, gefördert durch die Landgesellschaft und die staatlichen Kulturämter, schuf von 1919 bis 1930, also in zwölf Jahren, 7.820 neue Stellen auf 94.000 ha. In mehr als der doppelten Zeit war seit 1891 nur etwas über die Hälfte davon geleistet worden.“
Das wichtigste Problem bleibt deshalb die innere Kolonisation, auch unter dem Gesichtspunkt der ländlichen Arbeiterfrage Sie liegt heute in den Händen der Ansiedlungskommission einerseits und wird hier vom Staat durchgeführt, und der Generalkommissionen andererseits, welche auf Antrag privater Großgrundbesitzer die Abzweigung von Rittergütern vermitteln. Die Ansiedlungskommission hat bereits ca. 1500, die Generalkommission ca. 6000 Bauern eingesetzt.
Die quantitative Überlegenheit der privaten Besiedlung hat aber zwei Schattenseiten: sie schafft 1. zu einem sehr großen Teil kleine Zwergbauern. Denn gerade diese können heute am ehesten den Preisdruck auf die Produkte ertragen, da sie dieselben überwiegend selbst verzehren, und leiden nicht unter dem Arbeitermangel, weil sie keine Lohnarbeit verwenden. Es besteht aber eben deshalb die Gefahr, daß gerade diejenige Schicht der Bevölkerung auf diese Weise ansässig wird, welche mit den geringsten Kulturansprüchen sich begnügen kann, also ein Grundbesitzerproletariat – der schrecklichste der Schrecken – entsteht. Das umso mehr als 2. die Generalkommissionen es nicht in der Hand haben, für Ausstattung der neu entstehenden Gemeinden mit Allmenden genügend zu sorgen. Gerade für die kleinen Leute sind diese aber eine Lebensfrage. Deshalb ist es unentbehrlich, dass eine groß angelegte staatliche, also eine Domänenkolonisation – in Anknüpfung an den bald wieder aufgegebenen Versuch in den 70er Jahren – daneben tritt."
Quellen:
Max Weber: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklenburg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen Duncker & Humblot, Leipzig 1892 (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, LV. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland; Bd. 3)
Der Wandel der sozialen Beziehungen zwischen Gutsherren, Instleuten, Bauern und unterbäuerlichen Schichten im Samland nach der „Bauernbefreiung“ Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. phil.) des Fachbereichs Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück vorgelegt von Martina Elisabeth Mettner aus Bremen
Dies alles funktioniert aber nur bei wachsender Wirtschaft. Schrumpfende Wirtschaft traf alle Gruppen der Ländlichen Bevölkerung in Ostpreußen. Es folgen Beispiele von zwei Gütern.
Hauptgestüt Trakehnen
Ein Beispiel soll das Hauptgestüt Trakehnen sein. Die Separation hat das Hauptgestüt Trakehnen hauptsächlich wirtschaftlich und weniger räumlich betroffen. Die räumliche Gliederung blieb bis 1944 stabil, es kamen im Laufe der Zeit sogar noch Flächen hinzu.
Trakehnen war eines der fünf Hauptgestüte Preußens. Es bestand von 1731 bis 1944 und lag im Kreis Stallupönen von Ostpreußen. Das Hauptgestüt Trakehnen grenzte nordwestlich an das Dorf Trakehnen. Der offizielle Name lautete zunächst Königliches Stutamt Trakehnen, ab 1786 Königlich Preußisches Hauptgestüt Trakehnen, und ab 1919 bis zum Ende 1944 hieß es dann Preußisches Hauptgestüt Trakehnen. Ab 1860 hattes einen eigenen Bahnhof mit einer Verladerampe für Pferde. Es war das berühmteste und bedeutendste Gestüt des Deutschen Reiches.
Die Trakener Pferderasse entstand aus einer Kreuzung von Araberhengsten der Ordensritter mit den Wildpferden der Prußen. Im 19. Jahrhundert wurden zur Veredelung der Rasse Araber und englische Vollblüter eingesetzt. Das führte dazu, dass Anfang des 20. Jahrhunderts der Trakehner einen etwa 50-prozentigen Vollblutanteil hatte.
Am 11. Juli 1731 erteile Friedrich Wilhelm I. den Befehl zur Gründung des „Königlichen Stuttambtes Trakenen“. "Seine Königliche Majestät in Preußen, Unser Allergnädigster Herr machen dero Geheimen Etat Misnistres dem v. Goerener, dem v. Lesgewang und dem v. Bredow hierdurch in Gnanden bekannt, wie daß sie resolviert haben, daß vom 1.ten May 1732 an, alle Preußischen Gestüte nach Litthauen auf die Vorwerker Bajohgallen, Guddinnen und Gurtzschen verlegt werden sollen." Die zunächst in den Ordensburgen, dann in den Domänen untergebrachten Gestüte sollten im „Complexus Trakenen“ zentral versammelt werden
Der preußische „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. gab den Befehl zur Vereinigung aller Pferdebestände Ostpreußens in einem einzigen großen Gestüt, das daraufhin als Königliches Stutamt Trakehnen gegründet wurde. Das Gestüt lag im Gelände des Flusses Pissa zwischen Stallupönen und Gumbinnen nahe der Rominter Heide, ein ursprünglich sumpfreiches Gebiet, das jahrhundertelang litauischen Großfürsten als Jagdgebiet gedient hatte. Durch Rodung und Trockenlegung wurde Teile des Flussgebiet der Pissa und der Rodupp das Gelände trockengelegt. Nach insgesamt sechsjähriger Arbeit von 600 Soldaten aus Memel war das Gestüt fertiggestellt. Preußen hatte außerdem protestantischen Glaubensflüchtlingen aus Salzburg die Ansiedlung angeboten. Mit der Gründung des Gestüts verwirklichte der König seine Absicht, den Anteil der Kavalleriepferde aus eigener Zucht zu erhöhen.
Bei seiner Eröffnung im Mai 1732 wurde es mit 1.101 Pferden, davon 513 Mutterstuten belegt. Am Anfang umfasste das Königliche Stutamt Trakehnen zunächst die 8 Vorwerke (Gutshöfe) Trakehnen, Kalpakin, Guddin, Bajohrgallen, Gurdszen, Jonasthal, Jodszlauken und Birkenwalde mit einer Gesamtgröße von zunächst 10.000 Morgen. Für die Bewirtschaftung wurden zunächst 150 Domänenbauern und 60 Deputanten-Familien angesiedelt und aus der Kasse des Königs bezahlt.
Die Tiere wurden auf die 8 Vorwerke aufgeteilt
- Trakenen – Hengst und Beschäler Stall
- Kalpakin – hellbraune Stuten
- Guddin – Füchse
- Bajohrgallen – Schimmel und Schecken
- Gurdszen – schwarze Stuten
- Jonasthal – Maulesel und junge Hengste
- Jodszlauken – Prachtkühe
- Birkenwalde – Esel und alte Stuten
Es entstanden im Laufe der Zeit 16 Vorwerken mit insgesamt 14.000 Morgen. Ab 1922 kamen zum Hauptgestüt noch 3 weitere Vorwerke hinzu:
- Alt-Budupönen (Altpreußenfelde)
- Vorwerk Alt-Kattenau (Neu Trakehnen)
- Vorwerk Neu-Kattenau
Ein Onkel von Gerhard Kiehl arbeitet als Gestütwärter auf dem Vorwerk Bajohrgallen. Im Sommer durften die Kinder aus der Verwandtschaft in den Ferien "eine Woche Pferdesport" absolvieren, die streng nach militärischen Vorbildern organisiert wurde - darunter auch Gerhard Kiehl. Er leistete später einen Teil seiner Rekrutenausbildung u.a. im Reiter-Regiment 1 in Insterburg bei der Wehrmacht.
Jedem der Vorwerke war neben den Gutsgebäuden eine dörfliche Siedlung zu geordnet. In diese Siedlungen zogen im Laufe der Zeit auch ländliche Bevölkerung zu, die nicht unmittelbar im Gestüt arbeiteten. Entstanden waren diese Wohnplätze durch Vererbung oder behördliche Anweisungen für Bedienstete der Gemeindeverwaltung, der Post, der Polizei, der Ärzte oder Hebammen.
Wegen des Preußischen Zusammenbruchs musste das Hauptvorwerk Trakehnen 1806 nach Szawlien in Litauen. Man verlegte die Pferde auf die Güter des Fürsten Suboff zwischen Schaulen und Mitau und kehrte erst 1807 nach Trakehnen zurück, nachdem man einen französischen Schutzbrief für das Gestüt erhalten hatte. Ähnliches wiederholte sich 1812/13. Diesmal war Ratibor in Schlesien der Fluchtort, auch diesmal gelang die Rückkehr. Zwar konnte ein Teil der Bestände an Zuchtpferden im Oktober 1813 wieder nach Trakehnen zurückkehren, aber nachdem Preußen in den Befreiungskriegen zuvor über 90.000 Pferde verloren hatte, waren auch die Bestände Trakehnens auf lediglich noch 600 Zuchtpferde zusammengeschmolzen. 1875 erschien erstmals das Stutbuch für die Trakehner Abstammung. Im 1. Weltkrieg musste Trakehnen erneut geräumt werden. Mit dem Tag der Mobilmachung wurden die 600 wertvollsten Pferde in Extrazügen ins Reichsinnere transportiert. Sie fanden Aufnahme in Neustadt/Dosse, Graditz und bei einer größeren Anzahl von Privatgehöften. Erst nachdem die Winterschlacht erfolgreich überstanden war, kehrte die Belegschaft mit den Tieren ab Ende Februar 1915 in das stark zerstörte Gestüt zurück und begann mit dem Wiederaufbau. 83 Gebäude waren ruiniert, darunter auch der Hauptbeschälerstall. 1944 fragte der Landesstallmeister Ehlert den Gauleiter Koch um Erlaubnis das Gestüt Trakenen zu evakuieren. Koch soll geantwortet haben: "Falls die Russen vorübergehend vorstoßen sollten, könnten ja die Trakener im Wettlauf mit sowjetischen Panzern ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen." Quelle: Ulla Lachauer, Die Brücke von Tilsit.
Seit die Sowjetunion in Nordostpreußen herrscht, wurde die Trakehner Pferdezucht am Ursprungsort nicht mehr fortgeführt. Dafür nahm hier das Staatsgut Jasnaja Poljana seine Tätigkeit auf, das sich auf Rindermast festlegte. Jasnaja Poljana heißt übersetzt “Helle Lichtung” und so hieß einst das Landgut des russischen Dichters Leo Tolstoi. Das Staatsgut arbeitet nicht mehr, es hat Pleite gemacht. Da die Drainage zerstört ist, versumpfen die Flächen. Russische Investoren kauften Teile des Landes auf und hatten das Ziel, deutschstämmige Russen anzusiedeln und die Gegend touristische zu entwickeln. Was aus den Plänen geworden ist, ist nicht bekannt. In der Russischen Föderation war Trakehnen nach den Reiseerleichterungen bis zum Ukraine Krieg ein Ziel Deutscher Heimweh Touristen. 1992, im ersten Jahr nach der Grenzöffnung kamen über 60.000 Besucher nach Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, um „Trakehnen“ zu sehen. Die Rückseite des Landstallmeisterhauses wurde mit deutscher Hilfe restauriert und das Gebäude erhielt einen neuen Anstrich. Im östlichen Flügel wurden zwei Museumszimmer eingerichtet und auch das Trakehner Tor erstrahlt in neuem Glanz. Seit 1950 ist eine russische Schule im Landstallmeisterhaus eingerichtet. Bis zum Ukraine-Krieg gab es zwischen der Waldorfschule Dresden und den Schülern der Samkowskaja Mittelschule Trakehnen seit 2013 einen Schüleraustausch.
Größere Pferdezucht findet Oblast Kaliningrad im privaten Gestüt Majowka (russisch Маёвка, deutsch Georgenburg) statt. Ab 1961 wurde hier im ehemaligen Landgestüt Georgenburg wieder Pferdezucht betrieben. 1998 gab es 200 Pferde, davon 16 Hengste. Es werden Trakehner, Holsteiner und Hannoveraner gehalten.
Im militärischen Bereich Deutschlands, vor allem 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts verstand man unter Remonten drei- und vierjährige Pferde. Sie wurden für die jährlich ausgemusterten Pferde benötigt, z. B. um 1900 bei einem Bestand des kaiserlichen Heeres von 98.000 Pferden 11.000 Remonten. Das preußische Militär kaufte sie vor allem in Ost- und Westpreußen, dem bis um 1945 größten geschlossenen Pferdezuchtgebiet der Welt, in dem z. B. das Hauptgestüt Trakehnen lag.
Neben dem Hauptgestüt gab es die Landgestüte Rastenburg, Braunsberg, Georgenburg bei Insterburg und Gudwallen bei Darkehmen. Ab 1779 wurden aus dem Hengsdepot Tranken zunehmend Hengste an die Deckstationen in den Landesgestüten geschickt, um die regionale bäuerlicher Zucht zu fördern. 8 Remontedepots sorgen in Ostpreußen für Erneuerung des Pferdebedarfs der Armee.
Georgenburg war zu gleich Gut und Gestüt. 1828 erwarb die Memeler Kaufmannsfamilie Simpson - die 1656 aus Schottland nach Ostpreußen kamen - das Gut Georgenburg mit 6.000 ha Land. Die Familie wurde 1840 in den Adelsstand erhoben. 1899 wurden Teile des Gutes dem bestehenden Landesgestüt Georgenburg zu geschlagen.
Emil Hippolyt Elisar William von Simpson (* 19. April 1881 in Nettienen (westlich von Georgenburg in Ostpreußen); † 11. Mai 1945 in Scharbeutz, Schleswig-Holstein) war ein deutscher Schriftsteller. Das Werk William von Simpsons wird zur Unterhaltungsliteratur gezählt. An seinem Hauptwerk "Die Barrings" arbeitete er 20 Jahre lang. Dieser zweibändige Roman ist eine Familiengeschichte in großem Stil: "Die Barrings" (1937) und "Der Enkel der Barrings" (1939). Geschildert werden mehrere Generationen einer Familie des ostpreußischen Landadels in den wilhelminischen Jahren ab 1875 bis 1914. Vorbild war u.a. das Leben auf dem Gut Georgenburg. Diese Familiensaga wurde durch den Roman "Das Erbe der Barrings" von Hubertus William von Simpson, dem Sohn von William, im Jahre 1956 fortgesetzt. Damit ergab sich eine Trilogie von Vater und Sohn Simpson über „Die Barrings“. Die drei Büche waren auch Vorlage für ein Spielfilm. "Die Barrings" ist ein deutsches Spielfilmdrama aus dem Jahre 1955 von Rolf Thiele nach der gleichnamigen Romanvorlage von William von Simpson (1937) mit Dieter Borsche und Nadja Tiller, sowie eine Reihe von bekannten Altstars in den Hauptrollen. Die deutsche Fernseherstausstrahlung fand am 9. Dezember 1963 im ZDF statt.
Es entstanden daneben mehr als 120 größere Privatgestüte, die ihre Stuten zunächst in den staatlichen Gestüten decken ließen und in Arbeitsteilung mit den bäuerlichen Züchtern die Absatzfohlen für den Remontebedarf und die private Nachfrage der Bauern aufzogen. Später kamen auch private Deckhengste aus der Trakener Zucht dazu. Es bestand häufig eine Arbeitsteilung zwischen kleinen Höfen die als Anspannung Mutterstuten hielten und größeren Wirtschaften, die die Fohlen aufzogen. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es allein 120 Privatgestüte, die in der Lage waren, jeweils jährlich ca. 30 bis 50 Remonten anzubieten. Polen allein kaufte im Jahr 1828 etwa 1.500 Militär-Pferde in Ostpreußen, später sogar 2.000.
Die im Hauptgestüt geborenen Fohlen kennzeichnete man mit Brand der einfachen Elchschaufel auf dem rechten Hinterschenkel, die privat in der Provinz Ostpreußen von den Stutmüttern gezogenen Fohlen mit einer doppelten Elchschaufel auf dem linken Hinterschenkel. 1938 gab es 478.453 Pferde in Ostpreußen, das bedeutete 19,02 Pferde je 100 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, im Reich waren es 12.07 Pferde je 100 ha.
Ferdinand Tuttlies kaufte auf dem Gut Keppurlauken seine Trakener Hofstute "Riecke".
Für einen solchen Gutsbetrieb war der „Remontetag“, der in den Monaten März bis Juni stattfand, immer ein besonderes Ereignis. Er brachte nicht nur Abwechslung auf dem Betrieb, sondern vor allem durch die Abnahme einer großen Zahl von jungen Pferden durch die Remontekommission wurde ein maßgeblicher Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes erwartet. Letztlich lag darin auch ein großes Stück züchterischer Anerkennung. Nachdem die Remonteanwärter zwei Tage vorher von der Weide in die Stallungen gebracht worden waren, wurden sie besonders reichhaltig gefüttert, getränkt und jedes Pferd wurde von den Pferdepflegern besonders herausgeputzt. Schweif und Mähne wurden frisiert. Die Ställe und der Gutshof wurden säuberlich gefegt.
Auch das äußere Erscheinungsbild, das zweifellos auch stets Rückschlüsse zulässt, sollte stimmen, wenn die Remontekommission erschien. Diese bestand aus mehreren Personen, einem Stabsoffizier, zwei Leutnants, einem Stabsveterinär sowie dem Zahlmeister. Hohe Fachkompetenz als “Pferdekenner“ wurde ihnen immer wieder bestätigt. Entsprechend anspruchsvoll waren auch die Anforderungen. Dem Militärtierarzt oblag der Gesundheits- Check. Er beurteilte Augen und Gebiss, schaute kritisch auf die Hufe und das Fundament sowie den Gang eines jeden Pferdes, das an der Trense vorgestellt und anschließend im Schritt und Trab vorgeführt wurde. Erwünscht waren eine Größe zwischen 1,56 und 1,65 m, gesunde Beine und Hufe, regelmäßiger und schwungvoller Gang, tragfähiger Rücken, tiefe und schräge Schulter, ausgeprägter Widerrist, breite Brust und starke Kruppe sowie kurzes Röhrbein und starke Sprunggelenke und weder zu weicher noch zu steiler Fesselung. Es wurde davon ausgegangen, dass die Remonteanwärter noch ca. vier Zentimeter wachsen. Grund für eine Ablehnung waren vor allem offensichtliche gesundheitliche Mängel und deutliche Abweichungen von den geschilderten Kriterien, wie z. B. schwankender, gespannter Gang, schmaler und hochbeiger Körper, weiche Rückenpartie, Hasenhacke und zu stark gewinkeltes Hinterbein. Schimmel waren wegen ihrer Auffälligkeit nicht gefragt. Im Jahr 1909 betrug der Durchschnittspreis für eine ostpreußische Remonte 1.065 Mark. Die Ankaufsquote lag bei durchschnittlich 60%.
Die Remonte-Depots hatten die Aufgabe, die für die Armee angekauften jungen Pferde bis zu deren Abgabe an die Truppen in Pflege zu nehmen und sie auszubilden. 1888 hatte Preußen 15 Remontedepots mit ca. 7300 Pferden. 1905 waren es 18 Remontedepots mit 9550 Pferden. Die meisten Remontedepots der preußischen Armee lagen in Ost- und Westpreußen, wo man die Pferdezucht in großem Stil betrieb. Schon ab 1832 wurde die Armee von den Remontedepots mit Pferden aus eigener Zucht versorgt. Die Remontedepots waren Staatsdomänen, die zuerst dem Hauptgestüt in Trakehnen, zuletzt dem Kriegsministerium bzw. dem zuständigen Generalkommando unterstanden.
Siehe auch: https://trakehnenverein.de/remonten-aus-ostpreussen
Neben den Gespann-Pferden waren die Trakener auch als Kutsch- und Reitpferde und als Tunier- und Rennpeferde erfolgreich. Das schwerste Hindernisrennen des europäischen Festlandes im Pardubiz (CSSR) wurde 1923 -1936 achtmal von Trakener gewonnen. Für die Dressur- und Vielseitigkeitsprüfung (Militarys) eigneten sich Trakener besonders durch die Einzel- und Mannschaftsiege in der Großen Dressurprüfung und in der Military der Olympiade 1936. Für die USA gewann 1984 auf der Olympiade der Trakener Hengst „Abdullah“ die Silbermedaillen im Einzelspringen und die Goldmedaille in der Mannschaftsbewertung.
Durch die Mechanisierung von Militär und Landwirtschaft und aufgrund des Versailler Vertrages nahm die Bedeutung der Pferdezucht in Ostpreußen ab 1918 deutlich ab.
Nach der Bauernbefreiung änderte sich die Belegschaft. Die Arbeitskräfte des Hauptgestüt Trakehnen jetzt bestanden aus:
- Beamten (Stutmeister, Gestüts(ober)wärter, Hilfswärter)
- Angestellte (Inspektoren, Schäfermeister, Melkmeister, Hofmeister, Lehrer
- Handwerker (Schmied, Schlosser, Stellmacher, Zimmermann, Maurer, Kutscher, Schneider, Nachtwächter)
- Landarbeiter (Deputant, Freiarbeiter, Hofgänger)
- Dazu kamen Rentner, Witwen und Invalide
Die betriebliche Gliederung der Bediensteten auf dem Gut Trakehnen zwischen 1930 und 1940 aus:
111 Planmäßige Beamte
1 Landstallmeister
2 Gestütveterinärräte
1 Gestütoberrentmeister
1 Kulturbauinspektor
1 Gestütobersekretär
4 Oberstut- bzw. Obersattelmeister
3 Stut- bzw. Sattelmeister
11 Gestütoberwärter
87 Gestütwärter
37 Angestellte
1 Wirtschaftsdirigent
8 Wirtschaftsinspektoren
1 Magazinverwalter
11 Kassen- und Büroangestellte
3 Bürolehrlinge,
10 Handwerksmeister
1 Forstaufseher
2 Hofmeister
949 Lohnempfänger
59 Reitburschen
890 Deputanten, Dienstleute und anderes Wirtschaftspersonal
Gestütbedienstete insgesamt: 1097 Personen
1931 hatte das Hauptgestüt Trakehnen folgende ha-Größen: 2.966 ha Ackerland, 1.353 ha Wiesen, 1.105 Weiden, 200 ha Wald, 243 ha Weg, Anlagen und Wasser, 93 ha Hof- und Bauernstelen, 56 ha verpachtet, insgesamt 6.016 ha. Das Hauptgestüt hatte folgenden Tierbestand: 18 Hauptbeschäler, 400 Mutterstuten, 730 Hengst, Stuten und Wallache als Nachzucht, 450 Acker- und Wagenpferde, 174 Milchkühe, 5 Herdbuchbullen, 17 Deputatbullen, 231 Stück Vieh als Nachzucht, 209 Weideochsen, 193 Pflugochsen, 90 Jungochse und 530 Schafe. Das Hauptgestüt Trakehnen gehörte zu den fünf größten landwirtschaftlichen Betrieben in Ostpreußen. Es wurde bis 1945 als staatliche Domäne bewirtschaftet.
Ende 1944 wurde das Hauptgestüt Trakehnen vor der herannahenden Roten Armee evakuiert (ab 17. Oktober 1944). Der letzte Original-Trakehner war der Beschäler Keith, der 1941 in Trakehnen geboren war und im November 1976 in Gilde bei Gifhorn, bei dem Züchter Hans Steinbrück (Niedersachsen) kurz vor seinem 35. Geburtstag starb. Nur ca. 700 Pferde der Rasse, darunter nur wenige Dutzend Hengste, überlebten den Zweiten Weltkrieg und die Flucht der Deutschen nach Westen.
Die Pferderasse der Trakehner wird bis heute u.a. in Deutschland: Trakehner Verband, Polen: Zwiazek Trakenski w Polsce, Litauen: Lietuvos Trakenu zirgu augintoju asociacija (LTZAA), Russland: Assoziation der Trakehner Pferde-Gestüte Russlands (ATZ), Niederlande: Trakehner Contact Nederland (TCN), Frankreich: Association Francaise du Trakehner (AFT), England: Trakehner Breeders Fraternity (TBF), Neuseeland: Trakehner Breeders Association of New Zealand (TBANZ) und den USA: American Trakehner Association(ATA) fortgezüchtet. Quelle: https://www.trakehner-verband.de/verband/organisationen/trakehner-weltweit/
Zu Trakehnen siehe auch: Wolfgang Rothe und Daniela Wiemer: Ortsatlas Trakehnen, Eine siedlungsgeschichtliche Dokumentation
Gut Alt Lappönen
Ein weiteres Beispiel ist das Rittergut Alt Lappönen. Die Separation hatte das Gut Alt Lappönen sowohl wirtschaftlich als auch räumlich stark betroffen. Aus wirtschaftlichen Gründen mussten Flächen verkauft werden, 1920 wurde das Gut räumlich aufgelöst.
Groß Aulowöhnen 1893, das Dorf Willschicken hatte 1893 noch einen erkennbaren Dorfkern [213]
Alt Lappönen - Auszug aus Messtichblatt 1196 (1939) [214]
Vom Rittergut Alt Lappönen ist das Amt Lappöhnen zu unterscheiden. Ab 1723 existierte das Domainen-Justiz-Amt Lappönen. In der Liste der Königl. Domänenamtsmänner in Preussisch Littauen 1735 wird Amtmann Chr. Theodor Praetorius für das Amt Lappönen genannt. Das Domainen-Justiz-Amt Lappönen umfaßte 1 Hauptgut mit 2 Vorwerken und 2 Dörfer:
- Alt Lappönen, ein Königliches Hauptgut von 5 Feuerstellen, wo der Sitz des Königlichen Domänen Amtes ist.
- Neu Lapphnen oder Schäferen auch Angine genannt ist ein Königliches Erbpachts-Vorwerk von 2 Feuerstellen.
- Gründann war ein Chatoul-Cölmisches Vorwerk mit 3 Feuerstellen
- Gross Aulowöhnen oder Rinkohnen, ein Königliches Schaarwerksdorf mit einer lutherischen Kirche und 25 Feuerstellen.
- Klein Aulowöhnen oder Paulaitschen, ein Salzburgisches Coloniedorf mit 11 Feuerstellen
Das Domainen-Justiz-Amt Lappönen lag im Bezirk des ehemaligen Hauptamtes Insterburg. Dieses bestand 1736 aus 29 Ämtern mit insgesamt 42 Dörfer mit 382 Feuerstellen.
Zum Gutsbezirk des Rittergut Alt Lappönen, Landkreis Insterburg ist 1907 zu lesen: "Zu welchen gehörten um 1800 ca. 2192 Morgen, 104 Ruten und das Moorbruch von 33 Morgen. 30 Ruten, hat Caroline Friedrieke Melhorn geb. E(G)irod, mit ihrem Ehemann dem Amtmann August Melhorn auf getrennten Gütern lebte, vom landesherrlichen Fiskus für 19.152 Taler auf Grund des Vertrages vom 12. Juni 1817 cfr. 13.03.1819 gekauft. Das Moorbruch kaufte sie von ihrem Mann für 200 Taler. Vorherr war Amtmann Gettkandt. Der Verkauf an Melhorn soll schon 1812 geschehen sein.
Die Melhorn hat das Gut von 01.06.1820/8 an die verwitwete Frau Landjäger Lau und deren Sohn den Leutnant Lau für jährlich 2166 Taler 60 Groschen und einigen Naturalleistungen verpachtet.
Die Frau Amtmann Melhorn, nachherige Land und Stadtgerichts Assessorin Melhorn, verkaufte Lappönen an Adotar Lindenau für 31.225 Taler lt. Vertrag vom 22.06.1840. Dieser vereinigte damit das Grundstück Warglauken Nr.2 mit 293 Morgen 38 R. welches er lt. Vertrag vom 10.12.1846 von den Georg Hundsalzschen Erben für 3180 Taler erkaufte und Wilschikken 2 das er durch Vertrag vom 15.11.1866 von den Krinekschen Eheleuten für 1.600 Taler kaufte, ganzer Kaufpreis 36.005 Taler. Zu der Grünheider - Aulowöhner Chaussee, welche die Feldmark Lappooenen durchschneidet verkaufte Lindenau lt. Vertrag vom 21.11.1865 an den Insterburger Kreis 6 Morgen für 222 Taler."
Quelle: Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net)[2]
Zu den Belastungen, die das Gut Alt Lappönen tragen musste, heißt es:
"Grundsteuer 192 Taler 8 Silbergroschen. Gebäudesteuer 12 Taler, 14 Silbergroschen. Domainen Rente 7 Taler, 1 Silbergroschen. Decem an die Kirche Aulowöhnen 4 Taler, 5 Silbergroschen, 1 Pfennig. Zu den Patronatslasten 20 Taler. Gesamt 235 Taler, 28 Silbergroschen, 1 Pfennig. Pfarrkalende Roggen, Gerste, Hafer je 9 Scheffel 11 Metzen. Erbsen 2 Sch. 6 ¾ M. Flachs 38 ¾ Pfd. Präcentor die Hälfte von dem, was der Pfarrer bekommt. Lehrer Roggen 9 Sch. Gerste 4 Sch. 8 Mtz.1440 Pfd. Heu, 2166 Pfd. Stroh.“
Quelle: Alt Lappönen Gutsbezirk, Landkreis Insterburg 1907
Um 1807 wird das zuständige Domänenamt, zuständig für das im Eigentum des Staates stehende Gut in Alt Lappönen im Rahmen der „Bauernbefreiung“ aufgelöst.
Das Besitzerland der Amtsbauern kann nun deren Eigentum werden (Regulierung und Seperation ab 1811, Verschlechterung durch Reduzierung der Anspruchsberechtigten ab 1816). Wie viele Amtsbauern auf dem Staatsgut Alt Lappönen ursprünglich angesiedelt waren und Eigentum verliehen bekamen und zu welcher Gemeinde ihre Höfe später gehörten, ist nicht bekannt.
Jedenfalls gehörte das Königliches Scharwerksdorf Aulowöhnen zum Domänengut Alt Lappönen.
Die überwiegende Zahl der 18 Wirte in Aulowönen ist um 1800 Salzburger Abstammung.
Die Gewerbefreiheit ließ den bürgerlichen Erwerb von Staatsdomänen zu. „Das noch 2.000 Morgen (500 ha) große Ritter-Gut Alt Lappönen erwarb 1810 Caroline Girod, die mit dem Amtmann Mehlhorn verheiratet war, zum Preis von 19.152 Taler.“
Nach der Auflösung des ehemaligen Domänenamtes Lappönen wurde das Gut mit 87.392 Thalern bewertet.
Die folgende Karte zeigt die Neusiedler in Alt Lappönen ab 1920
Während der Hyperinflation wurde das Gut, es war noch 457 ha groß, aber aufgelöst. Es entstanden 24 Bauernhöfe – alle ca. 20 ha groß, die, als das Rittergut Alt Lappönen nahe Willschicken nach 1920, dessen letzter Besitzer der Rittmeister der Reserve Herr Walter Ornhorst war, durch die gemeinnützige „Baugesellschaft Königsberg“ für Neusiedler bereitgestellt wurden. Unter den Neusiedlern war auch ein Mitglied der Familien Tuttlies. Quelle: Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net)
Gerhard Dalheimer (Kiaunischken) schreibt im Insterburger Brief 07/2014 Neusiedler in Aulowönen dazu:
"Wenn wir früher von Aulowönen nach Grünheide fuhren, kamen wir an vielen Neusiedlerstellen vorbei. Sie waren entstanden, nachdem das Gut Alt - Lappönen nach dem ersten Weltkrieg „ausgewirtschaftet“ hatte. Offensichtlich hatten diese Siedlungen so viel Land, dass ihre Besitzer davon leben konnten. Oder waren einige Betreibe auch als Nebenerwerbssiedlungen konzipiert? Meiner Erinnerung nach dürfte das aber die kleine Minderheit gewesen sein.
Was ich aber erst Jahrzehnte später erfahren habe ist, dass etliche Siedler von ihren neuen Landesherren „rauskomplementiert“ worden waren, nachdem ihre Besitzungen im einst russischen Gebiet nach Versailles polnisches Territorium geworden war. Das hatte sich Mitte der 1920er Jahre zugetragen, wie ich aus Kontakten mit den Nachkommen zweier “Aussiedlerfamilien“ erfahren habe. Außerdem erinnere ich mich, das wir an der Grünheider Straße an einem Russengrab aus dem 1. Weltkrieg vorbei kamen, das war stets sauber gepflegt und eingezäunt war."
Gemeint ist das Russengrab, das vor dem Hof von Berta und Ferdinand Tuttlies lag. Etwas 50 Meter entfernt wurde dann nach dem 1. Weltkrieg ein Soldatenfriedhof angelegt.
Eingang des Kriegsgräber-Friedhof Alt Lappönen, 2010[218]
Stählen auf dem Kriegsgräber-Friedhof Alt Lappönen, 2010[219]
Kriegsgräber-Friedhof in Alt Lappönen, 2010 [220]
"Einige Jahre nach dem 1. Weltkrieg 1914/18 wurde am Rand von Aulowönen auf Gemarkung "Gut Alt Lappönen" ein Kriegerdenkmal errichtet. Der Auftraggeber dürfte der Kyffhäuser- bzw. Stahlhelmbund gewesen sein, von dem es im Kirchspiel eine größere Kameradschaft gab. Ein großer Granit-Findling aus Oberschlesien wurde grob zerlegt und mit der Bahn nach Grünheide befördert. Von da aus wurde alles auf Rollwagen nach Aulowönen transportiert. Im Krug in Pillwogallen / Lindenhöhe wurde eine Pause eingelegt, die die Tiere brauchten. Auch die Fuhrleute freuten sich auf den Kornus zu 10 Pfennig das Glas. Der Wagen mit dem großen Gedenkstein wurde von 16 Pferden gezogen, die kleinen Gedenktafeln von je 8 Pferden. Alle Steine wurden auf dem Marktplatz in Aulowönen abgestellt und dort bearbeitet. Danach wurden sie an den Bestimmungsort gebracht. Die Abfälle der Steine ergaben noch den Belag für die Saaltreppe von Rautenberg. Man muss sich mal vorstellen, wie groß der Findling war. Landsleute, die damals auch noch Kinder waren, meinten, dass das Denkmal um 1925/26 erstellt wurde. Überlieferungen gibt es keine. 1997 fing man mit der Rodung des verwilderten Denkmals an."
Quelle: Erich Gettkandt im Insterburger Brief (Erscheinungsdatum nicht bekannt)
Danach wurde hier eine Kriegsgräberstätte angelegt. 2010 wurden zusätzlich Symbolkreuzgruppen - ein Obelisk und zwei Stählen - auf dem Friedhof aufgestellt. Der Friedhof wurde vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberstätten angelegt und wird gepflegt. Der Soldatenfriedhof russ. Zakhoroneniye Nemetskikh Voinov liegt an der Ulitsa Geroyev, der früheren Grünheider Straße, in Höhe der ehemaligen Mühle von Petschull im ehemaligen Willschicken auf der anderen Straßenseite. Siehe dazu auch in diesem Text das Kapitel 9.4 Verwaltung im Oblast Kaliningrad.
Der gepflegte, gut erhaltene Ersten Weltkrieg Friedhof mit 183 Gräbern, liegt am östlichen Rand des ehemaligen Gutes Alt Lappönen, eine Siedlung die heute Dachnoye heißt. Siehe auch das Kapitel 9.3 Verwaltung im Oblast Kaliningrad. Im Zentrum des Friedhofes steht Obelisken aus Granit, der von beschrifteten Granitstelen umgeben ist. Der Friedhof ist eingefriedet von Betonpfosten und Metallrohren.
Quellen:
https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/alt-lappoenen und https://wiki-alt.genealogy.net/Alt_Lapp%C3%B6nen
Modernisierung der Landwirtschaft
Schon vor der Neuansiedlung der westlichen Einwanderer wurde östlich der Elbe, etwa um 1000 n. Chr., ein Ackergerät zur Bestellung der Felder genutzt, das die Neusiedler zunächst mit übernahmen.
Dieses Gerät wird als Haken bzw. Hakenpflug bezeichnet. Die Funktionsweise des Hakens bestand darin, dass er die Erde an der Oberfläche aufriss und das Erdreich nach beiden Seiten verteilte, ohne es zu wenden. Er war daher besonders für leichten und sandigen Untergrund geeignet.
Ab Mitte des 13. Jahrhunderts setzte sich die von den westlichen Siedlern eingeführte Dreifelderwirtschaft auch in den Gebieten östlich der Elbe endgültig durch, und zwar vor allem in den bisher unerschlossenen lehmhaltigen Böden. Die neue Art der Bewirtschaftung erforderte den Einsatz des schweren Wendepfluges.
Der Wendepflug bestand, anders als der Haken, aus mehreren Einzelteilen. Seine wichtigsten Teile waren das Sech, das Streichbrett und die Pflugschar. Im Gegensatz zu dem Haken, der bei schweren Böden einen weiteren Arbeitsvorgang in Querrichtung benötigte, um das Erdreich zu lösen, konnte der Wendepflug das Erdreich in nur einem Arbeitsvorgang tief aufgraben und nach einer Seite wenden.
Dieser Umstand wurde bei der Festsetzung der Abgaben berücksichtigt. So betrug die Belastung durch Zinsen und Zehnten für die Bauern, die nach wie vor den Haken zur Bestellung ihrer Felder verwendeten, wegen der geringeren Erträge nur die Hälfte der Abgaben der Nutzer des wirtschaftlicheren Wendepflugs
Die unterschiedlichen Funktionsweisen beider Geräte hatten auch Einfluss auf die Form und die Größe der Anbauflächen. So besaßen die mit dem Haken bearbeiteten Ackerflächen etwa die gleiche Feldlänge und -breite und hatten eine quadratische Grundfläche, die schachbrettartig gepflügt wurde. Für den Wendepflug waren lange Felder mit rechteckiger Grundfläche (Zelgen) wesentlich besser geeignet, da die schweren Geräte seltener gewendet werden mussten. Neben der Einführung der neuen Produktionstechniken kam es auch zu einem Wandel in der Art der Bepflanzung durch den Anbau neuer Getreidearten, von denen sich der Hafer in Brandenburg und der Roggen in Ostpreußen als die wichtigste Getreideart durchsetzte.
Die Modernisierung ihrer Güter stand für die die meist sehr konservativen Agrarier in Ostpreußen um 1800 kaum im Vordergrund. Die Erlöse - wenn vorhanden - wurden anderweitig angelegt, wie repräsentative Gutshäuser, edle Rassepferde und Hunde, aufwendige Jagdreviere, luxuriöse Weinkeller, teure Ausbildungen, umfangreiche Aussteuer und zuhause in gelagerten Goldreserven.
Im Vordergrund der Großgrundbesitzer stand aber die Verteidigung, Vermehrung und Vererbung ihrer Güter. Dazu diente einerseits das Fideikommiss: Ein durch Stiftungsakt geschaffenes unveräußerliches und unteilbares, einer bestimmten Erbfolge unterliegendes Vermögen, das auch nicht belastet werden durfte. Dazu diente andererseits besonders auch die „Heirat nach Innen“. Sie beschreibt die soziale Vorgabe, dass die Menschen (Gutsbesitzer) zum Erhalt der eigenen sozialen, ethnischen oder religiösen Gruppe nur innerhalb dieser Gruppen heiraten und Kinder bekommen sollten.
Der Adel blieb unter sich, zumal die bürgerlichen Gutsbesitzer in der Regel über viel kleinere Güter verfügten, die sie schnell bereit waren abzustoßen, wenn ökonomische Probleme drohten, während der Adlige standesbewusst auf seinem ererbten Besitz verharrte
Fortschrittliche Gutsbesitzer sorgten aber für einen Wechsel von der personenorientierten Feudalwirtschaft zur kapitalorientierten Produktwirtschaft. Häufig folgte ein Wertewechsel auch beim Verkauf von Adligen an Bürgerliche. Die Modernisierung erforderte verstärkter Maschineneinsatz, regelmäßiger Gebrauch von Mineraldünger, kürzere Wege auf eigenem Land, eine verbesserte Dreifelderwirtschaft, Ausbau der Melioration und neue Zuchtmethoden. Ein wesentlicher Punkt war der Einsatz von "moderner Technik".
Die Erträge der ostpreußischen Landwirtschaft wurden durch verbesserte Technik angehoben. Seit 1850 wirkte sich die Massenproduktion eiserner Halbfabrikate aus. Zunächst wurden diese noch aus England importiert. Schaufeln- und Spatenblätter, Sicheln, Sensen und Beile stammten nicht mehr vom Dorfschmied, sondern konnten im Handel preiswerter erworben werden. Die wichtigste Veränderung war aber der eiserne Pflug. Er hatte eine stärkere Belastbarkeit, vergrößerte Bodentiefe und verlängerte Lebensdauer. Dem folgten eiserne Eggen und Walzen.
Ein erster Schritt der Mechanisierung der Landwirtschaft in Ostpreußen war das Aufkommen von Dreschmaschinen, die zunächst noch mit Muskelkraft (häufig von Pferden) betrieben wurden. Ende des 19. Jahrhunderts wurden erste Versuche mit motorbetriebenen Zugmaschinen gemacht, frühen Vorläufern etwa der Lanz-Traktoren. Parallel zu den Verbrennungsmotoren wurde in der Frühzeit der Motorisierung auch noch mit dampfbetriebenen Fahrzeugen gearbeitet, welche zwar unhandlich und schwer waren, sie waren aber für den stationären Betrieb an Feldrändern oder in landwirtschaftlichen Betrieben als Antrieb für weitere Geräte jedoch gut eigneten. Größere Güter begannen deshalb teilweise mit der Beschaffung von sogenannten Lokomobilen. Da nun eine verlässliche Kraftquelle zur Verfügung stand, wurden auch weitere Geräte entwickelt, die sich mit ihrer Hilfe betreiben ließen, etwa die Ballenpresse für Heu und Stroh.
Der Getreideanbau war in Ostpreußen die Haupteinnahmenquelle. Beim Dreschen von Getreide oder Hülsenfrüchten werden durch Trampeln, Schlagen, Walzen oder mit einer Dreschmaschine die Körner vom Stroh getrennt oder der Samen aus den Hülsen gelöst.
Die Geräte oder Hilfsmittel beim Dreschen haben sich im Laufe der Zeit immer weiter in Richtung einer Arbeitserleichterung entwickelt. Vom Dreschstock über den Dreschbock, den Dreschflegel bis zur Dreschmaschine geht der Weg. Dreschmaschinen kamen stationär und mobil vor.
Der Antrieb erfolgte per Hand, über Göpel oder Dampfmaschinen und Traktoren, die im stationären Betrieb mit einem Treibriemenantrieb ausgestattet waren.
Der Einsatz zur Mechanisierung der Landwirtschaft in Ostpreußen blieb aber überschaubar. Erfolgte dennoch der Einsatz, gingen häufig die Deputate für die Jahreskontrakte gebundene Arbeiter verloren. Die galt besonders für den Einsatz von Dreschkästen, die den Dresch-Einsatz von Land-Arbeitern drastisch reduzierten.
Das hat zur Folge, dass der Getreidedrusch in wenigen Wochen erledigt werden kann. Zuvor wurde die Getreideernte zumeist in Tagelohn mit dem Dreschflegel ausgedroschen, was etwa 30 Wochen von Ende September bis Anfang Mai dauerte. Die Tagelöhner bekamen vom Drusch einen Teil des ausgedroschenen Korns und hatten eine Dauerbeschäftigung durch den Winter.
Es wurden auch Dreschschlitten verwendet. Mit Einführung der Dreschmaschine wurden die Tagelöhner winterarbeitslos oder unterbeschäftigt und mussten sich für andere Arbeit zu einem möglicherweise geringeren Lohn verdingen.
Im Ersten Weltkrieg kam der Einsatz von modernen Landmaschinen in Ostpreußen fast völlig zum Erliege und wuchs bis 1933 nur sehr gering an.
Ab 1933 wurden die Modernisierung auf großen Höfen gezielt durch günstige Kredite gefördert. Parteiangehörige wurden bevorzugt.
Rudolf Wermke (1842-1897) arbeitete schon früh im elterlichen Schmiedebetrieb. Nach dem Tod seines Vaters entschied er sich gemeinsam mit seinem Bruder für die Gründung eines eigenen Unternehmens. So wurde die gemeinsame Firma am 1. Januar 1870 in Heiligenbeil (Ostpreußen) ins Leben gerufen. Innerhalb des Betriebs machte es sich Wermke zur Aufgabe, eigene Pflüge herzustellen und diese stetig weiterzuentwickeln. Ab 1882 besaß Rudolf Wernike die erste ostpreußische Landmaschinenfabrik in Heiligenbeil mit Dampfmaschinenbetrieb und 20 Schmiedefeuern, deren Produkte dank guter Qualität schon 1895 mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde. Die Fabrik erwarb sich so den Ruf als „ostdeutscher Pflugbauer. Rudolf Wermke (geboren 1842) arbeitete schon früh im elterlichen Schmiedebetrieb.
Die Geschäfte liefen so gut, dass sich das Unternehmen nur zehn Jahre nach Firmeneröffnung vergrößern konnte und so wurde im Jahre 1882 die erste Fabrikhalle erbaut. In der neu errichteten Halle wurden von nun an Drillmaschinen, Eggen, Grubber, Krümmer, Walzen und später auch Düngerstreuer, Pferderechen, Heuwender, Häcksler und Rübenschneider produziert.
Die Geschäfte liefen so gut, dass sich das Unternehmen nur zehn Jahre nach Firmeneröffnung vergrößern konnte und so wurde im Jahre 1882 die erste Fabrikhalle erbaut. In der neu errichteten Halle wurden von nun an Drillmaschinen, Eggen, Grubber, Krümmer, Walzen und später auch Düngerstreuer, Pferderechen, Heuwender, Häcksler und Rübenschneider produziert.
Trotz der fortlaufend guten Geschäftsjahre hatte das Unternehmen aber auch mit Problemen zu kämpfen: Wegen der ungünstigen geografischen Lage gestaltete es sich als schwierig, geeignetes Fachpersonal zu finden. Zudem mangelte es an kleinen, günstigen Wohnungen. Daher ließ Wermke 1892 Fabrikhäuser erbauen. 1896 kam zudem noch ein Beamtenhaus für die leitenden Angestellten hinzu.
Foto: Pflügen mit einem Zweier- und einem Vierergespann [226]
Foto: Pflügen mit Schwingpflug in Ostpreußen [227]
Die Heinrich Lanz AG in Mannheim war ein führender deutscher Landmaschinenhersteller. Das Unternehmen wurde 1859 in Mannheim gegründet.
Auf der Weltausstellung 1900 in Paris konnte Lanz bereits auf eine vierzigjährige Geschichte zurückblicken und war der größte Hersteller der Branche. So wurden bis 1900 ausgeliefert - wovon nur ein sehr kleiner Teil in Ostpreußen ankam:
- über 10.000 Lokomobile für Landwirtschaft und Industrie,
- 7.000 große und mehr als 120.000 kleinere Dreschmaschinen,
- 180.000 Futter-Zubereitungsmaschinen,
- 60.000 Göpel für 1 bis 6 Pferde und etwa
- 16.000 verschiedene andere Maschinen
Abbildung: Heinrich Lanz AG Prospekt, [228]
Foto: Groß Park, Horst Dobrileit im Lanz-Bulldog beim Pflügen [229]
Foto: Familie aus Paducken mit gemieteter Lanz Dreschmaschine [230]
Ab 1921 begann eine neue Ära: Traktoren mit Verbrennungsmotoren sollten die schwerfälligen Dampfmaschinen ablösen. Nach dem Tod von Karl Lanz 1921 im Alter von 48 Jahren stellte der bis dahin unbekannte Ingenieur Fritz Huber einen Rohölmotor mit 12 PS (8,8 kW) und Glühkopfzündung vor. Dieser Glühkopfmotor war der erste Bulldog und lief mit nahezu jedem Treibstoff – vom billigen Rohöl bis zum heimischen Pflanzenöl. Dem „Ur-Bulldog“ folgte 1923 mit dem Typ HP, einem Bulldog mit Allradantrieb und Knicklenkung, eine Maschine, die ihrer Zeit technisch um Jahrzehnte voraus war.
Wie Lokomobile hatten die meisten Lanz-Traktoren eine kuppelbare Riemenscheibe, die im stationären Betrieb als Treibriemenantrieb für eine Vielzahl von Zusatzgeräten (wie Großmahlwerk, Dreschmaschine, Windfege, Ballenpresse, Heu- und Erntegutförderer, Feldhäcksler (Ernteguthäcksler), Steinbrecher, (Brennholz)-Kreissäge, Kegelspalter, Wasserpumpe, Werkstattmaschinen usw.) genutzt werden konnte.
Somit vereinte der Bulldog die Vorteile einer Acker- und Zugmaschine und eines stationären Antriebsmotors zum Betrieb von Zusatzgeräten. Der Erfolg des Bulldogs war in seiner Einfachheit und Robustheit begründet. Hinzu kam, dass er als Vielstoffmotor mit kostengünstigem Rohöl u. ä. betrieben werden konnte und gegenüber den ersten Dieseltraktoren als zuverlässiger galt.
In anderen Disziplinen wie Zugleistung, Technologie oder Verbrauch waren die Bulldogs den Dieselschleppern allerdings eher unterlegen. Trotzdem konnten sich Lanz-Bulldog-Ackerschlepper zumindest in Deutschland für viele Jahrzehnte behaupten, da ihr einfaches Glühkopfmotor-Prinzip günstig zu produzieren war und geringe Ansprüche an Zündwilligkeit und Klopffestigkeit des Kraftstoffs stellt.
In Ostpreußen waren, wenn überhaupt nur rentable Güter in der Lage, moderne Landmaschinen zu kaufen und einzusetzen. Auf dem Gut von Franz Sieloff in Wilkental war nach Berichten von Hildegard Tuttlies „die Pferde immer blitz blank, fast so wie seine neuen Maschinen“, auf dem Gut von Ernst Grigull wirtschaftete „De ol Grigull“.
Kleinere Landmaschinen wie traditionelle Eggen, Heurechen, Pflüge und Zugpferde wurden in Wilkental im Rahmen der Talka („Bitthilfe“) unter den kleinen Höfen und zwischen Verwandten und Bekannten häufig ausgeliehen. Aufgrund der wirtschaftlichen Situation waren größere Neuanschaffungen wie Trecker kaum möglich. Große Güter überließen ihre Maschinen nicht den „kleinen Krautern“. Dafür war auch der Soziale Abstand zwischen den Schichten der Junker und den (Klein) Bauern viel zu groß.
Die Rittergutsbesitzer (Junker) konnten auf dem Lande in Ostpreußen als eine „institutionalisierte soziale Organisationen“ bezeichnet werde. Es gab festgelegten sozialen Verhaltensregeln. So war heiraten untereinander üblich. Das galt auch für eine Mitgliedschaft in bestimmten politischen Vereinen und Parteien. Sie zeichnete eine speziellen "monarchischer Gesinnung" aus. "Die Junker besaßen insbesondere im 19. und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im östlich der Elbe gelegenen, auch Ostelbien genannten Kerngebiet Preußens eine bedeutende politisch-ökonomische Machtstellung, die politisch bis 1918 durch Gesetze, das Dreiklassenwahlrecht und ökonomisch durch den erheblichen Großgrundbesitz dieser Schicht gefestigt wurde.“ (Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte Band 3)
Verbesserung der Infrastruktur
An einer generellen Verbesserung der Infrastruktur hatten konservative Großgrundbesitzer wenig Interesse. Sie hatten in den entsprechenden Gremien auf Kreis- und Provinzebene aufgrund des Dreiklassenwahlrechts stehts die Mehrheit. Sie befürchteten auf den Agrar-Märken einen Teil-Verlust ihrer traditionellen Monopolstellung.
Post
Die Einführung der "modernen" Post im Regierungsbezirk Gumbinnen geht auf König Friedrich Wilhelm I. zurück. Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657–1713, ab 1701 als Friedrich I. König in Preußen) belehnte den Staatsminister Johann Kasimir Kolbe von Wartenberg mit dem neu geschaffenen Erb-General-Postmeisteramt. Durch den Kronprinzen und späteren „Soldatenkönigs“ Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) wurde von Wartenberg 1711 auf Grund von nachgewiesener Korruption entlassen, das Erb-General-Postmeisteramt abgeschafft. Ernst Bogislav von Kameke wurde 1711 neuer nicht erblicher General-Postdirektor und baute die Behörde stetig aus. Am 10. August 1712 wurde eine preußische Postordnung erlassen, 1715 ein Edikt über den Postzwang. Postzwang war das strafrechtliche geschützte Verbot, schriftliche Mitteilunge durch anderen Beförderungsart als die der Post zu benutzen.
Die Aufgabenerfüllung der neuen Post-Behörde waren in den ersten Jahren schwierig. Der Regierungsbezirk Gumbinnen lang an der Grenze zu Litauen und Polen und hatte aus militärischen Gründe noch kein ausgebautes Straßennetz. In der Zeit des Deutschen Ordens war der Wald der Großen Wildnis aus Sicherheitsgründen kaum gerodet worden und bildete so in einer Linie mit den Masurischen Seen und der Rominter Heide eine natürliche Barriere gegen Polen und Litauen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts war das auch Johannisburger Wildnis genannte Gebiet noch etwa 100 Kilometer lang und ca. 40 Kilometer breit.
In Ostpreußen und Preußisch-Litauen waren zunächst die Dorfschulzen verpflichtet, Briefe und Verfügungen von Amt zu Amt zuzustellen. Diese Einrichtung nannte man “Ämter-Posten”.
Der Bau von Kunststraßen stand in Ostpreußen Mitte des 18. Jahrhunderts generell noch in den Anfängen. Die vorhandenen naturbelassenen Straßen und Wege waren durch übermäßige Benutzung und Klimaeinflüsse zeitweise unpassierbar. Sie waren schwer zu befahren, der Untergrund war im Naturzustand belassen worden. Bei Regenwetter waren sie stark verschlammt, Stürme kippten Bäume auf die Wege und im Winter waren sie durch Schnee und Eis häufig unpassierbar. Die durchziehenden Truppen der stattgefundenen Kriege hatten die vorhandenen Verbindungen einschließlich der Brücken zusätzlich stark beschädigt. Eisenbahnen waren noch nicht vorhanden. Es musste unter denkbar ungünstigen Wegeverhältnissen der gesamte Nachrichten-, Personen- und Güterverkehr bewältigt werden. Bis 1816 hatte Ostpreußen keine „Chausseen“, das sind mit Makadam belegte Kunststraßen. Dazu siehe auch den Absatz 6.3.5.7 Straßen.
Ein wichtiges Ziel der Preußischen Reformer war nach dem Abzug der französischen Truppen 1815 u.a. die verwaltungsrechtliche Neuordnung der gesamten Provinz. Dazu gehörte ein modernisiertes Straßennetz. Jedes Kirchspiel solle durch eine Chaussee erreichbar sein.
Wesentlichen Anteil daran hatte der preußische Reformer Theodor von Schön, von 1809 – 1816 Regierungspräsident im Gumbinnen und von 1824 - 1842 Oberpräsident von West- und Ostpreußen und Kabinettsminister in Berlin. Verkehrspolitik, Schulwesen, die gesamte innere Struktur der Provinz Ostpreußens einschließlich der Post konnten so mit seiner Hilfe, auch gegen den teilweisen Widerstand des Adels, reformiert werden.
Den obersten Landesbehörden in Ostpreußen gelang es aber schon ab 1816 durch die Zusammenarbeit mit der reformierten Militärführung und der in den Kreisen neu aufgestellten Baupolizei, zahlreiche Neuanlagen von Chausseen und eine wesentliche Verbesserung der vorhandenen Straßen und Wege zu erreichen, so dass trotz der großen Entfernungen besonders der Nachrichtenverkehr der Post bis in die entlegensten Teile des Regierungsbezirks Gumbinnen ausgedehnt werden konnte. Da die neuen Straßen teilweise über Privatland führte, kam es dort auch manchmal zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die aber stets zu Ungunsten des Klägers entschieden wurden.
Nach den preußischen Reformen bis zur Reichsgründung wurden zum Straßenbau „für wichtige grenznahe Militär-Straßen“ auch Soldaten eingesetzt. Dazu gab es in Tilsit, Insterburg, Lyck und Lötzen speziell ausgebildete Bauregimenter.
Im Jahre 1850 kam es zur Errichtung von Oberpostdirektionen, den späteren Reichspostdirektionen, denen sämtliche Postanstalten ihres Bezirks unterstellt wurden. Als Amtsbereich erhielt die Oberpostdirektion Gumbinnen den damaligen Regierungsbezirk Gumbinnen zugewiesen. 1867 wurde auch die Privat-Post von Thurn und Taxis im Süden des Reiches von der Reichspost mit übernommen. Die Reichspost ging durch Umbenennung am 12. Mai 1871 aus der Norddeutschen Post hervor.
Zugestellt wurde vor der Entwicklung von Eisenbahn und und Automobil
- Normale Post per Landbriefträger zu Fuß. Er stammte häufig aus der Nachbarschaft und war auch ein sozial angesehener "Nachrichtenträger"
- Bei langen Wegen und sperrige Post durch das Karriol. Es ist ein leichtes, einachsiges Fuhrwerk für den Sommer. Im Winter erfolgte die Zustellung mit dem Pferde-Schlitten.
- Eilpost per Pferdeboten. Es wurden hauptsächlich Trakener Pferde eingesetzt, die zuvor vom Militär ausgebildet wurden.
Die Post kam in Willschicken zweimal die Woche. Seit 1825 war es gestattet, Land-, Fuß-Boten oder Briefträger einzustellen. Sie stellten zwei- bis dreimal in der Woche Briefe, Adressen, Zeitungen und Amtsblätter gegen ein Bestellgeld in der Umgegend des Postbezirks zu und nahmen, wieder gegen ein Bestellgeld, solche Sendungen an. Die Landbriefträger wurden von der Postanstalt unter Vertrag genommen und besoldet, das Bestellgeld floss in die Postkasse und sollte die Kosten für diese Dienstleistung decken. Diese Reglungen blieben bis zur Weimarer Verfassung bestehen.
Mit der Neuordnung des Preußischen Postwesens wurde am 16. September 1849 die Oberpostdirektion Königsberg eingerichtet. Der erste Leiter war Oberpostdirektor Pieck. 1850 hatte der Oberpostdirektions-Bezirk 67 Ämter und Amtsstellen. 1862 waren es 71 Postanstalten mit 135 Beamten. 1942 arbeiteten in 1.814 Postanstalten 10.861 Beamte. Im Bezirk wurden 1870 täglich 1,7 Millionen, 1942 täglich über 90 Millionen Briefe und Karten aufgegeben. Im selben Jahr gingen 8,5 Millionen Pakete zur Post.
Der ganze Regierungsbezirk Gumbinnen umfasste 1885 eine Fläche von 15.870 km². Die Einwohnerzahl betrug 1880: 778.422, darunter 756.448 Evangelische, 12.064 Katholische, 4.088 sonstige Christen und 5.791 Juden.
Die letzten Präsidenten der seit 1934 offiziell Reichspostdirektion Königsberg genannten Behörde waren Hans-Joachim Münzel (1940) und Walter Pietsch (1942). Beide waren zuvor Ministerialräte im nationalsozialistischem Reichspostministerium gewesen. Vor der Eroberung von Königsberg durch die rote Armee löste Pietsch die Reichspostdirektion Königsberg am 27. Januar 1945 auf
Telegrafie
Vorläufer des Telefons waren Telegrafen. Im Gegensatz zum Sprechfunk und der Telefonie wurde bei der Telegrafie nicht gesprochen, stattdessen wurden die Zeichen über einen (Morse) Code per Leitung, später der Funk übertragen, die dann beim Empfänger zu Wörtern zusammengesetzt wurden. Dazu wurden die preußischen Telegrafie-Beamten besonders ausgebildet. Die Telegrafie diente zunächst hauptsächlich für die Verwaltung, die Eisenbahn und das Militär (z.B. die Emser Depesche 1870). 1848 wurde das Staats-Telegraphennetz beschlossen. Im Oktober 1849 konnte man im Reich bereits über eine Linienlänge von 2387 Kilometern verfügen. 1851 wurde die bereits bestehende Telegrafie-Leitung von Berlin nach Danzig nach Königsberg verlängert. Damit war Ostpreußen direkt mit Berlin verbunden. Das Telegrafennetz wurde - auch aus aus militärischen Gründen - schnell weltweit ausgebaut.
Ab 1875 wurden zunächst bei der Bahn auch private Telegramme zugelassen, die pro Wort bezahlt und durch „Blitzboten“ zunächst per Reiter dann per Fahrrad ab 1903 per Motorrad zugestellt wurden. Dazu wurden besondere Telegrafenämter eingerichtet. Das Hauptpostamt Königsberg von 1849 war Hofpostamt, Oberpostdirektion und als Post- und Telegrafenamt ein bis 1945 betriebenes Gebäude der Reichspost in Königsberg in der Poststr. 15.
Die erste Telegrafenstation wurde im Jahre 1854 in Gumbinnen errichtet. Ein umfangreiches Leitungsnetz musste aufgebaut werden. Die allgemeine Entwicklung des Nachrichtenwesens stand im Zeichen des wirtschaftlichen Auftriebs nach der Reichsgründung von 1871 und dauerte bis zum Weltkrieg 1914. In diese Zeit fällt auch die Einführung des Fernsprechers als Nachrichtenmittel. Am 25. April 1898 wurde beim Postamt Gumbinnen der erste Fernsprechdienst mit 33 Teilnehmern eröffnet und das Fernsprechwesen im Laufe der Jahre über den ganzen Regierungsbezirk ausgedehnt.
Quelle: https://kreis-gumbinnen.de/die-post/
Im Jahre 1876 wurden im Deutschen Reich Post und Telegrafie vereinigt. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichspost
„Es wird für weite Kreise von Interesse sein, darauf aufmerksam gemacht zu werden, daß die Reichstelegraphenverwaltung die expedierenden Beamten angewiesen hat, jedes Wort, das willkürlich aus zwei Substantiven gebildet worden ist, doppelt zu zählen, damit jedes einfache Telegramm auch wirklich nur 20 Worte enthalte.“
"Am 25. Juni 1857 veröffentlicht der Telegraphen – Bauführer Suckau folgende Ausschreibung: Zur Herstellung einer Telegraphen – Linie von Memel bis zur Russischen Grenze bei Polangen sind 508 fichtene Telegraphen – Stangen von folgenden Dimensionen zu liefern: 58 Stück von 5 ½ bis 6´´ Zopf, 26´ lang, 435 Stück wie vor, 20´ lang, 15 Stück von 8 bis 9´´ Zopf, 26´ lang. Lieferungslustige wollen ihre Offerten auf der hiesigen Telegraphen – Station abgeben, wo auch die näheren Bedingungen eingesehen werden können."
Quelle: https://wiki.genealogy.net/Post_und_Fernmeldewesen_in_Ostpreu%C3%9Fen
Die Kriegswirkungen 1914 trafen die Oberpostdirektion Gumbinnen am schlimmsten von allen ostpreußischen Direktionen. Es dauerte noch Jahre, bis die letzten Schäden des Krieges behoben. Die neue Entwicklung stand im Zeichen der Technik.
Das Telegrafenbauwesen wurde erweitert und im Jahre 1925 in Gumbinnen ein Telegrafenbauamt für den Regierungsbezirk errichtet. Im Fernsprechwesen wurde Wählerbetrieb eingeführt, im Telegrafenbetrieb wurde ab 1930 der Siemens Springschreiber verwendet.
Für das Fernschreibnetz mussten separate Leitungen verlegt werden. Dafür wurden seit 1933 Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen eingesetzt. Die vorhandenen Masten der Überland-Telefonleitungen wurden für die neuen Leitungen mit zusätzlichen Porzellanisolatoren bestückt. Die eingesetzten ABM-Installateuren mußten aber schwindelfrei sein. Im Willschicken wurde berichte, daß zwei Dorfarbeiter bei diesen Arbeiten abgestürzt sind.
Wenn bei den Tuttliesen in Willschicken der Telegrammbote klingelte, herrschtes jedesmal große Aufregung, er brachte entweder eine Besuchsankündigung oder eine Todesnachricht.
Telefon
Ab 1881 wurden die Fernsprechnetze eingerichtet. Die Vermittlung geschah von Hand, zunächst noch ausschließlich von Männern. Schnell wurde aber klar, dass die höheren Frequenzen einer Frauenstimme bei schlechter Leitungsqualität besser zu verstehen waren als die tieferen Männerstimmen – das Fräulein vom Amt war erfunden. Die ersten Ortsnetze wurden in Berlin, Breslau, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, Mannheim und München eröffnet.
Im Jahre 1885 wurden die Ortstelefonnetze von Frankfurt, Heidelberg, Mainz, Mannheim und Wiesbaden miteinander verbunden. Von Berlin aus konnte man bald danach Ferngespräche mit Hannover (1886), Hamburg (1887), Dresden (1888), Breslau (1889), Frankfurt am Main (1894) und Königsberg (1895) führen. Am 6. August 1900 wurde die erste Telefonleitung zwischen Berlin und Paris freigeschaltet. Bis zum Jahr 1912 wurden die Fernleitungen für das Fernsprechwesen fast nur über oberirdische Freileitungen hergestellt. Im Jahr 1928/29 kam es in Ostpreußen zu einem sehr strengen Winter und einer extremen Wetterlage (Vereisung der Ostsee, meterhoher Schnee, tagelanger Sturm und zentimeterhoher Raureif auf den Leitungen) dazu, dass die oberirdischen Freileitungen brachen und reihenweise die Telefonmasten umfielen. Es gelang trotz größter Anstrengungen und dem Einsatz von vielen Mitarbeitern erst nach Monaten, die Schäden an diesen Leitungen zu reparieren. Die Freileitungen wurden in der Regel parallel zu Straßen, Kanälen und Eisenbahnlinien erbaut. Überbauungen von Privatland führte oft zu Auseinandersetzungen. 1936 gab es im Deutschen Reich 6.647 Ortsnetze (25,893 Millionen km Leitungen) mit 3,39 Millionen Sprechstellen (1,95 Mill. Haupt- und 1,35 Mill. Nebenanschlüsse sowie 86.000 öffentliche Sprechstellen)
Das Amtsblatt der Memelgebiete Ausgabe vom 31.12.1921 drucke einen Auszug zu den Fernsprechgebühren (Inland) "Für jeden Hauptanschluss an ein Fernsprechnetz wird eine Pauschgebühr erhoben. Sie beträgt: in den Netzen von nicht mehr über 50 Anschlüssen 1000 Mk (...) jährlich für jeden Anschluss, der von der Vermittlungsstelle, an die er geführt wird, nicht mehr als 5 km entfernt ist. Bei Spechstellen, die in der Luftlinie mehr als 5 km von der Vermittlungsstelle entfernt sind, wird eine jährliche Zuschlaggebühr von 80 Mark für jede vollen oder angefangenen nach der Luftlinie gemessenen 100 m der überschießenden Leitungslänge erhoben."
Quelle: https://wiki.genealogy.net/Post_und_Fernmeldewesen_in_Ostpreu%C3%9Fen
Einzelne Telefonanschlüsse - mit der Voranmeldung "Aulowönen" gab es schon ab 1922 – die der großen Güter, Bürgermeister, Polizei, Hebamme und der Post, z. B. in Willschicken das Gut Grigull mit Telefon Nr. 54 und das Gut Sieloff mit der Telefon Nr. 67. Die etwa 150 Telefonanschlüsse für das Ortsnetz Aulowönen hatten auf zwei Seiten Platz.
Davon profitierte der Gasthof Lerdon in Lindenhöhe, der neben der Poststelle lag und einen eigenen privaten Nebenanschluss mit der Telefon Nr. 72 besaß. Ging dort ein Anruf für einen Dorfbewohner ein, so wurde ein Knecht mit dem Fahrrad losgeschickt, um den Teilnehmer zu informieren. Dieser ließ sich aber häufig mit dem eventuellen Rückruf mehrere Tage Zeit. "Ick mott et nor to Huus beschabbern". Allerdings gingen im Gasthof vor dem 1. Weltkrieg in einer Woche nur etwa 5 Telefonanrufen ein, manchmal auch von Hebammen und Krankenhäusern aus Insterburg. Das ganze Dorf war so über die Gesundheit seiner Bewohner bestens informiert. Manchmal waren es auch Angehörige von Gutsbesitzer, die nach ihren Männern fragten. Der Bürgermeister nahm nur amtliche und keine privaten Telefonate an.
Neue Werkräume und sonstige Post-Anlagen wurden in Gumbinnen ab 1933 erbaut und die Fernmeldeanlagen im erheblichen Umfange durch Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen erweitert. Im Fernsprechwesen allein wurden bis zum Ende 1937 etwa 50 Prozent der Sprechstellen automatisiert. Hiermit konnten gleichzeitig neben der dauernden Sprechmöglichkeit bei Tag und Nacht und weitgehender Verkabelung der Ortsnetze die Störungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Ferner wurde unter Anwendung erheblicher Mittel durch Bau von gemeindeöffentlichen Sprechstellen eine weitere Erschließung des flachen Landes vorgenommen.
In Willschicken gab es jetzt auch beim Bürgermeister eine gemeindeöffentlichen Sprechstellen, die aber zum Abend geschlossen wurde. In Notfällen konnte man ihn aber aus dem Bett klingeln. Für die Tuttliesen blieb das Telefon in der Gaststätte Lerdon der auch privat genutzte Anschluss.
Kraftpost Busse
Vor der Entwicklung von Eisenbahn und und Automobil fand der Überland-Personenverkehr durch Postkutschen oder Postwagen statt. Es gab ein nationales und internationales Liniennetz, das von unterschiedlich Postagenturen regelmäßig bedient wurden, z.B. Berlin - Königsberg oder Königsberg - Sankt Petersburg. Eine Postkutsche schaffte im Sommer, abhängig vom Wetter und der Beschaffenheit der Straße zwischen 30 - 40 km täglich. Im Winter wurden in Ostpreußen auch Personenschlitten gebraucht. Für die Postkutschen- und Wagenreisende und die Kutschpferde standen zur Nacht Gasthäuser und Ausspannungen zur Verfügung. In Lindenhöhe lag die Poststation neben dem Gasthaus. Die Postkutschen konnten etwa 4-8 Personen und die Postwagen etwa 10 - 15 Personen befördern. Dazu kam noch Postgut. Häufig klagten die Reisenden über zu hohe Preise, schlechtes Essen und ungelüftete Massenunterkünfte in den Herbergen.
Neben der Brief- und Pakete Post und der Telegrafie betrieb die Reichspost ab 1920 auch eine Personenbeförderung mit Bussen. Diese Personenbeförderung wurde mit den sogenannten Kraftpost Bussen durchgeführt und im Regierungsbezirk Gumbinnen die erste ostpreußische Kraftpost Linie Ragnit-Schillfelde im Jahre 1923 eingerichtet. Im Regierungsbezirk konnten durch die Motorisierung jetzt in verkehrsarmen Gegenden Landkraftpost Linien, häufig auch als Bahnzubringer angelegt werden. Sie waren auch besonders für die Fahrschüler wichtig.
Überall dort, wo keine Schienen lagen, ergänzten die gelben Postbusse die Eisenbahn und nahmen neben der Beförderung von Fahrgästen zugleich auch die Annahme und die Verteilung von Briefpost, Paketen und Geld (Postanweisungen) wahr. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs konnte die Deutsche Reichspost beeindruckende Zahlen (Stand 1938) aufweisen:
- 3.095 Linien
- 81.984 km Linienlänge
- 127,4 Mio. Fahrgäste im Jahr
- 131,1 Mio. km Jahresfahrleistung
- 6.145 Kraftomnibusse
Damit war die Deutsche Reichspost - nach der Deutschen Reichsbahn - zweitgrößtes Verkehrsunternehmen in Deutschland und größter Omnibusbetrieb in ganz Europa.
Vor der Poststelle im Lindenhöhe hielten an der Kreuzung zwei verschiedene Kraftpost Linien, nicht weit entfernt von der Schule.
Elektrizität
1921–1923 wurde das Kraftwerk Friedland erbaut, das große Teile Ostpreußens mit Elektrizität versorgte. Ab 1921 wurde die Versorgung mit Hilfe der Ostpreußenwerk AG langsam zentralisiert. Zur Aktiengesellschaft „Ostpreußenwerk“ der Vereinigte Industrieunternehmungen AG (VIAG) gehörte unter anderem das Alle-Wasserkraftwerk in Friedland, welches in den Jahren 1921-1924 in einer Flussschleife des Flusses Alle etwa einen Kilometer südlich von Friedland (heute Prawdinsk) errichtet wurde. Es dienten der Stromgewinnung in Ostpreußen, dem sog. Ostpreußenwerk. Das Rückhaltebecken, der sog. Reihersee, war ca. 30 km lang und das Gefälle betrug teilweise 18 Meter. Die VIAG wurde am 7. März 1923 in Berlin als Dachgesellschaft für bisher direkt gehaltene, industrielle Beteiligungen des Deutschen Reiches gegründet. Sie entstand 1920 – 1923 als Reaktion auf die Entstehung des Polnischen Korridors, um die Stromversorgung in Ostpreußens nachhaltig zu sichern. 1975 wurde das Wasserkraftwerk stillgelegt. Nach seiner Restaurierung ging es im Jahre 1999 wieder in Betrieb.
Die Dörfer Lindenhöhe und Wilkental wurden erst 1934 mit Strom versorgt – der noch sehr teuer war, so dass "arme" oder abseitsliegende Höfe noch bei den Petroleum Lampen bleiben mussten. Elektrische Energie stand bis zum Ende des 1. Weltkrieges 1918 nur im geringen Umfang zur Verfügung. Sie kam aus rund 800 kleinen privaten Elektrizitätswerken und reichte mit rund 100 000 kWh Jahresleitung meist alleine für die Beleuchtung. Sie wurden mit Kohle, Holz oder Torf betrieben und liefen nur zeitweise.
Eisenbahn
Durch die Eisenbahn (1849−1860 Bau der Ostbahn) wurde das Absatzgebiet unter anderem für Lebendvieh und Milchprodukte stark ausgeweitet (Berlin, Ruhrgebiet). Die Unterbrechung der Landverbindung zu den Hauptabsatzmärkten schuf nach 1919 eine erhebliche Absatzkrise. Die Seeverbindung über Pillau/Baltijsk ins Reich wurde ausgebaut („Seedienst Ostpreußen“), der Königsberger Hafen zum Hochseehafen erweitert und 1922 ein Flughafen eröffnet. Die Königsberger Ostmesse (ab 1920) wurde eine der größten Wirtschaftsmessen im Deutschen Reich. Erst 1891 gab es im Deutschen Reich eine einheitliche Eisenbahnzeit. Vielreisende fuhren mit zwei Uhren Zug - eine für die Abfahrtszeit und eine für die Ankunftszeit.
Die Preußische Ostbahn, Königlich Preußische Ostbahn oder kurz Ostbahn bezeichnet im engeren Sinne die 740 Kilometer lange Eisenbahnverbindung von Berlin über Königsberg bis Eydtkuhnen an der Grenze zum Russischen Kaiserreich.
Von Königsberg aus wurde die Strecke 1860 bis zur Grenze mit Russland verlängert.
Am 6. Juni 1860 ging der Abschnitt bis Stallupönen, am 15. August bis zur Reichsgrenze bei Eydtkuhnen in Betrieb.
Die Züge aus Deutschland fuhren bis zur russischen Grenzstation Wirballen (russ. Вержболово).
Dort erfolgten die Grenzabfertigung und Umsteigen und Umladen auf die Breitspurgleise der Russischen Eisenbahn. In Gegenrichtung fuhren die russischen Züge bis zum deutschen Grenzbahnhof Eydtkuhnen, wo auf die deutschen Züge umgestiegen wurde.
Unter dem Namen Insterburger Kleinbahnen wurde ab 1902 ein Schmalspurnetz von rund 221 Kilometern Länge unterhalten, das von dem Eisenbahnknotenpunkt Insterburg im östlichen Teil der preußischen Provinz Ostpreußen ausging.
1904 wurde die 39,3 km lange Strecke der Kleinbahn von Insterburg noch Groß Skaisgirren/Kreuzberg eröffnet. Für die Fahrschüler Hildegard Tuttlies und Gerhard Kiehl bedeutete das: 30 Minuten von zu Hause mit dem Fahrrad zum Bahnhof Aulowönen und 1 Stunde 15 Minuten Bahnfahrt nach Insterburg und 20 bzw. 30 Minuten Fußweg zur Schule und wieder zurück.
In strengen Wintern fielen die Bahnverbindungen häufig aus.
Die folgende Tabelle zeigt die Stationen der Kleinbahn von Insterburg noch Groß Skaisgirren/Kreuzberg mit Kilometer-Angaben. Die fehlenden Angaben in den Kilometer Zellen zeigen Umsteigemöglichkeiten in den voraufgehenden Bahnstationen.
Tabelle: Stationen der Kleinbahn von Insterburg noch Groß Skaisgirren/Kreuzberg mit Kilometer-Angaben
Kleinbahn Klbf Insterburg Groß Skaisgirren
Entfernung zwischen den Stationen in km | ||
0,0 | Insterburg Klbf (Tschernjachowsk) | |
Staatsbahn nach Eydtkuhnen/Eydtkau (Tschernyschewskoje) (–Litauen) | ||
1,1 | Insterburg Gumbinnerstraße | |
2,9 | Insterburg Göringstraße | |
4,4 | Insterburg-Luxenberg | |
8,1 | Georgenburg (Majowka) | |
10,7 | Pagelienen (Perelesnoje) | |
12,2 | Kauschen/Horstenau | |
Kleinbahn nach Wirbeln (Schaworonkowo) | ||
15,3 | Klein Reckeitschen/Blüchersdorf | |
18,0 | Auxkallen/Ringelau | |
20,2 | Juckeln/Buchhof (Buchowo) | |
Kleinbahn nach Mehlauken/Liebenfelde (Ostpr.) (Salessje) | ||
23,3 | Gerlauken/Waldfrieden-Moorbad (Fjodorowo) | |
24,8 | Gerlauken/Waldfrieden-Gründann | |
26,2 | Groß Aulowönen/Aulenbach (Kalinowka) | |
27,9 | Eichhorn (Jablotschnoje) | |
31,1 | Swainen (Sadowoje) | |
31,8 | Bersziupchen/Bersziubchen/Birkenhausen | |
34,8 | Groß Aßnaggern/Grenzberg | |
35,8 | Oschweningken/Breitenhof | |
36,1 | Kletellen/Georgenheide (Uroschainoje) | |
39,3 | Groß Skaisgirren/Kreuzingen Klbf (Bolschakowo) | |
Staatsbahn Königsberg (Kaliningrad) – Tilsit (Sowetsk) |
Quelle: Insterburger Kleinbahnen – Wikipedia
Die 39 km langen Kleinbahnstrecke von Insterburg (KlBhf.) nach Groß Skaisgirren wurde am 12. November 1902 eröffnet.
Die folgende Abbildung zeigt eine Fahrplanseite der Insterburger Kleinbahnen 1932 und eine Postkarte der Kleinbahn in Skaisgirren und den Bahnhof in Insterburg:
Abbildung: Fahrplanseite Insterburger Kleinbahnen [241]
Postkarte: Kleinbahn in Groß Skaisgirren[242]
Foto: Insterburg Bahnhof der Kleinbahn [243]
Straßen
Das Straßennetz entwickelte sich nur langsam. Bis 1816 hatte Ostpreußen keine „Chausseen“, das sind mit Makadam belegte Kunststraßen.
Die vorhandenen Straßen und Brücken befanden sich vor 1816 in einem schlechten Zustand, die Landwege waren im Frühjahr und im Herbst kaum befahrbar
Makadam ist eine spezielle Bauweise von Straßen, bei der drei Schichten mit jeweils unterschiedlich großen, gebrochenen und gut verdichteten Gesteinskörnungen den Straßenoberbau bilden. Diese Bauweise wurde von dem schottischen Erfinder John Loudon McAdam zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt, um die Haltbarkeit und Widerstandsfähigkeit der bestehenden Straßen (häufig Packlagen-Bauweise) zu verbessern. Derart befestigte Straßen wurden als makadamisiert bezeichnet.
In der praktischen Ausführung, insbesondere beim Bau der Chaussee zwischen Königsberg und Insterburg, wurde 1831 die Aufteilung der Gesamtbreite folgendermaßen festgelegt: Die ca. 15,7 m breite eingeebneten Untergrundfläche (Planum) in 7,5 m Steinbahn, 6,3 m Sommerweg auf der einen und ein 1,9 m breites Bankett auf der anderen Chausseeseite. Rechts und links der Chaussee wurden Gräben angelegt, die etwa zwischen 60 und 90 cm tief waren. Sie hatten die Aufgabe, die Chaussee zu entwässern. Später wurden die Grabenränder mit Gras besät und die Straßenränder mit Chausseebäumen oder Obstbäumen bepflanzt. Die Funktionen der Bäume waren vielfältig. Zum einen sollten sie Wegweiser bei hohem Schnee sein, zum anderen Schatten spenden, die Chaussee zieren und das Befahren der an die Straße angrenzenden Äcker verhindern. Die Maße waren zunächst für die Truppenbewegungen der Infanterie ausgelegt, änderten sich aber im Laufe der Zeit.
Als erster moderner Verkehrsweg wurde von Königsberg 1828 die Chaussee nach Berlin (die spätere Reichsstraße 1) vollendet. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Straßennetz in Richtung Tilsit (1832), Gumbinnen (1835) und Labiau (1853) verlängert. Am 3. Dezember 1938 konnte schließlich die Autobahn Elbing – Königsberg dem Verkehr übergeben werden, allerdings in beiden Richtungen zunächst nur einspurig.
Die Reichsstraße 1 führte als wichtigste Landstraße der Provinz Ostpreußen in West-Ost-Richtung von Berlin über Elbing, Braunsberg, Königsberg, Insterburg und Gumbinnen bis nach Eydtkuhnen an der damaligen deutsch-litauischen Grenze. Diese wichtige Verkehrsader führte von Frauenburg bis Königsberg am Frischen Haff entlang und war bei ihrer Fertigstellung 1828 die erste ausgebaute Chaussee in der gesamten Provinz Ostpreußen. Ab 1831 wurde der Straßenbau in Richtung Insterburg fortgesetzt, 1835 war die Straße bis Gumbinnen fertiggestellt. 1837 wurde die Fertigstellung der Chaussee bis Eydtkuhnen feierlich bekanntgegeben.
Die ostpreußische Landwirtschaft verfügte bei einer geringen Bevölkerungsdichte nur über einen unbedeutenden inneren Markt. Sie war sowohl für den Absatz ihrer Erzeugnisse als für den Bezug ihrer Bedarfsgegenstände auf Mittel- und Westdeutschland angewiesen. Deshalb konnte ein nennenswerter Aufschwung der Landwirtschaft erst eintreten, als im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts sowohl in dem Bau der Chausseen, wie vor allen Dingen in der Anlage von Eisenbahnen ein etwas schnelleres Vorgehen eingeschlagen wurde. Im Jahre 1917 verfügte Ostpreußen über 3041 km Haupt- und Nebenbahnen, d. s. 82 km auf 1000 qkm Grundfläche, und 1918 waren 7729 km Chausseen vorhanden entsprechend 7 km auf l000 qkm der Landgemeinden und Gutsbezirke. Die Zahlen schlossen einen wesentlichen Fortschritt ein, aber bleiben doch weit hinter dem viel dichteren Verkehrsnetz der mittleren und westlichen Provinzen zurück. Die weite Entfernung der Provinz von den Absatzstätten und den Bezugsquellen der wichtigsten Bedarfsgegenstände wie Futter- und Düngemittel, Kohlen, Maschinen usw. sind von jeher ein schwerer Nachteil für die Provinz Ostpreußen gewesen.
Die Reichsstraßen in Ostpreußen, nummeriert von 1 und von 126 bis146 wurden durch das Reich finanziert. Die Landstraßen bzw. Chausseen, erster und zweiter Ordnung, finanzierte die Provinz bzw der Kreis, jedoch nur, wenn sie vor überörtlicher Bedeutung waren. Der Chaussee-Aufseher und seine Leute waren für die Landstraßen bzw. Chausseen verantwortlich. Es gab aber in jeder Gemeinde weitere Verbindungen vor Ort, wie z. B. Kiesstraßen, Feldwege oder Trampelpfade. Diese Verbindungswege zu den ausgesiedelten Höfen oder auch zu den Äckern mussten an das örtliche Straßennetz angeschlossen werden und führten oft zu Streitigkeiten, wenn Nachbargrundstücke davon betroffen waren.
Das Wegenetz wurde von Gemeinden geplant und angelegt; lagen sie jedoch auf privatem Land mussten sie auch privat unterhalten werden, was wiederum oft zum Streit mit den Gemeinde-Gremien führte. Hintergrund waren Vorschriften der örtlichen Feuerwehr, die "jedes Bauwerk einschließlich Scheunen und Hütten in dem Gemeindeareal mit einem zweispännig gezogenen Kesselwagen" erreichen musste. Nach dem Winter wurden für die Pflege der gemeindlichen Wege Gemeindebewohner vom Bürgermeister zum Wegedienst aufgerufen. Sie mussten ihre Werkzeuge und Fuhrwerke mitbringen, das Material wurde gestellt, der als Kreis-Beamte abgeordnete Chausseeaufseher erteile die Befehle. Diese Einsätze dauerten bis zu zwei Wochen, zum Ärger der Betroffenen in Willschicken, da die Aussaat vor der Tür stand.
Das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 sah schon im Zweiten Teil im Fünfzehnter Titel: Von den Rechten und Regalien des Staats in Ansehung der Landstraßen, Ströhme, Hafen, und Meeresufer die Unterhaltung und die Anlegung von Wege vor. Dazu
§. 13. Die Einwohner der an der Straße liegenden Gegend sind, nach gemeinen Rechten, zur Arbeit mit Hand- und Spanndiensten bey Unterhaltung und Besserung der Wege, nach der Anordnung des Staats verbunden.
§. 14. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auf alle Einwohner, durch deren Distrikt, Kreis, oder Kirchspiel, dergleichen Landstraße geht, und die nach den Gesetzen oder Landesverfassungen zur Gemeinarbeit verpflichtet sind.
§. 15. Wo durch Provinzialgesetze oder besondere Wegeordnungen, die Verbindlichkeit zu Unterhaltung der Landstraßen näher oder anders bestimmt ist, hat es dabey, auch in Zukunft, lediglich sein Bewenden.
§. 16. Auch bey Anlegung neuer Wege kann der Staat von den nach der Landesverfassung zur Wegearbeit überhaupt verpflichteten Einwohnern, welche von dem neuen Wege Vortheil haben, Hand- und Spanndienste fordern.
Wie die alten erhielten auch die neuen Straßen durchweg beidseitig Baumbepflanzung. Auch diese Alleen waren für die ostpreußische Kulturlandschaft typisch. Die Baumalleen dienten im Winter auch zur Orientierung. Teilweise wurden auch Sommer- und Winterwege parallel angelegt. Ein Sommerweg war ein unbefestigter, doch für den Fahrzeugverkehr vorgesehener Streifen einer ansonsten befestigten Straße. Er konnte als Randstreifen der Fahrbahn oder als getrennter Weg neben der Straße ausgeführt sein. Der Name bezieht sich darauf, dass ein solcher unbefestigter Weg oft nur bei trockenem Wetter, also vor allem im Sommer, passierbar war.
Foto: Wegweiser in Ostpreußen[245]
Karte: Reichsstraßen in Ostpreußen, 1939[246]
Karte: Reichsstraßen Drittes Reich 1942[247]
Nachdem Preußen 1815 seine Territorialverwaltung neu geordnet hatte, wurde Insterburg Verwaltungssitz des gleichnamigen Kreises und wurde dem Regierungsbezirk Gumbinnen zugeordnet. Eine zwischen 1828 und 1835 erbaute Chaussee, die später so genannte Reichsstraße 1, wurde durch Insterburg geführt. Ab 1860 wurde Insterburg Eisenbahnknoten der Strecken (Berlin)-Königsberg–Kaunas und Tilsit–Thorn sowie der Insterburger Kleinbahnen. Durch die guten Verkehrsanbindungen siedelten sich viele Industriebetriebe wie mehrere Maschinenfabriken, Eisengießereien und eine Flachsspinnerei an. Die Stadt erlebte eine Aufschwung. 1837 lebten 8.386 Menschen in der Stadt, 1885 waren es schon 22.227.
Hausbau
Bis 1945 war der Hausbau in Ostpreußen der (Bau) Polizei untergeordnet. Das Allgemeine Preußische Landrecht bildete in allen preußischen Provinzen mit – Ausnahme der Rheinprovinz – bis 1871 den Rahmen für die Aktivitäten der (Bau) Polizei - auch für Willschicken.
Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALP) war der Abschluss einer Justizreform, die schon 1747 unter Friedrich dem Großen eingeleitet worden war. Das Gesetz wurde weitgehend unter Friedrich dem Großen erarbeitet und unter Friedrich Wilhelm II. aber erst im Jahr 1794 erlassen. Hintergrund waren langwierige Einwände der ländlichen Stände gegenüber einer zentralen Regelung.
Das preußische Allgemeine Landrecht war der erste Versuch einer umfassenden und zusammenhängenden Kodifikation des Zivilrechts, des Strafrechts und weiterer Teile des öffentlichen Rechts in einem einzigen Gesetzbuch. Es war somit eine Gesamtordnung des gesellschaftlichen Lebens. Es bewahrte z. B. noch die ständische Ordnung wie beispielsweise die Gutsuntertänigkeit als Gesellschaftsideal.
Teile des Allgemeine Landrecht bildete aber schon vor der endgültigen Veröffentlichung 1794 den Rahmen für die Friderizianische Kolonisation. Dazu zählten z. B. auch das Ober- und Untereigentum, die Ausweisung von Siedlungsflächen und die Bauvorschriften für die Kolonisten
Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 enthielt Vorschriften im Zweiten Teil, im Achtzehnter Titel "Vom getheilten Eigenthume". In diesem Titel wird das Verhältnis von Ober- und Untereigentum geregelt, z.B. von Gutsherr und Bauer.
§. 1. Wenn das Eigenthum getheilt ist, (Tit. VIII. §. 16-20.) so wird derjenige, welchem nur ein Miteigenthum an der Proprietät, aber kein Antheil an dem zum Eigenthume gehörenden Nutzungsrechte zukommt, Obereigenthümer genannt.
§. 13. Eine Sache deren nutzbares Eigenthum jemand unter der Bedingung einer dem Obereigenthümer zu erweisenden besondern Treue, gegen den von im zu leistenden Schutz besitzt, wird ein Lehn genannt.
§. 143. Durch die Belehnung übernimmt der Vasall die Pflicht der Lehnstreue gegen den Obereigenthümer, und die mit dem Besitze des Lehns verbundenen Dienste, oder andern Obliegenheiten wie die Behausungen.
So hatten die Bauern als Dorfbewohner im Kirchspiel Aulowönen in Willschicken besondere Pflichten, geregelt im Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 enthielt Vorschriften im Zweiten Teil, im Siebenter Titel: Vom Bauerstande im
§. 37. Zu den Gemeinarbeiten, und andern nachbarlichen Pflichten, zu welchen ein jedes Mitglied der Gemeine Dienste und Beyträge leisten muß, werden der Regel nach gerechnet:
1) die Ausbesserung der gemeinschaftlichen Wege und Brücken;
2) die Räumung der Dorf- und gemeinen Feldgräben;
3) die Einhegung der Nachtkoppeln und Viehtriften;
4) der Bau und die Besserung gemeinschaftlicher Dorfgebäude, Schmieden, Hirtenhäuser, Brunnen u. s. w.
5) die Versorgung der Dorfhirten, und andrer im Dienste der Gemeine stehenden Personen;
6) die Versehung der Nachtwachen, oder die Versorgung des Dorfwächters;
7) die Anhaltung und Bewachung der Verbrecher;
8) der Transport, und die Begleitung, der nach Landes-Polizeygesetzen von einem Orte zum andern zu bringenden Verbrecher, oder Landstreicher;
9) die sogenannten Deserteurwachen;
10) das Herbeyholen und Zurückführen des Gerichtshalters, und andrer zur gehörigen Besetzung des Gerichts, ingleichen bey Criminal-Untersuchungen nöthigen Personen;
11) die Unterhaltung des Dorfbullen und Zuchtebers;
12) die Unterhaltung der Dorfsprützen, und anderer gemeinschaftlichen Feuer-Löschinstrumente;
13) das Feuerlöschen im Dorfe, und den dazu gehörenden Waldungen.
König Friedrich II. gliederte Preußen 1752 in 10 landrätliche Kreise, die in Kirchspiele untergliedert waren. Die Obereigentümer als Lehnsherren in einem Kirchspiel hatte sich an durch die „Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen“ erlassenen Anweisung zu Ausweisung von überregionalen Siedlungsgebieten und den einheitliche Vorschriften für den regionalen Hausbau seiner Kolonisten zu halten. So wurden Teile des Wald-Schatull-Gutes Lappöhnen, eine Forstdomänen, als Siedlungsfläche mit geregelten Grundstücksgrößen ausgewiesen. Dies geschah gegen den Widerstand des örtlichen Domainen-Justiz-Amt Lappöhnen, das der Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen untergeordnet war. Zum Hausbau im Landkreis Insterburg wurde eine Bauordnungen erlassen, die besonders auf den Feuerschutz achtete und die bald auch von den Kirchspielen wie Aulowönen mit dem entstehenden Dorf Willschicken übernommen werden mußten. In diesem Rahmen wurden später im § 6 g des Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850 wegen der Feuergefahr keine Strohdächer bei Neubauten mehr erlaubt und mußten durch Ziegeldächer ersetzt werden, bei beheizbaren Neubauten mussten die Innenkamine aufgemauert werden.
Im § 6 des Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850 werden die folgenden "Gegenstände der ortpolizeilichen Vorschriften" aufgezählt:
- Schutz der Personen und des Eigentums
- Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, Brücken, Ufern und Gewässern
- der Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln
- Ordnung und Sicherheit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen
- das öffentliche Interesse in Bezug auf die Aufnahme und Beherbergung von Fremden, Wein-, Bier- und Kaffeewirtschaften und sonstige Einrichtungen zur Verabreichung von Speisen und Getränken
- Sorge für Leben und Gesundheit
- Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen, sowie gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt
- Schutz der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Baumpflanzungen, Weinberge usw.
- alles Andere, was im besonderen Interesse der Gemeinschaft und ihrer Angehöriger polizeilich geordnet werden muss.
Quelle: Digitalisierte Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin Werkansicht: Gesetz über die Polizei-Verwaltung. Vom 11. März 1850.: vom 11. März 1850(PPN653941005 - {4} - Übersicht mit Inhaltsverzeichnis) (staatsbibliothek-berlin.de)
In Ostpreußen waren für den Erlass von allgemeinen Bauvorschriften die folgende Behörden bis 1897 zuständig:
- die Ortspolizeibehörden - deren häufig mehrere Gemeinden zugeordnet waren - z. B. für die Einhaltung des § 6 g des Polizeiverwaltungsgesetzes bei Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen und der Aufstellung von Bebauungsplänen (Sitz in Aulowönen Amtsbezirk Nr. 34),
- die Landräte für die technische Bauordnung von Land- und Stadt-Kreisen und Prüfung und Erteilung von Baugenehmigungen (mit Sitz in Insterburg),
- die Regierungspräsidenten für die Umsetzung der Polizeirechte und Bauordnungen in den Regierungsbezirken und (mit Sitz in Gumbinnen),
- die Oberpräsidenten für die in Provinzen hatte das Kontrollrecht für die unteren Behörden und das Immediatrecht beim preußischen Ministerpräsidenten (mit Sitz für Ostpreußen in Königsberg)
- die Minister in Berlin für die Reichsbauten wie Festungen, Kasernen, Eisenbahn und Straßen der 1. Ordnung (diese jedoch nur in beschränkten Fällen ).
Im letzten Drittel der 80er-Jahren führte die industrielle Entwicklung im Deutschen Reich zum Anwachsen der Bevölkerung, im Reich von 49,05 Mio. (1871) auf 54,32 Mio. (1900), in Ostpreußen von 1,80 Mio. (1871) auf 1,99 Mio (1900), in Wilschicken aber nur von 154 (1871) auf 160 (1900). Es kam zu einer enormen Ausweitung der Städte im Westen - in Ostpreußen allerdings zu Abwanderungen der Arbeitslosen in Höhe von etwa 25 % der Bevölkerung. Etwa 20 % der Güter waren wirtschaftlich unrentabel geworden und mussten ihre Landarbeiter entlassen. Dazu kam der unversorgte Nachwuchs auf den Höfen, der nicht erbberechtigt war.
Darauf reagierte die preußische Bauverwaltung neben wenig erfolgreichen Programmen zur Ansiedlung von Bauern u.a. mit dem Fluchtliniengesetz von 1875 - es sollte ebenfalls durch den verstärkten und geordneten Hausbau das Verbleiben und die Neuansiedlung der ländlichen Bevölkerung in Ostpreußen unterstützen. Es ermöglichte die Fluchtlinien für Straßen (Baugrenzen), die Bebauungspläne (Flächenausweisungen), die rechtliche Enteignung für notwendige Verkehrsflächen, sowie deren Entschädigung zu regeln.
Die, durch die Aufsiedlung von bankrotten Gutländereien notwendige (neue) räumliche Fluchtlinienfestsetzungen wurde von der örtlichen Polizei getroffen. Hierunter fielen Fluchtlinien- und Bebauungspläne. Durch die Fluchtlinien kam es zur Festlegungen von Straßen. Das Wegerecht wurde von den örtlichen Gemeinden daraus abgeleitet. (1850) Die Bebauungspläne (Flächennutzungspläne) wurden für größere Gebiete (Kirchspiele) aufgestellt. Sie umfassten Nutzungs- und Bebauungsart und legten die Baudichte fest. Die Planungskompetenz hatte die staatliche Baupolizei, welche die örtliche Polizeibehörde aufforderte, Baupläne aufzustellen, die königlich genehmigt werden mussten. (1855/75)
Das Preußisches Fluchtliniengesetz sah u.a. folgendes vor:
§. 1. Für die Anlegung oder Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften sind die Straßen- und Baufluchtlinien vom Gemeindevorstande im Einverständnisse mit der Gemeinde, bezüglich deren Vertretung, dem öffentlichen Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde festzusetzen. Die Ortspolizeibehörde kann die Festsetzung von Fluchtlinien verlangen, wenn die von ihr wahrzunehmenden polizeilichen Rücksichten die Festsetzung fordern. Zu einer Straße im Sinne dieses Gesetzes gehört der Straßendamm und der Bürgersteig. Die Straßenfluchtlinien bilden regelmäßig zugleich die Baufluchtlinien, das heißt die Grenzen, über welche hinaus die Bebauung ausgeschlossen ist. Aus besonderen Gründen kann aber eine von der Straßenfluchtlinie verschiedene, jedoch in der Regel höchstens 3 Meter von dieser zurückweichende Baufluchtlinie festgesetzt werden.
§. 2. Die Festsetzung von Fluchtlinien (§ 1) kann für einzelne Straßen und Straßentheile oder, nach dem voraussichtlichen Bedürfnisse der näheren Zukunft, durch Aufstellung von Bebauungsplänen für größere Grundflächen erfolgen
Quelle:
Preußisches Fluchtliniengesetz (Straßen- und Baufluchtengesetz) von 1875, Gesetz, betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875
Mit einem preußischen Erlass von 1855 wurde das Aufstellen von Bauplänen geregelt. Der Erlass befasste sich lediglich mit den Bebauungsplänen. Die Initiative für die Planaufstellung lag nun bei der Polizeibehörde der Gemeinde, jedoch sollten die Kommunalbehörden „gleichmäßig mitwirken“. Neben der Mitwirkung der Gemeinde wurde die Offenlegung von acht Tagen eingeführt, die Betroffenen die Möglichkeit für Einwendungen innerhalb von vier Wochen eröffnete. Anschließend wurde bei der Bezirksregierung über den Plan entschieden. Gab es während des Verfahrens keine Einigung zwischen der Gemeinde und der Polizeibehörde, entschied die Bezirksregierung vorher und führte dann die Offenlegung durch.
Mit diesem Gesetz begann eine Aufspaltung des baurechtlichen Aufgabenbereichs in Bauplanungsrecht und Baupolizei
Im gesamten Preußen war ab 1887 eine einheitliche technische Bauausführung vorgeschrieben. Dazu wurde 1897 das preußischen Baupolizeirecht erlassen. 1919 wurde der Entwurf einer Einheitsbauordnung (für die Städte) vom Ministerium herausgegeben. Aus diesem Anlass wurden fast überall in Preußen neue Bauordnungen herausgegeben, auch für den Stadtkreis Insterburg. Der Geltungsbereich war zunächst auf die innerstädtischen Bereiche begrenzt. Erst 1931 folgte eine separate Einheitsbauverordnung für das "platte Land" - also Gebäude außerhalb der Stadtgrenzen von Insterburg.
Die technische Bauordnung von 1920 für den Stadt- und Landkreis Insterburg umfasste folgende technische Punkte:
das gesunde Wohnen (Belichtung, Raumhöhen, Kälte- und Wärmeschutz), der Brandschutz, die Standsicherheit, die Flucht- und Rettungswege, die Versorgung und die Entsorgung, insbesondere die Entwässerung des Grundstücks Quelle:
Bauordnung für Insterburg: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 151, IV Nr. 975
Preußisches Baupolizeirecht ([Hauptbd.]) - Digitale Sammlungen der Bauhaus-Universität Weimar (uni-weimar.de)
Die Bauordnung in Preußen & NRW: Zeitliche Entwicklung (feuertrutz.de)
Die Landwirtschaft im Willschicken war um 1900 stark von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage abhängig. Nach der Reichsgründung lösten sich bis zum 1. Weltkrieg 5 Konjunkturen und 5 Depressionen zeitlich ab. Seit dem Frühjahr 1902 gab es die 4. Konjunktur, die reichsdeutsche Wirtschaft wuchs wieder sichtbar. Sie trieb eine Konjunktur voran, die bis zum Februar 1907 anhielt. Besonders die Industrie war ein Wachstumsmotor. Von 1902 bis 1907 wuchs die Wirtschaft um 17,1 %. Wenn auch im negativen Maße, betraf das Wachstum im Westen auch die Landwirtschaft im Osten. Während dieser Zeit wanderten etwa 150 000 Ostpreußen aus der Landwirtschaft in den Westen ab, sie wurden dort als Arbeitskräfte dringend gesucht. Zu Hause fanden sie keine Arbeit. Hinzu kamen sinkende Erzeugerpreise für Getreide in Ostpreußen, aufgrund einer stark gestiegenen Einfuhr von preiswerten Roggen aus Russland ins Kaiserreich. Der private Hausbau auf dem Lande war auch stark von der wirtschaftlichen Situation der Heimatprovinzen Ostpreußen abhängig, da die Preußische Staatsregierung nach den politischen Vorgaben den rechtlichen Rahmen für Neusiedler schuf und die lokalen Institutionen häufig auch wirtschaftlich als Kreditgeber beim Hausbau gebraucht wurden.
In Ostpreußen, besonders im Regierungsbezirk Gumbinnen versuchte die Verwaltung seit langen, durch verschiedene Maßnahmen, die Bevölkerung auf dem Lande zu halten und dort zu ernähren. Dazu zählten auch die Unterstützung bei Ansiedlung von Höfen, z. B. durch die Umwandelung von Ackerland in Siedlungsflächen durch die Separation (Flurbereinigung) und der Hausbau (siehe unter: „Ländliche Entwicklung in Ostpreußen am Beispiel des Dorfes Willschicken (Ksp. Aulenbach Ostp.)“. Auch im Landkreis Insterburg wurden durch die "Ostpreußische Landgesellschaft" günstige Kredite zum Hausbau zur Verfügung gestellt. Die genaue Höhe und die Verteilung konnten aber nicht ermittelt werden. Auf alle Fälle wurde die Separation real durch die "Ansiedlungskommission" und rechtlich durch bestehende Gesetze und Vorschriften unterstützt. Bei den aufzusiedelnen Grundstücken handelte es sich überwiegend um das Land ehemalige Großbetriebe. Vor dem Ersten Weltkrieg richtete in Ostpreußen die "Ansiedlungskommission" auf 35.000 ha ehemaligen Großgrundbesitzes 1.600 Siedlerstellen ein. Die Hofstellen wurden durch günstige Hypotheken finanziert.
Manches kleine Bauerndorf hat sich durch die Separation aber zum Teil aufgelöst. Es entstanden Gemeinden in Streulagen mit einem "alten" Dorfkern - so wie Willschicken. Hier blieben nur 7 von insgesamt 22 Höfe Bauern den alten Dorfkern. Bauern deren Besitz weit vom Dorf entfernt lag siedelten aus wirtschaftlichen Gründen aus. Sie gaben ihren alten Hof auf und bauten einen neuen auf einem Außengrundstück. So wurden in Ostpreußen im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der der neuen Höfe „ausgebaut“, wie man in Ostpreußen sagte. Die andere Hälfte bestand aus Neusiedlern.
Um den "Ausbau" und das Neusiedeln technisch möglich zu machen, bedurfte es Straßen. "Zum Bau der Grünheider - Aulowöhner Chaussee, welche die Feldmark Lappönen durchschneidet, verkaufte der Gutsbesitzer von Alt Lappönen lt. Vertrag vom 21.11.1865 an den Insterburger Kreis 6 Morgen Land für 222 Taler." Die ersten Höfe in Willschicken und die Windmühle, die an dieser Chaussee lagen, bzw deren Verkehrswege hier einmünden, konnten demnach ab 1875, nach Erlass des preußischen Fluchtliniengesetzte und dem dadurch rechtlich geregelten Wege- und Straßenbau, "ausgebaut" oder neu besiedelt werden. Zuvor waren im Kirchspiel Bebauungspläne aufgestellt.
Traditionellerweise lagen die Ländereien der Bauern innerhalb einer Gemeinde. Die historische gewachsenen Gemeindegrenzen waren im Regelfall identisch mit den äußeren Grundstücksgrenzen der Eigentümer deren Land am Gemeinderand lagen. Ausnahmen bildeten groß Güter, die mehrere Gemeinden umfassten, historische Entwicklungen wie die Separation und Zusammenlegungen von Gemeinden, Ver- und Zukäufe von Land während wirtschaftlicher Konjunkturen und Depressionen und Erbfälle in großen Familien, wie bei den Burbas und Tuttliesen. Seit 1882 waren die Grenzen der Gemeinde Willschicken festgelegt. Ein Teil der Chaussee zwischen Grünheide und Aulowönen, die gradlinig verlief, bildete die Gemeindegrenze zwischen Paducken und Willschicken und durchschnitt aber zwei vorhandene Grundstücke der Gemeinde. Zwei kleine Flächen der Gemeinde Wilkental lagen südlich dieser Chaussee. (siehe die Karte von 1939, die die Gemeinde Wilkental zeigt.)
Das raue Klima mit seinen durchschnittlichen 173 Frosttagen im Jahr beschränkte die Vegetationszeit auf sechs bis sieben Monate und stellte die Landwirtschaft in Ostpreußen vor große Probleme. Die Heizungsperiode betrug im Durchschnitt sieben Monate. Die Häuser erforderten dickere Mauern, stabile Dächer und Doppelfenster. Gab es keine Doppelfester, wurden im Winter zweite Fensterflügel eingehängt, so dass ein Doppelfenster entstand und trockenes Moos zur Kältedämmung bis zur halben Fensterhöhe dazwischen auf die Fensterbank gestopft wurde. Ganz wichtig waren aber die voluminösen Kachelöfen. In der Regel gab es davor eine im Winter sehr beliebte Ofenbank. Der aufgemauerte große Küchenherd war eine weitere Wärmequelle. Im Winter war in Ostpreußen der Pelz eine normale Arbeitskleidung. Großen Schaden nahmen die Obstpflanzungen während des sehr strengen Winters 1928/29. Bis zu 75 % der Obstbäume fielen dem sehr strengen Frost von über 30 Grad Celsius zum Opfer. Bei den Tuttliesen mussten alle Obstbäume neu gepflanzt werden
Der Dorfaufbau, die Kolonistenhäuser, die Nebengelasse, sowie die zu errichtenden Scheunen und Ställe wurden ab 1722 durch die General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänen-Directorium in Berlin beaufsichtigt und deren untergeordnete Behörden in Ostpreußen geplant.
Im Amt der Baupolizei in Aulowönen gab es einen Landesbaurat, 2 Assessoren und div. Chausseeaufseher. Überwiegend wurden Straßendörfer konzipiert. Eines der Häuser war dem Dorfschulzen vorbehalten, kleinere Häuser bauten die Kolonisten in Eigen- und Kollektivleistung auf. Bei größeren Kolonie-Projekten, die z.B. Maßnahmen der Bodenverbesserung (Melioration) begleiteten, wurden auch zusätzlich abgeordnete Bausoldaten eingesetzt.
Die angeworbenen „Kolonisten“ errichteten in diesen Kolonien einfache Kolonistenhäuser aus den zur Verfügung stehenden regionalen Baustoffen. Die Vermessungen wurden nach dem 1721 eingeführten Otetzkoisches-Maß von König Friedrich Wilhelm festgelegt.
Die abgebildete Musterzeichnung des schlesischen Baudirektors Machui aus Glogau von 1776 gab die Hausaufteilung für die Kolonistenhäuser in Niederschlesien im Raum Sprottau vor.
Als Einhaus oder Einfirsthof bezeichnet man Anwesen, die den Wohn- und den Wirtschaftsteil (Ställe, Stapelräume usw.) unter einer geraden Dachlinie vereinigen
Dieses Haus war in drei Sektionen à 2,75 Metern und eine Sektion mit 4,5 Metern, mit der Gesamtlänge von 12,75 Metern, aufgeteilt. Die Breite des Hauses betrug 4,5 Meter. Die Größe des Wohnbereichs betrug ohne Küche etwa 26 Quadratmeter.
Die Innenaufteilung des Hauses:
· Die Stube, die auch als Handwerksstube diente = 11,25 Quadratmeter
· Zwei Kammern = jeweils 6 Quadratmeter
· Küche mit Kamin und Kochkessel = 6 Quadratmeter
· Flur mit Treppe zum Wohnboden mit Spitzdach
· Stall für Kleinvieh
· Tenne
· Seitlicher Raum mit möglichen Stauraum unterm Dach und über der Tenne
Quelle: Kolonistenhausplan 1776 - Kolonistenhaus – Wikipedia
Die Wohnhäuser ländlicher Untertanen zeichneten sich im 17. und 18. Jahrhundert durch einen relativ einheitlichen Wohnstandard aus. Unabhängig von Besitz und sozialer Gruppe standen jeder Familie eine beheizbare Stube zu, an die sich – je nach Familiengröße und weiterem Nutzungsbedarf – eine unterschiedliche Zahl von Kammern anschlossen. Lediglich alleinstehende Knechte oder Mägde fanden oft nur im Stalle einen wärmenden Schlafplatz. Auf größeren Höfen benutzen mehrere Familien eine Feuerstelle.
Die beheizbaren Räume, die Stuben also, gruppierten sich um die zentral gelegene „Schwarze Küche“ , die auf den Höfen mit Pferde- und Milchviehbesitz gleichzeitig das Bindeglied zu dem am Haus anschließenden Stallteil bildete.
Eine „Schwarze Küche“ war ein Raum – oft zwischen Wohnbereich und Stall gelegen – der als zentraler Kochplatz und Feuerstelle diente. Bei den ersten Kolonistenhäusern wurde das Feuer auf dem Boden geschürt und die Speisen auf einem Dreibein oder im Kessel zubereitet.
Oberhalb der Feuerstelle war die Decke offen (häufig gefasst von einer Lehmglocke) um den Rauch in einen darüber liegenden Raum (Räucherkammer) abziehen zu lassen. Hier hingen Rauchwaren an Stangen oder Haken an der Decke, auch um sie vor Mäusen und Ratten zu schützen. Der Rauch zog von der Kochstelle durch das ganze Haus und entwich über Öffnungen im Dach. Durch diese Konstruktion verußte die Feuerstelle – sie wurde zur Schwarzen Küche. Mit dem Aufkommen gemauerter oder eiserner Kochherde wurde der Rauchfang überflüssig, in ländlichen Gebieten hielt sich das Kochen über offenem Feuer noch bis ins Ende des 19. Jahrhunderts.
Später wurden auch auf dem Lande Rauchabzüge verbaut. Bei späteren Ausführungen – etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurden gemauerte Kamine und Schornsteine gesetzlich vorgeschrieben. Diese lagen dann in der Mitte des Hauses, damit angrenzende Zimmer im Winter durch Luftschächte gewärmt werden konnten, dazu zählten auch extra gebaute Räucherkammern.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts ersetzten die Mantelschornsteine als Nachfolgelösung den freien Rauchabzug der Schwarzen Küchen.
Je nach Hofgröße wurden regional verschiedene Haustypen entworfen, die den örtlichen Witterungsverhältnissen angepasst waren. Es dominierte das Lehm- oder Holzhaus mit Innengerüst, neben den Fachwerkhäusern. Beide waren mit Strohdach oder mit Holzschindeln bedeckt.
Die verbauten Materialien hatten nur eine begrenzte Lebensdauer und einige waren höchst feuergefährdet – besonders der Funkenflug bei Bränden gefährdete die benachbarten Strohdächer.
Vergleichbare Colonisten-Häuser gab es z. B. neben dem Großen Moosbruch im Kirchspiel Aulowöhnen in Klein Aulowönen in der Nachbarschaft von Willschicken in Ostpreußen.
Die frühen Bauernhäuser waren Schrotholzbauen, in der Regel mit Lauben oder Vorlauben. Beim eigentlichen Vorlaubenhaus war die Laube an der Traufseite dem Hausflur vorgebaut und betonte so den Haupteingang. Dies hatte zusätzlich den Vorteil, dass bei einem Brand das herabfallende Stroh der Dacheindeckung vom Haupteingang weggelenkt wurde und der Weg ins Freie länger sicher blieb. Für den Bauern lag der Vorteil dieser Vorlauben auf der Hand: Unter dem Dach derselben wurde das wertvolle Getreide getrocknet und gelagert. Nach unten hatte man eine Luke, durch die entweder das Korn vom Wagen entladen, oder der zum Markt fahrende Wagen wieder beladen werden konnte ohne naß zu werden. Außerdem konnte man den Sommer über den "Getreideboden" als Wohnraum benutzen. Oft war dieser Raum sogar 2stöckig.
Die Eingangstür von der Laubehäuser aus soll besonderen Anlässen vorbehalten gewesen sein. So betrat man das Haus in der Regel von der Rückseite, wo sich eine weitere Tür als "Klöndoor" (Ober- und Untertüre) befand. Wurde aber geheiratet, betrat die Braut durch die Vordertür das Haus. Ebenso durften die Gäste die Vordertür benutzen. Von dort kam man auch gleich in die "gute Stube". Im Todesfall wurde man aus der Vordertür auch hinausgetragen.
Die Vorlaube wurde von mehreren Ständern gehalten. Das waren stabile Balken, die auf einem Steinfundament standen. Vom einfachen glatten bis zum verzierten und geschnitzten Balken, waren alle Arten möglich. Es hing ja auch vom Stand und Einkommen ab, was man sich leisten konnte. Es wird immer wieder behauptete, an der Anzahl der Ständer wäre die Anzahl der Hufen oder Morgen abzulesen, die der Hofbesitzer besaß.
Nach dem Stroh-Dächer untersagt waren, wurde das Vorlaubenhaus weitgehend durch ein Eingiebel-Haus ersetzt. In den Dörfern mit Strohdächern durfte niemand mit einer brennenden Tabak-Pfeife durch das Dorf gehen.
Hierzu siehe auch: Katja Laudel, Der Typenwandel des ländlichen Wohnhauses im Oderbruch zwischen 1753 und 1850, Der Einfluss von friderizianischer Kolonisation und preußischer Obrigkeit auf die Hausformen der ländlichen Untertanen, Quelle: Microsoft Word - Diss gesamt.DOC (uni-weimar.de)
Vorlaubenhaus: Dumbeln, Kleinkranichfelde, Foto 1930 [252]
Vorlaubenhaus: Dumbeln, Kleinkranichfelde, Grundriss 1930 [253]
Oberländisches Vorlaubenhaus, Zeichnung 1920 [254]
Zum Bau Ihrer Häuser wählten die Bauern überwiegend Kiefern schon vor der Fällung aus und lösten spiralförmig Rinde von ihnen ab. Dadurch regten sie die Bäume zu vermehrter Harzbildung an, was das Holz haltbarer machte. Nach der Fällung verwandelte man mit einer Axt die runden Kiefernstämme in Vierkanthölzer, die aufeinander geschichtet zu glatten Wänden errichtet werden konnten. Die Verwendung dieses "Schrotholzes" hatte einen entscheidenden Vorteil gegenüber Rundholz-Blockhäusern: Es zog nicht durch die Ritze.
Friedrich der Große erließ die Bauvorschrift, Fachwerkbauten von außen mit Lehm zu verkleiden, um sie bessere vor Feuer zu schützten.
Im § 6 g des Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850 werden die folgenden "Gegenstände der ortpolizeilichen Vorschriften" aufgezählt:
g) Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen, sowie gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt
Wenn genug Platz und Geld vorhanden waren, wurde häufig für die "Altenteiler" der Familie eine zweite kleinere Wohnung mit eingerichtet. Die Küchennutzung erfolgte aber gemeinsam.
Später mussten aus Gründen des Feuerschutzes Bauern-Wohnhäuser mindestens 14 m voneinander entfernt gebaut werden. Ab 1800 baute man überwiegend Bauernhäuser mit einem Steinsockel, um bei mangelnder Melioration, dem steigenden Grundwasser besser begegnen zu können.
So waren die späteren Bauernhäuser in Willschicken durchweg anderthalbgeschossig, hatten ein Feldsteinsockel und ein Spitzdach mit gebrannten Dachpfannen und besaßen einen zentralen aufgemauerten Kamin. Das Anderthalbgeschoss hatte einmal sein Ursache in der Schneelast und den Windstärken, die die Dächer im Winter in Ostpreußen zu tragen hatten. Dazu bedurfte es ein verstärktes Tragewerk mit entsprechender Dachkonstruktion, das nach dem Stand der damaligen Technik in Ostpreußen sein Optimum bei einem Anderthalbgeschoss erreicht hatte. Zum anderen war der Umfang und die Art der benötigten Baumaterialien vor Ort begrenzt. Das Anderthalbgeschoss entsprach den Bauvorschriften der Baupolizei in Aulowönen und Insterburg.
Zum Hausbau in Willschicken siehe in https://wiki.genealogy.net/Willschicken das Kapitel 8.2.2 Hausbau in Willschicken
Gemeindeverwaltung während der Königszeit, der Kaiserzeit und der Weimarer Republik
Ostpreußen, die östliche Hälfte der ehemaligen Provinz Preußen, bildet seit dem 1. Januar 1878 eine eigene Provinz, grenzt im Norden an die Ostsee und an Russland, im Osten und Süden an das russische Polen, im Westen an Westpreußen und hat eine Fläche von 36.994 km² (671,85 Quadratmeilen)
Die Verwaltung in Ostpreußen war gegliedert in Provinz, Regierungsbezirk, Land- und Stadtkreis, Amtsbezirk und Gemeinde. Ein Gutsbezirk konnte flächenmäßig zugleich Teile eines Amtsbezirk oder einer Gemeinde sein. Der Gutsvorsteher führte in seinem Bezirk selbstständiger die dem Gemeindevorsteher obliegende Verwaltung. Ein Kirchspiel war zugleich Amtsgerichtsbezirks, Gerichtsbezirk und Bezirk für das militärische Aufgebot.
Die Veränderungen in der Gemeindeverwaltung folgten den Veränderungen in der Landwirtschaft, deren (adlige) Güteranzahl von 1873 bis 1914 um ein Drittel schrumpfte. Kleinere und differenzierte Kreise und Gemeinden versprachen eine größer staatliche Kontrolle der oft noch sehr umfangreichen Flächen der verbliebenen Güter.
Quellen:
Provinz Ostpreußen – GenWiki (genealogy.net)
Gebietsgliederung
Das 1525 gegründete Herzogtum Preußen war in die drei „Kreise“ Samland, Natangen und Oberland eingeteilt, die wiederum aus Hauptämtern bestanden. Die drei "Kreise" dienten hauptsächlich ständischen Angelegenheiten; bedeutsamer für die allgemeine Verwaltung waren die Hauptämter. Es gab insgesamt 34 Hauptämter und 5 Erbämter. Davon im Samland 9 Hauptämter und 3 Erbämter, in Natangen 13 Hauptämter und im Oberland 12 Hauptämter und 2 Erbämter.
Quelle M. Toeppen, Geographie von Preußen, 1858 Historisch-comparative Geographie von Preussen: Nach den Quellen, Namentlich ... - Max Töppen - Google Books
Im Kreis Natangen gab es die u.a. die Hauptämter Insterburg mit 29 Ortschaften/Dörfer, Ragnit mit 9 Ortschaften/Dörfer, Tilsit mit 4 Ortschaften/Dörfer und Memel mit 5 Ortschaften/Dörfer. Ortschaften bestanden aus Streusiedlungen.
Kriegs- und Domänenkammern, auch „Kammerdepartements“, hießen die Provinzialbehörden in Preußen, die Friedrich Wilhelm I. bei der Reorganisation der Verwaltung im Jahre 1723 geschaffen hatte. Sie waren die Vorgänger der 1815 eingerichteten preußischen Regierungsbezirke und ihrer Regierungen.
In Ostpreußen gab es
- Kriegskammer (Königsberg) (1723–1808)
- Littauische Kriegs- und Domänen-Kammer zu Gumbinnen (seit 1724 Deputation der Königsberger Kammer, dann selbständig 1736–1808)
Die Kammern unterteilten sich in lokale Ämter - 1723 wurde das Domänen-Amt Aulowönen gegründet, 1874 wurde es in Amtsbezirke unterteilt.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurden in der Mark Brandenburg und weiteren Teilen Preußens Verwaltungseinheiten herausgebildet, die als Landrätliche Kreise bezeichnet wurden. Sie dienten unter anderem dem in Selbstverwaltung erfolgenden Steuereinzug beim grundherrlichen Adel und der Bevölkerung des „platten Landes“.
Der im Kreis ansässige Adel wählte aus seiner Mitte bis 1918 ein Mitglied zum Landrat, der vom Landesherrn berufen bzw. bestätigt wurde. Neben dem Einsammeln der Abgaben und Weiterleitung an die Kriegs- und Domänen-Kammern waren die Landräte auch zuständig für die Organisation der Versorgung und Unterbringung durchmarschierender Truppenteile und möglichst gerechte Verteilung der Lasten auf alle Kreisbewohner.
Nach und nach wurden die Landräte von den landesherrlichen Oberbehörden auch zur Vermittlung und Durchsetzung von Anordnungen und Vorschriften der Zentralverwaltung und als Sammelstelle für statistische Informationen aus dem Kreis in Anspruch genommen. Von 1816 bis 1818 wurden in den preußischen Provinzen durchgehend Kreise als untere staatliche Verwaltung eingerichtet
Die Verwaltungsgliederung von Ostpreußen, Stand 1773. Der vormals ostpreußische Kreis Marienwerder ist nunmehr Westpreußen zugeteilt[258]
Verwaltungskreise Ostpreußen 1. August 1939[259]
Das Herzogtum Preußen, ab 1701 „Königreich Preußen“, war neben der Mark Brandenburg einer der Hauptbestandteile Brandenburg-Preußens, das im 18. Jahrhundert zum Staat Preußen wurde. König Friedrich II. gliederte Preußen 1752 nach brandenburgischem Vorbild in 10 landrätliche Kreise, wobei jeweils mehrere der alten Hauptämter zu einem Kreis zusammengefasst wurden. Dabei entstand die folgend Liste der Landkreise in Ostpreußen: [260]
- Landrätlicher Kreis Schaaken, gebildet aus den Hauptämtern Fischhausen, Schaaken und Neuhausen [261]
- Landrätlicher Kreis Tapiau, gebildet aus den Hauptämtern Labiau, Tapiau und Taplacken [262]
- Landrätlicher Kreis Insterburg, gebildet aus den Hauptämtern Insterburg, Ragnit, Tilsit und Memel [263]
- Landrätlicher Kreis Brandenburg gebildet aus den Hauptämtern Brandenburg, Balga und Preußisch Eylau [264]
- Landrätlicher Kreis Rastenburg, gebildet aus den Hauptämtern Bartenstein, Rastenburg und Barten sowie dem Erbamt Gerdauen [265]
- Landrätlicher Kreis Seehesten, gebildet aus den Hauptämtern Angerburg, Lötzen, Seehesten und Rhein sowie dem Erbamt Neuhoff [266]
- Landrätlicher Kreis Oletzko, gebildet aus den Hauptämtern Oletzko, Lyck und Johannisburg [267]
- Landrätlicher Kreis Mohrungen, gebildet aus den Hauptämtern Preußisch Holland, Liebstadt, Mohrungen, Osterode und Hohenstein sowie dem Erbamt Deutsch Eylau [268]
- Landrätlicher Kreis Marienwerder, gebildet aus den Hauptämtern Riesenburg, Marienwerder und Preußisch Mark sowie dem Erbamt Schönberg [269]
- Landrätlicher Kreis Neidenburg, gebildet aus den Hauptämtern Ortelsburg, Neidenburg und Soldau [270]
Die Landräte der neuen Kreise sollten in für ihren jeweiligen Kreis die Gegenstände des Geschäftskreises der Kriegs- und Domänenkammern wahrnehmen. Seit den preußischen Gebietsgewinnen im Rahmen der ersten Polnischen Teilung von 1772 wurde das historische Herzogtum Preußen als Ostpreußen bezeichnet, zur Unterscheidung von Westpreußen, das im Wesentlichen aus dem alten Königlich Preußen hervorging. Der Kreis Marienwerder wurde von Ostpreußen an Westpreußen abgegeben, während das vom Königreich Preußen hinzugewonnene Ermland zu Ostpreußen kam und in zwei landrätliche Kreise gegliedert wurde:
- Kreis Heilsberg, gebildet aus den alten ermländischen Ämtern Allenstein, Bischofsburg, Bischofstein, Heilsberg, Rößel, Seeburg und Wartenburg [271]
- Kreis Braunsberg, gebildet aus den alten ermländischen Ämtern Braunsberg, Frauenburg, Guttstadt, Mehlsack und Wormditt[272]
1785 wird Willschicken oder Wilpischen als Chatouldorf mit 15 Feuerstellen erwähnt. Es gehörte 1785 noch zum Landrätlicher Kreis Tapiau zum Hauptamt Tapiau dem Amt Lappönen unter dem Patronat der König. Der Sitz des Landrates wurde 1818 von Tapiau nach Wehlau verlegt und das Amt Lappönen und Wilschicken kam zum neuen Kreis Insterburg.
Die Zahl von ursprünglich 15 Feuerstellen (Haushalte) 1785 und deren Abnahme 1818 auf 4 in Willschicken lässt darauf schließen, dass zum einen in Ostpreußen durch die die Napoleonischen Kriege (1800–1814) viele Hofstellen unwirtschaftlich und verlassen wurden, da die Männer eingezogen waren und dass zum anderen der Einzugsbereich von Wilschicken durch die Zugehörig zu Tapiau wesentlich größer war, als die spätere Zugehörigkeit der Gemeinde Willschicken zu Insterburg.
Die Verwaltung in Ostpreußen war ab 1818 neu gegliedert in Provinz, Regierungsbezirk, Land- und Stadtkreis, Amtsbezirk und Gemeinde. Ein Gutsbezirk konnte flächenmäßig zugleich Teile eines Amtsbezirk oder einer Gemeinde sein. Der Gutsvorsteher führte in seinem Bezirk selbstständiger die dem Gemeindevorsteher obliegende Verwaltung. Ein Kirchspiel war zugleich Amtsgerichtsbezirks, Gerichtsbezirk und Bezirk für das militärische Aufgebot.
Die Landräte der neuen Kreise sollten in für ihren jeweiligen Kreis die Aufgaben der bisherigen Kriegs- und Domänenkammern wahrnehmen. Ausgangspunkt waren hier die Stein-Hardenberg’schen Reformen in Preußen. Im Rahmen der preußischen Verwaltungsreformen ergab sich mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 die Notwendigkeit einer umfassenden Kreisreform in ganz Ostpreußen, da sich die 1752 eingerichteten Kreise und Gemeinden als unzweckmäßig und zu groß erwiesen hatten.
Im Jahr 1752 bildete König Friedrich II. in Preußen aus den Hauptämtern Insterburg, Memel, Gumbinnen und Ragnit den (alten) Kreis Insterburg. Dieser hatte eine Fläche von ca. 8860 km² und im Jahre 1800 265.088 Einwohner. Aus dem Gebiet des alten Kreises Insterburg wurden elf neue Kreise gebildet, darunter auch ein neuer, deutlich kleinerer Kreis Insterburg. Der neue Kreis Insterburg (Stadt und Land) umfasste 1818 1430 km² und hatte zusammen 58.891 Einwohner. Dieser neue Kreis umfasste die Kirchspiele Aulowönen (mit der Gemeinde Willschicken), Berschkallen, Didlacken, Georgenburg, Insterburg Stadt, Insterburg Land, Jodlauken, Norkitten, Pelleningken, Norkitten und Saalau. Später kommen noch Obelischken, Grünheide und Neumischken hinzu. Der Kreis Insterburg gehörte bis 30.04.1815 zum Königsberger Departement und wurde dann zum Regierungsbezirk Gumbinnen geschlagen.
Mit Wirkung ab 1. November 1905 wurden in der Provinz Ostpreußen die vier südlichen Kreise (Johannisburg, Lötzen, Lyck und Sensburg) vom Regierungsbezirk Gumbinnen abgetrennt und zusammen mit dem Südteil des Bezirks Königsberg zum neuen Regierungsbezirk Allenstein zusammengefasst.
Einteilung des Regierungsbezirks Gumbinnen im Jahre 1922 in 14 Kreise
3. Kreis Goldap
10. Kreis Pillkallen
11. Kreis Ragnit
Im Rahmen der seit 1807 durchgeführten preußischen Verwaltungsreformen ergab sich mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 die Notwendigkeit einer umfassenden Kreisreform in ganz Ostpreußen. Ostpreußen wurde nunmehr in 35 landrätliche Kreise sowie den Stadtkreis Königsberg eingeteilt.
Der Minister des Innern Graf zu Dohna, verfügte im Entwurf zur neuen Kreiseinteilung durch das Reskript Dohnas vom 11. August 1809 Grundlegendes zur Kreiseinteilung:
a) Jeder Kreis hat seine Kreisstadt;
b) das Maximum des Kreisinhaltes wird auf 20 bis höchstens 25 Quadrat-Meilen angegeben;
c) die Bevölkerung auf rund 30 000 Seelen für jeden Kreis festgesetzt;
d) das Einteilungsprinzip für Ostpreussen ist das Kirchspiel. Die Kreise stellen eine mosaikförmige Zusammensetzung von Kirchspielen dar. Also Grenzen der Kirchspiele bilden die des ganzen Distrikts. Unbestreitbar ist dieses Einteilungsprinzip in Hinsicht der Begrenzung gut gewählt, denn die Kirchspiele halten sich gewöhnlich auch an den Grundsatz von der guten administrativen Grenze.
Die neue Kreiseinteilung trat im Regierungsbezirk Königsberg am 1. Februar 1818 in Kraft und erfuhr zum 1. April 1819 noch einige Änderungen der Kreisgrenzen sowie der Kreisnamen. Im Regierungsbezirk Gumbinnen wurden 16 neue Kreise zum 1. September 1818 eingerichtet. Aus dem Gebiet des alten Kreises Insterburg wurden elf neue Kreise gebildet, darunter auch ein neuer, deutlich kleinerer Kreis Insterburg. Später kommen noch die Kreise Obelischken, Grünheide und Neumischken hinzu. Der neue Kreis Insterburg (Stadt und Land) umfasste 1818 1430 km² und hatte zusammen 58.891 Einwohner.
Kirchspiel bezeichnet ursprünglich einen Pfarrbezirk (Parochie https://de.wikipedia.org/wiki/Parochialprinzip ), in dem die Ortschaften einer bestimmten Pfarrkirche und deren Pfarrer zugeordnet. In Ostpreußen war ein Kirchspiel zugleich Verwaltungsbezirk, Gerichtsbezirk oder Bezirk für das militärische Aufgebot.
Am 1. April 1902 wurde die bisher kreisangehörige Stadtgemeinde Insterburg endgültig in einen Stadtkreis umgewandelt. Der Kreis Insterburg erhielt danach die Bezeichnung Landkreis. Der Landkreis Insterburg umfasste am 1. Januar 1945 174 kleinere Gemeinden und 3 Gutsbezirke (Forsten). Die Gesamtfläche betrug 1.684 km².
Die Gemeinde- und Ortsnamen zeichneten sich durch Sprachvielfalt aus, die bis zum Nationalsozialismus bestehen blieben. Diese Sprachvielfallt bestand aus prusischen, polnischen, litauischen und altdeutschen Sprachresten.
Einteilung des Landkreises Insterburg in 14 bereits bestehende Kirchspiele (Kreise) nach 1818.
1. Norkitten
2. Puschdorf
3. Saalau
4. Jodlauken
5. Didlacken
8. Berchkallen
9. Georgsburg
10. Pelleningken
11. Aulowöhnen
12. Obelischken
13. Grünheide
14. Neunischken
Einteilung des Kirchspiels (Kreis) Aulowöhnen in Amtsbezirke und Gemeinden am 1.1.1945
Amtsbezirk Birkenhof mit den Gemeinden:
1. Birkenhof
3. Birkenhausen
5. Swainen
6. Eichhorn
Amtsbezirk Aulenbach mit den Gemeinden:
2. Jennen
4. Budwethen
5. Lindenhausen
6. Gaiden
Amtsbezirk Buchhof mit den Gemeinden:
1. Buchhof
2. Waldfrieden
3. Tannenfelde
4. Staggen
5. Wasserlacken (Wasserlauken)
7. Schuppinen
8. Ernstwalde
Amtsbezirk Schönwaldau mit 3 Aulenbacher Gemeinden plus 5 weitere und 2 halbe Gemeinden außerhalb des Kirchspiels
1. Tobacken
3. Bernhardseck
Amtsbezirk Franzdorf mit 5 Aulenbacher Gemeinden plus 4 weitere Gemeinden außerhalb des Kirchspiels
1. Schruben
5. Groß Warkau
Die Gebietskörperschaften Preußens waren Provinzen, Regierungsbezirke, Kreise, Amtsbezirke und Gemeinden.
Auf lokaler Ebene wurden Kreise eingerichtet, die ein Bindeglied zwischen der staatlichen Verwaltung und der durch die geplante (aber erst Ende des 19. Jahrhunderts verwirklichte) kommunale Selbstverwaltung zu größerer Bedeutung gelangten Gemeindeebene bilden sollte.
Die Amtsbezirke waren die untersten staatlichen Institutionen, die Amtsvorsteher mit Aufgaben in den im Bezirk vorhandenen Gemeinden betrauten. Sie hatten ordnungsrechtliche Befugnisse. Die Berufung der Amtsvorsteher erfolgte auf Vorschlag des Landrates durch den Regierungspräsidenten. Die nunmehr selbständigen und von einem meist ehrenamtlichen Bürgermeister repräsentierten Gemeinden wurden durch die Kreisverwaltung und ihre professionelleren Strukturen in der Ausübung ihrer Amtsgeschäfte unterstützt.
Den Spitzenbeamten eines Landkreises nannte man Landrat, den Sitz der Kreisverwaltung Landratsamt oder Kreishaus. Das für Willschicken zuständige Kreishaus lang in der Nachbargemeinde Lindenhöhe, in der Nachbarschaft des Gasthofes von Hedwig Kiehl / Lerdon. Gerhard Kiehl, eines der vier Kinder aus der ersten Ehe, wird 1943 der spätere Ehemann von Hildegard Tuttlies.
Der Kreistag bestand aus mindestens 25 Mitgliedern. Er musste mindestens zweimal im Jahr zusammentreten. Gewählt wurde er nach einem Proporzsystem, bei dem die Einwohner der Stadtgemeinden – nach ihrem Bevölkerungsanteil am Kreis – bis zur Hälfte der Mitglieder wählten, während die übrigen Mitglieder gleichmäßig zum einen von den Einwohnern der Landgemeinden, zum anderen von den ländlichen Grundbesitzern gewählt wurden, die mindestens 150 bis 450 Mark staatlicher Grund- und Gebäudesteuer abführten. Es handelte sich um indirekte Wahlen durch Wahlmänner. Die Legislaturperiode betrug sechs Jahre.
Die Größe eines Kreises sollte ursprünglich so bemessen sein, dass von jedem Dorf aus innerhalb eines Tages eine Reise mit der Kutsche zum Sitz der Kreisverwaltung, die Ausführung der geplanten Amtsgeschäfte und die Rückreise möglich sein sollte oder umgekehrt der Landrat ein entlegenes Dorf besuchen konnte, ohne dort übernachten zu müssen.
Der König von Preußen (bis 1772 König in Preußen) war das Staatsoberhaupt der preußischen Monarchie, die von 1701 bis zur Novemberrevolution 1918 bestand. In den Jahren des Deutschen Kaiserreichs war der preußische König ab 1871 gleichzeitig Deutscher Kaiser. „Die Preußischen Reformen schufen mit der „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 in der gesamten preußischen Monarchie eine einheitliche Verwaltungsstruktur.
Nach der Neuorganisation der Kreis-Gliederung im preußischen Staat nach dem Wiener Kongress entstand mit dem 1. September 1818 der Kreis Insterburg im Regierungsbezirk Gumbinnen in der preußischen Provinz Preußen Am 01.01.1874 erfolgt die Einführung der Kreisordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen vom 13.12.1872.
Der Sitz der Landratsamt im Landkreis Insterburg war in der Stadt Insterburg. Folgende Landräte im Landrätlicher Landkreis Insterburg amtierten:
- 1752–1782 Johann George Goetz
- 1782–1812 Johann Friedrich Wilhelm von Losch
- 1818–1841 Johann Burchard
- 1841–1844 Ludwig Wilhelm zu Dohna-Lauck
- 1845–1851 Heinrich von Schirmeister
- 1851–1871 Gustav Dodillet
- 1871–1879 Konrad von Massow
- 1879–1887 Arthur Germershausen
- 1887–1890 Robert Davidson
- 1890–1903 Hugo Brasch
- 1903–1909 Adolf Magnus
- 1909–1918 Adolph Bölling Overweg
- 1918–1920 Heinrich Schumann
- 1920–1928 Viktor Grimpe
- 1928–1930 Albert Voegt
- 1930–1935 Ernst Lührmann
- 1935–1945 Karl von der Groeben
Quelle: Landkreis Insterburg – Wikipedia
Seit dem 3. Dezember 1829 gehörte der Landkreis Insterburg – nach dem Zusammenschluss der Provinzen Ostpreußen und Westpreußen – zur neuen Provinz Preußen mit dem Sitz in Königsberg i. Pr.
Nach der Teilung der Provinz Preußen in die Provinzen Ostpreußen und Westpreußen am 1. April 1878 wurde der Kreis Insterburg Bestandteil Ostpreußens. Am 1. April 1902 schied die Stadt Insterburg aus dem Kreis aus und wurde in einen Stadtkreis umgewandelt. Der Kreis Insterburg erhielt danach die Bezeichnung Landkreis Insterburg.
Zum 1. Mai 1925 wurden Teile des Gutsbezirks Althof-Insterburg aus dem Landkreis Insterburg in den Stadtkreis Insterburg eingegliedert.
Zum 30. September 1929 fand im Landkreis Insterburg entsprechend der Entwicklung im übrigen Freistaat Preußen eine Gebietsreform statt, bei der alle Gutsbezirke bis auf vier aufgelöst und benachbarten Landgemeinden zugeteilt wurden
In Ostpreußen war ein Kirchspiel eine Gebietskörperschaft zugleich Amtsbezirk, Gerichtsbezirk und Bezirk für das militärische Aufgebot.
Karte: Amtsbezirk Franzdorf 1880 [278]
Karte: Kirchspiel Aulenbach, 1939[279]
Karte: Kirchspiel Grünheide,1939[280]
"Am 29.01.1874 erfolgt die Bildung der Landgemeinde Drohndorf aus dem Gutbezirks Forst Padronen (teilweise – Kolonien Drohndorf, Klein Franzdorf und Mittenwalde). Am 11.03.1874 wird der Amtsbezirks Groß Franzdorf (Nr. 27) aus den nachfolgenden Gemeinden und Gutsbezirken gebildet: Bessern, Drohndorf, Groß Franzdorf, Ganden, Groß Wartau, Klein Franzdorf, Klein Schunkern, Mehlen, Paducken, Pillwogallen und Willschicken sowie dem Gutsbezirk Wartau gebildet. Er besteht aus 12 Gemeinden bzw. Gutsbezirken und wird zunächst vom Amtsvorsteher in Jennen verwaltet, der somit die staatliche Autorität (standesamtlich und polizeilich) präsentiert.
Am 01.04.1881 wird die Einführung der Kreisordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 19.03.1881 umgesetzt, die endgültige Feststellung des Amtsbezirkes erfolgt vermutlich zu gleicher Zeit. Knapp ein halbes Jahr später folgt die Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen (03.07.1891)
Am 17.11.1882: Endgültige Feststellung des Amtsbezirks „Groß Franzdorf Nr. 27“ mit den Landgemeinden Bessern, Drohndorf, Groß Franzdorf, Gaden, Groß Wartau, Klein Schunkern, Mohlen, Paducken, Pillwogallen und Willschicken und den Gutsbezirk Wartau (11 Gemeinden/Gutsbezirke). 01.09.1931 umfasst der Amtsbezirk Franzdorf die Landgemeinden: Bassen, Drohndorf, Groß Franzdorf, Groß Wartau, Klein Schunkern, Lindehöhe, Mohlen, Paducken, und Willschicken. (9 Gemeinden bzw. Gutsbezirke).
Per Erlass erfolgt 01.01.1934 die Einführung des preußischen Gemeindeverfassungsgesetzes vom 15.12.1933 und am 01.04.1935 erfolgt die Einführung der Deutschen Gemeindeordnung vom 30.1.1935. Die Folgen sind u.a. die Umbenennung der Landgemeinden in Gemeinden. Zum 03.06.1938 erfolgt die Umbenennung der Gemeinde Paducken in Padau sowie Gemeinde Willschicken in Wilkental, die Bestätigung der Namen wird am 16.07.1938 vollzogen. Die letzte Veränderung - die Eingliederung der Gemeinde Mohlen in die Gemeinde Bessen und Gemeinde Padau in die Gemeinde Klein Schunkern wird am 01.04.1939 umgesetzt. 01.01.1945: Der Amtsbezirk Franzdorf umfasst die Gemeinden: Bessen, Dröschdorf, Groß Franzdorf, Groß Warkau, Klein Schunkern, Lindenhöhe und Wilkental. (7 Gemeinden).Er wird zuletzt verwaltet vom Amtsvorsteher Julius Onusseit in Klein Schunkern."
Quelle: Amtsbezirk Franzdorf – GenWiki (genealogy.net)
Kreisgemeinde- und Landesgemeindeordnung
Das preußische Verwaltungssystem war durch eine Zweiteilung in staatliche Verwaltung und Selbstverwaltung bestimmt. Auf lokaler Ebene stand seit der Kreisordnung von 1872 an der Spitze der Verwaltung des Amtsbezirks der Amtsvorsteher (ernannt), an der Spitze der Gemeinde der Gemeindevorsteher (gewählt), für den Bereich der selbständigen Gutsbezirke (belehnt und vererbt oder gekauft) führte der selbsternannte Gutsvorsteher die dem Gemeindevorsteher obliegende Verwaltung.
Bei einer Gebietskörperschaft einer Gemeinde handelt es sich um eine Organisationseinheit, der einzelne Aufgaben für einen bestimmten Teil des Staatsgebiets zugewiesen sind. Die Aufgaben und Grenzen der Gebietskörperschaften sind staatsrechtlich geregelt. Ihre Arbeitsweise unterhalb der Landesebene zeichnet sich durch Selbstorganisation und kommunale Selbstverwaltung aus, die eigene Organe (z. B. Bürgermeister, Gemeinderat) im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben ausführen. Im Gegensatz zu anderen kommunalen Körperschaften wie dem Amt, hat die Gebietskörperschaft eine direkt gewählte Volksvertretung.
Mit der Einführung der Kreisordnung für die sechs östlichen preußischen Provinzen vom 13. Dezember 1872 zum 1. Januar 1874 wurde die gutsherrliche Polizeigewalt beseitigt. Die Patrimonialgerichte der Güter umfassten die niedere Gerichtsbarkeit auf dem Lande, also vor allem Eigentums-, Familien-, Erb- und Gutsrechte, Gesindeordnung und teilweise auch niederes Strafrecht (z. B. Beleidigungen, Raufereien). Sie wurde aber zunächst nicht auf die Gerichte, die Gemeinden oder auf den Kreis übertragen, sondern zunächst den neuen Amtsvorstehern anvertraut.
Diese wurden vom Kreistag für ihren Bezirk, den Amtsbezirk, gewählt und vom König, später vom Oberpräsidenten und zuletzt vom Regierungspräsidenten ernannt. Die Amtsvorsteher entstammten in Ostpreußen zu dieser Zeit überwiegend der ländlichen Oberschicht.
Der Amtsbezirk umfasste mehrere Landgemeinden oder Gutsbezirke, während die Stadtgemeinden außerhalb des Bereichs eines Amtsbezirks blieben. Größere Landgemeinden oder Gutsbezirke konnten auch allein für sich einen Amtsbezirk bilden (Eigenamtsbezirk).
Der Amtsvorsteher war die Ortspolizeibehörde. Er wurde für die Dauer von sechs Jahren gewählt und ernannt. Bei Fehlen geeigneter Kandidaten konnte auch ein Amtsvorsteher für den Bereich eines oder mehrerer benachbarter Amtsbezirke kommissarisch ernannt werden. Der Amtsvorsteher verwaltet insbesondere die Sicherheits-, Ordnungs-, Sitten-, Gesundheits-, Gesinde- und Baupolizei.
In einem Eigenamtsbezirk nahm der Gemeinde- oder Gutsvorsteher die Aufgaben des Amtsvorstehers wahr. Einen bestimmten Amtssitz gab es nicht. Die Geschäfte wurden vom Wohnsitz des Amtsvorstehers aus ehrenamtlich geleitet, so dass dieser Sitz bei der Ernennung eines neuen Amtsvorstehers auch örtlich wechseln konnte.
So sollte eine sparsame Verwaltung gewährleistet sein und die schwache Finanzkraft der östlichen Kreise Preußens nicht durch eine hauptamtliche Verwaltung überfordert werden.
Nach dem Ende der Monarchie wurden 1919/20 kreisweise ohne Rücksicht auf die jeweilige Amtsdauer alle Amtsvorsteher im nunmehrigen Freistaat Preußen geschlossen neu gewählt.
Die Dauer der Wahlperiode war offen, sie sollte gesetzlich neu bestimmt werden. Dazu ist es aber bis 1945 nicht mehr gekommen. Danach wurden die Amtsvorsteher ab 1919 auf unbestimmte Dauer bis zur neuen Wahl oder Ernennung eines Amtsvorstehers ernannt.
Die preußische Landgemeindeordnung vom 3. Juli 1891, regelt die Verfassung und Verwaltung der ländlichen Gemeinden u.a. in Ostpreußen.
Vorbereitet war die preußenweite Reform durch die Kreis-Ordnung für die östlichen Provinzen vom 13. Dezember 1872. Sie nahm schon 1872 den Gutsherren die Polizeigewalt und das Recht auf Ernennung von Gemeindevorstehern und Schöffen. So lange waren die Gutherren gleichzeitig Gerichtsherren, Träger der Polizeigewalt und auch Patronatsherren über Kirche und Schulen, Siegelführung, Jagdrecht, Brau- und Brandweinmonopol und weitere Bann und Zwangsrechte. Dazu kam Steuer- und Zollfreiheit. Teilen des Züchtigungsrechtes blieb aber den Gutvorstehern bis 1900 und die Gesindeordnung bis 1919 bestehen.
Die Bürgermeister der Gemeinden wurden auch Gemeindevorsteher und vor dem 1. Weltkrieg Schulzen genannt. Die Gemeinden wurden befugt, diese Ämter durch Wahlen zu besetzen.
Auch die rechtliche Stellung der selbständigen Gutsbezirke und der Landgemeinden wurde durchgreifend geordnet und auf ein gleiches Niveau gebracht. Öffentlich-rechtlich hatte der Gutsbezirk nun dieselben Befugnisse und Verpflichtungen wie die Gemeinden.
"Unter einer Landgemeinde, früher auch Dorfgemeinde genannt, wird eine Mehrzahl von Personen verstanden, die auf einem räumlich abgegrenzten Gebiete des platten Landes zusammenwohnen und einer gemeinsamen Ortsverfassung unterstehen. Sie sind öffentliche Körperschaften, denen vorbehaltlich der Staatsaufsicht die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten zusteht; auch die »Gemeindeverbände« erfreuen sich innerhalb des Rahmens ihrer Zweckbestimmung einer relativen Selbständigkeit.
An der Spitze der Verwaltung der Landgemeinden steht der Gemeindevorsteher; ihm zur Seite stehen 2–6 Schöffen , die ihn in den Amtsgeschäften zu unterstützen und in Behinderungsfällen zu vertreten haben. Gemeindevorsteher und Schöffen werden aus der Zahl der Gemeindeglieder in der Regel auf 6 Jahre gewählt. Auch auf Gemeindeebene wurden die (Stadt)verordneten der preußischen Städte und Gemeinden gemäß der Preußischen Gemeindeordnung nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt
Der Gemeindevorsteher ist die Obrigkeit der Landgemeinde und führt deren Verwaltung und Vertretung nach außen, die Dienstaufsicht wie auch den Vorsitz in der Gemeindeversammlung und Gemeindevertretung."
"Jedem Preußen ward das Recht gewährleistet, an dem Ort sich aufzuhalten, wo er eine eigne Wohnung oder ein Unterkommen zu finden imstande war. Wer nach erlangter Großjährigkeit drei Jahre lang an einem Ort seinen Aufenthalt gehabt hatte, musste im Falle der Verarmung dort unterstützt werden.
Die Einwohner der Landgemeinden besitzen entweder nur die Gemeindeangehörigkeit oder auch das Gemeinde-Bürgerrecht (Gemeinderecht). Angehörige der Landgemeinde sind, mit Ausnahme der nichtangesessenen servisberechtigten Militärpersonen des aktiven Dienststandes, diejenigen, die innerhalb des Gemeindebezirks einen Wohnsitz haben.
Die Gemeindeangehörigen sind zur Mitbenutzung der öffentlichen Einrichtungen und Anstalten der Gemeinde berechtigt und zur Teilnahme an den Gemeindeabgaben (Grundsteuer) und Lasten (Wegebau) verpflichtet."
In der „sozialen Realität“ in Willschicken war der Bürgermeister ein Großbauer. Unter den Schöffen saßen, wie anderswo auch, in Willschicken nur Großbauern Mittelbauern waren selten, Kleinbauern nie vertreten. Landräte, die für die Steuerschätzung der Grund- und Klassensteuer zuständig waren, konnten mit ihrer Schätzung der Grundsteuer Einfluss auf die Wahlen nehmen.
Diese „Dorfelite“ bildete in den Gemeinden ein sehr wirksames soziales Netz der Macht-Ausübung.
Dazu zählten neben den Großbauern und Gutsherren auch sofern vorhanden Pfarrer, Ärzte und Apotheker, Kaufleute und Gastwirte. Diese standen allerdings in der "zweiten Reihe". Gutsherrn die einem selbstständigen Gutsbezirk vorstanden, ernannten Bürgermeister und Schöffen selbst
Es wird berichtet, dass Gutsherrn und Großbauern ihren Arbeiter, die die Voraussetzungen als Gemeindebürger erfüllten, "empfahl", die von ihnen vorgeschlagenen Personen zu wählen. Teilweise wurde die Position des Gemeindevorstehers auch innerhalb von "angesehenen" Familien weitergegeben, wenn die formale Zustimmung erreicht wurde.
1891 ist auch die rechtliche Stellung der selbständigen Gutsbezirke und der Landgemeinden durchgreifend geordnet worden. Diese Verordnung galt bis 1927, dann wurde die Landgemeindeordnung durch ein Gemeindereformgesetz abgelöst, die die kommunale Selbständigkeit der großen Güter endgültig aufhob.
Besonders in den ostelbischen Provinzen wurden die zahlreiche noch bestehende "freien" Gutsbezirke und bisher gemeindefreie Gebiete (Forsten, Gewässer, Mühlengrundstücke usw.) endgültig einer Gemeinde zuzuweisen. Ab 1933 galt das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz.
Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 12. Leipzig 1908
Kommunalabgaben und Öffentliche Verwaltung
Nach dem Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 galt u.a. folgendes:
"§ 1. "Die Gemeinden sind berechtigt, zur Deckung ihrer Ausgaben und Bedürfnisse nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes Gebühren und Beiträge, indirekte und direkte Steuern zu erheben, sowie Naturaldienste zu fordern"
"§ 23. "Die direkten Gemeindesteuern können vom Grundbesitz und Gewerbebetrieb (Realsteuern), sowie vom Einkommen der Steuerpflichtigen (Einkommensteuer) erhoben werden."
§ 68. "Die Steuerpflichtigen können durch Gemeindebeschluss zu Naturaldiensten (Hand- und Spanndiensten) herangezogen werden."
Bei der Eingruppierung der Zensiten (Steuerträger) durch verschiedene örtliche Kommissionen kam es im Regierungsbezirk Gumbinnen in einigen Fällen zur Bevorzugung der vermögenden Steuerzahler, was mit der Zusammensetzung der Kommissionen zusammenhing, in denen die Gutsbesitzer und Großbauern ihre Interessen vertraten. Die Kommissionen setzten sich zu einem Drittel aus Behördenvertretern und zu Zweidrittelen aus örtlichen (Gemeinde und Kreis) Gremien zusammen.
Dass es in einigen Gemeinden zu den Bevorzugungen kam, wurde von der Revision des Reichsfinanzministeriums in Berlin mehrfach kritisiert. Quelle: Dieter Stüttgen, Die Preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Gumbinnen 1871 - 1920.
Im Jahr 1905 beträgt der Grundsteuer Reinertrag in Willschicken 8,87 Mark je ha.
Die Dorfgemeinde war Träger der wesentlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung. Ihr fielen in der Hauptsache die Ausgaben für den Schulbau- und Unterhalt, den Wegebau und Wegedienst zu, auch örtliche Friedhöfe gehörten dazu. Dazu kam die Armenpflege. Sie war häufig besonders belastend. Auf Grund der Abwanderung bleiben verstärkt verarmte alte und verarmte Landarbeiter in den Gemeinden zurück. 1885 belief sich im Regierungsbezirk Gumbinnen die jährliche Armutslast auf 53,9 % aller Ortskommunalabgaben. Einige kleinere Städte wie Aulowönen und umliegende Dörfer mussten auch Stallgebäude oder Scheunen als Unterstützungswohnsitze für die von der Polizei oder der Besserungsanstalt Tapiau, zugewiesenen Heimatlosen zur Verfügung stellen oder Plätze für das fahrende Volk ausgewiesen werden. Am Unterstützungswohnsitz gab es einen Arbeitszwang, der von der Gemeinde kontrolliert werden musste. In Willschicken gab es keine Unterstützungswohnsitze, dagegen welche auch dem Gut Alt Lappönen. Dazu siehe auch den Teil Heimatlose.
Die Reichsstraßen wurden durch das Reich, die Chausseen 1. und 2. Ordnung durch den Landkreis finanziert. Nach dem Winter wurden für die Pflege der gemeindlichen Wege Gemeindebewohner vom Bürgermeister zum Wegedienst aufgerufen. Sie mussten ihre Werkzeuge und Fuhrwerke mitbringen, das Material wurde gestellt, der als Kreis-Beamte abgeordnete Chausseeaufseher erteile die Befehle. Diese Einsätze dauerten bis zu zwei Wochen, zum Ärger der Betroffenen in Willschicken, da die Aussaat vor der Tür stand.
Den gewählten Bürgermeistern standen bei der Bewältigung der Selbstverwaltungsaufgaben gewählte Gemeindevertreter (Schöffen) zur Seite, die über die anstehenden Probleme und über die vorliegenden Anträge zu beraten hatten.
Diese Gremien fassten im Rahmen der Selbstverwaltungsaufgaben auch Beschlüsse. Laufende Verwaltungsaufgaben z. B. Bodennutzungserhebungen, Viehzählungen, Erfassung von Wehrpflichtigen, Pferdemusterungen, Einziehung von Steuern, während des 2. Weltkrieges Ausgabe von Lebensmittelkarten erfolgten nach Weisungen der Verwaltung des Kreises.
Das Gremium legte die Kommunalabgaben (Grund-, Gewerbe- und Einkommenssteuer) fest, besaß in Absprache mit den Landjägern die „niedere“ Polizeigewalt und regelte – wenn noch vorhanden – die Allmende-Nutzung und die Einteilung der Gemeindedienste wie Wegebau oder die Zulassung von Doktor- oder Hebammendiensten.
Die Bürgermeister der Landgemeinden waren ehrenamtlich tätige Personen und erhielten lediglich eine Aufwandsentschädigung, die nach den Einwohnerzahlen berechnet wurden. Der Bürgermeister führte in der Regel die Kasse.
Verwaltungsaufgaben im Regierungsbezirk Gumbinnen: Polizei und Volksschulwesen
Preußen gliederte zwischen 1808 und 1816 sein Staatsgebiet in Provinzen und Regierungsbezirke. Letztere gaben seit 1811 ein Amtsblatt für öffentliche Mitteilungen heraus. Der preußische Regierungsbezirk Gumbinnen lag im Nordosten Preußens. Er bestand von 1808 bis 1945, zunächst unter der Bezeichnung Regierungsbezirk Litthauen zu Gumbinnen. Von 1824 bis 1878 bildete er den östlichsten Teil der Provinz Preußen, dann der Provinz Ostpreußen.
Nachdem 1818 eine teilweise andere Aufteilung einiger Kreise stattgefunden hatte, mussten 1905 zugunsten des neu gebildeten Regierungsbezirks Allenstein die Kreise Lötzen, Lyck, Johannisburg und Sensburg abgegeben werden. Es unterstanden der Regierung Gumbinnen danach noch die Kreise Treuburg, Angerburg, Goldap, Angerapp (Darkehmen), Insterburg Stadt und Land, Gumbinnen, Ebenrode (Stallupönen), Pillkallen (Schloßberg), Niederung (Elchniederung), Ragnit, Tilsit Stadt und Land und Heydekrug.
Willschicken wurde zum Landkreis Insterburg gezählt.
Es sollen beispielhaft nur zwei Aufgaben im Regierungsbezirk kurz beschrieben werden.
Polizei
Die Gründung des Gendarmeriekorps erfolgte durch ein königliches Edikt am 30. Juli 1812 nach dem Vorbild der französischen Gendarmerie impériale. Bereits acht Jahre nach seiner Gründung wurde das Korps durch König Friedrich Wilhelm III. mit der Verordnung über die anderweitige Organisation der Gendarmerie nebst Dienst-Instructionen vom 30. Dezember 1820 gründlich reformiert. Bislang noch bestehende regionale Gendarmerien des Königreichs wurden aufgelöst und die Kompetenzen zwischen Militär- und Zivilverwaltung eindeutig geregelt. Organisatorisch unterstand die Gendarmerie dem Kriegsministerium, im Dienst jedoch dem Innenministerium und den zivilen Behörden vor Ort.
Das Allgemeine Preußische Landrecht bildete in allen preußischen Provinzen mit – Ausnahme der Rheinprovinz – bis 1871 den Rahmen für die (Bau) Polizei - auch für Willschicken.
In § 1 des Polizeiverwaltungsgesetz vom 11.03.1850 heiß es
Die örtliche Polizeiverwaltung wird von den nach den Vorschriften der Gemeindeordnung dazu bestimmten Beamten (Bürgermeister, Kreis-Amtmänner, Oberschulzen) im Namen des Königs geführt - vorbehaltlich des in § 2 des gegenwärtigen Gesetzes vorgesehenen Ausnahmen. Die Orts-Polizei- Beamten sind verpflichtet, die ihnen von der vorgesetzten Staats-Behörde in Polizei-Angelegenheiten erteilten Anweisungen zur Ausführung zu bringen. Jeder der sich in ihrem Verwaltungsbezirk aufhält oder daselbst ansässig ist, muss ihren polizeilichen Anordnungen Folge leisten.
In § 2 sind die personellen Ausnahmen geschrieben
In Gemeinen, wo sich eine Bezirksregierung, ein Land-, Stadt- oder Kreisgericht befindet, sowie in Festungen und Gemeinden von mehr als 10.000 Einwohnern, kann die örtliche Polizei-Verwaltung durch Beschluss des Ministers des Inneren besonderen Staatsbeamten übertragen werden. Auch in anderen Gemeinden kann aus dringenden Gründen, dieselbe Einrichtung zeitweise eingeführt werden.
Im § 6 werden die folgenden "Gegenstände der ortpolizeilichen Vorschriften" aufgezählt:
a) Schutz der Personen und des Eigentums
b) Ordnung, Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen, Brücken, Ufern und Gewässern
c) der Marktverkehr und das öffentliche Feilhalten von Nahrungsmitteln
d) Ordnung und Sicherheit bei dem öffentlichen Zusammensein einer größeren Anzahl von Personen
e) das öffentliche Interesse in Bezug auf die Aufnahme und Beherbergung von Fremden, Wein-, Bier- und Kaffeewirtschaften und sonstige Einrichtungen zur Verabreichung von Speisen und Getränken
f) Sorge für Leben und Gesundheit
g) Führsorge gegen Feuergefahr bei Bauausführungen, sowie gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen und Ereignisse überhaupt
h) Schutz der Felder, Wiesen, Weiden, Wälder, Baumpflanzungen, Weinberge usw.
i) alles Andere, was im besonderen Interesse der Gemeinschaft und ihrer Angehöriger polizeilich geordnet werden muss.
Quelle:
Für die Sicherheit und Ordnung sowie für den Schutz der Bewohner und deren Eigentum war im Kreis-Gebiet der Landrat zuständig und vor Ort die Ortspolizeibehörde.
Zur Durchführung dieser Aufgaben standen dem Landrat Polizeidienststellen der Landjäger mit ihren Beamten zur Verfügung.
Dem Bürgermeister oblag die Handhabung der Ortspolizei. Falls Gemeinden aus eigenen Kräften eine genügende Polizeiverwaltung nicht sicherstellen konnten, sollten diese mit benachbarten Gemeinden zu Polizeibezirken zusammengefasst werden, für die besondere Bezirksbeamte (Polizeiamtmänner) zu bestellt waren.
Die Aufsicht über die Gemeinden oblag dem Kreisausschuss, bei Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern dem Bezirksrat.
Jeder Polizeibeamte hatte ein Gebiet von mehreren Gemeinden zugeteilt erhalten, in dem er seine polizeilichen Aufgaben zu erfüllen hatte.
Die Gendarmen selbst besaßen den Rang von Unteroffizieren und die Gendarmerieunteroffiziere den Rang von Wachtmeistern.
Aufgrund der schlechten Kommunikationsverbindungen waren die unteren Behörden sowie die Gastwirte verpflichtet, die Gendarmen über polizeilich relevante Vorgänge zu informieren.
Die Ausrüstung der Fußgendarmen entsprach dem Infanteristen der Armee mit Tornister, Patronentasche und Brotbeutel sowie dem Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett, das ständig mitzuführen war.
Das Pferdematerial musste kriegstauglich sein, das heißt den Normen der Kavallerie entsprechen.
Ab 1825 begann auch in der preußischen Gendarmerie die Reduzierung der berittenen Gendarmen
zu Gunsten der Einstellung von Fußgendarmen.
Auch wurde die Anzahl der Offiziere stark beschränkt, die nach Kriegsende 1815 aus Versorgungsgründen übermäßig in der Gendarmerie eingestellt worden waren.
Die Einstellungsvoraussetzungen waren:
- eine einwandfreie Lebensführung,
- keine Vorstrafen,
- gute Kenntnisse des Lesens, Schreibens und Rechnens,
- Gesundheit und „kräftiger Körperbau“,
- „gute natürliche Geistesanlagen“.
Ab 1916 wurde die feldgraue Uniform der Infanterie mit Bluse, steingrauer Hose und dem feldgrauen Einheitsmantel eingeführt.
Nach dem Krieg wurde je nach Verfügbarkeit ein Sammelsurium von alten grünen und feldgrauen Bekleidungsstücken getragen.
1925 wurde für die nunmehrige Landjägerei eine graugrüne Uniform (Rock und Hose) und 1926 der Tschako der Schutzpolizei eingeführt.
Diese Uniform wurde 1928 noch einmal modifiziert und für alle Beamten zusätzlich eine Stiefelhose in Breechesform eingeführt.
Königlich Preußische Landgendarmerie – Wikipedia
Mit einer Verordnung der preußischen Staatsregierung vom 21. Juni 1920 wurde die Landgendarmerie in Landjägerei umbenannt und die Dienstgrade entsprechend angepasst, z. B. Gendarmeriedistriktsoffizier zu Landjägerrat, Gendarmerie-Oberwachtmeister zu Landjägermeister, Gendarmerie-Wachtmeister zu Oberlandjäger und Landjäger.
Polizeichef war der jeweilige Landrat, die Gemeinde hatte keine direkten Einflussmöglichkeiten.
Die mit dem königlichen Wappen versehenen Helme wurden noch bis 1922 getragen, bis ihre Verwendung sowohl inner- wie außerdienstlich durch eine Verordnung des MdI vom 9. August 1922 untersagt wurde. Stattdessen wurde lediglich die Dienstmütze getragen, bis 1926 analog zur Schupo der Tschako eingeführt wurde.
Die Personalstärke der Landjägerei im Außendienst betrug zum 1. April 1922 673 Landjägermeister, 4.227 Oberlandjäger und 4.227 Landjäger.
1920 wurde die einzige Polizeischule für West- und Ostpreußen in Sensburg, in den Kasernengebäuden stationiert.
1933 übernahm Erich Koch die Direktion dieser Polizeischule, um nationalsozialistische Lehrinhalte sicherzustellen. In den Fächern Staats- und Bürgerkunde sowie in Fach Allgemeinwissen, hatten bisher Lehrer der Stadtschule 9 - 12 Stunden bisher wöchentlich nebenberuflich unterrichtet.
Auch sie wurden 1933 ausgetauscht.
Die deutsche Polizei wurde ab 1933 zentralisiert und dann 1936 in zwei Dienstzweige unterteilt: die Ordnungspolizei und die Sicherheitspolizei.
Volksschulwesen
Am 28. September 1717 führte der König Friedrich Wilhelm I. durch königliche Verordnung im Prinzip die allgemeine Volksschulpflicht auf den königlichen Domänengütern ein. So sollte jedes Kind zwischen fünf und zwölf Jahren zur Schule gehen.
„Wir vernehmen missfällig und wird verschiedentlich von denen Inspectoren und Predigern bey Uns geklaget, dass die Eltern, absonderlich auf dem Lande, in Schickung ihrer Kinder zur Schule sich sehr säumig erzeigen, und dadurch die arme Jugend in grosse Unwissenheit, sowohl was das Lesen, Schreiben und Rechnen betrifft, als auch in denen zu ihrem Heyl und Seligkeit dienenden höchstnötigen Stücken auffwachsen laßen.“
Während seiner Regentschaft stieg das allgemeine Bildungsniveau in Preußen deutlich. Die 1717 erlassene Schulpflicht trug dazu wesentlich bei, auch wenn sie sich durch den schwachen und finanzarmen Staat nicht gleich flächendeckend durchsetzen konnte. So stieg die Zahl der Dorfschulen von 320 im Jahre 1717 auf 1480 in seinem Todesjahr. Während der Regentschaft Friedrich des Großen wurden Hunderte von Schulen gebaut. Das Landschulsystem krankte allerdings an der ungeregelten Lehrerausbildung. Häufig wurden ehemalige Unteroffiziere herangezogen, die des Lesens, Schreibens und Rechnens selbst nur lückenhaft mächtig waren.
Wilhelm von Humboldt wurde im Jahr 1809 mit der Leitung der „Sektion des Kultus und des öffentlichen Unterrichts“ in Preußen betraut. Er sollte Ideen für eine Reform des preußischen Schulsystems entwickeln. Sein Modell beinhaltet eines gestuften allgemeinbildenden Bildungssystems und sollte im Rahmen der Preußischen Reformen den Staat erneuern helfen. Die zwei kurzen Schriften handeln von Problemen, die Humboldt als amtlichem Schulvisitator auffielen. So kritisiert er den unzulänglichen Zustand der Schulen in Ostpreußen und Litauen. Der Königsberger Schulplan wurde als interne Denkschrift (Ueber die mit dem Königsbergischen Schulwesen vorzunehmenden Reformen, Ende Juli/Anfang August 1809) ebenso wie der damit zeitlich und sachlich zusammenhängende Litauische Schulplan im Herbst 1809 von Wilhelm von Humboldt kurz nach seiner Ernennung zum Sektionsleiter für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium verfasst.
Bau und Unterhalt der Schulen war zwar eine Gemeindeangelegenheit, die Aufsicht lag jedoch beim Landrat in Insterburg bzw. beim Regierungspräsidenten in Gumbinnen. Von hier aus wurden Lehrer eingestellt, überprüft und bezahlt, Schulbücher gedruckt und Unterrichtspläne vorgegeben. Bei (un)angekündigten Besuchen waren Schulrat und Schulinspektor gefürchtete Autoritäten.
In kultureller Hinsicht kann von einer positiven, wenn auch langsamen Entwicklung gesprochen werden. Durch das Schulaufsichtsgesetz vom 11. März 1872, erlassen durch den preußische Kultusminister Adalbert Falk auf Veranlassung Bismarcks wird die kirchliche Schulinspektion im Königreich Preußen aufgehoben und alle Schulen der staatlichen Aufsicht unterstellte. Bis dahin unterstand die Volksschule der geistlichen Schulaufsicht durch die katholische oder evangelische Kirche, sowie unter Umständen den Patronatsrechten von Gutsherren.
Aus Ostpreußen wanderten jährlich seit der Reichsgründung etwas 30 000 junge häufig unverheiratete Landarbeiter ab. Ausschlaggebend waren wirtschaftliche und individuelle Gründe. Trotzdem wuchs die Bevölkerung in Ostpreußen von 1,85 Mio. im Jahre 1871 auf 2,03 Mio. im Jahre 1905. Im Regierungsbezirk Gumbinnen trat eine Bevölkerungszunahme der Wohnbevölkerung von 770.000 im Jahre 1871 auf 805.000 im Jahre 1905 ein. Zwischen 1901 und 1905 betrug in den Landkreisen die Geburtenrate 39,9 %, die Sterberate 18,7 % und die Heiratsrate 15,1 %. Für die Kinder der anwachsenden Bevölkerung mussten deshalb vor Ort neue Schulen und zusätzliche Klassen geschaffen werden. Zu lange blieben aber die vorhandenen oder neu geschaffenen Schulkassen überfüllt. Ende 1875 waren immer noch 630 Klassen mit mehr als 80 Schülern vorhanden, davon 303 mit 100 bis 150, 39 mit über 150 Kindern, obwohl 1875 neue Schulen mit insgesamt 22 Klassen eingerichtet worden waren. Im Regierungsbezirk Gumbinnen gab es 1872 noch 246 Schulen, in denen jeweils mehr als 100 Kinder nur von einem Lehrer unterrichtet wurden.
Die Zahl der Volksschulen stieg im Regierungsbezirk Gumbinnen zwar zwischen 1864 und 1901 von 1286 auf 1397, doch waren die meisten Schulen einklassig, so dass bei gleichzeitiger Zunahme der Schülerzahlen, die Überfüllung der Klassen nur sehr langsam zurückging. In den Städten im Regierungsbezirk saßen 1886 durchschnittlich 60 Kinder in den Klassen, 1901 waren es noch 51 Schüler. In den Landkreisen betrugen die Zahlen 70 und 60 Kinder. Damit lag der Regierungsbezirk unter der von ministerieller Seite angestrebten Höchstzahl von 80 Kindern pro Schulkasse. Quelle: Dieter Stüttgen, Die Preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Gumbinnen 1871 -1920. Mit Wirkung ab 1. November 1905 wurden die vier südlichen Kreise (Johannisburg, Lötzen, Lyck und Sensburg) vom Regierungsbezirk Gumbinnen abgetrennt und zusammen mit dem Südteil des Bezirks Königsberg zum neuen Regierungsbezirk Allenstein zusammengefasst.
Der Schulbesuch vieler Kinder war unregelmäßig. Nicht selten - vor allem im Sommer zur Erntezeit - fehlten mehr als die Hälfte der Schüler. Es gab aber noch weitere Gründe: Weiter oder schlechter Schulweg gerade im Winter, die wirtschaftliche Not der Eltern, die ihre Kinder bei der Arbeit benötigten, das Unverständnis der Eltern für die Notwendigkeit des Schulbesuches, die Einstellung vieler Gutsbesitzer, die billige Hütekinder brauchte. Dazu kamen die Lage der Lehrer, denen häufig die Befähigung für die Lehrertätigkeit fehlte und sich durch mehrere Nebenerwerbe wirtschaftlich über Wasser halten mussten. 1878 wurde eine Hüte-Genehmigung für die Kinderarbeit eingeführt, die allerdings in den Gemeinden sehr unterschiedlich ausgelegt wurde.
Für den Fall, dass Kinder wiederholt ohne triftigen Grund die Schule versäumten und die Vorhaltungen der der Schulbehörde bei den Eltern keine Wirkung zeitigten, konnten die Erziehungsberechtigten für jeden Tag und für jedes Schulkind mit einer Geldstrafe von 0,25 bis 2 Mark ersatzweise mit 6 bis 48 Stunden Haft bestraft werden. Arbeitgeber, die durch nicht genehmigte Beschäftigung von Schulkindern deren Erfüllung der Schulpflicht verhindert, konnten ebenfalls bestraft werden. Auch hier machte sich in den Gremien, die die Schulaufsicht innehatten, der Einfluss der adligen Gutsbesitzer stark bemerkbar. Viele Gutsherren plädierten für eine Verkürzung der Schulzeit, "damit die Jugend schneller in Arbeit kommt." Sehr große Güter, die erfolgreich waren, konnten sich Privatunterricht für ihre Kinder leisten.
Erst nach dem 1. Weltkrieg tat eine Besserung ein, da es jetzt eine größere Unterstützung durch die Regierung gab und der Einfluss der Gutsbesitzer zurückgedrängt werden konnte. Endlich wurden mehr Schulgebäude und Klassenräume gebaut und ausreichende Lehrerstellen und Lehrerwohnungen geschaffen, die Lehrergehälter wurden angehoben, die Ausbildung vereinheitlicht. Von 1811 bis 1924 gab es in Insterburg die Lehrerfortbildungsstätte Karalene, die danach in Königsberg angesiedelt wurde. Sie lag knapp zwölf Kilometer nordöstlich von Insterburg. Königin Luise hatte bei ihrem Aufenthalt in Ostpreußen die Notwendigkeit der Bildung der preußisch-litauischen Bevölkerung erkannt und die Ausbildung litauisch sprachiger Volksschullehrer in einem besonderen Seminar angeregt.
"Nach zähen Auseinandersetzung einigten sich 1920 die Parteien schließlich auf jenen Minimalkompromiss, der als "Weimarer Schulkompromiss" bekannt ist und den sie in Form des Grundschulgesetzes 1920 noch durch die Nationalversammlung brachten: Erstmals in der deutschen Geschichte sollte eine für alle Kinder gemeinsame "Grundschule" geschaffen werden. Private Vorschulen sollte es nur in seltenen Ausnahmefällen geben dürfen. Allerdings sah der Kompromiss eine Grundschuldauer von lediglich vier Jahren vor, anschließend sollten die Schülerinnen und Schüler wieder auf verschiedene Schulformen aufgeteilt werden, die gemäß der "Mannigfaltigkeit der Lebensberufe" als einfache, mittlere und höhere Bildungsgänge unterschieden wurden. Darüber, welche dieser Schulen ein Kind besuchen würde, sollte fortan einzig und allein die in der Grundschule festgestellte "Anlage und Neigung" entscheiden, "nicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung oder das Religionsbekenntnis seiner Eltern" (Artikel 146, Weimarer Reichsverfassung)" Quelle: Schulgeschichte bis 1945: Von Preußen bis zum Dritten Reich | Bildung | bpb.de
Häufig schlossen sich mehrere kleine Gemeinden zu einem Schulverband zusammen - wie Lindenhöhe, Wilkental, Schruben und Paducken. Der Schulverband vereinigte ein kleines Territorium der Kirchspiele Aulenbach und Grünheide. Das Schulhaus war neugebaut, dass die umliegenden Dorfbewohner hergerichtet hatten mit einem zusätzlichen Anbau für die Lehrer-Landwirtschaft. Jedem Lehrer standen 2 ha Land zur Selbstversorgung zu. Das Schulhaus lag neben dem Friedhof, auf dem sich die Schulkinder, sehr zum Missfallen von Lehrer Wiederhöft, auch gerne versteckten, wenn Strafen drohten.
Die Volksschule von Lindenhöhe, die Hildegard Tuttlies besuchte, hatte zwei Alters-Klassen, in denen es durchschnittlich aber noch pro Klasse zwischen 40 und 45 Schüler gab. Die Schule lag nicht weitentfernt vom Kreishaus - wo auch die Schulaufsicht für den Kreis ihren Sitz hatte. In der Nähe lag eine bedeutenden Straßenkreuzung - war sie gut erreichbar. (siehe die Karte von Lindenhöhe)
Edeltraut Tauchmann geb. Schlack berichtete aus der Volksschule Waldfrieden "Als ich in der 4. Klasse war, kam die Sprache auf die "höhere Schule". Das war keineswegs selbstverständlich auf dem Land, denn die Schulen kosteten Schulgeld (monatlich 10,. RM für die Mittelschule und 20,- RM für die Oberschule für Mädchen oder das Gymnasium für Jungen). Dazu kamen Fahrkartengeld, evtl. sogar für Pension, ferner Ausgaben für Lernmaterial sowie Taschengeld, und außerdem entfiel man ja als Arbeitskraft. Und wenn schon höhere Schule, dann vorwiegend für Jungen, denn "Mädchen würden ja sowieso heiraten"!" Quelle: Datei:Waldfrieden (Ostp.) - Ksp. Aulenbach - 2013 - Volksschule Waldfrieden.pdf – GenWiki (genealogy.net)
Um auf die höhere Schule wechseln zu können, erhielten die schon vorher "ausgeguckten" Kandidaten in der Regel gezielten Nachhilfe-Unterricht, um die Aufnahmeprüfungen bestehen zu können. Die Nachhilfe-Lehrer saßen häufig zu gleich auch in den Aufnahmekommissionen der Schulen. Die Nachhilfekosten waren recht hoch, so dass dieser nur von wohlhabenden Eltern geleistet werden konnten.
Auf die höhere Schule wechselten in Lindenhöhe jährlich pro Klasse zwischen 3 bis 4 Schüler, es waren überwiegend Jungen, und extrem selten kam ein Sohn oder eine Tochter aus einem kleinbäuerlichen Haushalt. Die Schulaufsicht hatte bei der Auswahl mitzureden. In der Schulaufsicht saßen auch nach dem 1. Weltkrieg in der Regel "preußische Beamte" mit einer konservativen Einstellung und guten Beziehungen zum Großgrundbesitz. Ab 1933 wurden auch diese systematisch ausgewechselt.
Schon wenige Wochen nach der Machtübernahme 1933 erhielt die rassistische und antijüdische Ideologie der Nationalsozialisten Einzug in das deutsche Schulwesen. Mit dem "Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen" wurde die Zahl der Schulplätze in den weiterführenden Schulen verknappt, während zugleich die Zugangsmöglichkeiten für Schüler "nichtarischer Abstammung" beschränkt wurden. Ihr Anteil an der Schülerschaft durfte fortan in keiner weiterführenden Schule 5 Prozent übersteigen und bei den Neuaufgenommenen nicht mehr als 1,5 Prozent betragen (gleiches galt für alle Hochschulfakultäten). Diese Diskriminierung richtete sich vor allem gegen die jüdische Bevölkerung und wurde in den Folgejahren massiv verschärft: 1938 wurden jüdische Kinder gänzlich aus deutschen Schulen ausgeschlossen; 1942 wurde die Schließung der jüdischen Schulen angeordnet und darüber hinaus "jegliche Beschulung jüdischer Kinder durch besoldete und unbesoldete Lehrkräfte untersagt" .
Im Zuge der "Gleichschaltungspolitik" wurden ferner die demokratischen Beamten aus dem Schulsystem und den Schulbehörden entfernt. Die Schulverwaltung, die bis dahin – dem Prinzip des Kulturföderalismus folgend – immer in der Hand der einzelnen Gliedstaaten gelegen hatte, wurde nun im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung zentralisiert und damit die Voraussetzungen dafür geschaffen, das Führerprinzip in den Schulen durchzusetzen und die Lehrpläne nach "völkischen Kriterien" umzuschreiben.
Foto: Konfirmation 1935 Hildegard Tuttlies helles Kleid, Gerda Weinowski dunkles Kleid erste Reihe mit Lehrer Wiederhöft, ganz links, Der Sitte entsprechend, hatten Hildegard und Gerda für die Konfirmation weiße und für die Prüfung und das erste Abendmahl dunkle Kleider bekommen.[286]
Foto: Schulfreundinnen Gerda Weinowski und Hildegard Tuttlies beim Jahresmädeltreffen 1939 [287]
Es gab an der Schule in Lindenhöhe nur 2 ausgebildete Lehrer und zeitweilig 2 ältere Schülerhilfen mit je einer halben Stelle. Die Lehrer wohnten in der Schule. Die Schülerhilfen kamen von außerhalb und waren ehemalige Gouvernanten, die sich auch so benahmen. Wenn halbjährlich die Schulinspektoren auftraten, herrschte jedesmal große Aufregung, besonders bei den Lehrern. Häufig wurden dann sogar vorher die Klassenräum von den Schulkindern neu gestrichen. Der Rohrstock war ein übliches Erziehungsmittel für die Kinder. Die Fibel und das Rechenbuch waren nach Aussage von Hildegard Tuttlies "mindestens 10 Generationen alt".
In der Schule wurden aber auch langjährige Freundschaften geschlossen. (siehe auch den Text "Erinnerungen" von Hildegrad Tuttlies). In der Regel fielen Abschluss der Volksschule und Konfirmation im 14. Lebensjahr zusammen. Hildegard Tuttlies besuchte noch zwei weitere Jahre die Höhere Handelsschule in Insterburg, um die Mittlere Reife nachzuholen. Ihr Wunsch noch eine Lehrerinnenausbildung zu beginnen, wurde, obwohl es mögliche war, von den "Parteigrößen" in Insterburg abgelehnt. "Sie haben ja schon eine Ausbildung". Sie wurde als Landjahrmädel in einer Baumschule untergebracht, die sie sich aber ausgesucht hatte. Hier konnte sie später auch als Angestellte bis 1942 weiterarbeiteten, dann wurde ihr Vater krank und sie musste auf den Hof zurückkehren.
Nach der Einberufung der Männer und dem Kriegsbeginn wurden die Schulen häufig von frisch ausgebildeten Lehrerinnen aus dem Reich fortgeführt. Siehe dazu: Marianne Peyinghaus, Stille Jahre in Gertlauken
VON DER POLITISCHEN ENTWICKLUNG 1871 - 1933
Diese Teil-Dimension beleuchtet das Kaiserreich, den 1. Weltkrieg und die Weimarer Republik
Armee und Kaiserreich
Deutsches Kaiserreich ist die Bezeichnung für die Phase des Deutschen Reichs von 1871 bis 1918 zur eindeutigen Abgrenzung gegenüber der Zeit nach 1918. Im deutschen Kaiserreich war der deutsche Nationalstaat eine bundesstaatlich organisierte konstitutionelle Monarchie. Während der Zeit des Kaiserreichs war Deutschland wirtschafts- und sozialgeschichtlich geprägt durch die Hochindustrialisierung. Ökonomisch und sozial-strukturell begann es sich besonders ab den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vom Agrar- zum Industrieland zu wandeln. Auch der Dienstleistungssektor gewann mit dem Ausbau des Handels und des Bankwesens wachsende Bedeutung. Das auch durch die französischen Kriegsreparationen nach 1871 verursachte Wirtschaftswachstum wurde durch den sogenannten Gründerkrach von 1873 und die ihm folgende langjährige Konjunkturkrise zeitweilig gebremst. Trotz erheblicher politischer Folgen änderte dies nichts an der strukturellen Entwicklung hin zum Industriestaat. Quelle: Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch Band II Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870-1914
Armee als Zentrale Institution im Kaiserreich
Die preußische Armee war auch in Ostpreußen eine zentrale Institution.
"Eines der wichtigsten Merkmale der preußischen Armee, dass ihr Bild bis in die Gegenwart bestimmt, war ihre bedeutende gesellschaftliche Rolle. Ihr Einfluss auch im zivilen Teil des Staatswesens prägte Preußen als Inbegriff eines militaristischen Staates." Quelle: Hans- Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts Geschichte, Bd. 3
Die fundamentalen Evolutionsetappen der preußischen Armee waren:
- Übergang vom temporären Söldnerheer zum stehenden Heer ca. 1650 bis 1680
- Professionalisierung, Vereinheitlichung, Disziplinierung und Institutionalisierung von ca. 1680 bis 1710
- Ausbau und der Erhalt einer Armee ersten Ranges in Europa von ca. 1710 bis 1790
- Ablösung der Armee der Kabinettskriege durch eine Volksarmee von ca. 1790 bis 1820
- Restauration der Armee als Herrschaftsinstrument des Königs von ca. 1820 bis 1850
- Übergang zu einer modernen Massenarmee mit industrialisierter Kriegsführung von ca. 1850 bis 1914"
Quelle. Preußische Armee – Wikipedia
Foto: Familie Tuttlies versammelte sich 1913 in der Vorweihnachtszeit. Von links nach rechts: Max, Berta, Friedel, Otto, Ferdinand und Erich. Von den vier Kindern auf dem Foto sollte nur Erich – ganz rechts – in der Landwirtschaft bleiben. Am 30.12.1913 ist Sohn Otto, dritter von rechts, plötzlich und unerwartet mit 4 Jahren verstorben. Hildegard Tuttlies wurde erst 1920 geboren [288]
Foto: Ferdinand Tuttlies als Soldat im 1. Weltkrieg, am 1. August 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Vater Tuttlies wurde eingezogen und musste an die Front, [289]
Foto: Kaiser Wilhelm II. in Ostpreußen, 1914 [290]
Der Kaiser hatte auch im Frieden das Recht, die Präsenzstärke festzulegen, die Garnisonen zu bestimmen, Festungen anzulegen und für einheitliche Organisation und Formation, Bewaffnung und Kommando sowie Ausbildung der Mannschaften und Qualifikation der Offiziere zu sorgen. Das Militärbudget wurde durch die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten festgelegt. Als Streitkräfte außerhalb des Heeres standen die Schutztruppen der deutschen Kolonien und Schutzgebiete und die Kaiserliche Marine einschließlich ihrer drei Seebataillone unter direktem Oberbefehl des Kaisers und der Verwaltung des Reichs. Das Militär wurde zu einem zentralen Element des entstehenden Reichspatriotismus im Deutschen Kaiserreich. Kritik am Militär galt als unpatriotisch. So erreichte das Militär erst 1890 mit einer Friedenspräsenzstärke von fast 490.000 Mann seine von der Verfassung vorgegebene Stärke von einem Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: vor der Wiedervereinigung betrug der Anteil der Bundeswehr rund 0,9 Prozent, der der Bewaffneten Organe der DDR rund 1,5 Prozent der Bevölkerung. Heute liegt er im wiedervereinigten Deutschland bei nur noch 0,3 Prozent.
Osterpreußen gehörte zur Armee Inspektion 1 mit den entsprechenden Divisionsstandorten. Nach der Niederlage bei Gumbinnen und dem Auswechseln der Militärführung wurde zusätzliche der Militärbezirk XX. eingerichtet Jedes Armeekorps hatte seinen eigenen Ersatzbezirk, aus dem der Personalbedarf zum allergrössten Teil gedeckt wurde. Rekruten aus Ostpreußen wurden in Ostpreußen ausgebildet.
1900 bestanden 17 preußische Armeekorps (daneben drei bayerische mit separater Nummerierung, zwei sächsische und ein württembergisches). Einem Armeekorps unterstanden in der Regel zwei Divisionen. Die Gesamtstärke eines Armeekorps betrug: 1.554 Offiziere, 43.317 Mann, 16.934 Pferde, 2.933 Fahrzeuge. Die Divisionen umfassten in der Regel zwei Infanteriebrigaden zu je zwei Regimentern, zwei Kavallerieregimenter zu vier Schwadronen und eine Feldartilleriebrigade zu zwei Regimentern. Ein Infanterie-Regiment bestand aus normalerweise aus drei Bataillonen, welche aus je vier Kompanien bestanden, pro Regiment also zwölf Kompanien.
Daneben standen einem Armeekorps als Korpstruppen ein bis zwei Fußartillerieregimenter, ein Jägerbataillon, ein bis zwei Pionierbataillone, ein Trainbataillon sowie teilweise verschiedene weitere Verbände, wie beispielsweise ein Telegraphenbataillon, ein bis zwei Feldpionierkompanien, ein bis zwei Sanitätskompanien, Eisenbahnkompanien usw. zur Verfügung. Ein Infanterieregiment hatte 1900 eine Friedensstärke von 69 Offizieren, sechs Ärzten, 1.977 Unteroffizieren und Mannschaften sowie sechs Militärbeamte, insgesamt also 2.058 Mann. Ein Kavallerieregiment kam auf 760 Mann und 702 Dienstpferde. Diese Stärke galt für Regimenter mit hohem Etat, Regimenter mit mittlerem oder niedrigerem Etat hatten eine geringere Stärke. Eine Infanteriekompanie mit hohem Etat hatte fünf Offiziere und 159 Unteroffiziere und Mannschaften, mit niedrigerem Etat vier Offiziere und 141 Unteroffiziere und Mannschaften.
1914 umfasste die preußische Armee 166 Infanterieregimenter, 14 Jäger-/Schützen Bataillone, 9 MG-Abteilungen, 86 Kavallerieregimenter, 76 Artillerieregimenter, 19 Fußartillerieregimenter (Festungsartillerie), 28 Pionierbataillone, 7 Eisenbahnbataillone, 6 Telegrafenbataillone, 4 Fliegerbataillone, 1 Kraftfahrbataillon, 19 Train-Abteilungen
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fische_Armee
Für eine Ehe wurde bei den Offizieren ein Jahreseinkommen von wenigstens 4000 Mark, als notwendig angesehen, was erst der ältere Hauptmann erreichte. Vorher konnte der Offizier nur heiraten, wenn die Braut genügend Geld mit in die Ehe brachte. Für die Eheschließung musste eine vom Vorgesetzten erteilte „Heiratserlaubnis“ vorliegen. Die finanzielle Lage war bei der Erteilung dieser Erlaubnis sehr wichtig, ebenso die „standesgemäße“ Herkunft der Braut.
Unteroffiziere, die nach zwölfjähriger Dienstzeit ausschieden, erhielten einen Zivilversorgungsschein, der ihnen eine bevorzugte Einstellung im Staatsdienst z. B. als Lehrer ermöglichte. Darüber hinaus erhielten Verabschiedete eine Dienstprämie (Unteroffiziersprämie) von (1911) 1000 Mark
Ausbildung in der Armee
Ferdinand Tuttlies wurde bei der 2. Division in Insterburg als Infanterist drei Jahre lang ausgebildet. Über seine Rekrutenzeit sagte er: "Hol de Freet on sing »Die Wacht am Rhein«".
Im Wilhelminismus galt "die Armee als beste Schule der Nation" - "Um die Manneszucht der Armee zu erhalten, muss der Egoismus des Einzelnen gebrochen werden". Doch viele Offiziere misshandelten ihre Rekruten auf bestialische Weise. Tausende junge Männer desertierten - viele, die sich dem Drill nicht gewachsen fühlten, flüchteten sich in den Suizid. Wer im Inneren von Kompanie und Regiment unangenehm auffiel, war der Willkür diensthöherer Ränge hilflos ausgeliefert. Soldaten konnten seelisch und körperlich gequält, drakonisch bestraft und für ihr Leben beschädigt werden. Bis zu 20.000 junge Männer flüchteten Jahr für Jahr. Wer dem Drill nicht gewachsen war oder am Sinn von Peinigungen zweifelte, konnte von Glück sagen, wenn er mit dem Leben davonkam. Etwa 20 - 30 % aller Rekruten wurden misshandelt, zum Teil schwer. Nur äußert selten griffen höhere Offiziere ein. Quelle: Militarismus im Kaiserreich - DER SPIEGEL
Die offiziellen Zahlen - ergangene Gerichtsurteile wegen Fahnenflucht, unerlaubtes Entfernen und Fahnenflucht in Abwesenheit von 1901 bis 1909 - sprechen nur von 4 - 5 Promille - zusammen etwa 2.300 Mann jährlich, bei einer gesamten Truppenstärke von etwa 500.000 Mann. Bei der Marine lagen die Zahlen etwa bei 6 Promille. Nicht berücksichtigt sind hier aber Truppenentfernungen, die im Rahmen des Disziplinarrecht behandelt wurden und nicht vor Gericht landeten. Diese Anzahl wird auf etwa 4 Prozent geschätzt. Quelle: Ulrich Bröckling, Armeen und ihre Deserteure
Zu den zahlreichen Reformen im Kaiserreich gehörte auch die Reform der Wehrpflicht, die natürlich auch für die Bewohner von Willschicken galt.
Das Wehrpflichtsystem wurde in Grundzügen von späteren deutschen Armeen und auch international vielfach zum Vorbild genommen.
Die allgemeine Wehrpflicht wurde durch das Gesetz, betreffend die Verpflichtung zu den Kriegsdiensten des Norddeutschen Bundes vom 9. November 1867 und Artikel 57 ff. des Gesetzes betr. die Verfassung des Deutschen Reichs (Reichsverfassung) vom 16. April 1871sowie das Reichs-Militärgesetz vom 2. Mai 1874 gesetzlich geregelt.
Die Wehrpflicht im Kaierreich begann mit Vollendung des 17. Lebensjahres. Der Wehrpflichtige konnte sich in Ausübung dieser Pflicht nicht vertreten lassen. Der Landsturm bestand aus den Wehrpflichtigen vom vollendeten 17. bis zum vollendeten 42. Lebensjahr, die weder dem Heer noch der Marine angehörten. In der Reichsverfassung wurde festgelegt, dass jeder wehrfähige Deutsche 7 Jahre lang, vom 20. bis zum 28. Lebensjahre dem stehenden Heer angehöre. Im Reichsmilitärgesetz wurde diese Ausführung im Weiteren geregelt.
Die Militärpflicht begann vom 1. Januar des Jahres an, in dem das 20. Lebensjahr vollendet wurde. Militärpflichtige waren der Aushebung unterworfen. Die Militärpflicht dauerte bis zum 31. März des Jahres, in dem das 39. Lebensjahr vollendet wurde. Es bestand die Pflicht, sich regelmäßig bei den zuständigen Behörden zu melden, bis über die Verwendung entschieden wurde. Zur Kontrolle dieser Regelung wurden von den Gemeinden sogenannte Stammrollen aufgestellt.
Die aktive Dienstzeit belief sich auf 3 Jahre für die Infanterie. Auch Kavallerie und reitende Artillerie dienten 3 Jahre aktiv. Die Ersatzreservepflicht dauerte 3 Jahre bis zur Vollendung des 31. Lebensjahres." Quelle: Wehrpflicht in Deutschland – Wikipedia
Die aktive Dienstpflicht wurde Anfang 1890 geändert. Sie dauerte seit 1893 bei der Infanterie und allen übrigen Fußtruppen nur noch zwei Jahre, bei der Kavallerie, der reitenden Artillerie und bei der Marine noch drei Jahre. Beim Tross reduzierte sich die Dienstplicht auf ein oder zwei Jahre. Danach folgten für alle Truppenteile 5 Jahre in der Reserve.
Junge Männer, die eine wissenschaftliche Befähigung (zum Beispiel Zeugnis nach einjährigem Besuch der Untersekunda, Reifezeugnis) nachweisen konnten oder die Einjährigen-Prüfung bestanden hatten, sowie finanziell in der Lage waren, sich selbst einzukleiden, konnten ihrer Dienstpflicht als sogenannte Einjährig-Freiwillige genügen. Sie mussten sich zwischen dem vollendeten 17. und 23. Lebensjahr freiwillig melden. Die Prüfung erstreckte sich auf drei Sprachen (Deutsch und zwei Fremdsprachen) sowie Geographie, Geschichte, Literatur, Mathematik, Physik und Chemie. Die Einstellung erfolgte zum 1. Oktober eines jeden Jahres, ausnahmsweise auch zum 1. April eines Jahres. Die Einjährig-Freiwilligen durften – sofern möglich – sich den Truppenteil selbst aussuchen und dienten ein Jahr. Nach sechs Monaten aktiver Dienstzeit konnten sie zum Gefreiten befördert werden. Die Einjährig-Freiwilligen wurden, sofern sie sich eigneten, auf eigenen Wusch zu Offizieren der Reserve und der Landwehr ausgebildet.
Angehörige des Landadels wurden vom Militär in der Regel bevorzugt behandelt und sehr häufig, aufgrund der möglich kurzen Wehrzeit, zum Trosse eingezogen oder meldeten sich selber als Einjährig-Freiwillige.
Junker
Im 17. Jahrhundert hatte sich in den ostelbischen Gebieten Brandenburg-Preußens die Gutsherrschaft durchgesetzt. Die entrechteten Bauern waren als Unfreie an den Gutsherrn gebunden und leisteten ihm Frondienste. Wesentliche Machtbefugnisse lagen in den Händen der adeligen Guts- und Grundbesitzer, den Junkern. Dabei kontrollierten wenige wohlhabende Adlige mit großem Landbesitz fast die gesamte Provinzpolitik. Der preußische Staat verfügte, von der Kreisebene abwärts, nur über geringe Gestaltungskompetenzen. Die mit der Bauernbefreiung Anfang des 19. Jahrhunderts einsetzende soziale Mobilität führte zu Landflucht großer Bevölkerungsteile in die Städte. Die damit verbundene Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte war eine Voraussetzung der einsetzenden industriellen Revolution.
Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts lag die staatliche Gewalt beim besitzenden Landadel, der auf seinen Gütern über rund 75 bis 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung verfügte. Neben der Gerichtsbarkeit beinhaltete das auch Polizeiaufgaben.
Als Junker (von mittelhochdeutsch Juncherre = junger Herr, Jungherr) wurde der Rittergutsbesitzer in den ländlich geprägten Gebieten Ostelbiens bezeichnet, die zum preußischen Adel gehörten. Das Wort „Junker“ bekam einen negativen Beigeschmack und wurde in der Zeit des Wilhelminismus zu einem polemischen Kampfbegriff, der die Vorstellung eines rückständigen, bornierten und unkultivierten Gutsherrn mit ungehobelten Manieren und autoritärem Gebaren hervorrief. Bereits seit den 1850er Jahren benutzte man in ähnlicher Weise den spöttischen Ausdruck „Krautjunker“. In der Weimarer Republik sammelten sich die Agrarier in der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Die reaktionären Gesinnung und einflussreichen Positionen der Junker und Großagrarier im politischen Leben Preußens war ein entscheidendes Hindernis für die demokratische Entwicklung. Einigen Junkern, die 1932/1933 zum einflussreichen Kreis der so genannten „Kamarilla“ um den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg angehörten, wird eine Mitverantwortung an der Machtergreifung der NSDAP unter Adolf Hitler zugeschrieben.
Der militärische Verhaltens- und Ehrenkodex der Junker wirkte weit in die Gesellschaft hinein. Auch für viele Bürger wurde der Status eines Reserveoffiziers nunmehr zu einem erstrebenswerten Ziel.
Umgekehrt wirkten die Errungenschaften der Offizierserziehung zurück in die zivile Gesellschaft. Stramme Haltung, eine scharfe Stimme, zackige Begrüßungen, kurz: der Schneid eines Uniformträgers bestimmte auf Generationen das Männlichkeitsbild.
Kehrte ein Offizier auf sein Familiengut zurück, behielt er den militärischen Verhaltensstil bei, der auch dem Landrat als selbstverständlich galt.
Trat er in die Verwaltung ein, sah er keine Notwendigkeit sich gegenüber dem "Publikum" umzustellen.
Da viele Subalternbeamte aus dem Kreis der versorgungsberechtigten, ausgedienten oder invaliden Unteroffiziere stammte, sicherte dem Kommandoton auch auf der untersten Ebene der staatlichen Behörden seine Geltung.
Mit der verbesserten ökonomischen Situation vor dem 1. Weltkrieg wuchs auch der politische Einfluss der Junker. Ämter, Pfründe und das Offizierskorps wurden in den meisten ostdeutschen Gebieten fast ausschließlich an Adelige vergeben, was bürgerliche Aspiranten so gut wie ausschloss. Im weiteren Verlauf konnten die Herrscher auf Grund ihrer finanziellen Lage kaum noch etwas von Belang ohne die Zustimmung des Adels, d.h. der Landtage, beschließen.
Den preußischen Junkern, daran gewöhnt, an der Spitze von Gesellschaft und Militär zu stehen, kam dies gelegen: 1500 von ihnen wurden zwischen 1888 und 1914 in einflussreiche Ämter berufen.
Der Landadel galt als sehr konservativ, militaristisch und antiliberal. Er war die reaktionäre Stütze der Monarchie der Hohenzollern und des preußischen Staats- und Militärwesens. Die Demokratie lehnte der Landadel schroff ab.
Er dominierte praktisch die gesamte politische Elite der preußischen Stammlande mit Ausnahme Stadt Berlin.
Die Herrschaft der Junker wurde durch die im ländlichen Raum tief verwurzelten aristokratischen Traditionen und die Verbundenheit der Familien mit dem preußischen Militär gestützt, in dem die Söhne seit Generationen als Offiziere dienten.
Ihre Einkünfte bezogen die Junker vornehmlich aus der Landwirtschaft, in der sie eine monopolartige Stellung innehatten, welche sie nicht nur in den ostelbischen Gebieten, sondern auch im restlichen Preußen und dann im gesamten Reich erfolgreich zu behaupten wussten.
Die auf dem Land in den ostelbischen Gebieten bestehende junkergeprägte Gutsherrschaft prägte die ökonomische Rückständigkeit und Untertanengeist der Landbevölkerung. Prügel gehörte zu den verbreiteten Disziplinierungsmitteln der Gutsherren.
Die einfache Landbevölkerung gab sich königstreu und glaubte an die Legende vom „gerechten König“."
Die weiterhin tonangebende, etablierte adelige Schicht, überwiegend aus den mittleren und östlichen, ländlichen Provinzen stammend, nahm für sich in Anspruch, das Gemeinwohl in einer Mischung aus Bevormundung und Fürsorge zu verkörpern.
Bismarck schildert die Lebenswegplanung eines typischen ostelbischen Junkers folgendermaßen: „Er werde sich zunächst einige Jahre mit der rekrutendressierenden Fuchtelklinge amüsieren. Nach der Militärzeit werde er ein Weib nehmen, einige Kinder zeugen und auf dem väterlichen Gut das Land bebauen. (…) In zehn Jahren (…) werde er ein fettgemästeter schnurrbärtiger Gutsherr sein, der eine (…) Abscheu vor Juden und Franzosen hegt und Hunde und Bedienstete auf das Brutalste prügelt, wenn er von seiner Frau tyrannisiert wurde. Zu des Königs Geburtstag werde er sich besaufen, 'Vivat' schreien und ansonsten über Pferde fachsimpeln.“
Quelle: Lebenswegplanung eines typischen ostelbischen Junkers nach Bismarck in: Jan Friedmann: Restauration und Revolution: Morsche Macht. In: Spiegel Special. Nr. 3, 2007
Hans-Ulrich Wehler fasst die Kaiserzeit zusammen:
„Zahlreiche politische, gesellschaftliche und rechtliche Reformen standen im Kaiserreich von Anfang an auf der Tagesordnung, und ihre Anzahl und Bedeutung nahm kontinuierlich zu, da sich das Modernisierungsdilemma des wachsenden Abstandes zwischen beschleunigter sozialökonomischer Entwicklung und erstarrten politisches Ordnungsgefüge verschärfte. …
Die Aufwertung des Adels, die politische Zweitrangigkeit des Bürgertums, die Isoliertheit der marxistischen Arbeiterbewegung, (die Armut von großen Teilen der ländlichen Bevölkerung) die Härte der Klassengegensätze – so beginnt eine lange Reihe von mehrfach diskutierten Faktoren, die für die gesellschaftsgeschichtliche Erklärung der Bedingungen des deutschen Modernisierungsweges von grundlegender Bedeutung sind. …
Das Kaiserreich hat zu einem deutschen „Sonderweg“ geführt, weil seine politische und soziale Herrschaftsstruktur es ermöglichte, um es in den Worten Max Webers zu sagen, “ in einem bürokratischen Obrigkeitsstaat mit Scheinparlamentarismus die Masse der der Staatsbürger unfrei zu lassen und sie wie eine Viehherde „zu verwalten“, anstatt sie als Mittherren des Staates in diesen einzugliedern." Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte Band 3
Jagdhäuser
In den adligen Familien auf dem Lande war in Ostpreußen die Jagd selbstverständlich. Die Jagd war für den Adel oft Privileg und Prestige zugleich. Die übertriebene "Jagdleidenschaften" von zwei "großen Herren" fiel aber besonders auf. Sowohl Kaiser Wilhelm II., als auch Hermann Göring jagten in Ostpreußen in der Rominter Heide und ließen sich dort auch eigene Jagdhäuser bauen.
Wilhelm II ließ sich das Jagdhaus Rominten erbauen. Nachdem der Kaiser die Liegenschaft erworben hatte, ließ er ab 1891 das Jagdhaus nach Plänen von Holm Hansen Munthe und Ole Sverre im skandinavischen Stil errichten. Baumaterialien und Arbeiter stammten aus Norwegen. Zunächst wurde das Jagdhaus aus rotgebeizten Fichtenstämmen errichtet, 1893 die Hubertuskapelle als norwegische Stabholzkirche. 1904 wurde das Jagdhaus um den Kaiserinnen-Flügel erweitert sowie ein Teehäuschen am Ufer der Rominte erbaut. 1914 stahlen die eingedrungenen russische Truppen das Bett Wilhelms II. aus dem Jagdhaus in Rominten.
Der „Hohen Herr“ hatten eine bestimmte Art zu jagen: „Im Winter 1906 war Seine Majestät Wilhelm II. als Gast beim Fürsten zu Schaumburg Lippe in Bückeburg. Es wurde für ihn eine Separatjagd vorbereitet, wobei in einem Laubhochwald von etwa 800m Durchmesser ca. 40 Hirsche mit Mutterwild mit hohem Gatter eingestellt worden waren. In diesem eingestellten Jagen pirschte der Kaiser nur von seinem Büchsenspanner begleitet und schoss aus dem Rudel einen Hirsch nach dem anderen heraus. Das nach jedem Schuss flüchtig werdende Rudel kam nicht weit, es konnte in dem Gatter nicht entweichen und es wurde von einer Anzahl Jagdbedienstete immer wieder in Richtung des Kaisers gedrückt. Gegen Mittag brach der Kaiser die Jagd ab, da nur noch geringe Hirsche im Rudel waren. Es blieb nicht aus, dass bei dem eng zusammengedrängten Rudel von den Kugeln auch geringe Hirsche und Tiere getroffen wurden.
An diesem Vormittag schoss der Monarch 15 teilweise kapitale Hirsche und 3 Tiere. Nachmittags wurde in einem anderen Revierteil auf die gleiche Weise gejagt, wo ebenfalls ein großes Rudel Rotwild eingestellt war. Hier brauchte der Monarch für den Abschuss von 13 Hirschen nur ca. 1 Stunde, man das von der praktischen Seite her, so brauchte der Kaiser für das Abschießen von 13 Hirschen in einer Stunde für jedes Tier etwas weniger als 5 Minuten. Das war eine außergewöhnliche, aber auch widerwärtige Leistung. Hier muss noch erwähnt werden, dass Wilhelm II. im gleichen Jahr zur Brunft in Rominten 20 gute bis kapitale Hirsche erlegt hatte, dazu 24 in der Schorfheide und als Gast bei dem Fürsten zu Solms-Baruth in Klitschdorf 11, letztere bei separaten Lappjagden und Abschießen an den Fütterungen.
Bei der Lappjagd handelt es sich um eine Treib- bzw. Drückjagd, bei der das bejagte Gebiet zuvor mit an Leinen (Archen) aufgehängten (Stoff-)Lappen (Blendzeug) umspannt wird, um damit flüchtende Tiere in bestimmte Richtungen zu lenken oder am Ausbrechen aus dem Treiben zu hindern. Am 6. und 7. Dezember 1912 wurde in Bückeburg wieder eine Separatjagd für den Kaiser abgehalten. Eine größere Anzahl guter Hirsche war schon längere Zeit in einem Jagen fest eingestellt. Der Monarch schoss beim Herumpirschen in Begleitung seines Büchsenspanners die besten heraus. Innerhalb von 2 Stunden hatte er 18 Hirsche auf der Strecke. Tags darauf ging es in ein anderes Revier, wo in einem Jagen von etwa 500 m Durchmesser 30 Hirsche mit wenig Mutterwild fest eingestellt waren. Auch hier schoss er auf der Pirsch wiederum in 2 Stunden 18 zum Teil sehr starke Hirsche.“
Die Anzahl der von Wilhelm II. erlegten Hirsche betrug während seiner Regentschaft insgesamt 2133 Tiere, dazu kam noch ein Vielfaches von weiterem Wild.
Nach dem 2. Weltkrieg ließ ein russischer General das kaiserliche Jagdhaus in der Rominter Heide abbauen und in Kaliningrad, der neuen Hauptstadt des Oblast, als seine Dienstvilla wiederaufbauen. Das ehemalige Jagdahaus wurde danach ein Teil des neu angelegten Kalinin-Parks.
Quelle: Ulla Lachauer, Die Brücke von Tilsit
Herrmann Göring besaß ebenfalls eine große Jagdleidenschaften. Ausgesprochen häufige Gesellschaftsjagden mit prominenten Parteigrößen, hohen Militärs, „treuen“ Untergebenen seiner zahlreichen Ämter und vermögenden Wirtschaftsführern werden von ihm als Reichsjägermeister berichtet. Hitler selbst hatte Jagden gegenüber eine Abneigung, ließ aber seinen Reichsjägermeister gewähren. Allerdings war Göring nicht vom „Schießwahn“ Wilhelm II. besessen.
Göring war sehr machtbewusst. Er übte als nationalsozialistischer Multifunktionär über 20 hohe Ämter aus, denen er zeitlich aber nicht immer nachkam. Er ließ sich dann häufig vertreten – wohl auch aus gesundheitlichen Gründen, die möglicherweise von seiner Sucht herrührten - dazu siehe auch weiter unten.
Während der Luftschlacht um England (ab Mitte 1940) fiel Göring wegen seiner katastrophalen Strategie vor Hitler mehr und mehr in Ungnade. In seinen letzten Dienstjahren zog er sich immer mehr nach Carinhall in der Schorfheide und Rominten in der Rominter Heide zurück und ließ die Untergebenen zu sich kommen. Als Belohnung lud er ausgesuchte Gäste zum Übernachten ein und ging mit ihnen persönlich auf die Jagd, die anderen mussten am selben Tag der Anreise nach den Dienstgesprächen wieder abreisen.
Quelle: Uwe Neumärker und Volker Knopf, „Görings Revier“ – Jagd und Politik in der Rominter Heide
Göring bekleidete zahlreiche Posten, die er sich alle bezahlen ließ. Seine wichtigsten Ämter waren:
- Reichsforstmeister, auch als Reichsjägermeister bezeichnet (3.7.1934–23.4.1945)
- politischer Beauftragter des Führers in der Reichshauptstadt (1932–1933)
- Preußischer Minister des Innern (1933–1934)
- Preußischer Ministerpräsident (1933–1945)
- stellvertretender Reichsstatthalter von Preußen (1933–1945)
- Präsident des Preußischen Staatsrates (1933–1945)
- Präsident des Reichstags (1932–1945)
- Reichsminister ohne Geschäftsbereich (1933)
- Reichsbeauftragter für Rohstoff- und Devisenfragen (1936)
- Reichskommissar für Rohstoffe und Devisen (1936-1945)
- Mitglied des Geheimen Kabinettsrats (1938–1945)
- Vorsitzender des Ministerrats für Reichsverteidigung (1939–1945)
- designierter Nachfolger des Führers (1934–1945)
- Präsident des Reichsforschungsrats (1943–1945)
- Reichskommissar für die Luftfahrt (1933)
- Reichsminister der Luftfahrt (1933–1945)
- Präsident des Reichsluftschutzverbandes (1933)
- Oberbefehlshaber der Luftwaffe (1935–1945)
- Beauftragter für den Vierjahresplan (1936–1945)
- Vorsitzender des Zentralen Planungsamts (1943–1945)
- Hauptleiter der Reichswerke Hermann Göring (1937–1945)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_G%C3%B6ring#%C3%84mtervielfalt
Göring ließ als seine ländlichen Refugien neben Carinhall in der Schorfheide und dem Reichsjägerhof Riddagshausen bei Braunschweig, den Reichsjägerhof Rominten am Steilhang über der Rominte in Ostpreußen erbauen. Genau wie das Führerhauptquartier "Wolfsschanze" in der Nähe von Rastenburg und das Hauptquartiers des Oberkommandos der Wehrmacht beim Dorf Mauerwald am Mauersee lagen diese Komplexe in Ostpreußen bis Mitte 1944 zunächst außerhalb der der Reichweiten der alliierten Luftflotten. Erst nach diesem Zeitpunkt erlaubte Schweden den Überflug alliierten Bomber über sein Territorium.
Das Baugebiet des Reichsjägerhofes befand sich rund 15 Kilometer nordöstlich der Kleinstadt Goldap, im Bereich des Forstamtes Nassawen. Die Bauarbeiten an dem Blockhauskomplex begannen Ende April 1936 und waren im September abgeschlossen. Der Reichsjägerhof in der Rominter Heide wurde im September 1936 fertiggestellt. Göring persönlich hatte den Bau im September 1935 veranlasst, nachdem ihm zwei Jahre zuvor der im niederländischen Exil lebende Wilhelm II. die Nutzung seines Jagdschlosses Rominten im ehemals kaiserlichen Jagdrevier nachdrücklich verweigert hatte. Hermann Göring erzwang nach dem Tod des Kaisers 1941 den Verkauf an den preußischen Staat und ergänzte das kaiserliche Anwesen durch den etwa zwei Kilometer entfernten Reichsjägerhof Rominten.
Görings sehr häufiger Aufenthalt in der Rominter Heide führte zu einem Ausbau der dortigen Eisenbahn. Im zweiten Weltkrieg wurden 1943 in Tollmingkehmen (Tollmingen) und Schackummen (Eichkamp) Bahnhofsanlagen und Gleisfelder erheblich erweitert. Bei Goldap wurde die Verbindungskurve („Göringkurve“) am 19. Mai 1941 eröffnet und der Bahnhof Buttkuhnen als Verschiebebahnhof ausgebaut. Der Aufbau des Bahnhofes von Eichkamp wurde speziell für Görings und in seinen Sonderzüge erreichtet.
„Asien“ war der erste Deckname des Sonderzuges, den Hermann Göring während des Zweiten Weltkriegs benutzte. Unter dem Decknamen „Amerika“ lief ein Sonderzug, den Adolf Hitler nutzte. Ab dem 1. Februar 1943 wurde die Deckname gewechselt: Der Hitler-Zug hieß ab sofort: „Brandenburg“. Der Göring-Zug wurde nun als „Pommern“ bezeichnet.
Der Hauptzug "Pommern 1" verkehrte in der Regel mit 15 Wagen. Göring benutzt von den 15 Wagen: 2 Salonwagen,1 Salonspeisewagen, 1 Salon-Schlafwagen und 1 Konferenzwagen. Zu dem Hauptzug „Pommern 1“ gab es den Vorzug "Pommern 2" mit 14, später 22 Wagen, der weiteres Personal aus dem Umfeld von Göring transportierte und in einem Autotransportwagen für dessen Kraftfahrzeuge mitführte. Er diente auch als Minenräumer. Die beiden Züge waren jeweils mit zwei Wagons ausgestattet, auf denen Flackgeschütze montiert waren.
Für den Fall einer plötzlichen Verlegung des Standortes von Göring in Ostpreußen standen die beiden Züge in Eichkamp bzw. Buttkuhnen bei seiner Anwesenheit permanent bereit.
Quelle: http://eisenbahn-gumbinnen-goldap.de/gumbinnen/stationen/gross-schackummen/zweiter-weltkrieg-ausbau-eichkamp-und-tollmingkehmen/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Asien_%28Zug%29
Im Zweiten Weltkrieg diente die nahe dem Reichsjägerhof Rominten erbaute Anlage "Robinson" Göring als Gefechtsstand für die Luftschlacht um England und als Quartier während des Russlandfeldzugs. Die Anlage Robinson (Deckname für: Oberbefehlshaber der Luftwaffe-Hauptquartier Rominten) war ein militärischer Komplex des deutschen Oberkommandos der Luftwaffe (OKL) während des Zweiten Weltkriegs. Die Bunkeranlage lag unweit des Goldaper Sees. Sie wurde 1940 angelegt. Ursprünglich diente sie als Luftschutzbunker für Hermann Göring und seinen Stab. Nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR wurde die Anlage zu einem Hauptquartier umfunktioniert und erweitert, sie bestand fortan aus einem schweren Bunker, sechs Backsteingebäuden für den Stab, sowie zwei Baracken für die Bewachung.
Im Volksmund wurde Göring wegen seiner auffälligen, oft aus Phantasie-Uniformen und vielen Orden bestehenden Garderobe „Lametta-Heini“ oder "Ober-Goldfasan" genannt. In einer populären Parodie auf ein ursprünglich von Claire Waldoff gesungenes Couplet hieß es:
- Rechts Lametta, links Lametta,
- Und der Bauch wird imma fetta,
- In den Lüften ist er Meesta
- Hermann heeßt er!
Quelle: Gordon A. Craig: Deutsche Geschichte 1866–1945. Vom Norddeutschen Bund bis zum Ende des Dritten Reiches
Görings Neid wurde geweckt, wenn seine Gäste auf einer Jagd kapitale Hirsche erlegten, die größere Geweihe besaßen, als die eigenen Abschüsse. So streckte der Generalfeldmarschall von Brauchitsch auf einer gemeinsamen Jagt mit Göring im Herbst 1941 den hochkapitalen sogenannten "Eggenhirsch" südöstlich des Teutoburger Waldes nieder und weckte damit den Neid Görings. Der erließ mit Datum 1. Oktober 1941 an alle Staatsjagdreviere den Erlass: "Kapitale und hochkapitale Hirsche werden in Zukunft in den Revieren, in denen ich persönlich während der Hirschbrunft anwesend zu sein pflege, nur durch mich und nicht mehr durch meine Gäste erlegt."
Quelle: https://www.spiegel.de/geschichte/goerings-vergessenes-jagdrevier-a-946873.html
Auf Grund von Berichten soll dem Reichsjägerhof von Göring bei Abendgesellschaften oft Alkohol in hohem Maße konsumiert worden sein. Niemand durfte gehen, bevor der Reichsjägermeister müde wurde. Teile seiner Jagdgesellschaft fanden auf Grund des hohen Alkoholkonsums alleine nicht mehr zu ihre Schlafstätten. Die weiblichen Bediensteten fürchteten sich dann bei diesem Geschehen vor Tätlichkeiten der "hohen Gäste". Später wurde der Service bei Abendgesellschaften im Jagdhaus ausschließliche von extra eingewiesenen männlichen Bediensteten gestellt.
Quelle: Uwe Neumärker und Volker Knopf, „Görings Revier“ – Jagd und Politik in der Rominter Heide
Göring war in Folge der Behandlung einer Schussverletzung beim Hitler Putsch in München seit 1923 ein regelmäßiger Morphinist geworden, dazu kam eine hohe Alkoholverträglichkeit. Als Göring Anfang Mai 1945 in US-Gefangenschaft geriet, war er schwer abhängig. Bei seiner Festnahme durch die Alliierten trug er zwei Koffer mit Paracodintabletten bei sich, die er suchtmäßig konsumierte. Die US-Militärärzte setzten ihn vor dem Beginn der Nürnberger Prozesse für knapp 6 Monate auf Entzug.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_G%C3%B6ring
Im Herbst 1944 gab Göring angesichts der näher rückenden russischen Front den Befehl, den Reichsjägerhof zu zerstören (Operation Johannisfeuer). Am 20. Oktober 1944 wurden die Gebäude vom einzig verbliebenen Hausmeister in Brand gesetzt. Der Komplex Robinson wurde gesprengt. Das Inventar des Jägerhofes war vorher mit 5 Sonderzügen in Sicherheit gebracht worden.
Die preußische Forstverwaltung wurde 1933 auf Betreiben von Hermann Göring aus der Landeswirtschaftsverwaltung herausgelöst und wurde eine selbständige Behörde. Das Landesforstamt für den Gau Ostpreußen mit den Außenstellen Allenstein, zusammen mit 65 Forstämtern und Gumbinnen mit 26 Forstämtern leitete ein Landesforstmeister. Dem Landesforstmeister Graf Finck von Finckenstein unterstanden im Ostpreußen auch die 38 Kreisjägermeister. 1934 wurde die Bezeichnung „Oberförster“ abgeschafft und durch „Forstmeister“ ersetzt.
Die Staatsjagdreviere Rominter Heide mit fünf Forstämtern und Elchwald mit elf Forstämtern bilden zwei eigene Oberforstämter. Zum 1. Dezember 1936 veranlasste Ulrich Scherping, Leiter des Jagdamtes in Berlin, daß Walter Freverts in die Rominter Heide versetz wurde, wo er zunächst das Forstamt Nassawen leitete und ab 1. April 1938 zusätzlich Forstinspektionsbeamter für die anderen vier Forstämter der Rominter Heide wurde. Mit Wirkung zum 16. Dezember 1938 wurde Frevert zum Oberforstmeister befördert.
Die Entwicklung der wirtschaftlichen Forstwirtschaft und der Aufbau von repräsentativen Wildhege waren für ihn allerdings Nebenaufgaben. Frevert hegte aber besonders starke Hirsche und Auerhähne, die den hochrangigen Jagdgästen je nach Status zur Jagd freigegeben wurden. Die starken Trophäen aus der Rominter Heide waren aber nur bedingt ein Hegeerfolg, sondern vor allem das Produkt einer übermäßigen Wildfütterung, was auf Grund der angespannten Lage der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung auf Behördenkritik stieß. Die Art und der Umfang der Fütterung in den Staatsjagden führten 1942/43 zum sogenannten „Haferkrieg“, weil Generalforstmeister Friedrich Alpers, Staatssekretär im Reichsforstamt, eine überzogene Fütterung des Wildes mit Hafer in der Kriegszeit für unverantwortlich hielt. Im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen dem Reichsforstamt und dem Reichsjagdamt wurde Oberstjägermeister Scherping vorübergehend vom Amt suspendiert.
Quellen: https://wildundhund.de/walter-frevert-der-macht-verfallen/ und https://de.wikipedia.org/wiki/Haferkrieg
Zu Freverts Hauptaufgaben in Rominten gehörte die Betreuung der Jagdgäste von Reichsjägermeister Hermann Göring. Damit sollten persönliche, militärische und politisch relevanter Netzwerke durch die Jagd entstehen und gepflegt werden. Göring nutzte den Jagdhof neben der Jagd auch für informelle politische Besprechungen mit ausländischen Gästen für seine „Nebenaußenpolitik“. Er empfing hier Gäste wie Zar Boris III. von Bulgarien, den polnischen Botschafter Josef Lipski oder dessen britischen Kollegen Sir Nevile Henderson, die von Frevert besonders persönlich betreut und umsorgt wurden. Das galt auch für hohe Partei- und Militärangehörige.
Quelle: Richard Overy: Hermann Göring. Machtgier und Eitelkeit.
Frevert war während des Zweiten Weltkriegs in Kriegsverbrechen im Umfeld des Urwalds von Białowieża in Polen verwickelt. Auf Görings Befehl erweiterte Frevert 1941 das Reichsnaturschutzgebiet der Rominter Heide im Südosten um zunächst rund 20.000 ha großes Gebiet auf dem eroberten polnischem Territorium. Zur Einrichtung des sogenannten Forstamtes „Adlerfelde“ wurden die Bewohner der zehn betroffenen Dörfern kurzerhand ins Generalgouvernement ausgesiedelt. Als Göring im Frühling 1941 den weiteren Befehl erteilte, die reservierte Fläche im Kerngebiet des eroberten „Urwalds“ um 100.000 auf 260.000 Hektar zu vergrößern und zunächst als Reichsjagdgebiet, später dann als reguläres Staatsjagdrevier einzurichten, wurden die dort vorhandenen ausnahmslos in Holzbauweise errichteten Dörfer einfach niedergebrannt. Allein vom 24. bis 31. Juli 1941 wurden auf diese Weise 34 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und über 7.000 Menschen vertrieben.
Göring ordnete im Juli 1941 an, das Waldgebiet von „Juden“ und „Partisanen“ zu „säubern“. Das Polizeibataillon 322, das Frevert zur Ausführung dieser Aktionen unmittelbar unterstand, erschoss im Zuge eines Sonderauftrages auf Befehl des Höheren SS- und Polizeiführers Erich von dem Bach-Zelewski vom 23. Juli bis 21. August 1941 sämtliche männlichen Juden in dem Gebiet – die Zahl der Todesopfer wird mit mindestens 584 angegeben. Die übrigen jüdischen Einwohner, meist Frauen und Kinder, wurden in das Ghetto von Kobryn in der Nähe von Brest-Litovsk deportiert.
Quelle: Walter Frevert – Wikipedia
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Frevert für das Staats- und Repräsentationsjagdgebiet Kaltenbronn im nördlichen Schwarzwald zuständig. Hier setzte er seine bereits in Rominten gepflegte "Jagddiplomatie" nunmehr im Interesse des neu gegründeten Landes Baden-Württemberg fort. Frevert starb 1962 auf der Jagd. Die Umstände sorgten für öffentliche Diskussionen.
Es gab aber auch "normale" Jäger in Ostpreußen. Der bürgerliche Gastwirt Fritz Lerdon aus Lindenhöhe hatte sich in Paducken eine Jagd für 10 Jahre gepachtet. Dort ließ er eine Jagdhütte mit einer Grundfläche von 20 qm errichten. Dabei wurden für die Veranda auch alte Eisenbahnschwellen eingesetzt, die für die Kinder entsetzlich nach Karbon rochen - dem Wild aber erstaunlicherweise wohl nichts ausmachten, es wurde im Winter in der Nähe der Hütte erfolgreich gefüttert.
Die Pacht betrug jährlich 500 Reichsmark. Geregelt wurde auch die Haftung für Wildschäden, wenn zum Beispiel Wildschwein-Rotten großflächig Weideland und Felder umgruben.
Im Herbst fanden regelmäßig kleinere Treibjagden statt, zu denen Verwandte und Bekannte eingeladen wurden. Mit Hilfe der Dorfjugend wurden die Treiber gestellt, die dann abends mit Speis, Trank und Tanz im Gasthaus bewirtet wurden. Die Wild-Strecke einer solchen Treibjagt betrug etwa 20 Hasen. Die geschossenen Hasen wurden vom Kutscher mit dem Pferdefuhrwerk nach Hause geholt und auf dem Dachboden zum Abhängen aufgereiht.
Das Rotwild wurde geschont. Städtische Jäger ohne eigenes Jagd Land bezahlten für einen Hirschabschuss auf dem Pachtland eine stattliche Prämie.
Soldatengrab aus dem 1. Weltkrieg
Nach Christopher Clark schlitterte die europäischen Mächte wie die Schlafwandler in den 1. Weltkrieg. Das Deutsche Reich war auf den Krieg z. B. weder finanziell von ernährungstechnisch vorbereitet. Quelle: Christopher Clark, Die Schlafwandler
Kriegsanleihen für den 1. Weltkrieg
Während des Krieges wurden neun Kriegsanleihen aufgelegt, die mit einem enormen Propagandaaufwand insgesamt einen Erlös von 97 Milliarden Reichsmark einbrachten und etwa 60 % der deutschen Kriegskosten deckten. Da der Reichstag Kriegskredite in Höhe von insgesamt über 160 Milliarden Reichsmark bewilligte und der Geldumlauf entsprechend ausgeweitet wurde, waren dies volkswirtschaftlich betrachtet allerdings "Kriegsanleihewunder aus der Notenpresse" (Adolf Lampe). Und insbesondere in der zweiten Kriegshälfte wuchs die durch Kriegsanleihen nicht gedeckte Reichsschuld rapide auf weit über 50 Milliarden an. Zugleich trieb der steigende Geldumlauf (ca. 30 Milliarden Reichsmark im Jahre 1918 gegenüber sieben Milliarden vor Kriegsbeginn) die Inflation in wachsende Höhen und bestärkte darüber hinaus die Entwicklung des hochinflationären Schwarzen Marktes Es wird berichtet, dass August Herrmann Tuttlies, geb. 1866 und Besitzer beim Bürgermeister in Willschicken eine Kriegsanleihe von 100 RM zeichnete. Den erhaltenen kleinen Kupon soll er immer stolz seinen Enkeln gezeigt haben. "Meine kleine Treuekarte für den Wilhelm". Die langfristigen Anleihen des Deutschen Reichs waren bis 1. April 1925 unkündbar. Trotz des für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieges war die Tilgung der Anleihen dem Staat durch den hyperinflationären Wertverlust der Mark von 1914 bis 1924 ohne Schwierigkeiten möglich. Die Zeichner der Kriegsanleihen erhielten praktisch keinen Wert zurück, ihr dem Staat geliehenes Geld war verloren.
Ernährung während des 1. Weltkrieges
Die Agrarwirtschaft war auch in Ostpreußen 1914 auf einen längerdauernden Weltkrieg auch nicht eingestellt. Ihr größter Erfolg bestand darin, dass trotz Abschnürung vom Weltmarkt und entsetzliche Hungernot das knappe Überleben der verarmten Bevölkerung ermöglicht wurde.
Die Verwaltung konnte die reguläre Ernährung der Bevölkerung nicht sicherstellen. Das Kaiserreich war vor 1914 der weltweit größte Importeur von Agrarprodukten, die 38 % seiner Einfuhren ausmachten. Ein Drittel seines Bedarfs an Lebensmittel wurde im Ausland gekauft. Der freie Handel mit landwirtschaftlichen Produkten wurde nach Kriegsbeginn mit dem Ausland eingestellt. Dazu kam, dass die deutsche Agrarproduktion während des Krieges insgesamt um mehr als ein Drittel zurückging, die Viehproduktion um 40 %, die Getreideproduktion um 36 % und die Kartoffelproduktion um 35 %. Die Gründe waren vielfältig.
Verantwortlich für den starken Produktivitätsrückgang in der Landwirtschaft waren u.a. die Beschlagnahmung einer Million Pferde als Zugtiere für die Armee. Bei den Kleinbauern spannten sich, wie nach der Bauernbefreiung, die zu Hause gebliebenen Menschen selbst vor den Pflug. Die Kartoffelproduktion sank im Deutschen Reich von 52 Millionen Tonnen (1913) auf 29 Millionen Tonnen (1918), und der Getreideertrag fiel von 27,1 Millionen Tonnen (1914) auf 17,3 Millionen Tonnen (1918).
Die Flächen des Ackerlandes schrumpften, weil Arbeitskräfte und Arbeitspferde fehlten. Maschinen und Geräte konnten weder gekauft noch repariert werden. Die Fruchtbarkeit des bestellen Kulturbodens sank wegen des Mangels an fachgerechter Bearbeitung und der hohen Kosten von Saatgut und Düngemittel ab. Es wurde nicht ausreichend gepflügt, weniger ausgesät und kaum gedüngt. Viel Ackerboden wurde in Weideland umgewandelt, da die Fleischpreise stiegen. Mit dem Kriegsernährungsamt (KEA) entstand eine wenig wirksame Behörde.
Schon mit der Mobilisierung wurden den landwirtschaftlichen Betrieben im Sommer 1914 viele ihrer leistungsfähigsten Arbeitskräfte zur Erntezeit entzogen. Bis 1918 wurden etwa 600.000 ostpreußische Männer zum Kriegsdienst eingezogen. Frauen und Kinder sowie die vor allem auf den ostpreußischen Gütern eingesetzten polnischen Wanderarbeiter, zu denen im weiteren Kriegsverlauf immer mehr Kriegsgefangene kamen, konnten die Arbeitskraft der eingezogenen Männer aber zu keinem Zeitpunkt vollwertig ersetzen und den deutlichen Einbruch bei der Nahrungsmittelproduktion verhindern. 1918 waren zwar insgesamt 700.000 zwangsverpflichtet und deportierte Landarbeiter im Einsatz. Sie konnten aber die 600.000 eingezogenen Männer aus Ostpreußen nicht ersetzten. Den "eingesetzten" Landarbeiter fehlte die Motivation, in der Regel die landwirtschaftlichen Kenntnisse und beklagten schlechte Unterkunft und mangelnde Verpflegung. Besonders Ostpreußen mit seiner Dominanz der Landwirtschat, litt besonders unter den aufgeschriebenen Mängeln.
Die staatlich eingerichteten Einkaufstellen kaufen z. B. das Getreide ab Oktober 1914 nur noch zu festgesetzten Höchstpreisen auf, andere landwirtschaftlicher Güter wie Kartoffeln folgten. Als die Ernteerträge 1915 um fast 20 Prozent unter denen des Vorjahres blieben, wurden nach und nach für fast alle landwirtschaftlichen Produkte Höchstpreise eingeführt. Durch den festgelegten Preis sollte ein geringerer Verbrauch und eine längere Streckung der Vorräte erreicht werden, was aber misslang. Die Versorgungslage wurde stetig schlechter. Die Höchstpreisfestsetzungen wurden von der Großagrariern als "politische Kontrollen" bekämpft und teilweise umgangen, in einigen Landkreisen konnte zu den festgelegten Preisen nicht ertrag bringend gewirtschaftet werden.
Durch den einsetzenden Schwarzmarkt konnte zwar die Verkappung zum Teil umgangen werden, aber nur wer genügend Geld besaß, konnte sich dort dauerhaft versorgen - dies waren schätzungsweise nur 7 % der Bevölkerung. Der große Teil der städtischen Bewohner bediente sich auf dem Schwarzen Markt wegen fehlender Mittel nur sehr sporadisch. Es fehlten auch die Transportmittel, um Hamsterfahrten auf das Land zu organisieren. Es wird auch berichtet, dass in einigen großbürgerlichen Haushalten (schwarz) eingekaufte Lebensmittel zu überhöhten Preisen an die Dienerschaft weiterverkauft wurden. Hans-Ulrich Wehler vermerkt: "Im Grunde war der Krieg im Frühjahr 1916 ernährungstechnisch verloren. Nur mit einer gewaltigen Überdehnung, nur mit dem Auslaugen aller Kräfte um den Preis einer zunehmenden Unterernährung und des Hundertodes wurden die folgenden zweieinhalb Jahre in einer anhaltenden Zerreißprobe überstanden."
Auf dem Lande wurden in Ostpreußen die staatlich Steuerungsmaßnahmen von den Großagrarier systematisch unterlaufen, da sie wegen der Lebensmittelknappheit durch den Schwarzhandel prächtig verdienen konnten. Die regional verordneten Höchstpreise der Einkaufsstellen in den Regierungsbezirken von Ostpreußen waren unterschiedlich - abhängig von der Bodenqualität. Aber nicht immer konnten die Produktionskosten auf den Höfen gedeckten wurden. Daraufhin wurden Ernten verheimlicht und versteckt oder illegal verkauft. Aus Angst vor Beschlagnahmungen oder um höhere Preise zu erzielen, wurden die tatsächlichen Futtervorräte von den Bauern vielfach niedriger angegeben, als sie wirklich waren. Da man mit Fleisch höhere Gewinne machen konnte, wurden die verheimlichten Kartoffeln an die Schweine verfüttert. Die offizielle Futterkartoffelerhebung durch die Landräte Ende 1914 unterschätzte daher den tatsächlichen Vorrat. Da man die zur Schweinemast benötigten Kartoffel- und Getreidebestände alternativ auch direkt zur Versorgung der Bevölkerung einsetzen konnte, wurde die Schlachtung von fünf Millionen Schweinen angeordnet.1916 wurde das Verfüttern von Kartoffeln an Schweine verboten. Daraufhin kam es auf den Höfen zu verschärften Kontrollen, Hofdurchsuchungen und Beschlagnahmungen, was zu empörten Reaktionen der Lobby der Großagrarier führte, sie sprach vom "staatliche Schweinemord".
Wieder einmal spielten zahlreicht Landräte in Ostpreußen eine ominöse Rolle. Nachdem sie auch in den Friedensjahrzehnten bei der Steuerschätzung der Rittergüter durch ihre minimalen Wertangaben als korrupt erwiesen hatten, setzten sie sich jetzt für ein Mindestmaß an Kontrollen ein, dagegen für hohe Preise beim Schlachtvieh und manipulierten die Zahlen der Arbeitskräftebedarfe aufgrund der Einberufungen nach oben, später wurden sogar vielfach die Erntestatistiken z. B. für Kartoffeln frisiert. Hans-Ulrich Wehler geht davon aus, dass der Oberpräsident in Königsberg von den Manipulationen der Landräte wusste, aber nicht eingriff. Die Landräte waren auch Vorgesetze der Ortspolizei. Die vom Kriegsernährungsamt (KEA) angeordneten und von der Ortspolizei durchgeführten Kontrollen der Höfe wurden häufig - siehe oben - von den Landräten manipuliert. Wesentlich war aber, auch in Ostpreußen der bestimmende Einfluss des Militärs auf die örtliche Verwaltung, an der Spitze der ostpreußische Großagrarier von Hindenburg, der eine "Minderung der Bauerstandes durch die Zivilisten" beklagte. Aufgrund der Herkunft der Offiziere in Ostpreußen, überwiegend aus dem Milieu der Gutsbesitzer, gab es hier eine eindeutige Interessenlage.
Das 1916 eingerichtete Kriegsernährungsamt (KEA) konnte kaum Abhilfe schaffen, da es nur unzureichende Befugnisse hatte. Wolfgang Kapp, der ostpreußische Generallandschaftsdirektor attackierte dennoch das Amt als "höchst unerfreulichen Staatssozialismus". Das KEA war nur für die Zivilbevölkerung zuständig, die Armee organisierte ihre Versorgung durch die örtlichen Armee Inspektionen und stand in zur Konkurrenz zum KEA, da sie bei Bedarf auch höhere Abnehmerpreise "im Interesse unseres Kaisers" zahlen konnte.
Die Leidtragenden dieser verfehlten Politik waren die Masse der städtischen Konsumenten. Die offiziellen Lebensmittel-Rationen deckten allenfalls 50 – 60 % des Kalorienbedarfs bei mittler Arbeitsbelastung. Dabei ging man von einem Tagesbedarf von ca. 2570 Kalorien aus. Seit 1915/16 waren jedoch nur noch ca. 1000 Kalorien verfügbar.
Bis 1918 haben Erwachsene in den Städten ca. 20 % ihres Körpergewichtes verloren. In Deutschland wurde im Ersten Weltkrieg am 25. Januar 1915 zunächst Brot rationiert, später auch Milch, Fett, Eier und andere Nahrungsmittel. Es wurden in den Städten Lebensmittelkarten ausgegeben. Oft wurden den Bürgern Lebensmittel zugewiesen, die gar nicht vorhanden waren; viele ausgegebene Lebensmittelkarten blieben Makulatur. In einigen Städten, so auch in Gumbinnen kam es zu Hungerunruhen. Aus Angst vor der Ausbreitung der Krawalle wurde vielfach die Armee eingesetzt. In Gumbinnen gab so es zwei Tote. In Königsberg gab es im Mai 1917 Hungerunruhen, bei denen Bäckerläden gestürmt und geplündert wurden.
Ein riesiger Schwarzmarkt blühte auf, von dem eindeutig nur die wohlhabende Bevölkerung profitierte. Etwa 30 – 50 % aller verfügbaren Lebensmittel im Deutschen Reich wanderten auf die schwarzen Märkte. 1917 etwa verschwanden rund 300 000 Stück Rindvieh und rund eine Million Schweine nach dem regulären Ankauf durch die staatlichen Verteilungsstellen in den Kanälen den Schwarzen Markts. Darunter häufig auch die währende der Kontrollen auf den Höfen beschlagnahmten Tiere. Dabei entstanden informelle Kartelle zwischen Gutsbesitzern, Verwaltungsbeamten und Händlern, die von den Landräten geduldet wurden. Teile des "Geldadels" in Ostpreußen erzielten aber trotz der veranlassten staatlichen Preisgrenzen für die erzeugte Produkte auf dem Lande und der Rationalisierung der Lebensmittel in den Städten bis 1918 beträchtliche (illegale) Finanzgewinne. Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte, Band 3
Neben der städtischen Bevölkerung waren auch die Kleinbauern auf dem Land die wirtschaftlichen Verlierer. Sie konnten sich zwar hinreichend ernähren, konnten aber nicht wie ihre Gutsnachbaren und Großbauern die Schwierigkeiten bei der Bewirtschaftung ihrer Höfe intern ausgleichen und auf die veränderten Bedingungen des regulierten Marktes reagieren. Die Güter und Großbauern konnten einen Wechsel in der Tierhaltung, Anbauart und den Nutzpflanzen vornehmen. Sie legten Flächen still oder wandelten Acker- in Weideland um, da die Fleischproduktion höhere Gewinne versprach. Bei vorhandenen Wäldern kam es zu einem verstärkten Holzeinschlag. Wesentlich war aber die Möglichkeit, bei Bedarf, die verstärkte Einstellung von polnischen Landarbeitern. Gerne wurden bei gleicher Arbeit auch Frauen eingestellt, da sie geringer bezahlt werden konnten. Die Güter und Großbauern konnten durch gezielt angebaute Produkte auf dem Schwarzmarkt in genügenden Mengen attraktive Angebote machen. Die Kleinbauern betrieben zwar eine kleine Monokultur z. B. mit einer Kuh und zwei Schweinen, konnten aber dem Schwarzmarkt nicht genügende Produkte anbieten, da diese hauptsächlich zum Eigenverbrauch angebaut wurden. Es gab lediglich im kleinen Rahmen, einen örtlichen Tauschhandel. Die Kleinbauern waren auch durch die Einberufung ihrer Männer besonders betroffen.
Im "Steckrübenwinter" 1916/17 konnte selbst der errechnete Mindestbedarf an Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung in Deutschland nicht gedeckt werden, die allgemeine Lebensmittelknappheit schlug in eine regelrechte Hungersnot um. Da die Kartoffelernte nicht ausreichte, war der staatlich angewiesene Nahrungsersatz die Steckrübe. Durch ihren hohen Wassergehalt enthalten sie aber nur wenig Nahrungsenergie. In Deutschland starben von 1914 bis 1918 etwa 800.000 Menschen an den Folgen von Unterernährung. In Willschicken, erinnert Ferdinand Tuttlies, sprach man von de arm Röbenfretr. Im Kirchspiel Aulowönen wurden dagegen von einigen Rittergutsbesitzern Schlachtvieh zu Höchstpreisen schwarz gehandelt. Es wurde zum Tagesgespräch im Gasthof. Wer got schmert, de got färt.
Die Unterschiede zwischen Land und Stadt war lt. Kapp angeblich das Ergebnis einer „politisch gewollten Benachteiligung des Landes“, da die rentablen Landwirte gerne mehr produzierte hätten, aber durch die festgelegten Preise des „Agrarbolschewismus“ zu niedriger Produktion gezwungen waren. Die "private deutsche Landwirtschaft muss dagegen immer ein massives Gegengewicht zur sozialdemokratischen Vergesellschaftung bleiben, damit wir den Krieg gewinnen".
Deutsches Militär in Ostpreußen während des 1. Weltkrieges
Zu Beginn des Ersten Weltkrieges war Helmuth von Moltke Generalstabschef im Deutschen Reich. Er musste jedoch nach der gescheiterten deutschen Offensive an der Marne in Frankreich (5. bis 12. September 1914) und damit des Schlieffen-Planes insgesamt, abtreten. Sein Nachfolger wurde der preußische Kriegsminister, Erich von Falkenhayn . Doch auch sein Konzept der Abnutzungsschlacht, wie es bei der Schlacht um Verdun zum Einsatz kam, scheiterte. Die dritte und letzte Oberste Heeresleitung (OHL) wurde ab August 1916 vom Generalfeldmarschall und späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und dessen Chef des Stabes, Erich Ludendorff, angeführt. Hindenburg war Sieger von Tannenberg und Befreier von Ostpreußen überaus populären. Während Hindenburg sich vor allem für die "Öffentlichkeitsarbeit" zuständig sah, wurde die eigentlich Arbeit von Ludendorff im Hintergrund geleistet. Die Macht der 3. OHL ging so weit, dass das Deutsche Reich 1917 und 1918 Züge einer Militärdiktatur trug, der sich der Kaiser unterordnete. Militärisch wurde der 1. Weltkrieg im Westen verloren. Mit der Unterzeichnung des Versailler Vertrags verlor die OHL als Institution ihre äußere Existenzberechtigung. Hindenburg trat am 25. Juni 1919 zurück, am 3. Juli 1919 folgte die Auflösung der OHL. Vor dem Untersuchungsausschuss für die Schuldfragen des Ersten Weltkrieges der Weimarer Nationalversammlung verbreitete von Hindenburg am 18. November 1919 die Dolchstoßlegende.
Bei der deutschen Mobilmachung am 2. August 1914 entstanden aus den acht Armee-Inspektionen die Armeen 1 bis 8. Von diesen wurde die 8. Armee zum Schutz Ostpreußens eingesetzt, die übrigen sieben Armeen marschierten an der Westgrenze auf. Die deutsche 8. Armee (3 Armeekorps und 1 Reservekorps) unter Führung von Generaloberst von Prittwitz hatte zu Kriegsbeginn 9. Infanterie- 2 Landwehr- und 1 Kavallerie-Division. Zusammen mit den Landwehrbrigaden und Garnisonen rund 220.000 Mann. Anfang September wurde die 8. Armee mit zwei Korps und einer Kavalleriedivision (insgesamt etwa 80.000 Mann) verstärkt. Mitte August begann der Angriff der russischen Truppen mit dem Ziel, die deutsche 8. Armee in Ostpreußen zu umfassen und zu vernichten. Dadurch sollte die Westfront entlastet werden. Die russische Nordwestfront konzentrierte Mitte August gegen Ostpreußen etwa 22 Infanterie- und 8½ Kavalleriedivisionen, zusammen etwa 420.000 Soldaten. Die 1. russische Armee drang bereits am 17. August 1914 auf einer Breite von 40 km zwischen Wischtynjez und Schirwindt (nördlich der Rominter Heide) in Ostpreußen ein. Die 2. russische Armee zog am 20. August in Masuren ein.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Maximilian „Max“ Wilhelm Gustav Moritz von Prittwitz und Gaffron Oberbefehlshaber der 8. Armee an der Ostfront und führte sie vom 19. bis zum 20. August 1914 in der Schlacht bei Gumbinnen. Als Meldungen eintrafen, dass die russische 2. Armee (Samsonow) die Südgrenze westlich der Masurischen Seen überschritten hatte, ließ von Prittwitz die Schlacht abbrechen und befahl den Rückzug hinter die Weichsel. Die Räumung von Ostpreußen war in der OHL nur als "theoretische Option" diskutiert worden. Daraufhin wurde von Prittwitz am 22. August durch Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff abgelöst und zur Disposition gestellt. Die von beiden geführte Schlacht bei Tannenberg Ende August 1914 beruhte noch auf dem Operationsplan des Generaloberst von Prittwitz und sein Chef des Stabes, Generalmajor Georg von Waldersee.
In Tannenberg gelang deutschen Truppen die Einschließung und weitgehende Vernichtung der russischen 2. Armee (Narew-Armee) unter General Alexander Samsonow. Vom 6. bis 9. September 1915 folgte die Schlacht an den Masurischen Seen, die mit der Niederlage der russischen 1. Armee (Njemen-Armee) unter General Paul von Rennenkampff endete. Die russischen Truppen räumten daraufhin den größten Teil Ostpreußens.
In der kaisertreuen Presse wurde Paul von Hindenburg als Sieger von Tannenberg und Befreier von Ostpreußen gefeiert. Der Sieg über die Narew-Armee war für Hindenburg in zweierlei Hinsicht von entscheidender Bedeutung. Zum einen war er der Beginn der engen Zusammenarbeit mit Ludendorff, dessen strategischem Geschick der Sieg in erster Linie zu verdanken war – Hindenburg selbst traf kaum Entscheidungen und erwähnte wiederholt, dass er während der Schlacht sehr gut geschlafen habe. Zum anderen begründete der Sieg Hindenburgs sein ganz außerordentliches Prestige in der Bevölkerung, das half, ihn im weiteren Verlauf des Krieges zum mächtigsten Mann in Deutschland zu machen. An seinem politischen Mythos, der sich um seine Person und den Sieg ranken sollte, arbeitete er selbst aktiv mit. Anfänglich in den deutschen Medien als „Schlacht bei Allenstein“ bezeichnet, wurde sie auf Wunsch Paul von Hindenburgs kurze Zeit danach offiziell zu Propagandazwecken in Schlacht bei Tannenberg umbenannt. Vom Kampfgeschehen war der Ort Tannenberg nur am Rande betroffenen.
Karte: Schlacht bei Gumbinnen 19.-20. August 1914 [304]
Karte: Schlacht bei Tannenberg 23.-31. August 1914 [305]
Karte: Schlacht bei den Masurischen Seen 6.- 9. September 1915[306]
In der eigentlichen Schlacht bei Tannenberg (Polnisch: Schlacht bei Grunwald) hatte 1410 ein polnisch-litauisches Heer den Deutschen Orden vernichtend geschlagen. Dies war nach Ansicht des Kaisers und erzkonservativer Kreise eine „historische Scharte“, die der auf seine Wirkung in der Öffentlichkeit bedachte Hindenburg, durch die falsche Namensgebung Tannenberg versuchte auszuwetzen, um die Niederlage der Ritter des Deutschen Ordens gegen die Polnisch-Litauische Union 1410 überstrahlen zu lassen. Das Tannenberg-Denkmal (offiziell Tannenberg-Nationaldenkmal, ab 1935 Reichsehrenmal Tannenberg) wurde auf Mitveranlassung von Hindenburg, von 1924 bis 1927 bei Hohenstein und mit Unterstützung durch den "Tannenbergbund", einem völkischen Verein, im heutigen polnischen Olsztynek, in der Provinz Ostpreußen errichtet. Pioniere der Wehrmacht sprengten das Denkmal im Januar 1945 vor der anrückenden Roten Armee. Von 1934 bis 1945 standen die Särge Paul von Hindenburgs und seiner Frau Gertrud in einer Gruft im Hindenburgturm des Denkmals. Die Särge von Hindenburg und seiner Frau wurden 1945 von der Wehrmacht über Königsberg in ein thüringisches Salzbergwerk gebracht. Sie befinden sich heute in der Elisabethkirche in Marburg. Quelle: Schlacht bei Tannenberg (1914) – Wikipedia
In Ostpreußen wurde zu Kriegsbeginn das militärische Etappenwesen der deutschen Armee aktiviert. Im Ersten Weltkrieg wurde das unmittelbar hinter dem Operationsgebiet einer Armee, aber außerhalb der Reichweite feindlicher Artillerie liegende Gebiet bis zur Reichsgrenze zur Etappe erklärt. Das Etappenwesen unterstand dem Generalquartiermeister in der Obersten Heeresleitung (OHL), der auch die Grenzen zwischen dem Operationsgebiet und dem Etappengebiet festlegte. Jeder Militärbezirk hatte sein "eigenes" Etappenwesen. In Ostpreußen gab es zunächst den Militärbezirk I. Nach der Niederlage bei Gumbinnen und dem Auswechseln der Militärführung wurde zusätzliche der Militärbezirk XX. eingerichtet. Entsprechend der Militärbezirke wurden das Etappenwesen von I. bis XVIII. durchnummeriert.
Das Etappenwesen hatte die Aufgabe, die rückwärtigen Verbindungen des Heers (Etappenlinien) mit der Heimat zu erhalten und stand unter der zentralen Aufsicht des Generalinspekteurs des Etappen- und Eisenbahnwesens. Die militärische Etappenbehörden vor Ort in Ostpreußen war die Etappeninspektion ebenfalls unter Leitung des Generaloberst von Prittwitz, dem eine Anzahl lokaler Etappenkommandanten unterstellt waren.
Das Etappenwesen sorgte
- für Nachschub für alle Bedürfnisse des Heers,
- für Zuführung nach Verlusten von Mannschaften, Pferden und Material,
- für Etappenlazarette,
- für Unterbringung und Verpflegung der zu und von der Armee gehenden Personen und Pferde,
- für Brücken, Straßen, Telegraphen- und Postverbindungen,
- für Abstimmung mit dem Eisenbahnwesen,
- für Handhabung der öffentlichen Verwaltung auf feindlichem Gebiet.
Quelle: Kriegs-Etappenwesen – Wikipedia
Direkt nach der der Niederlage bei Gumbinnen, wurden von der ursprünglichen Etappeninspektion I. der deutschen Armee in Ostpreußen am 21. August 1914 der unbedachte und verhängnisvolle Befehl gegeben, alle Erntevorräte und alles Vieh in Ostpreußen westlich hinter die Weichsel zu schaffen. Die Folge war ein „endloser Strom von Flüchtlingen mit Wagen und Viehherden in Staub und Hitze, ein Zug von Hunderttausenden, wie ihn Europa seit Jahrhunderten kaum erlebt hatte". Quelle: Fried von Batocki, Klaus von der Groeben: Adolf von Batocki. Im Einsatz für Ostpreußen und das Reich. Ein Lebensbild
In Ostpreußen waren die Leistungen des Etappenwesens höchst umstritten, was auch mit dem Auswechseln der Armeespitzte zusammenhing. Nach dem der General von Prittwitz den Rückzug hinter die Weichsel angeordnet hatte, wurde er als bisherigen Befehlshaber durch Generalmajor Erich Ludendorff und Generaloberst Paul von Hindenburg ersetzt. An von Hindenburg ging auch die Befehlsgewalt über die Etappeninspektion der Bezirke I. und XX.
Die ergangenen Fluchtbefehle für die Zivilbevölkerung blieben aber zunächst bestehen - das angerichtete Chaos dauerte noch bis 1915.
Ostpreußen war auf eine Massenflucht der eigenen Bevölkerung in keinem Fall vorbereitet. Werder die Behörden noch das Militär besaßen entsprechende Planungen im Voraus. Das vorhandene Verkehrsnetz war nicht in der Lage die Massen der beiden Armeen und die Flüchtlinge zu bewältigen. Hinzu kamen Sperrungen oder Beschädigungen des Verkehrsnetzes. Königsberg und Danzig wurden als Zielorte festgelegt.
Besonders betroffen war der Landkreis Gumbinnen. Der größte Teil der Bevölkerung flüchtete nach Insterburg und teilweise weiter westwärts. Bei Bedarf sollte es von hier per Schiffe weitergehen Die auf dem Lande der Fluchtrouten liegenden Orte waren total überfüllt und hatten kaum Futter für die Tiere. Die Unterbringung in den Zielorten war oft noch schwieriger, vielfach wurden auf den Feldern kampiert. In Königsberg wurden Notquartiere für 50.000 Flüchtlinge geschafften. Vom 26. - 31. August wurden 12.000 Flüchtlinge sowie die Regierungshauptkasse mit Kähnen von Königsberg nach Danzig gebracht. Die Kühe wurden zu großen Herden gesammelt und westwärts getrieben. Häufig konnten sie nicht abgemolken werden. Die Menschen zogen, wenn noch Pferde vorhanden waren, mit bespannten Treckwagen oder zu Fuß los, manche nahmen auch ihre Ziegen und Hunde mit, das Geflügel wurde freigelassen. Ein Großteil der Pferde, Kühe und Schweine wurden aber von der Armee requiriert.
Die Quellen berichten von Kriegspsychose, Flucht und Vertreibung, Zerstörung, dem Zerfall bürgerlicher Ordnung und Normen in Ostpreußen. Geld wurde gehortet und die Kreise waren gezwungen Notgeld zu drucken, damit das Zahlungssystem nicht vollkommen zusammenbrach. Eine Art kollektiver Verfolgungswahn bemächtigte sich weiter Teile der ostpreußischen Bevölkerung: allerorts vermutete man Spione und Verrat. Alles war verdächtig, dem Feind zu dienen, selbst die sich drehenden Windmühlen (als Markierungsziel für feindliche Artillerie!) und das Gebrüll von Tieren wurden als Zeichen des Verrats gedeutet. Quelle: Gerhard Bauer Quellen zur Alltagsgeschichte in Preußisch-Litauen Teil 2: 19. - 20. Jahrhundert
Es gab aber auch Plünderungen von Teilen der russischen Soldaten, abhängig von den Moralvorstellungen der örtlichen Kommandeure. Besonders schlimm plünderten aber einheimischen Banden, häufig Jugendliche vor Ort - die, wurden sie von der verbleibenden Polizei gefasst, damit drohten, die russische Armee zu benachrichtigen. Die Jugendlichen wussten auch über die örtlichen Gelegenheiten gut Bescheid, wer hatte den größten Weinkeller und wer besaß das umfangreichste Silberbesteck hatte. Die einheimischen Plünderer kamen aber kaum in die örtliche Presse, die fast ausschließlich von russischen Plünderungen berichteten.
Die Frontlinien durchzogen Teile von Ostpreußen zweimal. Die Ernten der Jahre 1914 und teilweise 1915 war vernichtet oder von russischen und deutschen Truppen requiriert worden. Nach dem endgültigen Russenabzug kehrten die geschwächten Menschen und das stark reduzierte Vieh wieder nach Hause zurück.
Zahlreiche Höfe waren abgebrannte, viele Wohnungen verwüstet. 39 Städte und 1.900 Dörfer wurden zu mehr als 50% zerstört, 40.000 Gebäude verbrannt und weitere 60.000 beschädigt, überwiegend in den Regierungsbezirken Gumbinnen (18.700 Gebäude) und Allenstein (12.900 Gebäude).
Die Wiederaufbaukosten wurden auf 300 bis 350 Millionen Goldmark geschätzt.
Infolge des Verlustes von 135.000 Pferden, 250.000 Kühen und 200.000 Schweinen war die Versorgungslage katastrophal. Besonders die Verluste der wertvollen Viehbestände an Rinder konnten erst ab 1935 behoben werden. Der Pferdebestand war durch den Krieg deutlich reduziert, konnte aber zum Teil durch die beginnende Motorisierung ausgeglichen werden.
Die ausgefahrenen Straßen, zerstörten Bahnlinien und kaputten Brücken behinderten den Verkehr noch lange. Bis 1918 wurden etwa 600.000 ostpreußische Männer zum Kriegsdienst eingezogen, mit enormen Auswirkungen auf die Erträge in der Landwirtschaft und das soziale Leben in den Familien.
Die Zahl der in Ostpreußen rotierenden Flüchtlinge wird bei der ersten Kriegswelle auf etwa 500.000 geschätzt, bei der zweiten auf etwa 350.000. In einigen Gegenden mußten manche Familien sogar zweimal fliehen.
In den Jahren von 1915 bis 1920 verließen etwa 150.000 Menschen Ostpreußen endgültig, aufgrund von Kriegsschäden und aus Arbeitsmangel.
Noch während des Krieges wurden überall im Reich von privater, kommunaler und nationaler Seite umfangreiche Hilfsaktionen für das zerstörte Ostpreußen und den dort lebenden Menschen gestartet, die bis in die dreißiger Jahre andauerten.
Die Ostpreußenhilfe wurde im Ersten Weltkrieg nach einem Aufruf des ehemaligen ostpreußischen Landrates des Kreises Gumbinnen Bernd von Lüdinghausen vom 16. März 1915 gegründet. Die Ostpreußenhilfe bildete die Basis für die spätere, auf das ostelbische Deutschland ausgeweitete Osthilfe. 61 Hilfsvereine hatten sich deutschlandweit in dieser Zeit zur „Ostpreußenhilfe“ zusammengeschlossen und die Patenschaft über einen kriegszerstörten Landkreis oder eine Stadt übernommen.
Die von Wilhelm II schon 1914 ausgerufene "Ostpreußische Kriegshilfe" verfügte kaum über Mittel und diente mehr der Propaganda. Quelle: Andreas Kossert, Ostpreußen Geschichte und Mythos.
Russische Besetzung von Insterburg während des 1. Weltkrieges
Der Landkreis und die die Stadt Insterburg war vom 24. August bis zum 11. September 1914 von der russischen Armee besetzt. In Insterburg wurde der praktische Arzt und das unbesoldete Magistratsmitglied, Stadtrat Max Bierfreund von dem Befehlshaber der 1. Russischen Armee General von Rennenkampf als Gouverneur eingesetzt. Der bisherige Landrat Adolf Overweg, der Oberbürgermeister Gustav Kirchhoff und ein Großteil der verantwortlichen Beamten waren unter Mitnahme der Finanzkasse bereits geflohen.
Die Gebäude- und Personenschäden waren dank Bierfreund in Insterburg wesentlich geringer als die in der Nachbarstadt Gumbinnen, in deren Nähe allerdings auch die Schlacht von Gumbinnen von 19. bis 20. August 1914 stattfand, die mit einer deutschen Niederlage endete.
„Daß es den zurückgebliebenen Bewohnern in allgemeinen glimpflich erging, verdanken sie in erster Linie der Tatkraft und der Besonnenheit des von der russischen Militärbehörde eingesetzten deutschen Gouverneurs Dr. Bierfreund.
Er war zugleich praktischer Arzt. Zudem waren die hier durchziehenden oder einquartierten Verbände Elitetruppen, unten denen sich auch viele Deutsche aus den ehemaligen Ostprovinzen befanden.
Als Gewähr für die friedliche Haltung der Bevölkerung waren aus der Bürgerschaft drei Geiseln zu stellen, die nach 24 Stunden von drei anderen abgelöst werden mussten. Später wurde ihre Zahl auf 18 erhöht.
Anstelle der aufgelösten Polizei trat eine Bürgerwehr.
Ihre Mitglieder übernahmen auch die Arbeit in den einzelnen Zweigen der städtischen Verwaltung, da die meisten Magistratsmitglieder und Beamten sich auf der Flucht befanden.
Auf Anordnung der russischen Militärbehörde mussten die Geschäfte der geflüchteten Gewerbebetreibenden geöffnet und der Verkauf unter Leitung der Bürgerwehr wieder aufgenommen werden.
Anfangs gezahlten die Russen die aus den Läden entnommenen Waren mit russischem Geld. Später kamen jedoch immer mehr Übergriffe vor. Die Eindringlinge bedrohten die Verkäufer mit dem Revolver, warfen ein paar Kopeken über den Ladentisch und gingen davon. “
Quellen: Wilhelm Obgartel, Die Kreise Insterburg Stadt und Land, besonders nach ihrer Landschaftsgliederung und ihrer Geschichte und invenio (bundesarchiv.de)
Nach dem Russenabzug erhielt am 21. September 1914 erhielt Max Bierfreund vom Regierungspräsidenten Gramsch folgende Mitteilung: "Mit dem Wiedereintritt des Oberbürgermeisters Kirchhoff in die Geschäfte, ist das Ihnen erteilte Kommissiorum erloschen." Quelle: Max Bierfreund, Meine Erlebnisse als Gouverneur von Insterburg während des Russeneinfalls (uni-tuebingen.de)
Willschicken im 1. Weltkrieg
Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies berichtete von den "Vertellchens" ihrer Mutter Berta Tuttlies, geb. Burba während der „Uhleflucht" auf der Bank vor dem Wohnhaus. Sie erinnerte sich noch an vieles aus dem 1. Weltkrieg, Teile hatte sie auch aufgeschrieben und die Briefe von Opa als Soldat aufbewahrt. Die Kinder hörten gespannt zu:
"Die gesamte Zeit während des 1. Weltkrieges war für alle sehr sorgenvoll. In Willschicken sind während der drei Wochen der russischen Besetzung aber keine Höfe abgebrannt, Gott sei Dank. Die eigentliche Front lagen etwas weiter weg, Richtung Gumbinnen. Aufgrund eines plötzlichen Befehles des deutschen Militärs sollten ab dem 20. August 1914 alle Bauern die Kriegsgebieten in Ostpreußen verlassen, Vieh und Ernten seien mitzunehmen. Der Befahl wurde am Bürgermeisterhaus von Soldaten angeschlagen. In Willschicken herrschte große Aufregung. Keiner war vorbereitet. Die beiden Gendarmen aus Aulowönen und der Bürgermeister wussten auch nicht weiter. Einige Willschicker machten sich auch tatsächlich auf den Weg. Alle Tuttliesen waren aber nach einer kurzen Beratung zu Hause geblieben, ohne die eingezogenen Männer wollte keiner weg. Bei den Burbas in Paducken sah das anders aus. Hier startete ein kleiner Treck. Das Vieh wurden den Nachbaren übergeben. In Insterburg waren aber schon die Russen einmarschiert. Allen großen Straßen wurden Ende August für die Durchfahrt von deutschen Flüchtlingen von der Zarenarmee gesperrt. Auch die Bauern in Willschicken durften ihre Höfe selber nicht mehr verlassen, was die Arbeit auf weiterliegenden Feldern unmöglich machte.
Einige Trecks, die in unserer Gegend noch unterwegs waren, konnten in Willschicken vorübergehend Unterschlupf finden. Die Flüchtlinge hatten zum Teil nicht mal ihre Ersparnisse mitnehmen können, aber das sind ja eh alles Polen, so wurde gesagt! Eigentlich waren sie aber Deutsche und ganz nett. Ihre Kinder spielten gern mit unseren. Bei unserem Nachbarn nahm nach der Einquartierung von Flüchtlingen die Zahl der Esser für drei Wochen um fast das Dreifache zu. Es wurde in dieser Zeit auch schon heimlich geschlachtet. Wir wurden ein russisches Sanitätshaus, weil nach einer Inspektion auf dem Hof alles sauber vorgefunden wurde, worauf wir ordentlich stolz waren. Wir selber mussten uns aber räumlich sehr einschränken. Außen wurde eine weiße Fahne mit einem roten Kreuz aufgehängt. Sie bot auch Schutz vor Übergriffen der russischen Soldaten. Die allermeisten verhielten sich aber ordentlich. Der Kommandeur soll wohl darauf geachtet haben, sagte man.
Aber, so hörte man auch, in anderen Dörfern wurden Höfe geplündert und niedergebrannt. So musste die Mutter von Gerhard Kiehl, mit ihrem Sohn als Baby im Kinderwagen aus ihrem Haus in Lindenhöhe Hals über Kopf über die Felder in eine Feldscheune fliehen. Russische Soldaten hatten versucht, die Gaststätte und den Laden anzustecken, da sie aufgrund eines Verbotes keinen Alkohol bekamen. Der Schaden war in Gaststätte und Laden aber überschaubar. Beide kamen vorübergehend bei Verwandten in der Nachbargemeinde Paducken unter. Die Gaststätte und der Laden wurde nach dem Russenabzug wieder hergerichtet.
Lange Soldatenkolonnen zogen Tag und Nacht über die Chaussee, nur die Offiziere hatte Reitpferde. Mache Soldaten erbaten sich von dem Sanitätshaus einen Schluck Wasser. Leider strullten danach einige auch in unseren Vorgarten oder rissen Blumen ab. Auf den Hof selber trauten sie sich nicht. Der Hofhund Lux war wachsam und fing an zu bellen. Einmal wurde Lux beinahe von einem russischen Soldaten beschossen, der hatte schon angelegt. Der Eindringling wurde aber schnell von den russischen Sanitätsleuten verscheucht. Das Hoftor sollte während der gesamten Kriegszeit auch tagsüber immer geschlossen bleiben. Unsere Kinder mussten das auch erst lernen. Unsere zwei Fahrräder hatten wir schon vor Kriegsbeginn auseinandergenommen und auf dem Boden versteckt. Die paar "Wertsachen", die wir hatten, hatten wir heimlich vergraben.
Die Zimmerbeleuchtung wurde im Sanitätshaus ausgestellt, außerdem war es Sommer. Das Petroleum war auch knapp und teuer. Der Laden in Lindenhöhe war ja ausgebrannt und nach Aulowöhnen traute sich keiner. Die kaputte Kleinbahn nach Insterburg wollten die Russen erst wieder aufbauen und suchten überall nach Arbeitsleuten. Die Schule in Lindenhöhe war ein Russenlager, das Kreishaus ein Russenkommando.
1914 soll der Kaiser in Insterburg dagewesen sein und der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch auch, so hörte man. Allerdings nicht beide zusammen, das wäre ja was geworden! Meine Mutter Berta Tuttlies musste immer lachen, wenn sie davon erzählte.
Aber die Nahrungs- und Futtermittel waren für alle knapp, da sie von der deutschen und auch von der russischen Armee eingezogen worden waren. Viel mitgeführtes Vieh musste notgeschlachtet werden und verdarb den Schwarzhändlern die Preise. Das Zufüttern der Kühe mit Roggen wurde verboten, der sollte für die Menschen sein. Auch die Kartoffeln wurden rationiert, daraufhin wurden sehr viele Schweine geschlachtet. 1914 haben aber unsere Obstbäume prächtig getragen. An eine normale Ernte auf den Feldern war aber nicht zu denken. Die beiden ältesten Söhne Max *1903 und Erich *1905 mussten auf dem Hof auch schon tüchtig mithelfen. Mitgeholfen hat auch der Nachbar Ludzuweit, der wegen eines Augenleidens nicht eingezogen wurde, aber auch die zahlreichen Mitglieder der Familien Tuttlies und Burba - genau wie Berta Tuttlies auch auf den anderen Höfen ausgeholfen hat. Bei Feldarbeiten wurden die übriggebliebenen Pferde zusammengespannt. Nicht alle Flächen konnten bearbeitet werden. Geerntet und gedroschen wurde die karge Ernte immer gemeinsam. Was wir von den Genossenschaften für das bisschen Ernte bekamen, wurde von der Behörde bestimmt - es war nicht viel, es war weniger als vor dem Krieg. Manches von der Ernte wurde auch zum heimlichen Verfüttern versteckt.
Aus den Familienverbänden der Tuttliesen, der Burbas und vertrauter Nachbaren entstand eine kleiner Ring zum Tauschen mit Lebensmitteln und anderen Sachen. Besonders begehrt waren auch die Kartoffeln von Berta Tuttlies, die auf einem versteckt liegenden Feld angebaut und dort auch eingemietet wurden. Leider wurden im Herbst die Wildschweine an der Kartoffelmiete manchmal zu zudringlich. Die Miete wurde dann mit Baumstämmen abgedeckt, was aber auch nicht immer half.
Auf den großen Höfen wurde nach dem Russenabzug viel schwarz gehandelt - besonders Schlachtviel brachte Geld. Aber nur wer "genoch Dittchen in de Fupp häd, de bekäm och wat". Die beiden Gendarmen aus Aulowönen hörten bei den "Schwarzmarkt-Nachrichten" im Gasthof Lerdon immer nur zu. Nur bei den Schwarzhändler aus Polen wurden sie hellhörig. Sie drückten jedoch bei den hiesigen Gemeinde-Größen fast immer beide Augen zu. Soweit sich Berta Tuttlies erinnern konnte, wurde beim Schwarzhandel in Willschicken kaum jemand belangt, der bekannt war, bei den Polen und anderen fliegenden Händlern war das anders.
Eins unsere beiden Pferde mussten wir bereits zu Kriegsbeginn abgeben. Wir hatten 1914 außer dem einen Pferd nur noch eine Kuh, vier Schweine und Hühner, wobei deren Zahl "unerklärlicherweise" auch immer mehr abnahm. Später konnten wir eine "Flüchtlingskuh" günstig zu kaufen. Berta Tuttlies konnte tüchtig handeln. Ein zweites Pferd konnten wir uns erst wieder 1919 leisten, nach einer Entschädigung aus der Kreiskasse für die Einquartierungen im Sanitätshaus.
Wir hatten schon Angst um unseren Opa. Ferdinand Tuttlies hat auch bei Gumbinnen mitgekämpft, blieb aber Gott sei Dank unverletzt. Während der gesamten Kriegszeit blieb er in Ostpreußen. Er hat versucht, alle zwei Wochen einen Feldpostbrief zu schreiben und sich immer nach dem Zustand zu Hause erkundigt und dabei auch "deutliche Anweisungen aufgeschrieben, was auf dem Hof zu tun ist". Diese "Befehle" wurden in der Küche aufgehängt und nach Erledigung mit einem Haken versehen. Wir haben wiedergeschrieben, unsere Briefe brauchten manchmal bis zu vier Wochen. Postkarten fand er im Krieg nicht richtig - de kött jo jede lese. Die Kriegspost der Soldaten war portofrei, wurde aber zensiert. Zu seinem Geburstag (1.12.) und zu Weihnachten bekam er immer - obwohl die Termine dicht beieinander lagen - jeweils ein Paket mit Schinken von zu Hause, den er so gerne aß. Leider sind seine Briefe, die ich alle aufbewahrt hatte, verloren gegangen. Während der gesamten Kriegszeit hat er nur zwei Wochen Urlaub gehabt, die er auch noch auf unserem Acker verbracht hat."
Im Allgemeinen galt für russische Soldaten ein striktes Alkoholverbot. Dr. Bierfreund erließ dazu zwei Erlasse:
"Bekanntmachung Nr.1 An die Einwohner Insterburgs und die Flüchtlinge in Ostpreußen vom 25. August 1914: 2. Das bisherige allgemeine Verbot unserer Militärbehörde alkoholische Getränke zu verkaufen, ist auch von der russischen Militärbehörde allgemein durchgeführt, so dass das Verbot unserer Militärbehörde nicht nur nicht aufgehoben, sondern vielmehr in verschärften Maße durchgeführt wird, so dass alle dem Handel mit alkoholischen Getränken dienenden Geschäfte und Lokale geschlossen bleiben müssen und jeder Versuch, sich gewaltsam in den Besitz alkoholischer Flüssigkeiten zu setzen, ohne weiters als Anschlag auf das russische Heer von dem Kommandanten bestraft wird. Quelle: Meine Erlebnisse als Gouverneur von Insterburg während des Russeneinfalls (uni-tuebingen.de)
Siehe auch den Aushang für Insterburg und Land vom 3. September 1914 mit der Anordnung des Gouverneurs Dr. Bierfreund betr. die Trunkenheit der russischen Soldaten "Da noch immer einzelne Fälle von Trunkenheit russischer Soldaten von mir bemerkt worden sind, sichere ich demjenigen eine angemessene Belohnung zu, welcher mir einen Verkäufer alkoholischer Getränke (Schnaps, Likör, Wein usw.) zur Anzeige bringt." Insterburg, den 3: September 1914. Der Gouverneur Dr. Bierfreund. Quelle: Max Bierfreund, Bekanntmachung- Alkoholverbot .png – GenWiki (genealogy.net)
"Mutter Berta Tuttlies blieb 1914/15 mit vier Kindern in Willschicken zu Hause auf ihrem Hof. Hildegard Tuttlies spätere verh. Kiehl wurde erst 1920 geboren. In Willschicken stand im August 1914 die russische Militärverwaltung vor der Tür von Mutter Tuttlies und suchte Unterkünfte für verwundete russische Soldaten in der Umgebung. Es wurden ein Sanitätshaus eingerichtet. Das Wohnhaus musste geräumt werden und Mutter Tuttlies und ihre vier Kinder zogen zuerst in die Scheune, nach zwei Wochen auf den Dachboden des Wohnhauses. Die Küche durfte nach Absprache weiter benutzt werden. In der "Extra-Schneider-Stube" von Ferdinand Tuttlies wurde das Arztzimmer eingerichtet. Es wurde mit einem Ledersessel und einem großen Spiegel ausstaffiert.
Anfang September 1914 wurde ein schwerverwundeter russischer Soldat in das Wohnhaus gebracht, der bald darauf verstarb. Beim Abräumen des Sterbelagers durch Mutter Tuttlies standen plötzlich zwei russische Soldaten mit dem Gewehr im Anschlag vor ihr. Erst die Rufe der anderen Verwundeten im Zimmer „Rotes Kreuz Haus, Rotes Kreuz Haus“ bewegte die Soldaten, sich zu entfernen. Vermutlich waren sie auf der Suche nach Wertgegenständen oder Alkohol. Der verstorbene Soldat wurde von der russische Militärverwaltung etwa 20 Meter vom Wohnhaus entfernt beerdigt, am Rand des Grabens der Grünheider Straße.
Foto: Russische Parade in Insterburg, 5.9.1914 [312]
Foto: Das Soldatengrab vor dem Wohnhaus der Familie Ferdinand Tuttlies 1915, zunächst noch ohne Zaun innerhalb der aufgestellten Pfosten. Bei genauerem Hinsehen ist aber das Kreuz erkennbar [313]
Am Ende des 1. Weltkriegs kam Vater Ferdinand Tuttlies gesund nach Hause. Das Soldatengrab wurde nach Abzug der Russen 1915 durch die Familie gepflegt. Es erhielt ein kleines Holzkreuz mit der Inschrift: „Hier ruht ein unbekannter russischer Soldat“ und einen Staketenzaun mit einer gezimmerten Tür. Zunächst wurde das Grab durch vier hohe Pfosten gesichert. Die Kinder waren für das Unkraut verantwortlich."
Andreas Kossert fasst zusammen:
Vom August 1914 bis zum Februar 1915 waren bis zu zwei Drittel Ostpreußens zeitweise russisch besetzt. Die zweimal durch Ostpreußen ziehende Frontlinie hinterließ durch die Kampfhandlungen ein zerstörtes Land. „Bereits 1914 setzte man eine Kommission ein, welche die Verluste in Ostpreußen protokollieren sollte. Für die Gesamtprovinz belief sich der Schaden auf 1,5 Milliarden Mark. Etwa 1.500 Zivilisten waren der Besatzung zum Opfer gefallen. Insgesamt kamen während der Kämpfe 1914/15 über 61.000 Soldaten ums Leben – 27.860 Deutsche, 1.100 Österreicher sowie 32.540 Russen. Dramatische Auswirkungen zeigte der Verlust an Vieh und Pferden, der die Versorgung ernsthaft gefährdete. … Viele Menschen hatten aber auch in ihren Dörfern ausgeharrt oder waren auf der Flucht von russischen Truppen überrascht worden. Auf ‚Spionageverdacht‘ hatten die Besatzer gnadenlos reagiert, es war zu zahlreichen Exekutionen gekommen. … Insgesamt wurden bis zu 13.000 Zivilisten nach Russland deportiert und kehrten erst nach Jahren wieder zurück.“ Quelle: Kossert: ZEIT 13.02.2014
Zwischenkriegszeit - Weimarer Republik
Durch die Novemberrevolution 1918 wurde auf Reichs- und Länderebene die Monarchie in Deutschland abgeschafft und die Republik ausgerufen. Am 31. 12. 1920 erfolgte die Umbenennung der Republik Preußen in den Freistaat Preußen. Der Freistaat Preußen, der im Zuge der Novemberrevolution von 1918 aus dem Königreich Preußen hervorging, war der größte Gliedstaat des Deutschen Reiches während der Weimarer Republik. Ab 1922 bestand der Freistaat Preußen aus 12 Provinzen und Berlin. Mit dem verfassungswidrigen „Preußenschlag“ von 1932 unterstellte Reichskanzler Franz von Papen das Land der Reichsregierung und nahm ihm so seine Eigenständigkeit. Damit hatte der Freistaat in der Zeit des Nationalsozialismus de facto bereits aufgehört zu existieren, auch wenn formal eine preußische Regierung unter Hermann Göring weiter amtierte. Nachdem am 23. August 1946 mit der Bildung eigenständiger Länder in der britischen Besatzungszone der Fortbestand Preußens verneint worden war, bestimmte das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 auch de jure die Auflösung Preußens. Die Zwischenkriegszeit wird auch als Weimarer Republik bezeichnet.
Am 15. Oktober 1923 wurde in Berlin zur Neuordnung der Währungsverhältnisse in Deutschland die Deutsche Rentenbank errichtet. Ihre Aufgabe bestand in der Stabilisierung der Währung und der Rückgewinnung des völlig verlorengegangenen Vertrauens in das deutsche Geld. Damit gelang es, die Hyperinflation abrupt anzuhalten. Die alte Mark blieb vorerst gesetzliches Zahlungsmittel und wurde am 30. August 1924 durch die Reichsmark ersetzt. Wer sich etwa vor 1921 für ein Haus oder anderen Grundbesitz verschuldet hatte, der war über Nacht seine Schulden los. Größter Profiteur war der Staat. Seine gesamten Kriegsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark beliefen sich, als am 15. November 1923 die neue Währung Rentenmark eingeführt wurde, auf minimale Beträge.
Das neue Anwesen von Ferdinand Tuttlies war ab 1923 schuldenfrei. Der 1904 aufgenommene Kredit in Höhe von 25 % der Baukosten von der Ostpreußische Generallandschaftsdirektion musste nicht mehr ganz zurückgezahlt werden. Die Dörfler wussten im Allgemeinen die wirtschaftliche Lage ihrer Nachbaren gut einzuschätzen.
Polnischer Korridor
Die im Versailler Vertrag 1919 festgelegten Gebietsabtretungen Deutschlands betrafen zum größten Teil preußisches Territorium. Eupen-Malmedy fiel an Belgien, Danzig wurde Freie Stadt unter Verwaltung des Völkerbunds, und das Memelland kam unter alliierte Verwaltung. Das Hultschiner Ländchen ging a die Tschechoslowakei, große Teile der Provinzen Posen und Westpreußen wurden Teil des neuen polnischen Staates. Ostpreußen war nun vom übrigen Reichsgebiet getrennt und konnte ohne Grenzkontrollen nur per Schiff (Seedienst Ostpreußen), auf dem Luftweg oder über bestimmte Bahnstrecken durch den Polnischen Korridor erreicht werden.
Die wichtigste Route des „privilegierten Durchgangsverkehrs“ verlief auf der Strecke der alten Preußischen Ostbahn über Schneidemühl und Dirschau; 1934 verkehrten dort insgesamt sechs tägliche Zugpaare, ergänzt durch weitere Saisonzüge. Auf den anderen Strecken fuhren ein bis zwei Zugpaare.
Für die Durchfahrt musste die Deutsche Reichsbahn an die Polnische Staatsbahn (PKP) eine vertraglich festgelegte Vergütung zahlen. Unterschieden wurde zwischen „privilegierten Zügen“ und „privilegierten Zugteilen“. „Privilegierte Züge“ verkehrten nur über die Ostbahn; auf allen anderen Strecken gab es „privilegierte Zugteile“, da die Züge auch für den Verkehr von und nach Polen und Danzig genutzt werden konnten. In diesen Zügen wurden nur die „privilegierten Zugteile“ verplombt und von der Zoll- und Passkontrolle in den Grenzbahnhöfen ausgenommen.
Bei den „privilegierten Zügen“ über die Ostbahn war es bei einem Teil der Züge möglich, die Halte an den Bahnhöfen in Konitz und Dirschau zur Ein- und Ausreise nach Polen zu benutzen, auf beiden Bahnhöfen erfolgte nach dem Ausstieg bzw. vor dem Einsteigen eine gemeinsame deutsch-polnische Pass- und Zollkontrolle. Bei den übrigen Zügen auf der Ostbahn wurden die Halte in Polen lediglich als Betriebshalte zum Lokomotivwechsel genutzt. Zwischen Konitz und Marienburg wurden die Züge ausschließlich mit Lokomotiven der PKP bespannt.
Da es bei der Bahnreise von Berlin nach Königsberg weder Pass- noch Zollkontrollen gab, waren die Fahrgäste in den Korridorzügen von der kostenpflichtigen Beantragung polnischer Visa befreit.
Dennoch wurde das Verfahren wegen der Vielzahl zu beachtender Vorschriften – so war es beispielsweise zunächst verboten, die Abteilfenster zu öffnen – sowie der Kontrollen vor und nach der Verplombung nicht nur aus zeitlichen und psychologischen Gründen vielfach als Belastung empfunden. Quellen: Polnischer Korridor – Wikipedia und Marion Gräfin Dönhoffs, Namen, die keiner mehr nennt
Karte: Ponischer Korridor, 1937[315]
Karte: Verkehrsverbindungen von und nach Ostpreußen nach dem Versailler Vertrag [316]
Abbildung: Militärfahrkarte für den Polnischen Korridor, 9.1.1938 [317]
Durch den Polnischer Korridor ging auch die Studentenzahl an der Königsberger Universität zurück.
Ostpreußische Studenten mussten sich ab 1924 zeitweilig für Pflichtsemester an der heimischen Universität immatrikulieren. In den Korporationsverbänden und in der Deutschen Studentenschaft wurden reichsdeutsche Studenten erfolgreich dazu aufgerufen, wenigstens ein „Solidaritätssemester“ in Königsberg zu verbringen. Die Zahl der Studenten, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs bei 1.650 gelegen hatte, verdoppelte sich zwischen 1925 und 1930 von 2.000 auf 4.113, darunter 761 Studentinnen.
Diese Verpflichtung nützte im Dritten Reich die Gaustudentenführung in Königsberg und verlangte, dass ein zukünftiger Student nur dann sein Studium beginnen dürfe, wenn er zuvor dem NS-Studentenbund beigetreten war. Da führte dazu, dass sich viele ostpreußische Studenten – nach der Absolvierung der Arbeitsdienstpflicht – freiwillig zur Ableistung ihrer Wehrpflicht meldeten. Durch den Wehrdienst konnte das „Ostsemester“ umgangen werden.
Leiter der Verwaltung in Ostpreußen in der Zwischenkriegszeit
Die Weimarer Verfassung im Reich, die am 11. August 1919 beschlossen wurde, und die neue preußische Verfassung veränderten die Beziehung zwischen Reich und Preußen nachhaltig. Die Exekutive auf Reichsebene war nach der Revolution völlig unabhängig von der Preußens. Zu ihr gehörten die Provinzverwaltungen an der Spitze der Oberpräsident (Kontrolle) und der Regierungspräsident (Durchführung) und alle nachgeordneten Vollzugsorgane wie Staatsanwaltschaft, Polizei, Justizvollzugsanstalt und Finanzamt. Nach seiner Verfassung von 1920 eine parlamentarische Demokratie, erwies sich Preußen als politisch stabiler als das Reich selbst. Diese Aufgabenteilung war für die spätere NSDASP ein Dorn im Auge - versuchte sie doch später zuerst auf lokaler Ebene nationalsozialistische Einflüsse durchzusetzen.
Ostpreußische Studenten mussten sich ab 1924 zeitweilig für Pflichtsemester an der heimischen Universität immatrikulieren. In den Korporationsverbänden und in der Deutschen Studentenschaft wurden reichsdeutsche Studenten erfolgreich dazu aufgerufen, wenigstens ein „Solidaritätssemester“ in Königsberg zu verbringen. Die Zahl der Studenten, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs bei 1.650 gelegen hatte, verdoppelte sich zwischen 1925 und 1930 von 2.000 auf 4.113, darunter 761 Studentinnen.
Die große Bedeutung der Ländersteuern ging zu Gunsten einer zentralen Steuerverwaltung zurück. Das Reich hatte nunmehr die Steuerhoheit und verteilte die Einkünfte an die Bundesstaaten. Auch ein Großteil der Sozialverwaltung wurde Reichssache. Das Militär war nun allein Sache des Reiches, und Preußen schaffte konsequenterweise das Amt des Kriegsministers ab. Auch die preußische Eisenbahn ging mit der Bildung der Reichsbahn in die Verantwortung des Reiches über. Dasselbe galt für die Wasserstraßen.
Die Gebietskörperschaften Preußens waren Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden. An ihrer Spitze einer Provinz standen die Oberpräsidenten, die zu den 540 führenden politischen Beamten in den 12 Provinzen zählten und unter ihnen den höchsten Rang einnahmen: Außer den zwölf Oberpräsidenten gehörten 32 Regierungspräsidenten, 41 staatliche Polizeipräsidenten und 405 Landräte zu dieser Kategorie der preußischen Beamten, die vom Staatsministerium in Berlin ernannt wurden. Allerdings war das Staatsministerium keineswegs autonom, sondern musste bei seinen Entscheidungen die politischen Verhältnisse in den Provinzen, Regierungspräsidien bzw. den Landkreisen berücksichtigen. In der Praxis kam es aber zu häufigen Konflikten zwischen den Regierungspräsidenten und den Oberpräsidenten. Aufgrund der ungenauen Kompetenzzuweisung von Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten zueinander waren zahlreichte Konflikte in Preußen bis zur Auflösung des Staates 1947 ständiges Thema.
Der Oberpräsident (eigentlich: Oberregierungspräsident) war die Amtsbezeichnung des obersten Verwaltungsbeamten in den preußischen Provinzen.
Ab 1808 bzw. 1815 übte der Oberpräsident im Namen des Königs das Inspektionsrecht, die oberste Aufsicht über die Verwaltung in seiner Provinz, aus. Er war allerdings kein Vorgesetzter der Regierungspräsidenten, die direkt dem preußischen Innenministerium in Berlin unterstanden. Der Oberpräsident hatte das Recht, sich von den Regierungspräsidenten über alle Belange der Provinz unterrichten zu lassen, er konnte in alle Verwaltungsvorgänge Einblick nehmen und durfte bei Gefahr im Verzug auch selbst eingreifen. Er übte gegenüber den Regierungspräsidenten und der Verwaltung eine wichtige rechtsstaatliche Kontrolle aus. Er besaß das Recht zum unmittelbaren Vortrag beim Staatsoberhaupt und war lediglich dem preußischen Ministerpräsidenten nachgeordnet. Zur Erfüllung seiner Aufgabe stand ihm nur ein kleiner Stab von Mitarbeitern zur Verfügung. Er war in Aufgabe und Befugnis das zivile Pendant eines preußischen General-Inspizienten. Im Kriegsfall sollten die Armee-Inspekteure die Führung der aufzustellenden Armeen in den Provinzen übernehmen.
Wenngleich nach dem 9. November 1918 auf gesetzlichem Wege bzw. durch Rechtsverordnungen der Wirkungskreis der Oberpräsidenten immer wieder modifiziert wurde, so galt doch eine Reihe der im Laufe des 19. Jahrhunderts erlassenen Rechtsgrundlagen für die Amtsführung der Oberpräsidenten fort, wie der preußische Innenminister am 4. Dezember 1919 ausdrücklich bekräftigte. Seiner Oberaufsicht unterstanden die Regierungen und Regierungspräsidenten, das Provinzialschulkollegium, das Landeskulturamt, der Provinzialverband, die Rentenbanken und die berufsständische Provinzialverbände. Zum unmittelbaren Geschäftsbereich des Oberpräsidenten gehörten die Wasserstraßenverwaltung, die Seeämter, der Wasserbeirat und die Polizei- und Landjägereischulen.
Unter dem Nationalsozialismus wurden die Befugnisse der Oberpräsidenten ausgeweitet. Sie nahmen dann auch Reichsinteressen wahr, ähnlich den Befugnissen eines Reichsstatthalters. Als beratendes Gremium wurde außerdem der Preußische Provinzialrat eingerichtet. Der permanente Konflikt zwischen den Befugnissen von Oberpräsidenten und Regierungspräsidenten wurde bis 1945 von der NSDAP auch nicht mehr gelöst.
August Winnig war ein deutscher Gewerkschafter, Politiker (SPD, Alte SPD, KVP, CDU) und Schriftsteller. In die Weimarer Nationalversammlung gewählt, unterstützte er in der SPD Friedrich Eberts Kandidatur als Reichspräsident gegen Philipp Scheidemann. Unter der neuen Regierung wurde er am 1.7.1918 Oberpräsident von Ostpreußen. Der Sozialdemokrat Winnig neigte aber immer stärker dem Nationalismus zu und unterstützte 1920 den Kapp-Putsch. Nach dem Scheitern floh Kapp am 17. März verkleidet nach Schweden. Nach zweijährigem Exil in Schweden stellt sich Kapp dem Reichsgericht, um seine Motive offenzulegen. Wolfgang Kapp stirbt am 12. Juni 1922 in der Untersuchungshaft in Leipzig an einer Krebserkrankung. (Quelle: Christopher Clark, Preußen) Winning wurde seines Amtes als Oberpräsident enthoben. Als völkischer Nationalist und Antisemit begrüßte er die „Machtergreifung“ Hitlers 1933. In Ostpreußen hatten sich alle höheren Verwaltungsbeamten mit Ausnahme des Königsberger Oberbürgermeisters Hans Lohmeyer dem Putsch von Kapp angeschlossen. Nach dessen Scheitern entließ die Preußische Staatsregierung den Oberpräsidenten August Winnig, drei Regierungspräsidenten und die meisten Landräte. Nicht entlassen wurden Oberbürgermeister Lohmeyer, der Regierungspräsident Matthias von Oppen (Allenstein) und die Landräte Heinrich von Gottberg (Bartenstein), Dodo Frhr. zu Innhausen und Knyphausen (Rastenburg), Herbert Neumann (Pr. Eylau) und Werner Frhr. v. Mirbach (Neidenburg).
Nach dem Kapp-Putsch wurde Ernst Siehr am 16. April 1920 zum Oberpräsidenten der preußischen Provinz Ostpreußen ernannt, weil sich sein Vorgänger August Winnig (SPD) auf die Seite der Putschisten gestellt hatte. In Siehrs Amtszeit fielen die Volksabstimmungen in Masuren und Westpreußen am 11. Juli 1920 über die Zugehörigkeit zu Ostpreußen oder zu Polen. Lokal sehr begrüßt wurde Siehrs eigenmächtige Verordnung einer vollen dreijährigen Schonzeit für Elche. Er setzte 1922 das Ostpreußenprogramm durch, aus dem 1926 die Osthilfe (Deutsches Reich) wurde. Mit ihr versuchten die Reichsregierung und die Preußische Staatsregierung, die Strukturnachteile der Provinz zu mildern, die durch die räumliche Trennung vom Reich entstanden waren. Auf eigenen Antrag vom 1. August 1932 endete Siehrs Amtszeit als Oberpräsident am 30. September 1932, wegen Differenzen mit der von Reichskanzler Franz von Papen beim „Preußenschlag“ eingesetzten reaktionären Regierung. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Kutscher.
Mit dem Staatsstreich in Preußen (auch als "Preußenschlag" bezeichnet) wurde am 20. Juli 1932 durch eine erste Notverordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg die geschäftsführende und legale Regierung des Freistaates Preußen unter Otto Braun durch den Reaktionär Reichskanzler Franz von Papen als Reichskommissar ersetzt.
Nachdem das demokratische Kabinett Braun 1932 im "Preußenschlag" durch Franz von Papen abgesetzt war, wurde in der Provinz Ostpreußen u.a. Wilhelm Kutscher reaktiviert und im Oktober 1932 als Nachfolger von Ernst Siehr als Oberpräsident eingesetzt. Von 1914 bis 1919 war Kutscher Vortragender Rat im preußischen Innenministerium. Hier erwarb er sich während des Ersten Weltkriegs vor allem Verdienste beim Wiederaufbau der durch den Russeneinfall 1914 in Mitleidenschaft gezogenen ostpreußischen Städte und Gemeinden, wobei er eng mit dem dortigen Oberpräsidenten Adolf Tortilowicz von Batocki-Friebe zusammenarbeitete. Auf Betreiben des sozialdemokratischen preußischen Innenministers Wolfgang Heine wurde er aber 1919 als Regierungspräsident in den Regierungsbezirk Hildesheim "weg-versetzt". 1922 musste er wegen seiner konservativen Einstellung den Staatsdienst verlassen und wurde in den einstweiligen, 1924 in den (vorläufigen) Ruhestand versetzt.
Bereits im Mai 1933 musste Wilhelm Kutscher aber nach Intrigen durch den "Königsberger Kreis" der NSDAP diesen Posten an den Gauleiter Erich Koch wieder abtreten. Erich Koch blieb bis zum Kriegsende Oberpräsident der Provinz Ostpreußen. Quelle: Ralf Meindl: Ostpreußens Gauleiter - Erich Koch eine politische Biographie
Litauisch
Preußisch-Litauen (im 20. Jahrhundert vereinzelt auch Deutsch-Litauen, litauisch Mažoji Lietuva oder Prūsų Lietuva) war eine im 17. Jahrhundert aufgekommene Bezeichnung für mehrere Ämter im nördlichen Ostpreußen mit einem starken litauischen Bevölkerungsanteil. Um 1740 waren von den rund 600.000 geschätzten Einwohnern Ostpreußens 150.000 Litauer, 125.000 Polen, 135.000 Prußen, 100.000 Deutsche und etwa 90.000 weitere verschiedene europäische Migranten, die in der Provinz lebten. Vor dem ersten Weltkrieg betrug die Zahl der Litauer in Ostpreußen etwa 120.000 und nach der Abtrennung des Memelgebietes (1920) etwa 10.000 bis 15.000.
Um 1732 fand die Bezeichnung, auch als „Klein-Litau“, „Preußisch Litthauen“, „Lithuania“, Eingang in die preußische Verwaltung. Das Gebiet bewohnten neben den eingesessenen Prußen und Kuren infolge einer Besiedlung der Großen Wildnis durch den Deutschen Orden ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts mehrheitlich Litauer sowie Deutsche und Polen. Die litauische Prägung des Gebiets endete mit den Verheerungen durch die Pestepidemie von 1709/10 und dem durch den preußischen König eingeleiteten Retablissement, einem Wiederaufbau des Landes einschließlich der Neubesiedlung.
Um 1400 war das durch Kreuzzüge (Preußenfahrten und Litauerkriege des Deutschen Ordens) verheerte Gebiet des späteren preußischen Litauen Wildnis und bis auf Siedlungsreste der autochthonen Bevölkerung, prußischen Schalauern und Nadrauern in der Nähe der Ordensburgen sowie Alt-Kuren (am Kurischen Haff und bei Memel), unbewohnt. Nach der Niederlage des Deutschen Ordens in der Schlacht bei Tannenberg (1410) und der Festlegung einer Grenze zu Polen-Litauen (1422) begann die Neubesiedlung des Wildnis Gebiets. Zunächst ließen sich dort vereinzelt Prußen (auch Pruzzen oder Altpreußen genannt) und Deutsche nieder, an der Ostseeküste siedelten aus Lettland zugewanderte Fischer, die späteren „Nehrungs-Kuren“. Im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, nach dem 2. Thorner Frieden (1466), begann die Einwanderung von Litauern, vor allem aus Schamaiten, bzw. die anzunehmende Rückwanderung nach Litauen geflohener Prußen. In den erhaltenen Archiven des Ordens sind bis zum Jahr 1540 etwa 1050 neue Landverleihungen belegt, davon nur eine an einen Deutschen. Die erste Welle der Haupteinwanderung der Litauer nach Preußen gilt um 1550 als abgeschlossen. Nicht nur Glaubensgründe waren für ihre Ansiedlung im protestantischen Preußen ausschlaggebend, sondern neben besseren wirtschaftlichen Bedingungen die zunehmende Verbreitung der Leibeigenschaft in ihrer alten Heimat. Teilweise betrieb der Orden auch eine gezielte Anwerbung von Neusiedlern und verhinderte die Rückführung nach Preußen geflohener Bauern zu ihren adligen Herren. Die litauischen Siedler werden in der Mitte des 16. Jahrhunderts auf etwa 20.000 bis 30.000 Menschen geschätzt. Ihre Namen sind in den Türkensteuerlisten fast vollständig erhalten. Die weitere Erschließung der Großen Wildnis geschah nun hauptsächlich durch Binnenwanderung und erstreckte sich bis ins erste Viertel des 17. Jahrhunderts.
Während der Pestepidemie von 1709/10 starben ca. 160.000 – vorwiegend Litauer – der ungefähr 300.000 Bewohner der so genannten „Litauischen Provinz“, das Memelgebiet war von der Epidemie weniger betroffen. Im Laufe des von König Friedrich Wilhelm I. durchgeführten „Retablissement“ übernahmen einerseits etwa 23.000 angeworbene Neusiedler (Salzburger Exulanten, deutsch- und französischsprachige Schweizer, Nassauer und Pfälzer) die wüst gewordenen Höfe, vorwiegend im Hauptamt Insterburg. Andererseits kamen auch etwa 20.000 Litauer nach Ostpreußen, was häufig übersehen wird. Oft gaben für den litauischen Zuzug aber auch bestehende verwandtschaftliche Beziehungen den Anlass. Das Zusammenleben dieser unterschiedlichen ethnischen Gruppen verlief insgesamt spannungsfrei, da sie häufig in geschlossenen Dörfern angesiedelt wurden, in denen die Bewohner nur einer Ethnie angehörten.
Die meist zweisprachigen preußischen Litauen bezeichneten sich selbst hauptsächliche als Lietuwininkai (Litauer), während sich die Litauer in Groß-Litauen Lietuviai nannten bzw. nennen. Sie siedelten in Ostpreußen in zwei Wellen im späteren Regierungsbezirk Gumbinnen. Zunächst aus wirtschaftlichen Gründen während der Ordenszeit als Neusiedler vor allem in den Wildnisgebieten Ostpreußens und stellten dort bis zur Pestepidemie von 1709/10 mehrheitlich die Landbevölkerung, während die Deutschen vorwiegend in den Städten lebten. Nach der Pestepidemie erfolgte parallel zum Rétablissement die zweite Welle. Es waren Wiederbesiedlungen von verlassenen Höfen aus wirtschaftlichen und religiösen Gründen, da Groß-Litauen katholische blieb.
Das nördliche Ostpreußen wurde im deutschen Sprachgebrauch bis Ende des 19. Jahrhunderts – als im benachbarten, damals russischen Litauen eine nationale Wiederbesinnung begann – auch als Preußisch Litauen, Litthauen/Littauen/Lithauen/Litauen bezeichnet (wie z. B. in Wilhelm von Humboldts Litauischem Schulplan von 1809). Seine Bewohner nannte man Litauer, auch wenn sie Deutsche waren. Diese Bewohner sprachen einen besonderen litauischen Sprachart, dir allerdings langfristig keine schriftliche Verfestigung erfuhr.
Theodor von Schön - von 1809 – 1816 Regierungspräsident im Gumbinnen - richtete die erste öffentliche Bibliothek der Region in Gumbinnen ein und regte die Herausgabe der ersten regionalen Zeitung „Intelligenzblatt für Litthauen“ an. Das „Wörterbuch der Littauischen Sprache“, von Georg Heinrich Ferdinand Nesselmann 1851 veröffentlicht, war ihm gewidmet.
1811 wurde das Lehrerseminar in Karalene bei Insterburg während seiner Regierungszeit gegründet. Dort wurden auch Lehrer für die litauischen Volksschulen ausgebildet und bis 1882 Kurse für die litauische Sprache angeboten. Die Pflege der litauischen Sprache in Schulen und Ämtern während der Regierungszeit Schöns wurde in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Ähnliches galt für die Erhaltung des litauischen und polnischen Seminars an der Universität Königsberg im Rahmen der Bildungsreform 1809.
Nach Absetzung von Schöns gab es sofort Versuche, die litauische Sprache aus den Schulen zu entfernen. Von Schön setzte trotz Meinungsverschiedenheiten mit dem amtierenden Schulrat Gustav Friedrich Dinter den Lehrer Eduard Gisevius als Lehrer an der Königlichen Litthauischen Provinzialschule ein, der am 1. April 1825 seine Tätigkeit aufnahm. Bald durfte er auch im Gymnasium Litauisch unterrichten. In der Folge engagierte sich Gisevius für die Erhaltung der litauischen Sprache in den Schulen. Gisevius klagte beim König über die Absetzung der litauischen Sprache als Unterrichtsfach in den Schulen und erwirkte die Rücknahme dieser Verordnung. Erst 1873 wurde die litauische Sprache als Unterrichtsfach endgültig aus den Schulen verbannt.
Es ist bezeichnend, daß bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einige Landkreise im Regierungsbezirk Gumbinnen, die vordem als „litauisch“ galten, wie z. B. Insterburg; Darkehmen, Stallupönen bereits als „deutsch“ genannt wurden.
Das Leben in Willschicken veränderte sich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Ferdinand und Berta Tuttlies sprachen zwar mit ihren älteren Verwandten und Bekannten untereinander häufig litauisch, ihren Kindern waren aber auch einige litauische Alltagsbegriffe geläufig. Siehe auch: Erinnerungen von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies undhttp://www.brieskorn.de/Brieskorn/Dokumentation/Ostpreussisch/body_ostpreussisch.html
Erwin Spehr berichtet aus Preußisch-Litauen: „Neben der litauischen Sprache waren zunächst fast alle deutschen Dialekte in Preußisch Litauen vertreten. Es bildete sich erstaunlicherweise jedoch kein Mischdialekt aus. Durchgesetzt hat sich neben dem Hochdeutschen das ostpreußische Plattdeutsch, auch Niederpreußisch genannt, obwohl bei der besitzenden bäuerlichen Bevölkerung die Niederdeutschen keine Mehrheit stellten.
Die folgende Karten zeigen das litauische Sprachgebiet:
"Man vermutet, dass Handwerker und Landarbeiter, die aus dem Westen Ostpreußens, laufend zuwanderten, der niederdeutschen Mundart zum Durchbruch verholfen haben. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sprach man in Teil Ostpreußens in den Städten Hochdeutsch und auf dem Lande Plattdeutsch und Litauisch.“
Die folgende Tabelle zeigt die Bevölkerungs- und Schulstatistik im Regierungsbezirk Gumbinnen 1817 und 1825:
Muttersprache | 1817 | 1825 | absolute Veränderung | prozentuale Veränderung | |
---|---|---|---|---|---|
dt. | 177.798 | 229.531 | 51.733 | 28,8 % | |
lit. | 091.301 | 102.134 | 10.833 | 11,8 % | |
poln. | 108.401 | 133.034 | 24.633 | 22,7 % | |
Gesamtbevölkerung | 377.500 | 464.699 | 87.199 | 23,1 % | |
Unterrichtssprache schulpflichtiger Kinder vom 6. bis 14. Lebensjahr | 1817 | 1825 | absolute Veränderung | prozentuale Veränderung | |
dt. | 027.284 | 036.057 | 08.773 | 32,2 % | |
lit. | 011.540 | 011.394 | 00.146 | 01,3 % | |
poln. | 016.547 | 021.271 | 04.724 | 28,5 % | |
Gesamtschülerzahl | 055.371 | 068.722 | 13.351 | 23,6 % |
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fisch_Litauen
Bis zur Jahrtausendwende nahm der litauische Sprachgebrauch deutlich ab. In der Volkszählung 1905/06 gaben 79,5 % Deutsch, 14,5 % Polnisch/Masurisch und 4,8 % Litauisch als Muttersprache an. In fünf Kreisen im Süden überwog die polnische/masurische Sprache, im Kreis Heydekrug/Šilutė die litauische Sprache. In der Weimarer Republik und während der NS-Zeit ging der Anteil Nichtdeutschsprachiger deutlich zurück.
Die Sprachvielfalt zeigte sich bis zum Nationalsozialismus auch in den Ortsnamen.
Robert Budzinski hat in „Entdeckung Ostpreußens, 1914“ nach Andreas Kossert die Namensvielfalt von Orten in Ostpreußen festgehalten.
„Bei meinen Wanderschafen stieß ich wiederholt auf Ortschaften mit nicht sehr bekannten aber desto klangvolleren Namen, so daß ich oft glaubte, mich in einer verzauberten Landschaft umherzutreiben. So fuhr ich einmal mit der Bahn von Groß-Aschnaggern nach Liegetrocken, Willpischken, Pusperschallen und Katrinigkeiten, frühstückte in Karkelen, kam über Pissanitzen, Perkuik, Juschnischkenen, Kuhdiebs nach Katzenduden, aß in Aschlacken Mittag, und verirrte mich dann nach Pudelkeim, Pupinnen, Bammel, Babbeln und abenbrotete in Pschintschiskowsken, übernachten wollte ich aber in Karßamupchen … An den folgenden Tagen lernte ich noch kennen: Plampert, Purtzunsken, Kotzlauken, Misrunsken, Spirokeln, Wannagupchen, Meschkrupppchen, Salvarschienen, hörte noch von Spucken, Maulen, Puspern Plumpern, Schnabeln, Wabbekn, wurde ohnmächtig und erwachte in Mierodunsken, wo mich der Landjäger von Uschpiauschken hingebracht hatte. Es dauerte lange, bis ich meine Sprache wieder beherrschte, denn meine Zunge drehte sich fortgesetzt im Leib herum.“ Willschicken leitet sich aus litauisch "wilpiszys" die wilde Katze ab.
"1925 wurden noch vereinzelt Gottesdienste in litauischer Sprache abgehalten, obwohl weniger als 50 Mitglieder der Gemeinde Aulowönen litauisch als Muttersprache angegeben hatten. Um 1900 wurde die Pfarre Aulowönen als Muster hingestellt, "wo es möglich war, dass binnen kurzer Zeit aus einer verwahrlosten eine mustergültige Gemeinde entstand". 1932 gehörten der Kirchengemeinde 79 ha Pfarrland, wovon 64 ha verpachtet waren, den Rest bewirtschaftete damals Pfarrer Bernecker, als Verwalter der Kirchengemeinde. Dass Pfarrhaus stammt aus dem Jahre 1720. Es hat 13 große Zimmer und den Konfirmandensaal und es lag in einem 4 Morgen großen Obstgarten mit einem Teich, einer großen Scheune und geräumigen Stallungen, sowie zahlreichen anderen Nutzräumen." Quelle: Aulowönen – GenWiki (genealogy.net)
Noch während der Weimarer Republik 1927 wurde ein Gemeindereformgesetz erlassen, welches die bisherige kommunale Selbständigkeit der großen Güter aufhob und diese an bestehende Gemeinden angliederte oder zu neuen Gemeinden zusammenfasste. Da man nun für diese größeren Einheiten oft neue Namen suchte, wurde die Gelegenheit wahrgenommen, die alten litauisch klingenden Ortsnamen durch deutsche zu ersetzen.“
Die Nationalsozialisten ersetzten 1938 systematisch alle litauischen Orts-, Fluss-, Forst- und Moornamen durch „Eindeutschungen“ und verdrängten die litauische Sprache und deren Kultur.
Sprachabstimmung 1920 in Ostpreußen
Nach Ende des Ersten Weltkriegs und der staatlichen Restauration Polens war die Grenzziehung zwischen Polen und dem Deutschen Reich umstritten. Während der Versailler Vertrag den größten Teil der preußischen Provinz Posen (des historischen Großpolens) und den Polnischen Korridor dem polnischen Staat ohne Volksabstimmung zusprach, sollte in den südlichen Kreisen Ostpreußens, den östlich der Weichsel gelegenen Teilen Westpreußens sowie in Oberschlesien in Volksabstimmungen über die weitere staatliche Zugehörigkeit entschieden werden (Volksabstimmungen im Gefolge des Versailler Vertrags).
An den Grenzen Ostpreußens waren zwei Abstimmungsgebiete vorgesehen: das Abstimmungsgebiet Marienwerder in Westpreußen entlang der Weichsel und in Ostpreußen das Abstimmungsgebiet Allenstein, den Regierungsbezirk Allenstein sowie den Kreis Oletzko umfassend (Masuren).
Die polnische Delegation in Versailles forderte ursprünglich die Abtretung dieser strittigen Gebiete ohne jede Volksabstimmung an Polen. Darüber hinaus sollte das nördliche Ostpreußen an Litauen fallen, aus dem verbleibenden Teil rund um Königsberg sollte ein von Deutschland unabhängiges Völkerbundsmandat entstehen, das nach Einschätzung polnischer Politiker langfristig ebenfalls Teil Polens werden sollte. Dagegen protestierte die Regierung Friedrich Ebert und vor allem auf Drängen des britischen Premierministers David Lloyd George wurden Abstimmungen unter alliierter Aufsicht anberaumt.
Nach den Regelungen in den Artikeln 94–98 des Versailler Vertrags wurde das Abstimmungsgebiet entmilitarisiert und einer dem Völkerbund unterstehenden Abstimmungskommission unterstellt. Nach Abzug des deutschen Militärs in der ersten Februarwoche übernahm sie am 17. Februar 1920 die Verwaltung des Abstimmungsgebiets und stationierte britische und italienische Truppen zur Überwachung der Abstimmung. Deutsche Verwaltungsbehörden blieben im Amt, ihnen wurde jeder Kontakt zu vorgesetzten Dienststellen in Berlin oder Königsberg untersagt, die dort tätigen Beamten mussten der Kommission einen Treue-Eid leisten.
Im Rahmen der Volksabstimmungen infolge des Versailler Vertrags fanden am 11. Juli 1920 die Volksabstimmungen in Teilen Ost- und Westpreußens statt. In Ostpreußen wurde im Wesentlichen im Regierungsbezirk Allenstein abgestimmt und in Westpreußen in mehreren östlich der Weichsel gelegenen Kreisen des früheren Regierungsbezirks Marienwerder. Die Abstimmungsberechtigten konnten über die künftige staatliche Zugehörigkeit der Gebiete entscheiden.
Im Allensteiner Abstimmungsgebiet stimmten über 97 % und im Abstimmungsgebiet Marienwerder über 92 % der Wähler für den Verbleib bei Ostpreußen und somit beim Deutschen Reich und gegen eine Abtretung an die Zweite Polnische Republik.
Diese Ergebnisse waren auch insofern bemerkenswert, als ein erheblicher Teil der Bevölkerung in den Abstimmungsgebieten polnischer Muttersprache war.
Quelle: Volksabstimmungen in Ost- und Westpreußen – Wikipedia
Wirtschaftshilfe in der Zwischenkriegszeit
Die veränderten Existenzbedingungen, die Ostpreußen nach 1918 hinnehmen musste, haben sein politischen und wirtschaftliches Leben tief beeinflusst. Die neunen Grenzen unterbrachen wirtschaftliche Verbindungen, in denen die Provinz seit langem gestanden hatte und die sich nur teilweise wiederherstellen oder ersetzen ließen. Diese waren auf die Dauer nicht zu verschmerzen, weil Ostpreußen auf Grund seine einseitige Wirtschafts- und Sozialstruktur eher zur Stagnation als zur Dynamik neigte und deshalb die verlorenen Positionen schwerlich durch gesteigerte wirtschaftliche Aktivitäten im Landesinnern wettmachen konnte. Schon vor 1914 ist das Wachstum der ostpreußischen hinter dem der Bevölkerung zurückgeblieben und der Überschuss an Arbeitskräften in anderen Teile Deutschlands abgewandert. Obwohl dieses Phänomen und seine bevölkerungspolitischen Konsequenzen ausgangs des 19. Jahrhunderts aufgefallen sind, hat es doch an Politik gefehlt, die diese Entwicklung nachdrücklich korrigiert hätte. Infolgedessen ist das Abwanderungsproblem nach dem Ersten Weltkrieg abermals hervorgetreten und zu einem Symptom der Wirtschaftlichen Schwäche der Provinz geworden. Quelle: Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen | SpringerLink
"In den in der Umgegend von Königsberg gelegenen Kreisen stellt sich heute (November 1921) der Gesamtlohn eines landwirtschaftlichen Arbeiters auf 5300 M. wovon etwa 3/4 in Gestalt von zu verhältnismäßig niedrigen Preisen angesetzten Naturalien (Wohnung mit Stall und Garten, Kuh- und mitunter am Schafhaltung, Kartoffelland, Brennstoffe und etwa 40 Zentner Getreide), der Rest in bar gewährt wird. Gehobene Arbeiter erhalten 15% Zuschlag; Überstunden werden besonders vergütet. Am stärksten gestiegen sind die Löhne der jugendliche Arbeiter, der sogenannten Tagelöhner, welche je nach Geschlecht und Alter Löhne von 1.400 bis 3.400 M beziehen". Quelle: Die Landwirtschaft der Provinz Ostpreußen von Geh.-Rat Professor Dr. J. Hansen. Ein Arbeiter, der auf der Werft in Königsberg arbeitete, erhielt im selben Jahr 7200 M in bar, in Hamburg waren es 8700.
In der Landwirtschaft spielten in Ostpreußen die Genossenschaften eine große und wichtige Rolle. Sie leisteten intern durch ihre Strukturen "indirekte" Wirtschaftshilfe. Genossenschaften waren ein Zusammenschluss von Personen in der Landwirtschaft zu Zwecken der wirtschaftlichen oder sozialen Förderung der Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Anders als bei Kapitalgesellschaften hing die Geschäftspolitik nicht von den Interessen außenstehender Investoren ab, sondern wurde allein von den Belangen der Mitglieder bestimmt.
Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen geht in seinen ersten Anfängen auf das Jahr 1871 zurück. Größere Bedeutung hatten sie aber erst seit Beginn der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts erhalten. In der Zwischenkriegszeit entstand ein, die ganze Provinz Ostpreußen umspannenden Netz von Einzelgenossenschaften, welche sich in vier Verbänden zusammengeschlossen.
Es handelte sich um folgende Verbände:
1. den Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Ostpreußen mit dem Sitz in Königsberg,
2. den Verband wirtschaftlicher Genossenschaften des Ermlandes mit dem Sitz in Wormditt,
3. den Verband landwirtschaftlicher Genossenschaften für Ostpreußen mit dem Sitz in Insterburg.
4. der Verband der Maschinen-Genossenschaft mit dem Sitz in Königsberg
Auch sie waren von wirtschaftlichen Veränderungen in der Zwischenkriegszeit betroffen. Der Schwerpunkt der beiden erstgenannten Verbände lag in den Spar- und Dahrlehnskassen. Der Insterburger Verband erstreckte sich in erster Linie auf Molkerei- sowie Bezugs- und Absatzgenossenschaften. Dem Ermländischen Verband gehörten auch einige Genossenschaften dieser Art an, während der Raiffeisenverband sich neben den Spar- und Darlehnskassen auf alle Arten landwirtschaftliche Genossenschaften erstreckt und weitaus die größte Ausdehnung umfasste. Er hat am 1. Januar 1921 zusammen 415 Genossenschaften, davon 359 Spar- und Darlehnskassen-, 13 landwirtschaftliche Bezugs- und 34 Verwertungsgenossenschaften. Die An- und Verkaufsgenossenschaft Insterburg, welche im Regierungsbezirk Gumbinnen verschiedene Zweigstellen errichtet hatte, suchte auch im Laufe der Zeit eine enge Verbindung mit dem Raiffeisenverband. Die große Maschinengenossenschaft mit ihren 7 über die- Provinz verteilten Zweigniederlassungen wurde im Jahre 1921 mit einer der Ostpreußischen Maschinen-Gesellschaft m. b. H. verschmolzen.
Die Inflation von 1923 und die Weltwirtschaftskrise von 1929 traf in Ostpreußen eine Landwirtschaft, die unter sehr ungünstigen äußeren Bedingungen produzieren musste und auch die nationalen Kriegsschäden noch nicht voll überwunden hatte. Die Folge war die tiefe Agrarkrise von 1929 bis 1932, die zahlreichen Betriebe zum Opfer fielen. Pfändungen und Versteigerungen nahmen zu. Der Handel mit Getreide, Saatgut, Kartoffeln sowie mit landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln (Kunstdünger, Futtermittel oder Betriebsstoffen) vollzog sich in den Landkreisen um 1920 zu einem großen Teil über die An- und Verkaufsgenossenschaft in Insterburg, bzw. dem Raiffeisenverband in Königsberg und Wormditt. Aufgrund der Strukturen kauften sie etwa 60 % der landwirtschaftlichen Produkte in Ostpreußen auf und belieferten zu etwa 40 % den Mark für Bedarfsartikel. Viele Kein- und Mittelbauern waren Genossenschaftsmitglieder. Während der Wirtschaftskrisen in Ostpreußen gingen die Umsätze der Genossenschaften deutlich zurück und damit ihre "Marktmacht". Arbeitslos gewordene Mitglieder traten aus den Genossenschaften aus.
Die Großbauern und Gutsherren hatten zum Teil eigene private Marktzugänge durch eigene Wirtschaftsvereine aufgebaut, die sich auch aus den persönlichen Kontakten der eigenen "Klassenzugehörigkeit" ergaben. Für einigen Gutsbesitzer waren die Genossenschaften "bolschewistische Kampfvereine". Aber auch sie waren den Weltmarktpreisen ausgeliefert.
Quelle: Die Landwirtschaft der Provinz Ostpreußen von Geh.-Rat Professor Dr. J. Hansen
Wilhelm Obgartel schrieb 1931 in "Die Kreise Insterburg Stadt und Land, besonders nach ihrer Landschaftsgliederung und ihrer Geschichte":
„Das Rückgrat des einheimischen Lebens im Landkreis Insterburg ist die Landwirtschaft. Der überwiegende Teil der Bewohner des platten Landes findet in diesem Erwerbszweig seine Beschäftigung. Zwar ist es der einheimischen Landwirtschaft gelungen, die großen lokalen Schäden an lebendem und totem Inventar des Russeneinfalls unter tatkräftiger Hilfe der Regierung in verhältnismäßig kurzer Zeit auszugleichen und zu beseitigen. Doch hat sich nach dem Kriege infolge der Abtrennung Ostpreußens vom Mutterland, der hohen staatlichen, kommunalen und anderer öffentlichen Lasten, der drückenden Frachttarife, der jahrelangen für sie ungünstigen Preisverhältnisse, verursacht durch ein Überangebot landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf dem Weltmarkt, in der ganzen Provinz schwer, um ihre Existenz zu kämpfen. Selbst der großen Rührigkeit und Umstellungsfähigkeit ist es dem Landwirt sehr schwer, auch nur eine bescheidene Rente aus seinem Betrieb herauszuwirtschaften. Die Lage der Landwirtschaft ist kaum weniger katastrophal als nach den napoleonischen Kriegen vor 100 Jahren“
Das Agrarland Ostpreußen lebte vom Export seiner landwirtschaftlichen Produkte. Nun aber waren alte Absatzmärkte, insbesondere die Provinz Posen, verloren gegangen, zudem riegelten die neu gebildeten Staaten Polen und Litauen die Provinz vom alten Handelspartner Russland ab. Neue Märkte mussten über weite Entfernungen im übrigen Deutschland gesucht werden. Die höheren Frachtkosten verteuerten die Produkte um mehr als 10 %, was auf Kosten der Gewinne ging. Das wiederum hatte Rückwirkungen auf Handel und Gewerbe in den Städten: Die Arbeitslosigkeit nahm zu, die Abwanderungen aus Ostpreußen verstärkten sich. Immer mehr Politiker forderten den Erlass von Maßnahmen. Die Maßnahmen wurden zunächst von der Preußische Staatsregierung geplant, da die Reichsregierung aus finanziellen Gründen nicht die Notwendigkeit für das gesamte Reich einsah. Erst 1926 trat eine Änderung ein.
So beschlossen die Preußische Staatsregierung und die Reichsregierung 1926, mit kreditpolitischen Maßnahmen zu helfen. Die „Allgemeine Grenzhilfe“ sollte insbesondere den (im Vergleich zum Reichsdurchschnitt deutlich größeren) Gutsbetrieben in Ostpreußen, Pommern, Brandenburg, Schlesien und in der Grenzmark Posen-Westpreußen die Um- und Entschuldung erleichtern. Wegen immer höherer Zinslasten, sinkender Rentabilität und eines Preisverfalls bei Roggen und Kartoffeln ab 1927 wurde immer lauter nach einer Unterstützung der ostdeutschen Landwirtschaft gerufen. Ostpreußens Oberpräsident Ernst Siehr hatte sich seit 1922 erfolgreich für solche Förderungsprogramme eingesetzt.
Das Ostpreußengesetz, beschlossen am 18. Mai 1929 vom Kabinett Hermann Müller (SPD), sollte Landwirtschaft und Ernährung im Deutschen Reich durch Siedlungskredite, Zinszuschüsse und staatliche Garantien sicherstellen. Im Juli 1930 – inzwischen hatte die Weltwirtschaftskrise begonnen – wurde das Gesetz durch eine Notverordnung verstärkt. Insgesamt entstand bis 1933 „ein undurchdringlicher Dschungel von 61 Gesetzen, Verordnungen, Richtlinien und 60 amtlichen Erlassen“. Diese Bemühungen wurden später unter dem Namen Osthilfe zusammengefasst. … Zusätzlich wurde die Deutsche Ostmesse Königsberg (DOK) 1920 gegründet, und zeitweise gehörten auch Ausstellungen wie die Ostmarkschau in Frankfurt (Oder) (Ogela, 1924) zu diesem Investitionsprogramm.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das vom damaligen Reichspräsidenten Hindenburg initiierte Osthilfegesetz, mit dem den durch den starken Preisverfall für Getreideprodukte betroffenen Großbetrieben Ostpreußens geholfen werden sollte. Das Gesetz sah eine Entschuldung durch Konsolidierung und Kürzung der Verbindlichkeiten sowie durch Senkung der Zinsen vor. Im Zuge des Weiteren landwirtschaftlichen Niedergangs dehnte man die Gültigkeit der Norm bis Mitte 1932 auf sämtliche Gebiete östlich der Elbe und die bayerische Ostmark aus. Das Kabinett Brüning brachte am 31. März 1931ein förmliches Osthilfegesetz zur Entschuldung der landwirtschaftlichen Betriebe auf den Weg. Die Förderung wurde auf die gesamte ostelbische Landwirtschaft ausgedehnt. Dieses Osthilfegesetz wurde Ende Mai mit dem brisanten Projekt der Ansiedlung von Neubauern auf Grundstücken bankrottgegangener Großgrundbesitzer verbunden. Das brachte Brüning u.a. von Hindenburg den Vorwurf des „Agrarbolschewismus“ ein und führte zu seinem Sturz. Quelle: Osthilfe (Deutsches Reich) – Wikipedia
In der Krise waren Große Güter mit ihrem hohen Arbeitskräftebedarf dabei stärker betroffen als Bauern, die vorübergehend sich selbst ernähren konnten und so die Krise besser überstanden. Die Unruhen dieser schwierigen Zeit machten sich überall bemerkbar: 1923 kam es auf einigen Gütern zu Landarbeiterstreiks, und 1929 verhinderten aufgebrachte Bauern Zwangsversteigerung.“ Quelle: Portal:Pillkallen/Geschichte/Aus der Geschichte des Kreises (von Erwin Spehr) – GenWiki (genealogy.net)
In Wilkental mussten 7 Bauern lt. Schadensberechnung ihr Land verpachten, um wirtschaftlich zu überleben, darunter auch Ewald Tuttlies, der Sohn von August Herrmann Tuttlies.
VOM NATIONALSOZIALISMUS
Der Nationalsozialismus ist eine
- radikal antisemitische,
- minderheitenfeindliche (z. B. Asoziale, Zigeuner, Homosexuelle, Freimaurer, Sekten)
- rassistische,
- ultranationalistische,
- völkische,
- sozialdarwinistische,
- antikommunistische,
- antidemokratische und
- antipluralistische Ideologie.
Diese Ideologie diente der Rechtfertigung und Bewertung eigener und fremder Handlungen. Dazu wurden überwiegend ideologische Scheinargumente durch die Propaganda verbreite.
Seine Wurzeln hat er in der völkischen Bewegung, die sich etwa zu Beginn der 1880er Jahre im deutschen Kaiserreich und in Österreich-Ungarn entwickelte. Seine ideologische Basis waren Rassentheorien, die Vertreter wie Arthur de Gobineau, Karl Eugen Dühring, Houston Stewart Chamberlain, F. K. Günther, Ernst Haeckel und andere seit etwa 1860 formuliert und propagiert hatten. Ab 1919, nach dem Ersten Weltkrieg, wurde er zu einer eigenständigen politischen Bewegung im deutschsprachigen Raum. Der Nationalsozialismus führte gezielt in den Zweiten Weltkrieg. Zwei Autoren werden im Hitler "Mein Kampf" besonders häufig zitiert:
Houston Stewart Chamberlain (* 9. September 1855 in Portsmouth, England; † 9. Januar 1927 in Bayreuth) war ein englisch-deutscher Schriftsteller. Chamberlain, der in französischer und deutscher Sprache schrieb, war Verfasser zahlreicher populärwissenschaftlicher Werke mit pangermanischer und antisemitischer Einstellung. Sein bekanntestes Werk sind "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" (1899), das zu einem Standardwerk des rassistischen und ideologischen Antisemitismus in Deutschland avancierte.
Quelle: Houston Stewart Chamberlain – Wikipedia
Hans F. K. Günther (1891 -1968) war ein deutscher Philologe, der in der Weimarer Republik als Publizist und in der Zeit des Nationalsozialismus als Professor in Jena im Fach Rassentheorie tätig war. Er gilt neben Houston Stewart Chamberlain als einer der Urheber der nationalsozialistischen Rassenideologie. Er verfasste 38 Bücher zu seiner „Rassentheorie“, darunter sein Hauptwerk: „Rassenkunde des deutschen Volkes“ (1922). Ab 1929 erschien davon eine Kurzfassung mit dem Titel „Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes“. Diese populäre Ausgabe erreichte bis 1942 eine Auflage von 295.000 Exemplaren. Nach einem Berufungsverfahren 1951 wurde er als „Mitläufer“ eingestuft und aus dem Universitätsdienst entlassen, konnte aber weiterhin schriftstellerisch tätig sein. Günther publizierte von 1945 bis 1968 weiter, unter anderem unter den Pseudonymen Ludwig Winter und Heinrich Ackermann. Auch in rechtsextremen Zeitschriften wie „Nation und Europa“ wurden seine Werke weiterhin abgedruckt. 1969 erschien nach seinem Tode, sein Rechtfertigung „Mein Eindruck von Adolf Hitler“. Die nationalsozialistischen Verbrechen verharmloste Günther bis an sein Lebensende. „Wie viele Greuel wurden über das Konzentrationslager Buchenwald zusammengelogen“, schrieb er in „Mein Eindruck von Adolf Hitler“.
Quellen:
Hans F. K. Günther – Wikipedia
Im europäischen Kontext war der Zweite Weltkrieg ein vom nationalsozialistischen Deutschland ausgelöster Raub-, Eroberungs- und Vernichtungskrieg mit dem langfristigen Ziel, ein unangreifbares deutsches Großreich aus eroberten und abhängigen Gebieten zu schaffen. Ziel war von Beginn an die deutsche Weltmachtstellung und die „rassistische Neuordnung des europäischen Kontinents. Dabei vermischten sich klassische machtpolitische mit rassenideologischen Motiven. Hierzu zählten einerseits die Gewinnung von „Lebensraum im Osten“ mit Umsiedlung oder Vernichtung der dort lebenden, als „rassisch minderwertig“ angesehenen, vorwiegend slawischen Völker, andererseits die „Endlösung der Judenfrage“ durch deren Ermordung. Beides wurde durch die antisemitische Vorstellung eines „jüdischen Bolschewismus“ als Teil einer Verschwörung des „Weltjudentums“ begründet, die in Gestalt der Sowjetunion als Bedrohung der Lebensgrundlagen der „arischen Rasse“ und der durch sie repräsentierten europäischen Zivilisation gesehen wurde. 1930 wählten 6,4 Millionen (18,3 %) und 1933 17,3 Millionen (43,9 %) aller Wähler in den Reichstagswahlen Hitler und die NSDAP.
Der Generalfeldmarschall und ostpreußischer Gutsbesitzer Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (* 2. Oktober 1847 in Posen; † 2. August 1934 auf Gut Neudeck, Ostpreußen), 1914 als "Befreien von Ostpreußen" gefeiert, wurde 1925 nach dem plötzlichen Tod von Friedrich Ebert zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik gewählt. Am 26. April 1925 wurde Hindenburg als Vertreter des antirepublikanischen „Reichsblocks“, dem Wilhelm Marx vom republikanischen „Volksblock“ gegenüberstand, im zweiten Wahlgang im Alter von 77 Jahren als Nachfolger Friedrich Eberts zum Reichspräsidenten gewählt und am 12. Mai vereidigt. Er wurde bei der Reichspräsidentenwahl 1932 wiedergewählt und blieb bis zu seinem Tod, am 2. August 1934 im Amt.
„Der Reichspräsident Hindenburg nahm, indem er nacheinander Heinrich Brünning (Zentrums-Partei), Franz von Papen (Zentrums-Partei), Kurt von Schleicher (parteilos) und Adolf Hitler (NSDAP) zum Reichskanzler ernannte und ihnen die präsidialen Machtmittel der Weimarer Verfassung nach deren Art. 25 (Auflösung des Reichstages) und 48 (Notverordnung) zur Verfügung stellte, entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der Weimarer Republik. Hindenburg gehört zu den „Totengräbern“ der Weimarer Demokratie.“ Quelle: Philipp Austermann, Der Weimarer Reichstag
Nachdem Hindenburg den Nationalsozialisten Adolf Hitler mehrmals als Regierungschef abgelehnt hatte, ernannte er ihn doch, auch nach Drängen seiner Umgebung, am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler. Er ermöglichte aber durch dieses formale Handeln, daß Hitler und die NSDAP in Deutschland zeitnahe eine Diktatur errichten konnten. Innerhalb weniger Monate beseitigte sein Regime mit Terror, Notverordnungen, dem Ermächtigungsgesetz, Gleichschaltungsgesetzen, Organisations- und Parteiverboten die Gewaltenteilung, die pluralistische Demokratie, den Föderalismus und den Rechtsstaat. Politische Gegner wurden in Konzentrationslagern inhaftiert, gefoltert und ermordet. Insterburg war nun eine Stadt im III Reich.
1934 ließ Hitler anlässlich des „Röhm-Putsches“ politische Gegner und potenzielle Rivalen in den eigenen Reihen ermorden. Hindenburgs Tod am 2. August 1934 nutzte er, um das Amt des Reichspräsidenten mit dem des Reichskanzlers vereinen zu lassen, und regierte seither als „Führer und Reichskanzler“.
Noch im März 1934 äußerte der aus dem ostpreußischen Landadel stammende von Hindenburg unverhohlen sein Bedauern darüber, daß der "Grundsatz der Rassenreinheit in den letzten zwei Jahrhunderten vielfach durchbrochen" worden sei. Quelle: Hans-Ulich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 4
Ideologie des Nationalsozialismus
Der Nationalsozialismus entwickelte zum Umsetzung seiner Ideologie u.a. folgende Leitgedanken:
- Führerprinzip
- Volk-Gemeinschaft
- Überlegenheit der arische Rasse
- Lebensraum im Osten
Führerprinzip
Das "Führerprinzip" galt als Grundgesetz nationalsozialistischer Weltanschauung. Es verpflichtete nach dem Motto "Führer befiehl, wir folgen" zu blindem Gehorsam und bedingungsloser Treue gegenüber Hitler als dem obersten "Führer" und die jeweilige Gefolgschaft zu Gehorsam gegenüber den Befehlen der Führer auf mittlerer und unterer Ebene. Demnach sollte Adolf Hitler nicht nur militärisch, sondern analog auch in allen politischen und rechtlichen Gebieten die oberste Befehlsgewalt haben, ohne kontrollierende Instanzen. Das Führerprinzip wurde in entsprechenden Gesetzen, Verordnungen und Statuten verankert. Das Führerprinzip wurde im nationalsozialistischen Deutschland unter Adolf Hitler umgesetzt, um seine absolute Autorität und Kontrolle zu festigen. Dazu einige Aspekte der Umsetzung:
- Zentralisierung der Macht: Alle politischen, militärischen und rechtlichen Entscheidungen sollten von Hitler persönlich getroffen werden. Es gab keine unabhängigen Institutionen oder Kontrollmechanismen, die seine Befehle überprüfen konnten.
- Loyalität und Ergebenheit: Die Mitglieder der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) und andere Organisationen wurden auf absolute Loyalität gegenüber Hitler eingeschworen. Sie mussten ihm bedingungslos folgen und seine Ideologie unterstützen.
- Hierarchie und Befehlskette: Die Struktur der Partei und der Regierung war hierarchisch aufgebaut. Hitler stand an der Spitze, gefolgt von seinen engsten Vertrauten und dann den untergeordneten Führern. Jeder hatte klare Befehlsbefugnisse.
- Propaganda und Kult um die Person: Die Propagandamaschinerie des NS-Regimes stellte Hitler als charismatischen und unfehlbaren Führer dar. Sein Bild war allgegenwärtig, und die Menschen wurden dazu ermutigt, ihn zu verehren.
- Einschüchterung und Repression: Gegner des Regimes wurden brutal unterdrückt. Die Gestapo (Geheime Staatspolizei) und andere Sicherheitsorgane sorgten dafür, dass jeder Widerstand gegen Hitler und seine Ideologie im Keim erstickt wurde.
- Kontrolle über die Medien: Die nationalsozialistische Regierung kontrollierte die Presse, das Radio und andere Medien. Nur die offizielle Propaganda wurde verbreitet, um die Botschaft des Führers zu stärken.
Insgesamt führte das Führerprinzip zu einer starken Zentralisierung der Macht und einem Kult um die Person Hitler, der von einigen nach dem Kriegsende weiter gepflegt wurden z.B. von:
- Winifred Wagner (1897-1980, siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Winifred_Wagner),
- Ilse Heß (1900-1995, siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Ilse_He%C3%9F),
- Edda Göring (1939-2018, siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Edda_G%C3%B6ring) oder
- Henriette von Schirach (1913-1992, siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Henriette_von_Schirach)
Oder im sogenannten „Naumann-Kreises“, einer Gruppe ehemaliger SS- und HJ-Kader um Goebbels früheren Staatssekretär Werner Naumann (1909-1982) - darunter auch der ehemalige Rektor der Königsberger Universität Hans-Bernhard von Grünberg (1903-1975). Diese versuchte zu Beginn der 1950er-Jahre, die Politik der frühen Bundesrepublik zu beeinflussen und eine Generalamnestie für NS-Verbrecher zu erreichen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Naumann-Kreis
Volk-Gemeinschaft
Die Volk-Gemeinschaft benötigte lt. Hitler „Blut“ und „Boden“. Sie sollte durch die „Blut-und-Boden-Ideologie“ das Ziel erreichen, die Einheit eines „rassisch definierten Volkskörpers mit einem eigenen Siedlungsgebiet“ herzustellen. Die arische Rasse Europas sollte hauptsächlich in einem germanischen Siedlungsgebiet integriert werden. Die Volks-Gemeinschaft war eine Gesinnungsgemeinschaft, die das Bekenntnis zur Weltanschauung des Nationalsozialismus z. B. durch den Ariernachweis forderte und eine „Siedlungsraum als erforderliche Ernährungsgrundlage“ beanspruchte. Dazu wurden die verschiedensten Propaganda-Maßnahmen durchgeführt und neue nationalsozialistische Organisationen gegründet z.B. bestehende Institutionen umorganisiert. Beispielhaft die folgende Stichworte:
- Die Bäuerliche Lebensformen wurden als Gemeinschaft idealisiert. Sie sollten ein Gegengewicht zur Urbanität bilden. Ein „Volk ohne Raum“ hat neuen „Lebensraum im Osten zu erobern. Indem rassische und antisemitische Ideen verknüpft wurden, sollte die „germanisch-nordische Rasse“ einem angeblich „Jüdischen Nomadentum“ entgegengesetzt werden. Die arische Rasse sollte hauptsächlich in einem Siedlungsgebiet konzentriert werden und sich selber versorgen können. Dazu wurde u.a. der Reichsnähstand gegründet. Siehe dazu auch die folgenden Kapitel "7.4.2 Generalplan Ost" und "7.4.6 Der Reichsnährstand im Nationalsozialismus"
- Quasi-religiöses Gemeinschaftserlebnis durch Rituale wie Massenaufmärsche und Fackelzüge, Nachtkundgebungen mit „Lichtdomen“, die nationalsozialistische Weihe von Symbolen wie das Hakenkreuz (Quelle: Swastika: https://de.wikipedia.org/wiki/Swastika) und die SS-Siegrune (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Siegrune), propagandistisch aufgezogene Straßensammlungen für das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes, den Eintopfsonntag, Ritualformeln (z. B. bei Gefallenen-Anzeigen: „In stolzer Trauer“) oder eigene nationalsozialistische Sprachschöpfungen (siehe dazu Victor Klemperer: LTI - lateinisch Lingua Tertii Imperii‚ Sprache des Dritten Reich(e)s‘ – Notizbuch eines Philologen, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Victor_Klemperer)
- Die Erziehung im Nationalsozialismus bezeichnete die Theorie und Praxis der „totalen Erziehung“ im NS-Staat. Sie umfasste die Vorschul-, die schulische und außerschulische Erziehung sowie die Hochschulbildung während der Zeit des Nationalsozialismus. Ziel war es, die sogenannte „arische“ Jugend zu „rassenbewussten Volksgenossen“ zu formen, „ihre jugendlichen Körper zu stählen“ und sie zu überzeugten Nationalsozialisten zu erziehen. Der Jugend galt ein besonderes Augenmerk des NS-Regimes, sollte doch mit ihrer Erziehung und Ausbildung der Grundstein für die Volksgemeinschaft der Zukunft gelegt werden. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Erziehung_im_Nationalsozialismus. Das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ vom 25.04.1933 legte einen maximalen Anteil von 5 Prozent SchülerInnen jüdischer Religion fest. 1937 wurden diese dann endgültig von den Schulen ausgeschlossen. Eine der ersten Maßnahmen war die Entlassung aller jüdischen Lehrer und Universitätslehrkräfte, dazu kam die Entlassung von einem Drittel der Lehrerinnen. 1942 wurde die Schließung der jüdischen Schulen angeordnet und darüber hinaus "jegliche Beschulung jüdischer Kinder durch besoldete und unbesoldete Lehrkräfte untersagt". Ebenso wurden Lehrer entlassen, die sich nicht fügten und unterordneten, wie pazifistisch eingestellte, sozialistische oder kommunistische Lehrer. Die Zeichen des Nationalsozialismus und des Führers Adolf Hitler waren ständig sichtbar. In den Klassenzimmern hingen Bilder von Adolf Hitler, Kinder mussten mit dem Hitlergruß grüßen und Hakenkreuze sowie Fahnen wehten an den Schulen. Er wurden Rassenatlanten und Schaubilder im Unterricht eingesetzt.
- Für die Nationalsozialisten war es besonders wichtig, die Kinder vom nationalsozialistischen System zu überzeugen, was nicht immer gelang. In der Schule in Lindenhöhe, die Hildegard Tuttlies besuchte, waren die Besucher des Schulrates gefürchtet. Er fragte zunächst nach dem Geburtsdatum des „Führers“ und sah nach, ob die vorhandenen Hakenkreuzfahnen sauber gewaschen und exakt gebügelt waren. Danach kamen die stundenlangen Abfragen der Schüler, die er notierte. Die Fragen waren oft nationalsozialistische gefärbt. z.B. „Ein Irrenhaus kostet 10 000 Reichsmark, wie viele deutsche Familien könnten davon eine Wohnung bekommen?“ oder "Wie viele Bomben sind nötig, um das Zentrum von Paris oder London zu zerstören?" oder „Wieviel Juden haben in Insterburg Platz?“. Einige Schüler hatte er aufgrund früherer Notizen besonders „auf dem Kicker“, dann flossen häufig die Tränen.
- Konsequente nationalsozialistische Erziehung fand in den Nationalpolitische Erziehungsanstalten statt. Die Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (amtlich NPEA, auch Napola – Nationalpolitische Lehranstalt oder Napobi – Nationalpolitische Bildungsanstalt) waren Internatsoberschulen, die nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 als „Gemeinschaftserziehungsstätten“ gegründet wurden. Der Besuch der Schulen führte zur Hochschulreife. Ähnlich wie bei den Adolf-Hitler-Schulen (AHS) und den SS-Junkerschulen handelte es sich um Eliteschulen zur Heranbildung des nationalsozialistischen Führernachwuchses. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalpolitische_Erziehungsanstalt.
Im Reich wie auch bei den Bewohnern Ostpreußens sorgte der Friedensvertrag von Versailles allgemein für große Empörung. Der größte Teil Westpreußens musste ohne Volksabstimmung an den neu gegründeten polnischen Staat abgetreten werden. Als besonders absurd wurde die neue Grenze im Bereich der Weichsel empfunden: Die Grenzlinie verlief nicht wie international meist üblich in der Strommitte, sondern am rechten Flussufer, so dass den Bewohnern auf deutscher Seite die Flussnutzung unmöglich gemacht wurde.
Die Napola für Ostpreußen/Danzig-Westpreußen lag in Stuhm (pol. Sztum) und war in einer ehemaligen Kaserne untergebracht. Zum 1. Juli 1922 wurde der Regierungsbezirk Marienwerder in die Provinz Ostpreußen eingegliedert und aus Traditionsgründen in Regierungsbezirk Westpreußen umbenannt. Die Kleinstadt Stuhm lag im Regierungsbezirk West-Preußen und befand sich etwa zehn Kilometer südlich von Marienburg (pol. Malbork) und zwanzig Kilometer nördlich von Marienwerder (pol. Kwidzyn). Am ‚Führergeburtstag‘ im Jahr der Machtergreifung 1933 hatte Reichserziehungsminister Bernhard Rust die ersten drei NPEAs in Plön, Köslin und Potsdam eröffnet.
Insgesamt gab es im 3. Reich etwa 43 NPEAs mit geschätzten 17.000 "Jungmannen", davon drei für Mädchen. Wie auch viele andere NPEAs waren diese aus ehemaligen Kadettenanstalten (bzw. seit dem Versailler Vertrag Staatlichen Erziehungsanstalten – Stabilas) hervorgegangen. Die Eröffnung der NPEA Stuhm erfolgte kurz danach, am 1. Oktober 1934. Sie hatte ihre Wurzeln teilweise in der alten preußischen Kadettenanstalt in Wahlstatt in Schlesien. Im Herbst 1938 befand sich die NPEA Stuhm nach wie vor im Aufbau, d.h. es waren noch nicht alle Klassenstufen besetzt: Mit 39 Erziehern (davon 6 in Ausbildung) und 295 Jungmannen war noch nicht das Ausbauziel von 42 Erziehern und 400 "Jungmannen" erreicht. Die Zahl der Bewerber für die Kaderschmieden war groß. Beispielsweise wurden 1934 in der Napola Plön von 2.000 Schülern nur 120 zum Aufnahmetest zugelassen. Die Prüfungen (berüchtigt waren die z.T. lebensgefährlichen Mutproben), die eine ganze Woche dauerten, bestanden schließlich 70. Die Aufnahme in einer Napola setzte „arische Abstammung, einwandfreie Charaktereigenschaften, volle körperliche Leistungsfähigkeit (keine Brillenträger) und mindestens durchschnittliche geistige Begabung“ voraus.
Die Bewerber stammten aus allen Teilen des Reiches. Die meisten Schüler stammten aber aus Beamtenfamilien oder aus Familien von Selbstständigen: „die müssen wir besonders im Auge haben“. Die ursprüngliche Idee, möglichst vielen Arbeiterkindern einen Platz zu verschaffen, wurde aus ideologischen nicht in die Tat umgesetzt. Bei linientreuen Lehrern genossen die Schulen ein hohes Ansehen, sie waren auch finanziell sehr gut ausgestattet. Aus dem großen Familienkreis der Tuttliesen im Kirschspiel Aulowönen gab es im Laufe der Zeit zwei Bewerbungen an der Napola Stuhm, die aber nicht angenommen wurden, der eine war ein Brillenträger, was er verheimlicht hatte, der andere hatte nahe litauische Verwandte. Die entsprechenden Jahreslisten lagen immer beim Ortsgruppenleiter in Aulowönen aus – lt. Hildegard Tuttlies „das einzig Interessante in seinem Kabuff für junge Leute auf dem Dorf“ Quelle: https://familienchronik.schlenk.info/orte/stuhm-westpr/
- Das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter, kurz Mutterkreuz, wurde am 16. Dezember 1938 per Verordnung von Adolf Hitler gestiftet. Die Eingangsworte dieser Verordnung lauteten: „Als sichtbares Zeichen des Dankes des Deutschen Volkes an kinderreiche Mütter stifte ich das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter.“ Die weiteren Verfahrensregeln wurden in der gleichnamigen Satzung veröffentlicht. Im Volksmund wurde der Orden in Ostpreußen auch „ Dat Kanickelkreuzke“ genannt. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Mutterkreuz
- Die Deutsche Arbeiterfront (DAF) wurde am 10. Mai 1933 nach Zerschlagung der Freien Gewerkschaften gegründet. Deren Vermögen wurde zugunsten der DAF beschlagnahmt und das Streikrecht abgeschafft. Sämtliche Berufsverbände der Angestellten und der Arbeiter wurden mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 zusammengeführt; die DAF wurde der mit Abstand größte NS-Massenverband. Im Oktober 1934 wurde die DAF offiziell der NSDAP angeschlossen. Sie war nach dem Führerprinzip bis hinab zum Blockwart organisiert. Jeder Arbeitnehmer musste zur Kontrolle ein Arbeitsbuch haben und ihm wurde ein Zwangsbeitrag in Höhe von durchschnittlich 1,5 bis 2 Reichsmark direkt vom Lohnkonto abgezogen. Erich Tuttlies arbeitete von 1933 bis 1935 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und musste ebenfalls seinen DAF-Beitrag leisten. Damit wurden die DAF eine der wohlhabendsten Organisationen im 3. Reich. Quelle: Deutsche Arbeitsfront – Wikipedia
- Die nationalsozialistische Massenorganisation Kraft durch Freude (KdF) wurde am 27. November 1933 als Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF) mit dem Ziel gegründet, den Totalitätsanspruch des NS-Regimes mit der „Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen“ zu erfüllen. Mit dem Amt für Reisen, Wandern und Urlaub war KdF der größte Reiseveranstalter in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten verlängerten den Urlaub auf zwei bis drei Wochen pro Jahr und konnten damit auch weite Teile der vormals gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft gewinnen. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kraft_durch_Freude
- Ebenso übten die Gliederungen der Hitler-Jugend, Jungvolk, Jungmädel, Bund Deutscher Mädel und das BDM-Werk „Glaube und Schönheit“ des nationalsozialistischen Regimes Einfluss auf das Denken und Handeln der Kinder und Jugendlichen aus. Schlesien, Pommern und Ostpreußen waren die Schwerpunktregionen für den Landdienst, der nach 1936 noch weiter ausgebaut wurde. In Schulungs- und Umschulungszentren wurden nicht mehr nur Grundlagen für die Binnenkolonisation des ländlichen Raums gelegt, sondern es wurde auch eine Basis für die Neukolonisierung des nichtdeutschen Ostens hergestellt, den das „Herrenvolk“ als „Lebensraum“ nach den Kriegsplänen des NS-Regimes erobern sollte. Hildegard Tuttlies war von 1939 - 1940 beim BDM als Landjahrmädel in einer Baumschule tätig. Quelle: [[3]]
Das nationalsozialistischen Regiment war seinen Untergebenen grundsätzlich misstrauisch gegenüber und hatte verschiedene Kontrollinstrumente zum Durchsetzungsgrad seiner Ideologie vorgeschrieben. So zum Beispiel:
- auf dem Lande den Ortsbauernführer u.a. durch die „Hofkarte“ (siehe dazu 7.4.7 Der Reichsnährstand im Nationalsozialismus),
- in den Dörfern und Städten den Blockwart u.a. durch die "Haushaltskartei". Der Blockleiter der NSDAP, inoffiziell Blockwarte genannt, waren in der Zeit des Nationalsozialismus die rangniedrigsten Funktionsträger der NS-Partei, zuständig für die kleinteilige Kontrolle, Bespitzelung und Indoktrinierung der Bevölkerung. Sie überwachten in größeren Orten jeweils etwa 40 bis 60 Haushalte einschließlich Untermieter mit durchschnittlich rund 170 Personen eines Häuserblocks, von dem sich ihre Bezeichnung herleitete. Auf dem Land war ein Blockwart für mehrere Güter, Bauernhöfe, Wohnsitze und Unterkünfte der Landarbeiter und kleinere Handwerks- und Gewerbebetriebe zuständig. Zur politischen Überwachung führte er eine normierte Haushaltskartei, dokumentierte die bei im anzumeldende Besucher der Haushalte, Unmutsäußerungen und das Verhalten bei Beflaggung, gab Leumundszeugnisse ab und war allgegenwärtiger Ansprechpartner für Denunziationen. (siehe dazu als Quellen: Blockleiter: https://de.wikipedia.org/wiki/Blockleiter und Detlef Schmiechen-Ackermann: Der „Blockwart". Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 48(2000) Heft 4 (ifz-muenchen.de) https://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2000_4.pdf)
- in den Betrieben durch die Betriebsobmänner der Arbeitsfront mit Hilfe des "Arbeitsbuches". Das Arbeitsbuch war ein von staatlichen Stellen ausgestelltes Dokument, das einem Arbeitgeber bei der Einstellung verpflichtend vorzulegen war. 1938 waren rund 22.500.000 Arbeitsbücher von den Arbeitsämtern ausgegeben worden. Das Arbeitsbuch war ein nummeriertes dünnes Heft im Format DIN A 6 mit 32 Seiten. Die ersten drei Ziffern der Arbeitsbuchnummer gaben einen Hinweis auf eines der 345 zur Ausfertigung berechtigten Arbeitsämter. Parallel zum Arbeitsbuch wurde unter gleicher Nummer beim ausstellenden Arbeitsamt eine Karteikarte geführt. Das Arbeitsbuch und die Kartei sollten eine staatliche Lenkung zur „planvollen Verteilung der Arbeitskräfte auf weite Sicht" ermöglichen. Ziel war es, die berufliche Mobilität von Arbeitnehmern zu kontrollieren und die Lohn- und Gehalts-Zusage der früheren Arbeitgeber zu dokumentieren. Damit sollte es Arbeitnehmern unmöglich gemacht werden, Lohnunterschiede zwischen Unternehmen oder Branchen mittels eines Firmenwechsels auszunutzen. Das Arbeitsbuch war ein Mittel, die Berufsfreiheit grundsätzlich einzuschränken und nach 1936 ein Instrument der wirtschaftlichen Kriegs-Mobilmachung durch die Einsatzplanung der benötigten Arbeitsressourcen in den Vierjahrespläne der NSDAP. (siehe dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitsbuch)
Überlegenheit der arische Rasse
"Überlegenheit der arische Rasse": Mit den Nürnberger Gesetzen institutionalisierten die Nationalsozialisten ihre antisemitische und rassistische Ideologie auf juristischer Grundlage. Sie wurden auf dem 7. Reichsparteitag der NSDAP, dem „Reichsparteitag der Freiheit“, am 15. Septembers 1935 einstimmig vom Reichstag angenommen, der eigens zu diesem Zweck telegrafisch nach Nürnberg einberufen worden war. Sie umfassten das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre (RGBl. I S. 1146) und das Reichsbürgergesetz (RGBl. I S. 1146). Das am 15. September 1935 erlassene Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre verbot die Eheschließung sowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Nichtjuden. Es sollte der „Reinhaltung des deutschen Blutes“ dienen, einem zentralen Bestandteil der nationalsozialistischen Rassenideologie. Verstöße wurden als „Rassenschande“ mit Gefängnis und Zuchthaus (ausschließlich für männliche Beteiligte) bedroht – egal, welcher Beteiligte Jude war. Die Nürnberger Rassengesetze entzogen den Juden u.a. die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie wurden in den meisten Fällen aus ihrem Beruf entlassen und durften diesen nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ausüben. Die Verordnungen zum Reichsbürgergesetz entzogen Juden Schritt für Schritt die Staatsbürgerrechte und machte sie zu Bürgern zweiter Klasse.
Die Nationalsozialisten versuchten, ihre Rassentheorien wissenschaftlich zu untermauern. Dazu rekrutierten sie eigens Mediziner und Wissenschaftler z. B. für die vier Rassen-Institute an der Uni Jena – siehe weiter unten. Die Spezialisten sollten den Nachweis erbringen, dass Menschen in verschiedene Rassen unterteilt sind. Die Rassen wurden primär aufgrund äußerlicher (phänotypischer) Merkmale wie Körpergröße, Gewicht, Muskelumfang, Haar-, Augen- und Hautfarbe, Körper-Behaarung, Nasenprofine oder Schädelform vermessen und typologisch versuchsweise in Gruppen eingeteilt. Dazu wurden aber auch nach zusätzliche Unterschiede z. B. im Charakter und den Fähigkeiten entsprechender Individuen gesucht. Die Versuche einer statistischen Beschreibung und Analyse von Zusammenhängen dieser erhobenen Merkmale konnten jedoch die Rassentheorien der Nationalsozialisten wissenschaftlich nicht bestätigen. Diese galt auch für die weitergehende Versuche, menschliche Gene zu Bestimmung von Rassen zu benutzen. Vielmehr hatten sie ergeben, dass Menschen wissenschaftlich nicht einer bestimmten Rasse zugeordnet werden können. Die Menschheit ist aus biologischer Sicht zu vielfältig. Diese Realität brachte die Nazis jedoch nicht von ihrer Einstellung ab.
Die Nationalsozialsozialistische Propaganda bedienten sich u.a. des gefälschten antisemitisches Pamphlet "Die Weisen von Zion" über das "Weltjudentums", unterstützt durch die geheime Verschwörung vernetzten machtgierige jüdischer Bankiers und der Freimaurerlogen, zeigten auf den raffgieren jüdischen Kaufmann um die Ecke, der Wucherzinsen nimmt und prangerte die schmutzigen dunkelhaarigen jüdischen Kinder, alle mit krummen Nasen, an.
Mangels andere erkennbarer und seriös verwertbarer spezifischer Rasse-Merkmale für alle Juden wurde damals auch international, die jüdische Religion als Definitionsmerkmal für die Rasse zu Hilfe genommen. Die von der nationalsozialistischen Forschung erarbeiteten entsprechenden "Forschungsergebnisse" lieferten schon damals nachträglich pseudowissenschaftliche Rechtfertigungen für die folgenden Gräueltaten des Faschismus - so seriöse englische und amerikanischer Wissenschaftler jener Zeit. Als arisch galt im Nationalsozialismus nur der, der eine Abstammung von nichtjüdischen Großeltern beweisen konnte. Diese statistischen Definition führte zu Schwierigkeiten, da die nationalsozialistische Bürokratie formal nach "Glaubensjuden", "Halbjuden", "Vierteljuden" und "Achteljuden" unterschied. Dazu kamen noch "Assimilierte Juden". Diese Eingruppierungen führten zu jeweilig unterschiedlichen "rechtliche Konsequenzen". Von wem die Urgroßeltern abstammten und welcher Religion sie angehört hatten bzw. zu welcher Religion sie wechselten, ließ das Gesetz außer Betracht.
Die Überlegenheit der arische Rasse sollte durch den Ariernachweis dokumentiert werden. Der Ariernachweis war im nationalsozialistischen Deutschland von 1933 bis 1945 für bestimmte Personengruppen insbesondere Mitglieder der SS (großen Ariernachweis), der Wehrmacht, Beamte, öffentlicher Dienst, Ärzte, Juristen, Wissenschaftler deutscher Hochschulen, umgesiedelte und neu eingebürgerte Volksdeutsche (kleiner Ariernachweis) ein von Staats- und Regierungsbehörden geforderter Nachweis (beglaubigte Ahnentafel) einer „rein arischen Abstammung“ aus der „arischen Volksgemeinschaft“. 2017 warf Margot Käßmann der AfD vor, deren Forderung nach einer höheren Geburtenrate der „einheimischen“ Bevölkerung entspreche dem „kleinen Arierparagraphen“ der Nationalsozialisten. Dies führte zu einer Auseinandersetzung mit den Publizisten Henryk M. Broder und Roland Tichy sowie der AfD. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Ariernachweis
Die Anzahl der „minderwertigen Glaubensjuden“ im Deutschen Reich wird 30.1.1933 auf 561 000 geschätzt, zu denen nach Definition der Nationalsozialisten weitere 180.000 "Assimilierte Juden" zu addieren wären. 1939 lebten in Deutschland noch rund 330.000 von den Nationalsozialisten aufgrund ihrer Abstammung als „Glaubensjuden“ eingestufte Menschen und 64.000 „jüdische Mischlinge ersten Grades“, 7.000 „Geltungsjuden“ und 42.000 „jüdische Mischlinge zweiten Grades“ mit nur einem jüdischen Großelternteil. 1942 gab es im Deutschen Reich nur noch 131.000 „Glaubensjuden“. Bei der 1939 durchgeführten Volkszählung musste auf „Ergänzungskarten“ die jüdische Religionszugehörigkeit aller vier Großeltern abgegeben werden, wodurch die „Rassezugehörigkeit“ der „Glaubensjuden“ ermittelt wurde. In Ostpreußen betrug die Zahl der Juden 1914 etwa 13.000 und 1933 die Zahl der "Glaubensjuden" 8.838 Personen.
Quelle: https://www.ns-archiv.de/verfolgung/korherr/korherr-lang.php
Juden siedelten sich im preußischen Insterburg relativ spät an; die erste Familie soll sich erst um 1830 hier niedergelassen haben. Eine jüdische Kultusgemeinde wurde aber bereits gegen Ende der 1830er Jahre gegründet; sie wuchs sehr schnell an. Bald zählte sie - nach Königsberg, Allenstein und Memel - zu den größeren jüdischen Kultusgemeinden Ostpreußens. 1865 weihte die hiesige Judenschaft einen Synagogenneubau in der Forchestraße (ehem. Reitbahnstraße) ein. Er lag genau gegenüber der Frieda-Jung-Schule. Das Gebäude war mit hohen Rundbogenfenstern und orientalisch anmutenden Zierelementen versehen. Anfang der 1930er Jahre lebten etwa 350 Juden in Stadt und Kreis Insterburg. Auch damals war Insterburg für die in der Region lebenden Juden noch die zentrale Gemeindeorganisation, die die wenig begüterten Glaubensgenossen in den Dörfern finanziell unterstützte. Erste antisemitische Attacken waren schon vor 1933 in der Stadt zu verzeichnen. Bereits in den beiden ersten Jahren der NS-Herrschaft wanderten zahlreiche jüdische Bewohner ab; bis 1938 hatte mehr als die Hälfte der Gemeindeangehörigen Insterburg verlassen. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurde die Synagoge in Insterburg von Nationalsozialisten in Brand gesetzt und niedergebrannt. Die Feuerwehr wurde am Löschen gehindert. Im Mai 1939 lebten nur noch ca. 90 Juden in Insterburg; sie wurden in „Judenhäusern“ konzentriert, darunter auch Herbert Meyer aus Aulowönen - Besitzer eines dortigen Konfektionsgeschäftes. Wer nicht vorher emigrieren konnte, wurde deportiert. Mehr als 130 Juden, die in Insterburg geboren bzw. über einen längeren Zeitraum hier gelebt hatten, wurden Opfer des Holocaust. So migrierte z. B. Anni Bartuschat aus Willschicken lt. Bremer Passagierlisten am 18. Mai 1934 auf dem Schiff „Bremen“ von Bremen nach New York. Nach der Erinnerung von Hildegard Tuttlies wohnten danach in Willschicken keine Angehörige des Jüdischen Glaubens mehr.
Die SS schickte die erste und größte Gruppe jüdischer Deportierter, bestehend aus 465 jüdischen Männern, Frauen und Kindern, aus Königsberg und Ostpreußen in das Vernichtungslager Maly Trostenez bei Minsk am 24. Juni 1942. Fast alle wurden kurz nach ihrer Ankunft ermordet. Bis 1945 fanden weitere Transporte von Königsberg ins Ghetto/KZ Theresienstadt und in die KZs nach Auschwitz und Stutthof statt.
Quellen:
Andreas Kossert: Ostpreußen – Geschichte einer historischen Landschaft: https://www.chbeck.de/kossert-ostpreussen/product/13732442
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: https://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/h-j/991-insterburg-ostpreussen
Die Wannseekonferenz war eine geheime Besprechung am 20. Januar 1942 in einer Villa am Großen Wannsee in Berlin. Fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und der SS-Behörden kamen zusammen, um unter dem Vorsitz des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich in seiner Funktion als Chef der Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren. Der Judenmord wurde mit staatlichen Mitteln organisiert, systematisch auch mit industriellen Methoden durchgeführt und zielte auf die Ausrottung aller Juden in Europa.
Der nationalsozialistische Begriff suggeriert, dass "Rassen" anhand von Religionszugehörigkeit, bestimmtem Aussehen, persönlichen Eigenschaften und Orts- und Ahnenzugehörigkeit erkennbar sind. Sie sollen durch ein bestimmtes Charakteristikum mit hervorstechenden äußerlichen Merkmalen und ausgeprägten Verhaltens-Typen, sowie geografischer und biografischer Zugehörigkeit erklärbar sein. Damit wäre aber insgesamt ein festgelegtes Verhalten von „Rassen“ genetisch vorgegeben und nicht veränderbar. Die "Grundlagen" wurden in der "nationalsozialistische Rassenhygiene" gesucht.
Ernst Haeckel wurde 1861 außerordentlicher Professor an der Universität Jena und hielt im Wintersemester 1862 die erste Vorlesung über die Entwicklungstheorie Darwins, die Entstehung der Arten. Aufgrund seiner Überlegungen zur „künstlichen Züchtung“ des Menschen in modernen Gesellschaften gilt Haeckel als Wegbereiter der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. Nationalsozialistische Ideologen zogen Ausschnitte seiner Aussagen später als Begründung für ihren Rassismus und Sozialdarwinismus heran. Ein Zentrum der rassenbiologischen Ideologie wurde die Universität Jena erneut in den 30iger Jahren. Dort lehrten im Dritten Reich vier ausdrücklich überzeugte nationalsozialistische Professoren für menschliche Rassenkunde in ihren jeweiligen Instituten und Forschungsstellen: Hans F. K. Günther („Rassepapst“), Karl Astel (Rektor in Jena), Gerhard Heberer (Beirat der Ernst Haeckel-Gesellschaft) und Victor Julius Franz (Direktor des „Ernst-Haeckel-Hauses“). Abgeleitet wurden von deren "Forschungsergebnissen" eine weitere scheinbar wissenschaftliche Rechtfertigung für den Rassismus der NSDAP.
Die ideologische Vorstellung "Rassen" durch eine "negative" oder eine "positive" Kombination von biologischen Merkmalen, bestimmten Verhaltens-Typen und geografischer und biografischer Herkunft oder Religionszugehörigkeit zu erklären, wurde schon in der Zwischenkriegszeit von der seriösen Wissenschaft für falsch erklärt worden, da sich sowohl analytisch als auch statistische zwischen den benannten Merkmalsgruppen keinerlei überzeugende kausale Zusammenhänge nachweisen lassen. Diese Feststellung gilt auch für vermutete genetische Zusammenhänge. Dazu vier kurze Zusammenfassungen:
1. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Gräueln des Holocaust setzte die UNESCO 1949 ein Komitee von Anthropologen und Soziologen aus verschiedenen Ländern ein, dass eine Erklärung zur Rassenproblematik erarbeitete, die 1950 veröffentlicht wurde. Darin wurde festgehalten, dass im allgemeinen Sprachgebrauch zumeist Menschengruppen als „Rassen“ bezeichnet wurden, welche der gültigen Definition dieses Begriffs in der Wissenschaft nicht entsprachen. Der allgemeine Sprachgebrauch spricht etwa von Amerikaner, Katholiken oder Juden. Insofern im Rahmen der Wissenschaft von Menschenrassen gesprochen werde (etwa bei der Unterscheidung von Mongoliden, Negroiden und Caucasoiden), beziehe sich das nur auf physische und physiologische Unterschiede. Dagegen gebe es keine Belege für nennenswerte Rassenunterschiede bei geistigen Eigenschaften wie der Intelligenz oder dem Temperament, und auch nicht in sozialer oder kultureller Hinsicht. Des Weiteren gebe es aus der Sicht der Biologie keine Hinweise darauf, dass eine "Vermischung von Rassen" nachteilige Auswirkungen habe. An diese Erklärung schloss sich 1965 das "Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung" an." Das Internationale Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, ICERD; sog. Anti-Rassismus-Konvention) vom 21. Dezember 1965 dient dem Schutz gegen jede Form rassistischer Diskriminierung. Quelle: Rassentheorie – Wikipedia
2. Der US-amerikanische Anthropologe Bernard Wood schrieb 2011 in seinem Standardwerk "Encyclopedia of Human Evolution": „Im Gebiet der Genetik wurde ‚Rasse‘ in der Vergangenheit genutzt, um Zuchtlinien, Gruppen oder Unterarten von Arten zu beschreiben. In Bezug auf moderne Menschen wurde der Ausdruck mit politischen und soziokulturellen Konzepten verbunden, die sich nicht mit aussagefähigen biologischen Einheiten und biologischen Gegebenheiten decken, weswegen ‚Rasse‘ nicht als biologische Einheit oder als klassifikatorisches Element für moderne Menschen geeignet ist." Quelle: Rassentheorie – Wikipedia
3. Die Vorstellung, es gebe genetisch unterschiedliche menschliche Rassen, wird von der großen Mehrheit der heutigen Forscher in Europa und Nordamerika widersprochen. Vielmehr gibt es genetisch unterschiedliche Menschen. "Der Abschied vom Rassenkonzept bedeutet nicht, genetische Unterschiede zwischen Menschen zu leugnen. Das Rassenkonzept erweist sich jedoch als ungeeignet, diese angemessen zu erfassen. Der größte Teil der genetischen Unterschiede ist nicht zwischen den geographischen Gruppen, sondern zwischen den Individuen ein und derselben Population zu finden." Dazu siehe u.a. Menschenrassen - Lexikon der Biologie (spektrum.de)
4. Die Jenaer Erklärung ist eine wissenschaftliche Stellungnahme neuerer Zeit, die das Konzept der „Rasse“ in Bezug auf Menschen hinterfragt und widerlegt. Sie wurde im September 2019 im Rahmen der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in Jena veröffentlicht. Die Erklärung wurde von führenden Wissenschaftlern aus den Bereichen Evolutionsforschung, Genetik und Zoologie verfasst. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Jenaer_Erkl%C3%A4rung
Generalplan Ost
Im Herbst 1939 ernannte Reichsführer SS Heinrich Himmler seinen Gefolgsmann Professor Konrad Meyer, Mitglied der SS und Direktor des Instituts für Agrarwesen und Agrarpolitik an der Berliner Universität zum Leiter der Planungshauptabteilung des der Reichsführung SS unterstehenden Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums. Unter maßgeblicher Regie Konrad Meyers und aktiver Mitarbeit weiterer Wissenschaftler der landwirtschaftlichen Fakultät entstand in den folgenden Jahren der sogenannte Generalplan-Ost.1948 wurde er von einem amerikanischen Militärgericht im Prozess Rasse- und Siedlungshauptamt der SS angeklagt, wegen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation für schuldig befunden, aber anschließend freigelassen. Von 1956 bis 1968 lehrte er als ordentlicher Professor für Landesplanung und Raumordnung an der Universität Hannover.
Unter dem Begriff Generalplan Ost (GPO) werden eine Reihe von Plänen, Planungsskizzen und Vortragsmaterialien zu einer möglichen neuen Siedlungsstruktur im Rahmen des nationalsozialistischen Leitgedankens "Lebensraum im Osten" zusammengefasst.
Diese theoretischen Konzepte bildeten auf der Grundlage der NS-Rassendoktrin eine Planungsgrundlage für eine Kolonisierung und „Germanisierung“ von Teilen Ostmittel- und Osteuropas einschließlich der großangelegten Vernichtung der Bevölkerungsgruppen, die für eine zukünftige Siedlungsstruktur als nicht „geeignet“ angesehen wurden.
Derartige Schriften wurden seit Frühjahr 1940 durch das Planungsamt des Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums (RKF), die Planungsgruppe lll B beim Sicherheitsdienst des Reichsführers SS im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und das Institut für Agrarwesen und Agrarpolitik der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität erstellt.
Einige Planungen sahen vor, Teile der Bevölkerung Polens und der westlichen Teile der Sowjetunion nach Sibirien zu deportieren. Nach der am 28. Mai 1942 vorgelegten und im Dezember noch einmal überarbeiteten Version sollten das Wartheland, Ostoberschlesien und Westpreußen einschließlich von Teilen des „Generalgouvernements Polen“ (GG) völlig „eingedeutscht“
In Teilen der eroberten Sowjetunion sollten drei „Reichsmarken“ gebildet werden:
1. „Ingermanland“ südlich von Leningrad
2. das Narewgebiet mit Białystok und Litauen
3. der „Gotengau“ mit Krim und dem Gebiet um Cherson
Die für die „Eindeutschung“ zunächst gesetzte Frist von 25 Jahren wurde am 23. Dezember 1942 noch einmal auf 20 Jahre herabgesetzt und Böhmen und Mähren, Elsaß-Lothringen, die Untersteiermark und Oberkrain wurden auf Himmlers Wunsch ebenfalls der Planung zugeordnet.
Die „frei gewordenen Gebiete“ in Osteuropa sollten mit mehreren Millionen Deutschen besiedelt werden. Voraussetzung zur vollen Umsetzung der Pläne wäre der militärische Sieg gegen die Sowjetunion gewesen
In den verschiedenen Entwürfen ist außerdem von den zu schaffenden Siedlungsgebieten als „Siedlungsmarken“ oder „Reichsmarken“ „an der vordersten Front des deutschen Volkstums gegenüber dem Russen- und Asiatentum“ (Entwurf vom 28. Mai 1942) die Rede, an deren Spitze jeweils ein „Markhauptmann“ zu stehen kommen sollte. Insgesamt hätten die Marken unter der Hoheitsgewalt des Reichsführers SS gestanden.
Auch außerhalb des GPO wurde die „Mark-“Bezeichnung, für die in Osteuropa bis 1942 besetzten Gebieten verwendet.
So hatte der Reichskommissar Ukraine, Erich Koch, vor, die Ukraine als neue „deutsche Ostmark“ in ein wirtschaftliches Ausbeutungsobjekt für das Großdeutsche Reich zu verwandeln. Erich Koch war gleichzeitig Gauleiter in Ostpreußen.
„Die Leitidee der NS-Großraumplanung für die Agrargebiete im „Altreich“ sahen Folgendes vor: Transformation der gesamten Besitz- und Erwerbsstruktur durch die Zerschlagung aller kleinen Einheiten und die Bildung ausschließlich mittlerer und großer Höfe, zugleich Ermittlung des „hochwertigen Erbgutes“ und Transfer der „wertvollen“ Kleinbauernfamilien in den osteuropäischen „Lebensraum“ des „Großgermanischen Reiches“.
Die "agrarische Großraumplanung" hatte in Deutschland eine gewaltige Umverteilung von Land und Leuten zum Ziel.
Der Kleinbesitz der Landwirte u.a. in Ostpreußen sollte lückenlos aufgelöst werden, der Boden den größeren Höfen zugeschlagen werden. Die so "freigesetzten Landwirte" auch das Arbeitskräftepotential der Industrie verstärken, vor allem aber den Siedlungszustrom für die Germanisierung der ehemals polnischen und russischen Ostgebiete gewährleisten.
Zugleich sollte diese gigantische Umwälzung mit einer "erbbiologischen" Überprüfung verbunden werden, damit mit "Altreich" und im Osten nur "rassisch wertvolle Bauernsippen den Bodden bestellen. Die "Minderwertigen" sollten sterilisiert oder "ausgemerzt" werden.
Zunächst wurde ein Bedarf von 770.000, im ersten „Generalplan Ost“ schon von 1,46 Millionen, später von 3,35 Millionen anzusiedelnden Neubauern ermittelt.“ 1,4 Millionen „rassisch Erstwertige“ Kleinbauern aus den „östlichen Gauen“ waren dafür vorgesehen.
Die Lücke sollte aus „rassisch Artverwandte“ die u.a. aus verschieden (europäischen) Gegenden stammen konnten, geschlossen werden. Um dafür „Platz zu schaffen“, sollten zwischen 30 bis 34 Millionen Russen jenseits des Urals nach Sibirien „transferiert“ werden.“
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 4
Da die Mehrheit der einheimischen slawischen Völker für eine Eindeutschung sowie eine zukünftige Siedlungsstruktur als „ungeeignet“ angesehen wurde und eine „Germanisierung“ nur für einen kleinen Teil geplant war, plante man mit einer Besiedlung durch Volksdeutsche bzw. Nordeuropäer einhergehend gleichzeitig eine drastische Dezimierung der einheimischen Bevölkerung – insgesamt von 30 Millionen, davon im Einzelnen:
- Vernichtung oder Vertreibung von 80–85 % der Polen
- Vernichtung oder Vertreibung von 50–75 % der Tschechen;
- Vernichtung von 50–60 % der Russen im europäischen Teil der Sowjetunion, weitere 15–25 % waren zur Verlegung in den Osten (d. h. zur Umsiedlung bzw. Vertreibung hinter den Ural, nach Sibirien) vorgesehen;
- Vernichtung von 25 % der Ukrainer und Weißrussen, weitere 30–40 % der Ukrainer und weitere 30–50 % der Weißrussen sollten in den Osten „ausgewiesen“ werden.
Tatsächlich wurden im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg bis Kriegsende mehr als 30 Millionen Militärangehörige und Zivilisten osteuropäischer Staaten getötet.
Die Sowjetunion verlor 13 % ihrer Bevölkerung (die Ukraine und Weißrussland 25 %), Polen 18 %. Neben Russen, Ukrainern, Weißrussen, Polen, Tschechen, Slowaken, zählten ebenso Angehörige nicht-slawischer Völker (vor allem Juden, Roma und Sinti, aber auch Esten, Letten, Litauer, Tataren, Kaukasier, Karelier usw.) zu den Opfern.
Quelle: Generalplan Ost – Wikipedia
Der Generalplan Ost war zwar streng geheim, weil zurecht Widerstand befürchtet wurde. Aber auf Grund von Prahlereien der Gauleiters Koch wurde in der ostpreußischen NSDAP darüber gemunkelt. Hintergrund waren wohl Gerüchte aus seiner Stiftung, die weitergetragen wurden.
In der Nachbarstadt von Wilkental in Grünheide wohnte ein Zeitungsschreiber. Er war in der Gegend als ein „glühendes NSDAP-Pateimitglied" bekannt, der viel schwadronierte und auch gerne trank. Er hatte nach eigenen Aussagen angeblich "einen sehr guten Kontakt zur Kochstiftung". Nach Aussagen von Hildegard Kiehl, geborene Tuttlies, spekulierten er auch im Gasthaus Lerdon über "irgendwelche Pläne für neue deutsche Bauernhöfe in der Ukraine“. Er wollte sich angeblich sogar schon eine Landkarte-Karte gekauft haben. Die Mehrzahl der Zuhörer war eher skeptisch. "Wat söll wi do?" ?" Die Informationen waren aber viel zu vage. Genaues war nicht bekannt. „Es blühten die Gerüchte. So richtig in die Ukraine wollte an sich keiner, die ist viel zu weit weg“. Ferdinand Tuttlies wollte aber auf alle Fälle in Ostpreußen bleiben. Hildegard Kiehl, die bei Bedarf im Gasthaus ihrer Schwiegereltern aushalf, konnte sich an den Namen des Zeitungsschreibers aber nicht mehr erinnern.
Wählerschaft des Nationalsozialismus
Die hauptsächlichsten Vorbereiter des Nationalsozialismus waren in unterschiedlichem Maße Unterstützer aus Großbetrieben, Landwirtschaft, Wissenschaft, Behörden und Kirchen. Entscheidend aber waren die Wahlen zum Reichstag. Bereits 1930–1932 hatten die Nationalsozialisten in den Bauernverbänden in großem Umfang Anhänger und Wählerstimmen gewonnen. Dies galt besonders im Ostpreußen. Am 5.3.1930 erhielt die NSDAP mit 56,5 % der abgegebenen Stimmen in den Wahlkreisen in Ostpreußen höchsten Stimmanteil im Deutschen Reich.
Karte: NSDAP Wahlen 1933 [332]
Parteianwärterkarte [333]
Mitgliederzahlen der NSDAP im Deutschen Reich [334]
Tabelle: Sozialstruktur der NSDAP und ihre Führung 1933 und 1935 im Deutschen Reich
Sozialstruktur der NSDAP und ihre Führung 1933 und 1935 im Deutschen Reich | ||||||||
Mitglieder | Führung | Alterskohorten | Mitglieder | |||||
1933 | 1935 | 1933 | in Jahren | 1933 | 1935 | |||
1. Arbeiter | 31,5 | 30,3 | 22,0 | 18 - 20 | 1,8 | 3,5 | ||
2. Angestellte | 21,1 | 19,4 | 23,4 | 21 - 30 | 40,4 | 34,1 | ||
3. Selbständige | 17,6 | 19,0 | 19,7 | 31 - 40 | 27,8 | 27,9 | ||
4. Bauern | 12,6 | 10,2 | 18,4 | 41 - 50 | 17,1 | 19,6 | ||
5. Beamte | 6,7 | 12,4 | 10,9 | 51 - 60 | 9,3 | 11,2 | ||
6. Sonstige | 10,5 | 8,5 | 3,1 | 61 - | 3,6 | 3,7 |
Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte, Band 4
Sowohl die Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 als auch der Ablauf und Ausgang der Reichstagswahl vom 5. März 1933 führten in allen anderen Parteien Deutschlands zu Massenaustritten. Besonders betroffen waren die linksorientierten und sozialdemokratischen Parteien wie die KPD und die SPD, aber auch Parteien des Mitte-Rechtsspektrums. In der Folgezeit stellten Hunderttausende Deutsche einen Aufnahmeantrag für die NSDAP. Das galt besonders für die Gebiete mit über 55 prozentiger Wählerschaft der NSDAP, wie Ostpreußen.
Aus Angst vor “Konjunkturrittern” wurde von der NSDAP am 19. April 1933 eine allgemeine Mitgliederaufnahmesperre verhängt, welche bis1937 mit der Einführung des Parteianwärters gemäß Anordnung 18/37 des Reichsschatzmeisters der NSDAP vom 20.04.1937 schrittweise gelockert wurde. Wenngleich Parteianwärter nicht alle Rechte eines NSDAP-Parteimitgliedes beanspruchen durften, so oblagen ihnen dennoch alle Pflichten eines Parteigenossen, einschließlich der Melde- und Beitragspflicht. Die Parteianwärter-Eigenschaft wurde durch einen Aufnahmeantrag in die NSDAP begründet. Mit der Aushändigung der Mitgliedskarte erlosch der Anwärterstatus. Festgelegte Wartezeiten für Parteianwärter gab es nicht. Vielmehr sollten zwischen der Ausstellung der Parteianwärterkarte und der Aushändigung der Mitgliedskarte gemäß internen Arbeitsanweisungen nicht mehr als drei Monate vergehen.
"Während es auf der unteren Hierarchieebene durchaus offenen Zugang gab, wirken die oberen Entscheidungsränge, bereits vom Kreisleiter ab aufwärts, wie einbetoniert. Hier herrschte uneingeschränkt der Typus des "alten Kämpfers", der vor 1930 zur Partei gestoßen war. So gehörten 95 % der Gauleiter und 73 % der Kreisleiter zu den "alten Kämpfern". Zäh klammerten sich diese "braunen Bonzen" an ihr Amt. Hier zählten nur der ausschlaggebende Kontakt zu Hitler und der "Bewährung in der Kampfzeit". Verstoßen wurde ein" alter Kämpfer", auch wenn er gescheitert oder in die Kriminalität abgewandert war, so gut wie nie. Die Kaltstellung von Darré oder, sehr spät, von Göring; stellten eine auffällige Ausnahme dar." Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte, Band 4
Im Jahr 1929 besaß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) insgesamt 130.000 Mitglieder. Im Januar 1933 vor der der Machtergreifung waren es schon 850.000 Mitglieder, die Zahl stieg dann aber bis Ende 1933 trotz Mitgliedersperre sprunghaft auf über 2,6 Millionen Mitglieder an. Die Mitgliederentwicklung verlangsamte sich dann bis 1937, um dann bis zum Ende des Zeiten Weltkriegs weiter anzusteigen. Im Jahr 1945 hatte die NSDAP rund 8 Millionen Mitglieder. 1935 bestanden 10 % der NSDAP-Mitgliedern im Reich aus Bauern. Bis 1945 stieg der Anteil der Bauern unter den Parteimitgliedern auf 13 %. In Ostpreußen lagen die Zahlen jeweils um 3,5 bzw. 4 % höher. 1937 gehörten im Reich 63 % und in Ostpreußen 86 % aller Beamten der NSDAP an. Der größere Teil ist lt. Hans-Ulrich Wehler aus Opportunismus eingetreten.
Hildegard Tuttlies schätzt, dass von den 23 Höfen in Wilkental, es etwa Zweidrittel gab, auf denen häufig zumindest ein jüngeres Mitglied in der NSDAP bzw. in deren Unterorganisationen zu Hause war. "Es reicht, wenn einer dabei ist". Zwei oder drei junge Parteimitglieder sollen aber sehr aktiv gewesen sein. "Sie haben immer die größten Fahnen rausgehängt". Auf den restlichen Höfen lebten vermutlich überwiegend ältere Bewohner, die sehr reserviert gegenüber dem Nationalsozialismus waren. Nur etwa 4 % aller NSDAP-Mitglieder waren 60 Jahre und älter. Von den Tuttliesen war Max Tuttlies 1937 Parteimitglied geworden. Als er stolz zu Hause davon berichtete, das ist für das Geschäft gut, war die Antwort von Ferdinand Tuttlies "Lod me tofreden". Hildegrad Kiehl gehörte während ihres Jahres als Landjahresmädel bis zu ihrem 18. Geburtstag dem BDM an. Gerhard Kiehl am 01.10.1935 und Erich Tuttlies wurde 01.04.1938 zur Wehrmacht eingezogen. Das Wehrgesetz von 1935 verbot Soldaten die politische Betätigung. Parteimitgliedschaften mussten ruhen, sie waren ausgesetzt. Von den höheren Partei Chargen der NSDAP wurde dieses Verbot aber häufig durch ihre illegale Macht-Ausübung umgangen.
Struktur und Gliederung der NSDAP
Die Struktur der NSDAP war zentralistisch und straff hierarchisch. Als Massen- und Führerpartei machte sich die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei im NS-Staat zur einzigen legalen politischen Partei. Sie konkurrierte in außergewöhnlich hohem Maße mit staatlichen Behörden und übernahm zum Teil deren Aufgaben.
Streng nach dem Führerprinzip organisiert, konkurrierten die Gauleiter mit den staatlichen Strukturen, also mit den Reichsstatthaltern, die nach Auflösung der Länder die Ministerpräsidenten ersetzten. Sie versuchten sogar diesen Posten selber zu besetzen, was auch sehr oft gelang. Fast alle Gauleiter bauten sich in ihren Regionen deswegen ein eigenes Machtzentrum auf. Einige Gauleiter erhielten als Person und als Amtsträger große Macht in ihren Regionen. Dieser Macht-Zuwachs beruhte auf der Übertragung der regionalen Organisations- und Verbandsleitung auf den Verwaltungsapparat des Leiters des Gauamtes, der dem Gauleiter unterstellt war. Das betraf z. B. auf dem Lande besonders die Zuständigkeiten des Reichsnährstand. Nach Ausbruch der Zweiten Weltkrieges verlor aber der RNST erheblich an Einfluss. In der Praxis entstanden Probleme bei dem Verteilen seiner Zuständigkeiten. Hauptgrund für diesen Kompetenzwirrwarr waren die Machtkämpfe der NSDAP-Eliten untereinander und die höchst willkürliche Zuteilung administrativer Tätigkeiten auf den Kreisebenen durch die Gauleitungen.
Das Nebeneinanderbestehen von konkurrierenden Herrschaftsinstitutionen mit gleichen oder ähnlichen Kompetenzen charakterisiert die nicht klar abzugrenzende, ineinandergreifende Macht-Strukturen einer "Viel-Herrschaft" unterhalb des Führers. Besonders ausgeprägte war dieses im Herrschaftssystem des Nationalsozialismus zu finden, in dem Instanzen der NSDAP untereinander und mit staatlichen Einrichtungen rivalisierten. Bei Konflikten fielen die letztlichen Entscheidungen des Führers höchst unterschiedlich aus.
Abbildung: Struktur der NSDAP, 1939 [336]
Karte: Administrative Gliederung der NSDAP, Mai 1944 [337]
Karte: "Das Großdeutsche Reich", 1944 [338]
Machtzentrale der NSDAP: Die Reichskanzelei in Berlin 1940, Zu den Ziffern siehe die Dateibeschreibung [339]
Machtzentrale - auch für die NSDAP - war die Neue Reichskanzelei von Hitler, der von hier aus auch die NSDAP führte. Ab Anfang 1938 wurde mit Hochdruck an der Fertigstellung der Neuen Reichskanzlei gearbeitet, um sie rechtzeitig zum jährlichen Diplomatenempfang am 7. Januar 1939 fertigzustellen. Dies gelang nicht; einige Ausbauarbeiten dauerten bis Anfang der 1940er Jahre. Der Bau des in den ursprünglichen Plänen nicht vorgesehenen Führerbunkers begann erst 1943. Er lag auch nicht unter der Neuen Reichskanzlei, sondern zusammen mit anderen von Hitler genutzten Luftschutzräumen im Garten der Alten Reichskanzlei (Wilhelmstraße 77). Die Neue Reichskanzlei hatte 1938 auch Luftschutzkeller erhalten; diese wurden von Menschen aus der Umgebung genutzt. Insgesamt kostete der Bau der Reichskanzlei 90 Millionen Reichsmark, was kaufkraftbereinigt in heutiger Währung rund 461 Millionen Euro entspricht.
Die NSDAP teilte Deutschland bereits 1925 in zunächst 33, später 43 Gebiete (1941), die in Anlehnung an einen Begriff aus der mittelalterlichen Territorialverfassung Karls des Großen Gaue genannt wurden. Diese (Partei-)Gaue entsprachen den damaligen Reichstagswahlkreisen und traten nach 1933 neben die fortbestehenden Länder, welche durch die Gleichschaltungsgesetze (insbesondere durch das so genannte „Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 7. April 1933) in ihren Rechten erheblich beschränkt wurden.
Jedem Gau stand ein Gauleiter vor. In Ostpreußen war Erich Koch der Gauleiter. Nach einer Kaufmannslehre ging er als Anwärter für den mittleren Dienst zu den Preußischen Staatseisenbahnen. Er war in der Organisationsstruktur der NSDAP der regionale Verantwortliche der Partei und trug damit die politische Verantwortung für seinen Hoheitsbereich. Er erhielt die vollständige Disziplinargewalt und das Aufsichtsrecht über alle parteieigenen Organisationen und Verbände in seinem Gebietsbereich.
Erich Koch wollte Ostpreußen zum Mustergau entwickeln. Der Ostpreußenplan, 1935 vom Rektor der Königsberger Universität Hans-Bernhard von Grünberg mitentwickelt, sollte Ostpreußen im Sinne von Gauleiter Koch zum Mustergau entwickeln.
Doch durch die Kriegsvorbereitungen und die Nichtabstimmung mit anderen Planungen, blieb der Ostpreußenplan weitegehend Papier. Folgens war geplant: Mittelständische, über das ganze Land verteilte Industriebetriebe sollten die landwirtschaftlichen Rohstoffe weiterverarbeiten und so die Bauern von den Frachtkosten entlasten und neue Arbeitsplätze und damit Konsumenten schaffen. Außerdem sollten sie für den lokalen Konsum – von Lebensmitteln bis hin zu Landmaschinen – produzieren. Ein Teil der benötigten Industriebetriebe sollte mit den dazugehörenden Arbeitern vom Westen nach Ostpreußen verlegt werden. Eine bis anderthalb Millionen Menschen sollten auf diese Weise angesiedelt werden, um so die „Marktferne“ zu beseitigen und gleichzeitig die durch die geringe Bevölkerungszahl „nationalpolitisch“ gefährdete Provinz zu sichern. Die angebliche Gefahr einer schleichenden Polonisierung Ostpreußen wurde auch dazu benutzt, um den Aufbau unterstützende Sonderkonditionen wie niedrigere Steuersätze, günstigere Kredite oder die bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an ostpreußische Unternehmen zu begründen. Abgesehen von derartigen Fördermaßnahmen und einer grundlegenden Standortplanung sollte der Staat aber nur wenig in die Wirtschaft eingreifen, sie sollte weiterhin privatwirtschaftlich organisiert bleiben. Der Ostpreußenplan der Universität war nicht mit dem Generalplan Ost oder Plänen des RNST abgestimmt, was zu internen Spannungen und gegenseitigen Blockierungen führte.
Von Grünberg fand in Wuppertal nach 1945 eine neue Heimat und arbeitete dort als Diplom-Volkswirt. Hans-Bernhard von Grünberg gehörte mit Karl Kaufmann, Friedrich Karl Florian und Wilhelm Meinberg zum inneren Führungszirkel des "Naumann-Kreises", der den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik wieder an die Macht bringen wollte. Die Deutsche Reichspartei sah ihn 1955 als Mitglied ihrer Parteileitung. Ab 1964 gehörte er dem Gründungsvorstand der NPD an. Später saß er im Bundesvorstand. Quelle: Hans-Bernhard von Grünberg, Der Ostpreußenplan
Der ostpreußische Parteiführer Erich Koch war ein Multifunktionär. Er war Gauleiter und Oberpräsident Ostpreußens, Mitglied des Reichs- und Provinziallandtags sowie der Stadtverordnetenversammlung Königsbergs und des Preußischen Staatsrates, „Reichsredner“, Eigentümer und Herausgeber der regionalen Parteizeitung, Präses der Provinzialsynode der Kirchenprovinz Ostpreußen, Leiter der Ostpreußischen Verwaltungsakademie, Vorsitzender diverser Gremien in Staat und Wirtschaft, Gründer und alleiniger Vorstand der „Erich-Koch-Stiftung“, „Überleitungskommissar für die Eingliederung des Memellandes“, Führer der Besatzungsverwaltung im „Regierungsbezirk Zichenau“ (Ciechanów), „Chef der Zivilverwaltung“ im „Bezirk Białystok“ sowie „Reichskommissar für die Ukraine“ und zeitweise für das „Ostland“. Von Koch ging auch ein starker psychologischer Druck aus, denn er soll nicht nur häufig massive Drohungen ausgesprochen haben, er stand auch im Ruf, seine Widersacher kurzerhand ins Gefängnis, ins Konzentrationslager oder gar in die Irrenanstalt einweisen zu lassen. In einigen Fällen soll er sogar selbst handgreiflich geworden sein.
Fast alle Gauleiter waren Mitglied der SA oder der SS. Die Gauleiter waren in den meisten Fällen schon vor 1933 in der NSDAP vertreten und Hitler persönlich bekannt. Bereits 1933 hatten 22 von 30 Gauleitern auch ein hohes Staatsamt eingenommen – als Reichsstatthalter, Oberpräsidenten oder Minister. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 wurden die meisten Gauleiter zu Reichsverteidigungskommissaren und ab Oktober 1944 auch Verantwortliche für die Aufstellung des Volkssturms.
Unter dem abgeschotteten Führer fand sich eine gemischte Gauleiter-Clique ein. Von den Gauleitern des Jahres 1933 waren 16 Angestellte oder Beamte, sechs Volksschullehrer, drei Arbeiter, drei besaßen einen Universitätsabschluss, zwei hatten ein Gymnasium besucht und 23 die Volksschule, die Hälfte war jünger als 40. Auf der Gauleiter Ebene wurde versucht, selbst beim kriminellen Vergehen, die Genossen in der Partei zu halten. Ein Beispiel ist der Gauleiter von Ostpreußen Erich Koch und seine Stiftung
Die Stiftung wurde 1933 gegründet und diente anfänglich dazu, den Verlag des Gauorgans Preußische Zeitung in Königsberg, dessen Geschäftsanteile Koch gehörten, dem Zugriff von Adolf Hitlers Pressebeauftragten Max Amann zu entziehen. Dieser hatte von Hitler den Auftrag, die Verlage aller Gauorgane samt deren Gewinnen im Münchner Eher-Verlag zu vereinigen und sie so unter zentrale Kontrolle der NS-Führung zu bringen. Dies verhinderte Koch durch die Stiftung, deren Stiftungszweck die „Erziehung, Förderung und Ausbildung von Nationalsozialisten, insbesondere für die Aufgaben Ostpreußens“ war. Alleiniger Vorstand auf Lebenszeit war laut Satzung Erich Koch. Somit verfügte Koch über die Verwendung der Stiftungserträge, war formal allerdings an den Stiftungszweck sowie durch die jährliche Beratung des Verwaltungsrates gebunden. Als allein verfügungsberechtigter Vorstand der Stiftung war er de facto deren Eigentümer und nutzte ihr Vermögen für seine persönliche Lebenshaltung – ab 1938 wohnte er in dem der Stiftung gehörenden und großzügig ausgebauten Gut Groß Friedrichsberg in der Nähe Königsbergs, 1943, als er die Stiftung der Provinz schenkte, ließ er im Schenkungsvertrag „freies Wohnrecht und Unterhalt“ für sich und seine nächsten Angehörigen festschreiben.
Die Stiftung wuchs mit dem wirtschaftlichen Aufbau von Ostpreußen. Am Ende war die Stiftung ein gigantischer Mischkonzern, der im Verlaufe des Krieges riesige Vermögenswerte zum Teil durch Raub und Rechtsbruch ansammelte. Aus der Parteizeitung der NSDAP Ostpreußen entstanden, wurden ihr die meisten ostpreußischen Zeitungen einverleibt, außerdem gründete sie im Zuge einer von Koch forcierten, groß angelegten Infrastrukturreform für Ostpreußen mit Staatshilfe zahlreiche Betriebe in der Lebensmittelindustrie und im Baugewerbe. 12 bestehende Betriebe und 7 Gutshöfe wurden gegen den Willen ihrer Eigentümer in die Stiftung überführt, darunter auch jüdische Unternehmen, die auf diese Weise „arisiert“ wurden. Als allein verfügungsberechtigter Vorstand der Stiftung war er de facto deren Eigentümer und nutzte ihr Vermögen für seine persönliche Lebenshaltung – ab 1938 wohnte er in dem der Stiftung gehörenden und großzügig ausgebauten Gut Groß Friedrichsberg, 1943, als er die Stiftung der Provinz schenkte, ließ er im Schenkungsvertrag „freies Wohnrecht und Unterhalt“ für sich und seine nächsten Angehörigen festschreiben. Daneben besaß er u.a. eine luxuriös ausgebauten Ferienhaus in Neukuren an der Ostseeküsten. Die bestehende Eisenbahnlinie von Königsberg nach Neukuren sollt extra ausgebaut werden.
Die Stiftung entwickelte sich so zu einem Großkonzern, dessen einziger Nutznießer der Gauleiter war. Mithilfe der Erich-Koch-Stiftung machte sich der Gauleiter zum reichsten Ostpreußen. Die Stiftung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst.
In der Propaganda avancierte der Gauleiter schnell zum „Vater der Provinz“, und Ostpreußen wurde zum nationalsozialistischen „Mustergau“. Koch gelang es mit dem so genannten „Erich-Koch-Plan“, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen als einen der größten wirtschaftlichen Erfolge innerhalb des Deutschen Reiches darzustellen. Tatsächlich beruhte die Aktion auf Zwangswirtschaft und Korruption. Kochs Korruption war der Öffentlichkeit kaum bekannt und wurde von Hitler hingenommen. Koch meldete als erster Gauleiter die vorgebliche Beseitigung der enormen Arbeitslosigkeit, ungeachtet dessen, dass sein Gau Ostpreußen der strukturschwächste des Reiches war. Auch in der Gleichschaltung der Verwaltung und in der Bekämpfung der politischen und kirchlichen Opposition war Koch nach NS-Maßstäben erfolgreich. Ostpreußen galt als NS-Mustergau.
1935 kam es zu einem Machtkampf zwischen Koch und Königsberger Gestapoleiter Bach-Zelewski. Dieser sammelte im Auftrag Himmlers dazu Hunderte von Belastungszeugen, um Koch Korruption nachzuweisen. Als sich Koch jedoch unzugänglich zeigte, richtete der Bach-Zelewski am 20. September 1935 eine Denkschrift von 75 Schreibmaschinenseiten an Adolf Hitler, Titel: »Über die gesetzlosen Zustände im Gau Ostpreußen in Partei und Verwaltung unter der verantwortlichen Führung des Gauleiters und Oberpräsidenten Erich Koch.« Die gegen Koch in einem Dossier zusammengetragenen Vorwürfe bezogen sich vor allem darauf, dass er "gezielte Tötungsaufträge gegen persönliche Feinde erlassen habe" und korrupten sei und seiner Entourage "Mord, Raub, Blutschande, Ehebruch" gestattet habe, solange sie nur seine politische Linie mitmachte; andernfalls, so hätte er gedroht, würde er sie "umlegen" lassen. Von Koch ging auch ein starker psychologischer Druck aus, denn er soll nicht nur häufig massive Drohungen ausgesprochen haben, er stand auch im Ruf, seine Widersacher kurzerhand ins Gefängnis, ins Konzentrationslager oder gar in die Irrenanstalt einweisen zu lassen. In einigen Fällen soll er sogar selbst handgreiflich geworden sein. Er trat auch gegenüber hohen Beamten sehr grob auf, wenn es galt, seinen Machtbereich zu verteidigen. Koch schreckte schließlich nicht davor zurück, Richter, die sich nicht willfährig genug zeigten, massiv unter Druck zu setzen. Koch wurde am 26. November 1935 von Göring aller seiner Ämter enthoben. Am 22. Dezember setzte Hitler Koch aber wieder in die alte Machtfülle ein; Himmler sprach fortan nur noch von „diesem Schweinehund Koch“. 1938 wurde Koch zum SA-Obergruppenführer ernannt." Erich von dem Bach-Zelewski war ein deutscher SS-Obergruppenführer, General der Waffen-SS und General der Polizei. Er war als Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) Russland-Mitte am Holocaust und später als „Chef der Bandenkampfverbände“ maßgeblich an den Massenmordaktionen in der Sowjetunion beteiligt. Im August 1944 befehligte er die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes. Wegen der Ermordung von Kommunisten im Jahr 1933 wurde er 1962 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt.
Ab 1. September 1941 nahm Koch auch die Funktionen eines Reichskommissars für das Reichskommissariat Ukraine wahr. Damit wurde Koch der mächtigste Mann Osteuropas. Sein „Herrschaftsbereich“ reichte im September 1942 von Königsberg über Zichenau, Białystok, Kiew, Nikolajew und Poltawa bis zum Schwarzen Meer und auf die Ostseite des Dnepr. Er umfasste deutsches, polnisches und ukrainisches Gebiet." Quelle: Erich-Koch-Stiftung – Wikipedia und Ralf Meindl: Ostpreußens Gauleiter - Erich Koch eine politische Biographie
Quelle: Struktur der NSDAP – Wikipedia
Die NSDAP übernahm zur räumlichen Organisation auch in Ostpreußen die damaligen Reichstagswahlkreisen. Diesen Kreisen stand ein NSDAP Kreisleiter vor. Er wurden ab 1933 hauptamtlich aufgestellt. Ihm untergeordnet war der Ortsgruppenleiter. Dieser gehörte dem „Korps der Politischen Leiter“ an und war nebenberuflicher „Amtswalter“ der Partei. Ihm unterstand wiederum der ebenfalls nebenberufliche Blockleiter.
Der Kreisleiter der NSDAP stand ab 1933 an der Spitze einer eigenen Dienststelle der „Kreisleitung“, mit einem Stab von Mitarbeitern. Er erhielt seine Befehle vom Gauleiter und bekleidete somit – von der geographischen Verwaltung aus gesehen – den vierthöchsten Posten in der NSDAP nach dem Gauleiter, dem Stellvertreter und dem Führer. Die Dienststellung des Kreisleiters entsprach der eines stellvertretenden Gauleiters, eines Gauhauptamtsleiters oder eines Reichsamtsleiters.
Übersicht: Kreisleiter der NSDAP (Land-Kreis Insterburg im Gau Ostpreußen)
Kreisleiter der NSDAP (Land-Kreis Insterburg im Gau Ostpreußen) | ||
1931 | Waldemar Weißeel: Ortsgruppenleiter der NSDAP in Insterburg, Verbleib unbekannt, nebenamtliche Position | |
1932 | Erich Post, versetzt 1933 als Kreisleiter der NSDAP nach Rosenberg i. Westpr. und Marienwerder, nebenamtliche Position, Quelle: Erich Post – Wikipedia | |
1933 | Gerhard Kohlhoff aus Gerdauen: Kreisleiter der NSDAP, versetzt in den RNST, hauptamtliche Position | |
1933 | Otto Bochum aus Tilsit: Kreisleiter der NSDAP, versetzt 1934 als Kreisleiter der NSDAP nach Stallupönen, hauptamtliche Position | |
1934 | Erich Fuchs, hauptamtliche Position, versetzt in die NS-Volkswohlfahrt, Quelle: Erich Fuchs (Politiker) – Wikipedia | |
1935 | Dr. Heinz Schwendowius: Oberbürgermeister in Insterburg, hauptamtliche Position, Quelle: Heinz Schwendowius – Wikipedia | |
1943 | Otto Heuer: Bannführer der HJ, vorher Hauptabteilungsleiter in der Behörde des Reichsjugendführers, Soziales Amt, Berlin, Position hauptamtlich |
Quellen: Landkreis Insterburg (territorial.de) und Kategorie:Kreisleiter (NSDAP) – Wikipedia
Danach oblagen auf der Kreisstufe in Insterburg
- die Menschenführung dem Kreisleiter der NSDAP,
- die Verwaltung dem Landrat beziehungsweise dem Oberbürgermeister.
Jede gegenseitige Einmischung sei zu unterlassen. Alle Stellen sollten aber eng und verständnisvoll zusammenarbeiten. Bei den Kreisleitern Post, Kohlhoff, Bochum und Fuchs kam es aber zu frühzeitigen Auswechselungen. Über den Kreisleiter Waldemar Weißeel ist nichts bekannt.
Die jährlichen Wechsel bis 1935 im Amt der Kreisleitungen in Insterburg, lassen sich mit vorhandenen Problemen wie Alkoholismus oder Kriminalität erklären. Trotzdem wurde versucht, diese Personen in der Partei auch durch das Versetzen auf andere Posten zu halten. Bei den Ortsgruppen-, Zellen- und Blockleitern sah es anders aus. Nach 1933 setzte eine enorme Fluktuation unter der niederen den Funktionärsposten ein. Zwischen 1933 und 1935 schieden 40.153 Parteifunktionäre aus, die vor dem 30. Januar 1933 in die NSDAP eingetreten waren. Das entspricht einer Fluktuation von fast 20 Prozent. In dieser Zeit wurden 53,1 Prozent der Kreisleiter- und 43,8 Prozent der Ortsgruppenleiter-Stellen neu besetzt. Quelle: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – Wikipedia
Dem Ortsgruppenleiter unterstanden nicht nur die NSDAP-Parteimitglieder (mindestens 50 und höchstens 500), sondern alle Haushalte (mindestens 150 und höchstens 1500) in der Ortsgruppe. Auch waren dem Ortsgruppenleiter die Zellen- und Blockleiter unterstellt. Er selbst war dem Kreisleiter der Partei verantwortlich und wurde von diesem dem Gauleiter zur Ernennung vorgeschlagen. Als Stellvertreter verfügte der Ortsgruppenleiter über einen Adjutanten, den Stützpunktleiter, dessen Amt 1939 aufgelöst wurde. Die Ortsgruppe bestand meistens aus acht Zellen und sollte möglichst nicht die Grenzen einer Gemeinde überschreiten; dennoch konnte in ländlichen Gebieten eine NSDAP-Ortsgruppe durchaus mehrere Gemeinden umfassen.
Es war Aufgabe des Ortsgruppenführers, „durch geeignete Veranstaltungen die Bevölkerung nationalsozialistisch auszurichten“ und „sich durch die der Gemeindevertretung angehörenden Politischen Leiter seines Stabes über kommunale Vorhaben und Beschlüsse Bericht erstatten zu lassen und nötigenfalls Meldungen an den Beauftragten der Partei zu machen“. Dieser „Beauftragte der Partei“ war in der Regel der übergeordnete NSDAP-Kreisleiter. Der Ortsgruppenleiter war für die „Belange der gesamten Bevölkerung eines Ortes“ und nicht nur für die Partei-Mitglieder verantwortlich. Der Ortsgruppenleiter residierte in der „Ortsgruppendienststelle“, in der auch die örtlichen Vertreter der DAF, der NS-Frauenschaft und der NSV untergebracht waren. Die obersten Vertreter dieser örtlichen Teilorganisationen der NSDAP bildeten zusammen mit dem Ortsgruppenleiter den „Ortsgruppenstab“, der für Schulungen, Organisation und Propaganda in der Ortsgruppe verantwortlich war.
Der Ortsgruppenleiter war beauftragt, Fragebögen nicht nur über Mitglieder der NSDAP, sondern auch über alle Einwohner eines Ortes anzufertigen: In 45 Fragen wurde die politische Zuverlässigkeit im Sinne des Nationalsozialismus überprüft
Die parteirechtliche Funktion des Ortsgruppenleiters entsprach eigentlich derjenigen des Vorsitzenden einer Parteigliederung auf der Ebene einer Kommune; faktisch kontrollierte jedoch der jeweilige Ortsgruppenleiter sogar den Bürgermeister oder Oberbürgermeister und durfte sich ihm gegenüber unter Missachtung von Recht und Gesetz Weisungsbefugnisse anmaßen. Dabei waren die Zuständigkeiten zwischen der staatlichen Organisation und der Parteigliederung keineswegs klar abgegrenzt. Die Funktionsträger – einerseits der Bürgermeister und andererseits der Ortsgruppenleiter – verfolgten häufig unterschiedliche Ziele und agierten teils miteinander, teils gegeneinander. Die fehlende Konturierung der Zuständigkeiten führte mitunter zu chaotischen Zuständen, welche die Verunsicherung der Bevölkerung beförderte. Vor allem bei geringer Siedlungsdichte im ländlichen Raum wurde die Funktionsebene des Zellenleiters auch eingespart und die Aufgaben vom Ortsgruppenleiter selbst übernommen. Dies war auch im Landkreis Insterburg der Fall.
Der für Wilkental zuständige Ortsgruppenleiter saß in Aulenbach.
Die Dienstbezeichnung Blockleiter der NSDAP (Blockwart) gab es in der NSDAP-Parteiorganisation ab 1933. Der Name leitet sich vom innerstädtischen Häuserblock ab. Ein Blockleiter war für 40 bis 60 Haushalte („Wohngemeinschaften einschließlich Untermieter“) mit durchschnittlich rund 170 Personen zuständig. Blockleiter gab es während der Zeit des Nationalsozialismus nicht nur in den Städten, sondern auch in den Dörfern, wo ein „Blockwart“ mehrere Bauernhöfe, Handwerksbetriebe und Arbeiterhäuser einer entsprechenden Gemeinde überwachte.
Vom Hauptschulungsamt der NSDAP wurden die Aufgaben eines Blockleiters 1940 so beschrieben: „Der Hoheitsträger muss sich um alles kümmern. Er muss alles erfahren. Er muss sich überall einschalten.“ Seine Aufgaben waren tatsächlich umfassend:
- Als Propagandist der nationalsozialistischen Ideologie musste er für deren Verbände werben, Schulungsmaterial ausgeben, Beiträge kassieren, für Winterhilfswerk und Eintopfsonntag sammeln lassen sowie als Vermittler für die Volkswohlfahrt auftreten.
- Zur Durchsetzung der Rassenpolitik meldete er „Judenfreunde“ und achtete auf die genaue Befolgung schikanöser Vorschriften wie des Verbots für Juden, ein Haustier zu halten. Auch listete er jüdischen Besitz und jüdische Wohnungen auf.
- Als Organisator der „Inneren Front“ besorgte er die Verteilung von Lebensmittelkarten, sorgte für das Entrümpeln der Dachböden und das Einhalten der Verdunkelung im Rahmen des Luftschutzes. Er betreute die Ausgebombten und organisierte in der Endphase des Krieges den Volkssturm.
- Zur politischen Überwachung führte er eine normierte Haushaltskartei, notierte Unmutsäußerungen und das Verhalten bei Beflaggung, gab Leumundszeugnisse ab und war allgegenwärtiger Ansprechpartner für Denunziationen
Auch Mitglieder der staatlichen Verwaltungsbehörden waren in Ostpreußen dem Nationalsozialismus zugeneigt. 1935 waren hier 86 % aller Beamten Parteimitglieder.
Karl Moritz Friedrich Wilhelm Graf von der Groeben (* 10. September 1902 auf Herrenhaus Divitz; † 1. Januar 1989 in Lübeck) war ein deutscher Verwaltungsjurist und Landrat. Der Regierungsrat Dr. Karl Graf von der Groeben stand im Landkreis Insterburg als Landrat von 1935 bis 1945 der öffentlichen Verwaltung vor. Graf von der Groeben war promovierter Doktor der Rechte und lebte auf Gut Neudörfchen bei Marienwerder. Er wirkte von 1935 bis 1945 als Landrat im Landkreis Insterburg. Am 1. April 1932 trat er in die NSDAP (Mitgliedsnummer 1.118.812) ein. Ihm wurde von nationalsozialistischer Seite "eine vertrauensvolle Parteiarbeit" bescheinigt. In den Jahren 1939 bis 1940 wurde er vertretungsweise als Landkommissar in Mława eingesetzt, dem zukünftigen Landkreis Mielau, im von Polen annektierten Regierungsbezirk Zichenau. Nach Kriegsende arbeitete er ab 1949 als Ministerialrat im Sozialministerium in Rheinland-Pfalz. Des Weiteren war er stellvertretender Bundessprecher der Landsmannschaft Westpreußen Quelle: Karl von der Groeben (Landrat) – Wikipedia
Heinz Schwendowius, ausgebildeter Jurist, war ab 1934 Bürgermeister und von 1934 bis 1941 Oberbürgermeister der Stadt Insterburg in Ostpreußen. Am 1. Dezember 1931 trat Schwendowius in die NSDAP ein. Er war als Rechtsberater und Verteidiger für die Partei tätig. 1932 wurde er zunächst Ortsgruppenleiter und danach Kreisleiter der NSDAP in Marienburg. Im März 1932 wurde er auch Kreisleiter für den Kreis Stuhm. Ab 1933 amtierte er als Landrat und Gauinspekteur der NSDAP in Marienburg. Am 1. November 1934 wurde Schwendowius, aus Marienburg kommend, für zwölf Jahre zum Oberbürgermeister von Insterburg vereidigt. 1941 wurde er als Stadt- und Kreiskommissar nach Bialystok berufen.
Hans Ehmer war Bürgermeister in Aulenbach und Parteimitglied. Er war Gutsbesitzer und besaß 195 ha, davon 135 Acker, 20 Wiesen, 33 Weiden, 5 Holzungen, 1 Hof, 1 Wasser, 35 Pferde, 120 Rinder, davon 55 Kühe, 60 Schweine; Anerkannte Saatgutwirtschaft, Zuchtviehverkauf; Telefon: Aulowönen Nr. 8
Curt Stamm, war Ortsgruppenleiter in Aulenbach und Besitzer einer Buchdruckerei
Wilhelm Mikuteit war Bürgermeister, Parteimitglied und Blockeiter in Wilkental. Er war Großbauer mit 15,75 ha Land
Hildegard Tuttlies war bekannt, daß der Ortsgruppenleiter von Aulenbach, Curt Stamm, Besitzer einer Buchdruckerei, dort ein Büro hatte. "Die älteren Dorfschüler aus Lindenhöhe mussten von dort immer Pakete mit Flugblättern abholen, um sie in den heimatlichen Dörfern zu verteilen. Einige Hofhunde waren damit nicht einverstanden. Zwei "schlaue" Schüler beklagten sich auch darüber, denn in den Dörfern, wie Wilkental, wäre das Verteilen eigentlich eine Aufgabe des dortigen Blockleiters gewesen. In Wilkental war das Herr Wilhelm Mikuteit, der dort zugleich Bürgermeister war. Was Herr Mikuleit aber immer gemacht hat, war nachzusehen, ob die Flugblätter tatsächlich verteilt wurden. Er hatte wohl auch mit allen Hofhunden ein Abkommen."
Veränderungen in der Verwaltung während des Nationalsozialismus
Die Verwaltung in Ostpreußen erfuhr ab 1933 organisatorische und ab 1939 auch räumliche Veränderungen:
Am 22. März 1939, eine Woche nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Prag und der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, schloss die litauische Regierung unter starkem Druck mit dem Deutschen Reich einen Übergabevertrag (Deutsch-litauischer Staatsvertrag).
Litauen war gezwungen, auf das deutsche Ultimatum an Litauen vom 20. März 1939 zu reagieren, zog daraufhin seine Truppen und Behörden ab und erhielt im Gegenzug eine Freihandelszone in Memel sowie freies Wegerecht für 99 Jahre. Das Memelland wurde in die Provinz Ostpreußen eingegliedert und kam unter Wiederherstellung der historischen Kreiseinteilung zum Regierungsbezirk Gumbinnen. Memelländer, die ihre deutsche Staatsbürgerschaft wegen der Abtretung an Litauen verloren hatten, wurden wieder deutsche Staatsbürger.
In den Jahren 1939/40 wurden nahezu alle Deutschbalten als Folge des Hitler-Stalin-Pakts ins Deutsche Reich umgesiedelt.
Nach dem Überfall auf Polen wurde zum 26. Oktober 1939 der Landkreis Ciechanów – in Zichenau umbenannt – als Teil des neuen gleichnamigen Regierungsbezirks der Provinz Ostpreußen und damit völkerrechtswidrig vom Deutschen Reich annektiert. Der polnische Regierungsbezirk Zichenau (polnisch Ciechanów) war ein nach der deutschen Besetzung Polens 1939 gebildeter und völkerrechtswidrig der preußischen Provinz Ostpreußen angegliederter Regierungsbezirk im Deutschen Reich. Er umfasste ein Territorium von 13.186,4 km² und hatte eine Bevölkerung von ca. 895.000 Einwohnern. Hiervon waren 800.000 polnischer, 80.000 jüdischer und 15.000 deutscher Herkunft.
Auf Görings Befehl wurde 1941 das Reichsnaturschutzgebiet der Rominter Heide im Südosten um zunächst rund 20.000 ha großes Gebiet auf dem eroberten polnischem Territorium erweitert. Zur Einrichtung des sogenannten Forstamtes „Adlerfelde“ wurden die Bewohner der zehn betroffenen Dörfern kurzerhand ins Generalgouvernement ausgesiedelt. Als Göring im Frühling 1941 den weiteren Befehl erteilte, die reservierte Fläche im Kerngebiet des eroberten „Urwalds“ um 100.000 auf 260.000 Hektar zu vergrößern und zunächst als Reichsjagdgebiet, später dann als reguläres Staatsjagdrevier einzurichten, wurden die dort vorhandenen ausnahmslos in Holzbauweise errichteten Dörfer niedergebrannt. Der unter deutscher Besatzung eingerichtete Landkreis Sudauen (früher Suwalki, auch: Suwalken) im Nordosten Polens bestand in der Zeit zwischen 1939 und 1944. Dieser überwiegend von Polen bewohnte Landkreis mit ca. 125.000 Einwohnern umfasste im Herbst 1944 vor der beginnenden sowjetischen Besetzung 18 Amtsbezirke (Gemeinden) und die Städte Sudauen und Sejny.
Karte: Provinz auch Gau Ostpreußen: Die bisherigen Regierungsbezirke Königsberg, Gumbinnen und Allenstein mit dem annektierten Kreis Sudauen und der "eingegliederte" Regierungsbezirk Zichenau, 1939 [340]
Karte: Reichskommissariat Ostland, 1944[341]
Das Reichskommissariat Ostland (RKO) entstand während des Zweiten Weltkriegs nach dem Angriff des Deutschen Reichs auf die Sowjetunion im Juni 1941 im Baltikum und Teilen Weißrusslands. Die politische Organisation des Gebiets übernahm – neben einer Militärverwaltung durch die Wehrmacht – eine Zivilverwaltung, die unter der Leitung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg stand.
Die politischen Hauptziele, die das Ministerium im Rahmen der nationalsozialistischen Ostpolitik verfolgte, waren die vollständige Vernichtung der jüdischen Bevölkerung und die „Germanisierung“ von großen Bevölkerungsteilen – nicht zuletzt im Reichskommissariat Ostland sowie im Reichskommissariat Ukraine. Die Germanisierungspolitik wurde auf der Grundlage des Generalplans Ost, spezieller Erlasse und Richtlinien sowie später auf der Grundlage des Generalsiedlungsplans im Ostland durchgeführt.
Die Einsatzgruppe A und die Einsatzgruppe B erschossen im Reichskommissariat Ostland unter anderem etwa eine Million Juden. Angesichts der vorrückenden Roten Armee wurde das Ostland am 21. Januar 1945 aufgelöst.
Während des 3. Reiches wurde Ostpreußen nicht nur räumlich neu gegliedert, auch die Verwaltung bekam einen neuen Leiter. Am Tag der Machtergreifung ernannte Adolf Hitler Herman Göring zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich, zum Reichskommissar für den Luftverkehr und zum Reichskommissar für das preußische Innenministerium. Am 11. April 1933 wurde Göring auch Ministerpräsident Preußens. In Preußen tauschte Ministerpräsident Göring im Verlauf des Jahres 1933 alle zehn Oberpräsidenten aus, fünf der Ämter gingen an Gauleiter, die anderen an verdiente Parteigenossen oder Honoratioren, von deren „Inthronisation“ sich die nationalsozialistische Führung Vorteile versprach.
Ab 1928 war Erich Koch Gauleiter der NSDAP in der preußischen Provinz Ostpreußen. Von September 1930 bis 1945 vertrat er den Wahlkreis Ostpreußen im Reichstag (Weimarer Republik) und im Reichstag (Zeit des Nationalsozialismus). Nach dem Wahlsieg der NSDAP bei der Reichstagswahl März 1933 erhielt er - trotz lokalem Widerstand - das staatliche Amt eines Preußischen Staatsrats. Er drängte den ostpreußischen Oberpräsidenten Wilhelm Kutscher aus dem Amt und machte sich zu seinem Nachfolger. Im August 1933 übernahm er auch das Amt des Präses der Provinzialsynode der Kirchenprovinz Ostpreußen. Im Zweiten Weltkrieg war er von 1941 bis 1945 Chef der Zivilverwaltung im besetzten Bezirk Bialystok und von 1941 bis 1944 Reichskommissar im Reichskommissariat Ukraine. 1950 von der britischen Militärregierung in Deutschland an Polen ausgeliefert, wurde er dort 1959 zum Tode verurteilt.
Der Prozess dauerte fast fünf Monate. Sie endete am 9. März 1959. An diesem Tag verlas der Vorsitzende Richter der Richterbank, Richter Edward Binkiewicz, das Urteil: "Im Namen der Volksrepublik Polen (...) Ich finde Erich Koch schuldig, ein Verbrechen begangen zu haben (...) dass er in der Zeit vom 1. September 1939 bis April 1945 auf dem Gebiet der Republik Polen, die als sogenannter Bezirk Ciechanów und Bezirk Suwałki an Ostpreußen angeschlossen war, und im sogenannten Bezirk Białystok als Gauleiter der NSDAP und dann als Vorsitzender des Zivilrats des Bezirks Białystok aus politischen, nationalen und rassischen Gründen gehandelt hat, von sich aus und in Umsetzung der strafrechtlichen Hinweise der staatlichen Behörden des Dritten Reiches und der NSDAP unter Verletzung der elementaren rechtlichen und moralischen Grundsätze des menschlichen Zusammenlebens und unter Überschreitung der dem militärischen Besatzer nach geltendem Völkerrecht eingeräumten Befugnisse an der Ermordung von Zivilpersonen beteiligt, indem er die Ermordung von Personen plante, vorbereitete, organisierte, anstiftete und unterstützte, die vom NS-Regime als Hindernis für die Aufrechterhaltung und Errichtung von Personen angesehen wurden. die Stärkung der Nazi-Herrschaft in den besetzten polnischen Gebieten...".
Die Strafe wurde ein Jahr später aus formalen Gründen in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Das Todesurteil wurde jedoch nie vollstreckt. Der Grund für diese Entscheidung war der schlechte Gesundheitszustand des Verurteilten. Erich Koch starb am 12. November 1986 im Alter von 90 Jahren im Gefängnis in Barczewo.
Quellen: Erich Koch – Wikipedia und Ralf Meindl: Ostpreußens Gauleiter - Erich Koch eine politische Biographie
In einer strengen Hierarchie waren Koch als Gauleiter die Kreisleiter, die Ortsgruppenleiter, die Zellenleiter und die Blockleiter der NSDAP untergeordnet. Durch die Vorgaben der NSDAP in Person der Kreisleiter wurden die Aufgaben der Bürgermeister und Schöffen in den Kreisen neu, aber auch unterschiedlich geregelt und bewertet, was zu einem Durcheinander der Verwaltungsabläufe führte. Die NSDAP als Partei stand auf dem Lande in permanenter Konkurrenz zum Reichsnähstand und zur bestehenden staatlichen Verwaltung. Abgemildert wurde dieser Zustand scheinbar, wenn die zwei oder gar drei dieser Funktionen in einer Person auftraten.
Die Deutsche Gemeindeordnung (DGO) vom 30. Januar 1935 löste das zuvor geltende von den deutschen Ländern geschaffene Kommunalverfassungsrecht ab (66 verschiedene Städte- und Gemeindeordnungen für rd. 68 Mio. Einwohner in über 51.000 Gemeinden) und schuf in Deutschland eine „reichsweit“ einheitliche, zentralistische gesetzliche Regelung. Mit der Einführung wurden die landesrechtlichen Gemeindeverfassungen u.a. das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz von 1933 aufgehoben. Die kommunale Selbstverwaltung blieb zwar nominell als Konstrukt erhalten: Die Gemeinden "verwalten sich unter eigener Verantwortung", faktisch jedoch wurde sie abgeschafft: Es gab weder eine gewählte Vertretungskörperschaft die Gemeindevertretung noch ein gewähltes Verwaltungsorgan den Gemeindevorstand. Wahlen durch die Gemeindebewohner oder gewählter Vertreter (Schöffen) gab es ebenfalls nicht mehr.
„Gemeinderat“ gab es nur noch als Bezeichnung für eine Person, einen Gemeinderat als Kollegialorgan gab es nicht mehr: Das Wort „Gemeinderat“ ist nicht eine Bezeichnung für eine Versammlung, sondern eine Bezeichnung für eine Person und Die Gemeinderäte sind nicht wie die früheren Gemeindevertreter Inhaber eines Mandats, das ihnen eine politische Partei oder die Wahl der Bürgerschaft verlieh, sondern auf Grund besonderen Berufungsverfahrens durch die NSDAP ausgewählte Ehrenbeamte der Gemeinde. Anstelle der Wahl durch die Gemeindebewohner musste die Berufung der Gemeinderäte durch den Beauftragten der NSDAP treten. Der Bürgermeister war nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, wichtige Angelegenheiten der Gemeinde mit den Gemeinderäten zu beraten. Andererseits waren die einzelnen DRäte verpflichtet, den Bürgermeister „eigenverantwortlich“ (aus eigenem Antrieb) zu beraten. In vielen Gemeinden wurden - wenn es der NSPAP passte - Großbauern zu Gemeinderäten. "Kleinbauern fehlten angebliche Verwaltungserfahrungen, passen aber auch nicht die das Raumordnungskonzept der NSDAP" Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte, Band 3 , siehe auch: weiter unten: 18. Generalplan Ost
Die Leiter der Gemeinde führten fortan im gesamten Deutschen Reich die Bezeichnung „Bürgermeister“ oder in den kreisfreien Städten „Oberbürgermeister“ bzw. in den Landkreisen "Landrat". Die Festlegung der Befugnisse und Stellung des Bürgermeisters, Oberbürgermeisters oder Landrates erfolgte im Sinne des Führerprinzips durch Berufung von oben. Der Beauftragte der NSDAP für die Berufung der Oberbürgermeister und Landräte war der Gauleiter, für die Bürgermeister war es der Kreisleiter.
Danach oblagen auf der Kreisstufe in Insterburg
- die Menschenführung dem Kreisleiter der NSDAP,
- die Verwaltung dem Landrat beziehungsweise dem (Ober) Bürgermeister.
Die Position wurde in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern hauptamtlich für zwölf Jahre besetzt und sollte – von begründeten Ausnahmefällen abgesehen – in den übrigen Gemeinden ehrenamtlich für sechs Jahre besetzt werden. Zur Vertretung des Bürgermeisters standen diesem ebenfalls berufene Beigeordnete zur Seite.
Jede gegenseitige Einmischung sei laut GDO zu unterlassen. In der Praxis gab es aber keine Entscheidungen des Landrates oder der (Ober) Bürgermeister, die der NSDAP nicht genehm waren oder gar widersprachen. Bei Streitigkeiten entschied immer der Gauleiter
Die deutsche Polizei wurde ab 1933 zentralisiert und dann 1936 in zwei Dienstzweige unterteilt: die Ordnungspolizei und die Sicherheitspolizei. Diese Zweiteilung war 1919 bereits in der Weimarer Republik eingerichtet, dann aber 1920 von der alliierten Verwaltung verboten worden.
Zuständig für die Neuorganisation war Heinrich Himmler, der 1936 als „Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium“ dem Innenminister und Hitler direkt unterstellt war.
Die uniformierte Polizei (Schutzpolizei, Gendarmerie, Gemeindepolizei) wurde organisatorisch im „Hauptamt Ordnungspolizei“ zusammengefasst. Es war dem Reichsministerium des Inneren unterstellt. Es hatte seinen Sitz in Berlin, Unter den Linden, und bestand bis zum Kriegsende 1945. Die Leitung der Ordnungspolizei wurde gemäß Durchführungserlass 1936 General der Polizei und SS-Oberstgruppenführer Kurt Daluege übertragen, im September 1943 folgte ihm der General der Polizei und SS-Obergruppenführer Alfred Wünnenberg. Ihre Dienststellung war „Chef der Ordnungspolizei“.
Die nicht uniformierte Sicherheitspolizei setzte sich aus Kriminalpolizei (Kripo) und Geheimer Staatspolizei (Gestapo) zusammen. Die Leitung des "Hauptamtes Sicherheitspolizei" bekam 1936 SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, der seit 1933 im Auftrag Himmlers aus den politischen Polizeien der Länder den Sicherheitsdienst (SD) aufgebaut hatte. Im folgte 1943 Ernst Kaltenbrunner. Die Sicherheitspolizei besorgte die Verfolgung schwererer und insbesondere politischer Delikte im Reich wie im besetzten Ausland. In den besetzten Gebieten wurde vom SD ein Terror- und Mordregime ausübte. 1939 war der Aufbau des SD abgeschlossen und das Hauptamt Sicherheitspolizei in "Reichssicherheitshauptamt (RSHA)" umbenannt. Hauptsitz des RSHA war das Prinz-Albrecht-Palais in der Wilhelmstraße. Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war eines von zwölf SS-Hauptämtern in der Zeit des Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkrieges die zentrale Behörde im Repressionsapparat der NS-Diktatur. In dieser Verklammerung von SS und Polizei waren beide über Himmler ausschließlich an den „Führer“ gebunden. Das RSHA als Polizei der SS unterstand in dieser Konstellation ebenso wenig der Verfügungsgewalt des Innenministers oder die militärischen SS-Formationen, die auch nicht der Verfügungsgewalt der Wehrmacht unterstanden. Damit war eine Kontrolle durch traditionelle Verwaltungsabläufe ausgeschaltet. Die neben der organisatorischen, war räumliche Trennung zwischen Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei waren ein weiterer Beleg für die jeweils gewollten Eigenständigkeiten der beiden Institutionen.
Zu den Veränderungen im Schulwesen siehe in diesen Text 6.5.2 Volksschulwesen.
Beamte im Nationalsozialismus
"In der Zeit des Nationalsozialismus wirkte die herrschende Staatstreue der Beamten regimeerhaltend, da auch verbrecherische Maßnahmen, wenn sie nur formaljuristisch korrekt waren, von der überwiegenden Mehrzahl der ausführenden Beamten mitgetragen oder zumindest geduldet wurden." Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte, Band 4.
1937 gehörten im Reich 63 % und in Ostpreußen 86 % aller Beamten der NSDAP an. Der größere Teil ist lt. Hans-Ulrich Wehler aus Opportunismus eingetreten. Anzutreffen waren darunter auch der sogenannte "Gesinnungsbeamte" in den Verwaltungen. Diese Beamtengruppe zeichnete sich durch sehr hohe Zustimmung und aktives Handeln im Sinne des Nationalsozialismus aus. Sie gab es in allen Stufen der Beamtenschaft, besonders aber in der Justiz. Eine juristische Ausbildung war die Voraussetzung für die höhere Beamtenlaufbahn. "Ein Großteil der Vorgesetzte in der Justiz kontrollierten schon in der Frühzeit des Nationalsozialismus die "rechte Gesinnung" ihrer Untergebenen aus eigenem Antrieb. Auch war teilweise das Herkunfts-Milieu und besonders aber einige der Ausbildungs- und Karriere-Stationen der jungen Männer für faschistische Gedankengut empfänglich." Frauen wurden aber systematisch verdrängt . Ab 1936 durften Juristinnen weder Richterin, Staatsanwältin oder Rechtsanwältin werden noch leidende Positionen in der öffentlichen Verwaltung oder im Schuldienst bekleiden. Quellen: Ungesühnte Nazijustiz – Wikipedia und Furchtbare Juristen – Wikipedia
Ab 1937 wurde die Gesinnung auch rechtlich abgesichert. Durch das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 (RGBl. I, S. 39) wurden Beamte in den Dienst der nationalsozialistischen Bewegung gestellt. Ein „von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Berufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist,“ sollte laut Präambel zum „Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates“ werden. Darüber hinaus nutzten zahlreiche kommunale Beamte und Angestellte im vorauseilenden Gehorsam oder aus Amtsmissbrauch ihre Handlungsspielräume zulasten der Verfolgten, gingen immer wieder über zentralstaatliche Direktiven hinaus und ersannen Verfolgungsmaßnahmen aus eigenem Antrieb. Die Kommunen wurden somit zu einem wesentlichen Schauplatz von Verfolgung und Repression.
Deutsches Beamtengesetz vom 26. Januar 1937
Auszug
"Abschnitt II. Pflichten der Beamten
1. Allgemein
§ 3. (1) Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist ein Vertrauensbeweis der Staatsführung, den der Beamte dadurch zu rechtfertigen hat, daß er sich der erhöhten Pflichten, die ihm seine Stellung auferlegt, stets bewusst ist. Führer und Reich verlangen von ihm echte Vaterlandsliebe, Opferbereitschaft und volle Hingabe der Arbeitskraft, Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten und Kameradschaftlichkeit gegenüber den Mitarbeitern. Allen Volksgenossen soll er ein Vorbild treuer Pflichterfüllung sein. Dem Führer, der ihm seinen besonderen Schutz zusichert, hat er Treue bis zum Tode zu halten.
(2) Der Beamte hat jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, daß die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke die Trägerin des deutschen Staatsgedankens ist. Er hat Vorgänge, die den Bestand des Reichs oder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei gefährden könnten, auch dann, wenn sie ihm nicht vermöge seines Amtes bekanntgeworden sind, zur Kenntnis seines Dienstvorgesetzten zu bringen.
(3) Der Beamte ist für gewissenhafte Erfüllung seiner Amtspflichten verantwortlich. Durch sein Verhalten in und außer dem Amte hat er sich der Achtung und des Vertrauens, die seinem Beruf entgegengebracht werden, würdig zu zeigen. Er darf nicht dulden, daß ein seinem Hausstande angehörendes Familienmitglied eine unehrenhafte Tätigkeit ausübt."
Quelle: Deutsches Beamtengesetz – Wikipedia
Wilkentaler Informationen
Informationsquellen der Tuttliesen in Wikental waren die gleichgeschalteten Zeitungen, der ebenfalls gleichgeschaltete Rundfunk und die Aushänge der Gemeinde. Dazu kamen die informellen Netzwerke von Verwandten und Bekannten.
In Wilkental kam es ab 1933 nicht nur bei den Tuttlies zu Verwirrungen. "Was wollen die schon wieder von uns?" Die Vorgaben der Gauleitung, die Anordnungen von NSDAP-Gliederungen und Verwaltung, die Bewirtschaftungsanordungen des Reichsnähstandes, die Anordnung über die Entschuldung der Höfe, strikte Vorgaben des Reichserbhofgesetz, die Einberufung, die Kriegswirtschaft, das Verdunkeln, das Verhalten der Lehrerschaft oder der Einsatz von Ostarbeitern, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen und vieles mehr schufen in der Gemeinde eine sehr große Rechtsunsicherheit. "Hast Du schon gehört?"
Hildegard Kiehl geb. Tuttlies erinnert sich in Wilkental an folgenden Veröffentlichungs-Ablauf: Zuerst wurde eine Aushangskasten, und zwar der des Bürgermeisterbüros mit den Neuigkeiten bestückt. Hier blieben die Aushänge eine Woche bestehen. Das eigentliche "Verkünden" erfolgte - mit einigem Glück - nur wenige Wochen später - auf einer Gemeindeversammlung. Auf diesen Versammlungen waren auch immer die von der NSDAP ernannten "Gemeinderäte" anwesend - meist waren es Großbauern. Die Versammlungen bestand im Wesentlichen nur aus den Vorlesen der Texte und den daraus abgeleiteten Terminen. Bei längeren Texten nahm die Aufmerksamkeit spürbar ab. Im Übrigen wurde zu den weiteren Erklärungen auf die Flugblätter und die Versammlungen der NSDAP verwiesen. Zu einigen ausgehängten Veränderungen wurden aber gar keine Gemeindeversammlungen einberufen, die Gründe blieben unbekannt.
Die gesetzlichen Neuigkeiten konnten danach zwar auch noch von den Gemeindemitgliedern im Bürgermeisterbüro selber nach Anmeldung mit Begründung und unter Aufsicht angesehen werden, aber nur für eine kurze Zeit und Abschreiben war nicht erlaubt. Die Materialien, es waren in der Regel "verriegelte" Aktenordner, wurden in der ersten Zeit noch mit einer Schnur durch das vorgestanzte Griff-Loch der Ordner extra "angebunden", damit sie nicht "abhanden" kamen. Tatsächlich fehlten in den Ordnern manchmal aber gerade die interessanten Seiten. Die Texte waren verfasst in einem schwerverständlichen Behördendeutsch. Erklärt wurde aber auch auf Nachfragen Nichts. Hildegard Kiehl hat zweimal das Bürgermeisterbüro aufgesucht, ihr Vater war durch Krankheit verhindert und war danach genau so schlau, wie vorher.
Sie versuchte auf den Gemeindeversammlungen anfangs immer mitzuschreiben, gab aber nach einer Weile auf, da die Vorträge gegen Ende immer unverständlicher wurden und keine inhaltlichen Fragen beantworte wurden. Fragen aber wurden später von den "Oberschlauen" im Gasthaus Lerdon erst nach dem 2. Bier beantwortete. Sie wussten im Grunde auch nicht mehr und spekulierten viel lieber ins Blaue. Hildegard Kiehl hat ist dann immer ins Kreishaus in Lindenhöhe gegangen, obwohl sie nicht in dieser Gemeinde wohnte. Hier arbeitet eine ehemalige Mitschülerin, die ihr manchmal weiterhelfen konnte. Trotzdem blieben viele persönliche Fragen offen, über die die Tuttliesen wochenlang sprachen. "Dann müsse wir wohl..." In der Regel versuchten Freunde und Verwandte gemeinsam eine Klärung.
Kriegsbeginn 1939
Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" enthielt ein umfangreiches Kapitel über nationalsozialistische Rassenhygiene und den entfesselten Krieg betrachtete er als einen "Überlebenskampf" zwischen den hochwertigen und minderwertigen Rassen.
Quelle: Adolf Hitler: Mein Kampf, Band I, 11. Kapitel: Volk und Rasse.
Um die idiologische Überlegenheit der "arische Rasse" u.a. im "Lebensraum Ost" durchzusetzen bedurfte es nach der NSDAP einer starke Wehrmacht. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers setzte eine radikale Veränderung der Wehrpolitik unter Verletzung der Versailler Verträge ein. Im Dezember 1933 fiel die Entscheidung für den Aufbau eines zunächst 300.000-Mann-Heeres. Das I. Programm zum Heeresaufbau, das am 18. Dezember 1933 vom Chef des Truppenamtes Generalleutnant Ludwig Beck unterzeichnet wurde, sah die Aufstellung eines stehenden 21-Divisionen-Friedensheeres bis März 1938 vor, aus dem ein mobilisierbares 63-Divisionen-Kriegsheer entstehen sollte. Es folgten zwei weitere Programme mit erheblichen Ausweitungen.
Bei Kriegseintritt 1939 waren in der Wehrmacht real 102 Divisionen vorhanden, deren Zahl wuchs während des Krieges auf 414 an. Während des Zweiten Weltkrieges wurden in Deutschland insgesamt 38 Panzer-Divisionen (einschließlich der Waffen-SS), 29 motorisierte Infanterie-Divisionen (bzw. Panzergrenadiere-Divisionen ab März 1943), 5 Kavallerie-Divisionen, 280 Infanterie-Divisionen (einschließlich Reserve-, Sicherungs- und Volks-Grenadier-Divisionen), 17 leichte oder Jäger-Divisionen, 13 Gebirgsjäger-Divisionen, 11 Luftlande- und Fallschirmjäger-Divisionen und 21 Luftwaffen-Feld-Divisionen aufgestellt, welche zum Zeitpunkt ihrer Existenz in den jeweiligen Kriegsgliederungen innerhalb der 34 Armeeaufstellungen der Wehrmacht verzeichnet waren. Dazu kamen noch Einheiten der Marine von 78.000 Mann. Quellen: Helmuth Greiner und Percy Ernst Schramm: Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (Wehrmachtführungsstab). 1940–1945 und https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Benutzen/Hinweise-zur-Benutzung/Unterseiten-Militaer/Militaerische-Verbaende-und-Einheiten/benutzen-speziell-milit-verbaende-einheiten-tessin.html
Der Beginn des 2. Weltkrieges war, neben der Judenvernichtung, die schlimmsten Folgen der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie. Ostpreußen diente u.a. als Aufmarschgebiet zur Kriegsvorbereitung im Osten. Es wurde getarnte Festungs- und Grenzsicherungsarbeiten z. B. in Insterburg und Gumbinnen durchgeführt. Dazu kamen die Einrichtung von militärischen See- und Lufthäfen und der Aus- oder Neubau von zahlreichen Kasernen. Es wurden umfangreiche Waffen- und Munitionsdepots angelegt. Außerdem wurden im großen Stil zusätzliche Soldaten-Quartiere vorbereitet. Die Familien Tuttlies musste im Sommer 1939 eine Scheune als Unterkunftsmöglichkeit für Soldaten bereitstellen. Eine massive Kriegspropaganda sollte die Bevölkerung einstimmen.
Zu Adolf Hitlers grundlegenden Zielen gehörten von Anfang an die Vernichtung des "jüdischen Bolschewismus" und die Eroberung von "Lebensraum im Osten". Voraussetzung dafür war ein Krieg gegen Polen. Als die NS-Führung im März 1939 gegenüber Polen einen immer aggressiveren Konfrontationskurs einschlug, verschärften sich die deutsch-polnischen Spannungen. Polen lehnte den von der deutschen Regierung geforderten Anschluss der Freien Stadt Danzig an das Deutsche Reich ebenso ab wie den Bau exterritorialer Verkehrsverbindungen durch den polnischen "Korridor" nach Ostpreußen. Hitler wies die Wehrmachtsführung im April 1939 an, einen Feldzug gegen Polen vorzubereiten. Die NS-Propaganda forcierte ab Frühjahr 1939 die in großen Teilen der deutschen Bevölkerung vorhandenen antipolnischen Ressentiments. Im August 1939 berichteten Zeitungen und Rundfunk fast täglich über angebliche polnische Grenzverletzungen und Gewaltakte an der in Polen lebenden deutschen Minderheit. Der Überfall auf Polen sollte so als "gerechte Strafaktion" für die Provokationen erscheinen.
"Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen!" Adolf Hitler sprach ihn im Berliner Reichstag am Vormittag des 1. September 1939. Der Tag gilt als Beginn des von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkriegs. An diesem Morgen überfiel die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung das Nachbarland Polen. Hitler gab den Angriff als Verteidigungsaktion aus und verwies auf den angeblich polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz am Vorabend. Der Vorfall war von der SS inszeniert worden.
Am 1. September 1939 griff das 3. Reich Polen als ersten Staat an, am 17. September marschierte die russische Armee in Polen ein. Nach der Niederlage Polens am 4. Oktober wurde das polnische Staatsgebiet zwischen den Sowjetunion und dem 3. Reich aufgeteilt. Zum 26. Oktober 1939 der an den Regierungsbezirk Allenstein angrenzende polnische Landkreis Ciechanów – in Zichenau umbenannt – als Teil des neuen gleichnamigen Regierungsbezirks der Provinz Ostpreußen und damit völkerrechtswidrig vom Deutschen Reich annektiert. Der überwiegend besetzte Rest-Teil der deutschen Besetzung wurde zum Generalgouvernement Warschau. Siehe auch das weiter unten folgende Kapitel "Veränderungen in der Verwaltung während des Nationalsozialismus".
Eine umfangreiche Verletzung der Versailler Restriktionen fand nach 1933 auch im Verborgenen statt, was sich besonders bei der intensiven Unterstützung des Militärs beim Aufbau einer Rüstungsindustrie bemerkbar machte. So wurde im sogenannten „Innerdeutschland“ die Gründung zahlreicher Rüstungsunternehmen veranlasst oder unterstützt. Bis 1934 nahmen 18 große Unternehmen, beispielsweise Borsig in Berlin, die Krupp-Tochter Grusonwerk in Magdeburg oder die zum Bochumer Verein gehörende Hanomag in Hannover, ihre verbotene Rüstungsproduktion auf. Aus strategischen Gründen wurde in Ostpreußen keine Rüstungsindustrie aufgebaut, es wurden aber umfangreiche Läger von "Kriegsgetreide" angelegt.
Im Oktober 1936 wurde auf dem NSDAP -Reichsparteitag der sogenannte 2. Vierjahresplan verkündet. Dieser hatte lt. Hitler zwei große Aufgaben:
I. Die deutsche Armee muss in 4 Jahren einsatzfähig sein.
II. Die deutsche Wirtschaft muss in 4 Jahren kriegsfähig sein.
Der Vierjahresplan zielte zugleich auf die Herstellung der Wehrfähigkeit wie auch auf die Notwendigkeit, die Versorgung des deutschen Volkes wirtschaftlich zu gewährleisten. In seiner Denkschrift zum Vierjahresplan formulierte Hitler 1936: „Wir sind überbevölkert und können uns auf der eigenen Grundlage nicht ernähren […] Die endgültige Lösung liegt in einer Erweiterung des Lebensraumes beziehungsweise der Rohstoff- und Ernährungsbasis unseres Volkes.“
Quelle: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1955, Heft 2, Seite 204 – 210
Das Dritte Reich führte u.a. mit dieser Lebensraum-Ideologie und daraus folgende Aufrüstung Deutschland in den Krieg, den es verlor. Insgesamt kamen 4,8 der 17,3 Millionen Soldaten, die im Krieg in der Wehrmacht dienten, ums Leben – ein Viertel davon allein in den letzten vier Kriegsmonaten. Das Dritte Reich ist für den Gebietsverlust von Ostpreußen verantwortlich. Von den fast 2,5 Mio. Einwohnern in Ostpreußen fielen 511.000 Menschen (darunter 311.000 Zivilisten) im Kampf, auf der Flucht, durch Verschleppung und Lagerinternierung sowie dem Hunger und der Kälte zum Opfer. Von den 122 Einwohnern in Wilkental im Jahre 1939 kamen durch den 2. Weltkrieg und dessen Folgen 34 Menschen um, darunter 4 Mitglieder der Tuttliesen-Familie.
Die Abbildung zeigt die Toten des 2. Weltkrieges. Die Achsen-Mächte (Axis) sind im unteren Teil der Abbildung zu finden. Die Zahl der Toten wird insgesamt auf 60 - 70 Millionen Menschen geschätzt.
Darunter befinden sich sechs Millionen getöteter europäischer Juden. Davon sind rund vier Millionen durch örtliche Gewalttaten vor Ort und in Konzentrations- und Vernichtungslagern wie Auschwitz oder Bergen-Belsen und zwei weitere Millionen durch Massaker in den von der Wehrmacht eroberten Gebieten, vor allem im Russlandfeldzug umgekommen.
Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte Band 4,
Siehe auch: "Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang", Text von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies,
Quelle: https://wiki.genealogy.net/Willschicken
Der Reichsnährstand im Nationalsozialismus
Mit über 9.000.000 Beschäftigten in der Landwirtschaft und einer Vielzahl an weiteren indirekt mit der Landwirtschaft in Verbindung stehenden Personen war die Landwirtschaft neben Industrie und Gewerbe mit insgesamt über 14.000.000 Beschäftigten im Dritten Reich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und ein bedeutendes Wählerpotential der Nationalsozialisten. Das Bauerntum spielte eine bedeutende Rolle in der „Blut-und-Boden-Ideologie“ der Nationalsozialisten.
„Die Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im nationalsozialistischen im Deutschen Reich war durch umfangreiche Veränderungen der landwirtschaftlichen Produktionsstrukturen und der zugehörigen Verbandsstruktur und der Gesetzgebung geprägt." Quelle: Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im Deutschen Reich (1933–1945) – Wikipedia
Walther Darré: Aufbau des Reichsnährstand (RNST)
Der Diplomkolonialwirt Walther Darré baute während des Nationalsozialismus den Reichsnähstand auf. Durch Vermittlung des Architekten Paul Schultze-Naumburg traf Darré im Frühjahr 1930 Hitler und erhielt das Angebot, eine der bäuerlichen Welt gewidmete Abteilung der NSDAP zu leiten. Darré wurde so zum Berater Hitlers in landwirtschaftlichen Angelegenheiten und Leiter des agrarpolitischen Apparats der Reichsleitung. Erst im Juli 1930 trat Darré der NSDAP (Mitgliedsnummer 248.256) und der SS (SS-Nummer 6.882) bei.
Darré war beeinflusst von seinen Erfahrungen in der Tierzucht und den "Theorien" des Rassenideologen Hans F. K. Günther, dessen Nordischem Ring er seit 1927 angehörte. Siehe auch Kapitel 8 NATIONALSOZIALISMUS
Walther Darré fasste seine "Weltvorstellungen" in zwei Büchern zusammen:
- Das Bauerntum als Lebensquell der nordischen Rasse (1929)
- Neuadel aus Blut und Boden, ein Grundgedanke des Nationalsozialismus (1930)
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Darr%C3%A9
Das Bauerntum betrachtete er als rassischen Mittelpunkt des deutschen Volkes. Er postulierte die Sanierung der Landwirtschaft unter rassischen Gesichtspunkten. Dies wäre Voraussetzung, um die rassischen Qualitäten des deutschen Volkes wiederherzustellen. Das deutsche Volk sei durch die Industrialisierung verfallen. Mit dem Begriffspaar „Blut und Boden“ wollte Darré die Beziehung zwischen rassischem Niveau und bäuerlicher Tätigkeit herausstellen. Er wollte die angeblichen Unterschiede zwischen der germanischen und der slawischen Rasse in ihrer Beständigkeit und ihrem bäuerlichen Charakter zeigen. Er glaubte nachzuweisen, dass die "innere Gliederung" der alten deutschen Gesellschaft in mythischer Vorzeit einen "funktionalen Charakter" besessen habe. In der Konsequenz forderte er die erneute Verbäuerlichung Deutschlands. Die Schaffung und "Auslese eines neuen bäuerlichen Adels" mit "besten rassischen Eigenschaften" war sein Ziel.
Die Vorstellung, ein bodenverwurzeltes Bauerntum sei die Grundlage der nordischen Rasse nahm in seinem Welt- und Geschichtsbild den „Rang einer fixen Idee“ ein. Walther Darré hatte aber noch eine weiter fixe Idee: "Das „Besondere“ an Darrés Ideologie im Vergleich zur Weltanschauung anderer Nationalsozialisten war, dass bei ihm das Schwein zum entscheidenden Kriterium wurde. Während die nordischen Völker das Schwein nutzten, würden die „Semiten“ dies ablehnen. Das Schwein für Darré ein Vehikel, um die Besonderheiten der „Nordischen Rasse“ herauszustellen: Die „Nordische Rasse“ war für ihn eine „Herrenrasse“, aber keine „reine Kriegerrasse“. Vielmehr wurden nach Darré aus den „eurasischen Wanderhirten“ Siedler und Bauern, und das Schwein wurde „einer ihrer ältesten Opfertiere“. Dagegen würden alle „Nomaden“ das Schwein „restlos ablehnen“, dass sie bei ihren Wanderungen Schweine „nicht über größere Strecken“ mitführen könnten. Das Schwein war für Darré der Beweis dafür, dass die „Nordische Rasse“ aus Bauern bestanden haben müsse. Ohne Schwein keine Bauern, und ohne Bauern keine „Wiedergeburt“ der „Nordischen Rasse“. Quelle: Andreas Dornheim, Rasse, Raum und Autarkie Sachverständigengutachten zur Rolle des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in der NS-Zeit
Ab dem 31. Dezember 1931 leitete Darré im Rang eines SS-Standartenführers das neu gegründete Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) innerhalb der SS. Himmler selbst hatte ihn 1930 gebeten, beim Aufbau der SS als biologischer Elite behilflich zu sein. Himmler förderte Darré, seit sie sich im Mai 1930 kennengelernt und befreundet hatten. Beide teilten Ideen zur Aufzucht einer „reinen deutschen Rasse“ und verknüpften damit die Konzeption des Germanen als einem ackerbebauenden Siedler. Beide wollten ein neues, reinrassiges Bauerntum heranziehen, das ein neuer deutscher Adel werden würde
Der Reichsnährstand (RNST) war zunächst ein Interessenverband und wurde 1933 durch ein Gesetz legitimiert und wurde eine ständische Organisation. Sie war als Körperschaft des öffentlich Rechts (Selbstverwaltungskörperschaft) mit eigener Satzung sowie eigener Haushalts-, und Beamtenrecht eingerichtet worden. Organisatorisch war der Reichsnährstand in Landes-, Kreis- und Ortsbauernschaften gegliedert, die jeweils von einem Landes-, Kreis- oder Ortsbauernführer kontrolliert wurden.
Der RNST war eine Zwangsorganisation. Es mussten alle Personen und Verbände, die an der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte mitwirkten, Mitglied werden.
Der Reichsnährstand übernahm die totale Lenkung der landwirtschaftlichen Produktion, den Anbau, den Absatz, die Festsetzung von Verkaufspreisen und Handelsspannen, wie z.B. für Brot. Genaue Kontrollen vor Ort waren üblich.
Die Beiträge wurden vom Finanzamt eingezogen.
Der nach 1933 im Reichsnährstand zentral zusammengefassten Interessenvertretung kam nach der NS-Ideologie besondere Bedeutung zu. Als Selbstverwaltungskörper unter der Führung des Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und Reichsbauerführer Walther Darré sollte sie Markt und Produktion landwirtschaftlicher Produkte kontrollieren und die Autarkie erreichen. Ein weiteres Ziel war die Kontrolle der Produktion, des Vertriebes und der Preise im Agrarbereich
Der Reichsnährstand entstand offiziell acht Wochen nach der Amtsübernahme von Walther Darré, der seit August 1930 erfolgreich einen personell und organisatorisch umfangreichen „agrarpolitischen Apparat“ (aA) in der Weimarer Republik aufgebaut hatte. Am 13. September 1933 wurde das „Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes“ erlassen.
Im § 2 des Gesetzes heißt es: „Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft kann den Reichsnährstand oder einzelne seiner Gruppen ermächtigen, die Erzeugung, den Absatz, sowie die Preise und Preisspannen von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu regeln, wenn dies unter Würdigung der Belange der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls geboten erscheint.“ Quelle: Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im Deutschen Reich (1933–1945) – Wikipedia
Am 26. September 1933 wurde Darré dann vorweg ermächtigt, „feste Preise für Getreide festzusetzen“, und am 8. Dezember 1933 folgte die grundlegende „Erste Verordnung über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes“, der sich 1934 eine differenzierte Marktordnung in allen Bereichen der Landwirtschaft anschloss.
Gegenüber sozial niedriger gestellten Personen verhielt sich Darré bisweilen so herrisch, dass er Zugeständnisse machen musste, um den Schaden in Grenzen zu halten: Als im Oktober 1935 Darrés Dienstwagen durch ein anderes Kraftfahrzeug behindert wurde, „sprang der uniformierte Minister“ aus seinem Auto und schlug auf den gegnerischen Fahrer ein, wobei er diesen mit Schimpfworten wie „Schweinehund“ überschüttete, mit der „Reitpeitsche wütend ins Gesicht und über den Kopf“ schlug und schließlich sogar drohte, ihn zu erschießen.
Eine später erfolgte Entschuldigung durch den Adjutanten des Ministers hielt den Fahrer, der selbst Parteimitglied war, nicht davon ab, sich an das Gaugericht der NSDAP in Düsseldorf zu wenden. Der Vorfall konnte schließlich nur dadurch unter der Decke gehalten werden, dass Darré, wie der Oberste Parteirichter der NSDAP, Walter Buch, in einer Aktennotiz festhielt, sich dazu bereit erklärte, den Fahrer „in seine Dienste“ zu nehmen, d.h. im Ministerium zu beschäftigen.
Der Zuchtgedanke, z. B. die Einteilung junger Mädchen in "zuchtwerte Klassen" oder „zuchtunwerte Klassen“ und die Selektion der gesamten Menschheit nach bestimmten Auslesekriterien bestimmte Darrés Tätigkeit im Rasse- und Siedlungshauptamt, das die logistische Basis bildete, um die Bevölkerung der besetzten Gebiete einer Selektion zu unterziehen und anschließend zu deportieren und/oder zu töten. Einzelne Beamte und Gutsbesitzer achteten darauf, dass ihren Töchtern nicht bei Veranstaltungen zu gegen waren, auf denen Darré auftrat. Quelle: Andreas Dornheim, Rasse, Raum und Autarkie Sachverständigengutachten zur Rolle des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft in der NS-Zeit
In seinem Buch Blut und Boden, ein Grundgedanke des Nationalsozialismus griff Darré die Blut-und-Boden-Ideologie auf. Er geriet aber immer mehr in Gegensatz zu der von Hermann Göring geleiteten Vierjahresplan-Verwaltung, zu Hjalmar Schacht als Reichswirtschaftsminister und zur Reichsbank. Während Darré an eine Rückkehr zu Verhältnissen wie vor der industriellen Revolution dachte, rüstete das Dritte Reich die Industrie im Sinne der Kriegswirtschaft auf.
Im September 1938 ergab sich ein Konflikt mit Himmler, da Darrés Pläne zur Förderung bäuerlicher Siedlungen im Reich dessen Generalplan Ost widersprachen. Darré wurde als Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamts abgesetzt und trat mit Beginn des Zweiten Weltkriegs auch als Minister für Ernährung und Landwirtschaft immer mehr in den Hintergrund. Am 16. Mai 1942 verfügte Hitler, dass Darré „mit Rücksicht auf seinen seit längerer Zeit angegriffenen Gesundheitszustand“ von der Leitung des Reichsamtes für Agrarpolitik „bis auf weiteres“ beurlaubt werde und die Geschäftsführung des Amtes an Herbert Backe zu übertragen sei. Zwar übernahm Backe somit faktisch den Aufgabenbereich von Darré als Minister, seine offizielle Ernennung zum Reichsernährungsminister erfolgte indessen erst im April 1944.
Während des Zweiten Weltkriegs propagierten Backe und seine Mitarbeiter vor dem Beginn des Unternehmens Barbarossa 1941 eine rigide kriegswirtschaftlich und rassenideologisch begründete Hungerpolitik, die als Backe- oder Hungerplan bezeichnet wird. Dieser hatte zum Ziel, die in den besetzten Gebieten der UdSSR produzierten Lebensmittel der dortigen Bevölkerung zu entziehen und zur Versorgung der Wehrmacht und der deutschen Bevölkerung zu verwenden, wobei der Hungertod von bis zu 30 Millionen Menschen bewusst in Kauf genommen wurde.
Nach der bedingungslosen deutschen Kapitulation wurde Backe zusammen mit dem Reichsverkehrsminister Dorpmüller durch die Alliierten aufgefordert, „zu Eisenhowers Hauptquartier zu fliegen und um Anweisungen für die ersten Wiederaufbauschritte zu bitten“. Von seiner Verhaftung am 15. Mai 1945 im US-Hauptquartier in Reims wurde Backe überrascht. Er war in dem Glauben gewesen, die Amerikaner würden ihn als Experten zur Vermeidung einer Hungersnot brauchen. Backe bereitete sich sogar auf ein von ihm erwartetes Treffen mit General Dwight D. Eisenhower vor und hatte nicht damit gerechnet, als Gefangener behandelt zu werden.
In alliierter Haft wurde Backe im Rahmen der Nürnberger Prozesse am 21. Februar und 14. März 1947 vernommen. Backe war als Angeklagter für den Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozess vorgesehen. Im Nürnberger Kriegsverbrechergefängnis schrieb Backe zwei Abhandlungen: einen sogenannten „Großen Bericht“ über seinen Werdegang und sein Wirken im Nationalsozialismus sowie am 31. Januar 1946 einen für seine Frau Ursula und seine vier Kinder gedachten Testamentsentwurf. Aus Angst vor einer Auslieferung an die Sowjetunion erhängte sich Backe am 6. April 1947 in seiner Zelle.
Die letzten Kriegsjahre verbrachte Darré zurückgezogen in einem Jagdhaus in der Schorfheide. 1945 wurde er verhaftet und im Internierungslager Ludwigsburg inhaftiert. Vom amerikanischen Militärgericht wurde er wegen der Beschlagnahme des Eigentums polnischer und jüdischer Bauern sowie wegen der Anordnung, deutschen Juden die Grundnahrungsmittel zu verweigern und dadurch Zivilpersonen dem Hunger auszuliefern, angeklagt. Am 14. April 1949 wurde Darré im Wilhelmstraßen-Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Plünderung und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation zu sieben Jahren Haft verurteilt, aber bereits im August 1950 aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg wieder entlassen
Am 15. Januar 1934 erklärte der Reichsbauernführer und Leiter des Reichsnährstandes Walther Darré Goslar zum Sitz des Reichsnährstandes, zwei Jahre später erhielt die Stadt die offizielle Bezeichnung "Reichsbauernstadt". Goslar war von nun an bis zum Kriegsende Ort der Reichsbauerntage, an denen der nationalsozialistische Staat seine Blut- und Bodenschwüre praktizierte. Walther Darré wurde 1953 in Goslar beerdigt. Bemerkenswert war dabei die hohe Anteilnahme der Stadt Goslar: Neben ehemaliger NS-Größen wie Hartwig von Rheden nahmen mehrere hundert Goslarer Bürger, aber auch ihr damaliger Oberbürgermeister Alexander Grundner-Culemann mit dem damaligen Oberstadtdirektor Helmut Schneider an der Trauerfeier teil. Die Stadt übernahm sogar die Begräbniskosten. Darré war seit 1935 Ehrenbürger der „Reichsbauernstadt“ Goslar. Sie wurde ihm 2013 von der Stadt Goslar aberkannt. Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Walther_Darr%C3%A9
Landesbauernführer von Ostpreußen Erich Spickschen
Das Reichsgebiet wurde streng hierarchisch in 26 Landesbauernschaften eingeteilt, die jeweils in Kreis- und Ortsbauernschaften gegliedert waren. Die Kreisbauernschaften unterstanden einem ehrenamtlichen Kreisbauernführer, der hauptsächlich die Ortsbauernschaften betreute. Erst die Ortsbauernschaft stand im direkten Kontakt zum einzelnen Bauern, den nicht nur umfassend Kontrollieren und betreut, sondern auch ideologisch indoktriniert sollte.
Im Jahr 1919 arbeitete Erich Spickschen als landwirtschaftlicher Lehrling zunächst auf einem Hof in Pommern, dann auf verschiedenen Höfen im südlichen Dänemark, um sich zum Landwirt auszubilden. Den Besuch der Höheren Landbauschule in Wolfsanger bei Kassel schloss er 1923 als staatlich geprüfter Landwirt ab.
Erich Spickschen wurde 1933 Kreisbauernführer des Kreises Fischhausen und im Reichsnährstand Landeshauptabteilungsleiter von Ostpreußen. Im Dezember 1935 wurde er zum Landesbauernführer von Ostpreußen ernannt. In Verbindung damit wurde er zwei Jahre später Gauamtsleiter für Agrarpolitik. Außerdem war er Generallandschaftsrat, Preußischer Provinzialrat und Mitglied des Reichstages. Im November 1936 wurde Spickschen – wie sämtliche Landesbauernführer – von der SA in der damals üblichen Doppelfunktion als SS-Ehrenführer in die „Allgemeine SS“ überwiesen, wo er zuletzt, im November 1942, den Rang eines SS-Brigadeführers hatte. Beim Überfall auf Polen 1939 war er Hauptmann der Reserve. Danach war er als Landesbauernführer Ostpreußens zusätzlich für den Regierungsbezirk Zichenau und seit Sommer 1941 für den Bezirk Bialystok zuständig. Im Spätherbst 1944 gelangte er zum Volkssturm. Während seiner Amtszeit in Ostpreußen kam es am Anfang zu erheblichen Spannungen mit Gauleiter Erich Koch, die aber beigelegt wurden, da Koch mittlerweile der Ranghöhere war.
Spickschen stand ab Dezember 1933 an der Spitzte des Reichsnährstandes (RNST) in der Provinz Ostpreußen. Sie war in 36 Kreisbauerschaften, in denen 563 Bezirksbauernführer und 4.605 Ortsbauernführer tätig waren.
Die Position von Spickschen war ansehnlich dotiert. Zwar bekamen die Funktionäre des Reichsnähstandes – auch zur Wahrung des Anscheines „ehrenamtlicher Tätigkeit“ - kein Gehalt, üblich war aber eine, von steuerlichen Abzügen befreite Dienstaufwandsentschädigung für die Leiter von 800 Reichsmark monatlich, für die Kreisbauernführer waren es 250 Reichsmark. Der Ortsbauernführer erhielt nur auf Antrag für besondere Leistungen eine Erstattung. Ein Landrat (Volljurist) bezog 1933 zum Vergleich nur zwischen 450 und 750 Reichsmark Gehalt monatlich.
Darüber hinaus kamen bei Spickschen Einkommen aus anderen Funktionen hinzu, z.B. als Mitglied des Reichstages und Aussichtsrat in Unternehmen der Kochstiftung. Sachverständige für den Lastenausgleich haben 1953 sein gesamtes Jahreseinkommen zwischen 1937 und 1939 auf über 30.000 Reichsmark geschätzt. Darin enthalten sind auch die 15.000 bis 18.000 Reichsmarkt Jahreserträge eines landwirtschaftlichen Gutes Woydiethen enthalten, dass er und seine Frau 1927 übernommen hatte. Abzurechnen währen möglicherweise die gezahlten Löhne für das Gesinde auf seinem Gut. Das Ehepaar Schpickschen hatte 7 Kinder und brauchte deshalb zeitweise keine Einkommenssteuer zahlen.
Quelle: Christian Rohrer, Landesbauernführer. Band 1: Landesbauernführer im nationalsozialistischen Ostpreußen. Studien zu Erich Spickschen und zur Landesbauernschaft Ostpreußen
Mit der „Verordnung über die Wirtschaftsverwaltung“ vom 27. August 1939 wurde die deutsche Ernährungswirtschaft für den Zweck der Kriegswirtschaft mobilisiert und umgebaut. Der Reichsnährstand wurde als Gesamtheit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft (RMEL) unterstellt, das nunmehr nicht mehr nur die Oberaufsicht, sondern auch die Weisungsbefugnis hatte. Zugleich wurden auf der Grundlage der Verordnung in den Provinzen Provinzialernährungsämter gebildet, die dem Oberpräsidenten Koch unterstanden. Spickschen wurde dadurch bis zum Kriegsende zum Leiter des Provinzialernährungsamtes Königsberg berufen. Nach dem Krieg pachtete Erich Spickschen im November 1950 in Dannenfels (Donnersbergkreis) eine Gastwirtschaft mit einer Landwirtschaft von knapp 15 Hektar. Er hatte später im Rahmen des Lastenausgleiches eine Entschädigung für das Gut Woydiethen erhalten. Im Entnazifizierungsverfahren wird er zunächst in die Kategorie IV (Unterstützung des Nationalsozialismus) eingestuft, nach zwei Berufungsverfahren in die Kategorie III (wesentlicher Förderer des Nationalsozialismus). Er verliert damit das aktive und passive Wahlrecht. In Kirchheimbolanden ist er später Kreisvorsitzender des Flüchtlingsvereins und betätigt sich für die CDU-nahe Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Kreise. Er starb am 1. Oktober 1957 in Kirchheimbolanden, Donnersbergkreis, Rheinland-Pfalz.
"Die Landesbauernschaften in Ostpreußen im Reichsnährstand (Stand 1941) waren in den Landesernährungsämtern in der Abteilung A eingebunden
Daraus ergaben sich folgende Aufgabenstellung:
- ordnungsgemäße Wirtschaftsführung in den Erzeugerbetrieben
- Maßnahmen zur Sicherstellung des Anbaus
- Sicherstellung der Viehhaltung
- sichere Einbringung der Ernte
- termingerechte Ablieferung von Erzeugnissen
- sichere Bewirtschaftung und Verteilung der Erzeugnisse*
Zu diesem Zweck hatte jeder landwirtschaftliche Betrieb in Ostpreußen eine „Hofkarte“ zu führen. Diese Karte sollte ermöglichen:
- die genaue Feststellung des Ernteertrages
- die genaue Feststellung des Viehbestandes
- die genaue Feststellung aller sonstigen Erzeugnisse
- die Feststellung des zustehenden Eigenverbrauchs
- die Feststellung des notwendigen Bestandes an Saatgut zur Fortsetzung des Anbaus
- die Feststellung der abzuliefernden Mengen
Quelle: Landesbauernschaften im Reichsnährstand (Stand 1941) - Enzyklopädie Marjorie-Wiki
Die Situationen in den dörflichen Milieus hingen oft von der Einstellung des Ortsbauernführer vor Ort ab. Kreis- und Ortsbauernführer hatten gegenüber den Bauern und Landwirten keine Befehlsgewalt. Ihre Aufgabe bestand in der Durchsetzung der Richtlinien und Anordnungen des Reichsnährstandes über Produktion, Absatz, Landarbeiter- und Pachtfragen usw. Kraft ihrer Autorität.
Der Ortsbauernführer (OBF) war in der Zeit des Nationalsozialismus der Leiter der kleinsten beziehungsweise untersten Einheit im Aufbau des Reichsnährstandes. Er vertrat somit die Ortsbauernschaft, in der Regel ein Dorf oder eine Gemeinde, in der er selbst ansässig war. Einen eigenen Verwaltungsapparat besaß er nicht, sondern musste sich mit den örtlichen Führern wie Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP auseinandersetzen. Selten war der Ortsbauernführer in Personalunion staatlicher oder parteilicher Hoheitsträger. Mehrere Ortsbauernschaften wurden zu einer Kreisbauernschaft (1938 rund 52.000) zusammengefasst. Quelle: Reichsnährstand – Wikipedia
Ein Ortsbauernführer musste kein Mitglied der NSDAP sein, tatsächlich ist wohl eher von einem Anteil von weniger als der Hälfte auszugehen. Formal übte er eine Vielzahl Kontrollfunktionen aus. Ob er auch bei der Hofbewirtschaftung in Wilkental alles kontrolliert hat, ist nicht mehr erinnert worden. Sicherlich spielte hier auch die "soziale Nähe " zu den Nachbaren, Bekannten und Verwandten und die Abstimmung mit dem Ortsgruppenführers eine große Rolle. In Wilkental hatte, nach Erinnerungen, der Ortsbauernführer folgende Aufgaben:
- Es war eine Hofkarte anzulegen (siehe oben). Der Eigenverbrauch wurde sehr genau kontrolliert. Bei Ernte konnten nur noch die festgesetzten Preise erzielt werden. 1936 wurden die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse eingefroren.
- Bei großen Manövern und Truppenbewegungen musste mit kostenlosen Einquartierungen gerechnet werden. Von 1939 bis 1941 war Ostpreußen Aufmarschgebiet. Der Ortsbauernführer war z. T. auch Quartiersmeister.
- Es gab den Wehrdienst ab 1935 und die Einberufungen ab 1938. Das führte zur Doppelbelastung der Frauen. Die private Nachbarschaftshilfe und der Einsatz von privaten Hilfsarbeitern musste angemeldet werden.
- Über private Besucher war Buch zu führen.
- Für die Erbfolge war ein „Ariernachweis notwendig“.
- Die Anbindung an das lokale Stromnetz musste bei Pateigremien erbeten werden.
- Über den möglichen Treibstoffverbrauch und die Maschinenanwendung waren Buch zuführen.
- Kredite für landwirtschaftliche Maschinen wurden aufgrund fehlender Pateizugehörigkeit verwehrt, das galt auch bei Entschuldungen.
- Bei Durchfahrten von "Parteigrößen" musste die Dorfbevölkerung Spalier stehen und die Häuser beflaggen.
- Bei Ernten wurden Jugendliche aus den Parteigliederungen wie HJ und BDM und Schulklassen mobilisiert
Allerdings wurde von der NSDAP und dem Bezirksbauerführern auch in Willkental örtlicher Druck auf die Höfe ausgeübt. Dazu gehörten regelmäßige "Sonntagsbesuche" und (Zwangs )Einladungen zu Versammlungen durch örtlichen Parteigrößen. Der Rundfunk, die Zeitungen, Aushänge und Flugblätter dienten ebenfalls der Propaganda.
Zwischen dem Blockleiter und dem Ortsbauernführer soll es in Willschicken "nicht immer gut gegangen sein." Einmal wollten beide sogar zum gleichen Termin separat mit den Dorfbewohnern im Gasthof Lerdon tagen - was zu einer lautstraken Auseinandersetzung zwischen den beiden "Führern" im Gasthof führte. Auch bei der "Organisation und Verteilung" der Ostarbeiter und Kriegsgefangenen gab es Probleme zwischen den beiden Funktionären. "Die Gutsherren sind deswegen immer eine Etage höher aufgetreten." Der Name des Bezirksbauernführer war Bernhard Zienau aus Paducken, an den Namen des Ortsbauernführer von Wilkental erinnert Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies nicht mehr genau. "Es gab so viele braune Uniformen".
Die Lage der ländlichen Bewohner in Ostpreußen ab 1933
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland schien sich bis 1930 nicht von den Jahren zuvor zu unterscheiden. Die Zahl der Arbeitslosen lag 1927 bei etwa 1 Million; Ende September 1929 gab es 1,4 Millionen Arbeitslose, im Februar 1930 waren es 3,5 Millionen, was auf jahreszeitliche Schwankungen zurückgeführt wurde. Als diese Zahl wider Erwarten im Frühjahr 1930 nicht zurückging, hofften die Reichsregierung (bis 30. März 1930 das Kabinett Müller II, ihm folgte das Kabinett Brüning I) und die Reichsbank noch lange auf eine Selbstheilung der Wirtschaft, obwohl die Arbeitslosenzahl Ende 1930 mit 5 Millionen Arbeitslosen im weltweiten Vergleich auf höchstem Niveau stand. Erst als sich der geringe Rückgang Mitte 1931 nicht fortsetzte, wurde man sich der extremen Entwicklung der Krise vollends bewusst. Zu dieser Zeit lief Brünings Sparprogramm bereits auf vollen Touren. Die öffentlichen Gehälter wurden um 25 % vermindert und die Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden stark gekürzt. Im Februar 1932 erreichte die Krise auf dem Arbeitsmarkt ihren Höhepunkt: Es standen 6.120.000 Arbeitslosen, also 16,3 % der Gesamtbevölkerung, nur 12 Mio. Beschäftigte gegenüber. Zu den Arbeitslosen könnte man auch noch die große Masse der schlecht bezahlten Kurzarbeiter und Angestellten zählen, aber auch die kurz vor dem Ruin stehenden Kleinunternehmer. Auf dem Lande in Ostpreußen, konnten sich zwar die Hofbesitzer selbst versorgen, die erst abgewanderten, jetzt arbeitslos gewordenen Kinder kehrten aber jetzt auf die Höfe ihrer Eltern zurück. Die wirtschaftliche Lage war aber in der östlichen Provinz insgesamt sehr schlecht, Kredite waren nicht mehr zu bekommen, viele landwirtschaftliche Betriebe mußten Konkurs anmelden, darunter auch der Hof von Ewald Tuttlies.
Reinhardtprogramm
Fritz Reinhardt übernahm 1930 für die NSDAP die führende Rolle in Finanzangelegenheiten und zog als Abgeordneter in den Reichstag ein. Dort vertrat er seine Fraktion im Haushalts- und im Reichsschuldenausschuss. Er galt als detailbesessener, didaktisch talentierter und der Nachfrageorientierung zugeneigter Finanz- und Steuerfachmann. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten tauschte Reichsminister der Finanzen Schwerin von Krosigk am 30. Januar1933 nach persönlicher Intervention Hitlers den jüdischen Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Arthur Zarden (ein Anhänger der desaströsen strikter Sparpolitik Reichskanzlers Brüning) mit dem NSDAP-Finanzexperten Fritz Reinhardt aus. Ausgehend von John Maynard Keynes und Wilhelm Lautenbach und deren Idee einer finanzpolitischen Wirtschaftssteuerung begann der neue Staatssekretär umgehend mit der Umsetzung des nach ihm benannten Arbeitsbeschaffungsprogramms.
Die nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik oder auch Nachfragepolitik besagt, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die Höhe der Produktion und den Beschäftigungsgrad des Arbeitsmarkts einer Volkswirtschaft bestimmt. Bei dieser makroökonomischen Theorie steht im Mittelpunkt, durch Steuerungsmaßnahmen und wirtschaftspolitisches Eingreifen die Nachfragesituation zu verbessern. Die Nachfragesteigerung kann durch zusätzliche Staatsausgaben, Beschäftigungsprogramme oder staatliche Investitionszulagen erfolgen.
Neben dem generellen Interesse des Reichsfiskus an Einnahmesteigerungen (Zentralisierung, feste Termine, genormte Einzüge, verschärfte Strafen) und der weltanschaulichen Durchdringung des Steuerrechts durch die NS-Ideologie (§1 Steueranpassungsgesetz vom 16.10.1934: „Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.“), zielte die Steuerpolitik Reinhardts auch auf die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung. Zu den Maßnahmen der schrittweisen und systematischen Enteignung gehören höhere steuerliche Abzüge, die Sperrung und Beschlagnahmung von Auswanderergut- und vermögen, Sonderabgaben wie die Judenvermögensabgabe und schließlich die Beschlagnahmung und Verwertung des Eigentums der Deportationsopfer.
Das Reinhardt-Programm vom 1. Juni 1933 enthielt Gesetzgebungen
- zur Arbeitsbeschaffung - siehe folgendes Kapitel
- der Steuererleichterung und
- verschiedene Bestimmungen über den Einsatz von weiblichen Arbeitskräften.
An diesem Tag trat das Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit in Kraft, in welchem der Reichsminister der Finanzen ermächtigte wurde, eine Milliarde Reichsmark zur „Förderung der nationalen Arbeit auszugeben“. In Phase eins wurde eine Milliarde Reichsmark für die Verwirklichung öffentlicher Großinvestitionen bereitgestellt.
Am 21. September 1933 folgte das Zweite Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit mit nochmals 500 Millionen Reichsmark und am 16. Oktober 1934 das Steueranpassungsgesetz nebst zehn weiteren Steuergesetzen. Phase zwei sah die Förderung von Renovierungsarbeiten vor. Nun konnten Hausbesitzer, die ihre Wohnungen instand setzen wollten, Zuschüsse aus der Reichskasse erhalten.
Spätestens ab Ende 1934 trat eine Änderung auf. Das Schwergewicht der Arbeitsbeschaffung verschob sich nun endgültig auf die Aufrüstung. So erlebte die Flugzeugproduktion einen beispiellosen Aufschwung von knapp 4.000 Beschäftigten im Januar 1933 auf 54.000 zwei Jahre später und annähernd 240.000 Beschäftigte im Frühjahr 1938.
Spätestens ab 1935/36 erreichte das Dritte Reich Vollbeschäftigung.
Viele Einzel-Maßnahmen waren schon in der Weimarer Republik z. B. unter dem zweiten Kabinett von Hermann Müllers (SPD) entwickelt worden, konnten damals aber auf Grund der damaligen Mehrheitsverhältnisse im Reichstag nicht durchgesetzt werden.
Erst spätere Regierungen die von Papen und die von Schleicher versuchten die Umsetzung. Fast alle der neu eingeführten Elemente der NS-Steuerpolitik waren nichts anderes als eine Fortsetzung der Weimarer Steuerpolitik.
Die NSDAP versuchte neben umfänglichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eine Belebung des Arbeitsmarkts mit Maßnahmen zur Stimulierung der Arbeitskräftenachfrage und gleichzeitig durch die Minderung des Arbeitskräfteangebots zu erreichen.
- Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sollten erwerbslose Erwachsene wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden
- Neben den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Erwachsene wollte das NS-Regime besonders auch die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen durch die spezielle Institution den Reichsarbeitsdienst (RAD) senken. Das Gesetz für den Reichsarbeitsdienst wurde am 26. Juni 1935 erlassen.
- Durch die umfangreichen Steuererleichterungen sollte die allgemeine Binnennachfrage stimuliert werden – was zu steigenden Erwerbszahlen führen sollte.
- Geleichzeitig sollten aus ideologischen Gründen Juden und Frauen aus dem Arbeitsmarkt ausscheide. Zunächst wurden Frauen unter dem Vorwand des „Doppelverdienertums“ aus dem Arbeitsleben gedrängt. Noch 1943, als der Arbeitskräftemangel sehr dringlich war, sprach sich Hitler aus ideologischen Gründen gegen eine verstärkte Einbeziehung von Frauen in die Rüstungsproduktion aus und verweigerte sich auch der Forderung, die Löhne der Frauen denen der Männer gleichzustellen.
Zahlreiche Kampagnen zum bevorzugten Kauf in Deutschland hergestellter Produkte sollten zusätzlich Konsumbereitschaft und Binnennachfrage anregen.
In der Bevölkerung, auch in Ostpreußen, erzielten die Steuerpakete Aufsehen, weil damit neben der Schaffung von Arbeitsplätzen erhebliche Steuerentlastungen verbunden waren.
- Jungvermählte erhielten ein zinsloses Ehestandsdarlehen für die Beschaffung von Hausrat in Höhe von bis zu 1.000 Mark. In einem erheblichen Umfang wurden die Einkommen-, Umsatz-, Kraftfahrzeug- und Grundsteuer gesenkt; die Körperschaftssteuer stieg hingegen von 20 % auf 40 %.
- Steuerbefreiungen gab es für private Eigenheimbauer und für Besitzer von Kleinwohnungen bei baulichen Renovierungen. Sehr große steuerliche Vergünstigungen wurden der Landwirtschaft gewährt.
- Konkrete staatliche Aufträge ergingen für Instandsetzungs- und Ergänzungsarbeiten an öffentlichen Gebäuden, Investitionen für den sozialen Wohnungsbau, für Brückenbauten, für Flussregulierungen, den Bau der Reichsautobahn und Kanälen. Die ausführenden Betriebe wurden auch steuerlich entlastet.
- Um den Effekt zu erhöhen wurden Regelungen über den Einsatz von Arbeitskräften erlassen. Beispielsweise durften erhöhte Arbeitsaufträge nicht zu einer Verlängerung der Arbeitszeit führen. Für derartige Mehrarbeit sollten Neueinstellungen vorgenommen werden, darunter mussten mindestens 80 % Arbeitslose sein. Maschinen, die durch Neuinvestitionen ersetzt wurden, sollten verschrottet werden, damit sie nicht anderweitig verwendet werden konnten.
Bis 1936 hatte Deutschland die Weltwirtschaftskrise überwunden und das Vorkriegsniveau der Produktion von 1914 überschritten. Allerdings erholte sich die deutsche Wirtschaft bereits schon seit 1932 wieder. Die Steuer- und Arbeitsbeschaffungsgesetze im Reichsfinanzministerium seit 1933 knüpften unmittelbar an die Vorarbeiten der Weimarer Republik an, konnten aber jetzt auf Grund der Machtergreifung schnell und massiv durchgesetzt werden. Quelle: Reinhardt-Programm – Wikipedia
Betrug die Zahl der Arbeitslosen im Januar 1933 – auch saisonbedingt – die Rekord-Ziffer von sechs Millionen, so zeigte die offizielle Statistik im Jahresdurchschnitt 1933 noch 4,8 Millionen Erwerbslose, 1934 nur noch 2,7 Millionen, 1936 dann nur noch 1,6 Millionen, und 1937 schließlich lag ihre Zahl unter einer Million. In einigen Erwerbsbereichen gab es 1935 bereits einen Mangel an Facharbeitern.
Ballungsräume der Arbeitslosigkeit waren 1933 neben den Großstädten und deren Einzugsgebiete, die Industriezentren. In Deutschland konnten sich aber im Rahmen des Reinhardt-Programmes gleich mehrere Industriezentren durch einen verstärken Arbeitskräfteeinsatz im Rahmen der ABM wieder weiterentwickeln.
- In Sachsen wuchs die Textilindustrie wieder.
- Der Steinkohlenbergbau und die Hüttenindustrie waren bedeutend in Oberschlesien und produzierte in größeren Maße als zuvor.
- Die Rohstoffvorkommen machten das Ruhrgebiet zu Deutschlands Zentrum im Bergbau und der Eisenverarbeitung. Durch den gelenken Zuzug aus Ostpreußen gab es einen Wachstumsschub, da lokal keine Facharbeiter mehr vorhanden waren.
"Ungeniert wurde allerdings die Statistik manipuliert, indem 2,2 Millionen Arbeitslose auf dem Papier wegdefiniert wurden." Die Wohlfahrtsemfänger wurden ab 1933 nicht mehr mitgezählt. Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4.
Die Arbeitslosenzahl sank auch deshalb, weil einige Branchen (Landarbeiter, Fischereiarbeiter, Forstarbeiter, Dienstboten) Jugendliche und Ausländer aus der Arbeitslosenversicherung herausgenommen wurden. Ein weitere Nebeneffekt war, dass zuvor arbeitslosen Angehörige des Reichsarbeitsdienstes nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik erfasst wurden.
Ein zusätzlicher Effekt wurde erzielt, indem Frauenarbeit verpönt und eine Kampagne gegen Doppelverdiener gestartet wurde. Insbesondere aus dem Dienstleistungsgewerbe und den höher qualifizierten Berufen wurden Frauen systematisch verdrängt und dadurch viele freie Stellen geschaffen.
Häufig werden nur die Reinhardt-Programme als alleinige Ursache für den Rückgang der Arbeitslosigkeit genannt.
Als Ursachen für den Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland von 1933 bis 1936 nennt Hans-Ulrich Wehler die folgenden sechs folgende Gründe:
- Die Vorgängerregierungen von Papen und von Schleicher hatten bereits 1 Milliarde Markt für Arbeitsbeschaffungen mobilisierte, die sich aber wegen der Wirkungsverzögerung erst ab 1933 auswirkten. 1932 gab es bereits erste Signale der wirtschaftlichen Erholung.
- 6,2 Milliarden Mark wurden bis 1935 durch die Reinhard-Programme zur Steuerung des Arbeitsmarktes eingesetzt - die Regierung zeigte Handlungsbereitschaft.
- 10,6 Milliarden Mark wurden bis 1936 für die Rüstungsprojekte ausgegeben - sie zeigten einen Multiplikatoreneffekt auf dem Arbeitsmarkt
- Es herrschte ein faktischer Lohnstopp, die Basisgröße die Lohnquote der Wirtschaft (prozentualer Anteil des Arbeitnehmerentgelts Bruttolöhne, -gehälter, Sozialbeiträge des Arbeitgebers am Volkseinkommen) schrumpfte von 68 % von 1932 auf 55 % 1938. Im gleichen Zeitraum nahmen die Gewinne der Unternehmen um 36,5 % zu. Für die Unternehmen lohnten sich Investitionen.
- Durch den zügigen Ausbau der NSDAP- Bürokratie und ihrer Nebenorganisationen, der expandierenden Wehrmachtsverwaltung und der Wehr- und Arbeitsdienstpflicht nahm seit 1935 Hunderttausende aus der Arbeitslosigkeit
- Die NSDAP und die Regierung trommelten auf allen Kanälen für ihre Programme - Deutschland erlebte eine "riesige Propagandaschlacht" - staatliche Mittel und Maßnahmen wie z. B. die „Erzeugerschlacht“ (siehe Kap. 8.9.5)" wurden "umfassend beworben" und "vor Ort von den Funktionsprägern der NSDAP gegenüber den Betroffenen aggressiv umgesetzt" - Vergrößerungen von Belegschaften wurden zu öffentlichen hervorgehobenen Beispielen, Entlassungen schärfsten kritisiert.
Hans-Ulrich Wehler schreibt zusammenfassend:
„Damals jedoch war ein derart massives, geradezu bedenkenlos optimistisches Engagement von Regierungsvertretern noch eine Innovation, die freilich ganz auf der Linie, der zu dieser Zeit von Keynes suggerierten Konjunkturtherapie lag. Jedenfalls ging davon, dass die Regierung Hitler und vor allem der Reichskanzler selber so anhaltend um einen wirtschaftspolitischen Vertrauensvorschuss warben und er Öffentlichkeit ihre geschäftige Aktivität einhämmerte, eine ansteckende Dynamik aus. Überdies verstärkte die Arbeitsbeschaffungspolitik das „Bewusstsein von volksgemeinschaftlicher Solidarität". Diese „Bewusstseinstatsache“, das erfasste Hitler sehr genau, wirkte aber naturgemäß auch volkswirtschaftlich stimulierend. Insofern darf am die eigentliche Leistung Hitlers, mit seinen rhetorischen Fähigkeiten und dem Beschwörungsgestus des charismatischen Demagogen die Erholung herbeigeführt zu haben, nicht unterschätzen. Als sich dann der Erfolg relativ schnell einstellte und Abermillionen die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes zurückgewannen, konnte Hitler mit guten Gründen sich öffentlich rühmen, dass seiner Führungsherrschaft eine „Autorität“ zugewachsen sei, „wie sie noch kein Regime vor uns besessen hat.“
Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 4
Die Arbeitslosigkeit in Ostpreußen verringerte sich von 102.000 im Jahre 1933 auf 18.200 im Jahre 1936.
Im Landkreis Insterburg lang 1933 die Arbeitslosigkeit bei 6 %. Hier waren hauptsächlich Handwerker wie der Maurer Erich Tuttlies betroffen. In Berlin lag die Arbeitslosigkeit bei 37 %, hier waren alle Erwerbstätigen betroffen.
Von 1945 bis 1949 war Fritz Reinhardt von den Alliierten ohne Einzelprüfung interniert. Er trat als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen auf. Bei der Entnazifizierung wurde er 1949 als besonders aktiver Nationalsozialist in Gruppe 1 (Hauptschuldiger) eingestuft und zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. Dagegen legte Reinhardt Berufung ein. In einem weiteren Spruchkammerverfahren wurde die Einstufung nochmals bestätigt, die Lagerhaft jedoch auf drei Jahre reduziert und seine bisherige Internierung auf die Strafe angerechnet, womit er sofort freikam. Reinhardt arbeitete später als Steuerberater und publizierte weitere Steuerfachbücher, trat ansonsten aber nicht öffentlich in Erscheinung. Er starb am 17. Juni 1969 in Regensburg
Quelle: Fritz Reinhardt - Suchen (bing.com)
Arbeitsbeschaffung und Reichsarbeitsdienst
Betrug die Zahl der Arbeitslosen im Januar 1933 – auch saisonbedingt – die Rekord-Ziffer von sechs Millionen, so zeigte die offizielle Statistik im Jahresdurchschnitt 1933 noch 4,8 Millionen Erwerbslose, 1934 nur noch 2,7 Millionen, 1936 dann nur noch 1,6 Millionen, und 1937 schließlich lag ihre Zahl unter einer Million. In einigen Erwerbsbereichen gab es 1935 bereits einen Mangel an Facharbeitern.
Im 3. Reich kam es zur Durchsetzung umfangreicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Dazu wurde das Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit am 1. Juni 1933 erlassen.
Quelle: ÖNB-ALEX - Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945 (onb.ac.at)
Für weibliche Erwachsene gab es aus idiologischen Gründen keine ABM. Männliche Erwachsene wurden in Ostpreußen durch die ABM hauptsächlich im Baubereich eingesetzt:
- Wehrmachtsbauten: Kriegshafen Pillau, Militärflugplatz Insterburg, Kasernenbauten in div. Städten
- Wohnsiedlungen in den Städten: Neubau von Wohnungen für Wehrmachtsangehörige z. B. in Insterburg
- Neuansiedler auf dem Lande: Bau von Wohnheimen für Wanderarbeiter im Rahmen der Erzeugerschlacht z. B. in Alt Lappönen
- Verkehrseinrichtungen Straßen: Bau der Autobahn Berlin–Königsberg
- Eisenbahnlinien: Ausbau der später kriegswichtigen Strecke Danzig–Deutsch-Eylau
- Kanäle: Fortsetzung des Masuren Kanal
In diesem Zusammenhang wurde auch beschlossen, den Bau des Masurischen Kanals fortzusetzen und bis Mai 1941 abzuschließen. Die Arbeiten hatten schon 1908 begonnen wurden aber durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Der Weiterbau begann im Jahre 1934. Anfangs war, dank der ununterbrochenen Finanzierung und der stärkeren Mechanisierung der Erdarbeiten, das Arbeitstempo recht hoch.
Im Jahr 1936 galt der Bau des Masurischen Kanals als das zweitteuerste Investitionsprojekt in Ostpreußen nach der Autobahn Berlin–Königsberg. Gearbeitet wurde Tag und Nacht. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1939 wurden Gefangene, Kriegsgefangene und ausländische Arbeiter aus den besetzten Gebieten zur Zwangsarbeit am Kanal herangezogen. Auch die paramilitärischen Arbeitskommandos des Reichsarbeitsdienstes (RAD) waren in die Arbeiten mit einbezogen.
Doch der 1941 begonnene Krieg mit der Sowjetunion erforderte von Deutschland die Mobilisierung aller wirtschaftlichen, materiellen und menschlichen Ressourcen. Wegen Mangels an Baumaterial und an Arbeitskräften, die zum Bau von Bunkern des Hauptquartiers des Oberkommandos der Wehrmacht im Dorf Mauerwald und Hitlers Wolfsschanze bei Rastenburg abkommandiert wurden, verlangsamte sich der Kanalbau.
Und im Jahre 1942, nach dem radikalen Umschwung an der Ostfront und dem Beginn der sowjetischen Offensive, wurde er vollständig eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren der Kanal und seine Technikbauten zu etwa 70 Prozent fertig. Im Nordteil des Kanals standen schon fast alle fünf Schleusen, im Südteil war nur die Schleuse bei Sandhof fertig; die anderen Schleusen waren zu 15 bis 65 Prozent fertiggestellt.
Das gesamte Kanalbett im nördlichen und abschnittsweise auch das im südlichen Teil war bereits in der vorgesehenen Tiefe von 2,5 Meter mit Wasser gefüllt. Außerdem waren 33 der 35 geplanten Straßenbrücken, 6 Eisenbahnbrücken, 16 Häuser für Wartungspersonal und Schleusenwärter und alle 36 Düker, die unter dem Kanalbett hindurchführten, gebaut. Der Kanal blieb eine Bauruine und wurde nie fertiggestellt.
Foto: Die gesamte Familie Tuttlies 1933 bis auf den fehlenden Enkel Manfred, von links: Erich, Berta, Hildegard, Gertrud, Carlhorst, Max, Ferdinand und Friedel [352]
Foto: Arbeitsbeschaffung im Nationalsozialismus 1934[353]
Foto: Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen am Masuren Kanal[354]
Erich Tuttlies arbeitete von 1933 bis 1935 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ebenfalls am Ausbau des Masurischen Kanals mit. Einmal im Monat durfte er am Wochenende nach Hause fahren, ansonsten waren die Wochenenden mit politischen Veranstaltungen und Sport ausgefüllt.
Neben den allgemeinen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und den allgemeine Steuererleichterungen für Erwachsene hatte das NS-Regime besonders die hohe Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen im Blick. Neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sollte die jungen Deutschen auch im Sinne des Nationalsozialismus beeinflusst werden. Dazu wurde durch eine besondere ABM – Institution der Reichsarbeitsdienst (RAD) gegründet. Der RAD war eine staatliche Organisation im nationalsozialistischen Deutschen Reich. Er gliederte sich in 30 „Arbeitsgaue“, 182 „Gruppen“ und 1.260 „Abteilungen“. Er stelle ein Zwischenstufe zwischen Schulabschluss und Eintritt ins Berufsleben dar.
Das Gesetz für den Reichsarbeitsdienst wurde am 26. Juni 1935 erlassen.
- § 1 Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am deutschen Volke. Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volke im Reichsarbeitsdienst zu dienen. Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen. Der Reichsarbeitsdienst ist zur Durchführung gemeinnütziger Arbeiten bestimmt.
- § 1 (2) Alle jungen Deutschen beiderlei Geschlechts sind verpflichtet, ihrem Volk im Reichsarbeitsdienst zu dienen.
- § 3 (1) Der Führer und Reichskanzler bestimmt die Zahl der jährlich einzuberufenden Dienstpflichtigen und setzt die Dauer der Dienstzeit fest.
Der RAD verfolgte mehrere Ziele.
- Ein Hauptziel war die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit.
- Die militärische Disziplinierung der jungen Generation als Kriegsvorbereitung.
- Der RAD war ein Versuch, die nationalsozialistische Ideologie der "Volksgemeinschaft" in die Praxis umzusetzen.
- Schließlich übernahm der RAD seit 1938 zunehmend Hilfsdienste für die Wehrmacht.
Zunächst wurden junge Männer (vor ihrem Wehrdienst) für sechs Monate zum Arbeitsdienst einberufen. Vom Beginn des Zweiten Weltkrieges an wurde der Reichsarbeitsdienst auf die weibliche Jugend ausgedehnt. Während des Arbeitsdienstes lebten die „Arbeitsmänner“ und „Arbeitsmaiden“ kaserniert in sogenannten Lagern. Der Tagesablauf mit seinen detaillierten Dienstplänen ließ den RAD-Leistenden wenig Zeit zur eigenen Verfügung und glich dem der Soldaten: Ohne Mittagsruhe summierte sich die reine Dienstzeit je Woche auf rund 76 Stunden. Zudem gab es in der knappen Freizeit praktisch keine Rückzugsmöglichkeiten. Auch die Abende waren in aller Regel verplant, und eine Möglichkeit, das Lager außerhalb der Dienstzeiten zu verlassen, war in der Regel nicht vorgesehen; dies bedurfte – wie beim Militär – einer besonderen Erlaubnis. Der RAD ersetzte das bisherige soziale Umfeld völlig. So sollte in der neuen „Volksgemeinschaft“ eine kollektive Identität ausgebildet werden.
Die nationalsozialistische Lehre definierte die Volksgemeinschaft als „die auf blutmäßiger Verbundenheit, auf gemeinsamem Schicksal und auf gemeinsamem politischen Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassen- und Standesgegensätze wesensfremd sind. Die Volksgemeinschaft ist Ausgang und Ziel der Weltanschauung und Staatsordnung des Nationalsozialismus.“ Dabei war die Zugehörigkeit zur arischen Rasse zwar eine notwendige Bedingung für die Zugehörigkeit zur (deutschen) Volksgemeinschaft, aber sie war aber aktuell nicht überall gegeben. Diese Relativierung sollte den Kriegseinsatz von „Hilfsvölker“ im 2. Weltkrieg begründen. Die Volksgemeinschaft war eine Gesinnungsgemeinschaft, die das Bekenntnis zur Weltanschauung des Nationalsozialismus erforderte.
Neben dem männlichen Arbeitsdienst von 18 - 24 Jahre war mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz auch der weibliche Arbeitsdienst (RADwJ) für junge Mädchen (Arbeitsmaiden) für im Alter von 18 bis 21 später auch 24 Jahren eingeführt worden. Nach der Schule, vor der Lehre musste das Pflichtjahr auf dem Lande absolviert werden, nach der Lehre war ein halbes Jahr Arbeitsdienst verpflichtend. In Kriegszeiten wurden die jungen Frauen zum Kriegshilfsdienst eingezogen, wofür die Zeit des Pflichtdienstes auf ein Jahr verlängert wurde. Ohne den Nachweis über das abgeleistete Pflichtjahr konnte keine Lehre oder anderweitige Ausbildung begonnen werden.
Im Mittelpunkt der NS-Wirtschaftspolitik stand zunächst rasche Beschäftigungsmöglichkeiten durch RAD. Junge Frauen wurden in Ostpreußen z. B. zum Beispiel als Land- und Erntehelferinne, Schulhelferinnen oder Fürsorgehelferinnen eingesetzt. Ab dem Jahr 1938 entstanden überall im damaligen Deutschen Reich 327 Lager des weiblichen Arbeitsdienstes, von denen 108 als Bauernlager, 116 als Siedler- und 108 als NSV-Lager anzusprechen waren.
Die Einsatzart der weiblichen Arbeitsdienstangehörigen war in Ostpreußen auf dem Lande der einer „Helferin“. Diese Helferinnen wurden von Ort in die Arbeit eingewiesen, ein Anlernen fand nicht statt. Sie wurden auf Bauerhöfen als Hilfskräfte (Mägde) eingesetzt, in den Kleinstädten in den Kindergärten als Säuglings- und Kinderhelferinnen. In den landwirtschaftlichen Siedlungen arbeiteten sie als Erziehungshelferin in Schulen. Dazu kam die so genannten Nationalsozialistische Volkswohlfahrts-Lager (NSV). Hier wurden von Fürsorgehelferinnen entweder elternlos gewordene Kriegswaisen betreut, Kranke gepflegt oder Mütter aus landwirtschaftlichen Betrieben und von kinderreichen Familien unterstützt. Schließlich übernahm der RAD seit 1938 zunehmend Hilfsdienste für die Wehrmacht. Es gab im gesamten Reich bis Kriegsende etwa 600.000 Kriegshelferinnen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsarbeitsdienst
Junge Männer wurden in Ostpreußen mit Forst- und Kultivierungs- sowie Deichbau- oder Entwässerungsaufgaben und Tätigkeiten in der Landwirtschaft beschäftigt. Später kamen Schanz- und Bunkerbauten hinzu. Im Rahmen des Ostwall wurden von der Wehrmacht umfangreiche Ostpreußenschutzstellung geplant. 1944/45 wurde von männlichen RAD Angehörigen ein umfangreiches Panzergrabensystem in der ehemaligen Wildnis in Ostpreußen errichtet.
Fünf Beispiele für den Einsatz des weibliche Arbeitsdienst:
- Es wurden in Deutschland bis 1936 über 10.000 neue Kindergärten gebaut, wobei keine neuen Erzieherinnen ausgebildet wurden und die Stellen mit Hilfskräften (Kinderhelferinnen) besetzt wurden. Sie sollte für eine „ umfassende nationalsozialistische Kindheit“ sorgen. Der massiver Ausbau der Kindergärten dienten der Kriegsvorbereitung - als Entlastung der gebrauchten Kriegsarbeiterinnen, deren Männer waren eingezogen waren.
- Im Schulbereich gab es ähnlich Planungen, bisherige Lehrerinnen durch "parteitreue" Erziehungshelferinnen teilweise zu ersetzen. Diese Planungen wurden aber nach der Kriegsausbruch nicht weitergeführt. Hildegard Tuttlies hatte an ihrer Schule in Lindenhöhe schon zwei Erziehungshelferinnen erlebt.
- Hildegard Tuttlies war vom 15.5.1939 bis zum 15.5.1940 als "Landjahrmädel" in der Baumschule „Bruno Wenk" in Masuren in Pristanien / Paßdorf bei Angerburg tätig. Anschließen bekam sie dort eine Stelle im Büro Büro und mußte keinen anschließenden Arbeitsdienst leisten.
- Der weibliche RAD wurde als Ersatz für fehlende männliche Arbeitskräfte in der Landwirtschaft und als sogenannter Kriegshilfsdienst (KHD) in Ämtern und Schreibstuben, in der Rüstungsproduktion und im öffentlichen Nahverkehr verwendet. Frauen konnten auch Wehrmachthelferin werden. Dazu wurde die Arbeitsdienstzeit um ein halbes Jahr verlängert.
- Ab 1943 wurden aus RAD-Abteilungen auch selbstständige Flak-Batterien gebildet. Die Mannschaften erhielten eine vollwertige Flakausbildung bei der Luftwaffe und besetzten die Geschütze in RAD-Uniform (Flack-Helfer). Ein Einsatz von Mädchen war zunächst noch nich vorgesehen, er konnte jedoch ab dem 17. Lebensjahr auf freiwilliger Basis erfolgen. Später allerdings gab es Dienstverpflichtungen, vorwiegend im Nachrichtenwesen (Blitzmädel) und an Scheinwerfern. Ab 1944 wurden auch weibliche Angehörige des Reichsarbeitsdienstes (Arbeitsmaiden) in Flakbatterien eingesetzt.
Der RAD erreichte aber im Allgemeinen nicht einmal 50 % an Arbeitsleistung im Vergleich zur Privatwirtschaft. Von 1933 bis 1940 durchliefen rund drei Mio. Männer und 2,5 Mio. Frauen den RAD. Reichseinheitlich erhielten Arbeitsdienstleistende bis zum Kriegsende für ihre zum Teil schwere körperliche Arbeit z. B. im Straßenbau und Siedlungsbau sowie im Steinbruch 21 Reichsmark pro Woche. Das entsprach dem Hilfsarbeiterlohn für Berufsanfänger zu Beginn der 1930er Jahre. Davon wurden aber nur 0,50 RM täglich ausgezahlt; das war die Hälfte des den Soldaten zustehenden Wehrsolds. Das übrige Geld wurde für Essen, Lagerunterkunft, Heizung, Bekleidung und Versicherungen einbehalten. Das Geld stammte aus den Projekten, bei denen der RAD eingesetzt war.
Obwohl es in Deutschland bis 1936 durch den Rückgang der Arbeitslosigkeit und gleichzeitig zu einem Anstieg der Verbraucherpreise und der Löhne im Agrarbereich kam, musste eine weitere Verteuerung der Grundnahrungsmittel verhindert werden. Der zur Berechnung der geplanten Aufrüstung relevante durchschnittliche Industrielohn sollte ein stabiler Faktor bleiben und nicht durch Preissteigerungen in die Höhe getrieben werden. So fielen durch umfangreiche staatliche Subventionen bis 1938 die Verbraucherpreise wieder auf das Niveau von 1933 zurück. Es durfte zu keiner Inflation wie 1920 kommen. Durch den Lohn- und Preisstopp wurde Geldwertstabilität vorgetäuscht. Die auch für die Landwirtschaft geltende, bis 1935 geschaffene "Wehrwirtschaft" war eine Vorstufe der späteren Kriegsernährungsordnung - mit staatlich gelenken Preisen und einem "Schatten-Haushalt" mit Hilfe der Mefo-Wechsel
Mefo-Wechsel, Währungsreform und Lastenausgleich
1936 bis 1945 war durch die Finanzierung der Aufrüstung bzw. ab Beginn des Krieges aus Geldschöpfung und Zwangsabgaben aus besetzten Gebieten ein umfangreicher Geldüberhang mit Inflation durch sogenannte Mefo-Wechsel entstanden Die auch für die Landwirtschaft geltende, bis 1935 geschaffene "Wehrwirtschaft" war eine Vorstufe der späteren Kriegsernährungsordnung - mit staatlich gelenken Preisen und einem "Schatten-Haushalt" mit Hilfe der Mefo-Wechsel Das Reinhardt-Programm und die Aufrüstung wurden durch sogenannte Mefo-Wechsel finanziert.
Über die Aufgabe der Mefo-Wechsel äußerte sich der Reichsfinanzminister Graf Schwerin von Krosigk in einem Brief vom 1. September 1938 an Adolf Hitler: „Seit der Machtuebernahme ist bewusst der Weg beschritten worden, die grossen einmaligen Ausgaben der ersten Arbeitsbeschaffung und der Aufruestung durch Aufnahme von Krediten zu finanzieren. Soweit sich dies nicht durch die normale Inanspruchnahme des Geld- und Kapitalmarktes, d.h. des jaehrlichen Zuwachses an Ersparnissen in Deutschland, ermoeglichen liess, erfolgte die Finanzierung durch Wechsel (Arbeits- und Mefowechsel), die bei der Reichsbank diskontiert werden, also durch Geldschoepfung.“
Vorbild für die Mefo-Wechsel waren die „Öffa-Wechsel“, die der Arbeitsbeschaffung und dem Infrastrukturaufbau durch öffentliche Gebietskörperschaften ab 1932 dienten.
Das Reich finanzierte die Staatsausgaben für die Aufrüstung, indem es nicht in Banknoten bezahlte, sondern Wechsel annahm, die von der Rüstungsindustrie ausgestellt wurden. Allerdings akzeptierte nicht das Reich selbst die Wechsel, sondern eine eigens zu diesem Zweck im Mai 1933 gegründete Scheinfirma namens „Metallurgische Forschungsgesellschaft m. b. H.“ (Mefo) Gleichzeitig dienten die Mefo-Wechsel der Finanzierung von Aufrüstungsmaßnahmen ohne Inanspruchnahme des internationalen Kapitalmarktes. Sie galten als Handelswechsel und mussten im Reichshaushalt und im Reichsschuldbuch nicht ausgewiesen werden. Da es sich bei den Gesellschaftern der Metallurgischen Forschungsgesellschaft mbH um angesehene Vertreter der deutschen Industrie handelte, konnte die Reichsbank nach dem Reichsbankgesetz die Wechsel der Rüstungsindustrie zum Zwecke der Refinanzierung der Metallurgischen Forschungsgesellschaft mbH diskontieren.
Die durch das Reichsbankgesetz vorgesehene Begrenzung der Staatsverschuldung wurde durch die Mefo-Wechsel umgangen. Erst lange nach dem Ausgabestopp wurden sie als Mefo-Wechsel bekannt. Der Hauptgrund, warum die Banken sehr am Besitz der Mefo-Wechsel interessiert waren, liegt an den gesetzlichen Bestimmungen des bilanziellen Ausweises der Sonderwechsel. Sie durften unter dem Bilanzposten „Handelswechsel“ gebucht werden. Somit konnten die Mefo-Wechsel auch vor ausländischen Aktionären „versteckt“ werden. Ein weiterer Vorteil der Mefo-Wechsel war, dass sie weder im Reichshaushalt noch in den Büchern der Reichsschuldenverwaltung ausgewiesen wurden. Die Geheimhaltung blieb somit gewahrt. Es wurden von 1934 - 1944 insgesamt Mefo-Wechsel in Höhe von 82,8 Mrd. Reichsmark ausgestellt. Quelle: Mefo-Wechsel – Wikipedia
Der 2. Weltkrieg wurde daher erneut, wie der 1. Weltkrieg, durch Staatsverschuldung finanziert. Die Verschuldung verzehnfachte sich: von 33 Mrd. RM am 1. September 1939 auf 393 Mrd. RM Anfang 1944. Weil die Kaufkraft der privaten Haushalte durch umfangreich Subventionen relativ stabil blieb, das Warenangebot aber immer weiter abnahm, verlor die Reichsmark drastisch an Wert. Die Folge war eine Inflation, die erst nach dem Krieg durch die Währungsreform 1948 aufgefangen werden konnte. Nach Kriegsende gab es am 20. Juni 1948 zunächst für jeden Bürgen ein Kopfgeld von 40 DM (2023 etwa 116 €)
Bis Mitte 1948 war die Reichsmark (RM) das allein in Deutschland gültige Zahlungsmittel. Die Ausgabe von Besatzungsgeld steigerte die Geldmenge, während das Güterangebot sich durch Einschränkungen bei der landwirtschaftlichen Produktion, Demontage von Produktionsstätten, Weiterführung der Zwangsbewirtschaftung durch die Alliierten und das (trotz Verbotes zunehmende) Horten von Waren und den Schwarzmarkt verringerte. Die bisherige Währung der RM hatte ihre Funktionen als Zahlungsmittel und Wertaufbewahrungsmittel weitgehend eingebüßt. Dann folgte in Westdeutschland die Umstellung von Reichsmark (RM) zu Deutscher Mark (DM):
- Abgeschlossene Verbindlichkeiten wurden mit einem Kurs 10 Reichsmark (RM) zu 1 DM (10:1) umgestellt.
- Laufende Verbindlichkeiten wie Löhne, Renten, Pensionen, Pachten und Mieten wurden im Kurs 1:1 umgestellt.
- Aktien wurden ebenfalls 1:1 umgestellt.
- Schuldverschreibungen, Hypotheken und sonstige Forderungen und Verbindlichkeiten sowie die Prämienreserven der privaten Versicherungen und die Bausparguthaben der Bausparkassen wurden im Verhältnis 10:1 umgestellt.
- die laufenden Beiträge blieben im Verhältnis 1:1 bestehen.
- Verbindlichkeiten des Reichs und gleichgestellte Verbindlichkeiten wurden nicht umgestellt, erloschen jedoch noch nicht.
- Bargeld und letztlich auch Sparguthaben wurden zum Kurs 100 RM zu 6,50 DM umgetauscht.
Quelle: Währungsreform 1948 (Westdeutschland) – Wikipedia
Die Währungsumstellung ermöglichte u. a. ein stabiles System für den Lastenausgleich zu entwickeln. Die Ansprüche an den Lastenausgleich waren hoch.
Es gab 1949 im Bundesgebiet
- 13 Mio. Vertriebene und Flüchtlinge. Hinzu kamen 2,5 Mio. innerhalb des Bundesgebiets Evakuierte, die ihre Heimat ebenfalls hatten verlassen müssen.
- Es gab 8 Mio. Kriegssachgeschädigte, einschließlich der Familienangehörigen.
- Von 10 Mio. Wohnungen im Bundesgebiet waren 2,5 Mio. total zerstört, viele weitere teilweise.
- Es gab 0,5 Mio. Sowjetzonenflüchtlinge mit Ansprüchen an den Härtefonds des Lastenausgleichs.
- Und es gab allein 0,5 Mio. Währungsgeschädigte mit Ansprüchen auf Kriegsschadenrente.
- Zusammen 18 Mio. Menschen von 50 Mio. Einwohnern, also mehr als 1/3 der Bevölkerung der Bundesrepublik hatte Ansprüche an den Lastenausgleich.
Das Gesetz über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz, LAG) vom 14. August 1952 hatte zum Ziel, Deutschen, die infolge des Zweiten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen Vermögensschäden oder besondere andere Nachteile erlitten hatten, eine finanzielle Entschädigung zu gewähren. Folgende Schäden und Schadensarten waren in den Lastenausgleich einbezogen:
- Vertreibungsschäden und Schäden der Aussiedler und Spätaussiedler,
- Kriegssachschäden im Westen, insbesondere also die Schäden aufgrund der alliierten Bombardierungen,
- Umstellungsverluste aufgrund der Währungsumstellung in den drei Westzonen von Reichsmark auf D-Mark am 21. Juni 1948
- Schäden in der SBZ bzw. DDR, und zwar alle Schäden im gesamten Zeitraum von 1933 bis 1989
Folgende Leistungsarten wurden in § 4 LAG festgelegt:
- Hauptentschädigung: Entschädigung in Geld in Relation zum erlittenen Vermögensschaden für Grundstücke, Immobilien, Firmen, Fabrikanlagen. Die Entscheidung und Auszahlung hierzu dauerte oft viele Jahre.
- Eingliederungsdarlehen: zinsbegünstigt; zum Aufbau einer neuen Existenz (wurde relativ rasch entschieden)
- Kriegsschadenrente: z. B. für Geschädigte, die von Mieteinnahmen aus einem zerstörten Haus gelebt hatten
- Hausratsentschädigung: für eine erste einfache Ausstattung mit Möbeln, Küche, Wäsche, Geschirr (wurde relativ rasch entschieden)
- Wohnraumhilfe: Bevorzugung bei der Zuweisung von Mietwohnungen (die Gemeinden verwalteten noch viele Jahre nach dem Krieg den gesamten Wohnraum und bestimmten, wer wohin ziehen durfte)
- Darlehen zum Hausbau oder Erwerb von Wohnungseigentum: 6200 DM; zinsverbilligt und als Eigenkapitalersatz gesichert
- sonstige Härteleistungen und Leistungen aufgrund sonstiger Förderungsmaßnahmen: für besondere Schadenstatbestände – nicht alles konnte im Gesetz explizit geregelt werden
- Entschädigung nach dem Altsparergesetz: für größere Geldvermögen und Lebensversicherungen
- Entschädigung im Währungsausgleich für Sparguthaben Vertriebener: wie vor, jedoch in fremder Währung
- Darlehen: die aufgrund des Bundesvertriebenengesetzes von 1953 bis 1957 gewährt wurden
Dazu mussten die Vermögenswerte vor der Vertreibung festgestellt werden. Es ging um Lösungen für den Nachweis der Schäden. Viele der Geschädigten hatten keine Unterlagen retten können, mit denen sie das verlorene Vermögen hätten nachweisen können. An dieser Stelle des Verwaltungsverfahrens kam das Bundesausgleichsamt ins Spiel. Es erließ nahezu flächendeckend für alle feststellbaren Vermögensschäden eigene Rechtsverordnungen, die die Beweisnot der Antragsteller berücksichtigen. Aufgrund von Erfahrungsätzen konnten Schäden auch dann sicher festgestellt werden, wenn der Antragsteller nur einzelne Betriebsmerkmale wie z. B. die Anzahl der Beschäftigen oder den Umsatz angeben konnte. Für den Bereich der gewerblichen Wirtschaft wurden z. B. Richtzahlen für die Ermittlung von Ersatzeinheitswerten gewerblicher Betriebe festgelegt. Im Bereich der Landwirtschaft wurde mit Hektarsätzen gearbeitet. Dazu gab es standardisierte Fragebögen.
Diejenigen, die ihr Vermögen und ihre wirtschaftliche Existenz über den Krieg gerettet hatten, sollten die materiellen Lasten derjenigen ausgleichen, die fast alles verloren hatten. Zur Finanzierung des Lastenausgleichs wurden Ausgleichsabgaben eingeführt: die Vermögensabgabe, die Hypothekengewinnabgabe und die Kreditgewinnabgabe.
Mit ihnen wurde 1/3 der gesamten Ausgaben finanziert (53 Mrd. DM von 145 Mrd. DM). Der Rest der benötigten Mittel wurde über Steuern und Zuschüsse der Länder zur Unterhaltshilfe aufgebracht. Diese Umverteilung erfolgte dadurch, dass diejenigen, denen erhebliches Vermögen verblieben war (insbesondere betraf das Immobilien), eine Lastenausgleichsabgabe zahlten. Die Höhe dieser Abgabe wurde nach der Höhe des Vermögens mit Stand vom 21. Juni 1948, dem Tag nach Einführung der D-Mark in den drei westlichen Besatzungszonen, berechnet. Die Abgabe belief sich auf 50 % des berechneten Vermögenswertes und konnte in bis zu 120 vierteljährlichen Raten, also verteilt auf 30 Jahre, in den Ausgleichsfonds eingezahlt werden.
Zu diesem Zweck wurden eine Vermögensabgabe, eine Hypothekengewinnabgabe und eine Kreditgewinnabgabe eingeführt, die an die Finanzämter zu zahlen waren.
Durch die Verteilung auf viele Jahre betrug die Belastung nur 1,67 % pro Jahr, sodass sie aus dem Ertragswert des betroffenen Vermögens geleistet werden konnte, ohne die Vermögenssubstanz angreifen zu müssen. Das fiel den Betroffenen infolge der ständigen Inflation seit 1952 allmählich leichter. Ab den 1980er Jahren flossen zunehmend auch allgemeine Steuermittel in den Fonds. Mit dem Lastenausgleichgesetz wurde ein Sondervormögen des Bundes eingerichtet: der Ausgleichsfonds. In diesen flossen die Einnahmen für den Lastenausgleich; aus ihm wurden die Leistungen bezahlt.
Ende 1986 waren knapp 8,3 Millionen Anträge auf Feststellung eines Schadens erledigt. Insgesamt waren in der Ausgleichsverwaltung etwa 57 Millionen Anträge gestellt worden, die zu etwa 275 Millionen Bearbeitungsvorgängen und Bescheiden geführt haben. Bis Ende 1986 wurden mehr als 130 Milliarden DM aus dem Ausgleichsfonds und aus Haushaltsmitteln als Leistungen im Zusammenhang mit dem Lastenausgleich erbracht. 1990 war der Lastenausgleich weitgehend abgewickelt. Insgesamt betrug das Gesamtvolumen des Lastenausgleichs rund 75 Mrd. Euro. Seit 1996 können keine neuen Anträge auf Lastenausgleich mehr gestellt werden.
Quelle: Bundesarchiv Internet - Überblick über den Lastenausgleich
Erzeugungsschlacht
Erzeugungsschlacht war ein 1934 vom damaligen Staatssekretär im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Herbert Backe, entwickeltes Konzept zur Leistungssteigerung der Nahrungsmittelproduktion. Verkündet wurde das Programm vom Reichslandwirtschaftsminister Richard Walther Darré und Backe auf dem Reichsbauerntag am 17. November 1934 in Goslar. Der Reichsgau Ostpreußen war durch seine landwirtschaftliche Prägung besonders betroffen.
Die Erzeugungsschlacht beinhaltet einen Maßnahmenkatalog (Die Zehn Gebote), durch den der Selbstversorgungsgrad in Deutschland bis zur höchsten wirtschaftlich noch möglichen Grenze angehoben werden sollte, um den NS-Staat von Nahrungsmittelimporten möglichst unabhängig zu machen, gerade in Hinblick auf einen neuen Krieg. Die Maßnahmen waren im Einzelnen:
- Erfassung aller Betriebe,
- Verbesserung der Böden,
- Vergrößerung der Anbauflächen für Ölfrüchte,
- Kredite für die Bauern zur Anschaffung von landwirtschaftlichen Maschinen,
- Bau von Wohnheimen für Wanderarbeiter,
- Ausbau der staatlichen Beratung sowie die
- sparsame und effektive Verwendung der landwirtschaftlichen Produkte.
Soweit sich Hildegard Kiehl erinnert, wurden in Wilkental zwar alle Betriebe erfasst, die übrigen Maßnahmen betrafen aber nur die Großbauern und die beiden Güter. Ob sie dann auch durchgeführt und erfolgreich waren, wurden nur teilweisen in der dorfinternen "Neuigkeits-Börse" besprochen - allerdings waren richtig "durchschlagende Erfolge" in Wilkental nicht zu vermelden.
Durch die "Erzeugungsschlacht", welche auch im Schulunterricht in Lindenhöhe thematisiert wurden, gelang es dem Deutschen Reich nur teilweise, die Nahrungsmittelautarkie herzustellen. Wo die Preisfestsetzungen durch den Reichsnährstand die Gestehungskosten eines Erzeugnisses nicht deckten, blieb die Erzeugung hinter den Erwartungen zurück. Dies zeigte sich unter anderem bei der Milcherzeugung, bei der die Verantwortung für den Milchpreis vom Reichsnährstand weg auf den Führer und Reichskanzler hinaufgehoben worden war. Vor allem der Mangel an Fett (so genannte Fettlücke) und Hülsenfrüchten konnte bis Kriegsende, trotz der rücksichtslosen Ausplünderung der besetzten Gebiete, nicht kompensiert werden. Das nach dem Missernte-Jahr 1934 als einmalige Propaganda-Aktion gedachte Programm wurde ab 1940 als Kriegserzeugungsschlacht bis 1944 weitergeführt. Quelle: Erzeugungsschlacht – Wikipedia
Die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche wurde trotz Ausrufung der „Erzeugungsschlacht“ durch Darré von 1933 bis 1939 um ca. 800.000 ha verringert. Grund dafür war die Beanspruchung der Flächen durch die Reichsautobahn und die Wehrmacht. Allein die Errichtung des Westwalls forderte 120.000 ha landwirtschaftlichen Gebietes. Zudem fehlten Düngemittel und Anreize in der Preispolitik. Es bahnte sich die Stagnation der Getreideproduktion an, die kaum noch an die Produktionszahlen von 1913 herankam. Nach Kriegsbeginn entwickelte die Produktion sich sogar rückläufig. Das größte Defizit herrschte aber bei der Versorgung durch Fette und pflanzliche Öle, die bis zu 50 % durch Verträge mit Dänemark und den baltischen Staaten eingeführt werden mussten.
Gestoppt werden sollte durch die Neugliederung der Landwirtschaft, neben dem Hauptziel der Sicherung der Ernährungslage u.a. auch die Landflucht. Zwischen 1933 und 1939 verringerten sich die Arbeitsplätze in der deutschen Landwirtschaft um 440.000 auf 1,4 Millionen Menschen, was einem Rückgang von etwa 20 Prozent entsprach. In Ostpreußen konnte die Bevölkerung zwischen 2,33 Mio. im Jahre 1933 und 2,43 Mio. im Jahre 1940 aber stabilisiert werden.
In gewissem Umfang gelang es dem Regime, den Selbstversorgungsanteil Deutschlands von 68 Prozent im Jahre 1928 auf 83 Prozent im Jahre 1938 zu steigern.
Auch eine Produktionssteigerung war zu verzeichnen, aber auch höhere Preise für landwirtschaftlicher Produkte im Inland im Vergleich zu den Weltmarktpreisen. Dieser Aufschwung beruhte in der Landwirtschaft in Ostpreußen weder auf einer Flächenausdehnung oder einer Veränderung der Bodennutzung noch auf einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen Sachkapitaleinsatz (Maschinen) und Anzahl der Arbeitskräfte, sondern auf eine (erzwungene) Steigerung der Arbeitsintensität, die nicht zuletzt von den mithelfenden Frauen erbracht werden musste.
In einigen Gemeinden des Kirchspiel Aulowönen wurden die Feldarbeit regelmäßig durch Ortsbauernführer kontrolliert und vor Ort kommentiert. Durch diese gezielten Einschüchterungen entstanden angstvolle Situationen, die sich herumsprachen. Die Arbeitsintensität gerade auf den Gütern nahm zu, was einigen Gutsbesitzern gar nicht so unrecht war. Neben diesen plumpen Methoden hat der Landesbauernführer Spickschen im Zusammenhang mit der Steigerung der Arbeitsintensität auch auf den Reichsausschuss für Arbeitsstudien als mögliches Instrument für die Landwirtschaft hingewiesen. Quelle: Christian Rohrer, Landesbauernführer. Band 1: Landesbauernführer im nationalsozialistischen Ostpreußen. Studien zu Erich Spickschen und zur Landesbauernschaft Ostpreußen.
Trotzdem bleiben viele Problem aus der Weimarer Republik in Ostpreußen während des Dritten Reiches bestehen:
- Die Verschulung der Landwirtschaft stieg nach dem 1. Weltkrieg generell wieder an
- Etwa ein Fünftel der Güter und 10 % der Großbauern mußten Konkurs anmelden. Z. B. den Bankrott des Willschicken nahen Gutes Akt Lappönen 1920 und damit der Verlust von ca. 35 Arbeitsplätzen. Die 24 Neuansiedler waren nicht identischen mit den freigesetzten Gutsarbeitern. Bis auf 2 Ausnahmen fanden die Gutsarbeiter auf den neuen Höfen keine Arbeit.
- Der Ausbau von Verkehrswegen ließ trotz einiger Programme auf dem Lande zu wünschen übrig
- Der durchschnittliche Wochenverdienst lag unter dem der anderen östlichen Provinzen
- Auf dem Lande fehlten männliche Arbeitskräfte
- Es gab einen großen Facharbeitermangel im Gewerbe
- Es fehlten ca. 35.000 Wohnungen
- Es gab die höchsten Lebenshaltungskosten im Reich
Quelle: Dieter Stüttgen, Die Preußische Verwaltung des Regierungsbezirks Gumbinnen 1871 - 1920
Die Ostarbeiter und Kriegsgefangenen im Dritten Reich wurden zum Teil nur bewacht eingesetzt, ihre Arbeitsleistung hing wesentlich von ihrem Können, ihrer Behandlung und ihrer Ernährung ab. Die im europäischen Vergleich gute Ernährungslage der Deutschen bis kurz vor Kriegsende war nur durch den millionenfachen Einsatz von Zwangsarbeitern in Europa und eine massive Ausbeutung der besetzten Gebiete möglich. Sie wurde von Darrés Nachfolger Herbert Backe organisierte und in den Lagern der Zwangsarbeiter und den besetzten Gebieten mit einer rücksichtslosen "Hungerpolitik" durchgesetzt. Diese "Politik" sah den Arbeitseinsatz durch Kürzung der Rationen bis zur Erschöpfung vor - danach wurde bewusst der Hungertod in Kauf genommen.
Versorgungslage
Während des Krieges wurden Versorgungs- und Lebensmittelkarten eingeführt. Anfangs wurde für Lebensmittel eine „Einheitskarte“ ausgegeben, die vier Wochen galt. Zuerst war der Händler frei wählbar und an den Karten befanden sich Bestellscheine für bestimmte Waren. Diese Bestellscheine trennte der Händler ab, stempelte sie und reichte sie gesammelt beim Reichsernährungsamt ein. Dafür erhielt er von diesem Amt einen Bezugsschein, mit dem der Kaufmann eine entsprechende Menge vom Großhändler bestellen konnte. Dieses System erwies sich bald als wenig praktikabel. Im Laufe des Krieges wurde das Bestellschein-System durch ein sogenanntes „durchlaufendes Bezugsrecht“ ersetzt: Händler schnitten beim Verkauf der Ware die entsprechende Marke ab, klebten sie auf Sammelbögen und erhielten dafür dann einen Bezugsschein, den sie beim Großhändler oder Importeur vorlegten. Hedwig Lerdon, sie führte den Koloniealladen in Lindenhöhe, fuhr mit einem Gespann zweimal die Woche nach Aulenbach, um sich für ihre Kunden im Großhandel einzudecken. Die Lebensmittelkarten galten auch für Ostarbeiter, aber nicht für Kriegsgefangene, die separat - meistens sehr schlecht - versorgt wurden.
Ab 1935 gab es ein gesetzliches Verdunklungsgebot. Dazu wurden z. B. in der Gaststube in Lindenhöhe und im Bürgermeisteramt folgende Plakate ausgehängt: Achtung! Verdunkelungszeit in der Woche vom 10. bis einschließlich 16. Dez. 1939, Beginn 16:00 Uhr, Ende 7:00 Uhr." Die Einhaltung wurde überwacht. Die Nachbarin des Hofes von Ferdinand Tuttlies, Frau Gertrud Kianka mußte wegen unzureichender Verdunkelung ein Zwangsgeld von 40 RM zahlen.
Quelle: Achte Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz (Verdunklungsverordnung) vom 23. Mai 1939 (RGBl. I S. 965) https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/NPY5GMUVJNXD3EUJLB7D3MEHADIVNQCD und http://bunker.amaot.info/8dfgvo.htm
Flugblatt: Verdunkeln [360]
Plakat: Verdunkelungsdurchführung 1939 [361]
Tabelle: Die wöchentlichen Rationen eines „Normalverbrauchers“ z. B. Hausfrauen oder Angestellte im Zweiten Weltkrieg im Dritten Reich [362]
Abbildung: Lebensmittelkarte [363]
Aus Aulenbach wird auch berichtet: "Es wurden Lebensmittelkarten ausgegeben, entsprechend der Anzahl der Personen pro Haushalt. Wenn z.B. ein Schwein geschlachtet wurde, musste das der Behörde gemeldet werden. Die Fleischzuteilung wurde dann entsprechend gekürzt, oder ganz gestrichen. Nach dem Schlachten mußten die beiden Schweinehälften gewogen und von einem Vertrauensmann (höchstwahrscheinlich der Ortsbauernführer) begutachtet werden. Auch wir haben geschlachtet, nur statt eines, haben wir gleich zwei Schweine geschlachtet. Angemeldet haben wir jedoch nur eines. Aus Versehen nahm nun unser Gefangener zum Wiegen die beiden Hälften mit den Schwänzen mit. Wäre nicht mein Großvater Vertrauensmann gewesen, hätte es schlecht für uns ausgehen können. Auf Schwarzschlachten stand damals Zuchthaus." Quelle: Horst Seidler einen Bericht "Meine Kindheit in Ostpreußen" abgedruckt in: Aulenbach – GenWiki (genealogy.net)
Im Rahmen der erzwungenen Eingliederung aller sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kräfte in die einheitlichen Organisationen des Nationalsozialismus und dem von ihnen gewollten Krieg wurde die Hofbewirtschaftung in Wilkental tief betroffen. Eine allgemeine Verunsicherung machte sich breit. Die Weitergabe von "Neuigkeiten" innerhalb der dörflichen Netzwerke wurde ängstlich eingeschränkt. "Wem kann man noch trauen?" Übereifrige nationalsozialistische Funktionsträger wurden innerhalb des Dorfes zum Teil gemieden. Vorn den familiären Funktionsträgern hieß es: "Der tut nichts, der gehört zur Familie".
Soziale Lage
Hildegard Kiehl, geborene Tuttlies erinnert sich auch noch im hohen Alter und teilweiser mündlicher Nachfrage an die Veränderungen in Wilkental ab 1933. "Wenn ich daran denke, muss ich immer noch weinen, aber wenn ich lange genug in meinem alten Kopf krame, fällt mir schon vieles ein, was bei uns zu Hause unter Hitler anders wurde." und zwar:
- die Einziehung von Familienmitgliedern zum Krieg - Max und Erich Tuttlies, Gerhard, Siegfried und Walter Kiehl und Fritz Lerdon wurden zum Kriegsdienst eingezogen,
- die Trauer um die Kriegstoten und Verfolgten - Der Bruder von Gerhard Kiehl Walter ist am 17.08.1944 gefallen und der Schwager Helmuth Harward ist 1940 vermisst worden, Zum Wehrdienst von Gerhard Kiehl siehe auch: Mit klingendem Spiel. Insterburg 1919-1939 - Zander Horst F. (djvu.online) Seite 170 – 173
- die Sorge um die Gesundheit von Kriegsteilnehmer, Verhafteten und Bombardierten - Gerhard Kiehl musste 1940 wegen einer Schussverletzung für zwei Monate ins Militär-Lazarett,
- die alltägliche nationalsozialistische Propaganda und persönliche Direktansprache durch NSDAP Funktionäre zu Hause und auf der Straße - Der Bürgermeister besuchte die Tuttliesen regelmäßig und hat sich immer besonders nach der "Gesinnung" der Zwangs-Einquartierten erkundigt, andere Funktionäre fragten die Schulkinder auf der Straße, was ihre Eltern zu Haus lesen und im Radio hören,
- die Überwachung der Aussaat und Ernte (nach RNST-Vorgaben im Rahmen der Hofkarte - siehe unten) - Ferdinand Tuttlies hat nie eine Hofkarte gesehen, was mit seinem Nebenerwerb zusammenhing, auf den größeren Höfen gab es sie aber, so bei den Burbas, den Eltern von Hildegard Tuttlies,
- die Bedrohung durch Strafen, bei Verletzung von nationalsozialistischen "Vorschriften" - So migrierte Anni Bartuschat aus Willschicken mit Familie, um den Nazis zu entgehen 1932 nach Neu York,
- das Fehlen der eingezogenen männlichen Arbeitskräften - Auf dem Tuttliesen Hof konnten nicht alle landwirtschaftlichen Flächen bestellt werden,
- dass der Schulbesuch in Insterburg und in Lindenhöhe nur noch eingeschränkt möglich war - Viel Schüler kamen trotzdem am Morgen zur Schule und fanden aber wegen nicht angekündigter Partei-Sitzungen, Kriegseinwirkungen, wie Strom- oder Brennstoffmangel oder plötzlicher Abwesenheit der Lehrer eine verschlossene Tür vor,
- die Doppelbelastung von Frauen in der Landwirtschaft - Berta Tuttlies litt unter ernsten Erschöpfungszuständen und Weinkrämpfen,
- den festgesetzten niedrigen Wochenlohn der weiblichen Tageslöhner auf den Gütern - Deren Männer waren eingezogen und die Frauen konnten deshalb kaum noch Geld nach Hause schicken und mussten zum Teil im Dorf bei vertrauten Nachbaren heimlich betteln gehen. In einem Fall soll es auch zur angeblichen (Armuts-) Prostitution gekommen sein.
- die schlechten Verkehrswege, die zunehmend von Militärfahrzeugen ausgefahren waren - Wegen der fehlenden Männer wurden die Straßen in und um Willkental nicht mehr ausgebessert,
- die Pflicht zur Milchablieferung im NS-Regime 1941 wurde verschärft, um die Fettversorgung im Rahmen der Kriegswirtschaft zu verbessern - Um die Erzeugung von Butter in Wilkental zu erhöhen, wurden nicht nur die Milchablieferungen der Bauern weiter erhöht, sondern auch der Milchverbrauch in den ländlichen Haushalten und bei der Tierfütterung erheblich eingeschränkt,
- die Verdunkelung. ab 1941 mussten, wegen verstärkter Luftangriffe, alle Fenster verdunkelt werden, das galt auch auf dem Lande. Das Verdunklungspapier war wochenlang ausverkauft. Regelmäßige Kontrollen durch Parteiangehörige in den Dörfern führten bei Nichteinhalten zu Anzeigen - Die Nachbarin Frau Kianka mussten wegen fehlender Verdunkelung eine Strafe von 10 RM zahlen und erhielt eine scharfe Verwarnung,
- die Ausgabe von Lebensmittelkarten - Beim Kinderbesuch zu Hause gab es in Wilkental keine zusätzlichen Lebensmittelkarten,
- die Fleischzuteilungen aus eigener Schlachtung und deren Kontrolle - Die "Schwarz-Schlachtungen" von Geflügel und Ferkeln fanden auch bei den Tuttliesen unter großer "Geheimhaltung" statt, das Fleisch wurden gegen andere "Begehrlichkeiten" nur bei engen Bekannten und vertrauten Verwandten eingetauscht, obwohl darauf sehr strenge Strafen standen.
- die Reglementierung von Viehfutter wie Kartoffeln und Getreide - Hildegard Kiehl kann sich an keine eigene Reglementierung erinnern, auf den größeren Höfen fand sie aber statt,
- die Zwangs-Einquartierung von ausgebombten Familien - Auf dem Tuttliesen Hof wurden regelmäßig ausgebombte (Teil) Familien einquartiert. Ihnen standen 2 möblierte Zimmer, die Mit-Benutzung der Küche und ein eigenes Hof-Klo zu. Die Kinder besuchten die Schule in Lindenhöhe,
- den Einsatz von Ostarbeitern und Kriegsgefangenen und deren teilweise katastrophalen Unterbringungsmöglichkeiten auf den Gütern und bei einigen Großbauern - Eine junger weißrussischer Ostarbeiter Michael Kitursko,18 Jahren alt; wurde 1941 dem Hof der Tuttliesen „zugeteilt“ und er wohnte auch dort. Er wurde zu einem geachteten Familienmitglied mit gemeinsamen Mahlzeiten und einem eigenen Zimmer im Wohnhaus. Er erhielt auch dieselben Lebensmittelkarten wie die Tuttliesen. Seine Teilnahme an der Flucht 1945 wurde ihm vom Bürgermeister in Willschicken untersagt.
- die Einberufung zum Volkssturm umfasste in erster Linie Bau- und Schanzarbeiten, Sicherungsaufgaben und die Verteidigung von Ortschaften, zumeist in unmittelbarer Heimatgegend - Ferdinand Tuttlies wurde mit 76 Jahren noch auf der Flucht zum Volkssturm in Königsberg eingezogen,
- das teilweise Versagen der ostpreußischen Verwaltung durch völlig verspäteten Räumungsbefehle zur Flucht - Gauleiter Erich Koch floh selbst am 24. April 1945 mit einem Flugzeug von Pillau-Neutief auf die Halbinsel Hela, von wo er auf dem eigens für ihn extra bereitgehaltenen Hochsee-Eisbrecher "Ostpreußen" am 27. April 1945 vor den vorrückenden Truppen der Roten Armee über die Ostsee entkommen konnte. Koch erteilte bis zu seiner eigenen Flucht keinen allgemeinen Räumungsbefehl für die gesamte Provinz Ostpreußen,
- die bleibende tiefe Trauer über den Verlust der Heimat Wilkental und der Toten.
Foto: Erich Tuttlies als Soldat, 1940 [364]
Foto: Gerhard Kiehl als Soldat, 1940 [365]
Foto: Grab von Walter Kiehl, gefallen in Skaistkalne Lettland am 17.08.1944 [366]
Das Reichserbhofgesetz
Das Reichserbhofgesetz für das Dritte Reich wurde am 29. September 1933, zwei Tage vor dem ersten Reichserntedankfest erlassen. Ein preußisches Erbhofgesetz wurde bereits am 15.5.1933 vorhergegangen.
Das Reichserbhofgesetz war nicht frei von Bürokratie und juristischem „Kleinkram“ - das alles kostete Zeit und Geld.
1. Man musste zunächst zu einem Notar, um einen Antrag zu stellen
2. der Hof musste sodann als Erbhof ins Grundbuch (Erbhof-Rolle) eingetragen werden. Durch dieses Erbrecht wollte man verhindern, dass ein Hof unter die Nachkommen des Bauern aufgeteilt, also zersplittert und damit wirtschaftlich instabil wurde. Dass bei diesem neuen Erbgesetz viele Nachkommen benachteiligt wurden, versuchte man dadurch zu kompensieren, dass der Erbe ihnen Erziehung und Ausbildung zu Verfügung stellen musste und ihnen ebenso „Heimatzuflucht“ gewähren musste, falls sie ohne eigenes Verschulden in Not geraten waren. Die fixe Anerbe-Ordnung hielt viele Landwirte davon ab, ihren Hof als Erbhof eintragen zu lassen. Sie wurden zum staatlich garantierten, unverkäuflichen, unteilbaren, allein an den erstgeborenen Sohn vererbbaren Dauerbesitz erhoben. Miterben hatten nur ein Recht auf Berufsausbildung und Aussteuer. Die Erbfolge wurde kraft des Anerben-Rechts gehandhabt. Später wurde das Reichserbhofgesetz dahingehend geändert, dass nicht mehr der älteste, sondern der jüngste Sohn der Anerbe war. Danach konnten auch Frauen Anerbe werden.
3. wobei drittens verschiedene Bedingungen erfüllt sein mussten. Besitzer des Erbhofs mussten „deutsch oder stammesgleichen Blutes“, deutscher Staatsbürger, „ehrbar“ und anfänglich männlich sein, erst ab 1943 wurden Frauen zugelassen. Der Begriff „ehrbar“ wurde so interpretiert, dass Juden, Menschen mit Behinderungen und andere von den Nazis als nicht lebenswürdig eingestufte Personen davon ausgeschlossen wurden. Die tatsächliche Zahl der Juden in der Landwirtschaft war gering, doch hatte das Gesetz auch eine ideologische Wirkung: Seit Einführung des Gesetzes durften sich nur mehr Besitzer von Erbhöfen Bauern nennen; alle anderen landwirtschaftlichen Betriebsbesitzer mussten sich Landwirt nennen. Damit konnte man unter anderem die politische Zuverlässigkeit feststellen, außerdem wurde der Erbhofbauer damit symbolisch über die Landwirte gestellt. Des Weiteren war der Erbhof „unveräußerlich“, er konnte also weder verpfändet noch als Sicherheit bei Krediten angegeben werden. Damit bezweckte man, dem Hof den „kapitalistischen Warencharakter“ zu nehmen
1939 waren von insgesamt 3.198.563 land- und forstwirtschaftlichen Betrieben 689.625 Betriebe als Erbhöfe gemeldet. Der Anteil der Erbhöfe bei den Betrieben lag bei nur 21,6 Prozent, doch diese Erbhöfe bewirtschafteten über 38 Prozent des gesamten Ackerlandes.
Der größte Anteil der Erbhöfe lag im Größenbereich von 10 bis 15 ha, dem von den Nationalsozialisten als ideal angesehenen Größenmaß. Gleich darauf folgten die Höfe zwischen 25 und 50 ha, die alleine fast 30 Prozent der Erbhoffläche besaßen. Es wurden freiwillig nur 21.000 Höfe gemeldet, die außerhalb der Größennorm lagen, also kleiner als 7,5 oder größer als 125 ha waren.
Die größten Schwachpunkte des Reichserbhofgesetz lagen darin
- Der überwiegende Teil der "Landwirte" das Anerbenrecht nicht akzeptierten, da sie über die Erbfolge nicht mehr frei entscheiden konnten.
- Die "Nichterben" sahen auf dem Land keine Perspektive und wanderten in die Städte und Industriegebiete ab - das war der größte Teil der Hofbewohner.
- Dass „aus politischen Gründen“ die ökonomisch überlegenen Großgrundbesitzer in den Umbau nicht einbezogen werden wollten. In den Anfangsjahren der Diktatur hatte die Großagrarier auch in den entsprechenden landwirtschaftlichen Gremien noch Einfluss, der aber nach der Konsolidierung des Nationalsozialismus deutlich zurückging.
- Aus dem Planungsvorhaben, die kleinen Höfe und Zwergbetriebe mit weniger als 7,5 Hektar Land durch staatlichen Zwang zusammenzulegen nichts wurde, da die Partei zu Rechte Unruhen auf dem Land gefürchtet. Die Kleinbauern in Ostpreußen waren Hitlers treueste Wähler.
Quelle: Agrarwirtschaft und Agrarpolitik im Deutschen Reich (1933–1945) – Wikipedia
Im Elternhaus der Tuttliesen in Willschicken wurde der Besitzer August Herrmann Tuttlies 1866 geboren. Er hatte zwei Söhne Ferdinand und Ewald und zwei Töchter Eva und Magarete. Im Jahre 1904 machte sich Ferdinand Tuttlies, der erste Sohn, unterhalb der Lindenhöher - Alt Lappöner Chaussee auf Willschicker Gemeindeland an den Bau eines eigenen Hofes. Die junge Familie suchte ein eigenes Zuhause. Auf der anderen Straßenseite lag in Willschicken sein Elternhaus.
Nach seinem 64sten Geburtstag am 01.12.1932 überschrieb Ferdinand Tuttlies, aufgrund des Verbotes der Hofteilung an alle leiblichen Kinder sein Anwesen an seinen zweiten Sohn Erich Tuttlies, der es auch bewirtschaftet. Die Sorgen dem Reichserbhofgesetz von 1933 zu unterliegen, waren aber nicht begründet, da der Hof von Ferdinand Tuttlies als Nebenerwerbsstelle klassifiziert wurde und ein genereller Zwang zur Antragstellung um "Bauern" zu werden, nicht vorgesehen war. Erich Tuttlies wurde aber 1938 eingezogen. Ferdinand Tuttlies war zwar Altsitzer, arbeitet aber noch auf dem Hof bis 1941 mit. Als er ernsthaft erkrankte, sprang die Tochter Hildegard und der Ostarbeiter Michael Kitursko ein. Ferdinand Tuttlies behielt mit seiner Ehefrau Berta rechtlich die Wohnung im Wohnhaus einschließlich eines festgelegten Deputats an Verpflegung und Heizmaterial für den Winter. Dieses war schriftlich festgelegt worden. Erich Tuttlies plante, für eine Familiengründung, in einem noch zu errichtenden Anbau, eigene Räume einzurichten, daraus wurde aber nichts.
Die Altersversorgung der Landwirte in Ostpreußen war bis 1911 ausschließlich im Rahmen der Hofübergabeverträge als sogenannte Ausgedinge bzw. Altenteilsleistungen geregelt. Diese waren oft auf Sachleistungen beschränkt, so dass der älteren Generation zu großen Teilen der Zugang zu Bargeld gänzlich fehlte. Die Schneiderei übte Ferdinand Tuttlies auch im Alter - wenn nicht durch Krankheit gehindert - das ganze Jahr über noch bis zur Flucht am 10 Januar 1945 aus. Für sein Genähtes verlangte er während der Wirtschaftskrisen Naturalien ansonsten Bargeld. Seine Preise hatte er - unbeschadet der Hyperinflation und der Weltwirtschaftskriese - seit 15 Jahren real nicht erhöht. Sein Maßstab war und blieb der Naturalien-Wert. D.h. wenn Ferdinand Tuttlies ein Oberhemd nähte dauerte es etwa 6 - 8 Stunden mit Anprobe. Er berechnete dafür etwa 3 RM oder 5 Kilo Roggen. Der Stoff wurde je nach Qualität extra berechnet. Der monatliche Zuverdienst als Rentner blieb aber überschaubar.
Als Nebenerwerbler hatte er sich freiwillig sozialversichert und zahlte, wenn auch nur einen geringen Betrag, seit 1911 in die Landesversicherungsanstalt (LVA) von Ostpreußen in Königsberg, ein. Seine Soldatenjahre während des 1. Weltkrieges wurden angerechnet. Mit der Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911 wurden Krankenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung zu einem einheitlichen Gesetzwerk zusammengefasst. Durch die RVO dehnte sich die Versicherungspflicht auf Dienstboten, Waldarbeiter sowie beschäftigte der Land- und Forstwirtschaft aus. Ferdinand Tuttlies war zumindest krankenversichert, seine Frau nicht.
Entschuldung
Mit dem Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse (LWSG) vom 1. Juni 1933 wurde eine neue Entschuldungsmaßnahme für Landwirte geschaffen. Diese richtete sich nun nicht mehr an die ostelbischen Landwirte, sondern war reichsweit anwendbar. Zur Durchführung wurden Entschuldungsgerichte an Amtsgerichten gebildet. Um die Arbeit zu vereinfachen, wurden ab dem 1. Juli 1935 Entschuldungsämter geschaffen. Ein solches Entschuldungsamt war typischerweise für verschiedene Amtsgerichtsbezirke zuständig.
Die Entschuldungsämter benannten Entschuldungsstellen, die die eigentliche Schuldenregelungsverfahren durchführten. Diese Entschuldungsstellen waren öffentlich-rechtliche oder genossenschaftliche Banken, landwirtschaftliche Genossenschaften oder gemeinnützige Siedlungsgesellschaften. Sie waren typischerweise auch Hauptgläubiger. Im Vordergrund des Verfahrens stand zunächst einmal die einvernehmliche Einigung der Gläubiger auf einen Schuldenregulierungsplan. Dieser konnte einen Teilverzicht der Gläubiger (auf Zinsen oder Kapital) und/oder eine Abgabe/Verkauf von Flächen beinhalten. Im Gesetz waren hierzu umfangreiche Regelungen getroffen, wie hoch die Verzichtsquoten bei erst- und nachrangig besicherten und nicht besicherten Krediten maximal ausfallen konnten. Kam keine Einigung zustande, so konnte das Entschuldungsamt einen Zwangsvergleich verordnen. Der Vergleich bedurfte zur Wirksamkeit keiner Einstimmigkeit der Gläubiger, sondern nur einer Mehrheitsentscheidung. Die Entschuldungsstelle hatte auch die Möglichkeit ein Zwangsversteigerungsverfahren zu betreiben. Dies diente als Druckmittel zur Einigung. Das Entschuldungsverfahren durchliefen in Ostpreußen aber nur zwischen 10 und 20 % aller verschuldeten Höfe. Dies betraf in der Regel auch nur die kleineren und mittleren Höfe. Gutsbesitzer "entschuldeten" sich in der Regel durch den gesamten Landverkauf an eine Privatperson oder eine Gesellschaft außerhalb des Verfahrens, das Verfahren war für sie nicht "standesgemäß".
Ein solches Entschuldungsverfahren durchlief auch der Bruder von Ferdinand Tuttlies Ewald Tuttlies. Nach dem Tod von August Herrmann Tuttlies 1921 übernahm dessen 2. Sohn Ewald Tuttlies den elterlichen Hof oberhalb der Straße. Er führte einen "liederlichen" Lebenswandel und hatte sich aufgrund eines viel zu großen Hofumbaus u.a. in der Verwandtschaft sehr viel Geld geliehen und konnte so sein Schulden aufgrund seiner eigenen wirtschaftlichen Lage nicht mehr zurückzahlen. Er wurde "Beine hoch Amerika" genannt. Ihn "schützte" auch das Beleih- und Zwangsvollstreckungsverbot von Höfen, hingegen war eine Zwangsversteigerung noch möglich. Schließlich einigte man sich mit Hilfe des Gerichtes. Er musste das Haupthaus seiner Familie überlassen und sein Land verpachten, blieb aber Eigentümer. Die Kreditgeber verloren ihre Gelder bzw. wurden als Pächter ohne Pacht zuzahlen eingesetzt. Er trennte sich von seiner Familie, blieb aber auf dem Hof in einem separaten Gebäude wohnen, für das er auch Miete an seine Familie zu zahlen hatte. Weitere Hofgebäude wurden ebenfalls vermietet. Die Mieten dienten zum Unterhalt der Restfamilie im Haupthaus. 1934 ging Ewald Tuttlies zur Wehrmacht. Sein späteres Schicksal ist unbekannt.
Quelle: Landwirtschaftliches Schuldenregelungsverfahren – Wikipedia
Ostarbeiter
Nach Ausbruch der Zweiten Weltkrieges verlor der Reichsnährstand (RNST) an Einfluss. Die Kriegswirtschaft und der massiven Armeaufbaus hatten Vorrang.
Dazu kam, die noch verbliebenen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft wurden knapp. Viele wanderten ab. Hilfskolonnen der Hitlerjugend (HJ), des Bund Deutscher Mädel (BDM) und des Reichsarbeitsdient (RAD), dazu Tausende von Mädchen, die das neugeschaffene „Pflichtjahr“ in einem Haushalt absolvieren mussten, wurden zum „Ernteeinsatz“ abkommandiert, ohne jedoch die abgewanderten Fachkräfte ersetzen zu können. Der Hauptgrund der Abwanderung lag in den deutliche besseren Einkommensmöglichkeiten in Industrie und Handel und im Reichshofgesetz, das den Nichterben keine Perspektive bot. Quelle: Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschafts-Geschichte, Bd. 3
Herrmann Göring sah die "Lösung" im Einsatz von Ostarbeitern. Im Januar 1942 befahl Göring mit Erlass vom 19. Dezember 1941 die Ostanwerbung und unterstellte alle Bewohner der besetzten Ostgebiete der öffentlichen Arbeitspflicht, da der Übergang zu einem Abnutzungskrieg zu einem dramatischen Arbeitskräftemangel - gerade in der Landwirtschaft - in Deutschland geführt hatte. Ohne die rund 8 Millionen Zwangsarbeiter in ganz Europa und die rücksichtslos wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten Länder wäre das Kriegsende schon einige Jahre früher erfolgt.
Ostarbeiter war in der Zeit des Zweiten Weltkrieges die offizielle Bezeichnung für Arbeitskräfte nichtdeutscher Volkszugehörigkeit, die im Reichskommissariat Ukraine, im Generalkommissariat Weißruthenien oder in Gebieten, die östlich an diese Gebiete und an die früheren Freistaaten Lettland und Estland angrenzten, erfasst wurden und für das Deutsche Reich arbeiteten. Nach der Besetzung dieser Gebiete durch die Wehrmacht wurden sie zur Arbeit im Deutschen Reich einschließlich des Protektorates Böhmen und Mähren angeworben oder dorthin zur Zwangsarbeit verschleppt. Sie wurden hauptsächlich in Betrieben der Rüstungsindustrie und Landwirtschaft und im Rahmen der „Bauhilfe der Deutschen Arbeitsfront GmbH“ für den Bau von Behelfsunterkünften im Rahmen des Deutschen Wohnungshilfswerks eingesetzt, um den kriegsbedingten Mangel an deutschen Arbeitskräften auszugleichen.
Im Gesamtzeitraum des Krieges waren ca. 2,75 Mio. Ostarbeiter im Reich beschäftigt, davon geschätzte 700.000 in Ostpreußen, einschließlich der vor Kriegsbeginn vorhandenen Zivilarbeiter aus Polen.
Foto: Junge ukrainische Frauen werden 1940 am Kiewer Hauptbahnhof an Güterwagen nach Deutschland zugewiesen [369]
Abbildung: Das OST-Abzeichen diente der Kenntlichmachung und Ausgrenzung der Gruppe der so genannten Ostarbeiter und musste an den Kleidungsstücken befestigt werden [370]
Abbildung: Merkblatt für Ostarbeiter aus der Sowjetunion Ausschnitt, 1944 [371]
Nach dem Angriff auf die Sowjetunion kamen in den Allgemeinen Bestimmungen über Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten im Osten von 1942, auch „Ostarbeitererlass“ genannt, vom 20. Februar 1942 nach dem Vorbild der Polen-Erlasse schärfer gefasste Bestimmungen für sowjetische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter hinzu
Die „Ostarbeitererlasse“ enthielten folgende Bestimmungen:
- Verbot, den Arbeitsplatz zu verlassen
- Verbot, Geld und Wertgegenstände zu besitzen
- Verbot, Fahrräder zu besitzen
- Verbot, Fahrkarten zu erwerben
- Verbot, Feuerzeuge zu besitzen
- Kennzeichnungspflicht: ein Stoffstreifen mit der Aufschrift „Ost“ musste gut sichtbar auf jedem Kleidungsstück befestigt werden
- Betriebsführer und Vorarbeiter besaßen ein Züchtigungsrecht
- schlechtere Verpflegung als für Deutsche
- weniger Lohn als Deutsche
- Verbot jeglichen Kontakts mit Deutschen, selbst der gemeinsame Kirchenbesuch war verboten
- Gesonderte Unterbringung der Ostarbeiter, nach Geschlechtern getrennt
- Bei Nichtbefolgen von Arbeitsanweisungen bzw. Widersetzlichkeiten drohte die Einweisung in ein Arbeitserziehungslager
- Strenges Verbot des Geschlechtsverkehrs mit Deutschen, darauf stand zwingend die Todesstrafe "
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/OstarbeiterOstarbeiter – Wikipedia
Die deutsche Kriegswirtschaft, Industrie und Landwirtschaft hätte ohne das Millionenheer deportierter Fremdarbeiter und Kriegsgefangener nicht funktioniert; deren Zahl stieg von 1,2 Millionen im Jahr 1941 auf 7,8 Millionen im Jahr 1944 – davon knapp fünf Millionen Russen und Polen. Die „Zuteilung“ der Ostarbeiter für die Landwirtschaft sollte über die Landesbauernschaft aufgrund der „Arbeits-Meldungen“ des lokalen Ortsbauernführer erfolgen. Dabei kam es zu Problemen mit eifrigen Blockleitern, die die Zuteilung und besonders die Überwachung für sich reklamierten.
Quelle: ÖNB-ALEX - Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945 (onb.ac.at)und https://de.wikipedia.org/wiki/OstarbeiterOstarbeiter – Wikipedia
Auf dem ehemaligen Gut Alt Lappönen wurde in einem Gebäude ein bewachtes "Zwangs-Arbeits-Lager" für 40 Ostarbeiter eingerichtet, die alle auf den umliegenden Gütern arbeiten mussten. Das Gebäude wurde früher als "Schnitterkaserne" genutzt. In der übrigen Jahreszeit waren dort früher Tageslöhnen untergebracht gewesen. (Quelle: Erinnerung von Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies)
Eine junger weißrussischer Ostarbeiter Michael Kitursko,18 Jahren alt; wurde 1941 dem Hof der Tuttliesen „zugeteilt“ und er wohnte auch dort. Er wurde zu einem geachteten Familienmitglied mit gemeinsamen Mahlzeiten und einem eigenen Zimmer im Wohnhaus. Er erhielt auch dieselben Lebensmittelkarten wie die Tuttliesen. Seine Teilnahme an der Flucht 1945 wurde ihm vom Bürgermeister in Willschicken untersagt. Sein späteres Schicksal ist trotz veranlasster Nachforschungen durch das Rot Kreuz in Weißrussland im Heimat-Rajon Maladsetschna (belarussisch Маладзечанскі раён; russisch Молодечненский район) ungewiss geblieben. Vielfach wurden Ostarbeiter von der russischen Justiz als „Kollaborateur“ wegen vermuteter Zusammenarbeit mit dem Feind in GULAG-Lägern eingewiesen. Darunter fielen auch nicht-russischen Ostarbeiter.
Herr Meyer aus Aulenbach
Lothar Kuparat berichtet aus Aulenbach, der Nachbargemeinde von Wilkental:
In: Ein Spaziergang durch mein altes Aulenbach Lothar Kuprat Bremen Februar 2013
„… Ich gehe die Flötkestraße zurück bis an die Kreuzung (Insterburger Str.). Über die Brücke der Aula hinter Gefeller komme ich nach ca. 100m, rechts, an das erste Haus. Herbert Meyer, man sagte nur Jud Meyer, hatte hier bis 1938 sein Konfektionsgeschäft. Mein Spaziergang geht weiter, doch an das Haus komme ich zurück. …
Ich gehe zurück an das Konfektionsgeschäft Herbert Meyer. Da meine Mutter hier einkauft, gehe ich ab und zu mit. Eigentlich soll sie hier nicht einkaufen. Das bekomme ich erst später mit. Mein Stiefvater ist Beamter. Irgendwann steht vor dem Haus ein Schaukasten, innen "Der Stürmer", dem Hetzblatt von Julius Streicher. Ich habe mir die Bilder angeschaut und über die Karrikaturen gelacht. Die Schaufenster werden 1938 eingeschlagen, einige Tage wird Meyer in die Zellen des Spritzenhauses eingesperrt. Ich sehe seine Frau mit dem kleinen Kind, wie sie ihrem Mann das Essen bringt. Bürgermeister Ehmer bemüht sich um die Ausreise und bringt die Familie persönlich nach Insterburg. Ob er Erfolg hatte, habe ich bis heute nicht eindeutig klären können. In meinem Alter habe ich dieses Drama nicht verstanden. Der Vater war ein dekorierter Soldat des 1.Weltkrieges und im Ort beliebt und angesehen. Für den Ort ist es kein Ruhmesblatt, auch wenn der Einzelne sicher machtlos war.“
Quelle: [https://wiki.genealogy.net/images/1/12/Aulenbach_%28Ostp.%29_-_Ein_Spaziergang_durch_mein_altes_Aulenbach_2013.pdf Aulenbach_(Ostp.)__Ein_Spaziergang_durch_mein_altes_Aulen bach_2
Foto: Aulenbach Marktplatz, Richtung Insterburg. Links der Gasthof Rautenberg davor der Saal. Dahinter die Werkstatt Schwarznecker & Reck, ganz hinten das Haus von Herbert Meyer (1930) [372]
Karte: Aulenbach Lage des Konfektionsgeschäft Herbert Meyer in Aulenbach, [373]
Karte: Außenlager des KZ Stutthof in Ostpreußen 1943 [374]
Das Konzentrationslager Hohenbruch als „Arbeitserziehungslager“ bei Hohenbruch (bis 1938 Lauknen, seit 1946 Gromowo/Гро́мово) in Ostpreußen war ein von August 1939 bis Januar 1945 bestehendes Konzentrationslager, das der Gestapo in Königsberg unterstand.
"Das KZ Stutthof war ein deutsches Konzentrationslager, 37 Kilometer östlich von Danzig bei Stutthof im Landkreis Danziger Niederung auf dem Gebiet der annektierten Freien Stadt Danzig. Das Lager bestand nach vorbereitenden Arbeiten im Juli und August vom 2. September 1939 bis zum 9. Mai 1945." Etwa 110.000 Menschen waren insgesamt in diesem Konzentrationslager inhaftiert, wovon ungefähr 65.000 umkamen."
Quelle: KZ Stutthof – Wikipedia
„Angesichts des Anrückens der sowjetischen Truppen wurden im Januar 1945 die ostpreußischen Außenlager des KZ Stutthof aufgelöst und die Insassen über Königsberg nach Palmnicken getrieben. Den Todesmarsch überlebten von ursprünglich über 7000 jüdischen Häftlingen, überwiegend Frauen aus Polen und Ungarn, nur etwa 5000, die am 27. Januar in Palmnicken eintrafen.
Am nächsten Morgen lagen in den Straßen Dutzende erschossene und erschlagene Frauen in Häftlingskleidung, vielfach furchtbar entstellt. Nicht alle der entsetzten Palmnicker schwiegen. Der ursprüngliche Plan der SS-Wachmannschaften, die Häftlinge in einem Stollen des Bernsteinbergwerkes Anna einzumauern, scheiterte am Widerstand des Werksdirektors Landmann sowie des Güterdirektors und Volkssturmkommandanten Feyerabend, der an die in der Werksschlosserei eingepferchten Frauen Kartoffeln und Essen verteilen ließ. Auch andere Einwohner versuchten, den Häftlingen zu helfen.
Weil der Plan der Vernichtung durch Einmauern misslang, mussten sich etwa 2000 Häftlinge am 30. Januar an einer langen Grube im Bernsteinwerk paarweise nacheinander niederknien. Quelle: Jantarny – Wikipedia
Nach Martin Bergau ( Martin Bergau – Wikipedia ) tötete sie ein SS-Mann per Genickschuss, ein zweiter lud die Magazine der Pistolen nach. Die etwa 3000 Juden, die noch am Leben waren, trieb die SS in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar an die Steilküste zwischen Palmnicken und Sorgenau, weiter auf das Eis der Ostsee und schoss mit Maschinenpistolen auf sie.
Zehn Wochen später nahmen sowjetische Truppen den Ort ein und entdeckten die Leichen am Strand. Der Kommandeur, selbst russischer Jude, zwang die in Palmnicken verbliebene Zivilbevölkerung, die Toten aus dem Strand zu graben und in Massengräbern zu bestatten. Höchstens 15 der 7000 Gefangenen überlebten dieses letzte große Massaker an Juden im Zweiten Weltkrieg.
An einem Massengrab für 263 Opfer an der Grube Anna wurde 1999 ein Gedenkstein errichtet. 2011 wurde das Holocaust-Mahnmal Palmnicken eingeweiht“
Nach den bekannten Quellen gab es in Willkental keine "jüdische" Bevölkerung.
Nahe dem Tannenberg-Denkmal wurde während des Zweiten Weltkrieges das größte Kriegsgefangenenlager auf ostpreußischem Boden eingerichtet. In Baracken und Erdhöhlen wurden durchschnittlich 20.000 polnische, französische und sowjetische Soldaten untergebracht. Insgesamt starben hier 55.000 Kriegsgefangene, die auf dem Friedhof Schwenteinen (polnisch Świętajny) begraben wurden. Mit Wirkung zum 1. April 1941 wurden Teile der Stadt, die durch eine Flussregulierung auf das östliche Ufer der Passarge geraten waren, in den Landkreis Allenstein umgegliedert. Quelle: Olsztynek – Wikipedia
VOM OBLAST KALININGRAD
Zwischen dem Foto von 1925 von Berta und Ferdinand Tuttlies mit Enkel, dem Luftbild von 1980 und dem Foto zeigt der ehemalige Hoffläche der Tuttliesen von 1992 liegen 67 Jahre, in denen sehr viel passiert ist.
Zur Vertreibung der Bevölkerung aus Ostpreußen siehe den Text: "Willschicken - Erinnerungen, Flucht und Neuanfang in https://wiki.genealogy.net/Willschicken
Das obige Foto zeigt Berta und Ferdinand Tuttlies mit den Enkeln Carlhorst und Manfred 1925, [376]
Das obige Luftbild wurde um 1980 erstellt und zeigt Teile von Willschicken und Lindenhöhe. Zur Orientierung dient das Messblatt Willschicken von 1939 im Kapitel: Über den Autor. Ab März 2022 ist der Internet-Zugriff nicht mehr möglich [377]
Das obige Foto zeigt die ehemalige Hoffläche von Berta und Ferdinand Tuttlies 1992 [378]
Das obige Foto zeigt die ehemalige Hoffläche des Gasthaus Lerdon 1992 [379]
Entstehung des Oblast Kaliningrad
Die Oblast Kaliningrad (russisch Калинингра́дская о́бласть Kaliningradskaja Oblast), auch Kaliningrader Gebiet genannt, ist die westlichste Oblast (Russisch für Gebiet) der Russischen Föderation. Sie ist eines der kleinsten Föderationssubjekte und zugleich die kleinste Oblast Russlands. Die Oblast ist mit 15.125 km² Fläche etwas kleiner als Schleswig-Holstein. Die Hauptstadt ist Kaliningrad, das ehemalige Königsberg (Preußen). Das Gebiet der Oblast umfasst etwa das nördliche Drittel des ehemaligen Ostpreußens (d. h. das ehemalige Gebiet der Provinz ohne das litauische Memelland und die polnischen Gebiete Ermland, Masuren und Oberland). Quelle: Oblast Kaliningrad – Wikipedia
Die Sowjetunion wurde am 30. Dezember 1922 gegründet und am 26. Dezember 1991 aufgelöst und durch die russischen Föderation abgelöst. Als Föderationssubjekte (Subjekte der Föderation, auch Subjekte der Russischen Föderation) bezeichnet Russland 83 territoriale, mit gewisser politischer und administrativer Autonomie ausgestattete und im Föderationsrat vertretene Verwaltungseinheiten Russlands. Der abstrakte Begriff entspricht der russischen Bezeichnung Субъект Федерации (Subjekt Federazii); er wurde erst nach der Auflösung der Sowjetunion eingeführt, um die verschiedenen Kategorien von territorialen Einheiten mit unterschiedlichen Autonomiegraden zu berücksichtigen. Mit einer Fläche von ca. 17,1 Mio. km² ist die Russische Föderation der mit Abstand größte Staat der Erde und entspricht in seinen Dimensionen in etwa dem Kontinent Südamerika. 2021 betrug die Bevölkerung ca. 143,45 Mio. Einwohner, was einer Bevölkerungsdichte von ca. 8,3 Personen/km² entspricht. Die Bevölkerung Russlands ist sehr ungleichmäßig verteilt. 85 % der Einwohner leben im europäischen Teil, der dabei lediglich 23 % des russischen Territoriums umfasst. Der Anteil der Stadtbevölkerung blieb dort konstant bei 73 %.
Für Verteidigungs-, Zoll- und Außenpolitik ist ausschließlich die Zentralregierung zuständig. In anderen Bereichen wie z. B. Grundeigentum und Nutzung von Land, Rohstoffen, Wasser und anderen Ressourcen, im Gesundheitssystem und im Steuerwesen sind die Zentralregierung und die regionalen Behörden gemeinsam zuständig.
Im ländlichen Russland ist insbesondere die Reform der kommunalen Selbstverwaltung durch das Gesetz Nr. 131 »Über die allgemeinen Prinzipien lokaler Selbstverwaltung in der Russischen Föderation« vom 6. Oktober 2003, und deren genauen Vorschriften für die Marktintegration der ehemaligen Kollektivbetriebe von großer Bedeutung
Das in einem Übergangszeitraum von 2006 bis 2009 zu implementierende Gesetz beinhaltet nämlich nicht nur Regelungen zur Neueinteilung lokaler Verwaltungseinheiten, zum kommunalen Budget sowie zu lokalen Partizipationsformen, sondern sieht auch eine Neudefinition des Zuständigkeitsbereichs der Kommunen vor, die von jetzt an verbindlich für die Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter und Dienstleistungen verantwortlich sind.
Zu den Föderationssubjekten in der Russischen Föderation gehören:
- 21 Republiken. Diese besitzen eine eigene Verfassung und Gesetzgebung und haben innerhalb der Russischen Föderation den höchsten Grad an innerer Autonomie. Republiken sind für die größeren nicht-russischen Völker und für einen Teil der Krim errichtet worden. Außer Tatarstan, Tschetschenien haben alle Republiken den Föderationsvertrag vom 31. März 1992 mit Russland unterzeichnet.
- 1 Autonome Oblast (Awtonomnaja Oblast; ist nur der Jüdische Autonome Oblast)
- 4 Autonome Kreise (Awtonomny Okrug)
- 9 Regionen (Krai)
- 46 Gebiete (Oblast) u.a. der Oblast Kaliningrad
- 2 Städte mit Subjektstatus (Moskau, Sankt Petersburg
Die Gebiete Cherson, Donezk, Krim, Lugansk, Saporischschja und Sewastopol gehören völkerrechtlich und damit international anerkannt zum Nachbarstaat Ukraine, wurden aber 2014 im Rahmen der Annexion der Krim und 2022 nach dem Überfall von Russland annektiert.
Nachdem zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 Ostpreußen von der Roten Armee erobert worden war, bildete die sowjetische Regierung am 7. April 1946 aus dem seit Juli 1945 bestehenden Osobnij wojennij okrug (Besonderen Militär-Bezirk) die Kenigsbergskaja oblast im Rahmen der Russischen SFSR. Danach folgte die Verstaatlichung des Bodens, der Banken, der Industriebetriebe und der Versorgungsnetze, die sowjetische Gesetzgebung wurde eingeführt.
Bereits am 4. Juli 1946 erfolgte neue Namensgebung in Kaliningrad und Kaliningradskaja oblast („Kaliningrader Gebiet“), ohne dass es einen Zusammenhang zwischen Michael Kalinin und dieser Stadt bzw. diesem Oblast gegeben hatte.
Michail Kalinin war von 1923 bis 1946 als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets formelles Staatsoberhaupt der Sowjetunion; zuvor von März 1919 bis Dezember 1922 formelles Staatsoberhaupt Sowjetrusslands.
Kalinin widersetzte sich nach der Machtergreifung Stalins 1928 nicht der großen Terrorwellen in den 1930er Jahren. Der sogenannte „Große Terror“ zwischen September 1936 und Dezember 1938 ist wohl die schlimmste Zeit der stalinistischen Gewaltherrschaft. Nach den zugänglichen Archivdaten wurden in diesen beiden Jahren 1, 4 Millionen Menschen verhaftet und über 680 000 erschossen.
Am 5. März 1940 unterzeichneten sechs Mitglieder des Politbüros – Josef Stalin, Wjatscheslaw Molotow, Lazar Kaganowitsch, Kliment Woroschilow, Anastas Mikojan und Michail Kalinin (sein Name in Druckbuchstaben handschriftlich versehen mit dem Zusatz „dafür“) einen Hinrichtungsbefehl von 25.700 kriegsgefangenen polnischen Offizieren und Intellektuellen, die als angebliche „Nationalisten und Konterrevolutionäre“ in Lagern und Gefängnissen in der besetzten Westukraine und in Weißrussland festgehalten wurden; dies führte wenige Woche später zum Massaker von Katyn. Kalinin zeichnete ebenfalls weitere Exekutionslisten ab, wurde jedoch auch um Begnadigungen gebeten, was ihm selbst bei seiner eigenen Familie nicht gelang: Kalinins Frau wurde im Oktober 1938 verhaftet und bis 1944 interniert.
Im März 1946 wurde er nach 23 Jahren als formelles Staatsoberhaupt der Sowjetunion, in denen er keine eigene Macht ausgeübt hatte, sondern sich nur dem Willen Stalins beugte, auf eigenes Ersuchen von den Amtspflichten entbunden. Er starb am 3. Juni 1946 in Moskau und wurde an der Kremlmauer beerdigt.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Michail_Iwanowitsch_Kalinin
Seit Mitte 1947 wurden die Soldaten der Roten Armee räumlich von der Wohnbevölkerung getrennt. Und so, wie die Divisionen der Roten Armee in Ostpreußen sich selbst zu versorgen hatten, so mussten auch die deutschen Sowchosarbeiter sich selbst versorgen. Der Hass "auf die deutschen Faschisten" wurde aber auch durch die Medien verbreitet und von Schriftstellern wie Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg vor und nach dem Kriegsende in Zeitungsartikeln in der Prawda und in Büchern mit sehr großen Auflagen aufgeschrieben. Ehrenburg wurde später von Putin als "wahrer Menschenfreund" bezeichnet.
Quellen:
Lew Kopelew, Für immer bewahrt werden ("Хранить вечно")
Sowjetische Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg – Wikipedia
Ilja Grigorjewitsch Ehrenburg – Wikipedia
Die beiden folgenden Karten zeigen die Oblast Königsberg mit russischer und deutscher Beschriftung
Die massive Besiedlung durch sowjetische Zivilisten begann 1946 aufgrund einer speziellen Regierungsanordnung, die von Stalin persönliche unterschreiben worden war. Es wurden 23 Land- und Stadt-Kreise in Russland, Weißrussland und der Ukraine festgelegt, aus denen die Aussiedler nach Kaliningrad kommen sollten. Es waren überwiegend Gebieten, die von der deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg besetzt und besonders verwüstet worden waren. Die geschätzten Zahlen der Ziviltoten langen in (Stamm) Russland bei 7 Mio., in der Ukraine bei 5 Mio. und in Weißrussland bei 2 Mio. Menschen. 30 - 40 % aller Dörfer waren in den besetzten Gebieten von der deutschen oder russischen Armee gezielt zerstört worden. In den ausgewählten 23 Land- und Stadtkreisen waren 70 - 80 % aller Gebäude zerstört.
Quellen:
Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg – Wikipedia
Verbrechen der Wehrmacht – Wikipedia
Wenn man der sowjetische Propaganda glauben möchte, wurden nur die allerbesten zum Aussiedeln nach Kaliningrad "eingeladen". So sollten es die besten Vorzeigearbeiter der Kolchosen sein. Das galt auch für die "Helden der Arbeit" in einigen industrielle Großbetriebe. In weiteren westlichen Gebieten Russlands wurden auch die Verwaltungen verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Spitzen-Verwaltungsangestelten in die Oblast Kaliningrad zu versetzen. In der Realität lebten aber die Vorzeigearbeiter in den Kolchosen, die Helden der Arbeit in den Industriekombinaten oder die Verwaltungsspitzen, in der Regel seit langem im bevorzugten Verhältnissen. Sie besaßen überwiegend etwas Land, ein Haus und ein Auto und hatten überhaupt keinen Grund auszusiedeln.
Konkret wurden aber alle Menschen registriert, die kommen wollten und alles verloren hatten. Ihre Lebenssituationen waren sehr schlecht. Unzumutbare Not-Unterkünfte und kaum oder wenig Arbeit und unzureichende Ernährung. Es waren hauptsächlich Menschen, die unter dem Krieg gelitten hatten. Menschen, die ihre Wohnung, ihr Haus, ihr Heimatdorf, ihr Familienoberhaupt oder ihre ganze Familie verloren hatten. Unter den Übersiedlern waren mehr Frauen als Männer, mit einem oder mehreren Kindern. Häufig waren es Witwe, die ihren Ehegatten an der Front verloren hatte und nun mit ihren Kinder alleine dastand. In der sowjetischen Behördensprache wurden diese Menschen als "unvollständige Familien" bezeichnet. Viele wollten sich und ihre Kinder vor dem Hunger retten, besaßen aber keine Informationen über die "Neue Heimat" und beantragten dennoch die Ausreise. Jeder Aussiedler benötigte zur Einreise eine Sondergenehmigung, auf die manchmal über ein Jahr gewartet werden musste.
Mit diversen Versprechungen und vielfachen Vergünstigungen wurden die Bevölkerung durch sehr große Werbekampanien in Zeitungen, Rundfunk, Kinofilmen, Plakaten, Schulen, Betrieben, Kolchosen und auf besonderen Parteiveranstaltungen beworben, um z. B. Mitglieder der Kolchosen im fernen Kaliningrad zu werden. Der Transport samt Hausrat und – falls vorhanden – Tiere (bis zu zwei Tonnen) war per Güterwagen gratis. Außerdem wurde mit einen eigenen kostenlosen Haus auf dem Lande geworben mit einem halben Hektar Land dazu eine Kuh oder ein Darlehen für ihre Anschaffung in Höhe von 3.000 Rubeln. Zudem wurden den Übersiedlern Schulden erlassen und sie wurden für drei Jahre von Steuern und Pflichtabgaben befreit.
Nicht zuletzt gab es für das Familienoberhaupt 1.000 Rubel - entsprach etwa zwei Jahresgehälter - und je 300 Rubel für jedes weitere Familienmitglied. Dies führte auch zu Scheinehen mit Scheinadoptionen von Kindern aus den Waisenhäusern. Dazu die Garantie, am Zielort zu vergünstigten Preisen einkaufen zu könne. Dazu zählte die Verordnung des Ministerrates der UdSSR vom 9. Juli 1946: Das Handelsministerium der UdSSR ist dazu verpflichtet, für jede Übersiedlerfamilie drei Jahr lang jährlich vor Ort die folgenden Waren zu staatlichen Preisen zu verkaufen: 30 Meter Baumwollstoff, 10 Liter Kerosin, 10 Kilo Salz, 40 Streichholzschachteln und für jedes Familienmitglied: Mäntel, ein Paar Schuhe, eine Kopfbekleidung (Tuch, Mütze), zwei Paar Socken und Strümpfe, zwei Rollen Faden und ein Kilo Kernseife.
Es wurden für die Aussiedler besondere Eisenbahntransporte zusammengestellt. Ab August 1946 kamen die ersten Transporte im Kaliningrader Gebiet an. Die Übersiedlungen dauerten mehrere Jahre und endeten Mitte der 50iger Jahre. Insgesamt kamen so über 42.000 Familien, mit zusammen 190.000 Menschen bis Ende 1953 in das Gebiet Kaliningrad. Insgesamt kamen aus Russland 70 %, aus Weißrussland 11 % und aus der Ukraine 7 %. Erstaunlicherweise siedelten viele Städter auf dem Land und viele Landbewohner in den Städten. Dieses führte zu sozialen und wirtschaftlichen Problemen, die lange anhalten sollten. Rund 50 Prozent der ehemaligen Ostpreußischen Orte wurden nicht wieder besiedelt.
Quelle:
Jurij Kostjaschow, Am Schnittpunkt dreier Welten, In: Adrian von Arburg u. a. (Hrsg.): Als die Deutschen weg waren. Was nach der Vertreibung geschah: Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland.
Nicht alle Versprechen entsprachen aber der realen Situation vor Ort.
Das Militär war zunächst nur an den reibungslosen Ablauf der riesigen Kriegsreparationsleistungen interessiert. Alle Maschinen und Anlagen wurden im Oblast Kaliningrad abgebaut und nach Russland verschickt. Gewaltige Mengen an "interessanten Materialien" wurden aber auch "privat" abtransportiert. Es sind zunächst die Offiziere und Mannschaften, die sich Gebrauchsgegenständen eindecken, um sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen oder nach Hause zu schicken. Dann werden viele Häuser von Einheimischen aus dem benachbarten Litauen geplündert. Zuletzt erscheinen sogar offizielle Abgesandte aus Teilen der Sowjetunion mit regelrechten Bedarfslisten, darunter auch Rinder und Schafe, die in die UdSSR abtransportiert wurden.
Die örtlichen (Militär) Behörden war auf die Übersiedler sehr schlecht vorbereitet. Häufig wurden die Ankömmlingen am Bahnhof von einem Militärlaster abgeholt und am Bestimmungsort "ausgesetzt". Die genaue Auswahl der zu beziehenden Quartiere blieb häufig ihnen überlassen. Besonders die versprochenen Häuser – falle überhaupt vorhanden - waren fast alle mehr oder minder stark beschädigt. Einige waren aber noch oder schon bewohnt. In der Regel waren bei den unbewohnten Gebäuden alle Türen und Fenster zerstört oder herausgenommen. Die Dächer waren undicht, Brunnen verschmutzt, die Öfen waren kaputt oder ausgebaut. Große Teile der Bäume waren zu Feuerholz geworden.
Die für den privaten Gebrauch zugewiesenen landwirtschaftlichen Flächen zum Eigennutz waren zugewachsen. Die zugesagten landwirtschaftlichen Geräte waren oft nicht vorhanden. Diebstahl und Raub waren verbreitet. In manchen Dörfern hatte sich Kriminelle breitgemacht, die die Übersiedler belästigten. Nach 1945 waren viele der noch einigermaßen bewohnbaren Häuser schon an Partei-Kader vergeben, in Kasernennähe viele auch an Offiziere, die sich weigerten auszuziehen. Ab Mitte 1947 sollten die Soldaten räumlich von der Wohnbevölkerung getrennt werden - die Umsetzung dauerte aber noch Jahre. Da es an bewohnbaren Kasernenplätzen fehlte, die unbeschädigt waren, mussten sehr große Barracken-Lager errichtet werden. Zum Barracken-Bau und zur Herstellung von Bahnschwellen wurden sehr schnell Sägewerke in den großen Waldgebieten der Rominter-Heide eingerichtet. Erst in den 80ziger Jahren begann man dort wieder, mit der Aufforstung der entstandenen riesigen Kahlflächen.
Verschärft wurde diese Situation noch 1948 durch die Übergabe der Verwaltung vom Militär an zivile Stellen, was wiederum zu Konflikten führte, da z. B. die Militärverwaltung vorher Stadt- und Ortsteile, Gebiete und Dörfer mit noch vorhandenen und möglichen Aussiedlerunterkünfte wie Wohn- und Wirtschaftsgebäude - besonders aber Gutshöfe - zum "Auszuschlachten" durch die Soldaten freigaben. Zunächst wurde, wenn noch vorhanden, nach Wertvollem und Alkohol gesucht. Danach wurden Dielen, Türen, Fensterrahmen, Treppen, Dachstühle oder anderes Bauholz von den Soldaten für die Winterheizung in den Kasernen und Barracken herausgerissen. Diese Gebiete wurden dafür für längere Zeit vom Militär gesperrt. Es wurden sogar Kontrollstationen eingerichtet.
Diese Zustände führten insgesamt bei der Aussiedlern zu großen Enttäuschungen. Nach privaten Schätzungen reisten in den ersten 10 Jahren in machen Gebieten bis zu 65 % der Aussiedler wieder in ihre Heimat zurück. Offizielle Zahlen dazu liegen nicht vor. Die neue Bevölkerung im Oblast war in den ersten 10 Jahren nach dem Krieg einem ständigen Bevölkerungswechsel unterworfen. Manche "Spezialisten" reisten sogar zwei oder gar dreimal wieder ein, um so die Vergünstigungen auch mehrfach zu erhalten. Um das zu verhindern, wurden in einigen Gebieten allen Neusiedlern für 5 Jahre die Pässe abgenommen. Russische „ Glücksritter“ bleiben bei „Durchreisende“ durch den Oblast auch aus persönliche Gründen, die häufig zu (Schein) Ehen führten.
Erst am Ende der 50ziger Jahre trat eine langsame Stabilisierung der Bevölkerung ein.
Quellen:
Christian Schulz: Ein Klavier für das Gebietskomitee. Russen und Deutsche in Tollmingkehmen, Ostpreußen. In: Adrian von Arburg u. a. (Hrsg.): Als die Deutschen weg waren. Was nach der Vertreibung geschah: Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland.
Die nach dem Kriegsende aus der Westregion Russlands sofort ins Land beordert männlichen Angehörigen der neu entstandenen örtlichen Behörden, mussten ihre Familien nachholen. Aktiven junge Soldaten, die im Oblast offiziell aus dem Kriegsdienst entlassen wurden, wurden mit dem Hinweis auf den örtlichen Frauenüberschuss im Oblast zunächst die Pässe abgenommen. In den 23 ausgesuchten Land- und Stadt-Kreise in Russland wurde gezielt in den Abgangsklassen der Schulen nach heiratswilligen jungen Frauen gesucht, die mit "Braut-Sonderzügen" in den Oblast geschickt wurden. In Sowchosen, Kolchosen und Kasernen wurden "Kennenlernabende" organisiert. Der Frauenanteil im Oblast lag in den ersten Jahren deutlich über dem Landesdurschnitt.
Neben diesen "Freiwilligen" gab es auch "gelenkte" Besiedlung mit sogenannten „Sondersiedlern“. Die Grenzen zwischen erpressten Umzug und Zwangsverschleppungen waren in der Sowjetunion oft fließend. Teile der aus der deutscher Kriegsgefangenschaft entlassene russischen Soldaten und Ostarbeiter, die Bestrafung wegen des Vorwurfes der Kollaboration mit dem Feind zu fürchteten hatten, wurden als Sondersieder angesetzt. Dazu kamen Strafgefangene aus den zahlreichen GULAG Lagern der Stalin-Zeit, die ebenfalls als Sondersiedler in dieser Region angesiedelt wurden. Die Sondersiedler landeten in der Regel in den staatliche Sowchosen. Das Schicksal dieser Sondersiedler endete zum Teil tragisch, da einige keinerlei Erfahrungen in der Landwirtschaft besaßen. Sie konnten auch, anders als die Kolchos-Bauern, kein Eigentum erwerben
Fachleute schätzt die Zahlen der Sondersiedler im Oblast Kaliningrad in der unmittelbaren Nachkreiszeit auf etwa 80.000. Die "Sondersiedler" durften ihre Familienangehörigen erst ab 1953 nachholen, sie erhielten aber keine Vergünstigen wie die "normalen" Aussiedler.
Quelle:
Das Kürzel "Gulag" bezeichnet das Netz von Straf- und Arbeitslagern in der Sowjetunion, im weiteren Sinne steht es für die Gesamtheit des sowjetischen Zwangsarbeitssystems, das bis heute - in abgemilderter Form seit 1990 - noch neben Lagern und Zwangsarbeitskolonien auch Sonderlager des Innenministeriums, Spezialgefängnisse, Zwangsarbeitspflichten ohne Haft umfasst. In nachstalinistischer Zeit kamen ebenfalls noch einige psychiatrische Kliniken als Haftverbüßungsorte hinzu. Alexei Nawalny wurde zur teilweisen Haftverbüßung zunächst in eine psychiatrische Kliniken eingewiesen. Er ist am 15. oder 16. Februar 2024 im Strafgefangenenlager in Charp, Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen, Russland unter ungeklärten Umständen verstorben.
Gulag beziehungsweise GULag steht im Sprachgebrauch der sowjetischen Behörden für russisch Главное управление лагерей (abgekürzt ГУЛаг oder offiziell auch Главное управление исправительно-трудовых лагерей и колоний, transkribiert Glawnoje uprawlenije isprawitelno-trudowych lagerej i kolonij, übersetzt „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien“
Von 1930 bis 1953 waren in den Gulag Lagern mindestens 18 Millionen Menschen inhaftiert. Mehr als 2,7 Millionen starben im Lager oder in der Verbannung. In den letzten Lebensjahren Stalins erreichte der Gulag mit rund 2,5 Millionen den Höchststand an Insassen. Die Zahl der Inhaftierten wuchs auch deshalb, weil sowjetische Soldaten, die in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten waren, beziehungsweise Zwangsarbeit hatten leisten müssen, sowie heimkehrende zivile Ostarbeiter zu Hunderttausenden in den Gulag eingewiesen wurden. Sie galten als schuldig, weil sie angeblich Fahnenflucht begangen oder aber mit dem Feind kollaboriert hatten. Hinzu kamen in diesem Zeitraum rund sechs Millionen Personen, die als „Sondersiedler“ oder „Arbeitssiedler“ zum Verbleib an ihrem Arbeitsort verbannt waren.
Unmittelbar nach Kriegsende kamen 700.000 Insassen von Filtrationslagern hinzu. Prüf- und Filtrationslager (russisch Проверочно-фильтрационные лагеря Prowerotschno-filtrazionnyje lagerja) waren Einrichtungen des sowjetischen Innenministeriums (NKWD), die während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit bei der Repatriierung von Sowjetbürgern der Ausforschung von „Staatsfeinden“ dienten.
Es wird geschätzt, dass dass zwischen 1930 und 1960 insgesamt rund 28,7 bis 32 Millionen Menschen in der Sowjetunion Zwangsarbeit zu verrichten hatten.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gulag
In den deutsch bewohnten Gebieten jenseits von Oder und Neiße begann die Verschleppung von Zivilpersonen vereinzelt bereits Ende Januar 1945 und wurde dann im Monat Februar systematisch in allen bis zu dieser Zeit von der Roten Armee besetzten Gebieten durchgeführt.
In diese Zeit, in der die Deportationen in Ostdeutschland anliefen, fand die Konferenz von Jalta vom 4. bis 11. Februar 1945 statt. Auf dieser Konferenz erlangte Stalin u.a. die Zustimmung der Westmächte, daß die UdSSR, nach dem Siege über Deutschland als einen Teil der ihr zugesprochenen Reparationen Arbeitskräfte aus Deutschland nach Russland schaffen könne. Schon vor diese interalliierte Abmachung hatte aber die Deportationen aus den Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße von Deutschen nach der Sowjetunion begonnen. Die interalliierte Abmachung gab als Rechtsgrundlage, auf die sich die sowjetische Führung bei der Deportation großer deutscher Volksteile berufen konnte.
Kriegsgefangenschaft, Verschleppung, Flucht, Vertreibung und Integration
Während des Zweiten Weltkrieges und in den Nachkriegsjahren hielt die Sowjetunion rund vier bis sechs Millionen Kriegsgefangene - davon 3,2 bis 3,6 Millionen ehemalige Soldaten der deutschen Wehrmacht - in Lagern des GUPWI (Главное управление по делам военнопленных и интернированных, transkribiert Glawnoje uprawlenije po delam wojennoplennych i internirowannych, übersetzt „Hauptverwaltung für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen und Internierten“) fest und forderte von ihnen Zwangsarbeit.
Die Gumbinnen-Goldaper Operation (russ. Гумбиннен-Гольдапская операция) war im Zweiten Weltkrieg eine sowjetische Angriffsoperation, die vom 16. bis 30. Oktober 1944 durchgeführt wurde. Die Operation war der erste Versuch des Armeegenerals Tschernjachowski, mit der 3. Weißrussischen Front über die deutsche Reichsgrenze nach Ostpreußen einzubrechen. Das Ziel, über Gumbinnen nach Königsberg durchzubrechen, wurde nicht erreicht, die sowjetischen Truppen konnten sich aber bereits östlich von Treuburg über Goldap und Darkehmen bis Schirwindt im deutschen Grenzgebiet festsetzen. Gerhard Kiehl war dabei mit der 1. Infantrie Division in der Gumbinner Gegend eingesetzt und konnte, wenn der Dienst es erlaubte, „zu Hause“ in Lindenhöhe und Wilkental nach dem Rechten sehen.
Die Schlacht um Ostpreußen fand vom 13. Januar bis zum 25. April 1945 statt und war die blutigste und längste Schlacht des Jahres 1945. Im Laufe der Ostpreußischen Operation (russisch Восточно-Прусская операция) führte die Rote Armee sechs verschiedene militärische Vorstöße durch, deren Ziel die Eroberung von Ostpreußen war.
- der Insterburg – Königsberger Vorstoß
- der Mlawa (Polen) - Elbinger Vorstoß
- der Heilsberger Vorstoß
- der Braunsberger Vorstoß
- der Samlander Vorstoß und
- der Königsberger Vorstoß und Sieg.
Nach russischen Angeben wurden beim letzten und siegreichen "Königsberger Vorstoß" vom 6. April bis 9. April 1945 ca. 42.000 deutsche Soldaten getötet und ca. 92.000 gefangen genommen, darunter drei Generäle. Im gesamten Ostpreußen sollen demnach zwischen dem 13. Januar und dem 25. April 1945 etwa 220.000 deutsche Soldaten Kriegsgefangen geworden worden sein. Die russischen Verluste sollen 126.464 Soldaten betragen haben, auf der deutscher Seite etwa 60.000 Soldaten. Verlässliche Zahlen zu Opfern in Königsberg und übrigen Ostpreußen unter der Zivilbevölkerung liegen von russischer Seite nicht vor.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ostpreu%C3%9Fische_Operation_(1945)
http://www.rustrana.ru/article.php?nid=21175
https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_K%C3%B6nigsberg
Verlässliche Zahlen zu Opfern in Königsberg und übrigen Ostpreußen unter der Zivilbevölkerung liegen von russischer Seite nicht vor.
Der deutsche Befehlshaber General Otto Lasch kapitulierte am Abend des 9. April 1945, als sowjetische Soldaten vor seinem Befehlsbunker, dem sogenannten Lasch-Bunker am Paradeplatz in Königsberg auftauchten. Dafür wurde er von Hitler in Abwesenheit degradiert und wegen Feigheit vor dem Feind zum Tode verurteilt. Auslöser dieses Verfahrens soll ein Telegramm von Gauleiter Koch gewesen sein, mit dem Wortlaut: „Der Befehlshaber von Königsberg, Lasch, hat einen Augenblick meiner Abwesenheit aus der Festung benutzt, um feige zu kapitulieren. Ich kämpfe im Samland und auf der Nehrung weiter." Laschs Frau und die beiden Töchter wurden in Dänemark bzw. in Berlin verhaftet und in Sippenhaft genommen; nach Kriegsende kamen sie wieder frei.
Lasch selbst geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft und kam in zahlreiche Gulag-Lager. 1948 wurde er in Moskau zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt und nach Workuta verbracht. Ende Oktober 1955 kehrte er mit dem sogenannten Amnestiertentransport in die Bundesrepublik Deutschland zurück.
In seinem Buch über den Untergang Königsbergs stützte er sich auf die Unterlagen von Kurt Dieckert. Dieckert war zuletzt ein kriegsverletzter Major in der Führerreserve im Generalkommandos des Wehrkreises I. Wegen seiner umfangreichen Erfahrungen und Kenntnisse aus der Schlacht um Ostpreußen bat der Verlag Gräfe und Unzer, ein alter und renommierter, ehemals ostpreußischer Verlag, der sich nach dem 2.Weltkrieg zunächst auf ostdeutsche Heimatliteratur spezialisiert hatte, Kurt Dieckert um einen Bericht über die Schlacht um Königsberg.
In einer umfangreichen Korrespondenz mit den überlebenden und im bekannten damaligen Wehrmachts-Kommandeuren der ostpreußischen Einheiten und Verwaltungsbeamten und einer kleinen schriftlichen Befragungen von Soldaten und Zivilisten zum Untergang von Königsberg trug Dieckert nach dem Kriege in den 50iger Jahren dazu eine sehr umfangreiche Informationssammlung zusammen. Zu den schriftlich Befragten gehörte damals auch Gerhard Kiehl. Dazu kamen auch neu erstellte taktischen Militär-Karten. Seine aufgebaute Ostpreußensammlung soll nach eigenen Angaben etwa 1000 Sachbücher und Dokumente dazu 600 Titel schöngeistiger Literatur, Kurenwimpel, Teppiche aus Masuren sowie selbst gemalte Aquarelle und Gemälde aus Ostpreußen umfasst haben.
Gerhard Kiehl gehörte zur 1. Infantrie-Division, die von August 1944 bis Mai 1945 in Ostpreußen und während des Insterburg–Königsberger Vorstoß der russischen Armee ab Januar 1945 im Regierungsbezirk Gumbinnen eingesetzt wurden. Dort hatte er auch einen kurzen dienstlichen Kontakt mit Kurt Dieckert, der hier Ende Januar 1945 versprengte Truppenteile der deutschen Wehrmacht wieder zusammengeführt. Während dieser Zeit konnte Gerhard Kiehl noch in Willschicken und Lindenhöhe Anfang Februar 1945 "nach dem Rechten sehen". Der Hof der Familien Tuttliesen standen noch, waren aber bereits geplündert, der Gasthof Lerdon war abgebrannt. Danach wurde wurde die 1. Infantrie-Division in die Festung Königsberg zurückbeordert, dann aber wieder abgezogen, um Ende März 1945 an der Samlandfront eingesetzt zu werden. Durch diese Verlegung entgingen die Reste der Division so der Einkesselung von Königsberg und so der Gefangenschaft durch die russische Armee. Nach den schweren Verlusten bei der anschließenden Verteidigung der Samland-Halbinsel und von Fischhausen-Pillau wurde Reste der Division Mitte April 1945 von Pillau auf die Halbinsel Hela verlegt.
Im Monat April 1945 konnten noch insgesamt 387.000 Menschen von Hela weiter nach dem Westen evakuiert werden. Der letzte Transport mit dem Zerstörer „Friedrich Ihn“ verließ die Halbinsel kurz vor Inkrafttreten der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945. So sollten auch die Überlebenden der 1. Infantrie-Division per Schiff von der Halbinsel Hela weiter zunächst nach Dänemark evakuiert werden. Ein Teil der 1. Infantrie-Division landete aber statt in Dänemark im Hafen von Eckernförde. Darunter befand sich auch Gerhard Kiehl und gelangte so in britische Kriegsgefangenschaft.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/1._Infanterie-Division_(Wehrmacht)
Flüchtlingslager in Dänemark wurden nach der deutschen Besetzung von 9.4.1940 – 5.5.1945 von 1944 – 1949 von der Wehrmacht und nach der Befreiung des Landes durch die dänischen Verwaltung errichtet. Am 2. Mai 1945 erreichten britische Panzerspitzen bei Wismar und Lübeck die Ostsee. Damit waren sowohl die deutschen Truppen in Dänemark vom Süden des Reiches abgeschnitten als auch der weitere sowjetische Vorstoß nach Westen abgeriegelt. Am Tag zuvor hatten sowjetische Panzer die letzten ablegenden Flüchtlingsschiffe in Warnemünde beschossen. Die deutschen Flüchtlinge machten 1945 rd. 5 % der Bevölkerung in Dänemark von 4 Mio. aus. Die meisten deutschen Flüchtlingslager in Dänemark wurden 1947 geschlossen und die letzten Flüchtlinge verließen Dänemark am 15. Februar 1949.
Gerhard Kiehl kam in das Internierungsgebiet "F" in Ostholstein. Das Internierungsgebiet "F" war ein Sperrgebiet und umfasste den gesamten Kreis Oldenburg in Holstein, Teile des Kreises Eutin und Teile des Kreises Plön. In der ersten Zeit waren schätzungsweise 750.000 Soldaten im Sperrgebiet interniert. Das Sperrgebiet war weitgehend deutschem Kommando unterstellt. Oberkommandierender war Generalleutnant Wilhelm-Hunold von Stockhausen. Unterteilt war das Sperrgebiet zunächst in sechs Abschnittskommandos, die ebenfalls von deutschen Generalen geführt wurden. Jedem Abschnittskommando unterstanden rund 100.000 Mann. Nach britischen Rahmenbefehlen hatten die Stäbe in erster Linie für Disziplin und Ordnung bei den unterstellten Einheiten sowie für Verpflegung und Unterkunft zu sorgen. Die Soldaten waren listenmäßig zu erfassen und auf die Entlassung vorzubereiten. Die Truppenverpflegung wurde in den ersten Wochen sehr schwierig. Oft gab es nur ein paar Kekse und eine Scheibe Corned Beef als Tagesration. Gekocht wurde in Feldküchen oder in Waschküchen der Bauern. Arbeit auf den Höfen und Feldern wurde mit Verpflegung vergolten.
Gerhard Kiehl war mit anderen Gefangenen zuletzt in Mollhagen bei Trittau bei einem Großbauern untergebracht und arbeitete in dessen Forst - dem späteren Naturschutzgebiet Hahn Heide. Er war dort mit der Organisation und Beaufsichtigung von Forst-Bereiche (Jagen) für den Holzeinschlag beschäftigt. Ende 1945 gab es dort ein Wiedersehen mit seiner Ehefrau Hildegard Kiehl, die in Sachsen mit ihrer Mutter Berta Tuttlies die Flucht gesund überstanden hatten. Der Vater Ferdinand Tuttlies war in Vethem bei Walsrode in Niedersachsen gelandet.
Das Zusammenfinden der durch die Flucht versprengten Familien war ein sehr großes Problem nach dem 2. Weltkrieg. Wesentlich half dabei der Suchdienst. Im Oktober 1945 gründet das Deutsche Rote Kreuz in Flensburg einen Suchdienst. Zunächst sammelten ehrenamtliche Helfer Daten. Mit den Flüchtlingsämtern wurde später zusammengearbeitet. Sie waren aber in den Besatzungszonen unterschiedlich aufgebaut. Allerdings gibt es anfangs noch keinen zentralen Suchdienst. Das wollen die vier alliierten Siegermächte zunächst nicht. Das Deutsche Rote Kreuz als nationale Institution wird 1945 sogar verboten.
Stattdessen gibt es eine „Zonenzentrale Hamburg“ nur für den britischen Sektor und einen Suchdienst in München für die amerikanische Zone. In Ost-Berlin richten die Sowjets im August 1946 den „Suchdienst für vermisste Deutsche in der sowjetischen Okkupationszone Deutschland“ ein. Die Suchdienste bemüht sich jedoch um Zusammenarbeit. Am 30. Juli 1947 wird schließlich die „Suchdienst-Verbindungsstelle“ in Berlin-Dahlem eingerichtet. Sie hatte vor allem die Funktion, Suchanfragen zwischen den Suchdiensten oder den Zonenzentralen in Hamburg, München, Berlin und Ostberlin regelmäßig auszutauschen, damit bessere Treffer bei der Suche erzielt werden konnten. Das Deutsche Rote Kreuz darf sich 1950 wieder als nationale Einrichtung konstituieren und alle Anfragen in einer Zentralen Namenkartei in München zusammenfassen und abgleichen.
Ihr wesentliches Suchinstrument ist das „Karteibegegnungsverfahren“, das schon im Ersten Weltkrieg vom Internationalen Roten Kreuz entwickelt worden war, erklärte Dorota Dziwoki, die Leiterin der Suchdienst-Leitstelle des DRK in Berlin: „Jeder Suchende hatte eine Suchkarte ausgefüllt für den Gesuchten und für sich eine sogenannte Stammkarte. Und diese beiden Karteikarten sind in die zentrale Namenskartei des DRK-Suchdienstes alphabetisch einsortiert worden, und wenn sich der Gesuchte dann gemeldet hat, hat dieser ebenfalls eine Suchkarte und eine Stammkarte für sich ausgefüllt, und wir konnten den verloren gegangenen Kontakt wiederherstellen.“ Dazu wurden Postkarten an die Suchenden versandt.
Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/vor-70-jahren-die-gruendung-der-suchdienst-100.html
Im Dezember 1947 stellten Flüchtlinge und Vertriebene mit 4,3 Mio, nahezu ein Viertel der Gesamtbevölkerung der sowjetischen Besatzungszone. Insgesamt wird die Zahl der Flüchtlinge und Vertriebene in Deutschland auf ca. 13 Mio. geschätzt.
Heimkehrerbefragungen, Suchanzeigen in Lagern, Behörden, Bahnhöfen, Zeitungen, Wochenschauen und die Suche über das Radio waren die ersten wichtigen Hilfsmittel des Suchdienstes. Das Verlesen dieser Suchmeldungen im Radio konnte sich pro Monat auf mehrere Stunden summieren, beim NWDR im Oktober 1946 beispielsweise auf elfeinhalb Stunden, das entsprach 2,3 Prozent des Gesamtprogramms. Gesendet wurde die Suchmeldungen vor Programmschluss um Mitternacht. Es wurde dort besonders langsam gesprochen.
Im Februar 1950 erlässt die Bundesregierung den "Aufruf zur Registrierung der Kriegsgefangenen und Vermissten". In wenigen Tagen wurden 69.000 Kriegsgefangene, über 1,1 Millionen Wehrmachtsverschollene und fast 200.000 Zivilverschollene gemeldet. Schon im April 1950 entstand eine zentrale Namenskartei und im Dezember wurden die ersten Vermisstenliste in 38 Bänden gedruckt. Bei Sucherfolgen erhielten die Anfragenden, wie die Tuttliesen eine Postkarte. Im Dezember 1957 wurde mit dem Druck einer Vermisstenbildliste begonnen. In knapp 200 Einzelbänden waren rund 900.000 Lichtbilder enthalten. Der Suchdienst besteht noch heute. Insgesamt sind 53 Millionen Suchkarten in der zentralen Namenskartei des DRK in München archiviert.
Zur Flucht der Tuttliesen aus Ostpreußen siehe Willschicken – GenWiki (genealogy.net) http://Willschicken%20–%20GenWiki%20(genealogy.net)
Gerhard Kiehl wurde 10.1.1946 in Mollhagen aus der englischen Kriegsgefangenschaft entlassen und fand zunächst eine Anstellung in der dortigen Forstverwaltung. Danach bewarb er sich u.a. bei der Oberfinanzdirektion und wurde am 10. Juli 1947 zum Zollbetriebsassistenten in Vennebrügge Kreis Grafschaft Bentheim in Niedersachsen direkt an der niederländischen Grenze ernannt.
Näheres siehe in: Willschicken – GenWiki (genealogy.net)
Abbildung: Entlassungsschein von Gerhard Kiehl Vorderseite [388]
Abbildung: Entlassungsschein von Gerhard Kiehl Rückseite [389]
Bereits ab Ende 1944 war Schleswig-Holstein im Zuge der Verwundeten- und Flüchtlingstransporten über die Ostsee, der Evakuierung von Menschen aus dem Baltikum (Memelland), Ost-/Westpreußen, Pommern und Mecklenburg, Hauptanlaufgebiet von Flüchtlingen und Vertriebenen. Auch Ausgebombte aus den Großstädten Kiel, Lübeck und Hamburg zogen aufs Land. Die Einwohnerzahl, die 1939 noch 1,6 Millionen betragen hatte, stieg bis 1949 auf 2,7 Millionen. Unter allen westdeutschen Flächenländern war in Schleswig-Holstein der Anteil von Flüchtlingen im Vergleich zur eingesessenen Bevölkerung am höchsten. Bis etwa 1970 herrschte dort noch eine spürbare Wohnungsnot. Für Ostpreußen waren die hauptsächliche Flüchtlingsaufnahmeländer Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Als Otto Lasch 1955 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte, stellte Dieckert ihm - dem ehemaliger Vorgesetzter - sein gesamtes Material zur Verfügung. Lasch verwendete es für sein Buch über Königsbergs militärischen Untergang. Später erarbeitet Dieckert, als das Lasch-Buch bereits eine zweite Auflage erreicht hatte, zusammen mit dem Co-Autor Horst Großmann, einem ehemaligen General der Infanterie, eine Eigenveröffentlich, starb aber bevor diese erschienen war.
Quellen:
Otto Lasch: So fiel Königsberg. Kampf und Untergang von Ostpreußens Hauptstadt, 1958, Neuauflagen 1959 und 1994
Kurt Dieckert und Horst Großmann: Der Kampf um Ostpreussen. Der umfassende Dokumentarbericht, 1960
Der Lasch-Bunker in Kaliningrad kann als Außenstelle des Kaliningrader Museums für Geschichte und Kunst besichtigt werden.
Zum Zeitpunkt der Kapitulation hielten sich noch etwa 110.000 deutsche Zivilisten in Königsberg auf, im Sommer 1947 waren es nur noch 25.000, wobei allerdings berücksichtigt werden muss, dass bis April 1945 Deutsche auch zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden. Danach wurde die "überflüssige" städtische Bevölkerung zur Arbeitseinsatz auf die ländlichen Sowchosen verteilt. Nur wer in der Stadt eine überlebenswichtige Berufs-Funktion ausübte, durfte bleiben.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_K%C3%B6nigsberg
Die Verwaltungsstandorte der russischen Kriegsgefangenenlager sind später von deutschen Behörden in Regionaltabellen zusammengefasst worden. Die Einteilung folgt den Wirtschaftsräumen der Sowjetunion, die wesentliches Element der staatlichen Wirtschaftspläne waren. Danach war die Sowjetunion in 15 Wirtschaftsregionen eingeteilt. Die Planungen sahen eine unterschiedliche Berücksichtigung der jeweiligen Wirtschaftsregionen vor. Die Zuteilung zu den Lagern erfolgte aber in der Praxis manchmal auch willkürlich oder richtete sich nach den Heimatregionen der Truppen, die die Kriegsgefangenen "erbeuteten".
Da die Informationen über das Verwaltungssystem der Lager aus über 100.000 Heimkehrerbefragungen in der Bundesrepublik ermittelt wurden und nicht auf die originalen Unterlagen der sowjetischen Administration zurückgehen, sind Fehler und Lücken nicht ausgeschlossen. Sie dürften jedoch angesichts der hohen Zahl von Einzelangaben auf ein Minimum reduziert sein.
In der Westregion bestanden 30 Lagerverwaltungen mit 315 Einzellagern. Sie lagen in den heutigen Staaten Estland, Lettland, Litauen und Belarus sowie in der russischen Exklave Oblast Kaliningrad (Königsberg).
Die letzte größere Entlassung von deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion fand 1955 statt. Vorangegangen war ein Staatsbesuch des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer vom 8. bis 14. September 1955 zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und der Freilassung deutscher Kriegsgefangener.
Insgesamt kamen in der UdSSR etwa 1,11 Millionen deutsche Kriegsgefangene ums Leben oder kehrten nie zurück.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsgefangene_des_Zweiten_Weltkriege
In den deutsch bewohnten Gebieten jenseits von Oder und Neiße begann die Deportationen (Verschleppung) von Zivilpersonen vereinzelt bereits Ende Januar 1945 und wurde dann im Monat Februar systematisch in allen bis zu dieser Zeit von der Roten Armee besetzten Gebieten durchgeführt.
In diese Zeit, in der die Deportationen in Ostdeutschland anliefen, fand die Konferenz von Jalta vom 4. bis 11. Februar 1945 statt. Auf dieser Konferenz erlangte Stalin u.a. die Zustimmung der Westmächte, daß die UdSSR, nach dem Siege über Deutschland als einen Teil der ihr zugesprochenen Reparationen Arbeitskräfte aus Deutschland nach Russland schaffen könne. Schon vor diese interalliierte Abmachung hatte aber die Deportationen aus den Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße von Deutschen nach der Sowjetunion begonnen. Die interalliierte Abmachung gab als Rechtsgrundlage, auf die sich die sowjetische Führung bei der Deportation großer deutscher Volksteile berufen konnte.
In Ostdeutschland erreichte die Verschleppung ihren Höhepunkt im Monat März 1945 und dauerte bis Ende April 1945. Da bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die östlich von Oder und Neiße gelegenen Gebiete in der Hand der Roten Armee waren, blieb die Verschleppungsaktion auf die Deutschen in diesen Gebieten beschränkt und griff nicht auf die spätere sowjetische Besatzungszone über. Jede der vier russischen Heeresgruppen musste eine bestimmte Anzahl von Arbeitskräften in den jeweilig eingerichteten Sammellager stellen. Danach wurden die Verschleppungsaktionen Ende April 1945 abgebrochen, da die verbleibenden Arbeitskräfte zu Ernährung der vordringenden russischen Armee dringend benötigt wurden.
In Ostpreußen griffen die sowjetischen Deportationskommandos zu den drastischsten Maßnahmen, um die ihnen auferlegte Zahl von Verschleppten zu erreichen. Da Männer arbeitsfähigen Alters kaum noch im Lande waren und die Bevölkerung Königsbergs nicht in Betracht kam, weil um diese Stadt während der Hauptverschleppungszeit im Februar und März 1945 noch gekämpft wurde, wurden in Ostpreußen in der Mehrzahl Frauen und Mädchen in den bereits eroberten Gebieten von 15—50 Jahren ergriffen und in das Sammellager Insterburg eingeliefert.
In regelmäßigen Abständen wurden von den Hauptverladestationen aus Transportzüge zusammengestellt, die durchschnittlich je 2.000 Verschleppte aufnahmen. Die Fahrt zu den Arbeitslagern in Russland dauerte im Allgemeinen 3—6 Wochen. Während dieser Zeit wurden die Verschleppten nur völlig ungenügend mit Nahrungsmitteln und Wasser versorgt, und da die ersten Transporte noch im Februar abgingen, wirkte sich auch die Kälte unter den vielen oft unzureichend bekleideten Menschen verheerend aus. Die Sterblichkeit auf der Fahrt nach Russland war deshalb allgemein sehr hoch, mitunter betrug sie 10 Prozent der Deportierten.
Die Arbeitslager, denen die Transporte zugeleitet wurden, lagen über ganz Russland verstreut. Sowohl nach dem Eismeer im Norden wie nach dem Kaukasus im Süden, ja sogar bis nach Turkmenien wurde die aus Ostdeutschland verschleppte Zivilbevölkerung befördert. Der überwiegende Teil der zahlreichen Lager mit teils nur wenigen hundert, teils mehreren tausend Deportierten, befand sich in den Industriebezirken am Ural, im Donezk- und Don-Gebiet.
Als Ende April 1945 keine weiteren Deportationen nach Russland mehr erfolgten, wurden die hierfür errichteten Sammellager teilweise aufgelöst. Nach der ersten großen Entlassungswelle von 1945 zogen sich die Lagerauflösungen und Rücktransporte in die sowjetisch besetzte Zone in großen Abständen und Unterbrechungen durch die Jahre 1946, 1947 und 1948 hin. Die letzten größeren Rücktransporte fanden im Jahre 1949 statt, nachdem die Verschleppten eine vierjährige Zwangsarbeit geleistet hatten. Die verbliebene Restbevölkerung in Ostpreußen wurde dringend als Arbeitskraft zur Ernährung der russischen Armee benötigt.
Die Höhe, der durch die Verschleppungsaktion unter der ostdeutschen Zivilbevölkerung hervorgerufenen Verluste konnten, nur annähernd erfasst werden. Nach den vorliegenden Ermittlungen und den Angaben der Berichterstatter in den Flüchtlingsämtern der Bundesrepublik über die Sterblichkeit in den Verschleppungslagern und während der Transporte, wurde geschätzt, daß etwa die Hälfte der Deportierten und dazu noch mehrere Tausende von denen, die zwar festgenommen und in Sammellager eingeliefert, aber nicht mehr deportiert wurden, im Verlaufe der Verschleppungsaktion umgekommen sind.
Die Gesamtverluste, die infolge der Verschleppung aus Ostdeutschland eintraten, betrugen demnach mindestens 100.000 bis 125.000 Tote.
Quelle: http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/oderneisse1/kapitel-4-2-3.htm
Schon 1944 begann die Flucht aus Ostpreußen. Zunächst flüchteten die Familien der nationalsozialistischen Funktionsträger und die der wohlhabenden Güter. Es wurde heftig kritisiert, dass die allgemeinen Räumungsbefehle viel zu spät erlassen oder von Gauleiter Koch verhindert wurden.
In vielen Dörfern wurden Trecks zusammengestellt, die u.a. von den Bürgermeistern organisiert werden mussten. Es waren in der Regel größere Bauern und Güter, die Pferde und Wagen stellten. Der Bürgermeister gab die Fahrroute, die Übernachtungs- und Futterplätze vor. Als Ziele wurden Bahnstationen oder Häfen vorgegeben, von da aus sollte es weitergehen. Mit dem zunehmenden Krieg wurden diese Vorgaben schwierig einzuhalten. Treckführer waren in der Regel Männer über 65, da die jüngeren im Krieg waren. Nur sehr wenige Trecks schafften es über die Oder, einige schafften es sogar mit viel Glück bis nach Westdeutschland.
Verschiedene Trecks wurden beschossen, manche fuhren daher nur nachts. Einige Flüchtlinge kehrten auch freiwillig oder gezwungenermaßen wieder um und manche unternahmen einen neuen Versuch. Trotz der raschen russischen Vorstöße auf dem Lande Anfang 1945 und dem teilweisen Überrollen der Trecks durch russische Einheiten gingen die Fluchtbewegungen in Ostpreußen bis zuletzt weiter. Die Front der russischen Armee rückte ab Januar 1945 täglich 20 bis 30 Kilometer vor. Die Flüchtenden dagegen schafften auf hoffnungslos verstopften Straßen mit ihren Trecks nur 10 bis 15 Kilometer am Tag.
Die übrigen Dorfbewohner, wie Kleinbauern und Tagelöhner erhielten z. B. einen "Ausweise für Umquartierte" - siehe das Beispiel für die Familien Tuttlies aus Wilkental. Diese galt als Bahn- und Schiffskarte. Ost- und Fremdarbeiter war die Fluchtteilnahme verboten. Auf dem Tuttlies-Dokument ist der Name ihres Ostarbeiters Michael Kitursko vom Bürgermeister in Wilkental durchgestrichen worden. Der Begriff Flucht wurde vom Nationalsozialismus in Ostpreußen bis zuletzt vermieden.
Es gab aber auch durchsetzungsfähige Frauen, wie die Gräfin Marion Dönhoff. Im Januar 1945 floh Dönhoff vor der vorrückenden Roten Armee aus Quittainen nach Westdeutschland. Quittainen lag in Ostpreußen im Kreis Preußisch Holland. Sie schildert, dass sie zunächst eine von langer Hand vorbereitete Flucht zusammen mit einem Treck der Quittainer Gutsbewohner versucht habe. Diese gemeinsame Flucht endete bereits im 11 Kilometer entfernten Preußisch Holland. Aufgrund des Chaos auf den Straßen hätten ihre Mitflüchtlinge dort beschlossen, selbst umzukehren. Da die Russen die Gräfin als Adlige sicher erschossen würde rieten die Dorfbewohner Dönhoff zur weiteren Flucht. Bei klirrender Kälte und mit einem einzigen jugendlichen Begleiter begann Dönhoff einen Ritt über 1200 Kilometer, der mit Stationen bei Standesgenossen und Freunden sieben Wochen dauern sollte. Endpunkt war das Wasserschloss der Grafen von Metternich in Vinsebeck bei Steinheim in Westfalen: Auf dem dortigen Gestüt habe sie ihrem Fluchtpferd "Alarich" eine neue Heimat geben können.
Quelle: Marion Gräfin Dönhoff, Namen, die keiner mehr nennt
Das Zentrum gegen Vertreibung nennt 1953 für Ostpreußen folgende Zahlen der Anfang 1944 in Ostpreußen lebende Bevölkerung: Quelle: http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/frameset01_1.htm
Nach der Offensive der Roten Armee im Januar 1945 war Ostpreußen abgeschnitten. Die Bevölkerung war zunächst mit Eisenbahnzügen geflohen, bis der Zugverkehr nach dem Reich am 21. Januar aufhörte. Die Menschen konnten nur noch über die Ostsee fliehen. Etwa 350 größere und kleinere Schiffe beteiligten sich an der Aktion. Alle Schiffstypen wurden verwendet, z. B. Kriegsschiffe, Truppentransporte, Landungsboote, Passagierschiffe, Frachter, Fischerboote, Schlepper und Tanker. Zivile Schiffe bekamen ein Marinekommando. Der Verlust von insgesamt zwölf großem Schiffen und eine unbekannte Zahl von kleineren Schiffen im Rahmen dieser Transporte durch Torpedos der russische Marine und Luftwaffen Angriffe kostete ca. 22.000 Menschen das Leben, darunter die Wilhelm Gustloff, abgelegt in Gotenhafen am 30. Januar 1945 (zwischen 4.000 bis 9.000 Ertrunkene) und der Frachter Goya abgelegt in Hela am 16. April 1945 (mehr als 7.000 Ertrunkene).
Am 30. Januar 1943 wurde Karl Dönitz unter Auslassung des Dienstgrades Generaladmiral zum Großadmiral befördert und als Nachfolger Erich Raeders zum Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine ernannt. Er war einer der 24 Angeklagten im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Er wurde wegen Führens von Angriffskriegen und Kriegsverbrechen schuldig gesprochen und am 1. Oktober 1946 zu zehn Jahren Haft verurteilt, die er bis zum 1. Oktober 1956 vollständig verbüßte.
Die deutsche Kriegsmarine versorgte die eingekesselten Gebiete über die Häfen bis zum Mai mit Soldaten, Munition und Material und transportierte auf dem Rückweg insgesamt eine halbe Million Verwundete ab. Hinzu kamen Kriegsgüter und Waffen, die in den durch den Stellungskrieg geprägten schrumpfenden Kesseln nicht mehr verwendet werden konnten. Die Mitnahme von Zivilisten wurde durch Dönitz lediglich geduldet – und zwar nur, soweit die militärischen Erfordernisse es zuließen. Am 6. April definierte die Kriegsmarine den Transportschlüssel wie folgt: 80 % der Kapazitäten sollten für Verwundetentransporte und weitere militärische Zwecke und 20 % für Zivilisten zur Verfügung stehen. Nach der Kapitulation Königsbergs am 9. April wurde letzterer Anteil auf 40 % erhöht. Weiterhin handelte es sich bei den Transporten im Wesentlichen lediglich um einen Pendelverkehr nach Hela, nicht in den sicheren Westen. Mit der Eroberung des Samlands durch die Rote Armee am 25. April fanden die Transporte von Pillau aus ein Ende. Der zur Halbinsel Hela zusätzlicher eingerichtete Pendelverkehr bewältigte bis dahin etwa 200.000 Menschen.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Verwundeten-_und_Fl%C3%BCchtlingstransporte_%C3%BCber_die_Ostsee_1945
Nach der Einkesselung von Ostpreußen war der Hafen von Pillau das Hauptziel der Flüchtlinge in Ostpreußen. Bis zur Kapitulation von Königsberg am 9. April gingen auch kleinere Transporte von Königsberg ab, wurden aber später auf Grund der militärischen Lage überwiegend nach Pillau verlegt. Der kleine Hafenort Pillau mit seinen 12.000 Einwohnern war bald überfüllt. Nicht alle der zeitweise bis zu 75.000 hungernden und frierenden Flüchtlinge konnten in Turnhallen, Kasernen, Kirchen oder Privatwohnungen untergebracht werden. Viele mußten im Freien übernachten. Vor den wenigen Bäckereien kämpfen die Menschen schon frühmorgens um Brot. Auf dem Friedhof wurden die Toten im Freien um die Leichenhalle aufgeschichtet.
Vom 8. März an musste für ca. drei Wochen der Abtransport von Flüchtlingen aus Pillau eingestellt werden, weil aller zur Verfügung stehende Schiffsraum in dieser Zeit zum Abtransport der Flüchtlinge aus den Städten Danzig und Gdingen benötigt wurde, denen in Kürze die Einnahme durch sowjetische Truppen drohte. In dieser Zeit, als keine Schiffe von Pillau abfuhren, ließen sich viele Tausende von Pillau nach Neutief auf der Frischen Nehrung übersetzen und zogen dann die Nehrung entlang, denn von der Danziger Niederung aus verkehrten auch nach der Einnahme Danzigs noch Fährprähme nach Hela, von wo aus dann der Weitertransport ins Reich erfolgen konnte. Ab Ende März wurde der Schiffsverkehr von Pillau aus nach dem Westen wieder aufgenommen.
Vom 1. Januar bis zum 26. April 1945 konnten aus Pillau über See noch insgesamt 450.000 Menschen nach Westen evakuiert werden, darunter auch Hildegard Kiehl mit ihrer Mutter Berta Tuttlies. Zur Flucht der Tuttliesen aus Ostpreußen siehe Willschicken – GenWiki (genealogy.net) http://Willschicken%20–%20GenWiki%20(genealogy.net)
Mitte April befanden sich noch etwa 400.000 Zivilisten in den letzten von der Wehrmacht gehaltenen Regionen, davon die meisten in Pillau. Die Hafenanlagen von Pillau wurden am 24. April 1945 durch die Wehrmacht gesprengt.
Neben Pillau wurde auch Hela zum Fluchthafen. Die Halbinsel, die etwa 20 Kilometer nördlich von Danzig liegt trennt die Danziger Bucht teilweise von der Ostsee und bildet dabei die Putziger Bucht (Zatoka Pucka). Die Landzunge ist zwischen 200 Metern und drei Kilometer breit und wird meerwärts vor der Brandung durch drei bis zu 25 Meter hohe Dünenreihen geschützt. Bei Ende des Zweiten Weltkrieges war die Halbinsel ab März 1945 letzter Zufluchtsort von deutschen Einheiten und Zivilflüchtlingen, da die langgestreckte, aber nur ein bis zwei Kilometer breite Halbinsel militärisch leicht zu verteidigen war. Die beiden Häfen für Fischerei und Kriegsmarine in Hela waren zugleich die letzte Möglichkeit für die Evakuierung militärischer Angehöriger, Verwundeter und Zivilflüchtlinge auf dem Seeweg.
Daher flohen bereits im März über 100.000 deutsche Zivilisten nach Hela, im April kamen weitere 265.000 hinzu. Andauernde sowjetische Luftangriffe forderten hier zahlreiche Todesopfer und erschwerten auch die Schiffstransporte auf das Äußerste. Die nächtliche Torpedierung des von Hela am 16. April 1945 abgehenden Frachters Goya mit schätzungsweise über 7000 Flüchtlingen und Angehörigen der 5. Panzerdivision war eine der größten Schiffskatastrophen des Zweiten Weltkriegs. Bei Eintritt der Waffenruhe befanden sich noch etwa 60.000 Flüchtlinge und Soldaten auf Hela. Am Abend des 9. Mai legte im Hafen von Hela ein von Danzig gekommenes Fährschiff mit russischen Offizieren an. Hela wurde damit ein leicht zu überwachendes Kriegsgefangenenlager. Die deutschen Kriegsgefangenen wurden später nach Osten abtransportiert.
Der größte Teil der ankommenden Flüchtlinge wurde aus den noch "freien" Ostseehäfen mit der Reichsbahn in den Westen weiter transportiert und dort verteilt. Die Bahnfahrten mussten aber bis zuletzt zuvor von den örtlichen Ämter in Ostpreußen genehmigt werden, ebenso der Zugang zu den Schiffen in Pillau und Hela. Ost- und Zwangsarbeiter waren davon ausgeschlossen, nur wenige schafften es aber trotzdem, in den Westen zu gelangen.
Der Begriff Vertreibung wird unterschiedlich verwendet. Hier meint er die zwangsweise Aussiedlung der restlichen deutschen Bevölkerung aus dem Oblast Kaliningrad.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Vertreibung
Die deutsche Restbevölkerung wurde zunächst für die Aufrechterhaltung die absolut notwendigen Versorgungsfunktionen benötigt. Die etwa 130.000 Deutschen, die nach Kriegsende noch im Kaliningrader Gebiet verblieben waren, wurden dann nach zwei Jahren - ab 1948 - gewaltsam in die damals noch Sowjetisch besetzte Zone in Deutschland abgeschoben. Es durfte nur Handgepäck mitgenommen werden. Die Ankündigung der Zwangsaussiedlung erfolgte 24 Stunden vorher. Es waren mittlerweile "genug" russische Aussiedler im Oblast Kaliningrad eingetroffen.
Bis zur endgültigen Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus dem nördlichen Ostpreußen erschien von 1947 bis 1948 noch die deutschsprachige Propaganda-Zeitung "Neue Zeit", es wurden sogar noch deutsche Schulen und "Umerziehungsprogramme" eingerichtet. Am 7. September 1946 wurde die Stadt Insterburg in Tschernjachowsk umbenannt und der Landkreis Insterburg in Rajon in Tschernjachowski rajon.
Es war im Oblast Kaliningrad nach 1945 aber insgesamt eine sehr schlimme Zeit für die verbliebene deutsche Zivilbevölkerung. Bis März 1945 wurden etwas 44.000 "Arbeitskräfte" nach Russland verschleppt. Die Verbliebenen war zu Arbeitsdiensten in den Sowchosen verpflichtet. Die Unterkünfte waren unzureichend. Die Verpflegung war so kümmerlich, dass etwa 5.000 Menschen pro Monat starben. Von zahlreichen - auch russischen - Augenzeugen wurde von übermäßig vielen Diebstählen, Massenvergewaltigungen und Morden unter der deutschen Zivilbevölkerung berichtet. Die russische Militärverwaltung verhielt sich weitgehend passiv und sah diese russischen Verbrechen (möglicherweise) als eine Reaktion auf die deutschen Verbrechen in Russland an. Von Beobachtern wurde aber immer wieder auf den übermäßigen Alkoholkonsum vieler russischer Soldaten hingewiesen, der von den Offizieren nur selten verhindert wurde und zu ausgeprägtem Vandalismus führte.
Quelle: http://doku.zentrum-gegen-vertreibung.de/archiv/frameset01_1.htm
Die wirtschaftliche und soziale Integration der 12 bis 14 Millionen deutschen Vertriebenen und Flüchtlinge aus dem Osten in die beiden neue entstandenen deutschen Staaten vollzog sich in einem langen Prozess, häufig über zwei Generationen. Es ist umstritten, welche Faktoren für die Integration ausschlaggebend waren. Bis in die 1980er-Jahre wurden vor allem die Bedeutung des Lastenausgleichsgesetzes in der Bundesrepublik und der Bodenreform in der DDR betont.
Die Einrichtung von Flüchtlingsämtern im Westen war ein erster Schritt zur Integration. Deren Aufgabe war die Organisation des gesamten Flüchtlingswesens.
- Die Flüchtlingsämter hatten in der ersten Phase vornehmlich für die provisorische Unterbringung (u. a. in Flüchtlingslagern) und erste Arbeitsbeschaffung zu sorgen.
- In einer zweiten Phase standen die längerfristige wirtschaftliche Eingliederung und Unterbringung – etwa auch durch Umsiedlung – sowie Familienzusammenführungen und der Lastenausgleich im Vordergrund.
- In der dritten Phase die individuelle Eingliederungsarbeit, die Fürsorge für vertriebene Kinder und Jugendliche, die Integration der Flüchtlingsbauern und die kulturelle Betreuung, also die endgültige Ansiedlung und Arbeitsbeschaffung.
Die rechtliche Grundlage zur sozialen und wirtschaftlichen Hilfeleistung wurde in der BRD in Form mehrerer Spezialgesetze geschaffen. Von diesen wurde am 8. August 1949 das auf gezielte Notstandsbeseitigung abhebende „Soforthilfegesetz“ (SHG) erlassen. Dieses wurde ergänzt durch das „Flüchtlingssiedlungsgesetz“ (FlüSG) vom 10. August 1949, das die berufliche Integration vertriebener Landwirte zum Gegenstand hatte. Mit dem am 1. September 1952 in Kraft getretenen Lastenausgleichsgesetz (LAG) wurde das SHG abgelöst. Das unter dem Begriff „Lastenausgleich“ zusammengefasste Gesetzgebungswerk hatte und hat zum Ziel, für Schäden und Verluste, die sich infolge der Zerstörungen der Kriegs- und Nachkriegszeit sowie der Vertreibung ergeben haben, einen Ausgleich herbeizuführen. Bis Ende 1993 wurden im Lastenausgleich Leistungen zugunsten der Geschädigten von insgesamt 123 Milliarden DM erbracht. Der Lastenausgleich, der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 formal zum Abschluss gebracht wurde, war ein für die Integration der Vertriebenen das wichtigste Gesetzgebungswerk. Es gilt als Solidarleistung aller Deutschen und ist eines der wichtigsten Gesetze der Bundesrepublik Deutschland zur Regelung der Kriegsfolgen. Nach der Wiedervereinigung konnten auch ehemalige DDR-Bürger rückwirkend ebenfalls Lastenausgleich beantragen, allerdings nur pauschale und keine individuellen Leistungen erhalten.
Zu weiteren Infos zum Lastenausgleich siehe in diesem Text: 8.9.3 Mefo-Wechsel, Währungsreform und Lastenausgleich
Die Vertriebene schufen in den 50iger Jahren in der BRD eigene Organisation, die sich aber im Laufe der Zeit ab den 80iger Jahren von politischen Interessenvertretungen zu sozialen Institutionen der Erinnerung wandelten. Dazu dienen auch einige Instituten von deutschen Universitäten. Dazu siehe auch in diesem Text: 2 Einleitung
Zur Vertriebenenpolitik siehe auch:
Die Vertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland Flucht, Vertreibung, Aufnahme und Integration | APuZ 28/1996 | bpb.de
Autoren wie Hartmut Esser sprechen von einer gelungenen Integration, wenn
- die Kultur und die Sprache angenommen wird,
- wenn eine zumutbare Wohnung gefunden wird,
- wenn ein Beruf ausgeübt wird und
- wenn eingeheiratet wird.
Quelle: Hartmut Esser, Integration
Hans-Ulrich Wehler schätzt, dass während der Verschleppung, Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung als Folgen des 2. Weltkrieges insgesamt etwa 1,71 Millionen Deutsche ums Leben kamen. Andere Quellen sprechen von über 2 Mio.
Quelle: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949
Westverschiebung von Polen
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurden die Grenzen des ehemaligen polnischen Staatsgebietes gemäß dem Potsdamer Abkommen nach Westen verschoben. Polen verlor das ethnisch gemischte, mehrheitlich von Ukrainern und Belarussen bevölkerte Drittel seines bisherigen Staatsgebietes an die Sowjetunion. Die dort ansässige polnische Bevölkerung, etwa 1,5 Millionen Menschen, wurde im Zuge der Zwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946 als Repatrianten nach Polen vertrieben. Bereits in den Jahren 1943–1944 waren zehntausende Polen in den Massakern in Wolhynien ermordet worden, hunderttausende hatten flüchten müssen.
Im Westen und Norden wurden die deutschen Gebiete östlich der Oder und Neiße (Oder-Neiße-Linie) bis gemäß den Vorgaben der Konferenzen der Alliierten in Teheran, Jalta und Potsdam Polen zuerkannt. Etwa fünf Millionen Deutsche waren gegen Kriegsende von dort geflohen und wurden durch Einreiseverbot an einer Rückkehr gehindert; nach dem Krieg wurden weitere 3,5 Millionen Menschen vertrieben. Einige deutsch- und polnischsprachige Oberschlesier und Masuren blieben in Polen. Viele, die deutsche Namen hatten, ließen diese in polnische Namen ändern. Der Gebrauch der deutschen Sprache wurde insbesondere in Schlesien zumindest bis in die 1970er Jahren von offizieller Seite eingeschränkt.
Die wiedergewonnenen Gebiete besiedelten drei Millionen Bürger aus Zentralpolen, etwa ein bis zwei Millionen Geflohene und Vertriebene aus Ostpolen und im Jahr 1947 etwa 150.000 durch die Aktion Weichsel aus dem Grenzgebiet zur Sowjetunion umgesiedelte Ukrainer und Ruthenen.
Polen hat 2020 mit rund 38 Millionen Einwohnern die achtgrößte Bevölkerungszahl in Europa und die fünftgrößte in der Europäischen Union. Im Jahr 2020 gehörte die Deutschen zu den nationalen Minderheiten in Polen mit 0,068 % der Bevölkerung. Die Anzahl der in Deutschland lebenden Polen beträgt ca. 1 Mio., wobei Doppelstaatler nicht hinzugerechnet werden.
Quelle: Polen – Wikipedia
Verwaltung im Oblast Kaliningrad
Die Verhaltungseinheiten im Oblast Kaliningrad haben sich im Laufe der Zeit vielfach geändert. Für Außenstehende ohne Spezialkenntnisse ist es schwierig, alle Veränderungen nachzuvollziehen. Einige Veränderungen der Verwaltungseinheiten konnten mit Hilfe des Internet festgestellt werden. Zu einer ersten Einschätzung der Bevölkerungsverteilung wurde die Dichte (Einwohner pro Quadratkilometer) berechnet und mit angegeben.
Kaliningrad ( 62 Einwohner/qkm)
Oblast Kaliningrad – Wikipedia
Stadtkreise:
Baltijsk (Pillau) 356 Einwohner/qkm ,
Jantarny (Palmnicken) 302 Einwohner/qkm ,
Kaliningrad (Königsberg) 1937 Einwohner/qkm ,
Laduschkin (Ludwigsort) 135 Einwohner/qkm ,
Mamonowo (Heiligenbeil) 80 Einwohner/qkm ,
Pionerski (Neukuhren) 1327 Einwohner/qkm ,
Sowetsk (Tilsit) 952 Einwohner/qkm ,
Swetlogorsk (Rauschen) 458 Einwohner/qkm ,
Swetly (Zimmerbude) 344 Einwohner/qkm
Rajon mit Stadtkreis-Verwaltung:
Gussew (Gumbinnen 58 Einwohner/qkm ) Der Stadtkreis Gussew bekam als Verwaltungseinheit im Jahr 2008 den Status eines "munizipalen" Rajons und wurde mit Munizipaler Rajon Gussew (усевский муниципальный район, Gussewski munizipalny rajon) bezeichnet; darin wurde die kommunale Selbstverwaltung auf die lokale Ebene ausgeweitet und die bestehenden sieben Dorfbezirke in vier Landgemeinden umgewandelt. Im Jahr 2013 bekam die Verwaltungseinheit wieder den Status eines Stadtkreises.
Der Munizipalkreis ist vorgesehen, wenn das Gebiet von einer einzigen Stadt aus zentral verwaltet werden soll, aber der Anteil dieser städtischen Bevölkerung weniger als 2/3 des gesamten Rajons ausmacht oder die Bevölkerungsdichte weniger als das fünffache der Bevölkerungsdichte der gesamten Russischen Föderation beträgt. (2022 betrug die durchschnittliche Dichte in der Russischen Föderation 8,45 Einwohner/qkm, mal 5 = 42,25 Einwohner/qkm) So wurden zum 1. Januar 2022 u.a. aufgrund dieser Vorgaben in der Oblast Kaliningrad zwölf Stadtkreise in Munizipalkreise umgewandelt
Rajons mit Munizipalkreis-Verwaltung:
Bagrationowsk (Preußisch Eylau) 1.146,1 qkm, 32 Einwohner/qkm, 11 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Gurjewsk (Neuhausen) 1.436,6 qkm, 41 Einwohner/qkm, 10 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Gwardeisk (Tapiau) 784,2 qkm, 38 Einwohner/qkm , 7 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Krasnosnamensk (Haselberg) 1.281,1 qkm, 10 Einwohner/qkm, 7 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Neman (Ragnit) 680,9 qkm, 29 Einwohner/qkm, 6 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Nesterow (Ebenrode) 1.062 qkm, 15 Einwohner/qkm, 7 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden Osjorsk (Angerapp) 881,4 qkm, 17 Einwohner/qkm, 6 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Polessk (Labiau) 833,3 qkm, 23 Einwohner/qkm, 6 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Prawdinsk (Friedland) 1.283,8 qkm, 15 Einwohner/qkm, 9 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Selenogradsk (Cranz) 2.109,6 qkm, 16 Einwohner/qkm, 6 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Slawsk (Heinrichswalde) 1.359,8 qkm, 12 Einwohner/qkm, 7 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
Tschernjachowsk (Insterburg) 1.240,6 qkm, 36 Einwohner/qkm, 7 Dorfdorfsowjets/Großgemeinden
In den Jahren 1828-1835 führte eine wichtige Autostraße durch Insterburg, die später zur Reichsstraße Nr. 1 wurde. Seit 1860 ist die Stadt Eisenbahnknotenpunkt der Strecken Berlin-Königsberg-Kaunas und Tilsit-Thorn. Es gab auch eine lokale Kleinbahnlinie für die umliegenden Landkreise, die in der Stadt ihren Sitz hatte. Dank der guten Verkehrsanbindung hatten sich in der Stadt eine Reihe von Industrieunternehmen angesiedelt - mehrere Maschinenbauwerke, eine Eisengießerei und eine Flachsspinnerei.
Der Erste Weltkrieg betraf auch Ostpreußen, auf dessen Territorium Kämpfe zwischen der russischen und der deutschen Armee stattfanden.
Am 24. August erschienen russische Kosakenpatrouillen in Insterburg, und schon am nächsten Tag wurde der Gouverneur der Stadt, Dr. M. Bierfreund, ernannt.
Das Hotel Dessauer Hof beherbergte das Hauptquartier der 1. Russischen Armee unter dem Kommando von General Rennenkampf. Am 5. September 1914 fand eine Parade statt, aber bereits am 11. September 1914 mussten die russischen Truppen unter dem Ansturm der 8. deutschen Armee die Stadt verlassen.
Während des Zweiten Weltkriegs, im August 1944, wurde die Stadt von britischen Flugzeugen bombardiert. Am 21. und 22. Januar 1945 marschierten während der Operation Insterburg-Königsberg Truppen der Roten Arbeiter- und Bauernarmee in die Stadt ein. 1972, wurde die 1610-1612 erbaute lutherische Pfarrkirche auf dem Alten Markt (heute Leninplatz) gesprengt. Eine der drei Glocken ist erhalten geblieben. Sie befindet sich heute in der Nikolaikirche in Hannover-Botfeld. Insterburg hatte 1939 43.928 Einwohner
Nach dem Krieg wurde die Stadt zu Ehren des Generals Iwan Danilowitsch Tschernjachowski, umbenannt. Iwan Danilowitsch Tschernjachowski (russisch Иван Данилович Черняховский) geboren am 29. Juni 1906 in Uman, Russisches Kaiserreich. Der Nachname Chernyakhovsky stammt vom Namen der Stadt Chernyakhov in der Ukraine ab.
Dieser General war seit Frühjahr 1944 Kommandeur der 3. Weißrussischen Front der Roten Armee, die zunächst weite Teile Ostpreußens eroberte. Er war der jüngste Armeegeneral in der Geschichte der sowjetischen Roten Armee. Am 28. Juni 1944 wurde er im Alter von 38 Jahren zum Armeegeneral befördert.
Ein erster vom 16. Oktober bis 27. Oktober 1944 durch die Rote Armee unternommener Versuch (Gumbinnen-Goldaper Operation), in das Gebiet Ostpreußens vorzustoßen, wurde nach anfänglichen Gebietsgewinnen zum Misserfolg, da es der Wehrmacht gelang, die Stadt Goldap zurückzuerobern und schließlich nur das Waldgebiet Rominter Heide in sowjetischer Hand blieb. Während dieses Vorstoßes begingen sowjetische Soldaten das Massaker von Nemmersdorf.
Als Massaker von Nemmersdorf werden die Ereignisse um den 21. Oktober 1944 im damals deutschen Dorf Nemmersdorf in Ostpreußen (heute Majakowskoje, Russland) bezeichnet, bei denen nach heutigen Erkenntnissen zwischen 19 und 30 Menschen getötet wurden, nachdem die Rote Armee den ostpreußischen Ort besetzt hatte. Feststeht, das 11 davon Frauen und 4 Kinder waren. Mindestens zwei, vielleicht auch drei junge Frauen wurden vergewaltigt.
Im Kern dieser Ereignisse steht die Erschießung von 13 einheimischen Zivilisten, die sich vor den Kampfhandlungen zwischen der Wehrmacht und den sowjetischen Truppen in einen Bunker geflüchtet hatten. Hinzu kommen sechs weitere Nemmersdorfer und möglicherweise auch einige ortsfremde Personen, die bei der Einnahme Nemmersdorfs ums Leben kamen. Das Massaker wurde von der deutschen Propaganda u.a. mit gestellten Fotos ausgeschlachtet. Die Hintergründe für den Tod der dortigen Zivilisten sind bis heute nicht restlos geklärt.
Quellen:
Massaker von Nemmersdorf – Wikipedia
Im Januar 1945 wurde die 3. Weißrussische Front nach einer Ruhepause und erheblichen Verstärkungen erneut in der Schlacht um Ostpreußen eingesetzt. Da es den Truppen Tschernjachowskis gelang, den um die deutschen Truppen gebildeten Kessel im Süden und Osten abriegelten, führte diese Operation diesmal zum Sieg der Roten Armee. Tschernjachowski wurde zum Oberbefehlshaber in Ostpreußen ernannt. Am 18. Februar 1945 ist er in Mehlsack, etwa 55 Kilometer südwestlich von Königsberg durch einen Granatsplitter tödliche verwundet worden.
Tschernjachowsk (russisch Черняховск, deutsch Insterburg, litauisch Įsrutis, polnisch Wystruć), ist als Stadt der Sitz des Stadtkreises Tschernjachowsk im Rajon Tschernjachowsk in der russischen Oblast Kaliningrad mit 35.400 Einwohnern). Weitere Städte größere sind Sowjetsk (Tilsit) mit 39.000 und Baltijsk (Pillau) mit 33.700 Einwohnern Stand 14. Oktober 2021.
Rajon Tschernjachowsk – Wikipedia
Seit der Auflösung der Sowjetunion und dem Beitritt der Nachbarländer in die EU liegt Tschernjachowsk in einer russischen Exklave und hat mit großen wirtschaftlichen Problemen und einer hohen Arbeitslosenquote zu kämpfen. 2003 erreicht die Stadt mit 44.300 Einwohner ihren Höchststand, seitdem ist aber die Tendenz rückläufig. 2021 waren es nur noch 35.400 Einwohner
1996 eröffnete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Tschernjachowsk einen wiederhergestellten Friedhof aus dem Ersten Weltkrieg für 556 deutsche und 165 russische Gefallene. Die Anlage wurde unter anderem durch deutsche und russische Teilnehmer von Jugendlagern restauriert. Sie wurde von da an als Deutscher Soldatenfriedhof Insterburg zum Sammelfriedhof auch für über 8700 im östlichen Ostpreußen 1945 gefallene deutsche Soldaten. Die Umbettungen hierher dauern an. Lokalinitiativen stellten gemeinsam mit der Insterburger Landsmannschaft seit Mitte 1990er einige Bauten (Bogenbrücke) und Denkmäler (Ulanen) wieder her. Ein Reiterstandbild erinnert seit 2007 an den russischen Feldmarschall schottisch-baltischer Herkunft Michael Barclay de Tolly, der 1818 unweit der Stadt starb. Der Ordensburg nimmt sich die 1997 ins Leben gerufene private einheimische russische Stiftung Samok Insterburg an.
Tschernjachowsk ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt (Bahnhof Tschernjachowsk). Durch sie führt die Eisenbahnlinie Kaliningrad-Tschernyschewskoje (weiter nach Litauen, Weißrussland und Russland). Zwei weitere Eisenbahnlinien verbinden Tschernjachowsk mit Sovetsk (dann geht diese Eisenbahn nach Litauen) und Schelesnodoroschny (im Folgenden nach Polen). Die Autobahn A229 Kaliningrad-Minsk führt durch Tschernjachowsk.
In Tschernjachowsk gibt es einen Flusshafen am Fluss Pregolja (der Betrieb wurde nach dem Zusammenbruch der UdSSR eingestellt). Von 1936 bis 1945 gab es in Insterburg einen O-Busverkehr. Seit 1950 wird der öffentliche Nahverkehr mit Diesel-Busse organisiert.
Quelle: Tschernjachowsk – Wikipedia (Russische Wikipedia-Seite von Insterburg - übersetzt)
Der Rajon wurde am 7. April 1946 als Insterburgski rajon gegründet. Er entsprach ungefähr dem bis 1945 bestehenden Landkreis Insterburg, wurde im Nordwesten aber bis an die ehemalige Reichsstraße 138 herangeführt, beinhaltete dabei den Ort Popelken (1938 bis 1945 "Markthausen") und darüber hinaus auch den Ort Mehlauken (1938 bis 1945 "Liebenfelde"). Zuständig für den Rajon war ab Ende Mai 1946 zunächst die „Verwaltung für zivile Angelegenheiten des Rajons Insterburg“ (ru. Управление по гражданским делам Инстербургского района, Uprawlenie po graschdanski delam Insterburgskowo rajona).
Am 7. September 1946 wurde die Stadt Insterburg in Tschernjachowsk umbenannt und der Rajon in Tschernjachowski rajon. So wie die Stadt Insterburg kreisfrei geblieben war, war auch Tschernjachowsk zunächst rajonfrei. Am 6. Juni 1947 wurde zur Verwaltung des Rajons das Exekutivkomitee des Tschernjachowsker Rajonsowjets der Abgeordneten der Werktätigen ernannt (ru. Исполнительный комитет Черняховского районного Совета депутатов трудящихся, Ispolnitelny komitet Tschernjachowskowo rajonowo Soweta deputatow trudjaschtschichsja; kurz: Черняховский Райисполком, Tschernjachowski Rajispolkom). Bei der Gründung des Rajons Bolschakowo am 25. Juli 1947 gingen die in Kalinowka, Salessje und Wyssokoje umbenannten Orte Groß Aulowönen (1938 bis 1945 "Aulenbach"), Popelken und Mehlauken an diesen über.
Der Rajon Tschernjachowsk (russisch Черняховск), Landkreis Insterburg ist eine Verwaltungseinheit in der russischen Oblast Kaliningrad. Er hatte 2010 etwa 51.900 Einwohner. Er liegt im Zentrum der Oblast Kaliningrad. Seit 2016 besteht der Rajon nur noch administrativ-territorial und wird als Administrativer Rajon Tschernjachowsk (russisch Черняховский административный район) bezeichnet. Die kommunale Selbstverwaltung ist als Munizipalkreis organisiert, dessen Verwaltungssitz die Stadt Tschernjachowsk (Insterburg) ist. Der Rajon Tschernjachowsk bekam als Verwaltungseinheit im Jahr 2008 den Status eines "munizipalen" Rajons und wurde als Munizipaler Rajon Tschernjachowsk bezeichnet (ru. Черняховский муниципальный район, Tschernjachowski munizipalny rajon).
Darin wurde die kommunale Selbstverwaltung auf die lokale Ebene ausgeweitet und die bestehenden sieben Dorfbezirke sowie der Bereich der Tschernjachowsker Stadtadministration in drei Landgemeinden und die städtische Gemeinde Tschernjachowskoje umgewandelt. Im Jahr 2016 wurde die kommunale Selbstverwaltung (wieder) als Stadtkreis organisiert. Im Jahr 2022 wurde der Stadtkreis (wieder) in einen Munizipalkreis umgewandelt. Zu den Orte der kommunalen Selbstverwaltungseinheit Munizipalkreis Tschernjachowsk und Wüstungen im Rajon Tschernjachowsk siehe:
Quelle: Tschernjachowsk – Wikipedia
Das Wort "Inster" war in der baltisch-preußischen Sprache der Name des Flusses, an dem die Burg errichtet wurde, und wird verwendet, um mit "Flüsse" übersetzt zu werden. Das Wort "Burg" bedeutete auf Deutsch "Festung". Der ganze Name "Insterburg" wurde mit "Festung am Wasser" übersetzt. Der Ortsname Insterburg wird 1340 erstmalig erwähnt: „ad castrum Insterburg“.
Insterburg wurde nach dem sowjetischen General Iwan Tschernjachowski in Tschernjachowsk umbenannt. Dieser General war Kommandeur der 3. Weißrussischen Front der Roten Armee, die weite Teile Ostpreußens eroberte, und kam am 18. Februar 1945 bei Mehlsack ums Leben. Der Nachname Chernyakhovsky stammt vom Namen der Stadt Chernyakhov in der Ukraine ab.
Das Dorf Grünheyde wurde 1785 als „cölmisch Gut“ erstmals erwähnt. Am 11. März 1874 wurde der Gutsort Amtsdorf und damit namensgebend für einen neu errichteten Amtsbezirk, der bis 1945 zum Kreis Insterburg im Regierungsbezirk Gumbinnen der preußischen Provinz Ostpreußen gehört. Im Jahre 1910 zählte Grünheide 249 Einwohner.
Am 30. September 1928 schlossen sich die Landgemeinden Berszienen (1936–1946: Berschienen), Kirchspiel Grünheide, und Budupönen (beide nicht mehr existent) mit dem Gutsbezirk Grünheide zur neuen Landgemeinde Grünheide zusammen. Die Einwohnerzahl betrug 1933 insgesamt 541 und stieg bis 1939 auf 611. Grünheide besaß neben Schule und Post eine Filiale der An- und Verkaufsgenossenschaft Insterburg sowie die Mühle Tetmeier mit großem landwirtschaftlichem Handel
Kaluschskoje (russisch Калужское, deutsch Grünheide, Kreis Insterburg, litauisch Gryneidė ) ist ein Ort in der russischen Oblast Kaliningrad im Rajon Tschernjachowsk. Die Siedlung gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Munizipalkreis Tschernjachowsk. Die Landgemeinde Kaluschskoje selskoje posselenije (ru. Калужское сельское поселение) wurde im Jahr 2008 eingerichtet.
Sie befand sich im Nordosten des Rajon Tschernjachowsk und umfasste eine Fläche von 237 km². Sie zählte 4.790 Einwohner (Stand: 14. Oktober 2010), die in 34 jeweils „Siedlung“ (russisch: possjolok) genannten Ortschaften lebten, die vorher den Dorfbezirken Kalinowski selski okrug, Kaluschski selski okrug und Sagorski selski okrug zugeordnet waren. Der Amtssitz der Gemeinde war Sagorskoje. Sagorskoje (russisch Загорское, deutsch Pelleningken , 1938–1945 Strigengrund, litauisch Peleninkai) ist ein Ort in der russischen Oblast Kaliningrad. Er liegt im Rajon Tschernjachowsk und gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Tschernjachowsk. Zum Ende 2015 wurde die Gemeinde aufgelöst und deren Orte in den neu gebildeten Stadtkreis Tschernjachowsk eingegliedert. Die Kaluschskoje selskoje posselenije war ursprünglich in 34 „Siedlungen“ untergliedert. Zur Liste dieser Siedlungen siehe:
Quelle: Kaluschskoje (Kaliningrad) – Wikipedia
Am 11. März 1874 wurde Groß Aulowöhnen Amtsdorf und somit namensgebend für einen neu errichteten Amtsbezirk. Die Einwohnerzahl des Ortes mit Kirche, Gut, Schule und zwei Ziegeleien betrug 341 im Jahre 1910. Am 1. Dezember 1923 kam es zum Zusammenschluss der Landgemeinde Groß Aulowönen mit der Nachbargemeinde Uszupönen (Uschupönen) zur neuen Landgemeinde Aulowönen (ohne Zusatz). Am 30. September 1928 schließlich wurden der Gutsbezirk Alt Lappönen und teilweise auch der Gutsbezirk Gründann (heute nicht mehr existent, vorher im Amtsbezirk Buchhof) in die Landgemeinde Aulöwnen eingemeindet. Die Einwohnerzahl stieg dadurch bis 1933 auf 1.026 und belief sich 1939 auf 1.049.
Kalinowka (russisch Калиновка, deutsch Aulowönen), 1938 –1945 Aulenbach (Ostpreußen), litauisch Aulavėnai) ist ein Ort in der russischen Oblast Kaliningrad. Er gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Munizipalkreis Tschernjachowsk zur Landgemeinde im Rajon Tschernjachowsk. Gleichzeitig wurde der Ort Sitz eines Dorfsowjets und Verwaltungssitz. Der Ort erhielt im Juni 1947 die russische Bezeichnung Kalinowka, offenbar nach dem russischen Wort kalina, das auf den Strauch Gewöhnlicher Schneeball verweist. Seit Juli 1947 gehörte Kalinowka zum Rajon Bolschakowo und seit dessen Auflösung Ende 1962 zum Rajon Tschernjachowsk. Von 2008 bis 2015 gehörte der Ort der Landgemeinde Kaluschskoje selskoje posselenije an und seither dem Munizipalkreis Tschernjachowsk. Im Jahr 2022 wurde der Stadtkreis (wieder) in einen Munizipalkreis umgewandelt Kalinowka ist ein Dorf im Rajon Tschernjachowski des Kaliningrader Gebiets Kaliningrad, das zur ländlichen Siedlung Kaluschskoje (Grünheide) gehört. Die Einwohnerzahl von Kalinowka beträgt 2010 457 Personen.
Quelle: Kalinowka (Kaliningrad, Tschernjachowsk) – Wikipedia
Die Fläche der (teil) aufgelassenen Dörfer Wilkental und Alt Lappönen und wurde nach 1945 der weiter bestehenden Gemeinde Kalinowka (russisch Калиновка, deutsch Aulowönen) bzw. Lindenhöhe zu Kaluschskoje (russisch Калужское, deutsch Grünheide) zugeschlagen. Die Auflassung bewirke, dass alle früheren ländlichen Privatgrundstücke dem Rajon in Form von Kolchosen oder dem Oblast als Sowchosen zugeordnet wurden. Der Verstaatlichung des Bodens folgte die der Banken, der Industriebetriebe und der Versorgungsnetze, die sowjetische Gesetzgebung wurde eingeführt.
Auf den folgenden deutschen Karten von 1939, den Google Luftbildern vom 24.03. 2016 und den russischen Karten von 2012 ist das Vorhandensein und Nichtvorhandensein von Straßen und Gebäuden erkennbar, obwohl es auch Besonderheiten gibt. Auf den Luftbildern sind schon Neubauten zu finden, die auf der russischen Karte noch nicht vorhanden sind. Demnach ist der Abbildungsstand dieser russischen Karten wahrscheinlich vor dem 24.03.2016 anzusehen.
Wilkental / Willschicken lag ca. 22 km nördlich von Insterburg und ca. 3 km östlich von Aulenbach. Willschicken (1938 umbenannt in Wilkental) wurde etwa um 1785 als Schatulldorf erwähnt. Es lag in Ostpreußen, in Preußisch-Litauen im Regierungsbezirk Gumbinnen, Landkreis Insterburg, Amtsbezirk Franzdorf, im Kirchspiel Aulowönen. 1939 leben in Willschicken 127 Einwohner in 35 Haushalten auf 22 Höfen, davon sind 12 Einwohner unter 6 Jahren, 102 zwischen 14-65 Jahren und 23 Personen über 65 Jahren alt. Es werden folgende Erwerbstätige gezählt: 104 Personen in der Land- und Forstwirtschaft, 6 Personen in Handwerk und Industrie, ohne eigenen Beruf sind 36 Personen. Es gibt 35 mithelfende Familienmitglieder und 37 Arbeiter. Diese wohnen nicht alle in Willschicken. Quellen: Niekammers Güteradressbuch 1932, Kurt Henning und Frau Charlotte geb. Zilius, Der Landkreis Insterburg, Ostpreußen - Ein Namenslexikon, ca. 1970, Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990 von Dr. Michael Rademacher M.A. Es war auch der Wohnsitz der Familien Ferdinand Tuttlies und Ewald Tuttlies. In russischen Darstellungen wird die ehemalige Fläche von Wilkental nach 1945 dem Ort Datschnoje (Alt Lappönen) zugeschlagen. Zum Thema Wüstungen im Rajon Tschernjachowsk siehe auch die Liste im Anhang in: Wikipedia Tschernjachowsk und zur allgemein Dorfentwicklung: Willschicken – GenWiki (genealogy.net)
Karte: Verzeichnis der Hofbesitzer und Pächter der Gemeinde Wilkental (Ksp. Aulenbach Ostp.) früher Willschicken, ca. 1944, Entworfen von Reinhard Mattulat und Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies, 2020, auf den Messtischblättern 1196/1197, (1934/1939) [406]
Karte: Teile der Gemeinde Kalinowka (Aulowöhnen) mit Teilen der Gemeinde Datschnoje (Alt Lappönen) und der aufgelassene Gemeinde Wilkental 2012 [407]
Luftbild der aufgelassenen Gemeine Willschicken vom 24.03.2016. Zur Google-Markierung der Kriegsgräberstätte siehe Kapitel 6.3.3 Gut Alt Lappönen. Das vorhandene Luftbild kann ab Januar 2024 nicht mehr aufgerufen werden [408]
Datschnoje (russisch Дачное, deutsch Alt Lappönen, litauisch Lapėnai) ist ein Dorf (russisch дере́вня село́) in der russischen Oblast Kaliningrad. Er gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Tschernjachowsk im Rajon Tschernjachowsk. In Kriegsfolge kam Alt Lappönen 1945 mit dem nördlichen Ostpreußen zur Sowjetunion. 1947 erhielt der Ort die russische Bezeichnung „Datschnoje“ und wurde gleichzeitig dem Dorfsowjet Kalinowski selski Sowet im Rajon Bolschakowo zugeordnet. Später gelangte der Ort mit dem Dorfsowjet in den Rajon Tschernjachowsk. Von 2008 bis 2015 gehörte Datschnoje zur Landgemeinde Kaluschskoje selskoje posselenije und seither zum Stadtkreis Tschernjachowsk.
Quelle: Dachnoe - Alt Lappenen bis 1946 (prussia39.ru)
Am östlichen Rand Datschnojes befindet sich ein gut erhaltener und gepflegter Kriegsgräberfriedhof des Ersten Weltkrieges. 183 Soldaten der deutschen kaiserlichen Armee, die im August/September 1914 gefallen sind, sind in Alt Lappenen auf dem "Heldenfriedhof" begraben. In der Mitte des Militärgrabes befindet sich auf einem niedrigen Steinsockel ein 5 m hoher Obelisk aus Granitblöcken. Auf der Ebene des Denkmals befindet sich im oberen Teil eine Inschrift, die derzeit schwer zu unterscheiden ist - das Bild des Ordens vom Eisernen Kreuz. Um den Obelisken herum stehen sechs unregelmäßig geformte Steine aus rosafarbenem Granit, auf denen die Namen der Toten eingraviert sind, die heute kaum noch zu unterscheiden sind. Das rechteckige Territorium des Militärgrabes ist von einem Metallzaun umgeben. Eine Betontreppe mit Metallgeländer führt zum Eingang. Durch den Erlass der Regierung des Kaliningrader Gebiets vom 23. März 2007 Nr. 132 erhielt das Begräbnis der im August-September 1914 gefallenen deutschen Soldaten den Status eines Kulturerbes von lokaler (kommunaler) Bedeutung. Das Kriegsgrab wurde 1999 vom Deutschen Volksbund zur Kriegsgräberpflege restauriert. Im Zentrum steht ein Obelisk aus Granit, der Anfang der 1920er Jahre aus Oberschlesien nach hier geholt wurde. Außerdem sind beschriftete Grabstelen zu sehen, und im Jahre 2010 wurden zusätzliche Symbolkreuzgruppen aufgestellt. Zum Thema Kriegsgräberstätte siehe : Alt Lappönen - Bau, Pflege und Instandsetzung | Volksbund.de auch Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net) und den Gliederungspunkt 7.5.2. in diesen Text.
Das Gut Alt Lappönen lag westlich von Willschicken. (siehe auch Gliederungspunkt 6.3.2 Gut Alt Lappönen in diesem Text). Im Jahre 1910 zählte der Gutsbezirk Alt Lappönen 147 Einwohner. Am 30. September 1928 gab Alt Lappönen seine Eigenständigkeit auf und wurde in die Landgemeinde Aulowönen (Kalinowka) eingegliedert.Während der Hyperinflation 1920 wurde das Gut, es ist noch 457 ha groß, aber aufgelöst. Es entstanden 24 Bauernhöfe – alle ca. 20 ha groß, die, als das Rittergut Alt Lappönen nahe Willschicken nach 1920, dessen letzter Besitzer Herr Ornhorst war, durch die gemeinnützige „Baugesellschaft Königsberg“ für Neusiedler bereitgestellt wurden. Hier wurde eine zusätzlich Tuttlies-Familien als Neusiedler heimisch - siehe Karte Lappönen-Neusiedler. Alt Lappönen wurde 1925 unter Beibehaltung des Ortsnamens Aulowönen angegliedert und bildet somit einen Ortsteil von Aulowönen (Kalinowka, russisch Калиновка). Direkt in Aulowönen war auch noch ein weiteres Mitglied der Tuttliesen, nämlich Johann Ferdinand Tuttlies zu Hause. Er besaß einen Bauernhof und ein Baugeschäft. Er hat als Maurermeister seinen Enkel Ferdinand Tuttlies persönlich zum Maurer ausgebildet. Ebenfalls hat in diesem Baugeschäft der Ur-Enkel Erich Tuttlies eine Maurerlehre absolviert - beide aus Willschicken. Zum Thema Alt Lappönen siehe auch Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net)
Die russischen Kartenabbildungen stimmen nicht immer mit den Luftbildern überein.
Karte: Gemeinde Alt Lappönen Neusiedler, Die Zuordnungen auf Messtischblatt von Lappönen (1939) wurde von Herrn Mattulat 2021 unter Mithilfe von Hildegard Kiehl geb. Tuttlies erstellt. [409]
Karte: Teile der Gemeinde Kalinowka (Aulowöhnen) mit der russischen Gemeinde Dachnoye (Alt Lappönen) 2012, [410]
Luftbild der russischen Gemeinde Dachnoye früher Gemeinde Willschicken vom 24.03.2016. Das vorhandene Luftbild kann ab Januar 2024 nicht mehr aufgerufen werden [411]
Datschnoje (russisch Дачное, deutsch Alt Lappönen, litauisch Lapėnai) ist ein Dorf (russisch дере́вня село́) in der russischen Oblast Kaliningrad. Er gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Tschernjachowsk im Rajon Tschernjachowsk. In Kriegsfolge kam Alt Lappönen 1945 mit dem nördlichen Ostpreußen zur Sowjetunion. 1947 erhielt der Ort die russische Bezeichnung „Datschnoje“ und wurde gleichzeitig dem Dorfsowjet Kalinowski selski Sowet im Rajon Bolschakowo zugeordnet. Später gelangte der Ort mit dem Dorfsowjet in den Rajon Tschernjachowsk. Von 2008 bis 2015 gehörte Datschnoje zur Landgemeinde Kaluschskoje selskoje posselenije und seither zum Stadtkreis Tschernjachowsk.
Quelle: Dachnoe - Alt Lappenen bis 1946 (prussia39.ru)
Pillwogallen später Lindenhöhe grenzte nord-westlich an Willschicken. Die unmittelbare Nachbargemeinde von Wilkental hatte 1939 gezählte 187 Einwohner auf 32 Höfen, 8 davon bildeten den alten Dorfkern - an der Grünheider - Aulowöhner Chaussee. Sie verläuft in der oberen Kartenhälfe von Osten nach Westen. Hier lag auch das Kolonialwarengeschäft mit Gastwirtschaft und Saalbetrieb der Familie Kiehl bzw. Lerdon. In Pillwogallen lernte Hildegard Tuttlies ihren Mann Gerhard Kiehl kennen und ging dort zur Schule. In Geschäft von Fritz Lerdon wurde der tägliche Bedarf eingekauft. Es wurden auch die angeschlossene Gaststätte und die Tanzvergnügen besucht. Hier hatte auch der Posthalter Link seine Poststelle. Die Hebamme, die Berta Tuttlies bei den Geburten half, wohnte hinter dem Gasthof. Die Eltern von Ursel Weihnowski, der Schulfreundin von Hildegard Kiehl, hatten in Lindenhöhe ihren Hof.
Karte: Gemeinde Lindenhöhe, Die Zuordnungen auf Messtischblatt von Gumbinnen (1939) wurde von Herrn Mattulat 2021 unter Mithilfe von Hildegard Kiehl geb. Tuttlies erstellt. [412]
Karte: Teile der Gemeinde Kaluschskoje (russisch Калужское) Grünheide mit der aufgelassenen Gemeinde Lindenhöhe 2012, russische [413]
Luftbild der aufgelassenen Gemeine Lindenhöhe vom 24.03.2016. Das vorhandene Luftbild kann ab Januar 2024 nicht mehr aufgerufen werden [414]
Internetzugriffe auf Verwaltungsseiten des Rajon Tschernjachowsk (Insterburg) und der russischen Oblast Kaliningrad (Ostpreußen).
Es gibt eine russische Internetseite des Nachbarortes von ehemaligen Willschicken nämlich Dachnoye (Alt Lappönen)
dachnoye kalingrad - Bing Karten
Dachnoe - Alt Lappenen bis 1946 (prussia39.ru)
Auf der obigen Seite Dachnoe - Alt Lapp(ö)nen ist ein Video von Dachnoe - Alt Lapp(ö)nen von 3:25 Min. von 12.5.2022 aus der Luft zusehen.
Zum Video über Dachnoe (Alt Lappönen) die Quelle: 4K. Дачное. Черняховский район. Калининградская область - YouTube
Über Kalingrad (Insterburg) siehe den Link
Preußen39 - Kaliningrader Gebiet (prussia39.ru)
Über Willschicken / Wilkental siehe den Link
Über Kalinowka (Aulowönen) siehe den Link
Kalinowka (Kaliningrad, Tschernjachowsk) – Wikipedia
Über Alt Lappönen siehe den Link
Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net)
Im Internet ist die "Verwaltung der Kommunalbildung Tschernjachowski-Stadtbezirk des Kalinader Gebietes" vertreten
Die Seiten der Verwaltung des Stadtbezirk Tschernjachowski können teilweise u.a. mit der Suchmaschine BING automatisch ins Deutsche übersetzt werden vertreten unter dem Link
(inster39.ru) .
Das Internetportal „inster 39“ wurde Anfang 2024 abgeschaltet.
Ein weiterer "offizieller" Link, auch für die gesamte Russische Föderation ist der Link "Meine Stadt"
Volksenzyklopädie "Meine Stadt" (mojgorod.ru)
Volksenzyklopädie "Meine Stadt". Kaliningrader Gebiet (mojgorod.ru)
Volksenzyklopädie "Meine Stadt". Tschernjachowsk (Kaliningrader Gebiet) (mojgorod.ru)
Umfangreiche digitalisierte Karten von Kaliningrad gibt es in der Plattform EtoMesto unter:
Zwei Kilometer des Kaliningrader Gebiets (etomesto.ru)
Königsberg plan of 1928 (etomesto.com)
Weitere (Propaganda) Quellen sind
der Königsberger Express online koenigsberger-express.com
Das Internetportal „Kaliningrad-Domizil“ wurde Anfang Juli 2023 abgeschaltet.
Kirche
Allein in den Jahren von 1917 bis 1922 verurteilten die bolschewistischen Machthaber in Russland 2.691 Priester, 1.962 Mönche und 3.447 Nonnen der russische orthodoxen Kirche aus ideologischen Gründen zum Tode, außerdem wurden ca. 15.000 Geistliche ohne Urteil hingerichtet. Die Zahl der geistlichen Würdenträger reduzierte sich damit von 160 im Jahr 1914 auf vier amtierende Bischöfe im Jahr 1943. Von den über 50.000 Kirchen in der Sowjetunion konnten 1943 noch gerade 500 genutzt werden. Die Religionsverfolgung unter Stalin und seinen Nachfolger wurde bis etwa 1960 fortgesetzt.
Quelle: Kirchenverfolgung in der Sowjetunion – Orthpedia
Die Welle der Christenverfolgung in Russland am Ende der 1950er-Jahre und Anfang der 1960er-Jahre hatte im Kaliningrader Oblast keine große Wirkung, weil die Gruppen der noch vorhandenen Gläubigen sehr klein, fest im Glauben und erfolgreich im Geheimen agierten (maximal 20 bis 30 Leute). Im Jahre 1967 wurde in Kaliningrad lediglich eine baptistische Gemeinde registriert, die ein Gebetshaus eröffnete und bis 1985 die einzige legale religiöse Gruppe blieb.
Von den 294 Kirchen, die es 1945 Ostpreuße gab, wurden 252 durch den Krieg beschädigt oder zerstört. Die Kirchtürme waren häufig von Artilleriebeobachtern besetzt und wurden deshalb zuerst beschossen. Zweckentfremdet, als verfallende Ruine gerade noch erhalten oder gänzlich vom Erdboden verschwunden ist der überwiegende Teil der Kirchen im Oblast Kaliningrad. Von den erhaltenen oder halb zerstörten Kirchbauten wurden im Oblast nach dem Krieg viele zweckentfremdet - z. B. als Kasernenunterkunft, Kino, Konzertsaal, Museum für den Atheismus, Sporthalle, Stall oder Lager. Darüber hinaus waren Kirchen oft Fundorte für weiterzuverwendende Baustoffe wie Ziege, Dachpfannen und Holzbalken. Holz der Empore, Kirchengestühl, Altare, Kanzeln, Wandbilder, Verkleidungen, Türen und Fenster wurden häufig zum Verfeuern im Winter gebraucht. Ab 2010 wurden noch benutzbare evangelische und katholische Kirchen in orthodoxe umgewidmet.
Quelle: Kategorie:Kirchengebäude der Kirchenprovinz Ostpreußen – Wikipedia
Die Kirche in Aulowönen (der Ort hieß von 1938 bis 1946 Aulenbach (Ostpreußen)) war eine Mitte des 18. Jahrhunderts neu erbaute Feldsteinkirche mit (späterem) Holzturm. Das Vermieten der Kirchstände und Sitze war wohl immer ein sehr einträgliches Geschäft für die Gemeinde. Eine Liste aus dem Jahr 1799 nennt die Namen derjenigen, die sich so einen Platz in der Kircher erworben haben, fast die Hälfte der dort aufgeführten Namen sind Salzburger Nachkommen. Bis 1945 war sie das evangelisches Gotteshaus für die in 44 Orten im Kirchspiel Aulowönen (heute russisch: Kalinowka) lebenden Menschen. Im Jahr 1925 zählte die Gemeinde 4726 Gemeindeglieder. Die 1610 gegründete Kirche in Aulowöhnen, die Tauf-, Konfirmation-, Hochzeits- und Beerdigungskirche der Tuttliesen aus Willschicken wurde nach 1945 zu einem nicht bekannten Zeitpunkt abgerissen. Der ehemalige Standort der Kirche ist heute nicht mehr erkennbar.
Erst in den 1990er Jahren entstanden wieder neue evangelisch-lutherische Gemeinden, von denen heute Bolschakowo (Groß Skaisgirren, 1938–1946 Kreuzingen) dem heutigen Kalinowka am nächsten liegt.
Zur evangelisch-lutherischen Kirche in der Oblast Kaliningrad gehören 2010 etwa 1.000 Gemeindeglieder in 38 Gemeinden. 2020 lebten noch etwa 4.000 Menschen deutscher Nationalität im Oblast. Durch Abwanderungen und altersbedingt nehmen die Mitgliederzahlen der Gemeinden langsam ab, Zuzüge werden seit 2010 kaum noch verzeichnet. Sie werden von vier Pastoren sowie einem Propst betreut, deren Pfarrbezirke den drei Kirchenregionen entsprechen:
- Region Kaliningrad (Königsberg) (Auferstehungskirche in Kaliningrad)/Westteil
- Region Tschernjachowsk (Insterburg)/Mitte und Nordteil
- Region Gussew (Gumbinnen) (Salzburger Kirche in Gussew)/Ostteil
Die Salzburger Kirche (russisch Зальцбургская кирха Salzburgskaja kircha) steht in der russischen Stadt Gussew (Gumbinnen) im ehemaligen Ostpreußen und der heutigen Oblast Kaliningrad. Sie wurde ursprünglich von Salzburger Exulanten genutzt. Bis 1945 gehörte sie zum Kirchenkreis Gumbinnen innerhalb der Kirchenprovinz Ostpreußen der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union. Heute ist sie der Propstei Kaliningrad der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland (ELKER) im Verband der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien (ELKRAS) zugehörig.
Neben der Kirche steht seit 1998 das Diakoniezentrum „Haus Salzburg“. Unter anderem erhalten dort regelmäßig Schüler einer nahen Dorfschule ein Mittagessen. Leiter der Einrichtung ist seit 1998 Alexander Michel, ein Wolgadeutscher. Ferner steht in Gussew die „Salzburger Anstalt“. In Bielefeld wird als Nachfolgeeinrichtung der „Salzburger Anstalt“ in Gumbinnen das Seniorenheim „Wohnstift Salzburg“ betrieben. Die „Stiftung Salzburger Anstalten“, die ihren Sitz ebenfalls in Bielefeld hat, pflegt die Verbindungen nach Gussew. 1911 wurde der „Salzburger Verein“ in Gumbinnen gegründet, der bis heute den Zusammenhalt der ehemaligen „Salzburger“ fördern soll.
Die Evangelisch-Lutherische Propstei Kaliningrad ist einer von zwölf Kirchenbezirken der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland (ELKER) im Verbund der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland, der Ukraine, in Kasachstan und Mittelasien (ELKRAS). Sie hat ihren Sitz in Kaliningrad (ehemals Königsberg (Preußen)). Sergei Golzwert (russisch Сергей Гольц ерт; geboren 1969 in Sterlitamak, Baschkortostan) ist ein russischer evangelisch-lutherischer Theologe und seit 2023 Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland (ELKER).
Die Propstei Kaliningrad ist Trägerin von zwei sozial-diakonischen Einrichtungen:
- Haus Salzburg: Diakoniezentrum in Gussew (Gumbinnen)
- Carl-Blum-Haus: Altenheim in Sadoroschje (bis 1938 Mallenuppen, 1938–1946 Gembern) bei Osjorsk (Darkehmen, 1938–1946 Angerapp)
Quellen:
Aulenbach – GenWiki (genealogy.net)
Propstei Kaliningrad – Wikipedia
Evangelisch-lutherische Propstei Kaliningrad/Königsberg (archive.org)
Erst ab 1990 änderte sich die Situation der Christen in Russland langsam. Ende 1989 besucht Michail Gorbatschow Johannes Paul II. in Rom. Danach trauten sich die Kirche in Russland langsam wieder in die Öffentlichkeit und konnten sich auch offiziell bei den Behörden registrieren lassen. "Die bisherige Kirchenpolitik war falsch“, räumt 1990 der Pressesprecher des staatlichen Kirchenamtes, Jurij Smirnow, unumwunden ein. Gorbatschow brauche den Beitrag der Kirchen zur moralischen Erneuerung der sowjetischen Gesellschaft, denn Millionen von Gläubigen in der Sowjetunion „hören doch in erster Linie auf das, was in der Kirche gesagt wird.
Die Ruinen der Kirchen im Oblast werden als Kulturerbe behandelt und sie fallen seit 2010 fallen sie unter die Zuständigkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Frühjahr 2009 erhob die Russisch-Orthodoxe Kirche erstmals Anspruch auf ein Dutzend früherer Sakralbauten im Kaliningrader Gebiet. Seitdem hat sie sich über 40 Immobilien vom russischen Staat überschreiben lassen. 2011 tritt das umstrittene Gesetz zur "Rückübertragung" von Kirchenbesitz an die Orthodoxe Kirche tritt in Kra
Im Oktober 1990 tritt das Gesetz über die Religionsfreiheit in Kraft. In den 1990er Jahren hat sich in Tschernjachowsk (Insterburg) eine russisch-orthodoxe Gemeinde gebildet, die sich zusammen mit den Stadtbehörden der vom Verfall bedrohten Reformierten Kirche annahm und sie übernahm. Die Erzengel-Michael-Kirche (russisch Кирха Архангела Михаила) in Tschernjachowsk ist seit 1992 Gotteshaus der russisch-orthodoxen Kirche Tschernjachowsk. Sie ist eine Gemeinde in der 2009 aus den Diözesen Smolensk und Kaliningrad gebildeten Diözese Kaliningrad und Baltijsk (Königsberg und Pillau). Allein in Tscherjachowsk ließen sich ab 1992 etwa 15.000 Menschen - etwa ein Drittel der Stadt-Bevölkerung - orthodox taufen.
2020 sind bereits etwa die Hälfte der Einwohner des Kaliningrader Gebiets russisch-orthodoxe Christen. Hinzu kommen armenische und ukrainische Orthodoxe. Neben zahlreichen Konfessionslosen gibt es u. a. noch Minderheiten von Angehörigen der römisch-katholischen Kirche (vorwiegend Litauer), Protestanten (Deutsche), sowie einige Migranten als Buddhisten und Muslime (Tataren). Die Zahl der praktizierenden russisch-orthodoxe Christen wird auf etwa 30 % geschätzt - es sind überwiegend ältere Menschen.
Quelle: Oblast Kaliningrad: Bevölkerung und Städte | Länder | Kaliningrader Gebiet | Goruma
Am 26. Dezember 1984 ernannte man Kirill (Wladimir Michailowitsch Gundjajew, russisch Владимир Михайлович Гундяев) zum Bischof der russisch orthodoxen Diözese Smolensk und zum Administrator der Diözese Kaliningrad. Im Jahre 1985 wurde die erste orthodoxe Kirchengemeinde in Kaliningrad offiziell registriert. Der damalige Bischof von Smolensk, Kyrill, besuchte im selben Jahr die Stadt Kaliningrad. Die Kaliningrader Oblast wurde in die Diözese (Eparchie) Smolensk eingegliedert. Das Patriarchat von Moskau umfasst insgesamt 164 Diözesen, Eparchien genannte, lokale Körperschaften in der Russischen Föderation. Zu ihrem kanonischen Territorium zählt nach eigenem Verständnis das Gebiet der ehemaligen UdSSR (mit Ausnahme von Georgien und Armenien), außerdem China, Japan und die Mongolei, dazu gekommen ist das Oblast Kaliningrad.
Man feierte in der Kaliningrader Gemeinde 1986 den ersten orthodoxen Gottesdienst nach dem 2. Weltkrieg in einem Gebetshaus in der Tretjakovskaja-Straße und Vater Sofronij wurde der erste Pfarrer. Bald war die Hauskapelle zu klein, da es insgesamt 500 Gemeindemitglieder gab. Zugleich mit der Registrierung erhielten die orthodoxen Gläubigen die Ruinen der ehemaligen protestantischen Juditter Kirche zugesprochen, in einem Vorort von Königsberg. Die Rekonstruktion der Juditter Kirche war nach einem Jahr beendet und die Kirche dem heiligen Nikolaus von Myra geweiht, wie bereits die erste Kirche in Königsberg im 13. Jahrhundert. 2023 gehört diese Kirche zu einem orthodoxen Frauenkloster und heißt seither Nikolaikirche (russisch Свято-Никольская церковь/Swjato-Nikolskaja zerkow).
Im Jahre 1986 wurde die zweite Kirchengemeinde in Baltijsk (Pillau) einem großen Militärstandort und in den folgenden Jahren im Oblast 14 weiter Kirchengemeinden und Klöster gegründet. In Kaliningrad selbst wurden ab 2010 vier ehemaligen protestantischen Kirchen und eine katholische Kirche der orthodoxen Kirche übergeben.
Im Jahre 1988 wurde der 1000. Jahrestag der Christianisierung Russlands gefeiert, wodurch einer breiteren Öffentlichkeit bewusstwurde, dass die Kirche und alte Traditionen im Oblast Kaliningrad noch lebendig waren.
Die Diözese Kaliningrad und Baltijsk wurde schließlich am 31. März 2009 durch Teilung der früheren Diözese von Smolensk und Kaliningrad geschaffen. Die neuerbaute russisch-orthodoxe Christ-Erlöser-Kathedrale ist mit 73 m das höchste Gebäude Kaliningrads und das größte Kirchengebäude der Oblast Kaliningrad. Seit dem 31. März 2009 dient sie als Metropolitankirche der Diözese von Kaliningrad und Baltijsk. Sie hat 3.000 Plätze.
Quelle: Christ-Erlöser-Kathedrale (Kaliningrad) – Wikipedia
2020 gab es im Oblast Kaliningrad 73 russisch orthodoxe Gemeinden, 43 (umgebaute) Gotteshäuser, 3 Klöster, 1 Schule, 8 Kindergärten und eine Priesterausbildungsstätte. Seit dem 20.11.2016 ist Seraphim (Melkonjan Wladimir Setrakowitsch), Erzbischof von Kaliningrad und dem Baltikum.
Nach dem Tod von Patriarch Alexius II. wurde der Metropolit Wladimir Michailowitsch Gundjajew am 6. Dezember 2008 in der Sommerresidenz der Patriarchen in Peredelkino bei Moskau von den sieben ständigen Mitgliedern des Heiligen Synod in geheimer Abstimmung zum Statthalter („locum tenens“) des Patriarchenamtes der Russisch-Orthodoxen Kirche gewählt. Er erhielt den Namen Kyrill I. Der Pomestny Sobor, das höchste Konzil der russisch-orthodoxen Kirche, an dem Vertreter aller Diözesen (Eparchien) teilnahmen, wählte ihn am 27. Januar 2009 bereits im ersten Wahlgang mit 508 von 702 abgegebenen Stimmen zum 16. Patriarchen in der Geschichte der russischen Orthodoxie. Am 1. Februar 2009 wurde er in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale inthronisiert. Seit dem 1. Februar 2009 ist Kirill I. Patriarch von Moskau und der ganzen Rus und damit der Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche.
Journalisten der Zeitungen Kommersant und Moskovskij Komsomolets warfen Kyrill nach der Wahl Profitgier und Missbrauch des Privilegs der zollfreien Einfuhr von Alkohol Tabak, Zigaretten und Alkohol vor, dass der Kirche von 1992 bis 1997 Jahre gewährt wurde. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erhielt die Kirche offizielle Privilegien, darunter das Recht, Alkohol, Tabak und Zigaretten zollfrei einzuführen. 1995 verdiente das Nikolo-Ugreschki-Kloster, das direkt dem Patriarchat unterstellt ist, 350 Millionen Dollar mit dem Verkauf von Alkohol. Die Abteilung für auswärtige Kirchenbeziehungen des Patriarchats, die Kyrill leitete, verdiente im selben 75 Millionen Dollar mit dem Verkauf von Tabak.
Dem Ministerium für kirchliche Außenbeziehungen wurde vorgeworfen, als größter Lieferant ausländischer Zigaretten in Russland aufgetreten zu sein. Die Gewinne dieser Operationen, die angeblich unter Kirills Leitung stand, wurden vom Soziologen Nikolai Mitrokhin für die gesamte Zeit des Privilegs auf insgesamt 5,2004 Milliarden US-Dollar geschätzt. Es gibt bisher keine eindeutigen Beweise dafür, dass der Metropolit Kyrill tatsächlich Gelder veruntreut hat. Wahrscheinlicher ist, dass die Gewinne aus der Einfuhr von Tabak, Zigaretten und Alkohol für dringende Ausgaben der Kirche verwendet wurden. In Russland gibt es keine Kirchensteuer. Die Religionsgemeinschaften finanzieren sich hauptsächlich durch Kollekten und den Verkauf von Kerzen, Ikonen und Büchern.
Russische Blogger haben Gerüchte über das Kirchenoberhaupt veröffentlicht: Ob Kyrill von dem Geld insgesamt seine neun eingetragenen Immobilien in Moskau und St. Peterburg, zahlreiche Kunstgegenstände, und teure Uhren (z. B. eine goldenen Breguet-Uhr) privat erworben hat, ist unklar. Zu seinen persönlichen Besitztümern sollen auch eine Mercedes-Maybach-Luxuslimousine, etwa 20 Residenzen in Diözese mit klimatisch angenehmen Regionen, die Jacht „Pallada“ gehören und eine Vorliebe für Skiferien in der Schweiz bestehen. Im Süden der Hauptstadt Moskau befindet sich das Künstlerdorf Peredelkino. In der Sowjetunion galt die Siedlung als Zufluchtsort der Intelligenzija, der Dichter und Schriftsteller. Unweit von Peredelkino lebt heute nach Recherchen des Portals „Meduza“ der ukrainische Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch. Nach der Maidan-Revolution floh der als prorussisch geltende Politiker nach Russland. Der Ex-Präsident wohnt in guter Nachbarschaft. Etwas südlich seiner Residenz befindet sich eine sehr große parkähnliche Anlage. Der Hausherr des luxuriösen Landhauses soll Patriarch Kirill sein, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche. Kritiker sprechen von einer "kleinen Oligarchen-Ausstattung". "Offiziell" bewiesen ist davon bisher nichts.
Quellen:
In Russland verschwindet eine Uhr in Kyrills Ärmel - The New York Times (nytimes.com)
Meduza — Das wahre Russland. Heute.
Im Sommer 2022 verhängten einige Staaten aufgrund der öffentlichen Unterstützung des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine Sanktionen gegen das Patriarchat von Kyrill. Zuvor hatte Kirill der Russische Intervention in Syrien begrüßt. Am 4. Mai 2022 wurde das Patriarchat in eine Liste von 58 Einrichtungen aufgenommen, die von der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit der Invasion in der Ukraine für Sanktionen vorgeschlagen wurden. Spätere Berichte besagten jedoch, dass er nach Intervention der ungarischen Regierung von der Liste gestrichen wurde. Kyrill wurde Anfang 2022 auch von Kanada, der Ukraine und dem Vereinigten Königreich sanktioniert und ab Mai 2023 auch von der Tschechischen Republik.
Das Nachrichtenmagazin Forbes berichtete am 20. Februar 2009: Kyrill soll, wie sein Vorgänger der Patriarch Alexej, auch zeitweiliger ein ehemaliger KGB-Agent gewesen sein. Kirill ließ sich in den 1970er Jahren vom KGB anwerben und wurde dort zum geheimen Mitarbeiter «Michailow». Kyrill, ein enger Verbündeter des russischen Staatschefs Wladimir Putin, hat am 8.5 2022 Putins Herrschaft als "ein Wunder Gottes" bezeichnet."
Im April 2024 erließ der russische Patriarch Kirill I. ein Dekret. Danach darf der russische Priester Dmitrij Safronow für drei Jahre keine priesterlichen Pflichten mehr ausüben. Eine Begründung dafür nannte die orthodoxe Moskauer Diözese nicht. Der Priester leitete die Beisetzung des Putingegners Alexej Nawalny. Danach wurde der russisch-orthodoxe Priester Dmitrij Safronow von seinen kirchlichen Diensten entbunden. Alexej Nawalny war am 15. oder 16. Februar 2024 im Strafgefangenenlager in Charp, (Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen Region, Russland) unter ungeklärten Umständen verstorben. Quelle: https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/russland-moskauer-dioz%C3%B6se-suspendiert-priester-dmitri-safronow-nach-trauergottesdienst-f%C3%BCr-alexej-nawalny/ar-AA1nzy9K
Quellen:
Patriarch Kirill of Moscow - Wikipedia
Putin regiert den russischen Staat - und auch die russische Kirche (forbes.com)
Russland: Das Luxusleben von Putin, Medwedew – und Marsalek (wiwo.de)
Bevölkerung
Da der Oblast Kaliningrad bis 1969 selbst für normale Sowjetbürger gesperrt war, entwickelte es sich wirtschaftlich nur sehr langsam - anders dagegen die Bevölkerung.
Tabelle: Bevölkerung der Oblast Kaliningrad nach Volksgruppen
Bevölkerung der Oblast Kaliningrad nach Volksgruppen | ||||||||||||||
Nationalität | VZ 1959 | % | VZ 1970 | % | VZ 1979 | % | VZ 1989 | % | VZ 2010 | % | VZ 2021 | % | ||
Russen | 473.861 | 78 | 564.469 | 77 | 632.717 | 78 | 683.563 | 78 | 772.534 | 86 | 809.546 | 91 | ||
Ukrainer | 35.717 | 5,9 | 48.044 | 6,6 | 54.656 | 6,8 | 62.750 | 7,2 | 32.771 | 3,7 | 12.515 | 1,4 | ||
Belarussen | 57.178 | 9,4 | 68.808 | 9,4 | 72.465 | 9 | 73.926 | 8,5 | 32.497 | 3,6 | 11.360 | 1,3 | ||
Armenier | 524 | 0,1 | 740 | 0,1 | 953 | 0,1 | 1.620 | 0,2 | 9.226 | 1 | 8.379 | 0,9 | ||
Litauer | 21.262 | 3,5 | 23.376 | 3,2 | 19.647 | 2,4 | 18.116 | 2,1 | 9.769 | 1,1 | 4.279 | 0,5 | ||
Deutsche | 648 | 0,1 | 1.068 | 0,2 | 1.218 | 0,2 | 1.307 | 0,2 | 7.349 | 0,8 | 4.118 | 0,5 | ||
Tataren | 2.202 | 0,4 | 2.752 | 0,4 | 3.226 | 0,4 | 3.556 | 0,4 | 4.534 | 0,5 | 3.250 | 0,4 | ||
Polen | 3.287 | 0,5 | 4.028 | 0,6 | 4.245 | 0,5 | 4.287 | 0,5 | 2.788 | 0,3 | 1.402 | 0,1 | ||
Juden | 4.520 | 0,7 | 4.517 | 0,6 | 3.816 | 0,5 | 3.200 | 0,4 | 1.123 | 0,1 | 671 | 0,1 | ||
Einwohner | 610.885 | 100 | 731.936 | 100 | 807.985 | 100 | 871.159 | 100 | 941.873 | 100 | 1.029.966 | 100 | ||
Quelle: Oblast Kaliningrad – Wikipedia
Bei den russischen Volkszählungen gab es bis 2021 eine wachsende Bevölkerungszahl im Oblast Kaliningrad. Die Einwohnerschaft wuchs zwischen 1959 und 2021 um 419.081 Personen oder 68,8 %. Das Wachstum zwischen 2010 und 2021 beschränkt sich allerdings auf die Stadt Kaliningrad und den ihn teilweise umgebenden Rajon Gurjewsk (Kaliningrad). Gurjewsk (Neuhausen) weist mit 41 E/qkm die höchste Bevölkerungsdichte aller Rajons mit Munizipalkreis-Verwaltung aus.
Es gibt Hinweise, dass sich unter den Ukrainer eine große Anzahl ehemaliger "Russlanddeutsche" befinden, die aber ihre ursprüngliche deutsche Herkunft nicht angeben, um keine Nachteile zu erfahren.
2020 sind etwa 50 % der Bevölkerung nicht in der Oblast geboren; vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind viele Russen aus den ehemaligen Teilrepubliken zugewandert. Einen wichtigen Faktor der Bevölkerung stellt das Militär dar, es lebten 2010 etwa14.500 Armeeangehörige in der Oblast.
Es hat sich ein Suburbaner Gürtel um Kaliningrad gebildet. Wohlhabende Großstädter haben direkt an der Ostsee zahlreiche luxuriöse Villen errichten lassen. Der Stadt Kreis Pionerski ist ein Beispiel. Am 22. März 1993 wurde Pionerski aus dem bisherigen Verwaltungs-Verband ausgegliedert und zu einer Stadt mit Oblast Bedeutung hochgestuft. Am 31. März 2004 erhielt die Stadt als kommunale Selbstverwaltungseinheit zusätzlich den Status eines Stadtkreises. 2022 hat die Stadt mit 1327 E/qkm nach Kaliningrad mit 1937 E/qkm mit die höchste Bevölkerungsdichte im gesamten Oblast.
Im Jahr 2011 wurde in Pionerski eine Residenz für den Präsidenten der Russischen Föderation fertiggestellt. Die Residenz thront seit 2011 nördlich von Kaliningrad direkt an der Ostseeküste des Samlandes, in Pionerski, dem ehemaligen Neukuhren, das bereits seit 1837 Seebad ist.
Zu deutscher Zeit war es das älteste Ostpreußens, Reichskanzler Bismarck hatte hier eine Sommervilla. Der schlossartige Neubau im pseudohanseatischen Backsteinstil ist nicht öffentlich zugänglich. Russlandweit soll es etwa 20 Putin Residenzen geben - sie liegen alle in landschaftlich besonderen Gegenden.
Quelle: Kaliningrader Gebiet: Russlands Exklave zwischen Litauen und Polen - WELT
Einige Residenzen sollen sogar in Putins Privat-Besitz sein. So die Residenz am Kap Idokopas (russisch Резиденция на мысе Идокопас Residenzija na myse Idokopas). Sie ist ein palastähnliches Gebäude im Italianate-Stil mit umfangreichen Außenanlagen. Die Anlage befindet sich am Schwarzen Meer in der Nähe von Praskowejewka südlich von Gelendschik. Nach zahlreichen Berichten seit 2011 handelt es sich um eine Residenz von Wladimir Putin, was Putin erstmals am 25. Januar 2021 persönlich dementierte.
Alexei Nawalny hatte zuvor den Film "Ein Palast für Putin" veröffentlicht, infolgedessen kam es zu Protesten in Russland. Nachdem 2020 ein lebensgefährlicher Giftanschlag auf ihn verübt wurde, war er seit 2021 inhaftiert und muss eine mehrjährige Strafe u.a. in einer psychiatrische Klinik absitzen. Zudem drohten ihm in einem weiteren Strafprozess viele weitere Jahre Haft. Alexei Nawalny ist am 15. oder 16. Februar 2024 im Strafgefangenenlager in Charp, Autonomer Kreis der Jamal-Nenzen, Russland unter ungeklärten Umständen verstorben.
Quelle: Residenz am Kap Idokopas – Wikipedia
Alle 12 Rajons mit Munizipalkreis-Verwaltung auf dem Lande weisen ab 2010 teilweise starke Bevölkerungsrückgange durch Abwanderung hauptsächlich in die Hauptstadt Kaliningrad auf. Es ist fraglich, ab die große Gebietsreform von 2022 diesen Trend stoppen kann.
Beim Anwachsen von Russlanddeutschen in der obigen Tabelle handelt es sich fast ausschließlich um neue Zuwanderer aus anderen russischen Regionen und nicht um wohnhaft gebliebene Ostpreußen. Bis 1989 lebten nur wenige Personen mit Nationalitätsangabe Deutsch in der Oblast. Nach dem starken Anstieg bis 2010 hat eine Abwanderungswelle eingesetzt. Bei den übrigen Volksgruppen hat seit 1989 nur die Zahl der Personen aus dem Kaukasus und Transkaukasus zugenommen. Vor allem die zentralasiatischen Länder Tadschikistan, Usbekistan und Kirgisien sind in hohem Maße auf Geldüberweisungen angewiesen, die von den Arbeitsmigranten in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt werden. Trotz hoher Arbeitslosigkeit unter den Einheimischen macht sich ein hoher Migrantenanteil in niedrig qualifizierten Beschäftigungen, die schlecht bezahlt wurden, bemerkbar. Besonders Zuwanderer aus Zentralasien und dem Kaukasus arbeiten häufig in der Baubranche und im Handel „ohne Papiere“. Alle Minderheitengruppen verzeichneten aber zwischen 2010 und 2021 eine starke Abwanderung aus dem Oblast, sie finden keine Arbeit mehr.
Quelle: Oblast Kaliningrad – Wikipedia
Russland erlebte insgesamt in seiner Geschichte auch umfassende Auswanderungsbewegungen. So wanderten beispielsweise von Beginn der 1950er bis Mitte der 1970er Jahre 2,7 Millionen Menschen in andere Sowjetrepubliken ab. Mit der Lockerung der strikten Ausreisebeschränkungen in den späten 1980er Jahren stieg zudem die Auswanderung von ethnischen Minderheiten wie Deutschen und jüdischen Glaubens aus der Sowjetunion und nahm nach 1989 Massencharakter an. Lebten der Volkszählung von 1989 zufolge knapp 842.300 Deutsche auf dem Gebiet der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR), so waren es in der Russischen Föderation im Jahr 2010 rund 394.000. In Deutschland waren bis 2011 rund 612.000 Menschen aus dem Gebiet der Russischen Föderation als Aussiedler aufgenommen worden. 2020 lebten rund elf Millionen in Russland geborene Menschen im Ausland.
Unter denjenigen, die Russland verlassen, befinden sich viele gut ausgebildete Arbeitskräfte, Intellektuelle und politische Aktivisten, sodass diese Bewegungen auch unter dem Stichwort "Braindrain" diskutiert werden. Der Braindrain dürfte sich durch die russische Invasion in der Ukraine und die damit in Zusammenhang stehende weitere Einschränkung der Informations- und Meinungsfreiheit in Russland noch weiter verschärfen. Bereits Mitte März 2022 gingen erste Schätzungen von 200.000 russischen Intellektuellen aus, die das Land seit Beginn des Kriegs verlassen hatten. Schätzungen der "Baltisch Republikanische Partei" BRP (siehe unten) sprechen von 2.000 Bewohnern, die den Oblast Kaliningrad seit 2021 aus "moralischen Gründen" verlassen haben.
Bei der notwendigen Visaerteilung werden unterschiedliche Behörden-Hindernisse aufgebaut.
Das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland war am 1. Juni 2007 in Kraft getreten. Damit sollte die Erteilung von Visa für kurzfristige Aufenthalte (bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen) auf der Grundlage der Gegenseitigkeit erleichtert werden. Der Rat der EU hat am 9.9.2022 einen Beschluss angenommen, mit dem das Visaerleichterungsabkommen zwischen der EU und Russland vollständig ausgesetzt wird. Daher gelten nun die allgemeinen Bestimmungen des Visakodex für die russischen Bürgerinnen und Bürger, die in die EU einreisen. Das bedeutet, dass die Antragsgebühr von 35 € auf 80 € steigt, mehr Dokumente vorgelegt werden müssen, die Bearbeitungszeiten länger werden und die Ausstellung von Mehrfachvisa restriktiver gehandhabt wird.
Für Russen, die auswandern wollen, gilt ein sehr wichtiger Aspekt, der die Rückkehr nach Russland ermöglicht (falls erforderlich) und keine Einschränkungen bei der Nutzung von Eigentum in Russland mit sich bringt. Dem Sinn der Präsidialerlasse vom 1. März 2021 nach führt eine doppelte Staatsbürgerschaft oder eine Aufenthaltsgenehmigung in den Ländern, die von der russischen Regierung als „unfreundlich“ eingestuft werden, automatisch zu einem Verbot des Verkaufs, Kaufs oder Umsatzes von Immobilien in Russland. Die EU gilt z. B. als unfreundlich.
Quelle: Umgekehrte Migration: Russland wird zum Auswanderungsland in Eurasien – EURACTIV.de
Die Bundesrepublik wird ihre Konsulate ab dem 01.07.2023 in Kaliningrad, Nowosibirsk und Jekaterinburg schließen. Das Generalkonsulat in St. Petersburg bleibt bestehen, stellt aber ebenfalls keine Visa mehr aus. Die Konsularabteilung der Deutschen Botschaft in Moskau wird weiterhin Visa für russische Staatsangehörige ausstellen. In Deutschland bleibt nur noch eines von fünf russischen Konsulaten geöffnet, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Damit reagiere man auf die Entscheidung Moskaus, die Personalobergrenze für deutsche Einrichtungen in Russland auf 350 Personen zu senken. Nur die Botschaft in Berlin und eines der Konsulate in Bonn, Frankfurt, Hamburg, Leipzig und München sollen geöffnet bleiben. Von den ehemaligen 9 Grenzübergängen im Jahre 2020 sind 2024 nur noch 4 geöffnet. Mamonovo 2 - Grzehotki und Bagrationowsk - Bezledy nach Polen und Sowjetsk - Panemune und Tschernyschewskoje - Kybartai nach Litauen.
Die Zahl der in Russland lebenden Migranten wurde zuletzt, im Jahr 2020, auf 11,6 Millionen geschätzt, der Großteil davon stammt aus ehemaligen Sowjetrepubliken, die "nach Hause" zurückgekehrt sind. Zusätzlich zu diesen offiziellen Zahlen kann man von einer hohen Zahl ausländischer Staatsangehöriger ausgehen, die sich ohne Aufenthaltserlaubnis in Russland aufhalten. Die staatliche Migrationsbehörde schätzt, dass sieben bis acht Millionen ausländische Staatsangehörige illegal in Russland arbeiten; einige Politiker sprechen von bis zu 15 Millionen illegal im Land lebender Menschen.
Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/intellektuelle-verlassen-russland-100.html
Schätzungen sprechen von 45.000 offiziellen Arbeitsimmigranten und ca.30.000 "Papierlose" die im Oblast ihr Geld verdienen, und es nach Hause schicken, um ihre Familien zu versorgen. Seit der Ukraine-Kriege hat aber eine starke Rückwanderung eingesetzt, sie finden keine Arbeit mehr.
Viele Jahre zählte die russischen Förderration zu den zahlenmäßig bedeutendsten Einwanderungsländern der Welt. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine könnte einen Wendepunkt für das bisherige Migrationsverhalten darstellen. Einerseits lassen sich bereits im April 2022, wenige Wochen nach Beginn des Kriegs, vor allem von gut ausgebildeten, jungen Menschen große Auswanderungsbewegungen beobachten. Andererseits muss die russische Regierung befürchten, dass ein Aufenthalt in Russland für viele der temporären Arbeitsmigranten aus Zentralasien durch die langfristigen Folgen der vom Westen verhängten Sanktionen nicht mehr lukrativ erscheint.
Zurzeit sind Arbeitsmigranten auf Grund des Einzuges von Wehpflichten in Russland willkommen. Lt. Presseberichte wird in Russland eine Kriegswirtschaft organisiert und benötigt dringend zusätzliche Arbeitskräfte, besonders in Form von Arbeitsmigranten. Kehren die Kriegsteilnehmer aber wieder nach Hause zurück, ändert sich die Situation auch in der Wirtschaft. Sodann könnte sich der bereits in der Pandemie eingesetzte Abwärtstrend der Einwanderung nach Russland weiter fortsetzen. Dies könnte auch die Bevölkerung - auch durch Kriegstote - weiter schrumpfen lassen. 2021 verzeichnete Russland den größten natürlichen Bevölkerungsrückgang seit dem Zerfall der Sowjetunion. Binnen eines Jahres (Oktober 2020 bis September 2021) starben in Russland fast eine Millionen Menschen mehr als im selben Zeitraum geboren wurden. Hintergründe waren die alternde Bevölkerung des Landes und hohe Sterbefallzahlen während der Pandemie.
Russische Föderation | ||||
Jahr | Bevölkerung | Veränderung | Geburtenrate | Sterberate |
m. Ukraine | ||||
2011 | 142,96 Mio | 0,08% | 14,1 ‰ | 15,2 ‰ |
2012 | 143,20 Mio | 0,17% | 14,7 ‰ | 14,8 ‰ |
2013 | 143,51 Mio | 0,21% | 13,2 ‰ | 14,5 ‰ |
2014 | 143,82 Mio | 0,22% | 13,3 ‰ | 13,1 ‰ |
2015 | 144,10 Mio | 0,19% | 13,3 ‰ | 13,0 ‰ |
2016 | 144,34 Mio | 0,17% | 12,9 ‰ | 12,9 ‰ |
2017 | 144,50 Mio | 0,11% | 11,5 ‰ | 12,4 ‰ |
2018 | 144,48 Mio | -0,01% | 10,9 ‰ | 12,5 ‰ |
2019 | 144,41 Mio | -0,05% | 10,1 ‰ | 12,3 ‰ |
2020 | 144,07 Mio | -0,23% | 9,8 ‰ | 14,6 ‰ |
2021 | 143,45 Mio | -0,43% | 9,6 ‰ | 16,7 ‰ |
Quelle: Bevölkerungswachstum und Einwohner in Russland (laenderdaten.info)
Russland hat im Laufe der letzten 60 Jahre unterschiedliche Trends beim Bevölkerungswachstum erlebt. Insgesamt sind die demografischen Herausforderungen groß. Den ersten spürbaren Rückgang nach Ende des zweiten Weltkrieges verzeichnete man ab 1965, als sich das ohnehin nicht besonders große Wachstum von zuvor 1,12% nahezu halbierte. Danach blieb sie bis in die frühen 1990er Jahre auf einem niedrigen Niveau. Quelle: Russland – Wikipedia
Seit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion 1991 bis 2008 war die Wachstumsrate negativ, die Bevölkerungszahl sank also. Dies ist auf eine deutlich sinkende Geburtsrate bei gleichzeitig steigender Sterberate und Abwanderung in Ausland zurückzuführen. Quelle: Russlan
Die russische Regierung hat mehrere nationale Programme eingeleitet, die helfen sollen, die Geburtenrate zu steigern. Seit 2007 erhielten Eltern ab ihrem zweiten neugeborenen Kind eine einmalige staatliche Beihilfe (Mutterschaftskapital) in Höhe von fast 10.000 Euro (2012). So hatten sich die Geburtenzahlen in Russland von 1,48 Mio. (2006) auf 1,9 Mio. (2012) erhöht. 2018 erhielten Familien vergünstigte Hypotheken und Zuschüsse teils schon ab dem ersten Kind; für 3 Jahre wurden 9 Milliarden Dollar budgetiert. Im Februar 2019 erklärte Präsident Wladimir Putin, sich nicht mit der sinkenden Geburtenrate abzufinden, und kündigte weitere Erleichterungen für Familien mit Kindern an. Das Oblast Kaliningrad hat ein eigenes Programm aufgelegt, um Familien auf dem Lande zu unterstützen.
In den letzten Jahren drehte sich die Wachstumsrate in Russland allerdings erneut um den Nullwert, was zumindest teilweise auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sein kann. Fast 400.000 Todesfälle gab es in Russland nach offiziellen Angaben.
In Kaliningrad Oblast gab es seit Januar 2020 insgesamt 201.778 bestätigte Fälle von COVID-19. Statistisch gesehen bezogen auf die Ortsbevölkerung mit ca. 20 % eine der höchsten veröffentlichen Zahlen in ganz Russland.
Quelle: Entwicklung der Coronavirusfälle: Kaliningrad Oblast, Russland (201.778 Fälle) (coronalevel.com)
2020 lag die Fertilitätsrate, also die Anzahl der Geburten pro Frau in Russland zuletzt bei 1,49, im Oblast Kaliningrad bei 1,45, in Deutschland bei 1,43. Um eine "ausgeglichene" Bevölkerung zu erhalten, müssten die Quote - ohne Migrantenzuwachs - bei 2,1 liegen.
Quelle: Gesamtfertilitätsrate – Wikipedia
Wirtschaft
Das Gebiet Kaliningrad ist die westlichste Region Russlands. Es ist seit der Unabhängigkeit der baltischen Staaten im Jahre 1991 ohne direkte Verbindung zum Mutterland. Seitdem müssen Visa für die Ein- und Ausreise beantragt werden. Das Gebiet hat sich von seit 1991 von einem abgeschirmten militärischen Sperrgebiet langsam zu einer Wirtschaftsregion entwickelt. Die Gebietshauptstadt Kaliningrad kann zwar einige Erfolge ausweisen. Dem gegenüber bleibt das längliche Umland aber zurück. Große Teile der ländlichen Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft.
Valerij Galcov unterscheidet folgende Phasen der wirtschaftlichen Entwicklung im Oblast Kaliningrad (ergänzt durch Kriege in der Ukraine)
- 1945 - 1950 chaotische Gründungsperiode
- 1951 - 1965 geordneter Umbau
- 1966 - 1975 relative Stagnation
- 1976 -1986 totale Stagnation
- 1986 - 1991 erfolglose Perestrojka
- 1992 - 2014 beginnende Vermarktlichung
- 2014 - 2023 Einbußen aufgrund der Sanktionen wegen des Kriege gegen die Ukraine. Umstellung auf eine Kriegswirtschaft
Quelle: Valerij Galcov, Grundlegende Besonderheiten der Geschichte des Kaliningrader Gebietes
Die Zerstörung der historischen Bau-Struktur der Hauptstadt während des Zweiten Weltkrieges, die oft chaotische Bebauung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sowie die groß angelegte Privatisierung und Kommerzialisierung der 1990er- und 2000er-Jahre zusammen mit der darauffolgenden Wirtschaftskrise hatten einen enormen Einfluss auf Charakter und Qualität des Stadtbildes von Kaliningrad. Die Teil-Rekonstruktion der historischen Altstadt, moderne Stadtarchitektur, triste Plattenbau-Vorstädte und bunt zusammen gewürfelte Suburbs wechseln sich ab. Während in der Gebietshauptstadt Kaliningrad vor allem nach 1991 ein rascher Strukturwandel zu beobachten war und in einem wahren Bauboom neue hochwertige Wohnungen und Einkaufszentren entstanden, war in den meisten Dörfern und kleinen Städten von einem Aufschwung wenig zu spüren. 2021 lebten im Gebiet Kaliningrad 1.029.966 Einwohner, davon 219.900 im ländlichen Raum.
In der Stadt Kaliningrad leben 420.500 Einwohner, mithin 45 Prozent der gesamten Einwohner des Gebiets. Hingegen bewohnen nur 23 Prozent den ländlichen Raum. Die Gebietshauptstadt Kaliningrad hat eine überaus dominierende Rolle, sowohl hinsichtlich der Einwohnerzahl als auch im Blick auf Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft. Bei der Energieversorgung seiner strategisch wichtigen Ostsee-Exklave Kaliningrad will Russland nicht länger auf den Gastransport durch das EU- und Nato-Land Litauen abhängig sein. In Anwesenheit von Präsident Wladimir Putin wurde am 10.01.2019 ein LNG-Terminal (Liquified Natural Gas) in Betrieb genommen, wie der russische Energiekonzern Gazprom mitteilte. Seit 2010 war das Kernkraftwerk Kaliningrad als erstes Kernkraftwerk der Oblast nahe Neman an der Memel im Bau, dieses sollte sowohl das Stromdefizit nach der Abschaltung des litauischen Kernkraftwerks in Ignalina kompensieren als auch zur Erzeugung anderweitig exportierbaren Stroms dienen. Allerdings verkündete im November 2015 der russische Energieminister, dass die Bauarbeiten in absehbarer Zeit nicht wieder aufgenommen werden, als Grund gab er veränderte wirtschaftliche Bedingungen an.
1963 wurde Erdöl im Gebiet von Gumbinnen gefunden. Insgesamt sollten bis zum Ende des 10. Fünfjahresplanes (1980) 1,4 Mio Tonnen Erdöl jährliche gefördert werden. Diese Zahlen wurden aber lt. Presseberichten bei weitem nicht erreicht.
Die Hauptstadt startet zahlreiche Kampagnen in den elektronischen Medien präsentierte sich auf Direktveranstaltungen einiger Handelskammern in Deutschland, um Investoren anzuwerben, was vor den Ukraine-Kriegen auch einigen Erfolg hatte. Direkt nach dem Ende der Sowjetunion kamen teilweise Glücksritter, Abzocker und rechtsgesinnte Reaktionäre auch aus Deutschland in die Region, die aber bald wieder verschwanden. In Kaliningrad engagierten sich im Jahre 2020 etwa 340 seriöse deutsche Unternehmen. Allmonatlich traft sich der Deutsch-Russische Wirtschaftskreis.
Quellen:
Nach dem Beginn des Ukraine-Krieg gab es im Oblast Kaliningrad bei den Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland aber einen deutlichen Einbruch. Investoren standen vor der Frage, ihr Invest teilweise oder ganz zu verlieren oder, trotz moralischen Bedenken, weiterzumachen.
Die Stadt ist ein bedeutendes Wirtschafts- und Industriezentrum, das über den Kaliningrader Seeschifffahrtskanal mit dem Vorhafen Baltijsk an der Ostsee verbunden ist. Zu den bedeutendsten Wirtschaftsbereichen gehören unter anderem die chemische Industrie, der Maschinenbau, die Möbelindustrie, die Herstellung von Musikinstrumenten sowie die Nahrungsmittelindustrie. Kaliningrad ist als ganzjährig eisfreier Seehafen ein wichtiger russischer Standort für die Werftenindustrie.
Seit 2007 baute die Jantar-Werft (die ehemalige Schichau-Werft) Fregatten für die indische Marine.
In der Stadt gibt es die größte Fischereiflotte Russlands sowie den Automobilhersteller Avtotor. Avtotor (russisch Автотор) ist ein seit 1996 in der Russischen Föderation existierender Automobilhersteller mit Unternehmenssitz in Kaliningrad.
Nach dem Magazin Forbes war das Unternehmen 1996 unter den 200 größten Privatunternehmen Russlands auf dem 69. Platz. Avtotor kaufte 2008 zudem die Namensrechte der Marken BMW, Hummer und Cadillac mit Begrenzung auf den russischen Markt und das Recht auf eigene Modellentwicklung auf. Alle Fahrzeuge des Unternehmens sind zusammengebaute Bausätze.
Im Rahmen der Vorbereitung auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 wurden 4 Hotels errichtet. Das Kaliningrad-Stadion (russisch Калининградский Стадион), auch Arena Baltika genannt, ist ein Fußballstadion. Die Anlage war einer der Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 und löste das Baltika-Stadion als Spielstätte des Fußballclubs Baltika Kaliningrad ab.
Wichtigste Themen im gesamten Oblast sind die hohe Arbeitslosigkeit auf dem Lande und die gesundheitspolitischen Probleme wie die Ausbreitung von Krankheiten wie Hepatitis B, Hepatitis C, HIV, Tuberkulose und Corona.
Hinzu kommen die wirtschaftlichen Transport-Probleme, die durch die Lage als Exklave entstehen. Weitere große Schwierigkeiten ergeben sich durch den hohen Grad an organisierter Kriminalität und Korruption in der Verwaltung. Im Jahr 2016 ordnete Präsident Putin persönlich für Kontrollbehörden eine „Kontrollpause“ an.
Im Oblast Kaliningrad leben im Jahr 2021 geschätzt 13,4 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Im Vergleich liegt die Armutsquote in Russland insgesamt bei geschätzt 11 Prozent. Die Armutsquote in Russland ist von 2018 bis 2021 um 1,6 Prozentpunkte gesunken, während sie in der Oblast Kaliningrad nahezu gleichgeblieben ist.
Der Mindestlohn betrug in Kaliningrad 375 €. Die durchschnittliche Rente betrug im Jahr 2014 etwa 10.000 Rubel, was damals 160 € entspracht. In den größeren Städten wie Kaliningrad und Sowjetsk, dem früheren Königsberg und Tilsit, versteckt sich die Armut in sozialistische Plattenbauten, teilweise kann jahrelang keine Miete mehr bezahlt werden. Da Entlassungen durch die Betriebe rechtlich fast unmöglich sind, werden die Betroffenen offiziell weiterbeschäftig, allerdings nur zu einem Bruchteil ihres vorherigen Lohnes, mindestens aber 160 €. Die Lebenssituation der Erwerbslosen auf dem Lande, ist relativ besser, da Grundnahrungsmittel hier selber angebaut werden können. Allerdings ist die offizielle Armutsquote auf dem Lande deutlich höher als in den Städten. Häufig liegt die Rente unter der der Armutsgrenze. Die monatliche Miete einer Wohnung mit einem Schlafzimmer in der Innenstadt von Kaliningrad beträgt 229 €, in den Vororten bei 177 €.
Quelle: Lebenshaltungskosten und Gehälter in Daten von Kaliningrad, 2021. (lebenshaltungskostenin.com)
Es besteht im Oblast ein großes Wohlstandsgefälle zu den EU-Nachbarn Polen und Litauen. Der "kleine Grenzverkehr" schaffte etwas Entlastung. 2014 kam es nach der Annexion der Krim durch Russland zu ersten Sanktionen gegen den Urheber, mit "moderaten" wirtschaftlichen Folgen. Für die vorher sehr beliebten Einkaufsfahrten aus Kaliningrad nach Polen braucht es seit 2016 ein polnisches Arbeitsvisum. Seit dem Ende des „Kleinen Grenzverkehrs“ 2016 muss es jedes halbe Jahr neu beantragt werden. Die Einkauffahrten waren für die russische Bevölkerung auf dem Lande ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die in Polen erworbenen Waren, die im Oblast kaum vorhanden waren, fanden zu Hause trotz entsprechender Preisaufschlägen, stätigen Ansatz. Auf polnischer Seite entstanden während des „Kleinen Grenzverkehrs“ große Einkaufsgelegenheiten für die russische Bevölkerung direkt an der Grenze.
Die wegen des erneuten russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 verhängten Sanktionen durch die EU und USA gegen Russland sind noch umfangreicher als die bisherigen. Es kommt zu weiteren erheblichen Einschränkungen von Warentransporten. Die Liste der Sanktionen ist lang. Sie umfassen nicht nur Güter, sondern auch Dienstleistungen, wie z. B. Bankgeschäfte. Die Sanktionen werden durch die EU regelmäßig aktualisiert, denn es gibt aber auch Umgehungsstrategien von Drittländer, die an getarnten (Weiter) Lieferungen von Gütern an und aus Russland am Ukraine-Krieg verdienen wollen. Durch den von Russland verursachten erneuten Ukraine-Krieg, sperrte Litauen vorübergehend die Durchfuhr von russischen Gütern. Solange der Krieg andauert, rechnen Fachleute nicht mit einer Verbesserung der Wirtschafts-Situation für die Bevölkerung im Oblast Kaliningrad.
Quelle: Oblast Kaliningrad – Wikipedia
Landwirtschaft
Das gesamte Gebiet Kaliningrad wurde nach 1945 zu einem Militärsperrbezirk, in den Sowjetbürger nur mit Sondergenehmigung einreisen konnten. Durch die Beschlüsse des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR vom 17. Juni 1947 "Über die Bildung von Dorfräten, Städten und Arbeitersiedlungen im Kaliningrader Gebiet" und vom 25. Juli 1947 "Über die administrativ-territoriale Struktur des Kaliningrader Gebiets" wurde das Gebiet zwar der Zivilverwaltung übergeben, der Sperrbezirk blieb aber bestehen und das Militär behielt die Oberaufsicht. Die zivilen Behörden wurden zu Raumplanern, die Ortsumbenennungen und Wüstungen angeordnet. Rund 2280 Orte wurden nicht wieder besiedelt und existieren seither nicht mehr, die übrigen 2520 Ortschaften erhielten neue russische Namen. Die Namensvergabe erfolgte ungeordnet und führte zu Doppel- und Trivialnamen.
Die "neue Raumplanung" entsprach dem sowjetischem Modell. Die sowjetische Führung begann Ende der 1920er Jahre mit einer radikalen Neuorganisation der Landwirtschaft. An die Stelle der traditionellen Dorfgemeinschaft (Obschtschina) sollte der Dorfsowjet treten, in engem Verbund mit den neuen sozialistischen Großbetrieben den Kolchosen oder Sowchosen. Danach sollen - in der Theorie - die Kolchosen, die Flächen der ehemaligen Bauern übernehmen und jeweils eine Größen von insgesamt etwa 6.000 ha aufweisen. Die Mitglieder eines Kolchos waren formal auch die gemeinsamen Eigentümer der Produktionsmittel, nicht aber des Bodens, der dem Staat gehörte. Es gab aber auch eine starke staatliche Einflussnahme auf die Kolchose durch die von der Partei eingesetzte Kolchosleitung. Den Kolchosen wurde ein Produktionssoll auferlegt, das sie zu staatlich festgesetzten Preisen abzuliefern hatten.
Neben den kollektiven Landwirtschaftsbetrieben (Kolchos) gab es in Russland die staatlichen Landwirtschaftsbetriebe (Sowchos), mit durchschnittlich 20.000 ha, denen hauptsächlich die Flächen der ehemaligen Güter und Großbauern (in Russland Kulakenland) zugeteilt werden sollte. Die Sowchosen erreichten in den 80ziger Jahren teilweise Größenordnungen von über 100.000 ha. In der gesamten UdSSR wurden vor 1990 ca. 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche durch Sowchosen bewirtschaftet. Während der Perestrojka gingen fast Zweidrittel der Sowchosen pleite.
Die 1945 gegründeten 65 Sowchosen wurden in Kaliningrad zunächst vom Militär betrieben. Sie waren in Kaliningrad kleiner als in Russland und hatten ein Größe von durchschnittlich 5.000 ha. Bis 1948 arbeitet auf ihnen ausschließlich Deutsche, die dann durch russische Soldaten ersetzt wurden. Deren militärisches Personal verblieb auch bei der späteren Übernahme durch die Zivilverwaltungen. Die Sowchosen blieben in der ursprünglichen Form bis etwa 1980 bestehen. Die Zahl der Insolvenzen der Sowchosen nach der Perestrojka lag im Oblast Kaliningrad 1990 bei 72 %. Die 1970 vorhandenen 104 Kolchosen wurden hatten Durchschnittgrößen von 3.000 ha. Davon wurden etwa 80 % privatisiert.
Die neue Planungen der "Raumordnung" sah vor, dass die Bevölkerung in sogenannte Dorfdorfsowjets (Großdörfer) mit etwa 1.000 Bewohnern zusammengefasst und dahin umgesiedelt werden sollte. In der Realität wurden aber bis zu 5 vorhandene alte Dörfer zusammengefasst und ein Ort zum (Haupt) Gemeindeort bestimmt, der auch die zentrale Infrastruktur wie Kolchosen- oder Sowchosen-Sitz erhalten sollte. Als Grund wurde die (Zwangs) Kollektivierung angegeben, die bestimmte Flächengrößen haben mussten, um rentabel zu sein. Diese Relationen wurden jedoch nie überprüft. Folgen dieser „Flurbereinigung“ waren jeweils großzügige Flächenzuschnitte für eine „moderne“ Landwirtschaft.
Neben militärischen Überlegungen bestimmte auch der geplante zentrale Sitz der jeweiligen landwirtschaftlichen Betriebe auch den bleibenden Standort des Dorfes oder der Ortschaft zur Ansiedlung der russischen Bevölkerung. Es wurde dort ein Dorfsowjet eingerichtet. Zentral war aber das Vorhandensein von benutzbaren Gebäuden, ausreichenden Landflächen und hinreichend funktionierender Infrastruktur. Die bleibenden Standorte wurden häufig willkürlich ausgewählt, da den Entscheidern nicht alle örtlichen Gegebenheiten bekannt waren. Die deutschen Fachleute und maßgebende Unterlagen waren oft nicht mehr vorhanden.
Es wurde auf die vorhandene Infrastruktur wie Straßen und Eisenbahnlinien Rücksicht genommen. Von 1945 bis 1947 wurden im verkleinerte Eisenbahnnetz im Oblast Kaliningrad auf einigen Strecken parallel Gleise mit russischer Spurweite gebaut. Die Überlandstraßen wurden in den 70ziger Jahren nach den vorhandenen Strukturen modernisiert. Der größere Ausbau der bis dahin maroden Straßen auf dem Lande begann erst nach der Untergang der Sowjetrepublik ab 1990 und ist stark abhängig von den örtlichen Trägern der Infrastruktur.
Die vorhanden Gemeinde-, Kreis- oder Bezirksgrenzen hatten aber keine absolute Bedeutung mehr, sofern sie überhaupt noch bekannt waren. Trafen die von den Behörden vorgegebenen Kriterien für einen bleibenden Standort nicht zu, wurden überzählige Dörfer und ganze Ortschaften, die zudem noch kriegsbeschädigt waren, abgebrochen und nicht wieder aufgebaut. Dies galt besonders für Gutshöfe in separater Lage. Diese "Flurbereinigung" geschah bis in die 80iger Jahre. Oft blieben aber noch (teil) bewohnbare Gebäude erhalten, die neuen Landarbeiterfamilien mussten irgendwo unterkommen. Teilbeschädigte Gebäude wurden notdürftig repariert. Die "Neusiedler" verwendeten noch nutzbare Baumaterialien der umliegenden beschädigten Gebäue, auch den, wenn noch vorhandenen Hausrat und die landwirtschaftlichen Geräten.
Die Lage in den Militär-Sowchosen im Oblast Kaliningrad war besonders angespannt. Deren Betriebsleiten und Landarbeiter wurden die in der Regel aus dem örtlich anwesenden Militär (zwangs) rekrutiert und hatten keinerlei landwirtschaftliche Vorbildung. Sie sorgten aber dafür, dass zumindest in den Militär-Sowchosen die teilweise umgesetzte alte Wehrmachtswohnbaracken wieder aufgebaut wurden, in deren Anbauten auch Tiere gehalten werden konnten. Ab den 60iger Jahren war dann der Familiennachzug mögliches. Jetzt wurden auf dem Lande bis zu 4stöckige Plattenneubauten errichtet, die aber eigentlich für Städte geplant waren. Diese neuen Wohnungen hatten keinen Platz für private Geräte, Hühner und Schweine. Die militärische Hierarchie und die Desorientierung in der Arbeit auf dem Lande blieben im "Zivilleben" noch lange erhalten. Erst spät wurden der größte Teil der Militär-Sowchosen in Zivil-Sowchosen umgewidmet - was sie aber auch nicht vor dem Ruin rettete.
Da die Pferde zur Bearbeitung fehlten, wurden überschwere Traktoren, Raupenschlepper und umgebaute Militärfahrzeuge eingesetzt, die die Böden übermäßig verdichteten und die noch vorhandene Drainage zerstörten. Ein Großteil der neuen Landarbeiter verfügte über keinerlei landwirtschaftliche Erfahrung auf deutschen Feldern. Die Landarbeiter aus der russischen Provinz kannten keine Drainage. „Damals wurden die Traktoren einfach angeschmissen und der Pflug senkte sich in die Erde. Bei uns in Russland geht man auf eine Tiefe bis zu 60 cm, aber in Ostpreußen liegt die Drainage bei 40 Zentimeter Tiefe. So wurde alles herausgerissen und in die Entwässerungsgräben geworfen, die vielfach für Schützengräben gehalten wurden. Stellen Sie vor, so eine Dummheit. Es war einfach Unwissenheit ."
Quellen:
Christian Schulz: Ein Klavier für das Gebietskomitee. Russen und Deutsche in Tollmingkehmen, Ostpreußen. In: Adrian von Arburg u. a. (Hrsg.): Als die Deutschen weg waren. Was nach der Vertreibung geschah: Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland.
Eckhard Matthes, Als Russe in Ostpreußen: Sowjetische Umsiedler über ihren Neubeginn in Königsberg/Kaliningrad nach 1945
Elke Knappe, Eine schwierige Zukunft: Landwirtschaft und ländlicher Raum im Gebiet Kaliningrad
Die Landwirtschaft war vor der Perestrojka im Oblast Kaliningrad nicht in der Lage, die Bevölkerung hinreichend zu versorgen. Etwa 35 % des Getreidebedarfes mußten eingeführt werden. Die Planwirtschaft auf dem Lande funktionierte nicht ausreichend. Die ohnehin knappen örtliche Produktion erlitt weitere spürbare Verluste, da das Transport- und Lagersystem nicht sachgemäß funktionierte - auch kam es immer wieder zu größeren Diebstählen. So wurden in manchen Gebieten bis zu 40 % des Getreides "zweckentfremdet". Auch die Bewirtschaftung der Flächen, die den Kolchosbauern als Privatparzellen zugestanden wurden (maximal 5 % der gesamten Produktionsfläche eines Kolchos), konnte die systembedingten Schwächen nicht ausgleichen. Es mussten landwirtschaftliche Produkte eingeführt werden, was die Lebenshaltungskosten vor Ort verteuerte.
Die Landwirtschaft des Gebietes Kaliningrad ist für die 219.000 Bewohner der Dörfer der wichtigste Wirtschaftszweig, auch wenn sie im Jahr 2008 nur mit 4,7 Prozent am regionalen Bruttoinlandsprodukt beteiligt war. Dem Anstieg der Zahl von Unternehmen in der Industrie und dem Dienstleistungsgewerbe nach 1990 stand in der Landwirtschaft nichts Vergleichbares gegenüber.
Durch Jelzins Regierungserlass Nr. 86 vom 29. Dezember 1991 fand im Zuge der Perestroika auf dem Lande eine Privatisierung statt. Die früheren etwa 104 landwirtschaftlichen Kollektiv- und Staatsbetriebe (Kolchosen) im Oblast Kaliningrad erhielten neue Rechtsformen. Gleichzeitig verhängte die Regierung ein zehnjähriges Moratorium für den Kauf und Verkauf von Land in Privatbesitz, dass jedoch vielfach umgangen wurde.
"Darüber, dass die erste umfassende Privatisierungswelle unter Boris Jelzin, in der eine Umwandlung der Kolchose und Sowchose bis zum 1. Januar 1993 ultimativ angeordnet wurde, ein Misserfolg war, besteht heute weithin Konsens."
Quelle: Peter Lindner und Evelyn Moser: Landwirtschaft und ländlicher Raum – Der lange Weg von der Privatisierung zum Markt
Die ehemaligen Kolchosarbeiter sollten sich die ihnen zustehenden Flächen - in der Regel 4 - 6 ha - ausweisen und landwirtschaftliche Gerätschaften übergeben lassen, um in Zukunft in effizienzsteigernder Konkurrenz zu ihren ehemaligen Arbeitskollegen zu produzieren. Daneben erhielten die Arbeiter noch Anteile an ihren bewohnten Zimmern, Wohnungen oder Häusern. Häufig hatten die "Leitenden Angestellten" die besten Objekte fest im Blick. Teilweise kam es auch zu langwierigen Auseinandersetzungen bei der Vergaben von Wohnraum, Gerätschaften und Land. Gewachsene Bindungen bei der "Sozialisten Arbeit" spielten oft mit. Beim Laien entstehen teilweise Erinnerungen an die Bauernbefreiung in Preußen.
Privatisierung wurde damals in Russland als ein einmaliger Eingriff verstanden, der die Herausbildung marktwirtschaftlicher Strukturen von selbst nach sich ziehen würde. Erst die Tatsache, dass die meisten der neuen Eigentümer nicht im Geringsten daran dachten, sich selbständig zu machen, ließ die Schwierigkeiten erkennen. Einige Arbeiter nahmen ihre Anteile nicht aktiv wahr, sie wollen kein eigenes Land (zusätzlich) bearbeiten oder versuchten sie (zunächst schwarz) zu verkaufen oder zu verpachten.
Im Laufe der Jahre scheint sich das Pachtmodell bei der Vielzahl der "Passivbauern" durchgesetzt zu haben. Bei den Wohngelegenheiten wurden die Ansprüche in der Regel wahrgenommen, obgleich sofort Untervermietungen und Zweckentfremdungen begannen. Bei den möglichen Privatisierungen ab den 90iger Jahren wohnte möglicherweise der "Neubauer" in einem Plattenbau im 4. Stock, seine Gerätschaften waren in irgendeiner Garage oder Keller untergebracht und sein Land lag zerstreut in der Umgebung.
Bei einigen Kolchosen waren bis zum Jahr 2000 die örtlichen Lagen der zu privatisierenden Flächen immer noch nicht kartiert. Landparzellen existierten zunächst nur auf dem Papier, später wurden sie auf den Ländereien tatsächlich vermessen und Grenzsteine gesetzt, aber nicht selten auch wieder umverteilt und damit schwankte der finanzielle Wert der verbriefter Eigentumstitel beträchtlich. Die Möglichkeiten, Land zu kaufen und zu verkaufen – eines der zentralen Bestimmungsmerkmale der Qualität privaten Eigentums – variierten von Region zu Region und im Lauf der Jahre bis zur Unterzeichnung eines Bodengesetzbuches im Oktober 2001. Dieses Gesetz erneute die Rahmenbedingungen für Umgang mit Privateigentum an Agrarland. Es wurde aber durch das Gesetz 101 vom 26. Juni 2002 wieder verändert.
So wurden z. B. 2004 in Tschistye Prudy (Tollmingkehmen) für 10 ha 10.000 Rubel damals etwa 260 € gezahlt. Der Ort gehört zur kommunalen Selbstverwaltungseinheit Stadtkreis Nesterow im Rajon Nesterow.
In der Kalinningrader-Domizil Informationsagentur vom 4.7.2020 war folgendes Angebot zu finden:
"Die Bauernwirtschaft befindet sich im Kreis Prawdinsk (Friedland) und soll für 78 Mio. Rubel, also rund einer Million Euro, den Besitzer wechseln. Der Investor erhält im Gegenzug zu seinem Geld
- 240 Hektar Grund und Boden
- Milch- und Fleischkühe sowie Ziegen in nicht bekannter Anzahl
- Eine Käseproduktionsanlage für die Herstellung von Hart-, Weich- und Schimmelkäse
- Mehrere Gebäude für die Bauernwirtschaft, u.a. Lagerräume für Obst und Gemüse sowie eine eigene Brunnenanlage
- Im Preis inbegriffen sind auch zwei eigene Verkaufseinrichtungen in der Stadt Kaliningrad.
Der Besitzer kommentierte, dass es sich um eine voll funktionierende und erfolgreiche Wirtschaft handele. Er verkauft diese Wirtschaft, um sich mit dem Erlös auf andere wirtschaftliche Aktivitäten zu konzentrieren. Der Verkäufer hofft auf einen Investor mit Sachverstand und Interesse, das Aufgebaute zu erhalten und weiterzuentwickeln."
Quelle: Neuigkeiten und Informationen aus Russland und seiner Region Kaliningrad Kaliningrad-domizil
Die die Privatisierung der Landwirtschaft wurde und wird von den Verwaltungen in den einzelnen Republiken und Oblasten sehr unterschiedliche, teilweise sogar gegenläufig behandelt. Insgesamt wird aber mittlerweile der Prozess der Vermarktlichung der ehemaligen staatlichen Strukturen auf dem Lande in Russland als schwierig und langwierig betrachtet. Westliche Muster lassen sich nicht eins zu eins übertragen. Das Oblast Kaliningrad hier nimmt insgesamt eine positive Stellung zur Vermarktlichung ein. Westliche Investoren waren in Kaliningrad "Markttreiber"
Die plötzliche Privatisierung brachte viele Kolchosen in wirtschaftliche Bedrängnis, da die damaligen innere Strukturen und die neuen Absatzmärke nicht zusammenpassten. Die überwiegende Anzahl der Kolchosen mußten für eine Übergangszeit vom Staat gestützt werden.
So konnten z.B. auch die Mitarbeiter der Landwirtschaftsbetriebe beim Dorfsowjet eine Genehmigung zur Gründung eines eigenen bäuerlichen Betriebes beantragen. Die Privatisierung führte auch bei den Landarbeiter jedoch auch nur in wenigen Fällen zu einer grundlegenden Verbesserung der Lebenssituation. Um eine profitable Vollbauernstellen aufzubauen, fehlte das Eigenkapital und die Kreditaufnahme war bei normalen Einkünften und bei den gängigen Marktzinsen nicht sinnvoll. Auch hier griff der Staat später helfend ein. In der Regel wurde zwar der eigene bäuerliche Betrieb genehmigt – es blieb aber eine Nebenerwerbsstelle.
Die früheren Kolchosarbeiter und jetzigen Anteilseigner konzentrierten sich ganz auf ihre Nebenerwerbshofwirtschaften und viele Haushalte verwendeten einen Teil des ihnen zustehenden ehemaligen Kolchoslandes, um ihre individuell genutzten Flächen zu erweitern. Ihre Anteile an den Betrieben berechtigten sie zur Inanspruchnahme verschiedener Dienstleistungen - vom Pflügen der privaten Parzellen bis hin zur veterinärärztlichen Untersuchung des privaten Viehs - und ermöglichten so eine landwirtschaftliche Produktion, die zumindest das Überleben sicherte.
Die Auflösung der bisherigen Kolchosbetriebe und deren Überführung in privatrechtliche Formen hatte zur Folge, dass sich die bildenden und bald dominierenden landwirtschaftlichen Großbetriebe auf die Lösung ihrer eigenen wirtschaftlichen Probleme konzentrierten.
Folgende Situationen lassen sich konstruieren:
Die Landwirtschaft im Gebiet Kaliningrad wird seit der Privatisierung im Wesentlichen von drei Betriebsformen getragen:
- Landwirtschaftliche Großbetriebe in Form von Genossenschaften und Aktiengesellschaften
- Bauernwirtschaften
- Nebenwirtschaften der Bevölkerung
Die daraus entstehende Flächennutzung in den Gemeinden ist unterschiedlich
- Es entstand nur ein Großbetrieb - die Flächen von Gemeinde und Betrieb blieben identisch, das Leitungs-Personal und die Strukturen teilweise auch. Die häufig vorzufindende Monokultur macht die Betriebe wirtschaftlich anfällig, es wurde aber auch weniger Arbeits-Personal gebraucht. Es entstehen Konflikte bei den verantwortlichen Personen zwischen wirtschaftlichen Zielen und sozialen und kommunalen Aufgaben. Teilweise entstanden aus der gesamten ehemaligen Kolchosen eine neue Verpachtungsgemeinschaft, die sich einen großen Pächter sucht. Teilweise erstrecken sich Großbetriebe auch über mehrere Gemeinden.
- Es entstandenen verschiedene neue Betriebsformen - die Flächen der Betriebe bildeten ein Mosaik in der Gemeinde. Die Kolchosen und Großdörfer entkernten sich räumlich. Es wird eine neue Infrastruktur mit Wege, Wohn- und Betriebsgebäude und Überlandleitung für Strom und Gas notwendig. Langsam begann auch die Aussiedlung der erfolgreichen Privatbauern mit dem Gebäudeausbau oder auch Neubau auf dezentral liegendem eigenem Grund und Boden. Dazu wurden Flächen in der Regel von der Privatbauern auch noch dazu gepachtet. Auch hier gab es Verpachtungsgemeinschaften, die sich allerdings nur durch einige Alteigentürmer zusammensetzten. Darüber hinaus haben sich die Nebenwirtschaften fest etabliert, die auch teilweise ihre Flächen noch erweitern haben.
- Es entstanden keine neuen landwirtschaftlichen Betriebsformen - z.B. aufgrund von Brachflächen durch der Vernässung. Der Kolchos ist wirtschaftlich nicht mehr rentabel, die bestehenden Flächenaufteilungen in der Gemeinde blieben zwar formal bestehen, wurden aber nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Land und Infrastruktur fielen brach. Die jungen Menschen zogen fort, eine überalterte und verarmte Gemeinde blieb zurück. Manche Ortschaften wurden bereits aufgelöst.
Die Ausführung und Zuschreibung von Gemeinschaftsaufgaben, die früher im Rahmen der Genossenschaften mit erledigt wurden, ist heute vielfach nicht klar.
Kommunale Aufgaben landeten jetzt zwar beim Dorfsowjet blieben aber unerledigt – den Kommunen fehlte dafür das Geld. Für die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten bedeutete dies eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen, die ohnehin schon deutlich hinter den städtischen zurückgeblieben waren.
Nur schrittweise und meist bis 2020 unvollständig transferierten die Großbetriebe öffentliche Aufgaben (Instandhaltung der Wasser-, Abwasser- und Telefonleitungen, des Gas-, Strom- und des Wegenetzes sowie der Schulen, Kindergärten, dörflichen Ambulanzstationen, Kulturhäuser und die Altersversorgung ), für die sie in der Sowjetunion zuständig gewesen waren, an die Gemeindeverwaltungen, was sie zu vermischten Betriebsformen macht, die privatwirtschaftliche ebenso wie staatlich-administrative Elemente in sich vereinen. Das galt auch für die vom Staat geschaffenen zentrale Maschinen – Traktoren – Stationen (MTS), die von den Beschäftigten der Kolchose in Naturalien bezahlt wurden.
Die Finanzierung der Renten für Arbeiter und Kolchosbauern war nach dem Umlageprinzip organisiert und sollte durch die Beiträge der Arbeitgeber gespeist werden. Da aber die Zahl der Rentner schnell wuchs und die Beitragssätze gleichzeitig praktisch unverändert blieben, mussten die Rentenfonds so z. B auch bei Insolvenz des Kolchos subventioniert werden. Bis zum Jahr 1980 erreichte der Anteil der Zuwendungen aus dem Unionshaushalt am Haushalt der Rentenversicherung 60 Prozent. Rentner konnten allerdings ihr Einkommen durch eine Weiterbeschäftigung aufstocken. Dafür, dass die Renten zumindest einem Teil der Empfänger kein ausreichendes Einkommen sichern konnten, spricht die Tatsache, dass die Anzahl der arbeitenden Rentner seit der Mitte der 1960er-Jahre kontinuierlich anstieg, sodass zu Beginn der 1980er-Jaher circa 30 Prozent der sowjetischen Rentner formal beschäftigt waren. Trotz aller Fortschritte lagen die Durchschnittsrenten 2002 noch unter dem Niveau des Existenzminimums.
Quelle: Irina Boettcher, Sozialpolitik in Russland 1991 - 2012
Die Interessenlagen und Organisationsstrukturen der in großem Maßstab in Agrarland investierenden Unternehmen sind höchst unterschiedlich. In einer ersten Annäherung können fünf Typen unterschieden werden, die sich in vielen Fällen nicht scharf voneinander abgrenzen lassen:
- Unternehmen, die von Anfang an börsennotiert waren und - wie beispielsweise Gazprom - ursprünglich nicht aus der Landwirtschaft kommen. Ihnen geht es vor allem um eine möglichst hohe Rendite ihrer Investition. Gazprom besitzt knapp 300.000 ha Land
- Verarbeitende Betriebe, die expandieren, ihre Zulieferer aufkaufen und sich so eine stabile Produktionsbasis sichern wollen.
- Ehemalige Kollektivbetriebe, die expandieren und Flächen zukaufen.
- Neue Privatbauern in der russischen Landwirtschaft mit eigenen bäuerlichen Betrieben, die erfolgreich wachsen oder neue Investments von Großbetrieben wie das mittlerweile international bekannte aber hoch verschuldete deutsch-russische Agrarunternehmen Ekoniva.
- Investoren, die nur temporär Geld parken, auf Baulandausweisungen spekulieren o. ä.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Abgeordnete von Regionalparlamenten (anders als ihre Kollegen auf föderaler Ebene) neben ihren Hauptpositionen zusätzlich auch als Unternehmer tätig sein dürfen (sie werden dann als "moonlighting politicians" bezeichnet). Es gibt auch eine Reihe von Unternehmen in der Landwirtschaft in Russland, die Gouverneuren und Landwirtschaftsministern gehören. Die Aktivitäten dieser Gruppe sind schwerer abzuschätzen, da diese einerseits häufig über Tochterfirmen agieren und andererseits russische Investoren nicht selten ihren Firmensitz in Zypern haben.
Quelle: Analyse: Förderung der Landwirtschaft in Russland aus politökonomischer Sicht | Russland-Analysen | bpb.de
Staatliche Behörden und Verwaltungen starteten umfangreiche Werbekampagien in den elektronischen Medien, um deutsche Investoren für die Landwirtschaft anzuwerben. Z. B. der Link: Wie werde ich Landwirt im Kaliningrader Gebiet? Kaliningrad-Domizil Nachrichten, Informationen, News aus Kaliningrad Kaliningrad-domizil
Darunter waren auch deutsche Investoren. Thassilo von der Decken lebt auf einem Hof in der Nähe von Gusew (Gumbinnen). Der Deutsche bewirtschaftet 2.000 Hektar Land, beschäftigt 30 Mitarbeiter. In den 1990er-Jahren leitete er hier ein Projekt, mit dem die Bundesregierung Russlanddeutsche in Kaliningrad unterstützte, damit diese nicht in die Bundesrepublik kommen sollten. Das Projekt hatte nur wenig Erfolg. Richtig wohl fühlt sich von der Decken im Kaliningrader Gebiet 2018 nicht mehr. Bleiben will er trotzdem.
Als großes Problem für die Landwirtschaft entpuppte sich in vielen Landstrichen die Versumpfung, da diese Regionen vor dem Zweiten Weltkrieg durch aufwändige Drainagesysteme entwässert worden waren. Diese Systeme musste etwa alle 5 Jahre erneuert werden und wurden nach dem Krieg von den Russen nicht weiter gepflegt, es war unbekannt und wurde zerstört.
Bekanntermaßen ist ein Großteil der Böden der Region durch hohe Grundwasserstände und reichlich Oberflächenwasser geprägt und daher eine Regulierung des Wasserhaushaltes durch Drainage für eine erfolgreiche Landwirtschaft absolut erforderlich. Das noch aus der Vorkriegszeit stammende System wurde in der Nachkriegszeit weitgehend zerstört. Die noch vorhandenen Reste entsprechen mittlerweile weder den Anforderungen noch den neuen Flächenzuschnitten. Es ist dadurch wenig wirksam. Neue Drainagen sind nicht ausreichend vorhanden, das Netz der Pumpstationen marode. Dadurch ließ man die vernässten Flächen brach liegen.
Das hatte gravierende Folgen für die Landwirtschaft.
Ostpreußen hatte eine Fläche von 3,60 Mio. ha, davon wurden 2,51 Mio. ha (68 %) landwirtschaftliche bearbeitet. Das Oblast Kaliningrad hat eine Fläche von 1,52 Mio. ha, davon wurden zunächst 0,72 Mio. (48 %) ha landwirtschaftlich bearbeitet. Diese Fläche sank beim Ackerland 2008 auf 0,15 Mio. ha (30 %).
Wurden 1990 noch 416.300 ha Ackerland bearbeitet, waren es 2008 nur noch 158.300 ha. 2008 gab es 81,3 % Großbetreibe, 12,9 % Bauern und 5,4 % Nebenerwerbsstellen. Gab es 1990 noch 467.500 Rinder im Gebiet Kaliningrad, so waren es 2008 nur noch 60.600, die Zahl der Milchkühe sank von 170.100 auf 31.600 im gleichen Zeitraum. Die traditionell in Kaliningrad gut entwickelte Nahrungsgüterwirtschaft ist dadurch darauf angewiesen, Fleisch zur Weiterverarbeitung aus Kernrussland oder den Nachbarstaaten zu importieren.
Dabei widmen sich die bäuerlichen Betriebe und die Nebenwirtschaften der Bevölkerung überwiegend der Pflanzenproduktion, während in den Großbetrieben die Viehwirtschaft dominiert. Da diese Betreibe sich mit den „modernen Methoden“ der Viehhaltung und Vermarktung vertraut machten, verloren viele der Beschäftige wie Melker und Käser ihre früheren Arbeitsplätze.
Die Erwerbsmöglichkeiten im ländlichen Raum verringerten sich drastisch. Die neuen Großbetriebe setzten bei wirtschaftlichen Flauten Arbeitskräfte frei, für die es im Dorf kaum Alternativen gab. Da Entlassungen durch die Betriebe rechtlich fast unmöglich sind, werden die Betroffenen offiziell weiterbeschäftig, allerdings nur zu einem Bruchteil ihres vorherigen Lohnes, mindestens aber 160 €. Ein Ausweg zeigte sich in der Führung von Nebenerwerbswirtschaften.
Der Erlös aus dem Verkauf der Produkte aus dem eigenen Anbau erweist sich nunmehr häufig als wichtigste Einnahmequelle großer Teile der ländlichen Bevölkerung. Das Ergebnis der zunehmend größer werdenden Einkommensunterschiede und der schwierigeren Lebensbedingungen auf dem Lande führte zur Abwanderung vor allem der jüngeren und gut ausgebildeten Bevölkerung, hauptsächlich in die Hauptstadt des Oblast, aber auch nach Petersburg oder Moskau.
Mängel der Infrastruktur, brach liegende landwirtschaftliche Flächen, weniger Arbeitsplätze und sinkende Einwohnerzahlen sind die größten Probleme der Dörfer. Dazu kommen Problem zwischen den alten Angehörigen der Staatswirtschaft und den jungen Angehörigen der Marktorientierung.
Es gibt ein großes Generationsproblem in den Agrarwissenschaften Russlands, das bis in die 1930er und 1940er Jahre zurückreicht, als viele landwirtschaftliche Bereiche (etwa Agrarwirtschaft, Agrarstatistik und Genetik) mit Restriktionen belegt und wissenschaftliche Schulen in diesen Bereichen zerstört wurden. Später, in den 1990er Jahren, kam es dann zu einem Einbruch des Nachwuchses an jungen Menschen in den entsprechenden Fachbereichen, da während der des Umbaus (Perestroika) die Landwirtschaft stark schrumpfte
Trotzdem verdoppelte sich im Oblast Kaliningrad das Wachstum in der insgesamt geschrumpften Landwirtschaft von 2004 bis 2010. Die steigende Produktivität des landwirtschaftlichen Sektors hat einen großen Teil der ländlichen Gebiete im Oblast Kaliningrad zurückgelassen, da die Produktivitätssteigerungen nur auf einer relativ kleinen Fläche des gesamten Oblast stattfinden. Dies führte zu einer Herabstufung der überwiegend versumpfter Gebiete in diesen Regionen, zur Abwanderung der Landbevölkerung in Städte und zum Verschwinden von noch bestehenden Ortschaften.
Die Verlegung von neuer Drainage ist für die Großunternehmen kein Thema, da sie nur trockenes Land kaufen. Wenn überhaupt, wären die die staatlichen Institutionen aufgerufen, die aber keine Pläne und kein Geld haben. Die Unterentwicklung dieser ländlichen Gebiete steht der Entwicklung der gesamten Landwirtschaft im Oblast im Weg. Es entsteht ein Flächenmosaik mit zusätzlichen Anforderungen an die Infrastruktur. Im Sommer stehen die versumpften Gebiete im Zeichen der Stechmücken.
Es fehlen im Oblast Kaliningrad auch an Fachkräften auf dem Lande, da nicht mehr genug ausgebildet wird. Unter diesen Bedingungen können Unternehmen qualifizierte Fachkräfte nicht dauerhaft für sich gewinnen und müssen auf unqualifizierte Zeit-Arbeiter zurückgreifen. Zudem hat die große Agrarindustrie im Zuge der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften in einigen Fällen ihre Arbeitsorganisation auf Schichtarbeit umgestellt.
Quellen:
Das Gebiet Kaliningrad – ein Außenseiter in der Ostseeregion? - Suchen (bing.com)
und
Peter Lindner und Evelyn Moser: Landwirtschaft und ländlicher Raum – Der lange Weg von der Privatisierung zum Markt
Wanderungen und Autonomie
Unter den Zaren wanderten in größerem Umfang Deutsche und andere Europäer nach Russland aus. Mit der radikalen Öffnung zum Westen durch Peter den Großen begann bereits Anfang des 18. Jahrhunderts die Anwerbung von Fachleuten für Wirtschaft und Militärwesen. Diese Aktionen waren allerdings zunächst meistens auf das städtische Element beschränkt. Die zaristische Verwaltung soll zu dieser Zeit zu etwa 20 % in den Städten St. Petersburg und Moskau aus preußischen Beamten bestanden haben. Aber auch im Hochadel gab es deutsche Einflüsse. So waren deutsche Herkunft:
- Katarina II., Zarin, am 2. Mai 1729 in Stettin geboren
- Graf von Ostermann, Mitglied des Regentschaftsrats, am 9. Juni 1687 in Bochum geboren
- Graf von Minich, Feldmarschall, am 19. Mai 1683 in Neuenhuntorf, Grafschaft Oldenburg geboren
- Graf Biron, Regent, am 23. November 1690 in Kalnzeem, Semgallen, Herzogtum Kurland und Semgallen geboren
Gemäß dem Vorbild der anderen europäischen Mächte (Österreich, Preußen) entschlossen sich die späteren russischen Herrscher die Besiedlung von menschenleeren Gebieten mit ausländischen bäuerlichen Kolonisten in Angriff zu nehmen.
Besonders nach dem Frieden von Sankt Petersburg zwischen Russland und Preußen am 5. Mai 1762 wurden die Einwanderungen von der russischen Seite gefördert. Ein entsprechender Erlass wurde am 22. Juli 1763 von der russischen Zarin Katharina II. unterzeichnet, in mehrere Sprachen übersetzt und in ganz Europa verteilt.Um die erforderlichen Einwandererzahlen zu erreichen, beauftragte die russische Zarin ab 1764 verstärkt private Agenten (Anwerber, Berufer), die auf eigenes Risiko operierten und für jeden angeworbenen Kolonisten einen Festbetrag erhielten. Diese erhielten das Recht, mit potentiellen Interessenten individuelle Verträge zu schließen. Alles in allem warben sie fast die Hälfte aller bis 1774 nach Russland ausgewanderten Personen (insgesamt 14.960) ein. Es zeigte sich rasch, dass das Angebot der russischen Kaiserin vor allem in den deutschen Fürstentümern und freien Reichsstädten auf fruchtbaren Boden fiel: Nicht zuletzt die staatliche Zersplitterung und die schwache Zentralmacht verhinderten eine wirksame Unterbindung der Werbeaktivitäten.
Bis 1774, dem Jahr des Anwerbestopps, folgten 30.623 Ausländer den Versprechungen der russischen Herrscherin. Die meisten Auswanderer stammten aus Westfalen (27%), Preußen und Norddeutschland (18%) Hessen (17%), Sachsen (13%), aus dem Elsass, Baden und anderen deutschen Ländern. Es wurden ihnen zugesagt:
- Freie Fahrt zum gewählten Wohnort auf Staatskosten
- Zuteilung von Land
- freie Steuerjahre
- weitgehende Selbstverwaltung
- Befreiung vom Militärdienst
- Berufs- und Religionsfreiheit
Diese Versprechungen stellten die deutschen Einwanderer erheblich besser als die russische Landbevölkerung, die sich noch in Leibeigenschaft befand. Die gemachten Versprechungen waren aber auch gegenüber der realen Situationen der einfachen Bauern in Preußen um 1775 - auch in Ostpreußen - deutliche Verbesserungen. Ausgangspunk der Abwanderungen von etwa 5.000 Bauern aus Ostpreußen waren Danzig und Königsberg. Zielort war zunächst Riga, um von dort weiterzuwandern. Jedoch wurden Teile der Versprechungen nicht gehalten. Auf Einladung von Katharina II. wanderten im Wesentlichen zwischen 1789 und 1803 etwa 9.000 der Mennoniten von West- und Ostpreußen nach Südrussland (in die heutige Ukraine) aus.
Eine Volkszählung ergabt 1897, dass 390.000 Deutsche an der Wolga, 342.000 im Süden Russlands, 237.000 im Westen Russlands und 18.000 in Moskau lebten. Die Gesamtzahl wurde auf 1,7 Mio beziffert. Bis zu 20 % sollten aus Preußen stammen.
Als "Russlanddeutsche" werden die Nachfahren von Siedlern aus dem deutschsprachigen Mitteleuropa bezeichnet, die sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in verschiedenen Regionen des russischen Zarenreiches niedergelassen hatten. Bei den Russlanddeutschen handelt sich um eine regional ursprünglich sehr verteilte Gruppe, die nach dem Siedlungsort innerhalb des Russischen Zarenreiches unterteilt wurden in Wolgadeutsche, Wolhyniendeutsche, Krimdeutsche, Kaukasiendeutsche, Schwarzmeerdeutsche, Sibiriendeutsche. Einige von ihnen gründeten selbst in Sibirien und im Fernen Osten am Amur Siedlungen. Vielerorts im Reich entstanden deutsche Enklaven als autonome Gemeinden mit Namen wie Mannheim, Josephsthal oder Schönfeld. Deren gemeinschaftliches Leben wahrte vielfach Traditionen aus der alten Heimat. Sie hatten eigene Kirchen und Ratsversammlungen, die für die deutsche Ortsgemeinschaft bindend waren. Auf die ursprüngliche Ansiedlung in den weitgehend autonomen und privilegierten Kolonien im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert folgten Wanderungen innerhalb des Russischen Reiches. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden neue deutsche Kolonien im Kaukasus, am unteren Djepr und auf der Krim.
Zur Auswanderung siehe dazu auch: https://chortitza.org/Karten.php
In den 1870er Jahren, als die Privilegien der Kolonien im Zuge der Großen Reform des Zaren Alexander II. aufgehoben wurden, begann die Emigration von Russlanddeutschen aller Konfessionen nach Nord- und Südamerika. Die ersten deutschen Russlandmennoniten wanderten schon ab 1874 nach Einführung der russischen Wehrpflicht aus den südrussischen Siedlungsgebieten zunächst hauptsächlich in die USA und nach Kanada aus. Sie wanderte in die USA, hier vor allem in die Provinz Kansas ein, wo 34 neue Gemeinden und Siedlungen entstanden sind. So sind auch die beiden kanadischen Städte Steinbach und Winkler im Süden der kanadischen Prärieprovinz Manitoba entstanden, die von der aus der heutigen Ukraine stammende mennonitische Gemeindebewegung "Kleine Gemeinde" gegründet worden sind. Steinbach ist 2016 eine Kleinstadt mit 15.829 Einwohnern. Noch heute leben mehr als 2500 Deutsche bzw. Deutschstämmige in der Stadt; etwa die Hälfte der Bevölkerung hat deutsche Vorfahren, tragen deutsche Namen und sprechen neben Englisch auch Deutsch bzw. Plautdietsch, ein ost- und westpreußischen Dialekt.
Im 20. Jahrhundert gründeten sie auch in Lateinamerika landwirtschaftliche Siedlungen, ab 1922 in Nordmexiko und ab 1927 in Paraguay. Vor allem aus diesen beiden Ländern bauten sie eigene Kolonien auf ab 1954 in Bolivien, ab 1958 in Belize, ab 1984 in Argentinien, ab 2015 in Peru und ab 2016 in Kolumbien. Bis heute sprechen fast alle Russlandmennoniten in Lateinamerika ihren ost- und westpreußischen Dialekt Plautdietsch.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Plautdietsch. Zu höre ist Plautdietsch auch auf: YouTube Plautdietsch Reggae - Lyell Banman - YouTube Zum Stichwort Mennoniten siehe auch in diesem Text: 3.2.3 Das Umland des späteren Dorfes Wilpischen wird 1657 zu einem preußischen Siedlungsplatz
Im Ersten Weltkrieg wurden die Russlanddeutschen aufgrund ihrer deutschen Herkunft und der daraus angeblich folgenden Assoziation mit dem Kriegsgegner von der zaristischen Regierung als "innerer Feind" markiert und verschiedenen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Dazu gehörten die "Liquidierung" von Eigentum und Deportationen. Nach der Revolution 1917, in Folge des Russischen Bürgerkriegs und der großen Hungersnot an der Wolga 1921/22, emigrierten gut 120.000 Russlanddeutsche nach Deutschland und in vielen Fällen von dort weiter nach Amerika.
Die große Mehrzahl der Russlanddeutschen blieb jedoch im Land und erlebte zunächst eine erneute Phase von relativer Autonomie im Rahmen der leninistischen Politik der kulturellen Förderung nationaler Minderheiten. In diesem Zusammenhang erfolgte im Jahr 1924 die Gründung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) der Wolgadeutschen. (russisch Автономная Советская Социалистическая Республика Немцев Поволжья / Awtonomnaja Sowetskaja Sozialistitscheskaja Respublika Nemzew Powolschja)
Der Zweite Weltkrieg berührte die im Lande verbliebenen ca. 1,4 Millionen Russlanddeutsch stark. Etwa 900.000 von ihnen, von der Wolga, der Krim, aus dem Kaukasus und dem Süden Russlands, wurden kurz nach dem deutschen Überfall ab Ende August 1941 nach Osten deportiert; die ASSR der Wolgadeutschen wurde abgeschafft. Die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSR) war ein politisches Gebilde in Sowjetrussland und der Sowjetunion, dessen Gebiet den Großteil des historischen Siedlungsgebietes der Wolgadeutschen umschloss, jedoch mit Letzterem nicht identisch war. Sie bestand vom 19. Oktober 1918 zunächst als sowjetische Arbeitskommune und vom 6. Januar 1924 bis 28. August 1941 als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb der Russischen SFSR.
Auf die Umsiedlung folgte für gut 350.000 Russlanddeutsche – Männer und Frauen – der Einzug in die sogenannte "Arbeitsarmee" (Trudarmija), wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. Deportation und Arbeitseinsatz forderten laut dem Historiker Viktor Krieger gut 150.000 Todesopfer.
Dazu siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Viktor_Krieger
Die ca. 340.000 Deutschen im Schwarzmeergebiet blieben hingegen zunächst von der Deportation verschont und gerieten unter deutsche Besatzungsherrschaft. In den Jahren 1943/44 wurden sie von den NS-Behörden ins besetzte Polen (den "Warthegau") umgesiedelt. Von dort flohen sie gegen Kriegsende vor der vorrückenden Roten Armee nach Westen. Die Mehrzahl von ihnen, über 200.000 Personen, wurde von den sowjetischen Behörden "repatriiert".
Bis 1955 lebten die verbannten Russlanddeutschen unter einem extrem restriktiven Mobilitätsregime, der sogenannten "Kommandantur". Nach deren Ende migrierten viele zunächst innerhalb des asiatischen Teils der Sowjetunion, beispielsweise in die damals verstärkt besiedelten "Neuland"-Gebiete in Kasachstan.
Der Vertrag vom 12. August 1970 zwischen der UdSSR und der BRD erlaubt die Ausreise von Russlanddeutschen. Erst in den 1970er Jahren kam es zu Ausreisen in die Bundesrepublik in größerer Zahl (ca. 70.000 Personen während des gesamten Jahrzehnts). Die Migration erfolgte in den 1970er Jahren häufig in mehreren Phasen. Männliche Pionier-Wanderer „erkundeten“ die Bundesrepublik, die Rest-Familien wanderten z. B. in den Oblast Kaliningrad ein, um von dort in die Bundesrepublik nachgeholt zu werden. So wuchs die Einwohnerzahl der Russlanddeutschen im Oblast Kaliningrad von 1.307 im Jahre 1989 auf 7.349 um 2021 auf 4.118 im Jahre 2021 wieder zurück zugehen. So konnte Hildegard Kiehl 1995 sich bei einem Besuch in Trakenen zufällig mit einer russlanddeutschen Familien gebrochen auf Deutsch unterhalten. Die Kontakte blieben nach der Aussiedlung der Familien nach Hamburg Anfang 1996 erhalten, es ergaben sich so auch private Hilfestellungen beim Einleben in der neuen Heimat.
Nach der Inkrafttreten des neuen sowjetischen Gesetzes 1.1.1987 über die Ein- und Ausreise stiegen die Ausreisen erheblich. Die Bundesrepublik versuchte ab Mitte 1996 durch die Einführung von Sprachtests und anderer restriktivere Maßnahmen die hohen Einwanderungszahlen (z. B. 1990: 397.073) zu drosseln. Ab 2006 gehen die Zahlen kontinuierlich bis 2023 jährlich auf unter 10.000 zurück. Die Mehrheit der Russlanddeutschen konnte aber erst im Zuge der Perestroika und nach dem Zerfall der Sowjetunion emigrieren – von 1987 bis 2005 ca. 2,4 Millionen Menschen. Jetzt konnten Familienverbände zusammen auswandern und brauchen keine Zwischenstationen mehr.
Quellen: https://wolgadeutsche.net/krieger/VadW_Zwischen_den_Kulturena.pdf https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Buerger/Migration-Integration/Spaetaussiedler/Vordrucke_Merkblaetter/Merkblatt_Info_Einreise_Angehoerige.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Am 1. Juli 1991 wurde der 1938 aufgelöste deutsche Nationalkreis Halbstadt (Nekrassowo) im Altai wiedergegründet, am 18. Februar 1992 erfolgte die Gründung des deutschen Nationalkreis Asowo (bei Omsk). Bei Saratow und Wolgograd sollten weitere Nationalkreise oder -bezirke (Okrugi) gegründet werden. In der Nähe von Uljanowsk an der Wolga wurde ebenfalls Anfang der 1990er Jahre der deutsche Dorfsowjet (Dorfrat) von Bogdaschkino gegründet. Die Zukunft dieser autonomen Gebilde auf unterster Stufe ist jedoch fraglich, weil die alteingesessene deutschstämmige Bevölkerung auch von dort mehrheitlich bereits ausgewandert ist.
Im Jahr 2010 stellten die Russlanddeutschen nur noch in der Region Altai und im Gebiet Nowosibirsk die größte Minderheit, die aber auf Grund der schlechten Wirtschaftsverhältnisse, bereit war, abzuwandern. Es hatten sich informelle Netzwerke gebildet, die eine Westwanderung empfohlen. Erste Station der Wanderung der Russlanddeutschen war der Oblast Kaliningrad, bevor sie überwiegend in die Bundesrepublik weiterwanderten.
Die Bevölkerungsverteilung der Russlanddeutschen hatte Ergebnis: Die im Jahr 2010 durchgeführte Volkszählung der Russischen Föderation nennt eine Gesamtzahl von 394.138 Deutschen, davon lebten 170.154 auf dem Land und 223.984 in Städten.
1993 wurde die "Freiheit" eine Organisation der Deutschen in Oblast Kaliningrad gegründet, die die Schaffung einer "Baltenrepublik der Deutschen" forderte. Die Organisation wurden 1994 zwangsweise aufgelöst.
Die Bestrebungen in der Bevölkerung im Oblast Kaliningrad nach einer stärkeren Autonomie von Russland nahmen ab 2000 zu. Die "Baltisch Republikanische Partei" strebte nach der Gründung einer mit Russland assoziierten „Vierten Baltischen Republik“ innerhalb der EU mit dem Namen Baltia. 2002 schätzte der damalige Parteivorsitzende Sergei Pasko die Befürworter einer Loslösung von der Russischen Föderation in der Oblast auf etwa 35 Prozent. Am 26. März 2003 wurde der BRP aufgrund russischer Gesetze der Status als Partei aberkannt. Im Herbst 2010 bildete sich in der Oblast Kaliningrad eine Bewegung zur Vereinfachung der Visaregelung mit der EU.
Daraufhin wurde die russische Regierung auf die Stimmung in der Region aufmerksam und ergriff wirtschaftliche und politische Maßnahmen. Die Unterstützung für die Industrie, Landwirtschaft und den Tourismus wurde verstärkt und die Infrastruktur ausgebaut. Außerdem wurden die Preise für Bahntickets und Flüge gesenkt. Die russische Polizei hat 2014 mehrere pro-europäische Beamte verhaftet und entlassen. Die meisten pro-europäischen Einwohner und über die Hälfte der Ukrainer verließen die Region, zumeist in Länder der EU. Im Vorfeld und während der Ukraine Krieges haben aber die staatlichen Repressionen gegenüber den Autonomie-Bestrebungen im Oblast deutlich zu genommen. Auch im Oblast Kaliningrad erfolgte ab 2023 - wie ebenfalls im übrigen Russland - die Umstellung auf eine Kriegswirtschaft.
Der litauische Botschafter Stasys Lozoraitis in den USA erhob Anfang der 1990er Jahre die Forderung an Russland, einen Teil des Kaliningrader Oblast an Litauen abzutreten.
Quelle: Oblast Kaliningrad – Wikipedia
Militär
Im Oblast Kaliningrad reduzierten sich unter Gorbachov die nach Kriegsende ursprünglich 500.000 Besatzungssoldaten 1980 auf insgesamt noch etwa 25.000 Mann. Der Oblast Kaliningrad ist aber militärisch mit insgesamt 25.000 Mann trotzdem noch hoch gerüstet.
Die Region besitzt den einzigen eisfreien russischen Hafen an der Ostsee und beherbergt den größten Teil der Baltische Flotte. Die Baltische Flotte verfügt (Stand 2023) über einen Bestand von 57 Kriegsschiffen - darunter 31 Zerstörer, Fregatten und Korvette, 1 U-Boot und 25 Minenabwehr und Landungsboote. Ihr Hauptstützpunkt befindet sich in Baltijsk in der Oblast Kaliningrad. Von den etwa 26.000 Einwohnern im ehemaligen Pillau gehören 2021 etwa 8.000 zur Marine, dazu kommen noch die Familienangehörige. Seit 1980 gehören etwa 50 % aller Stadtbewohnergehören zur orthodoxen Kirche unter den Marineangehörigen sollen es sogar noch mehr sein.
1991 erhielt die Russisch-Orthodoxe Kirche das einzige erhaltene Gebäude der ehemaligen reformierten Gemeinde in Baltijsk zur Nutzung. Von der ursprünglichen Ausstattung vor 1945 war dabei nichts erhalten geblieben. 2001 wurden Reliquien des heiliggesprochenen Admirals Fjodor Uschakow (1745 - 14. Oktober 1817) in die Kirche gebracht. Es war nicht unüblich, dass die russisch-orthodoxe Kirche militärische Führer, die für ihr Land gekämpft hatten, heiligsprach. Heute die St. Georgs-Kathedrale in der Diözese Kaliningrad (Königsberg) und Baltijsk (Pillau) Garnisonkirche für den russischen Marinestandort der Baltischen Flotte. Nach Uschakow ist der Uschakow-Orden der sowjetischen Flotte benannt. Ebenso tragen mehrere Kriegsschiffe seinen Namen und der Ort Brandenburg (Frisches Haff) wurde 1946 nach ihm umbenannt.
Die russischen Streitkräfte in der Oblast Kaliningrad sind laut NATO-Beobachtern gut ausgebildet und ausgerüstet. Gemäß dem Center for Strategic and International Studies waren Anfang 2022 im Gebiet Kaliningrad rund 12.000 Mann der russischen Land-Streitkräfte stationiert. Das Gros der Truppen stellte das 11. Armeekorps. Das Korps nahm ab Mai 2022 am russischen Überfall auf die Ukraine teil. "Nach drei Monaten im Kriegseinsatz soll die Truppenstärke des 11. Armeekorps um 29 Prozent gesunken sein, wie Reuters Ende August unter Berufung auf russische Dokumente berichtete." Quelle: Tagesspiegel, 29. Oktober 2022.
Im Jahre 1935 legte die Luftwaffe in Ostpreußen, nahe dem Königsberger Vorort Prowehren einen neuen Flugplatz an. Nachdem er 1936 fertiggestellt war, wurde er als Einsatzhafen I einklassifiziert und war seit 1939 mit einer Fliegerhorstkommandantur belegt. Am 29. Juli 1948 wurde Prowehren in Tschkalowsk (russisch Чка́ловск), nach dem Flieger Waleri Pawlowitsch Tschkalow, umbenannt und zur Stadt Kaliningrad eingemeindet. Im gleichen Jahr begann ein weiterer Ausbau des Platzes mit Errichtung einer neuen Start- und Landebahn, die im Laufe der Zeit auf 3000 m verlängert wurde. Die russischen Luftstreitkräfte betreiben hier die im Rahmen der Streitkräftereform von 2010 gebildete und zu diesem Zeitpunkt mit Su-27 ausgerüstete und dem 1. Kommando der Luftstreitkräfte unterstellte AB (Awiazionnaja Basa, Luftwaffenbasis). Im Mai 2018 bestätigte die russische Regierung die Stationierung von atomwaffenfähigen Iskander-M-Raketen. Mit bis zu 500 km Reichweite könnten sie bis nach Warschau, Berlin oder Kopenhagen gelangen. Im August 2022 folgte die Stationierung von Kampfflugzeugen des Typs MiG-31E, die mit der atomwaffenfähigen Hyperschall-Rakete Ch-47M2 Kinschal ausgerüstet seien. Die Luftwaffe im Oblast umfass etwa 5.000 Mann.
Die Verbände und militärischen Einrichtungen stellen nach Ansicht von Militär-Fachleuten eine potenzielle Bedrohung des sogenannten Suwaiki-Korridors auch Lücke dar, der schmalen Landverbindung zwischen dem NATO-Land Polen und den baltischen NATO-Staaten. Eine Studie der RAND Corporation bezeichnete das Gebiet als das labilste der NATO und schätzte, die transatlantische Allianz würde im Fall eines russischen Angriffs nur 36 bis 60 Stunden lang den Nachschub über den Korridor sicherstellen können, bis die baltischen Hauptstädte besetzt und das Baltikum isoliert sei. Die NATO stationierte deshalb 2016 vier Bataillone in dem Gebiet
Quelle: NATO Enhanced Forward Presence NATO-Battlegroup – Wikipedia
In Litauen sollen ab 2027 dauerhaft ein Heeres-Bataillon mit 5.000 Bundeswehrsoldaten stationiert werden. Kasernen, Wohnungen, Schulen, Kindergärten, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sind aktuell für die Bundeswehrangehörigen im Bau.
Die im Oblast unterhaltenen Radarstationen sind Teil des russischen Frühwarnsystems gegen Luft- und Atomwaffenangriffe auf das russische Hinterland. Als Reaktion auf den von den Vereinigten Staaten angestrebten Raketenabwehrschild begann Russland, die Radarstation Pionerski (Neukuhren) zu modernisieren und in ein eigenes Raketenabwehrsystem einzugliedern.
Außerdem schließt das Radar die Lücke in der russischen Aufklärung, die durch die Schließung der Anlagen in der Ukraine und Litauen entstanden war. Es ist aber auch davon auszugehen, dass Funkabhörstationen die Länder Skandinaviens und Nordwesteuropas überwachen.
Im Jahr 2011 wurde in Pionerski eine Residenz für den Präsidenten der Russischen Föderation fertiggestellt.
Reisen
1991 wurde das Gebiet Kaliningrad im Zuge der Perestroika wieder für ausländische Besucher geöffnet. So kamen unter anderem vorübergehend viele „Heimwehtouristen“ in die Oblast, die seit der Auflösung der Sowjetunion zur Russischen Föderation gehört. Da im Fremdenverkehrsbereich der Heimwehtourismus der 1990er-Jahre weitgehend abgeebbt ist, wurde versucht, neue Touristen zu gewinnen, die vor allem aus Russland und Belarus kommen sollen.
Die Kurische Nehrung, eine schmale Landzunge, 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, liegt teils in der Oblast Kaliningrad, teils in Litauen. Die Kurische Nehrung (litauisch Kuršių nerija, russisch Куршская коса Kurschskaja kossa) ist eine 98 km lange Halbinsel von der Nordküste des Samlands (Lesnoi) bis zum Memeler Tief.
Seit 1945 gehören die nördlichen 52 km zu Litauen und die südlichen 46 km zur russischen Oblast Kaliningrad. Vor allem der litauische Teil der Nehrung ist ein beliebtes Reiseziel. Mittelpunkt des Fremdenverkehrs ist die Ortschaft Nida, wo sich Hotels, Ferienwohnungen, Campingplätze und Gastronomie befinden.
Mit der Entstehung des Expressionismus ab 1900 zog es eine Vielzahl von Künstlern nach Nidden, unter ihnen so bekannte Maler wie Lovis Corinth, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff. Um den damaligen Treffpunkt dieser Maler, den Gasthof Blode, entstand die Künstlerkolonie Nidden; dieser Gasthof existiert unter dem Namen Nidos Banga heute noch.
1929 erbaute Thomas Mann auf dem „Schwiegermutterberg“, im Norden Niddens, Ortsteil Purwin, für sich und seine Familie ein Ferien- und Sommerhaus. Es bot einen großartigem Blick über das Kurische Haff. Er verbrachte hier die Sommerferien von 1930 bis 1932 mit seiner Familie und arbeitete gleichzeitig an seinem Josephsroman. 1995 wurden in dem Haus das Thomas-Mann-Museum und das Thomas-Mann-Kulturzentrum eingerichtet. Seit 1997 werden jedes Jahr internationale Sommerfestivals und Seminare durchgeführt.
Der russische Teil der Nehrung ist für westliche Touristen weniger erschlossen, nicht zuletzt wegen des Visumzwangs. Die Urlauber auf dieser Nehrungsseite kommen meistens aus Russland und Belarus. In den russischen Nehrungsdörfern hatte nach dem Zerfall der Sowjetunion in den 90iger Jahren eine rege Bautätigkeit eingesetzt, zahlreiche kleine private Pensionen wurden errichtet. Wohlhabende Kaliningrader haben Wochenendhäuser an den schönsten Plätzen gebaut, die zum Teil auch mietbar sind. Dies gilt auch für die Samlandküste. Es gibt aus der Sowjetzeit zwei Ferienlager für Kinder und Jugendliche auf der Nehrung in Djuny und in Chwoinoje.
Großbetriebe aus St. Peterburg hatten hier in den 80iger Jahren für ihre Belegschaften ebenfalls sehr große Ferienlagen errichtet, und zwar in Морско́е/Morskoje (dt. Pillkoppen), Рыбачий/Rybatschi (dt. Rossitten), Лесной/Lesnoi (dt. Sarkau) und Красноречье/Krasnoretschje (dt. Kunzen) - Der letztgenannte Ort wurde vor 1976 wegen Versandung verlassen. Er nicht mehr existent. In den Sommermonaten soll es über 25.000 russische Sommer-Urlauber an der Ostseeküste gegeben haben Diese riesigen Ferienlager bestanden überwiegend aus Barracken, die aber alle abgebaut worden sind.
Zwischen dem litauischen und dem russischen Teil der Nehrung existiert ein Straßen-Grenzübergang, der zweimal am Tag in beiden Richtungen von russischen Linienbussen zwischen Kaliningrad und Klaipėda überquert wird. Es besteht beidseitig ein Visumzwang.
Bei dem Besuch von Hildegard Kiehl 1992 in Wilkental mit einer Reisegruppe waren die Gemeinde Wilkental, der Hof der Familie Tuttlies und das Soldatengrab nicht mehr vorhanden. Der Ort existiert heute auf russischen Karten nicht mehr. Einige Mitreisende hatte ihre alten Hausschlüssen dabei. Von der ehemaligen Gemeinde Wilkental waren nur vereinzelte Gebäude noch stehen geblieben.
Foto: Hotel zum Bären, Insterburg, 1992 [437]
Foto: Ehemaliges Hofgebäude der Fam. Krause in Wilkental, 2004 [438]
Foto: Bewohnerin des ehemaligen Hofes Krause in Wilkental 2004 [439]
Die Unterkunft in Insterburg war das Hotel „Zum Bären“ in der Tunnelstraße. In den Jahren 1993 und 1995 folgten weitere Besuche.
"Das Hotel hat 5 Einbett-, 18 Doppelzimmer und 4 Dreibettzimmer. Alle Zimmer sind mit Telefon, Bad oder Dusche/WC ausgestattet. Es gibt eine Bar und ein Restaurant. In der Nähe des Stadtzentrums, unweit vom Bahnhof gelegen." Die Adresse lautet: Uliza Tunnelnaya 2, Tscherjakovst im Oblast Kaliningrad. In Verbundenheit mit langjährigen Partnern und Reiseleiterinnen im Königsberger Gebiet soll das aktuelle Reiseangebot nach Tscherjakovst erst in friedlichen und sicheren Zeiten wieder aufgenommen werden.
Anlagen
Anlage 1: Bevölkerungsentwicklung im Deutschland 1900 - 1946, Quelle: Demografie Deutschlands – Wikipedia
Jahr | Bevölkerung | Lebendgeborene | Sterbefälle | natürliche
Bevölkerungs- veränderung |
Geburtenrate | Sterberate | natürliche
Bevölkerungs- veränderung |
Zusammen-
gefasste Fruchtbarkeits- ziffer in % | |
in % | in % | in % | |||||||
absolut | absolut | absolut | absolut | je 1 000 Einw. | je 1 000 Einw. | je 1 000 Einw. | |||
1900 | 54 326 000 | 1 944 139 | 1 199 382 | 744 757 | 35,8 | 22,1 | 13,7 | 4,93 | |
1901 | 55 144 000 | 1 980 313 | 1 140 489 | 839 824 | 35,9 | 20,7 | 15,2 | 4,88 | |
1902 | 56 017 000 | 1 971 735 | 1 088 492 | 883 243 | 35,2 | 19,4 | 15,8 | 4,82 | |
1903 | 56 869 000 | 1 931 078 | 1 135 905 | 795 173 | 34,0 | 20,0 | 14,0 | 4,77 | |
1904 | 57 695 000 | 1 972 847 | 1 128 183 | 844 664 | 34,2 | 19,6 | 14,6 | 4,68 | |
1905 | 58 514 000 | 1 935 153 | 1 158 314 | 776 839 | 33,1 | 19,8 | 13,3 | 4,60 | |
1906 | 59 343 000 | 1 970 477 | 1 078 202 | 892 275 | 33,2 | 18,2 | 15,0 | 4,51 | |
1907 | 60 183 000 | 1 948 933 | 1 084 309 | 864 624 | 32,4 | 18,0 | 14,4 | 4,43 | |
1908 | 61 023 000 | 1 964 052 | 1 100 490 | 863 562 | 32,2 | 18,0 | 14,2 | 4,34 | |
1909 | 61 857 000 | 1 929 278 | 1 062 217 | 867 061 | 31,2 | 17,2 | 14,9 | 4,18 | |
1910 | 62 698 000 | 1 876 778 | 1 016 665 | 860 113 | 29,9 | 16,2 | 13,7 | 4,01 | |
1911 | 63 469 000 | 1 824 729 | 1 097 784 | 726 945 | 28,7 | 17,3 | 11,5 | 3,85 | |
1912 | 64 236 000 | 1 823 636 | 1 000 749 | 822 887 | 28,4 | 15,6 | 12,8 | 3,68 | |
1913 | 65 058 000 | 1 794 750 | 975 950 | 818 800 | 27,6 | 15,0 | 12,6 | 3,52 | |
1914 | 65 860 000 | 1 775 596 | 1 246 310 | 529 286 | 27,0 | 18,9 | 8,0 | 3,27 | |
1915 | 65 953 000 | 1 353 546 | 1 410 420 | -56 874 | 20,5 | 21,4 | -0,9 | 3,02 | |
1916 | 65 795 000 | 1 005 484 | 1 258 054 | -252 570 | 15,3 | 19,1 | -3,8 | 2,76 | |
1917 | 65 450 000 | 912 109 | 1 345 424 | -433 315 | 13,9 | 20,6 | -6,6 | 2,51 | |
1918 | 64 800 000 | 926 813 | 1 606 475 | -679 662 | 14,3 | 24,8 | -10,5 | 2,26 | |
1919 | 62 897 000 | 1 260 500 | 978 380 | 282 120 | 20,0 | 15,6 | 4,5 | 2,33 | |
1920 | 61 794 000 | 1 599 287 | 932 929 | 666 358 | 25,9 | 15,1 | 10,8 | 2,40 | |
1921 | 62 473 000 | 1 581 130 | 869 555 | 711 575 | 25,3 | 13,9 | 11,4 | 2,48 | |
1922 | 61 890 000 | 1 424 804 | 890 181 | 534 623 | 23,0 | 14,4 | 8,6 | 2,55 | |
1923 | 62 250 000 | 1 318 489 | 866 754 | 451 735 | 21,2 | 13,9 | 7,2 | 2,62 | |
1924 | 62 740 000 | 1 290 763 | 766 957 | 523 806 | 20,6 | 12,2 | 8,4 | 2,42 | |
1925 | 63 110 000 | 1 311 259 | 753 017 | 558 242 | 20,8 | 11,9 | 8,8 | 2,21 | |
1926 | 63 510 000 | 1 245 471 | 742 955 | 502 516 | 19,6 | 11,7 | 7,9 | 2,10 | |
1927 | 63 940 000 | 1 178 892 | 765 331 | 413 561 | 18,4 | 12,0 | 6,5 | 1,98 | |
1928 | 64 470 000 | 1 199 998 | 747 444 | 452 554 | 18,6 | 11,6 | 7,0 | 1,99 | |
1929 | 64 670 000 | 1 164 062 | 814 545 | 349 517 | 18,0 | 12,6 | 5,4 | 1,93 | |
1930 | 65 130 000 | 1 144 151 | 718 807 | 425 344 | 17,6 | 11,0 | 6,5 | 1,88 | |
1931 | 65 510 000 | 1 047 775 | 734 165 | 313 610 | 16,0 | 11,2 | 4,8 | 1,71 | |
1932 | 65 716 000 | 993 126 | 707 642 | 285 484 | 15,1 | 10,8 | 4,3 | 1,62 | |
1933 | 66 027 000 | 971 174 | 737 877 | 233 297 | 14,7 | 11,2 | 3,5 | 1,58 | |
1934 | 66 409 000 | 1 198 350 | 725 000 | 473 000 | 18,0 | 10,9 | 7,1 | 1,93 | |
1935 | 66 871 000 | 1 263 976 | 792 018 | 471 958 | 18,9 | 11,8 | 7,1 | 2,03 | |
1936 | 67 349 000 | 1 278 583 | 795 793 | 482 790 | 19,0 | 11,8 | 7,2 | 2,07 | |
1937 | 67 831 000 | 1 277 046 | 794 367 | 482 679 | 18,8 | 11,7 | 7,1 | 2,09 | |
1938 | 68 424 000 | 1 348 534 | 799 220 | 549 314 | 19,7 | 11,7 | 8,0 | 2,25 | |
1939 | 69 314 000 | 1 413 230 | 854 348 | 558 882 | 20,4 | 12,3 | 8,1 | 2,39 | |
1940 | 69 838 000 | 1 402 258 | 885 591 | 516 667 | 20,1 | 12,7 | 7,4 | 2,40 | |
1941 | 70 244 000 | 1 308 232 | 844 435 | 463 797 | 18,6 | 12,0 | 6,6 | 2,25 | |
1942 | 70 834 000 | 1 055 915 | 847 861 | 208 054 | 14,9 | 12,0 | 2,9 | 1,83 | |
1943 | 70 411 000 | 1 124 718 | 853 246 | 271 472 | 16,0 | 12,1 | 3,9 | 2,00 | |
1944 | 69 000 000 | 1 215 000 | 915 000 | 300 000 | 17,6 | 13,3 | 4,3 | 1,89 | |
1945 | 66 000 000 | 1 060 000 | 1 210 000 | -150 000 | 16,1 | 18,3 | -2,3 | 1,53 | |
1946 | 64 260 000 | 921 998 | 1 001 331 | -79 333 | 14,3 | 15,6 | -1,2 | 1,65 | |
Anlage 2: Links zu Willschicken und Umgebung
https://wiki.genealogy.net/GOV:WILTALKO04VT
Wilkental – GenWiki (genealogy.net)
Alt Lappönen – GenWiki (genealogy.net)
Paducken – GenWiki (genealogy.net)
Aulenbach – GenWiki (genealogy.net)
Aulowönen – GenWiki (genealogy.net)
Bambullen – GenWiki (genealogy.net)
Birkenhof (Ostp.) – GenWiki (genealogy.net)
Hof Brandstäter – GenWiki (genealogy.net)
Grünheide (Kirchspiel) – GenWiki (genealogy.net)
Klein Schunkern – GenWiki (genealogy.net)
GOV: Willschicken, Wilkental (genealogy.net)
GOV: Pillwogallen, Lindenhöhe (genealogy.net)
Ziegelei Mauerwald – GenWiki (genealogy.net)
Portal:Insterburg – GenWiki (genealogy.net)
https://www.wikiwand.com/de/Preu%C3%9Fisch_Litauen#/google_vignette
https://annaberger-annalen.de/jahrbuch/2021/Ausgabe29.shtml
Annaberger Annalen (annaberger-annalen.de)
Bevölkerung und Wirtschaft in Ostpreussen | SpringerLink
Wirtschaft_und_Statistik-1939-13.pdf (statistischebibliothek.de)
Suche nach 'willschicken' in Metadaten und Volltexten | MDZ (digitale-sammlungen.de)
Ostpreußen: retro|bib - Ergebnis der Suchanfrage (retrobibliothek.de)
Insterburg: retro|bib - Ergebnis der Suchanfrage (retrobibliothek.de)
Familienstammbaum der Familien Podewski, Tuttlies und Kiehl
FamilySearch-Katalog: Die Nachkommen Padeffke und Podewski des Peter Paquadowski — FamilySearch.org
und Stammdaten Fam Podewski.pdf (familien-archiv.de)
und GEDBAS: Vorfahren von Hildegard TUTTLIES (genealogy.net)
und GEDBAS: Vorfahren von Gerhard KIEHL (genealogy.net)
Anlage 3: Weitere Literatur-Auswahl:
Hans Bloech: Ostpreußens Landwirtschaft, Teil 1 - 3, 1979
Hartmut Boockmann: Ostpreußen und Westpreußen, 1992
Pierre Bourdieu: Der feine Unterschied, 1982
Bundesministerium für Vertrieben (Hrsg) Nachdruck: Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Gebieten östlich der Oder-Neiße, 3 Bände, 1984
Christopher Clark: Preußen, 2007
Jens Dangschat u.a.: Aktionsräume von Großstadtbewohnern, 1982
Marion Gräfin Dönhoffs: Namen, die keiner mehr nennt, 1962
Jürgen Friedrichs: Stadtentwicklung in West- und Osteuropa, 1985
Fritz Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen. 3 Bände, 1965 - 1971
Walter G. Hoffmann: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts, 1965
Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter: Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch Band II, Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1870-1914, 1965
Georg Friedrich Knapp: Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preußens, 1887
Hans Graf von Lehndorff: Ostpreußisches Tagebuch. Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945-1947, 1961
Andreas Kossert: Ostpreußen Geschichte und Mythos, 2007
Andreas Kossert: Ostpreußen – Geschichte einer historischen Landschaft, 2014
Ernst Opgenoorth (Hrsg.) Handbuch der Geschichte Ost- und Westpreußens (= Einzelschriften der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung. Band 10). Im Auftrag der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung
- Teil 1: Von der Teilung bis zum schwedisch-polnischen Krieg, 1466–1655 (1994).
- Teil 2: Vom schwedisch-polnischen Krieg bis zur Reformzeit, 1655–1807 (1996).
- Teil 3: Von der Reformzeit bis zum Vertrag von Versailles, 1807–1918 (1998).
- Teil 4: Vom Vertrag von Versailles bis zum Ende des zweiten Weltkrieges, 1918–1945 (1997).
Johann Friedrich Strak, Evangelischer Prediger: Tägliches Hand-Buch in guten und bösen Tagen in Aufmunterungen, Gebeten und Gesängen, Sprüchen und Seufzer für Gesunde, für Betrübte, für Kranke, für Sterbende nebst Andachten, 165. Auflage, 1902
Max Weber: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklenburg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen Duncker & Humblot, Leipzig 1892 (=Schriften des Vereins für Socialpolitik, LV. Die Verhältnisse der Landarbeiter in Deutschland; Bd. 3) 1892
Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschafs - Geschichte, Band 1 – 5, 1987
Otto Wiechert: Heimatatlas für Ostpreußen. Verlag List und von Bressensdorf, Leipzig 1926. Neuauflage Weltbild 2011
Ein besonderer Dank gilt Herrn und Frau Mattulat. Sie haben dankenswerterweise wichtige Eigenarbeiten zur Verfügung gestellt.
Der Text wurde im April 2021 von Hildegard Kiehl angeregt und 2023 von Klaus Kiehl unter Mithilfe von Simon Kiehl erstellt.
Die inhaltliche Gliederung des Textes konnte 2021 noch mit Hildegard Kiehl abgesprochen werden, die im selben Jahr verstarb.
Hildegard Kiehl, geb. Tuttlies * 21.03.1920 in Willschicken † 19.06.2021 in Hamburg.
Der litauische Name Tuttlies heißt übersetzt Wiedehopf
In der Hoffnung, dass alle Angaben und Quellen richtig eingeordnet sind,
sind Berichtigungen und neue Informationen herzlich willkommen.
Bitte senden Sie diese an die E-Mail-Adresse von Klaus Kiehl: klaus-kiehl@t-online.de
Hamburg 2024
Text- Quellen zur Ländlichen Entwicklung in Ostpreußen, dargestellt am Beispiel Willschicken
- ↑
Messblatt Wilkental neu https://www.landkartenarchiv.de/deutschland_messtischblaetter.php
- ↑ Dörfer: Uszupöhnen, Gr. Aulowönen, Alt Lappönen, Willschicken 1893 http://www.davidrumsey.com) © 2010 Cartography Associates
- ↑ Kartenausschnitt Heiliges römisches Reich 1250 HRR_1250.jpg (7189×11212) (wikimedia.org) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:HRR_1250.jpg
- ↑ Alte Teilstädte in Königsberg https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigsberg_(Preu%C3%9Fen)
- ↑ Wallbefestigung und Städte Königsbergs https://de.wikipedia.org/wiki/Fortifikationsbauten_K%C3%B6nigsberg
- ↑ Königsberg 1809 https://wiki.genealogy.net/Twangste_(K%C3%B6nigsberg)]
- ↑ Brückenproblem https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigsberger_Br%C3%BCckenproblem]
- ↑ Darstellung in der Marienburg. https://de.wikipedia.org/wiki/Litauerkriege des Deutschen Ordens]
- ↑ Unterwerfung des Prußenlandes im 13 Jahrhundert https://www.herder-institut.de/fileadmin/user_upload/quellen/Deutscher_Orden_und_Preussen_im_Mittelalter/014_2_032_Unterwerfung-Preussen.pdf
- ↑ Altpreußen vor 1283 https://rcin.org.pl/dlibra/show-content/publication/edition/3221?id=3221&fbclid=IwAR0Hs1ITGB9MehwRsfhW8l0Tz2UB17MUFKzX4zz4Dw3-xJ_XRqCKTagIZ2M
- ↑ Preußen zur Zeit der Hochmeister https://rcin.org.pl/dlibra/show-content/publication/edition/3221?id=3221&fbclid=IwAR0Hs1ITGB9MehwRsfhW8l0Tz2UB17MUFKzX4zz4Dw3-xJ_XRqCKTagIZ2M
- ↑ Karte der Deutschordensburgen um 1350 https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Burgen_im_Deutschordensstaat
- ↑ Lochstedt Rekonstruktion https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Lochstedt
- ↑ Lochstedt Plan https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Lochstedt
- ↑ Lochstedt Grundriss https://de.wikipedia.org/wiki/Burg_Lochstedt
- ↑ Herkunft der Stadtbewohner des Ordenslandes Preußen bis 1425 https://www.herder-institut.de/fileadmin/user_upload/quellen/Deutscher_Orden_und_Preussen_im_Mittelalter/014_2_020_Stadtbewohner1425.pdf
- ↑ Kulmische Dörfer nach Gründungszeitunkten in der Komturei Königsberg bis 1410 https://www.herder-institut.de/digitale-angebote/dokumente-und-materialien/themenmodule/quelle/1249/details.html
- ↑ Bevölkerung im Ordensland Preußen 1283 https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschordensstaat
- ↑ Verwaltungsgebiet des Deutschen Ordens 1309 Verwaltungsgebiet des Deutschen Ordens https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschordensstaat
- ↑ Königlich- und Herzogliches Preußen https://de.wikipedia.org/wiki/Dreizehnj%C3%A4hriger_Krieg
- ↑ Die Ständeordnung in der 1488 erschienenen Prognostacio des Astrologen Johannes Lichtenberger: Jesus Christus weist den drei Ständen ihre Aufgaben zu: Tu supplex ora („du bete demütig!“) zum Klerus, Tu protege („du beschütze!“) zu Kaiser und Fürsten, Tuque labora („und du arbeite!“) zu den Bauern. https://de.wikipedia.org/wiki/St%C3%A4ndeordnung
- ↑ Der Staat es Deutschen Ordens 1466 nach der Teilung durch den Zweiten Thorner Frieden https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschordensstaat#/media/Datei:Deutscher_Orden_1466.png
- ↑ Der Ordensstaat 1410 https://de.wikipedia.org/wiki/Deutschordensstaat
- ↑ Grenzverläufe https://wiki.genealogy.net/Pru%C3%9Fen
- ↑ Litauische Landschaften https://de.wikipedia.org/wiki/Samogitien Samogitien – Wikipedia]
- ↑ Stämme der Balten https://de.wikipedia.org/wiki/Balten
- ↑ Schwertbrüder Orden https://de.wikipedia.org/wiki/Schwertbr%C3%BCderorden#/media/Datei:Livland_1260.svg
- ↑ Litauen https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Ff%C3%BCrstentum_Litauen#/media/Datei:Gro%C3%9Ff%C3%BCrstentum_Litauen_13.%E2%80%9315._Jh.png
- ↑ Die drei Teilungen von Polen 1772 bis 1795 https://de.wikipedia.org/wiki/Teilungen_Polens
- ↑ Nadrauen - Wikiwand https://de.wikipedia.org/wiki/Nadrauen
- ↑ Deutsche_Ostsiedlung_Karte_gross.png (768×1024) http://www.uni-oldenburg.de
- ↑ Verwaltung des Ordenlandes um 1400 https://www.herder-institut.de/fileadmin/user_upload/quellen/Deutscher_Orden_und_Preussen_im_Mittelalter/014_2_011_Verwaltung-Ordensland1400.pdf
- ↑ Sachsenspiegel – Wikipedia https://commons.wikimedia.org/wiki/File:EHIP-R0-100-2205_zad.6.svg?uselang=de
- ↑ Gang der Besiedlung Ostpreußens https://kat.martin-opitz-bibliothek.de/vufind/Record/0008321/Details
- ↑ Ulrich Brockmann: Ost- und Westpreußen
- ↑ Speicherhäuser Königsberg https://de.wikipedia.org/wiki/Speicher_(K%C3%B6nigsberg)#/media/Datei:Wittine-02.JPG
- ↑ Langgasse https://de.wikipedia.org/wiki/Langgasse
- ↑ Georg Giese aus Danzig, im Londoner Stalhof https://de.wikipedia.org/wiki/Hanse
- ↑ Die Deutsche Brücke https://de.wikipedia.org/wiki/Hanse
- ↑ Ausbreitung der Hanse um 1400, nach Droysen, 1886 https://de.wikipedia.org/wiki/Hanse
- ↑ Deutscher Orden und Hansestädte https://de.wikipedia.org/wiki/Hanse
- ↑ Handelswege https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/images/d/dd/Karte_Handelswege_Fugger_Welser.jpg
- ↑ Die Bremer Kogge https://dzingel.eu/_downloads/Die.Kogge.pdf
- ↑ Wichtigste Handelsrouten der Hanse. https://www.muenzen-online.com/post/2019/08/19/das-geld-der-hanse-m%C3%BCnzgeschichten-aus-dem-14-jahrhundert
- ↑ Schloss Insterburg 1890 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Insterburg_Plan.jpg?uselang=de]
- ↑ Stadtplan Insterburg 1889 http://kaliningrad365.ru/info/karta-goroda-chernyahovska-i-ego-koordinaty.html
- ↑ Stadtplan insterburg https://wiki.genealogy.net/Datei:Pharus_Plan_Insterburg_1920er_Jahre.jpg]
- ↑ Der Alte Markt in Insterburg https://wiki.genealogy.net/Insterburg]
- ↑ Insterburger Flagge (Insterburg) https://de.wikipedia.org/wiki/Tschernjachowsk]
- ↑ Insterburg Wappen https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/G6VQ7D6CJ3NLRAQ6DLCWDL2CQAXRZDA6]
- ↑ Rückseite von Notgeldschein 70 Pfenning 70 https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/G6VQ7D6CJ3NLRAQ6DLCWDL2CQAXRZDA6]
- ↑ Russischer Generalstab https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Rennenkampff#/media/Datei:Paul-von-Rennenkampf-2.jpg
- ↑ Umgebungskarte von Insterburg https://wiki.genealogy.net/Datei:Insterburg_MTB_1938.jpg]
- ↑ Kirchspiel Aulowönen https://wiki.genealogy.net/Aulenbach
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- ↑ 1196 Aulowöhnen - Alt Lappönen - Messtischblatt Auschnitt 1939 https://wiki.genealogy.net/Datei:1196_Aulow%C3%B6hnen_-_Alt_Lapp%C3%B6nen_-_Messtischblatt_Auschnitt_1939.jpg
- ↑ 57,0 57,1 57,2 Kosmographie, das ist Beschreibung aller Länder, Herrschaften und ... - Sebastian Münster - [4]
- ↑ Marienburg 2010 https://de.wikipedia.org/wiki/Marienburg_(Ordensburg)]
- ↑ Königsberger Schloss https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigsberger_Schloss]
- ↑ Bildnis von Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach, porträtiert von Lucas Cranach d. Ä., datiert 1528, im Besitz des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig. https://de.wikipedia.org/wiki/Albrecht_%28Preu%C3%9Fen%29
- ↑ Frans Luycx, Friedrich Wilhelm, um 1650, Kunsthistorisches Museum. https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_(Brandenburg)
- ↑ Mennonitenkirche in Elbing https://www.bing.com/search?q=https%3A%2F%2Fde.wikipedia.org%2Fwiki%2FMennonitenkirche_Elbing&form=ANNTH1&refig=fd61cde1cea54ddfb3f9b08b498c685f&pc=EDGEDB
- ↑ MKrönung Friedrichs I. in Königsberg, Gemälde von Anton von Werner in der Berliner Ruhmeshalle, 1887 https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_I._(Preu%C3%9Fen)
- ↑ Reformierte Kirche in Judtschen https://www.hugenotten.de/gesellschaft/_pdf/04-2012.pdf
- ↑ Imamanuel Kant https://de.wikipedia.org/wiki/Immanuel_Kant
- ↑ Kant Museum in Judtschen https://de.wikipedia.org/wiki/Wessjolowka_(Kaliningrad,_Tschernjachowsk)
- ↑ Der Soldatenkönig. https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_I._(Preu%C3%9Fen)
- ↑ Friedrich der Große 1781 https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_II._(Preu%C3%9Fen)
- ↑ Hans Mortensen, Gertrud Mortensen: Die Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußens bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts
- Bd. 1: Die preußisch-deutsche Siedlung am Westrand der Großen Wildnis um 1400. Leipzig, 1937.
- Bd. 2: Die Wildnis im östlichen Preußen, ihr Zustand um 1400 und ihre frühere Besiedlung. Leipzig 1938.
- Bd. 3: Unvollendetes Manuskript im Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem (weist die litauische Einwanderung anhand der Quellen in Königsberger Archiven nach); in Bearbeitung von Grischa Vercamer: Hans und Gertrud Mortensen: Die Besiedlung des nordöstlichen Ostpreußen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Die Einwanderung der Litauer nach Ostpreußen.
- ↑ Grischa Vercamer: Siedlungs-, Verwaltungs- und Sozialgeschichte der Komturei Königsberg im Deutschordensland Preußen (Dissertation Freie Universität Berlin 2008) (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, Bd. 29) https://de.wikipedia.org/wiki/Grischa_Vercamer
- ↑ Schroetterkarte https://wiki.genealogy.net/Datei:Schroetterkarte.png
- ↑ Polen-Litauen in Grenzen von 1656 und seine Gebietsverluste nach den Verträgen von 1657,[4] 1660[5] und 1667[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_II._Kasimir
- ↑ Pest in Ostpreußen https://books.google.de/books/about/Geschichte_der_Pest_in_Ostpreu%C3%9Fen.html?id=QsLZDwAAQBAJ&redir_esc=y
- ↑ Abbildung: Taufe eine litauischen Kindes 1744 https://de.wikipedia.org/wiki/Preu%C3%9Fisch_Litauen
- ↑ Die preußischen Maße und Gewichte https://www.preussische-masse.de
- ↑ Gumbinnen Stadtplan 1723 https://kreis-gumbinnen.de/gumbinnen-stadt/entstehungsgeschichte/
- ↑ Gumbinnen Stadtplan 1924 https://kreis-gumbinnen.de/gumbinnen-stadt/entstehungsgeschichte/
- ↑ Kirchspiel Groß Aulowönen https://wiki-alt.genealogy.net/Datei:Kirchspiel_Gro%C3%9F_Aulow%C3%B6nhnen_(Ostp.)_1846_Karte_von_F.A._von_Witzleben.jpg
- ↑ Text Amt Lappönen https://wiki.genealogy.net/images//5/55/Birkenhof_%28Ostp.%29_-_Ksp_Aulenbach_-_1791_-_Neu_Lapp%C3%B6nen_-_Erdbeschreibung_der_Preu%C3%9F._Monarchie_S621.pdf
- ↑ Amt Lappönen https://www.ahnen-spuren.de/ostpreussen/kolonisten/kolonisation-um-1732/preussisch-litauen/hauptamt-insterburg/lappoehnen.htm
- ↑ Auswanderung aus Salzburg https://austria-forum.org/af/Wissenssammlungen/Geschichtsatlas/Exulanten
- ↑ 82,0 82,1 Salzburger 1743 https://de.wikipedia.org/wiki/Salzburger_Exulanten
- ↑ Colonisation in Preußisch Litauen Colonisation in Preußisch Litauen https://archive.org/details/friedrichwilhelm00behe/page/288/mode/1up?view=theater
- ↑ Salzburger 1834 und 1843 Salzburger 1834 und 1843 https://archive.org/details/friedrichwilhelm00behe/page/401/mode/1up?view=theater
- ↑ Bekanntmachung https://de.wikipedia.org/wiki/Frieden_von_Sankt_Petersburg
- ↑ Großes Moosbruch https://www.bildarchiv-ostpreussen.de/suche/index.html.de?qp=searchtext%3D5%3A63840mode%3D1%3Af#!start=1
- ↑ Chronik Ksp. Aulenbach (Ostp.) Wilkental, 1939, Karte: Messtischkarte Nr 1196-1197 Auschnitt Umgebung http://www.davidrumsey.com)©2010 Cartography Associate
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